KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Süddeutscher Kongress für Kinder und Jugendmedizin 3. – 5. Mai 2013 Neues zu Essstörungen bei Jugendlichen Andrea Dixius Leitende Psychologin Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie u. Psychosomatik Klinikum Idar-Oberstein GmbH KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Essstörungen • Essstörungen sind seelische Erkrankungen mit körperlichen Veränderungen und Folgeerscheinungen, die potentiell lebensbedrohlich werden können • eine ausschließlich somatische Behandlung wäre somit eine reine Symptombehandlung • Es gibt Schätzungen, dass jeder fünfte Jugendliche gefährdet ist eine Essstörung zu entwickeln • Anorexie und Bulimie gehören sogar mit zu den häufigsten (chronischen) Krankheiten im Kindes- und Jugendalter KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Epidemiologie - Essstörungen Lebenszeitprävalenz: AN 0.3- 3.7 %, BN: 1-4 %, BED:2,8% AN ist die dritthäufigste chronische Erkrankung, Hinweise auf Zunahme der Prävalenz im Jugendalter, Adoleszente machen 40 % der Neuerkrankungen aus Inzidenzraten: besonders hoch bei Mädchen zw.10-19 Jahre Verschiebung des Krankheitsbeginns in jüngere Altersklassen Komorbidität AN: Affektive Störungen /Angststörung, BN :besonders BPS 30% Angststörung (bes. Soziale Phobie), 13 % affektive Störungen; Störung der sozialkognitiven Fähigkeiten Major depression: 50-75% Persönlichkeitsstörungen: 42-75% Substanzmittelabhängigkeit: AN 12-18%; BN30-37% höhere Mortalitätsrate (verschiedene Studien: 5,9 % - 7,7 % wovon 2030% auf Suizid zurückgehen) 3 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Epidemiologie - Essstörungen Häufigkeit von Kindern und Jugendlichen mit Hinweisen auf Essstörungen nach Selbstangaben im SCOFF-Fragebogen Geschlecht 11 – 13 Jahre 14-17 Jahre Gesamt Jungen 17,8% 13,5% 15,2 % Mädchen 23,5% 32,3 % 28,9% Gesamt 20,6 22,7 21,9 Ergebnisse aus dem bundesweit repräsentativen Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) Befragung 2003-2007 von ca, 7.500 Kinder u. Jugendlichen per FB Robert Koch-Institut (Hrsg), Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklarung (Hrsg) (2008) 4 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Pathogenese - Essstörungen Psychogene Faktoren Perfektionismus dysfunktionale Kognitionen Sexueller Missbrauch Veranlagung Traumafolgen Leistungsdruck Familiäre Situation Medien Geringes Selbstwertgefühl Beginnende Pubertät Schlankheitsnorm Peers KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Spektrum von Essstörungen Untergewicht Anorexia Nervosa Normalgewicht Übergewicht Bulimia nervosa Non-Purging Purging Adipositas Binge-EatingDisorder Non-Purging Purging Gewicht Impulsivität Nahrungsrestriktion Impulskontrolle Perfektionismus Störbarkeit des Essverhaltens KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Anorexia Nervosa Diagnostische Kriterien (DSM-IV) • • • • • • • • 1. Das Körpergewicht wird absichtlich unterhalb des für Alter und Körpergröße zu erwartenden Gewichtes gehalten (mindestens 15%). 2. Massive Furcht vor Gewichtszunahme oder vor dem Dickwerden (Gewichtsphobie) 3. Störung der Körperwahrnehmung (Körperbildstörung) 4. Amenorrhoe (bei Frauen) und Libido- bzw. Potenzverlust (bei Männern) 5. Entwicklungsverzögerung (bei präpuberalem Beginn) Wachstumsstopp, fehlende Brustentwicklung, primäre Amenorrhoe Untergruppen: „Restricting Type“: Während der aktuellen Phase der Anorexia nervosa kein Erbrechen, kein Kontrollverlust, kein Missbrauch von Abführmitteln bzw. Diuretika „Binge-Eating/Purging Type“: Während der aktuellen Phase der Anorexia nervosa regelmäßige Essanfälle oder Erbrechen oder Missbrauch von Abführmitteln bzw. Diuretika KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Vorteile der Anorexie: Perspektive der Patientinnen Emotionale Sicherheit Kontrolle Attraktivität Selbstbewusstsein Gefühle vermeiden besonders sein Fitness Erfolg Beachtung Keine Periode Serpell et al., 1998 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Jungen und Anorexie Heinrich Hoffmann (1845 Arzt aus Frankfurt, Darstellung: aus Struwelpeter – der Suppenkasper) Der "Suppenkaspar" ist wahrscheinlich der erste, in der Literatur beschriebene Anorektiker. Rund 160 Jahre später ist Magersucht unter Jungen verbreiteter den je KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Bulimia Nervosa Diagnostische Kriterien (DSM-IV) • • • • • • • • 1. Wiederholte Episoden von Essattacken. Dabei werden große Mengen in kurzer Zeit verspeist. Das Essen kann nicht kontrolliert oder gestoppt werden (Kontrollverlust). 2. Wiederholtes inadäquates Kompensationsverhalten zur Vermeidung einer Gewichtszunahme (Erbrechen, Substanzmissbrauch, etc.). 3. Essattacken und Kompensationsverhalten treten im Durchschnitt mindestens 2x/Woche auf und halten mindestens 3 Monate an. 4. Das Selbstwertgefühl ist stark beeinfluss von Figur und Körpergewicht. 5. Die Störung besteht nicht ausschließlich während einer Phase von Anorexia nervosa. Untergruppen: „Purging Type“: Während der aktuellen Phase der Bulimia nervosa sind die Kompensationmechanismen regelmäßiges selbstinduziertes Erbrechen oder Mißbrauch von Abführmitteln, Diuretika, Einläufen. „Nonpurging Type“: Während der aktuellen Phase der Bulimia nervosa werden andere Kompensationsmechanismen wie Fasten oder exzessiver Sport angewendet. KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Binge Eating Disorder Diagnostische Kriterien (DSM IV) A. Wiederholte Episoden von Essanfällen ("binge eating") * Essen einer großen Nahrungsmenge in umschriebener Zeit * Begleitet von einem Gefühl des Kontrollverlusts B. Kennzeichen von Essanfällen: * Schnelles Essen * Bis zu einem unangenehmen Völlegefühl * Ohne begleitendes Hungergefühl * Allein essen, aus Scham über die Nahrungsmenge * Ekel, Depression, Schuldgefühle nach dem Überessen C. Deutlicher Leidensdruck unter den Essanfällen D. Dauer der Essanfälle seit 6 Monaten an mind. 2 Tagen\ Woche E. Keine "ausgleichenden" Maßnahmen (Laxantien, Erbrechen, etc.) KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Adipositas Diagnostische Kriterien • • • • • liegt vor, wenn der Körperfettanteil an der Gesamtkörpermasse pathologisch erhöht ist o > 90. Perzentil Übergewicht o > 97. Perzentil Adipositas o > 99,5 Perzentil extreme Adipositas Kinder/ Jugendliche: spezielle Normtabellen Body Mass Index [BMI = Körpergewicht / Körpergröße2 (kg/m2)] für Kinder & Jugendliche berücksichtigen Alter und Geschlecht Multifaktorielle Ursachen o übermäßige Zufuhr von kalorien- und fettreicher Nahrung o körperliche Inaktivität o und genetische Veranlagung Zunehmende Prävalenz von Übergewicht in der Gesamtbevölkerung: ca. 10-20% aller Schulkinder und Jugendlichen sind übergewichtig KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Adipositas Krankheitswert Funktionelle Einschränkungen o Bewegung u. Sportlichkeit im Vergleich zu Gleichaltrigen verringert o Erniedrigtes Selbstwertgefühl durch Stigmatisierung ist ein Risikofaktor für psychosoziale Entwicklung und psychische Gesundheit Komorbiditäten o o o Höhere Komorbidität als Normalgewichtige & deutlich erhöhtes Morbididäts- und Mortalitätsrisko im Erwachsenenalter Komorbidität mit psychischen Störungen: erhöhte Prävalenz von Depression, Angst & Essstörungen (vor allem Binge-Eating) Erhöhte Morbidität durch Störungen im Fett- und Glukosestoffwechsel, orthopädische Störungen, erhöhter Blutdruck usw. KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Sonstige Formen von Essstörungen • mehr als die Hälfte der Essstörungspatienten erfüllen nicht das Vollbild der bisher genannten Essstörungen • ICD-10 : Essattacken bei sonstigen psychischen Störungen (F50.4) wie z. B. übermäßiges Essen nach belastenden Lebensereignissen • Erbrechen bei sonstigen psychischen Störungen (F50.5) z. B. im Rahmen dissoziativer oder hypochondrischer Störungen • sonstige Essstörungen (F50.8) wie z. B. Pica bei Erwachsenen • oder psychogener Appetitverlust sowie nicht näher bezeichnete Essstörungen (F50.9). 14 KJPP Idar –Oberstein Therapieforschung bei Essstörungen Andrea Dixius U. Voderholzer, U. Cuntz, S. Schlegl, 2012 •In den meisten Studien zur Effektivität psychotherapeutischer Verfahren bei Essstörungen wurden bislang vor allem Monotherapien untersucht. •Randomisierte, kontrollierte Studien; auch zu multimodale Therapieansätze fördern 15 Therapieforschung bei Essstörungen KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius U. Voderholzer, U. Cuntz, S. Schlegl, 2012 Pharmakotherapie: Bislang werden zur medikamentösen Behandlung von Essstörungen Medikamente eingesetzt, die ursprünglich zur Behandlung anderer psychischer Erkrankungen entwickelt wurden 16 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Multimodale Therapie von Essstörungen Balance finden KJPP Idar-Oberstein KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius KJPP Idar-Oberstein Behandlungsablauf Kontaktaufnahme - Jugendliche, Eltern, niedergelassene Kollegen, Jugendhilfe Spezialambulanz - Diagnostik - Informationen, Psychoedukation - Commitment Stationäre Behandlung - Therapiezielhierarchie - Behandlungsdauer: 12 Wochen DBT-A, abhängig von der Schwere der Erkrankung und der Therapieziele - Reintegration in den Alltag bzw. Neuorientierung in der Lebensplanung - Präventions-und Rückfallprophylaxe 18 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Familientherapie, Psychoedukation, family skills Körpertherapie Supportive Verfahren: VIT, Erlebnis-,Kreativtherapie,… Medikamentöse Behandlung bei spez. Indikation KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius KJPP Idar-Oberstein exemplarische Psychotherapiemethoden Dialektisch-Behaviorale Therapie für Jugendliche • kognitive Verhaltenstherapie • Familientherapie • Video-Interventions-Therapie (VIT) • Traumafokussierte Therapieverfahren • Alptraumbehandlung • Erlebnistherapie (Kanu, Klettern, Outdooraktivitäten) • Supportive Verfahren (Musik-, Kreativ-,Körpertherapie) • Regelmäßige Belastungstraining unter Einbezug des sozialen Umfelds 20 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Integrative Versorgung in der Therapie von Essstörungen am Klinikum Idar-Oberstein KJPP & Pädiatrie Kinder –u. Jugendzentrum • • • • • • • Ressourcenintegration der Fachdisziplinen vernetzte Diagnostik ermöglicht Patienten auch mit sehr niedrigem BMI im Ki-/ Ju- Zentrum zu bekommen Multimodale Behandlung – statt Drehtürklinikaufenthalte Kontinuität in der Behandlung Indizierte Hilfen Präventions-und Rückfallprophylaxe 21 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Beispiel: Evaluationsdaten KJPP IO Stichprobenbeschreibung: Gesamtstichprobe N = 35 •Geschlecht: männlich = 2 (5,7%) / weiblich =33 (94,3%) •Alter: Mean 16,75 (SD 1,435), Minimum 14, Maximum 20 Diagnose Häufigkeit Prozent Anorexia Nervosa 13 37,1 Atpyische Anorexia Nervosa 6 17,1 BulimiaNervosa 2 5,7 Atypische BulimiaNervosa 4 11,4 Binge EatingDisorder 10 28,6 Gesamt 35 100,0 22 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Prä-Post-Messungen Das Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2) ist ein Verfahren zur Beschreibung der spezifischen Psychopathologie von Patienten mit Anorexia und Bulimia nervosa sowie anderen psychogenen Essstörungen. ** p< .01, * p< .05 23 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Prä-Post-Messungen SCL 90-R misst die subjektiv empfundene Beeinträchtigung durch körperliche und psychische Symptome ** p< .01, * p< .05 24 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Prä-Post-Messungen EDI-2 Patient, m; 18 J.; Anorexie, Depression, somatische Komplikationen z. Therapiebegin BMI bei Aufnahme 15.9 – bei Entl. 19.7 25 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Prä-Post-Messungen FEEL-KJ Patient, m; 18 J.; 26 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Prä-Post-Messungen FEEL-KJ Patient, m; 18 J.; Anorexie 27 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Prä-Post-Messungen FEEL-KJ 16-jährigen Patientin BED, BPD, Adipositas, Depression; schädl. Substanzmissbrauch, 28 Suizidgedanken , SVV KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Prä-Post-Messungen FEEL-KJ 16-jährigen Patientin 29 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius KJPP Idar-Oberstein resümierende Aspekte • Essstörungstherapie in der KJPP Idar-Oberstein ist multimodal in der Behandlung von Essstörungen ausgerichtet • in Prä/Post – Untersuchungen zeigen die Jugendlichen positive Therapieverläufe in Bezug auf essstörungsrelevante Symptome, der allgemeinen psychopathologischen Symptomatik und der Emotionsregulation • Qualitätssicherung : Datenevaluation, wissenschaftliche Begleitung der Therapiemethoden • Permanente Weiter-/Fortbildung des gesamten Mitarbeiterteams • Beteiligung an Forschungsprojekten • Netzwerkarbeit und Ausbau von integrativen Versorgungsstrukturen 30 KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Durchatmen... Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit [email protected] KJPP Idar –Oberstein Andrea Dixius Kontakt Klinikum Idar-Oberstein GmbH Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie u. Psychosomatik Dr-.Ottmar-Kohler-Str. 2 D-55473 Idar-Oberstein Fon: +49(0)6781-661580 Fax: +49(0)6781-661253 Prof. Dr. med. Eva Möhler Chefärztin Andrea Dixius Ltd. Dipl.-Psych. Email: [email protected] [email protected] www.shg-kliniken.de