Depression – Störungsbild und Behandlung Oliver Kreh Psychologischer Psychotherapeut Supervisor / IFT Leitender Psychologe AHG-Klinik Tönisstein Gliederung Diagnostik Epidemiologie Störungsmodelle Kognitive Verhaltenstherapie der Depression Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie Gliederung Diagnostik Epidemiologie Störungsmodelle Kognitive Verhaltenstherapie der Depression Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie Diagnostik Diagnosekriterien „depressive Episode“: mindestens vier der folgenden Symptome, gleichzeitig während eines Zeitraumes von mindestens zwei Wochen: gedrückte Stimmung (die meiste Zeit des Tages) Interessenverlust / Freudlosigkeit verminderter Antrieb oder erhöhte Ermüdbarkeit → mindestens zwei dieser Symptome! (drei bei schweren Depressionen) Diagnostik Diagnosekriterien „depressive Episode“: vermindertes Selbstwertgefühl / Selbstvertrauen Wertlosigkeit / Schuldgefühle negative / pessimistische Zukunftsperspektive Suizidgedanken /- handlungen, verminderte Konzentration / Aufmerksamkeit verminderter Appetit Schlafstörungen Diagnostik Diagnosekriterien „somatisches Syndrom“: Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten mangelnde Fähigkeit auf freundliche Umgebung / Ereignisse emotional zu reagieren frühmorgendliches Erwachen Morgentief objektiver Befund psychomotorischer Hemmung oder Agitiertheit verminderter Appetit / Gewichtsverlust deutlicher Libidoverlust Diagnostik Diagnosekriterien „depressive Episode“: „leichte“ Episode: 2 Haupt- + 2 Nebensymptome „mittelschwere“ Episode: 2 Haupt- + 3-4 Nebensymptome „schwere“ Episode 3 Haupt- + 4 und mehr Nebensymptome Diagnostik Diagnosekriterien „depressive Episode“: Ausschluss einer gemischten Episode deutliche Änderung der vorher bestehenden Leistungsfähigkeit Ausschluss organischer Ursachen oder Substanzeinwirkung → Faustregel: mindestens vier Wochen Abstinenz Ausschluss einer Trauerreaktion oder Schizophrenie Diagnostik Verschiedene Zustandsbilder affektiver Störungen: F30 Manische Episode F31 Bipolare Störung F32 Depressive Episode F33 Rezidivierende depressive Störung F34 Anhaltende affektive Störung (Dysthymia, Zyklothymia) F43 Anpassungsstörung Diagnostik Diagnostik Diagnoseinstrumente: strukturierte Interviews: SKID, DIPS Selbstbeurteilung: Beck-Depressionsinventar BDI, Allgemeine Depressionsskala ADS Fremdbeurteilung: Hamilton Depressions-Skala HAMD, Inventar Depressiver Symptome IDS Visuelle Analogskalen VAS (subjektive Beurteilung der Befindlichkeit) Diagnostik Parallelen Sucht und Depression beim Absetzen des Suchtmittels zu beobachten: Niedergeschlagene Stimmung Selbstvorwürfe Antriebsverlust Schuldgefühle pessimistische Zukunftsperspektive Schlafstörungen Libidoverlust Differenzierung Entzug – Depression (4 Wochen!) Diagnostik Sucht und Depression – Henne oder Ei? • primäre Depression als Ursache des Suchtmittelkonsums – Selbstmedikation? • sekundäre Depression – als Folge des Suchtmittelkonsums? • sorgfältige Anamnese: Depression in echten abstinenten Phasen? • Abstinenz in beiden Fällen notwendige Voraussetzung für Behandlung (Psychotherapie und Medikamente) Gliederung Diagnostik Epidemiologie Störungsmodelle Kognitive Verhaltenstherapie der Depression Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie Epidemiologie Punktprävalenz von ca. 8% (depressive Episoden und Dysthymien) Lebenszeitprävalenz bei 16-20% 12-Monats-Prävalenz unipolarer Depression: Frauen 10,6% - Männer 4,8% Inzidenz ca. 1-2 neue Fälle auf 100 Personen Morbiditätsrisiko von ca. 1% Epidemiologie Risikofaktoren: Fehlen einer vertrauensvollen persönlichen Beziehung (getrennte, geschiedene, verwitwete erkranken eher) Menschen in städtischer Umgebung und Mietwohnung haben höhere Depressionsraten Schutzfaktoren: höheres Bildungsniveau und gesicherte berufliche Anstellung korreliren mit niedrigeren Depressionsraten besonders hohe Rate an Komorbidität subjektiv: Depression eher Folge der anderen Erkrankung Epidemiologie Hochrechnung der WHO: Burden of Disease 2030 der Industrieländer für 12-Monatsprävalenzen - durch Krankheit verlorene Lebensjahre in Millionen Gliederung Diagnostik Epidemiologie Störungsmodelle Kognitive Verhaltenstherapie der Depression Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie Störungsmodelle Vulnerabilitäts-Stress-Modell familiäre Häufung unkontrollierbarer Stress / Verlusterlebnisse psychodynamisch: ständige Abhängigkeit von wichtigen Bezugspersonen, Gefühl von Einsamkeit / Beziehungslosigkeit Störungsmodelle Ein verstärkungstheoretisches Erklärungsmodell Potentiell verstärkende Ereignisse Depression: (Menge, Qualität) Erreichbarkeit von Verstärkern in der Umgebung (Trennung, Armut, Isolation) Instrumentelles Verhalten der Person soziale /berufliche Fertigkeiten verbale, nonverbale Verhaltensäußerungen niedrige Rate an positiver Verstärkung somatische, emotionale, kognitive, motivationale Symptome Interaktive Auffälligkeiten Soziale Vermeidung Soziale Verstärkung (Sympathie, Interesse, Anteilnahme) Störungsmodelle Kognitionsstheoretisches Modell (nach Beck) Dysfunktionale Grundannahmen, rigide Schemata, negative kognitive Stile Ereignisse externe und interne Auslöser automatische Gedanken: absolutistisch, verallgemeinernd, verzerrt, unlogisch, unangemessen Depression: emotionale, somatische, motorische, motivationale Symptome Störungsmodelle Integrative Modellvorstellungen Kognitionen realitätsfremde, verzerrte, negative Strukturen; unrealistische Selbstbewertungen Situative Bedingungen Auslöser Soziales Verhalten Verhaltensdefizite, geringe Bewältigungsfertigkeiten Aktivitätsrate Mangel an reaktionskontingenten Verstärkern Hintergrund und Umweltbedingungen (sozial, materiell, etc.) Depression Gliederung Diagnostik Epidemiologie Störungsmodelle Kognitive Verhaltenstherapie der Depression Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie Kognitive Verhaltenstherapie Schlussfolgerung für die Therapie: Förderung angenehmer Aktivitäten Aufbau sozialer Fertigkeiten Veränderung negativer Kognitionen Kognitive Verhaltenstherapie Informationsvermittlung Was ist Depression? (Diagnosekriterien) Formen affektiver Erkrankungen Behandlungsmöglichkeiten – das Gruppenprogramm Antidepressiva und ihre Wirkung Kognitive Verhaltenstherapie Aktivitätsaufbau Erhebung des persönlichen Aktivitätsniveaus Erarbeitung eines auf Eigenaktivität ausgerichteten Depressionsmodells Identifizierung depressionsauslösender Stimuli Identifizierung persönlicher Verstärker / Erstellen einer eigenen Verstärkerliste zielgerichtete Planung angenehmer Aktivitäten Kognitive Verhaltenstherapie Wochenplan „Aktivitäten und Stimmungen“ Uhrzeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag 6.00 7.00 8.00 9.00 10.00 11.00 12.00 13.00 14.00 15.00 16.00 17.00 18.00 19.00 20.00 22.00 24.00 Stimmung von 0 = „sehr schlecht“ bis 10 = „sehr gut“ Kognitive Verhaltenstherapie Zusammenhang Stimmungen und Aktivitäten: Stimmungen Aktivitäten ??? Aktivitäten Stimmungen ??? Aktivitäten Stimmungen Kognitive Verhaltenstherapie Aktivitätsaufbau: persönliche Verstärkerliste erstellen Einplanung angenehmer Aktivitäten regelmäßiges Abfragen der durchgeführten angenehmen Aktivitäten Kognitive Verhaltenstherapie Aufzeichnung angenehmer Tätigkeiten und Stimmungswerte: 9 am besten 25 8 20 6 5 15 4 3 10 2 1 am schlechtesten Tag 5 1 2 3 4 5 6 7 8 … 30 Anzahl angenehmer Aktivitäten Täglicher Stimmungswert 7 Kognitive Verhaltenstherapie Soziale Kompetenzen Was sind soziale Kompetenzen? Zusammenhang: Soziale Kompetenzen - Depression Auswahl geeigneter Übungsbereiche, z. B. Forderungen ablehnen („Nein“ sagen) Gespräche beginnen und führen Kritik üben Kognitive Verhaltenstherapie Kognitive Umstrukturierung Erarbeitung eines kognitiven Emotionsmodells Erkennen depressogener, automatischer Gedanken Reflexion der depressionsauslösenden Gedanken im sokratischen Dialog (Zuhilfenahme der Gruppe) Identifizierung typischer Denkfehler / Grundannahmen Erarbeitung alternativer, rationaler Situationsbewertungen Reduktion depressiven Grübelns (Gedankenstop, „worry-time“) Kognitive Verhaltenstherapie Automatische Gedanken: Schnell ablaufende, reflexhaft auftretende, in der Situation subjektiv plausibel erscheinende Kognitionen, die zwischen auslösendem Ereignis und emotionalem Erleben ablaufen Kognitive Grundannahmen: für eine Person typische, grundlegende Überzeugungen, Regeln, Werthaltungen, auf deren Basis sie ihre Welt ordnet und strukturiert Kognitive Grundannahmen Auslösende Ereignisse Gefühle und Verhalten Automatische Gedanken Kognitive Verhaltenstherapie Das ABC der Gedanken und Gefühle: A Auslöser – Situation, Gedanken,… B Automatische Gedanken / Bewertungen C Gefühle, Verhalten oder Impulse zu Verhalten Kognitive Verhaltenstherapie Tagesprotokoll negativer Gedanken / Spaltentechnik: Datum Zeit Situationsbeschreibung Aktuelle Ereignisse, Gedanken, Tagträume usw., die zu unangenehmen Gefühlen führen, Gefühle Genau angeben (Angst, Wut, etc.), einschätzen von 0 – 100 Automatische Gedanken Automatische, negative Gedanken angeben, die dem negativen Gefühl vorausgingen Rationalere Gedanken Rationale Reaktionen auf automatische Gedanken. Wie gültig sind diese rationaleren Gedanken? Ergebnis Gefühle nach den rationaleren Gedanken angeben einschätzen von 0 – 100 Kognitive Verhaltenstherapie Der sokratische Dialog - Prinzipien Veränderungen auf kognitiver Ebene nicht durch Überzeugungskraft oder Überreden erreichen, sondern durch gelenktes Fragen Patienten sollen in die Lage versetzt werden, selbst zu entdecken, dass ihre gewohnte Art zu denken nur eine mögliche Form ist der Therapeut formuliert Fragen und Hypothesen, die die Bedeutung, die Schlussfolgerung usw. der Aussage offen legen Kognitive Verhaltenstherapie Der sokratische Dialog – Fragemöglichkeiten I sammeln von Lösungsmöglichkeiten für ein Problem („brainstorming“, ohne zensieren) abwägen der Vor- und Nachteile der Lösungsmöglichkeiten Unterstützung bei der Einschätzung unangepassten Verhaltens („Was gewinnen Sie, was verlieren Sie, wenn …?“) Ergründung der inadäquaten Kognitionen die mit unangenehmen Gefühlen verbunden sind („Was macht Sie daran so traurig? Welcher Gedanke macht Sie so wütend?“) Kognitive Verhaltenstherapie Der sokratische Dialog – Fragemöglichkeiten II Überprüfung der Bedeutung, die der Patient einem bestimmten Ereignis beimisst Überprüfung der Kriterien der negativen Selbsteinschätzung auf ihre Angemessenheit „Wie definieren Sie Wertlosigkeit / Unfähigkeit? Welche Eigenschaften müsste ich beobachten, um Wertlosigkeit bei einer anderen Person festzustellen? Was trifft auf Sie zu?“ Verdeutlichung der Tatsache, dass der Patient bei seinen Schlussfolgerungen eine Auswahl aus negativen Hinweisen trifft Kognitive Verhaltenstherapie Der sokratische Dialog – Beispielfragen I Wie definieren Sie Versagen? Welche sind Ihre Misserfolge? Hat es verschiedene Möglichkeiten des Scheiterns gegeben, d. h. sind Sie in manchen Fällen mehr gescheitert als in anderen? Falls Sie in manchen Fällen nur teilweise gescheitert sind, bedeutet dies, dass sie in machen Fällen auch teilweise erfolgreich waren? Welche Bereiche gibt es in Ihrem Leben, in denen Sie nicht gescheitert sind oder sogar teilweise Ziele erreicht haben? Kognitive Verhaltenstherapie Der sokratische Dialog – Beispielfragen II Wenn Sie in bestimmten Bereichen gescheitert sind, bedeutet dies, dass Sie nichts dazulernen könnten? Ist ein Mensch, der ein Ziel nicht erreicht, immer ein Versager? Sollten Menschen, die Misserfolge haben, von anderen Menschen abgelehnt werden? Kognitive Verhaltenstherapie Benennen von kognitiven Fehlern unfaire Vergleiche anstellen mit zweierlei Maß messen negative Gedanken anderer lesen übertriebene Verantwortung von sich fordern perfektionistische Ansprüche stellen Positives kommt von außen, Negatives habe ich zu verantworten Alles-oder-Nichts-Denken generalisieren / übertriebenes Verallgemeinern Kognitive Verhaltenstherapie Techniken zur Unterbrechung depressiven Grübelns: „Gedankenstop“ einführen als Experiment koppeln an Veränderung der Situation „Sorgenzeiten“ („worry time“) zeitlich begrenzen in der Einzeltherapie vereinbaren aktives Ende festlegen nicht vor dem einschlafen! Ergänzende Therapien Sport bei Depression Versuche mit Interaktionspielen Entspannung Fitnesstraining Klettern Nordic Walking kombiniert Bewegung mit Ausdauertraining, Aktivität in der Natur und ermöglicht - en passant - miteinander in Kontakt zu treten nachgewiesene Wirksamkeit von Ausdauersport Ergänzende Therapien Achtsamkeitsmeditation entstammen meditativen Ansätzen buddhistischer Prägung Die Aufmerksamkeit ist: im gegenwärtigen Moment bewusst und absichtsvoll nicht wertend Gliederung Diagnostik Epidemiologie Störungsmodelle Kognitive Verhaltenstherapie der Depression Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie Wirksamkeit kognitiver VT zählt zu den am besten untersuchten ambulanten Psychotherapien bessere Effekte als Warte-, Placebo- oder unterstützende Bedingungen vergleichbare Effekte wie pharmakologische Behandlungen oder andere spezifische Psychotherapien senkt die Rezidivrate deutlicher als medikamentöse Behandlung allein unter KVT und IPT weniger Abbrecher als bei medikamentöser Behandlung bei schweren depressiven Episoden und stationärer Behandlung wird die Kombination empfohlen (kognitive Verhaltenstherapie + Antidepressiva) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Anregungen? Fragen? [email protected] www.wir-machen-unabhaengig.de