Nebukadnezzar brennt Jerusalem nieder Ölbild von Juan

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Nebukadnezzar brennt
Jerusalem nieder Ölbild von
Juan de la Corte, 17. Jh.
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DIE HEILIGE SCHRIFT DER JUDEN
Ich bin der
Herr, dein Gott
AKG
Als die Babylonier im 6. Jahrhundert v. Chr.
Jerusalem zerstörten, nahmen sie den
Israeliten das Zentrum ihres Kultes. Die schufen
sich einen neuen Tempel: die Hebräische Bibel.
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DIE HEILIGE SCHRIFT DER JUDEN
Von KRISTINA MAROLDT
s muss ein furchtbares
Schlachten und Wüten gewesen sein: Feuersbrünste fegten durch die Gassen. Pfeile
bohrten sich in Häuser und
Menschenleiber. Tausende wurden ins
Feindesland verschleppt oder erschlagen.
Als das Heer des babylonischen Kö-
E
nigs Nebukadnezzar im Sommer 587
v. Chr. endlich vom Königreich Juda und
seiner Hauptstadt Jerusalem abließ, war
vom stolzen Bergstaat nicht mehr viel übrig: Jerusalems Häuser, der Königspalast
sowie der Tempel des Nationalgottes Jahwe waren zerstört, die Felder ringsum verwüstet, die Söhne des Königs ermordet,
Priester und Politiker deportiert. Davon
erzählt das zweite Buch der Könige, und
das bestätigen auch archäologische Funde. Der König selbst
darbte geblendet in babylonischer Gefangenschaft.
„Mit dieser
großen Katastrophe“,
schreibt der israelische Archäologe Israel Finkelstein, „hätte die religiöse und
nationale Existenz des Volkes Israel zu
Ende gehen können.“ Doch die Israeliten
überlebten und schufen aus ihrer Erfahrung im Exil wichtige Teile das Werks,
das die Welt bis heute prägt: Die Hebräische Bibel, der Tanach, im Christentum mit leicht abweichendem Kanon als
Altes Testament übernommen. Eine
Schrift voller Glaubenssätze und Rechtsvorschriften, aber auch abenteuerlicher
Geschichten und Poesie.
Es gab verschiedene Überlieferungen
und Übersetzungen der Hebräischen
Bibel; Anzahl und Reihenfolge ihrer
Bücher variierten je nach Zählweise.
Seit dem 1. Jh. n. Chr. stand der Kanon
des Tanach fest. Er besteht heute aus 39
Büchern, angeordnet in drei Hauptteile:
Der erste Teil, die Tora (hebräisch: „Weisung“), erzählt in den fünf Büchern
Mose, auch Pentateuch genannt
(griechisch: „fünf Buchrollen“),
die Geschichte des Volkes Israel von der Erschaffung
der Welt bis zum Tod
des Mose: Genesis,
GETTY IMAGES
Zehn
Gebote
(Dekalog)
der Samariter Inschrift
2. Jh. v. Chr.,
Nablus
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SPIEGEL GESCHICHTE
6 | 2014
BIBEL+ORIENT MUSEUM FRIBOURG / EPD
Aschera-Büste ca. 750–620 v. Chr.
Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium, so heißen die Bücher, berichten von der Schöpfungsgeschichte und
den Erzeltern des Volkes Israel, vom
Auszug aus Ägypten, von der Wanderung der Israeliten durch die Wüste und
der Verkündung des göttlichen Gesetzes
durch Mose.
Der nächste Teil, Nebiim (hebr.: „Propheten“), enthält die Propheten Josua,
Richter, das erste und zweite Buch
Samuel sowie das erste und zweite Buch
der Könige. Sie beschreiben zunächst,
wie es den Israeliten in ihrer neuen Heimat ergeht: Wie sie den Jordan überqueren und Kanaan einnehmen, wie ihre
beiden Königreiche Israel (im Norden)
und Juda (im Süden) wachsen, schließlich von Assyrern und Babyloniern erobert werden und ein Teil der Bewohner
rund 50 Jahre im Babylonischen Exil
verbringt. Die „hinteren Propheten“ Jesaja, Jeremia, Ezechiel sowie das Zwölfprophetenbuch enthalten Heilsorakel,
Mahnungen und Verurteilungen.
Der letzte Teil schließlich, die Ketubim (hebr.: Schriften), besteht aus 13 Büchern mit Predigten, Gedichten, Gebeten und Psalmen; darunter das Hohelied
und das Buch Rut. Sie spiegeln Freude
und Not, zeugen von Verehrung und Besinnung im Volk Israel.
Das Neue Testament beeindruckt
durch die Jesus-Wunder, aber auch in
der Hebräischen Bibel geht es schon
ziemlich fantastisch zu: Über 90-jährige
Frauen bekommen Kinder, Menschen
werden von Fischen verschluckt und
wieder ausgespuckt, Zehntausende irren jahrzehntelang durch die Wüste.
Trotzdem galt im jüdisch-christlichen
Glauben fast anderthalb Jahrtausende
lang: Was in der Bibel steht, hat sich
auch so zugetragen. Die Texte waren die
Worte Gottes, übermittelt und niedergeschrieben von den Personen, nach denen
sie benannt sind.
Erst im 17. Jahrhundert bezweifelten
die ersten Gelehrten, dass Mose den eigenen Tod tatsächlich so detailliert schildern konnte, wie man es im Deuteronomium, dem fünften Buch Mose, nachlesen kann. Und je genauer man daraufhin
die Bibel untersuchte, desto häufiger
stieß man auf Doppelungen und Widersprüche, gegensätzliche Behauptungen,
unterschiedliche Stile, völlig verschiede-
ne Gottesbezeichnungen; mal
hieß er Jahwe, mal Elohim, mal
beschriftet Gott die Gesetzestafeln, mal Mose.
Damit war klar: An dem
Mammutwerk hatten über
Generationen hinweg immer wieder neue Autoren
mit den unterschiedlichsten
religiösen und politischen Intentionen gearbeitet. Texte und
Textblöcke waren ergänzt oder
gestrafft, umformuliert oder neu
kombiniert worden. Erst im 1.
Jh. n. Chr. scheinen sich Umfang
und Anordnung der Schriften verfestigt zu haben. Um 93 n. Chr. berichtet
der römische Historiker Josephus Flavius als Erster von einem unveränderlichen jüdischen Bücherkorpus.
Ein Anlass für die Kanonisierung mag die Übersetzung
der Schriften ins Griechische gewesen sein: Die
sogenannte Septuaginta
wurde bis 150 v. Chr. in
Alexandrien gefertigt
und im 1. Jh. n. Chr. als
Kanon von der christlichen Gemeinde akzeptiert. Davon setzte sich die jüdische
Gemeinde mit einem eigenen Kanon ab.
Doch was war in den
Jahrhunderten zuvor geschehen?
Die Entstehung der Hebräischen
Bibel kann man nur aus der Geschichte
Israels heraus verstehen: eines winzigen
Volkes, das gegen Ende des 13. Jh. v. Chr.
am östlichen Rand der antiken Mittelmeerwelt Erwähnung fand, als politische Verschiebemasse abwechselnd von
Ägyptern, Assyrern, Babyloniern, Persern, Griechen oder Römern erobert und
beherrscht wurde. Es lebte umgeben von
einer Vielzahl von Kulturen wie der arabischen, teilweise in intensivem Austausch. Assimilation oder Abgrenzung –
das war die Frage, die sich den Israeliten
immer wieder stellte. Und um die es
auch in der Bibel immer wieder geht.
Doch vergleicht man die Berichte aus
Tora oder Propheten mit dem, was historische oder archäologische Quellen
über die ersten Jahrhunderte Israels ent-
hüllen, fällt zunächst einmal auf: Allzu
genau nahmen es die Verfasser der Bibel
mit der Wirklichkeit offenbar nicht.
Das fängt schon mit dem Ursprung
des Gottesvolks an: Archäologen sind
sich heute relativ sicher, dass die meisten Israeliten von den Bewohnern der
Küstenstädte Kanaans abstammen. Als
diese Gegend um 1200 v. Chr. nach dem
Rückzug der Ägypter aus Palästina einen wirtschaftlichen Niedergang erlebte, wanderte ein Teil der Städter ins
kaum besiedelte Bergland und bildete
mit den dort in Sippen lebenden Nomaden Stämme. Aus denen entwickelten
sich ab dem 10. Jh. v. Chr. dann bäuerlich geprägte Stammeskönigtümer –
„Das Alte Testament wollte niemals ein Kompendium
der Geschichte Palästinas sein.“
SPIEGEL GESCHICHTE
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später die israelitischen Staaten Juda
und Israel.
Also gab es gar keine Flucht aus Ägypten? Keine Wanderung durch die Wüste?
Keine Eroberung Kanaans? Alles historisch nicht belegbar. Genau wie das
Großreich von David und Salomo mit
seinem glanzvollen Zentrum Jerusalem:
Auf dem Gebiet der angeblichen Königsstadt gab es nach den Erkenntnissen von
Archäologen im 10. Jh. höchstens eine
knapp fünfeinhalb Fußballfelder große
Siedlung mit rund tausend Einwohnern.
Ein Dorf als Schaltzentrale eines Großreichs? Die deutsche Bibelwissenschaftlerin Angelika Berlejung hält das für „logistisch ausgeschlossen“.
Doch wieso setzt sich die Bibel über
historische Tatsachen hinweg? Das Alte
Testament, schreibt Berlejung, sei „kein
Kompendium der Geschichte Palästinas,
und wollte es auch niemals sein“. Es handele sich um den „Geschichtskommentar“ eines theologischen Entwurfs, der
Material gezielt ausgewählt habe, „um
die Gründe für den Untergang der Staaten Israel und Juda anzugeben und die
Fundamente für den erwarteten oder erhofften Neubeginn zu legen“.
Die Zeit, in der Israel eine solche Erklärungshilfe am dringendsten brauchte,
war jene rund um das Babylonische Exil
im 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr.
Es war eine stürmische Epoche. 722
v. Chr. hatten die Assyrer Samaria erobert, die Hauptstadt von Israel, des
nördlichen der beiden israelitischen
Staaten, Israel wurde assyrische Provinz. Das Südreich Juda hingegen, vormals im Schatten des prosperierenden
Nachbarn vor sich hin darbend, erlebte
einen rasanten Aufschwung. Innerhalb
weniger Jahrzehnte hatte sich möglicherweise die Bevölkerung Jerusalems
auf 12 000 Menschen vervielfacht. Rings
um die mit einer
gewaltigen
Mauer befestigte Stadt entstanden weitere Städte und Verwaltungszentren,
eine öl- und weinverarbeitende Industrie. Aus einem abgeschiedenen Kleinststaat wurde plötzlich ein aufstrebendes
Königreich mit einer multiethnischen Bevölkerung und reichen Handelsbeziehungen
in entfernte Länder.
Auch die judäische
Götterwelt war äußerst mannigfaltig.
Neben Jahwe wurden zahlreiche andere Gottheiten verehrt,
etwa die Meeresgöttin Aschera. Das
missfiel national gesinnten Priestern
und Propheten. Um
700 v. Chr. verschaffte sich deshalb eine
neue religiöse Bewegung zunehmend Gehör. Sie forderte: Nur
Jahwe allein darf
noch verehrt werden!
Vermutlich war
das die Geburtsstunde einer der wichtigsten Schriften der
Hebräischen Bibel:
des Deuteronomiums. Es berichtet,
wie Mose dem Volk
Israel das göttliche
Gesetz verkündet,
dass das Leben Israels und seine Beziehung zu Gott fortan
regeln soll. Das wichtigste Gebot lautet:
1350 – 250 v. Chr.
Israels
Urgeschichte
nach 961 Mit der Gründung des Ersten
Tempels – später
seit etwa 1350 Frühe Spuren von hebräischer
Besiedelung in Palästina lassen auf Sippen- und
nach 1300 Pharao Ramses II. herrscht in
Ägypten. In seiner Zeit könnte die biblische
1208 Auf einer Stele des Pharaos Merenptah, die einen Sieg über westliche Feinde
Stammesverbände schließen, die dann gegen Angreifer
als Volkseinheit auftreten.
Mose-Geschichte spielen.
feiert, wird erstmals Israel erwähnt – als eines von
etlichen im Osten unterworfenen Gebieten.
1350 v. Chr.
Kulturen
der alten
Welt
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1150
um 1379 Ägyptens Pha-
rao Amenophis IV. nennt sich
„Echnaton“ – seine gewagte
Betonung des Sonnenkults,
die einem Monotheismus nahekommt, bleibt
für Ägypten Episode.
950
nach 1200 Schwere
Angriffe der sogenannten
Seevölker schwächen
das mächtige Reich der
Hetiter in Kleinasien und
bedrohen wiederholt auch
die Pharaonen.
um 1000 Das aufstrebende Reich
der Phönizier im
Gebiet des Libanon und
Syriens wird zur
Handelsmacht mit
Verbindungen und
Kolonien bis ins westliche Mittelmeer.
König Salomo zugeschrieben – ist laut Bibel die
staatlich-religiöse Einigung
Judas auf dem Höhepunkt.
V.L.N.R.: JÜRGEN LIEPE; PHOTOS12 / INTERFOTO; AKG
DIE HEILIGE SCHRIFT DER JUDEN
Kanaanitischer
Wettergott Baal
Bronzefigurine,
ca. 12. Jh. v. Chr.
„Ich bin der Herr, dein Gott … Du sollst
keine anderen Götter haben neben mir.“
Zwar sollte es noch lange dauern, bis die
Israeliten Baal und anderen endgültig
abschworen. Der Monotheismus des
Judentums, dem später auch Christentum und Islam folgen, findet in dieser
frühen Schrift jedoch seinen Ausdruck.
uch die besondere Beziehung zwischen Jahwe
und Israel wird im Deuteronomium klar definiert:
Jahwe ist der Gott Israels,
und Israel ist das Volk Jahwes und als
solches verpflichtet, seine Gesetze einzuhalten. Der Ort dieser Verehrung soll
der Jerusalemer Tempel sein. Das erwies sich aber schon bald als schwierig.
Denn während Juda eine wirtschaftliche
und kulturelle Blüte erlebte, verschob
sich mal wieder das Gefüge der Weltmächte: Skythische Nomadenstämme
hatten das assyrische Reich so geschwächt, dass es sich aus Palästina zurückzog. Kurz gewannen die Ägypter
wieder an Einfluss, doch um 605 v. Chr.
wurden sie von den Babyloniern zurückgedrängt.
Die Truppen aus dem südlichen Mesopotamien eroberten Jerusalem zum ersten
Mal 598/97 v.Chr., deportierten den König
und ersetzten ihn durch einen loyalen Vasallen. Als der frech einen Aufstand anzettelte, machte König Nebukadnezzar II.
587 v.Chr. kurzen Prozess: Das Reich wurde in wenigen Monaten verwüstet. Rund
20 Prozent der Bevölkerung, darunter
die Königsfamilie und der Großteil der
intellektuellen
Elite, wurde
nach Babylonien deportiert;
ren? Doch wie konnte
man Jahwe überhaupt
angemessen verehren
ohne den Jerusalemer
Tempel, den einzig legitimen Ort des Jahwe-Kults?
Vor diesem Hintergrund,
so glauben viele Forscher,
veröffentlichten
noch während
des Exils ehemalige Hofbeamte eine detaillierte Geschichte des
Volkes Israel –
von den letzten Tagen der
Wüstenwanderung bis zur Exilzeit. Dabei wurde eine ganze Reihe älterer Texte verarbeitet
und die Frage
nach dem Warum der Katastrophe
sehr klar beantwortet: Israel
und seine Anführer waren gegenüber Gott wiederholt ungehorsam gewesen. Also hatte Gott das
Exil herbeigeführt – als Strafe für
die Unfähigkeit und den Unwillen
Israels, sein Gesetz einzuhalten.
Ob es sich bei dem sogenannten Deuteronomistischen Geschichtswerk tatsächlich um einen
einheitlichen Text handelt, wird
heute wieder bezweifelt. Auf jeden Fall lieferte die Schrift Israel nicht nur eine theologische
Begründung für das Exil, sondern
löste auch das Problem des zerstörten
V.L.N.R.: ALAMY / MAURITIUS IMAGES; BPK; BILDAGENTUR-ONLINE/LESCOURRET; AKG
A
841 Nach mehreren
Angriffen aus Assyrien, vor allem durch König
Salmanassar III., wird das
Nordreich Israel tributpflichtig, 722 erobert und
danach ein Satellitenstaat.
750
um 800 Die Entste-
hung der homerischen
Epen Ilias und
Odyssee beendet
für die griechische
Zivilisation das
mythische Zeitalter.
eine nationale Katastrophe.
Zwar war das Leben im Exil durchaus erträglich: Die Israeliten wurden
als geschlossene Gruppen in
verschiedenen Städten angesiedelt, durften sich lokal
selbst verwalten und ihre Religion ungehindert ausüben.
Viele von ihnen erwarben
Häuser und Sklaven, gingen
Berufen nach. Rechtlich waren
sie den Einheimischen gleichgestellt. Trotzdem hatten sie aus
ihrer Sicht alles verloren: Ihre
Häuser und die Gräber ihrer Vorfahren, ihre Hauptstadt, ihren
Tempel, die politische Unabhängigkeit ihrer Dynastie. Wie hatte
Jahwe das zulassen können?
Das zweite Problem waren
die vielen Götter Babyloniens:
Sollte man sich assimilieren
und sich unter den Schutz
der fremden Gottheiten stellen?
Oder versuchen, die eigene Religion und Kultur zu bewah-
587/86 Mit der zweiten
Zerstörung Jerusalems durch
den babylonischen König
Nebukadnezzar II. und dem
bis 515 Unter persischer
Herrschaft kehrt die
judäische Elite zurück.
Die Einweihung des
Untergang des
Staates Juda beginnt
Zweiten Tempels
die Exilzeit.
markiert das neue Selbstbewusstsein.
550
753 Auch wenn die
Gründung Roms eine
Sage bleibt – die damals in
Mittelitalien heimischen
Etrusker treten mit Pferd und
Streitwagen selbstbewusst
gegen ihre Nachbarn auf.
458 Die legendenhaft
überlieferte Rückkehr des
Propheten Esra aus Babylon
gilt als Schlüsseldatum für
den Abschluss der Tora, in
der Weltbild und Kultregeln
Israels festgeschrieben sind.
seit etwa 300 Die
heiligen Schriften der Juden
werden ins Griechische übertragen. Dieser Septuaginta-Text bildet später
die Grundlage für das Alte
Testament der Christen.
350
480 Die Abwehr der Perser unter Xerxes führt zur
Blütezeit der griechischen Stadtstaaten wie Athen, Sparta,
Korinth oder auch Syrakus
auf Sizilien.
323 Nach dem Tod
Alexanders des
Großen zerfällt sein
Weltreich. Die hellenistische Kultur lässt eine
religiös-kulturelle Kontaktzone zwischen Asien
und Südeuropa entstehen.
33
DIE HEILIGE SCHRIFT DER JUDEN
Tempels: Die Gläubigen werden aufgefordert, Worte aus dem Gesetz auf die Türpfosten aller Häuser in Israel zu schreiben – ein Brauch, der bislang nur in Heiligtümern praktiziert wurde. Jetzt konnten dadurch auch gewöhnliche Häuser
in heilige Orte verwandelt werden; ein
Tempelersatz war gefunden.
Doch noch fehlte die passende Vorgeschichte Israels. Die lieferten einige
34
Jahre später wohl Angehörige des deportierten Priestermilieus: Aus den Sagen über die Schöpfung der Welt und
die Erzeltern Israels, die unter der judäischen Landbevölkerung schon länger
erzählt worden waren, und einem vermutlich aus dem untergegangenen Nordreich stammenden Bericht über den Auszug aus Ägypten und die Eroberung Kanaans formten sie eine durchgehende
Erzählung und veröffentlichten diese
auf einer Buchrolle.
Mit ihrem Bericht über die Anfänge
Israels wollten die Priester bestimmte
Riten legitimieren, die die Exilanten in
Babylonien eingeführt hatten. Durch die
Beschneidung, das Einhalten des Sabbats und bestimmte Speiseregeln wollte
man sich von den Einheimischen abgrenzen. Die „Priesterschrift“ behauptet,
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NATHAN BENN/OTTOCHROME/CORBIS
Sephardische Tora-Rollen
Portugiesisch-Israelitische
Synagoge Amsterdam
werk kam es dann wahrscheinlich kurz nach dem Exil. 539
v. Chr. hatten die Perser Babylonien erobert, auch Juda war persische Provinz geworden. König
Kyros II. erlaubte den Exilanten
die Rückkehr nach Jerusalem
und ordnete den Wiederaufbau
des Tempels an. Zwischen den
Rückkehrern und den in Palästina zurückgebliebenen Israeliten kam es zum heftigen Streit
darüber, wer den Bau leiten sollte. Die Rückkehrer siegten – und
bestimmten fortan die Ausrichtung des Jahwe-Kults.
Nicht nur die in Babylonien
eingeführten Riten wurden nun
fester Bestandteil der Gemeinschaft um den Zweiten Tempel.
Auch das Eheverbot zwischen
Israeliten und Nichtisraeliten,
der Monotheismus und die Bildlosigkeit des Kults galten als göttliches Gesetz. Der Hohepriester
sorgte für die Einhaltung der
Gebote. Auch die Geschichte
des „Gottesvolkes“ sollte nun in
verbindliche Formen gegossen
werden: So wurde die Priesterschrift mit der Verkündung des
Gesetzes durch Mose verknüpft
und der erste Teil der Hebräischen Bibel geschaffen, die Tora.
Für die Israeliten wurde dieser
Text zum „portativen Vaterland“, schreibt der deutsche Bibelwissenschaftler Thomas Römer: „Denn die Tora konnten
die Nachkommen der exilierten Juden, die im Ausland ... blieben, genauso gut lesen und befolgen wie die im Land lebenden
Juden.“
Die Sorge um die nationale
Zukunft trieb das gebeutelte
Volk dennoch weiter um. Schon
im Exil hatte die Priesterelite
versucht, der Ungewissheit mithilfe von Prophetien aus dem 8.
Jh. v. Chr. Herr zu werden:
Nach der Rückkehr in die Heidie Riten seien bereits in der sagenhaf- mat, so der Tenor dieser nun verschriftten Zeit der Vorfahren entstanden – so lichten Sprüche, erwarte Israel unter
der Herrschaft Jahwes eine glanzvolle
erhielten sie besondere Autorität.
Zur Verbindung von Priesterschrift Zukunft. Zusammen mit dem zweiten
und Deuteronomistischem Geschichts- Teil des Deuteronomistischen Ge-
schichtswerks, den Büchern Josua bis
zum zweiten Buch der Könige, in denen
ebenfalls eine Reihe von Propheten auftreten, bildeten diese Heilsverheißungen, die „Propheten“, später den zweiten großen Teil der Hebräischen Bibel.
Da die Umstände aber nie so recht zu
den Weissagungen passen wollten, korrigierte man die Prophetien mehrmals.
Immer weiter wurden Umsturz und
Jüngstes Gericht hinausgeschoben.
Schließlich verlagerte man das ersehnte
goldene Zeitalter sicherheitshalber ans
Ende aller Tage.
ie Israeliten hatten nun
ein Werk geschaffen, das
ihnen sowohl erlaubte, ihren Frieden mit der Vergangenheit zu schließen,
als auch nach vorn zu blicken. Die Gegenwart hingegen blieb eine Herausforderung. 332 v. Chr. hatte Alexander der
Große Palästina und Ägypten erobert,
aus der persischen Provinz Jehud war
die griechische Provinz Judäa geworden.
Und wieder lief Israel Gefahr, seine Identität einem übermächtigen Gegner preiszugeben. Diesmal waren es die Kultur
und die Götterwelt der Hellenen, die viele Israeliten in ihren Bann zogen.
Der Makkabäeraufstand ab 166 v. Chr.
bekämpfte diese „Überfremdung“ mit
Waffengewalt. Einen friedlicheren Weg,
so die These des Schweizer Bibelwissenschaftlers Albert de Pury, ging hingegen
eine Gruppe pharisäischer Schriftgelehrter: Um mit der gefeierten Nationalliteratur der Griechen mithalten zu können,
habe man kurzerhand einen hebräischen Literaturkanon zusammengestellt.
Vom Liebeslied bis zur Novelle sei von
jeder Gattung ein Meisterwerk aufgenommen worden. Nach der Zerstörung
des Zweiten Tempels im Jahr 70 n. Chr.
und der Entstehung des rabbinischen
Judentums sei daraus dann der dritte
und jüngste Teil der Hebräischen Bibel
entstanden: Die „Schriften“.
Es ist eine Entstehungstheorie von
vielen, doch liest man dieses Werk – wie
es inzwischen die meisten Forscher
tun – als meisterhaft komponiertes Dokument israelitischer Selbstvergewisserung, dann erscheint ein nationaler Dichtungskanon als krönender Abschluss ungemein logisch.
■
D
Das Eheverbot zwischen Israeliten und Nicht-Israeliten und
der Monotheismus galten als göttliches Gesetz.
SPIEGEL GESCHICHTE
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