PD Dr. Haci-Halil Uslucan Helmut-Schmidt-Universität Hamburg Vertretungsprofessor Pädagogische Psychologie Erziehung interkulturell Erziehungsstile und –werte in muslimischen Familien Vortrag in Stuttgart am 21.07.2009 Kontakt: [email protected] www.uslucan.de Einführung 1 Vortragsprogramm: •I. Unsere Wahrnehmung des Fremden •II. Werte und Erziehungsstile im interkulturellen und interreligiösen Kontext •III. Risiken und Fördermöglichkeiten von Migrantenkindern und -eltern Kontakt: [email protected] www.uslucan.de Einführung 2 Unsere Wahrnehmung des Fremden/der Fremden Bitte lesen Sie den folgenden Text zeilenweise von links nach rechts. Lesen Sie so schnell wie möglich und ohne Notizen zu machen. Gmeäss eienr Stduie von eienr elgnihscen Unveirtsiät mahct es nihcts aus, in weclher Rihenefgole die Bhcusbaten in eniem Wrot agnoerdent snid, das enizig wigitche ist, dass der estre und lztete Bhcusbate am rchitiegn Paltz snid. Der Rset knan ein vllöiegs Druhecniadenr sein, man knan es imemr ncoh perlolmobs leesn. Deis pasesirt, weil wir nchit jeedn Bchutsaben ezinlenn, sndoren das gnzae Wort lseen. Nciht sheclhct, oedr? 3 Unsere Wahrnehmung des Fremden/der Fremden Öffentlicher Diskurs über Migration und Männlichkeit Assoziation mit Ehrenmorde, religiösem Fanatismus und Jugendgewalt; Verfestigung dieser „besonderen Geschlechterbeziehungen“ in Migrantencommunities durch mediale „Alltagsbilder“ und „soap operas“: „Macho-Murat“ mit einer ungebändigten Sexualität, Frauenverachtung und Aggression Andere Dimensionen der Lebenslagen Migrantenjugendlichen kaum thematisiert. von 4 Unsere Wahrnehmung des Fremden/der Fremden Öffentlicher Diskurs über Migration und Männlichkeit Assoziation mit Ehrenmorde, religiösem Fanatismus und Jugendgewalt; Verfestigung dieser „besonderen Geschlechterbeziehungen“ in Migrantencommunities durch mediale „Alltagsbilder“ und „soap operas“: „Macho-Murat“ mit einer ungebändigten Sexualität, Frauenverachtung und Aggression Andere Dimensionen der Lebenslagen Migrantenjugendlichen kaum thematisiert. von 5 Theoretischer Hintergrund 1 Erziehungsziele und Werte der Eltern Erziehungsstile 5 4 2 Bereitschaft des Kindes, sich erziehen zu lassen 6 kindliche Auswirkungen elterlicher Erziehung Erziehungspraktiken 3 6 Veränderte Rahmenbedingungen familiärer Erziehung • Struktureller Wandel der Haushaltsformen • Veränderte Wert- und Erziehungsmuster • Prekäre Bedingungen der innerfamiliären Beziehungsgestaltung 7 Veränderte Wert- und Erziehungsmuster 1950er -1970er Jahre ab den 1980er Jahren • • • • • • • • • • • • • Gehorsam Ehrlichkeit Ordnung Hilfsbereitschaft Verträglichkeit gute Manieren Fehlen von Opposition Selbständigkeit Selbstbewusstsein Selbstverantwortlichkeit Kritikfähigkeit Zuverlässigkeit Hilfsbereitschaft Elterliche Erziehungsmuster Anforderung/Kontrolle Emotionale Unterstützung/Wärme + + _ Autoritativer Erziehungsstil Nachgiebiger Erziehungsstil „Laisser-faire“ _ Autoritärer Erziehungsstil Ablehnendvernachlässigender Erziehungsstil (Typologie vom Maccoby & Martin, 1983; in Anlehnung an Baumrind, 1983) Entwicklungsfolgen für Kinder Kinder ... zeigen Kognitive Kompetenz Selbstwirk- Prosoziales Problemsamkeit verhalten verhalten vernachlässigender Eltern niedrigste niedrigste niedrigstes nachgiebiger Eltern mittlere mittlere mittleres autoritärer Eltern mittlere mittlere mittleres zweithöchste autoritativer Eltern höchste höchste höchstes höchstes dritthöchste niedrigstes Quelle: Baumrind, D. (1989). Rearing competent children. In W. Damon (Ed.), Child development today and tommorrow (pp. 349-378). San Francisco: Jossey-Bass. Konvergenz der Forschungsbefunde Erziehungskompetente Eltern haben kompetente Kinder Aber: autoritativer Erziehungsstil nicht kulturübergreifend wirksam 11 Erziehung im interkulturellen Kontext Rangreihe der Erziehungsziele türkischer Eltern (Scherberger, 1999) Rangplatz Erziehungsziel I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwortung 12 5 7 14 12 Lernen/Leistungsstreben 9 8 14 11 8 Gehorsam/Ordnung 8 11 17 3 11 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 11 10 11 12 6 Religiöse Pflichterfüllung 10 16 1 10 13 Insgesamt (n = 50) 50 50 50 50 50 Erziehung im interkulturellen Kontext Rangreihe der Erziehungsziele deutscher Eltern (Scherberger, 1999) Erziehungsziel Rangplatz I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwortung 25 14 4 6 1 Lernen/Leistungsstreben 16 21 8 3 2 Gehorsam/Ordnung - 7 10 25 8 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 9 8 21 7 5 Erziehung zum christlichen Glauben - - 7 9 34 50 50 50 50 50 Insgesamt (n = 50) Kulturelle Dimensionen Individualismus Kollektivismus Eigenständigkeit Gruppenzugehörigkeit Identität eher selbstbestimmt Selbst stets Teil einer Gruppe Mitgliedschaften kurz und wenige, aber verbindliche zweckgebunden geringe Machthierarchien zentrale Werte: Freiheit, Anerkennung, Gerechtigkeit Gruppenmitgliedschaften große Machtdistanzen zentrale Werte: Harmonie, Verpflichtung gegenüber Eltern, Sittsamkeit, Zurückhaltung 14 Häufige entwicklungspsychologische Risiken in Migrantenfamilien aus der Sicht des Kindes im jungen Alter: •mehr als drei Geschwister (dadurch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung dem einzelnen Kind gegenüber) •zu geringer Altersabstand in der Geschwisterreihe (Gefahr der Übersozialisierung und Vernachlässigung typisch kindlicher Bedürfnisse) • bei mehr als drei Geschwistern auch ein deutlich geringeres Netz an Peer-Kontakten. 15 •24% der deutschen 8-9 jährigen Altersabstände unter zwei Jahren zu benachbarten Geschwister; •bei Migrantenkindern (Marbach, 2006). insgesamt etwa Kinder einem 80% 16 Betreuungs- und Bildungskontexte von Vorschulkindern mit Migrationshintergrund •Interaktionen mit anderen: Generierung von Sozialkapital außerhalb der Familie; Gleichaltrige außerhalb der eigenen Familie in der Regel für mehr Heterogenität der sozialen Umwelten sorgen und dadurch Entwicklungen stimulieren. • Kinder mit geringen Deutschkompetenzen suchen eher Peers aus dem eigenen muttersprachlichen Umfeld, was ein Hemmnis beim Erwerb weiterer Deutschkenntnisse bedeutet. 17 Andere Wahrnehmungen… Theoretischer Hintergrund Intensivere Akkulturation der Kinder Wahrgenommene Herkunftskultur Entfernung von den Werten der Spannungen im erzieherischen Kontext. Verstärkte Disziplinierung der Kinder und der Erinnerung an eigenkulturelle Verhaltensweisen. Stichprobenkennzeichnung: Bildungshintergrund der Eltern 60 Deutsche Mütter Deutsche Väter Angaben in Prozente 50 Türk. Mütter Türk. Väter 40 30 20 10 A bi tu r M itt l. R ei fe H au pt sc hu le G ru nd sc hu le ke in A bs ch lu ß 0 20 Ergebnisse Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich: Elternsicht Variablen Türken Deutsche (N = 129) (N = 226) M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) 1.74 .61 1.58 .44 .00 .30 Unterstützung (M) 4.17 .67 4.25 .44 .19 -.14 Verhaltensdisziplin (M) 3.71 .77 2.68 .62 .00 1.48 Inkonsistenz (M) 2.04 .62 1.75 .49 .00 .52 Aggressive Strenge (V) 1.75 .63 1.57 .50 .01 .32 Unterstützung (V) 3.90 .66 4.01 .53 .13 -.17 Verhaltensdisziplin (V) 3.59 .75 2.69 .64 .00 1.51 Inkonsistenz (V) 2.06 .63 1.83 .58 .00 .38 21 Ergebnisse Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich: Jugendlichensicht Variablen Türken Deutsche (N = 207) (N = 298) M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) 1.76 .62 1.63 .61 .02 .21 Unterstützung (M) 3.77 .80 3.68 .79 .23 .11 Verhaltensdisziplin (M) 3.52 .76 2.72 .73 .00 1.07 Inkonsistenz (M) 1.89 .64 1.80 .62 .12 .14 Aggressive Strenge (V) 1.69 .60 1.59 .66 .10 .16 Unterstützung (V) 3.47 .84 3.39 .93 .32 .09 Verhaltensdisziplin (V) 3.39 .87 2.52 .82 .00 1.58 Inkonsistenz (V) 1.82 .63 1.66 .65 .01 .25 22 Elterliche Erziehungsstile in Abhängigkeit des Bildungshintergrundes (Hauptschule als höchster Bildungsabschluß) Mittelwerte und Standardabweichungen Türkische Eltern Deutsche Eltern Variablen N M SD N M SD F p Aggressive Strenge (M) 33 1.67 .54 46 1.86 .54 2.44 .12 Unterstützung (M) 35 4.22 .70 47 4.11 .47 .82 .36 Verhaltensdisziplin (M) 36 3.51 .83 46 3.00 .52 11.74 .00 Inkonsistenz (M) 32 1.94 .48 44 2.03 .55 .60 .43 Aggressive Strenge (V) 32 1.77 .73 36 1.80 .69 .32 .86 Unterstützung (V) 30 3.97 .63 38 3.95 .60 .00 .92 Verhaltensdisziplin (V) 36 3.83 .68 38 3.09 .66 22.0 .00 Inkonsistenz (V) 34 2.11 .61 37 2.08 .74 .02 .88 23 Sackmann (2001): Türkische Muslime in Deutschland – Zur Bedeutung der Religion 1/3der befragten Muslime: Keine Religionsbindung; Religion kein Integrationshindernis. Für einen großen Teil: Religion selbstverständlicher Teil des Lebens, ohne aber Hauptbezugspunkt des Lebens zu sein Für etwa knapp 10%: Religion ein starkes Abgrenzungskriterium; eher integrationshemmend Integrationshemmend insbesondere dann, wenn Religiosität eher traditionale (keine individualisierende) Züge trägt und religiös orientierte Lebensführung zentral ist. 24 Werteauffassungen: Differenziert nach der selbstberichteten Religiosität (Mittelwerte): Non-Relig: nicht religiös; Relig: religiös Kulturelle Zugehörigkeit Stichprobengröße: Deutsche Türkische Migranten Türken Non-Relig. Relig. Non-Relig. Relig. Non-Relig. Relig. n= 141 n= 88 n= 33 n= 168 n= 26 N= 295 Mittelwerte Werteauffassungen Familiäre Sicherheit 6.25 6.42 5.88 6.49 4.77 6.39 Freundschaft 5.88 5.83 5.58 6.05 5.62 6.21 Freiheit 5.83 5.72 6.18 5.90 5.54 5.93 Anregendes Leben 5.36 5.14 3.82 3.34 4.50 4.15 Höflichkeit 4.83 4.74 4.94 5.55 4.23 5.28 Nationale Sicherheit 4.35 4.09 3.00 5.68 3.28 5.87 Reichtum 3.03 2.93 2.91 3.58 3.69 4.05 Achtung vor Tradition 2.56 3.11 3.24 5.74 1.73 4.76 Autorität 1.72 1.75 0.76 1.81 1.77 2.31 Spiritualität 0.93 2.00 1.88 4.65 1.04 4.79 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: religiöse Sozialisation in den islamischen Ländern: vom Kontext unterstützt und zum Teil unreflektiert als eine Alltagsgewissheit übernommen Koedukation durch das soziale Umfeld In der Migrationssituation fehlt der bestätigende und unterstützende Kontext: gezielte islamische Erziehung erforderlich Schiffauer (1991): „Islamisierung des Selbst“, Reflexivierung des Islam 26 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Bildungshintergrund der Eltern oft nicht ausreichend: religiöse Erziehung von Koranschulen übernommen Weitere Funktion von Koranschulen: kostengünstiges Betreuungsangebot; Neben dem Wunsch nach religiöser Erziehung ist das Motiv der Eltern, ihre Kinder und Jugendliche durch einen Besuch der Koranschule von „schädlichen Einflüssen der Straße“ fern zu halten (Vgl. Alacacioglu, 1998). Untersuchung von Tosun (1993) in NRW: nur 27,3 % der Befragten türkischen Eltern sah sich in der Lage, ihr Kind auch selber islamisch zu unterweisen; rund 70 % sprach für sich selbst diese Qualifikation ab. 27 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Erziehung in Moscheen Pädagogisch bedenklich: autoritärer Unterrichtsstil und die Fixierung auf Disziplin in diesen Einrichtungen (Vgl. Aslan, 1996), keine „Pädagogik vom Kinde“ aus; Personal verfügt kaum über pädagogische und didaktische Fähigkeiten (Vgl. Marschke, 2003). 28 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Sure 31: 13-39: Dankbar zu sein gegenüber Gott und den Eltern sind zentrale pädagogische Botschaften. „Sei mir und Deinen Eltern dankbar! Bei mir wird es schließlich (alles) enden“ (Sure 31, 14). Gehorsam im islamischen Erziehungsverständnis durchgehend positiv besetzt: Kinder haben Eltern Gehorsam zu leisten, Eltern ihren eigenen Eltern, der Mensch gegenüber Gott, die Schöpfung gegenüber seinem Schöpfer. 29 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Mensch eingefasst in eine umfassende Gehorsamsstruktur der Natur gegenüber Gott; wie alle Geschöpfe hat er auch im islamischen Selbstverständnis seinem Schöpfer dankbar und gehorsam zu sein. Gehorsam eine ethische Dimension, die vielen Kulturkreisen gemeinsam ist und ein essenzielles Erziehungsziel darstellt (Vgl. Uslucan & Fuhrer, 2003). Auch in der bayerischen Verfassung ist die „Ehrfurcht vor Gott“ als ein oberstes Bildungsziel formuliert (Art. 131). 30 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen: einfache Frömmigkeit: Ziel: Nachkommen in die elementaren Inhalte islamischen Lebens unterweisen (z.B. die fünf Säulen des Islam) und Rituale wie Gebetsuren, Waschungen lehren, aber auch die Unterscheidungen zwischen dem, was „rein“ und „unrein“ ist, zu kennen. 31 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Das andere Extrem: fundamentalistische Positionen, die in den koranischen Inhalten sämtliches Wissen vorgeformt und kryptisch vorformuliert betrachten und sich ganz offen gegen eine (natur-)wissenschaftliche kognitive Bildung stellen. 32 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Orientierung ausschließlich an der koranischen Offenbarung: in erster Linie an der Tradition fixiert; keine Anweisung für die Lösung moderner Alltagsprobleme, überlässt den Einzelnen hilflos der Gegenwart, die er dann nicht bewältigen kann. rigide Fixierung auf klare erzieherische Leitsätze, die aus dem Koran abgeleitet werden: Ausdruck massiver Verunsicherung muslimischer Eltern; Ziel: Klarheit und Orientierung, jedoch vielfach nicht zeitgemäß (bspw. Orientierung an Gehorsam). 33 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Frage nach der Wirkung religiöser Sozialisation: Angstbesetzte religiöse Sozialisation (Gott als strafende Instanz): bei sensiblen Personen auch zu einem Bruch mit der Religion (Oser, Di Loreto, & Reich, 1996), also keine Festigung der religiösen Identität, sondern eher kontraproduktive Effekte Recht einheitlich: Belege gegen ein autoritär-strenges Erzieherverhalten: überwiegend an Strafe orientiertes Erzieherverhalten führt nicht zur Bildung von disziplinierten Persönlichkeiten, sondern kann Kinder und Jugendliche zur Disziplinlosigkeit, Widerstand, Aggression sowie zu passiver Unterwerfung führen (Vgl. Hurrelmann, 1994). Angst und Lernen: negativ korreliert; ca. r = -.30 34 Religiöse Werterziehung in islamischen Familien: Wirkung religiöser Sozialisation: Dagegen: Vermittlung eines Gottesbildes, bei dem Gott als eine schützende, bergende und bedingungslos liebende Macht wahrgenommen wird, selbstwertstabilisierend für Kinder (Grom, 1982). 35 Implikationen für die kindliche Entwicklung Gehorsam, elterliche Kontrolle und (Selbst)disziplinierung im islamischen Sinne zentrale Elemente in der islamischen Werteerziehung Erziehung eigener Kinder bei muslimischen Eltern vielfach angelehnt an ein Muster der eigenen Sozialisation. Starke Inkonsistenzen im kindlichen Leben: Besonders Schulkinder müssen enorme Syntheseleistungen vollbringen und eine äußerst flexible Persönlichkeit ausbilden, wenn sie in ihrem Alltag beständig mit Ideen, Regelsystemen und Weltdeutungen konfrontiert sind, die konträr zueinander sind, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben. 36 Wo ist das Gesicht in den Bohnen? •Ressourcen und Förderung 37 Resilienz • Wie kommt es, dass trotz elterlicher Risiken wie Arbeitslosigkeit, Armut, Psychotischer Erkrankung und Scheidungserfahrung der Eltern die Kinder relativ erfolgreich ihr Leben meistern? • Wie kommt es, dass trotz eigener Risiken wie Geburtskomplikationen, körperliche Behinderung etc. sie dennoch einen hohen Grad an Widerstandskraft, Robustheit („Hardiness“) zeigen? • Resilienz umschreibt also die Fähigkeit, relativ unbeschadet mit den Folgen belastender Lebensumstände umzugehen und Bewältigungskompetenzen zu entwickeln. 38 Risikomildernde Faktoren im Kindesalter – – – – – – – – – Kindbezogene Faktoren Weibliches Geschlecht Erstgeborenes Kind Positives Temperament (flexibel, aktiv, offen) Überdurchschnittliche Intelligenz Physische Attraktivität Positives Sozialverhalten Positives Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitsüberzeugung Aktives Bewältigungsverhalten – Umgebungsfaktoren – Stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson – Offenes, unterstützendes Erziehungsklima – Familiärer Zusammenhalt und soziale Unterstützung – Positive Freundschaftsbeziehungen – Positive Schulerfahrungen 39 Resilienz- und Fördermöglichkeiten: Anleitung für Erzieher/Lehrer (Vgl. Kormann, S. 52): Gibt es im Umfeld des Kindes positive Beziehungen? Kann ich evtl. eine positive Beziehung zu dieses Kind bieten? Wenn nicht: Kann ich dafür sorgen, dass jemand anderes zu diesem Kind eine positive Beziehung aufbaut? Gibt es Eigenschaften an diesem Kind, die ich positiv/angenehm finde? Was kann dieses Kind besonders gut? Kontakt: [email protected] www.uslucan.de 40 Resilienz- und Fördermöglichkeiten: Anleitung für Erzieher/Lehrer (Vgl. Kormann, S. 52): Wie fühle ich mich in der Situation mit diesem Kind? Vermeide ich die Einfühlung, weil die Umstände dieses Kindes so schwierig sind, meine emotionale Befindlichkeit unangenehm berühren? Was weiß ich von diesem Kind? Wie viele Geschwister hat es? Welche Hobbies hat es? Was machen dessen Eltern? Wo kommen sie genau her? Kontakt: [email protected] www.uslucan.de 41 Resilienz- und Fördermöglichkeiten: Anleitung für Erzieher/Lehrer (Vgl. Kormann, S. 52): Verhalte ich mich selbst in meinem Leben resilienzförderlich? Hole ich mir Hilfe, wenn ich nicht weiter weiß? Sorge ich für Entlastung in meinem Leben? Sorge ich dafür, dass ich selbst, bzw. dass meine Institution handlungsfähig und kompetent bleibt? Kontakt: [email protected] www.uslucan.de 42 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Und nun Schluss, sonst... Kontakt: [email protected] www.uslucan.de 43 Psychologische Beratung Niederschwelligkeit der Einrichtungen: • Einfaches und bürgerfreundliches Anmeldeverfahren • Gebührenfreiheit • Auch fremdsprachliche Informationen (für Migranten) • Schriftlichkeit und kognitive Komplexität als Hindernis erkennen 44 Was motiviert Menschen? • Maslows Bedürfnispyramide: Ohne Befriedigung elementarer Bedürfnisse keine kulturellen Bedürfnisse (Selbstverwirklichung) möglich • Migranten: „Was von den kulturellen Angeboten kann ich auch für mich nutzen?“ • Wie viel von den präsentierten Kulturangeboten sprechen auch meine „Herkunftskultur“ an? • Sind Räume so gestaltet, dass dort Migranten sich wohlfühlen, das Eigene wieder erkennen? • Wie sehr sind Vertreter von Migrantencommunities bei der Konzeption der Inhalte beteiligt? 45 Stolpersteine und Ressourcen • Einerseits: Forderung nach Mitarbeitern mit gleichem ethnischem Hintergrund • Andererseits: Problem der sozialen Differenz innerhalb etwa der türkischen Community nicht zu übersehen: • Türkische Mittelschichtsangehörige, die auch in Deutschland Bildungsgewinner sind und heute viele sozialpädagogische und psychologische Beratungsfunktionen inne haben, eine hohe Distanz gegenüber Landsleuten aus ländlichen Regionen auf und sind eher kritisch gegenüber der traditionalistischmuslimischen Landsleuten • Deshalb: interkulturelle Öffnung des Personals kann manchmal auch ungeahnte neue Probleme bereiten. 46 Stolpersteine und Ressourcen Für die interkulturelle Beratung: nicht methodisches Know-how, sondern auch: nur • Selbstreflexion, • Empathie und Ambiguitätstoleranz: Generelle soziale Kompetenzen, jenseits von Migration und Integration. • Wie weit wird die ungleiche Machtverteilung bzw. die Machtposition der Mehrheit gegenüber Migranten reflektiert? 47 Stolpersteine und Ressourcen Als typische Stolpersteine, die auch in anderer Form der Sozialarbeit auftauchen: • direkt mit dem Problem zu beginnen bzw. konfrontativ zu arbeiten, • Schuldzuweisungen, • eine Verurteilung des Verhaltens des Kindes oder Vorurteile ins Spiel zu bringen. 48 Stolpersteine und Ressourcen • Ist in der Darstellung des Leidens/des Problems möglicherweise nicht so sehr der kulturelle Hintergrund, sondern vielmehr Armut und Deprivation, Erfahrung von Rechtlosigkeit und Ohnmacht, die treibende Kraft? • Neige ich selbst zur Romantisierung des „Exotischen“, des „Fremden“? 49 Sensibilisierung für eventuelle Missverständnisse • Wie sehr sieht sich mein gegenüber mit der Familie/seiner sozialen Gruppe verbunden? • Wie sehen ihre Vorstellungen von einer gesunden Entwicklung aus? • Zielt die Erziehung auf Erfüllung sozialer Rollen oder Beherrschung intellektueller Fähigkeiten ab? • Wie wichtig sind ihr die Wahrung von Harmonie und Loyalität gegenüber Familienmitgliedern? 50 Umgang mit Interkulturalität im therapeutischem Kontext (Vgl. Zaumseil, 2008): • Eroberer: Therapeut überträgt umstandslos seine Deutung der Dinge auf Klienten aus anderen kulturellen Kontexten. • Relativisten: Therapeut geht davon aus, dass seine Sicht der Dinge mit der Innensicht des Klienten unvereinbar ist und resigniert. • Universalisten: Therapeut sucht nach einer Schnittmenge beider kultureller Systeme. • Synergisten: Therapeut sieht die Begegnung mit Patienten aus anderen Kulturen als eine Möglichkeit, dialogisch eine „Interkultur“ zu konstruieren, die von beiden Seiten Veränderungen und Anpassungen abverlangt (Vgl. Zaumseil, 2008). 51 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Und nun Schluss, sonst... Kontakt: [email protected] www.uslucan.de 52