Sprachentwicklungsstörungen BEATE LINGNAU UNIVERSITÄT BIELEFELD 10.11.2006 Übersicht ● Prävalenz ● Langzeitperspektive ● Definition ● Ursachen ● Kommunikative Aspekte SPRACHENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN PRÄVALENZ Late Talkers / Late bloomers Late talkers ● Grimm (2003): 14% - 19% der 2jährigen erreichen nicht den Schwellenwert von 50 Wörtern im aktiven Wortschatz Late bloomers ● Bei 6% - 8% bleibt die Sprachstörung bestehen, die restlichen Kinder „holen auf“ ! Penner (2005): nur unechte Aufholer SES bleibt bestehen ! Prävalenz ● Zwischen 2% und 14% aufgrund unterschiedlicher Vorgehensweisen (Suchodoletz, 2003) Beispiele für Studien: ● ● ● Penner (konservativ geschätzt): 15% eines Jahrgangs SES + 15-30% Kinder mit sprachlichen Defiziten aus Zuwanderungsfamilien (http://www.kon-lab.com/ueberuns.php 07.11.06) 10% der 8jährigen (ausgenommen Kinder mit geistiger Behinderung u. Kinder aus Sprachheilschulen): Sprechstörungen / 6% Sprachentwicklungsverzögerung (=Verbinden sinnv. / sinnl. Laute, Gedächtnis für Wortfolgen, Rechtschreibleistung) (Esser, Lehmkuhl, Schmidt, 1983) Grimm (2003): Studie zur Erfassung von sprachentwicklungsgestörten Kindern in Bielefeld (n=1.395) http://www.uni-bielefeld.de/psychologie/ae/AE03/publikationen/pressemitteilung163-2003.html (07.11.06) SPRACHENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN LANGZEITPERSPEKTIVE SPRACHENWICKLUNGSGESTÖRTER KINDER Langzeitentwicklung ● ● Grimm (2003): – Eine Sprachentwicklungsstörung wächst sich nicht aus – 50% der Kinder bilden psychiatrische Probleme aus Grimm (1986): – Leseprobleme im Schulalter – ● WHO 2007: – Leserechtschreibprobleme – Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen, emotionale Problem und Verhaltensauffälligkeiten – ● Webster et al. (2004): – Kinder, die mit 3 Jahren eine SES aufweisen zeigen zu einem großen Anteil kognitive Defizite im Schulalter (ca. 7 Jahre) Coexistence of Language and cognitive function: Langzeitstudie von Webster et al. (2004) Language assessment Schoolage: Cognitive funciton (BDI) PRESCHOOL – DLI n=42 < 10% >10% IMPAIRED n=35 NOT IMPAIRED n=7 < 85 > < 85 > LANGUAGE IMPAIRED COGNITIVE DIFFICULTIES SLI NORMAL LANGUAGE/ COGNITIVE DIFFICULTIES 57% 26% 7% NORMAL 10% (Webster et al. ,2004, 2330) SPACHENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN DEFINITION Sprachentwicklungsstörungen ● Allgemeine Sprachentwicklungsstörung ● Spezifische Sprachentwicklungsstörungen Unterschiedliche Ursachen / Symptome unterscheiden sich nicht Sprachentwicklung ist bei beiden Formen um wenigstens 6 Mon verzögert Sekundäre Störungen der Sprachentwicklung ● Bei Kindern mit: ● Sensorischen Behinderungen – ● Neurologischen Schädigungen – ● Aphasie Mentaler Retardierung – ● Sehstörungen / Hörstörungen Down Syndrom / Williams Beuren Syndrom Pervasiver Störung – Autismus (Grimm, 2003) Umschriebene bzw. spezifische Sprachentwicklungsstörung (ICD-10) Ausschlussdiagnostik: Keine – Sensorische Behinderung – Neurologischen Schädigungen – Intelligenzminderung – Pervasive Störung – Ungünstige Umweltbedingungen (Vgl. ICD10) WHO ICD10 Kap. 5 Psychische und Verhaltensstörungen F00-99 ....... F80-89 Entwicklungsstörungen ....... Entwicklungsstörungen ....... .......F80.- Umschriebene des Sprechens und der Sprache F80.0 Artikulationsstörung F80.1 Expressive Sprachstörung F80.2 Rezeptive Sprachstörung F.80.3 Erworbene Aphasie additiv http://www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2007/fr-icd.htm (07.11.2006) SPRACHENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN SYMPTOME / ERSCHEINUNGSBILD Symptome der sSES Wendtland (2006) Sprachliche Auffälligkeiten: ● ● ● ● ● Dyslalie Eingeschränktes Sprachverständnis Dysgrammatismus Eingeschränkter Wortschatz Eingeschränkte kommunikative und dialogischen Fähigkeiten Charakteristische Merkmale einer sSES (Grimm, 2003) ● ● ● ● ● Später Sprachbeginn Langsamer Spracherwerb mit möglicher Plateaubildung Sprachverständnis besser als Sprachproduktion Dysgrammatimus (Formale sprachliche Merkmale schwerer gestört als Semantik/Pragmatik) Nonverbale Testintelligenz im Normbereich Später Sprachbeginn ● ● ● ● Erste Wörter nicht mit ca. 12 Mon. Sondern viel später Bsp. Sam (Grimm 2003): Erste Wörter mit 2;9, erste Zweiwortäußerungen ab 3 Jahren Aktiver Wortschatz mit zwei Jahren deutlich unter 50 Wörtern Langsamer Spracherwerb Plateaubildung ● Leistungsabstand zwischen sSES-Kindern und normal entwickelten Kinder vergrößert sich (Bishop & Edmunson, 1987) Sprachverständnis ist besser als Sprachproduktion ● ● Grimm (2003): Gleich bleibender Unterschied zwischen den Untertests Sprachverständnis und Satzimitation im von ca. 10 Punkten im t-Wert (HSET) Schlechte Prognose: Kinder, die in beiden Untertests mehr als eine Standardabweichung unter dem Durchschnitt bleiben Lexikalische Störungen Ausprägungen ● Lexikoninventar ● Störungen im semantischen Lexikon ● Wortformlexikon ● Lexikalische Zugriffsstörung Lexikalische Störungen Symptome in der Spontansprache ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Begrenzter Wortschatz Falsche Antwort, wenn nach einem Wort gefragt wird Unvollständige Phrasen, Selbstkorrekturen Paraphasien – Phonologisch – Semantisch Neologismen Umschreibungen Vage Wörter (Pronomina, Ding, Sache, Zeug, tun..) Füllelemente (hm, ja, äh, usw.) Initiatoren (und, dann, usw.) Echolalien Lexikonerwerb bei sSES sprachentwicklungsgestörte Kinder mit lexikalischen Auffälligkeiten in der Spontansprache zeigen schlechte Leistungen im Wortschatztest ABER ● ● ● Rothweiler (2001): Nicht alle sSES-Kinder mit lexikalischen Auffälligkeiten erzielen schlechte Ergebnisse im Wortschatztest Nicht alle als sprachlich unauffällig eingestuften Kinder erzielen gute Ergebnisse im Wortschatztest Rothweiler (2001) Dysgrammatismus Morphologie Beispiele Fehlende Subjekt-Verb Kongruenz: ● Bsp.: (Wendlant, 2006) Ich gehen statt Ich gehe Probleme mit dem grammatischen Geschlecht ● Der Pferd geht da rein Falsche Pluralbildung ● Die Pferdens... Dysgrammatismus Syntax Eingeschränkte Satzlänge ● „Peter Ball.“ statt „Peter holt den Ball.“ Eingeschränkte Satzkomplexität ● „Katze bei Sofa liegt.“ statt „Die Katze liegt auf dem Sofa.“ Fehlen von Satzgliedern ● „Mama Buch schenkt.“ statt „Mama schenkt dem Kind ein Buch.“ Falsche Wortstellung ● „Ich Tomate hole.“ statt „Ich hole eine Tomate.“ Untertest IS (HSET) (Grimm & Schöler, 1991) Satzimitation eines sprachentwicklungsgestörten Mädchens (5;8 Jahre ) Vorgabe ● ● ● ● Bevor du spielst, musst du den Tisch abräumen Reproduktion ● Es sitzt der kleine Vogel im Gebüsch. ● Die Tante, die weit weg wohnt, kommt zu Besuch. ● Die Sonne scheint, nachdem es immer geregnet hatte. ● He du spiel hen Tisch abräumen muss. Und der kleine Vogel in Gebüsch sitzt Den Tante Besuch kommt Die Sonne scheint nach immer regne Grimm, 2003, 134 Störungen der Kommunikation ● ● ● ● ● Keine Aufnahme von Blickkontakt Turn-Taking nicht angemessen Wenig Initiative: Aufrechterhalten des Dialogs misslingt Wenig Fähigkeit zum Perspektivenwechsel: relevante Informationen werden dem Gesprächspartner nicht mitgeteilt Eingeschränkte Verfügbarkeit verschiedener Sprechakte SPRACHENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN MÖGLICHE URSACHEN Informationsverarbeitung ● ● ● Schöler, Fromm & Kany (1998): sSES-Kinder haben Probleme mit der Verarbeitung akustischer Reize ursächlich für sSES Hoffman & Gillam (2004): reduzierte kognitive Kapazität, beeinträchtigte zentral exekutive Funktionen Miller al. (2001): sSES-Kinder haben generell längere Reaktionszeiten als sprachlich normal entwickelte Kinder Bootstrapping Pluralbildung Ein- und Zweisilber: a. Echte Trochäen „Bagger“, „Kuchen“ oder „Igel“ bleiben im Plural unverändert. b. Weist das Wort kein trochäisches Muster auf („Hund“ oder „Zweig“) wird im Plural durch /–e/ zu einemTrochäus Dreisilber: a. Dreisilbiges Wort mit einem Trochäus am Wortende („Computer“) bleibt im Plural unverändert. b. Endbetonte Dreisilber („Krokodil“) bilden am Wortende einen Trochäus.( „Krokodil-e). Penner (http://www.kon-lab.com/usr/doc/grundlagen.pdf) Zvi Penner ● ● ● Verlangsamte Hörbahnreifung Zeitweilige Einschränkung des Hörvermögens SSES-Kinder sind ineffiziente „Bootstrapper“ SPRACHENTWICKLUNGSSTÖRUNGEN KOMMUNIKATIVE ASPEKTE Pragmatische Fähigkeiten Referenzbildung ● ● ● Shelleter & Leionen (2003): SLI-Kinder zeigen keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Referenzbildung zu eine MLU-gmatchten Gruppe von Kindern Johnston & Schmidt (1997): SLI-Kinder: gute Fähigkeit zur Referenzbildung ABER kognitiv wenig aufwändig Strategien Schlussfolgerungen: Dissoziation zwischen grammatischen und pragmatischen Fähigkeiten ist möglich Sozial-kommunikative Aspekte SLI-Kinder ● Haben Probleme, soziale Interaktion zu initiieren ● Verbringen weniger Zeit im Spiel mit anderen Kindern ● Haben Schwierigkeiten, sich in laufende Interaktionen einzubringen ● Nutzen eher nonverbale als verbale Strategien ● Haben Schwierigkeiten, Konflikte zu lösen (Marton et al. 2005 für einen Überblick) Symptome des Pragmatic Language Impairments (PLI) Adams und Bishop (1989) ● Flüssige Sprache mit unauffälliger Artikulation ● Logorrhöe ● Probleme beim Verstehen verbaler Nachrichten ● Besondere Probleme zeigen sich beim Verständnis von Fragen ● Tendenz, Aussagen wörtlich zu verstehen ● Eher elliptische- bzw. Einwortanworten als vollständige Sätze Bishop (2000) ● Eher verbale als nonvbale Antworten ● Pragmatisch unpassende Anworten, die nicht auf schlechtes Sprachverständnis zurückzuführen sind PLI Einordnung language SLI social PLI autistic disorder Asperger´s syndrome stereotyped Adams und Bishop (1989) END Literatur (1) Adams, C., & Bishop, D. V. M. (1989). Conversational characteristics of children with semanticpragmatic disorder. 1. exchange structure, turn taking, repairs and cohesion. British Journal of Disorders of Communication, 24, pp. 211–239. Bishop, D. V. M. (2000a). Pragmatic Language Impairment: A correlate of SLI, a correlate of SLI, distinct subgroup or a part of the autistic continuum. Bishop, D. V. M., & Edmunson, A. (1987). Specific language impairment as a maturational lag: Evidence from longitudinal data on language and motor development. Developmental Medicine and Child Neurology, (29), pp. 442–459. Esser, G., Lehmkuhl, G., & Schmidt, M. Die Beziehung von Sprachstörungen und sprachlichem Entwicklungsstand zur zerebralen Dysfunktion und psychiatrischen Auffälligkeiten bei 8jährigen Grundschülern. Sprache-Stimme-Gehör, (7), pp. 59–62. DIMDI. (11.03.2006). DIMDI - ICD-10-GM Version 2007 - Onlinezugriff. Retrieved Nov 10, 2006, from http://www.dimdi.de/dynamic/ de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2007/fricd.htm. GmbH, K.-L. Kon-Lab GmbH : Über Uns : Frühe Sprachförderung . Therapie von Sprachentwicklungsstörungen . Sprachförderung von fremdsprachigen Kindern. Retrieved Nov 07, 2006, from http://www.kon-lab.com/ueberuns.php. Literatur (2) Grimm, H. (2003). Störungen der Sprachentwicklung. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle: Hogrefe. Grimm, H. (1986). Entwicklungsdysphasie: Verlaufsanalyse gestörter Sprachentwicklung. In E. Oksaar, B. Narr, & H. Wittje (Eds.), Tübinger Beiträge zur Linguistik: . Spracherwerb und Mehrsprachigkeit. Festschrift für Els Oksaar zum 60. Geburtstag = Language acquisition and multilingualism (pp. 93–114). Tübingen: G. Narr. Grimm, H. (23.02.2005). Pressemitteilung. Retrieved Nov 07, 2006, from http://www.unibielefeld.de/psychologie/ae/AE03/publikationen/pressemitteilung163-2003.html. Hoffman, L. M., & Gillam, R. B. (2004). Verbal and spatial information processing constraints in children with specific language impairment. J Speech Lang Hear Res, 47(1), pp. 114-25. Marton, K., Abramoff, B., & Rosenzweig, S. (2005). Social cognition and language in children with specific language impairment (SLI). Journal of Communication Disorders, 38 (2), pp. 143–162. Miller, C. A., Kail, R., Leonard, L. B., & Tomblin, J. B. (2001). Speed of processing in children with specific language impairment. J Speech Lang Hear Res, 44(2), pp. 416-33. Penner, Z. (21.10.2005). grundlagen.pdf (application/pdf-Objekt). Retrieved Nov 06, 2006, from http://www.kon-lab.com/usr/doc/grundlagen.pdf. Literatur (3) Penner, Z., Krügel, C., & Nonn, K. (2005). 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