später die israelitischen Staaten Juda und Israel. Also gab es gar keine Flucht aus Ägypten? Keine Wanderung durch die Wüste? Keine Eroberung Kanaans? Alles historisch nicht belegbar. Genau wie das Großreich von David und Salomo mit seinem glanzvollen Zentrum Jerusalem: Auf dem Gebiet der angeblichen Königsstadt gab es nach den Erkenntnissen von Archäologen im 10. Jh. höchstens eine knapp fünfeinhalb Fußballfelder große Siedlung mit rund tausend Einwohnern. Ein Dorf als Schaltzentrale eines Großreichs? Die deutsche Bibelwissenschaftlerin Angelika Berlejung hält das für „logistisch ausgeschlossen“. Doch wieso setzt sich die Bibel über historische Tatsachen hinweg? Das Alte Testament, schreibt Berlejung, sei „kein Kompendium der Geschichte Palästinas, und wollte es auch niemals sein“. Es handele sich um den „Geschichtskommentar“ eines theologischen Entwurfs, der Material gezielt ausgewählt habe, „um die Gründe für den Untergang der Staaten Israel und Juda anzugeben und die Fundamente für den erwarteten oder erhofften Neubeginn zu legen“. Die Zeit, in der Israel eine solche Erklärungshilfe am dringendsten brauchte, war jene rund um das Babylonische Exil im 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr. Es war eine stürmische Epoche. 722 v. Chr. hatten die Assyrer Samaria erobert, die Hauptstadt von Israel, des nördlichen der beiden israelitischen Staaten, Israel wurde assyrische Provinz. Das Südreich Juda hingegen, vormals im Schatten des prosperierenden Nachbarn vor sich hin darbend, erlebte einen rasanten Aufschwung. Innerhalb weniger Jahrzehnte hatte sich möglicherweise die Bevölkerung Jerusalems auf 12 000 Menschen vervielfacht. Rings um die mit einer gewaltigen Mauer befestigte Stadt entstanden weitere Städte und Verwaltungszentren, eine öl- und weinverarbeitende Industrie. Aus einem abgeschiedenen Kleinststaat wurde plötzlich ein aufstrebendes Königreich mit einer multiethnischen Bevölkerung und reichen Handelsbeziehungen in entfernte Länder. Auch die judäische Götterwelt war äußerst mannigfaltig. Neben Jahwe wurden zahlreiche andere Gottheiten verehrt, etwa die Meeresgöttin Aschera. Das missfiel national gesinnten Priestern und Propheten. Um 700 v. Chr. verschaffte sich deshalb eine neue religiöse Bewegung zunehmend Gehör. Sie forderte: Nur Jahwe allein darf noch verehrt werden! Vermutlich war das die Geburtsstunde einer der wichtigsten Schriften der Hebräischen Bibel: des Deuteronomiums. Es berichtet, wie Mose dem Volk Israel das göttliche Gesetz verkündet, dass das Leben Israels und seine Beziehung zu Gott fortan regeln soll. Das wichtigste Gebot lautet: 1350 – 250 v. Chr. Israels Urgeschichte nach 961 Mit der Gründung des Ersten Tempels – später seit etwa 1350 Frühe Spuren von hebräischer Besiedelung in Palästina lassen auf Sippen- und nach 1300 Pharao Ramses II. herrscht in Ägypten. In seiner Zeit könnte die biblische 1208 Auf einer Stele des Pharaos Merenptah, die einen Sieg über westliche Feinde Stammesverbände schließen, die dann gegen Angreifer als Volkseinheit auftreten. Mose-Geschichte spielen. feiert, wird erstmals Israel erwähnt – als eines von etlichen im Osten unterworfenen Gebieten. 1350 v. Chr. Kulturen der alten Welt 32 1150 um 1379 Ägyptens Pha- rao Amenophis IV. nennt sich „Echnaton“ – seine gewagte Betonung des Sonnenkults, die einem Monotheismus nahekommt, bleibt für Ägypten Episode. 950 nach 1200 Schwere Angriffe der sogenannten Seevölker schwächen das mächtige Reich der Hetiter in Kleinasien und bedrohen wiederholt auch die Pharaonen. um 1000 Das aufstrebende Reich der Phönizier im Gebiet des Libanon und Syriens wird zur Handelsmacht mit Verbindungen und Kolonien bis ins westliche Mittelmeer. König Salomo zugeschrieben – ist laut Bibel die staatlich-religiöse Einigung Judas auf dem Höhepunkt. V.L.N.R.: JÜRGEN LIEPE; PHOTOS12 / INTERFOTO; AKG DIE HEILIGE SCHRIFT DER JUDEN Kanaanitischer Wettergott Baal Bronzefigurine, ca. 12. Jh. v. Chr. „Ich bin der Herr, dein Gott … Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Zwar sollte es noch lange dauern, bis die Israeliten Baal und anderen endgültig abschworen. Der Monotheismus des Judentums, dem später auch Christentum und Islam folgen, findet in dieser frühen Schrift jedoch seinen Ausdruck. uch die besondere Beziehung zwischen Jahwe und Israel wird im Deuteronomium klar definiert: Jahwe ist der Gott Israels, und Israel ist das Volk Jahwes und als solches verpflichtet, seine Gesetze einzuhalten. Der Ort dieser Verehrung soll der Jerusalemer Tempel sein. Das erwies sich aber schon bald als schwierig. Denn während Juda eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte erlebte, verschob sich mal wieder das Gefüge der Weltmächte: Skythische Nomadenstämme hatten das assyrische Reich so geschwächt, dass es sich aus Palästina zurückzog. Kurz gewannen die Ägypter wieder an Einfluss, doch um 605 v. Chr. wurden sie von den Babyloniern zurückgedrängt. Die Truppen aus dem südlichen Mesopotamien eroberten Jerusalem zum ersten Mal 598/97 v.Chr., deportierten den König und ersetzten ihn durch einen loyalen Vasallen. Als der frech einen Aufstand anzettelte, machte König Nebukadnezzar II. 587 v.Chr. kurzen Prozess: Das Reich wurde in wenigen Monaten verwüstet. Rund 20 Prozent der Bevölkerung, darunter die Königsfamilie und der Großteil der intellektuellen Elite, wurde nach Babylonien deportiert; ren? Doch wie konnte man Jahwe überhaupt angemessen verehren ohne den Jerusalemer Tempel, den einzig legitimen Ort des Jahwe-Kults? Vor diesem Hintergrund, so glauben viele Forscher, veröffentlichten noch während des Exils ehemalige Hofbeamte eine detaillierte Geschichte des Volkes Israel – von den letzten Tagen der Wüstenwanderung bis zur Exilzeit. Dabei wurde eine ganze Reihe älterer Texte verarbeitet und die Frage nach dem Warum der Katastrophe sehr klar beantwortet: Israel und seine Anführer waren gegenüber Gott wiederholt ungehorsam gewesen. Also hatte Gott das Exil herbeigeführt – als Strafe für die Unfähigkeit und den Unwillen Israels, sein Gesetz einzuhalten. Ob es sich bei dem sogenannten Deuteronomistischen Geschichtswerk tatsächlich um einen einheitlichen Text handelt, wird heute wieder bezweifelt. Auf jeden Fall lieferte die Schrift Israel nicht nur eine theologische Begründung für das Exil, sondern löste auch das Problem des zerstörten V.L.N.R.: ALAMY / MAURITIUS IMAGES; BPK; BILDAGENTUR-ONLINE/LESCOURRET; AKG A 841 Nach mehreren Angriffen aus Assyrien, vor allem durch König Salmanassar III., wird das Nordreich Israel tributpflichtig, 722 erobert und danach ein Satellitenstaat. 750 um 800 Die Entste- hung der homerischen Epen Ilias und Odyssee beendet für die griechische Zivilisation das mythische Zeitalter. eine nationale Katastrophe. Zwar war das Leben im Exil durchaus erträglich: Die Israeliten wurden als geschlossene Gruppen in verschiedenen Städten angesiedelt, durften sich lokal selbst verwalten und ihre Religion ungehindert ausüben. Viele von ihnen erwarben Häuser und Sklaven, gingen Berufen nach. Rechtlich waren sie den Einheimischen gleichgestellt. Trotzdem hatten sie aus ihrer Sicht alles verloren: Ihre Häuser und die Gräber ihrer Vorfahren, ihre Hauptstadt, ihren Tempel, die politische Unabhängigkeit ihrer Dynastie. Wie hatte Jahwe das zulassen können? Das zweite Problem waren die vielen Götter Babyloniens: Sollte man sich assimilieren und sich unter den Schutz der fremden Gottheiten stellen? Oder versuchen, die eigene Religion und Kultur zu bewah- 587/86 Mit der zweiten Zerstörung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezzar II. und dem bis 515 Unter persischer Herrschaft kehrt die judäische Elite zurück. Die Einweihung des Untergang des Staates Juda beginnt Zweiten Tempels die Exilzeit. markiert das neue Selbstbewusstsein. 550 753 Auch wenn die Gründung Roms eine Sage bleibt – die damals in Mittelitalien heimischen Etrusker treten mit Pferd und Streitwagen selbstbewusst gegen ihre Nachbarn auf. 458 Die legendenhaft überlieferte Rückkehr des Propheten Esra aus Babylon gilt als Schlüsseldatum für den Abschluss der Tora, in der Weltbild und Kultregeln Israels festgeschrieben sind. seit etwa 300 Die heiligen Schriften der Juden werden ins Griechische übertragen. Dieser Septuaginta-Text bildet später die Grundlage für das Alte Testament der Christen. 350 480 Die Abwehr der Perser unter Xerxes führt zur Blütezeit der griechischen Stadtstaaten wie Athen, Sparta, Korinth oder auch Syrakus auf Sizilien. 323 Nach dem Tod Alexanders des Großen zerfällt sein Weltreich. Die hellenistische Kultur lässt eine religiös-kulturelle Kontaktzone zwischen Asien und Südeuropa entstehen. 33