www.evimed.ch Kognitive Verhaltenstherapie und Antidepressiva bei Jugendlichen mit Depression Frage: Ist eine kombinierte Therapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und kognitiver Verhaltenstherapie bei Jugendlichen mit einer unipolaren Depression, die nicht auf eine Kurzintervention angesprochen haben, der alleinigen medikamentösen Therapie überlegen? Hintergrund: Die Depression kann bei Jugendlichen schwere Formen annehmen, die mit erheblicher Suizidalität einhergehen und zur Chronizität neigen. Zusätzlich wird immer wieder befürchtet, dass SerotoninWiederaufnahmehemmer mit einer erhöhten Suizidalität assoziiert ist. Daher empfehlen Guidelines, dass Serotonin-Wiederaufnahmehemmer mit einer Psychotherapie wie der kognitiven Verhaltenstherapie kombiniert werden sollte. Die Evidenz dafür ist jedoch unschlüssig. Einschlusskriterien: • • Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren Mittelschwere bis schwere Depression ohne Verbesserung der Symptomatik nach Kurzintervention (zwei Sitzungen) • Jugendliche mit Suizidalität, Selbstmutilation oder Psychose wurden auch eingeschlossen Ausschlusskriterien: • • • Schizoprenie, bipolare Störung oder Notwewndigkeit sofortiger Hospitalisation Schwangerschaft Frühere unwirksame Versuche mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern oder kognitiver Verhaltenstherapie Studiendesign: Randomisiert, kontrollierte Studie Studienort: Manchster und Cambridge Intervention: • • Interventionsgruppe 1: Therapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (20-60 mg pro Tag) unter psychiatrischer Betreuung und kognitiver Verhaltenstherapie (total 19 geplante Sitzungen) für 28 Wochen Interventionsgruppe 2: Nur Therapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern unter psychiatrischer Betreuung für 28 Wochen Outcome: • Beeinträchtigung durch depressive Symptomatik, durch einen geschulten Untersucher beurteilt (Health of the Nation outcome scale) • • Weitere Instrumente zur Erfassung des psychsichen Befindens Suizidalität www.evimed.ch Resultat: • • • • • 208 Patienten (Durchschnittsalter 14 Jahre, 74 % weiblich) wurden in die Studie eingeschlossen. Viele der Jugendlichen hatten neben der depressiven Symptomatik andere Symptome wie Angst, soziale Phobie oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Anzahl ärtzlicher Sitzungen war zwar in der Gruppe mit zusätzlicher kognitiver Verhaltenstherapie höher als in der Gruppe ohne zusätzliche kognitive Verhaltenstherapie (11 gegenüber 7 Sitzungen), doch weit geringer als im Protokoll geplant. Der Schwellenwert für einen klinisch relevanten Unterschied auf der Health of the Nation outcome scale liegt bei drei Punkten. In beiden Gruppen verbesserte sich die depressive Symptomatik um rund 10 Punkte, doch die Unterschiede zwischen den Gruppen waren zu keinem Zeitpunkt (nach 6, 12 und 28 Wochen) klinisch oder statistisch relevant verschieden. Auch für die meisten anderen Outcomes konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen beobachtet werden. Für die Suizidalität gab es einen Trend für eine geringere Suizidalität zugunsten der Gruppe mit zusätzlicher kognitiver Verhaltenstherapie, doch waren die Unterschiede auch nicht signifikant. Kommentar: • Diese Studie wurde sorgfältig geplant und durchgeführt. Es wurde zum Beispiel die Compliance erfasst, so dass dokumentiert werden konnte, welche Therapie die Studienteilnhemer wirklich erhielten. Dies ist einer solchen sogenannt pragmatischen Studie, die möglichst realistisch den klinisch Alltag wiedergeben soll, besonders wichtig. • Der Kontrast zwischen den Gruppen wurde sicherlich durch die tiefe Compliance mit der kognitiven Verhaltenstherapie reduziert, was aber wohl der klinischen Realität, zumindest in England, entspricht. Es muss auch beachtet werden, dass die Patienten ohne kognitive Verhaltenstherapie auch fachärztlich betreut wurden und somit Unterstützung erhielten, die aber nicht so strukutiert war wie die kognitive Verhaltenstherapie. • Diese Studie zeigt die Vor- und Nachteile einer pragmatischen Studie auf. Es ist einerseits ein Vorteil, dass man zwei in der Praxis verfügbare Therapiemodalitäten möglichst praxisnah miteinander vergleicht. Andererseits ist es dadurch schwierig, überhaupt noch Unterschiede zwischen den Gruppen zu finden, wenn nicht ein grosser zusätzlicher Nutzen vorliegt. Durch dieses Studiendesign kann es tendenziell dazu kommen, dass man die Wirksamkeit zusätzlicher Therapien unterschätzt. • Die Autoren der Studie folgern, dass eine zusätzliche kognitive Verhaltenstherapie nicht mehr bringt als eine fachärztlich verordnete medikamentöse Therapie. Die heutige Evidenzlage ist aber noch nicht schlüssig, denn eine grössere Studie aus den USA zeigte einen zusätzlichen Nutzen der kognitiven Verhaltenstherapie in Kombination mit einer medikamentösen Therapie. Es werden also weitere Studien nötig sein sowie eine systematische Beurteilung der Evidenzlage, welche auch die Gründe für die Unterschiede zwischen den Studien untersuchen sollte. Literatur: www.evimed.ch Goodyer I et al: Selective serotonin reuptake inhibitors (SSRIs) and routine specialist care with and without cognitive behaviour therapy in adolescents with major depression: randomised controlled trial. BMJ, doi:10.1136/bmj.39224.494340.55 (published 7 June 2007) Verfasser: Milo Puhan