Logische Analyse und der philosophische Begriff der Aufklärung

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Logische Analyse und der philosophische
Begriff der Aufklärung.
Progammatische Bemerkungen
Albert Newen, Universität Bonn
Das Unternehmen, das wir mit dieser Zeitschrift starten, kann durch drei
Aspekte wesentlich charakterisiert werden: 1. Das Untersuchungsfeld der
Artikel sind philosophische Thesen aus der gesamten Philosophiegeschichte,
bzw. neuere systematische Thesen, wenn sie stark mit philosophiegeschicht­
lich bedeutsamen Positionen verknüpft werden. 2. Die zugrunde gelegte Me­
thode ist die logische Analyse, und schließlich haben wir 3. das hochgesteck­
te Ziel, durch die ausgewählten Beiträge die philosophische Aufklärung der
Philosophiegeschichte zu fördern. Um diesem Programm einen klaren Ge­
halt zu verleihen, sollen zunächst die Begriffe "logische Analyse" und
"philosophische Aufklärung" erläutert werden. Dazu wird die Methode der
logischen Analyse von Begriffen gerade am Beispiel des Begriffs der philo­
sophischen Aufklärung demonstriert. Auf dieser Basis läßt sich klar vor
Augen führen, was es heißen kann, philosophische Aufklärung der Philo­
sophiegeschichte anzusl:!eben.
1 Logische Analyse und das Paradox der Begriffsanalyse
/
Was ist logische Analyse bzw. was bezeichnen wir mit diesem Begriff? In ei­
nem engeren Sinne bezeichnen wir damit eine in der Analytischen Philoso­
phie entwickelte Methode der Analyse von Begriffen und philosophischen
Thesen. Betrachten wir zunächst die Begriffsanalyse. Sie besteht darin, einen
Begriff durch einen oder mehrere andere Begriffe informativ zu erläutern. Im
Falle des Alltagsbegriffs "Großvater" ist eine Erläuterung mit Hilfe der Be­
griffe "Vater" und "Mutter" naheliegend:
(i) Ein Großvater zu sein ist dasselbe wie Vater eines Vaters oder Vater ei­
ner Mutter zu sein. Es ist wesentlich, daß es sich hierbei nicht um eine kon­
tingente, sondern um eine notwendige Wahrheit handelt. Auch wenn es eine
kongintenteWahrheit wäre, daß alle Großväter verheiratete Männer und älter
als fünfzig Jahre alt sind, so wäre der Satz ,,Ein Großvater ZU s~in ist dassel­
be wie ein verheirateter Mann zu sein, der älter als fünfzig Jahre ist" keine
Begriffsanalyse, denn auch in einer solchen Welt wäre es leicht vorstellbar,
daß es einen unverheirateten Großvater gibt, selbst wenn es de facto nicht zu­
träfe. Aus der Extensionsgleichheit der Begriffe folgt nicht ihre Intensions­
gleichheit. Eine Begriffsanalyse ist nur dann adäquat, wenn der Zusammen­
hang der Begriffe ein notwendiger ist, d. h. wenn die Erläuterung des
Begriffs B durch den Begriff C in Form der korrekten Behauptung "B zu sein
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Albert Newen
Logische Analyse und der philosophische Begriff der Aufklärung
ist dasselbe wie C zu sein" impliziert, daß auch die entsprechende Notwen­
digkeitsbehauptung wahr ist: "Es ist notwendig, daß B zu sein dasselbe ist
wie C zu sein." Diese Adäquatheitsbedingung besagt, daß Begriffsanalysen
stets notwendig wahre Aussagen sind. Wie das Beispiel (i) zeigt, entsteht ei­
ne notwendig wahre Aussage zumindest dann, wenn der analysierte Begriff
und seine Erläuterung bedeutungsgleich bzw. synonym sind. Es scheint je­
doch gerade dann keine infonnative Analyse vorzuliegen. Damit steht diese
Methode vor dem "Paradox der Analyse": 1
Der Begriff des Wissens ist somit nur dann angebracht, wenn erstens jemand
eine Überzeugung hat, zweitens sich seine Überzeugung auf gute Gründe
stützt (und nicht beispielsweise auf eine Eingebung im Traum) und drittens
die Überzeugung wahr ist. Wissen ist nach dieser Analyse gerechtfertigte,
wahre Meinung. 3 Die Aussage "Wissen zu haben ist dasselbe wie eine ge~
rechtfertige, wahre Meinung zu haben" ist notwendig und nicht bloß zufällig
wahr. Damit liegt eine korrekte Begriffsanalyse vor. Allerdings ist es durch­
aus möglich, daß jemand, der die Alltagssprache beherrscht, den Satz ,Anna
weiß, daß es regnet' für wahr und zugleich den Satz ,Anna hat die gerecht­
fertige, wahre Meinung, daß es regnet' für falsch hält, weil er den von der
Philosophie aufgedeckten Zusammenhang zwischen Wissen und gerechtfer­
tiger, wahrer Meinung nicht kennt. Die Bedingung der Synonymie ist nicht
erfüllt. Damit haben wir beispielhaft gezeigt, daß eine korrekte Analyse auch
mit zwei Begriffen möglich ist, die nicht synomyn sind, und daß somit Be­
griffsanalysen korrekt und informativ sein können. Das Paradox der Analyse
besteht nur scheinbar.
.
1. Prämisse: Wenn "B" und "C" synonym sind, dann ist die Begriffsanalyse
nicht infonnativ.
2. Prämisse: Wenn "B" und "C" nicht synonym sind, dann ist die Begriffs­
analyse inkorrekt.
Konklusion: Eine Begriffsanalyse kann nicht zugleich korrekt und infonnativ
sein.
Wenn man die Konklusion nicht akzeptiert, muß man zeigen, daß eine der
Prämissen falsch ist, denn der ScWuß ist richtig. Die Lösung des Paradoxes'
besteht darin, die zweite Prämisse des Arguments als falsch zurückzuweisen:
Eine Begriffsanalyse kann korrekt sein, auch wenn die beiden Begriffe nicht
synonym sind. Um dies zu zeigen, brauchen wir zunächst genauere Erläute­
rungen der Begriffe "Synonymie" und "korrekte Analyse". Die Synonymie
wird durch eine notwendige Bedingung erläutert: Wenn zwei Begriffe ,F'
und ,G' synonym sind, dann kann jemand, der beispielsweise die Sätze
,Michael ist F' und ,Michael ist G' versteht, nicht zugleich den einen für
falsch und den anderen für wahr halten. 2 Betrachten wir als Beispiel die Be­
griffe "Bruder sein" und ,,männliches Geschwister sein". Wenn ein kompe­
tenter Sprecher des Deutschen den Satz "Michael ist ein Bruder von Sylvia"
für wahr hält, dann auch den Satz "Michael ist ein männliches Geschwister
von Sylvia". Die notwendige und hinreichende Bedingung für eine korrekte
Analyse haben wir uns bereits vor Augen geführt: Eine Begriffsanalyse ist
genau dann korrekt, wenn die Aussage ,,x zu sein ist dasselbe wie Y zu sein"
nicht bloß zufällig, sondern notw;endigerweise wahr ist. Kommen wir nun zu
einem Beispiel, welches der no~endigen und hinreichenden Bedingung ei­
ner korrekten Analyse genügt, ohne die notwendige Bedingung für Synony­
mie zu erfüllen. Die philosophische Analyse des Begriffs "Wissen" sieht wie
folgt aus, wobei der Buchstabe ,p' für einen beliebigen Satz steht:
Eine Person weiß genau dann, daß p, wenn
1.) sie glaubt, daß p,
2.) sie gute Gründe hat zu glauben, daß p, und
3.) es der Fall ist, daß p.
1
2
Vergl.: Künne, "George Edward Moore", S. 34.
beiden Sätze sind dabei so zu wählen, daß der Eigenname nicht mehrdeutig ist und somit
dasselbe Objekt bezeichnet, und zweitens so, daß die Sätze von diesem Objekt in derselben
Hinsicht sagen, daß es die Eigenschaft F zu sein bzw. G zu sein hat.
Die
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2 Die logische Analyse philosophischer Thesen
Auf der Basis einer Analyse relevanter Begriffe kann die Analyse philoso­
phischer Thesen eines Autors beginnen. Dabei läßt sich der genaue Gehalt
der Thesen am besten durch eine formale Rekonstruktion der nonnalsprach­
lichen Aussagen präzisieren. Wenn eine Reihe philosophischer Thesen eines
Autors auf diese Weise präzisiert sind, dann besteht eine weitere Herausfor­
derung darin, diese Thesen zu einer systematischen Theorie zu verbinden,
die sich idealerweise auch noch axiomatisch darstellen läßt. Auf diese Weise
läßt sich die philosophische Position eines Autors rational rekonstruieren.
Die logische Analyse philosophischer Thesen besteht somit in der formalen
Präzisierung und der rationalen Rekonstruktion der Thesen, womit sie kon­
kretisiert und in den Rahmen einer Theorie systematisch eingeordnet wer­
den. Wenn wir einem Autor auf dieser Basis eine Theorie der Ontologie,der
Wahrnehmung oder ähnliches zuschreiben, so ist dies zugleich eine hervorra­
gende Basis für ihre philosophiegeschichtliche Einordnung und eine kriti­
sche Bewertung aus der Gegenwartsperspektive. Es ist dies der Grundgedan­
. ke, der das Konzept der philosophischen Aufklärung wesentlich ausmacht.
Dieses Konzept möchte ich illustrieren, indem ich systematisch den Begriff
der Aufklärung betrachte, seine Anwendung in der Disziplin Philosophie er­
läutere und skizziere, was es heißt, philosophische Aufklärung für" die Philo­
sophiegeschichte fruchtbar zu machen.
.
,3
Neuere Arbeiten haben gezeigt, daß genaugenommen noch einige Bedingungen ergänzt wer­
den müssen. Vgl. E. Gettier, K. Lehrer, G. Harman, F. Dretske u.a. in: P. Bieri (Hg.): Analyti­
sche Philosophie der Erkenntnis, Frankfurt 21992.
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Albert Newen
Logische Analyse und der philosophische Begriff der Aufklärung
3 Was ist philosophische Aufklärung bzw. was
bezeichnen wir mit diesem Begriff?
dem um die Ideenvormundschaft, die vor allem durch die Religion ausgeübt
wird. 7 Das Mittel, um den Prozeß der Aufklärung in Gang zu setzen, ist der
selbständige Verstandesgebrauch. Kants Definition der Aufklärung enthält so­
mit zwei Aspekte, nämlich erstens die politische Dimension des Überwin­
dens der traditionell etablierten Ideenvormundschaft und zweitens die philo­
sophische Dimension des selbständigen Verstandesgebrauchs.
Kant faßt Aufklärung als einen Prozeß auf, in dem jemand die Fähigkeit
nutzt und weiterentwickelt, seinen Verstand selbständig, d. h. beispielsweise
ohne Rücksicht auf Autoritäten, zu verwenden; dabei setzt Kant voraus, daß
diese Person prinzipiell schon die Fähigkeit besitzt, den Verstand selbständig
zu gebrauchen und sich (z. B. aus Faulheit, Ehrfurcht oder Feigheit) nur
nicht dazu durchringen konnte, ihn einzubringen und weiterzuentwickeln.
Der Verzicht auf eigenständiges Erwägen und Bewerten von Behauptungen
führt gemäß Kant zu Vorurteilen, und eine Orientierung an Vorurteilen nennt
er Aberglaube: "Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung". 8 Das Ergeb­
nis des Prozesses der Aufklärung sind aufgeklärte Meinungen. Methodisch
werden sie durch eigenständigen Verstandesgebrauch charakterisiert, wobei
dies gemäß Kant zum einen einschließt, daß die Überlegungen von einem
allgemeinen Standpunkt aus erfolgen, bei dem subjektive Interessen keine
Rolle spielen, und zum anderen, daß die erworbenen Meinungen konsistent
sind. 9 Das Resultat der Aufklärung bzw. der Inhalt der aufgeklärten Meinun­
gen wird bei Kant nicht näher beschrieben. Aufgrund seiner Ausführungen
lassen sich jedoch einige Merkmale zusammenstellen: a) Aufgeklärte Mei­
nungen sind stets von negativer, kritischer Natur in Absetzung von einer tra­
dierten Ideenvormundschaft. lO b) Trivialer Verstandesgebrauch, z. B. der
selbständige Verstandesgebrauch beim Lernen oder Lehren des kleinen Ein­
maleins gilt nicht als Aufklärung. c) Auch führt der Verzicht auf selbständi­
gen Verstandesgebrauch nicht immer zu Meinungen, die die Bezeichnung
"unaufgeklärt" verdienen, z. B. wenn ich meine Steuererklärung von einem
Steuerberater ausfertigen lasse. ll Die Punkte bund c besagen, daß sich der
Prozeß der Aufklärung nur auf relevante Meinungen bezieht.
Der Begriff Aufklärung wird zum einen benutzt, um das 18. Jahrhundert als
Epoche zu charakterisieren. Neben diesem historischen Begriff gibt es auch
einen systematischen Begriff der Aufklärung. Um die Frage zu beantworten,
was wir unter dem systematischen Begriff der Aufklärung verstehen, liegt es
nahe, sich die Definition des berühmtesten philosophischen Aufklärers,
Immanuel Kant, als Ausgangspunkt zu wählen:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Un­
mündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Lei­
tung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn
die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Ent­
scWießung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu be­
dienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist
also der WaWspruch der Aufklärung. 4
Wenn Unmündigkeit als ein Unvennögen definiert wird, so stellt sich die
Frage, in welchem Sinne dies selbstverschuldet sein kann: Eine Person ver­
liert zum Beispiel selbstverschuldet die Fähigkeit, Auto zu fahren, wenn sie
sich bewußt betrinkt. Da jedoch die Fähigkeit, sich seines eigenen Verstan­
des zu bedienen, gemäß Kant nicht vom Verlorengehen bedroht, sondern of­
fenbar noch gar nicht ausgebildet ist, macht der Begriff der Selbstverschul­
dung in diesem Zusammenhang keinen Sinn. Sinnvoll ist er, wenn man den
Begriff der Unmündigkeit durch den Begriff der Vonnundschaft ersetzt. 5 Vor­
mundschaft ist eine Relation zwischen Herrscher und Beherrschtem. Selbst­
verschuldet ist die Vormundschaft gemäß der Definition Kants dann, wenn
man sich z. B. aus Bequemlichkeit auf diese e~elassen hat. In diesem Zu­
sammenhang ist das Adjektiv "selbstverschuldet ' zwar sinnvoll, aber doch
anmassend und unzutreffend, denn die Vonnundschaft ist eine Relation, in
der sich die meisten Menschen des 18. Jahrhunderts von Geburt an vorfan­
den und der sie sich bei den etablierten Machtverhältnissen kaum entziehen
konnten. Adäquater wäre es demnach, von einem Überwinden der traditionell
etablierten Vormundschaft zu sprechen. Kant ist jedoch - ohne moralischen
Vorwurf - wie die meisten Vertreter der Aufklärung kein Verfechter der Re­
volution, sondern vielmehr ein Verteidiger des gesellschaftlichen Status quo. 6
Es geht ihm dabei allerdings nicht um die politischen Machtverhältnisse, son­
4
5
6
Kant, "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?", S. 9.
Auf diese ungünstige Wortwahl hat schon Johann Georg Harnann hingewiesen: J. G. Harnann:
"Brief an Christian Jacob Kraus", S. 18-21.
Um die Stabilität des Staatswesens nicht durch die Ideenfreiheit zu gefährden, unterscheidet
Kant zwischen dem öffentlichen und dem privaten Verstandesgebrauch. Der öffentliche Ge­
brauch ist der Verstandesgebrauch durch die Gelehrten. Er sollte uneingeschränkte Freiheit ge­
nießen. Dagegen ist alles andere privater Gebrauch, insbesondere der Verstandesgebrauch im
Rahmen einer gesellschaftlichen Rolle, z. B. als Lehrer, als Priester, als Richter, als Soldat etc.
Der private Verstandesgebrauch hat sich gemäß Kant den Anforderungen, die mit dem Einneh­
men einer gesellschaftlichen Rolle verbunden sind, untenuordnen. I. Kani: "Beantwortung der
27
Frage: Was ist Aufklärung?", S. 11-13. Mit dieser Einstellung bleibt Kant trotz manch progres­
siver Ideen, z. B. in "Zum ewigen Frieden" und in "Ideen zu einer allgemeinen Geschichte"
den revolutionären Forderungen seiner Zeit relativ fern.
7 Bittner zeigt an mehreren Beispielen auf, daß die intellektuelle Kritik der philosophischen Aufklä­
rer im 18. Jahrhundert vor allem gegen theologische Thesen gerichtet war. (Bittner, "What is
enlightenrnent?", S. 349-351.) Demgemäß bezeichnet Bittner Aufklärung als eine Einsicht, der ZU"
folge das scheinbar Erhabene in Wahrheit etwas Alltägliches ist: "it attempts to show timt what see­
med high is only a particular instance ofwhat is low." (Bittner, "What is enlightenrnent?", S. 351.)
8 Kant, Kritik der Urteilskraft, §40, B159.
9 Kant, Kritik der Urteilskraft, §40, B 159, 160.
10 Kant spricht von dem "bloß Negativen. welches die eigentliche Aufklärung ausmacht". Kant,
Kritik der Urteilskraft, §40, B 159, Anmerkung. Dabei meint er die Kritik an allen Formen des
Vernunftmißbrauchs aufgrund von Spekulationen, die das menschliche Erkenntnisvermögen
übersteigen.
11 In einer komplexen, arbeitsteilig organisierten Gesellschaft ist es Ausdruck des eigenständigen
Verstandesgebrauchs, wenn man manche Dinge, die andere besser können, diesen überträgt.
VergI.: Bittner, "What is enlightenment?", S. 347.
Albert Newen
Logische Analyse und der philosophische Begriff der Aufklärung
Da "relevant" ein relativer Begriff ist, gibt es entsprechend viele Auf­
klärungsbegriffe: Meinungen, die politisch bzw. wirtschaftlich relevant sind,
sind das Ergebnis politischer bzw. wirtschaftlicher Aufklärung. Meinungen,
die philosophisch relevant sind, sind das Objekt philosophischer Aufklärung.
Trotz der Vielfalt des philosophischen Arbeitens gehören sicherlich die Dis­
ziplinen Logik, Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie zu den Kemdiszi­
plinen der Philosophie. Demgemäß sind philosophisch relevante Thesen bei- .
spielsweise Thesen über die Möglichkeiten und Grenzen des Argumentierens
(z. B. Aristotelische Syllogistik, Freges Logik), des Erkennens (z. B. die neu­
zeitliche Erkenntnistheorien von Descartes bis Kant) und des sinnvollen Re­
dens (Wittgenstein, Quine, Davidson). Um philosophische Aufklärung zu
charakterisieren, genügt es jedoch nicht, nur das Resultat des eigenständigen
Vernunftgebrauches als philosophisch relevant auszuweisen, sondern darüber
hinaus muß der Prozeß selbst so qualifiziert werden, daß er den Standards
wissenschaftlich-philosophischen Argumentierens genügt. Philosophisches
Argumentieren und Interpretieren soll hier charakteristisch - wenn auch ver­
kürzend - mit dem Schlagwort ,Jogische Analyse" bezeichnet werden. Dabei
ist die Methode der logischen Analyse nur idealtypisch charakterisiert, wenn
man sie - wie hier geschehen - mittels der Analyse von Begriffen und der
rationalen Rekonstruktion von Thesen erläutert. In einem weiteren Sinne von
logischer Analyse gibt es vielfältige Formen des fruchtbaren Umgangs mit
klassischen Texten, von denen ich nur einige skizzieren möchte: Klassische
Texte enthalten oftmals prägnante Problemstellungen, ohne daß Lösungen
erkennbar sind. Dann besteht die Herausforderung in der Entwicklung neuer
Problemlösungen mit modernen methodischen Mitteln. Sodann finden wir in
klassischen Texten manchmal widersprüchliche Aussagen, ohne daß es an­
gemessen ist, dem Autor offensichtlich widersprüchliche Überzeugungen zu­
zuschreiben. Eine Interpretation ist beispielsweise dann weiterführend im
Sinne einer logischen Analyse, wenn mit ihr ein Modell angegeben werden
kann, in dem diese scheinbar widersprüchlichen Aussagen zugleich wahr
sind. Damit sind die Möglichkeiten des Vemunftgebrauchs im Umgang mit
klassischen Texten nur angedeutet. Auch mit Vernunftgebrauch entwickelte
philosophisch relevante Thesen sind nur so gut wie die Argumente, die zu
ihrer Unterstützung entwickelt werden. Philosophische Aufklärung ist somit
selbständiger Verstandesgebrauch zur Entwicklung philosophisch relevanter
Positionen, wobei sich der Prozeß methodisch an den Standards der wissen­
schaftlichen Philosophie orientiert.
griffsanalyse werden einzelne philosophische Positionen präzisiert und mittels
der rationalen Rekonstruktion wird dann eine philosophisch relevante Theorie
systematisch aufgearbeitet und klar dargestellt. Auf dieser Basis lassen sich
neue Argumente zur Verteidigung bzw. Kritik der klassischen Position ent­
wickeln, und es wird eine adäquate Einordnung in die Philosophiegeschichte
möglich, die oft genug zu einer Neubewertung eines Autors führt. Nicht zu­
letzt ermöglicht oftmals erst die systematische Rekonstruktion einer klassi­
schen Theorie (zum Teil mit formalen Mitteln) einen Vergleich mit anderen
systematischen Positionen: Dadurch kann die klassische Position aus der Sicht
moderner systematischer Thesen kritisch betrachtet und in ein neues Licht
gerückt werden. Schließlich lassen sich durch den Vergleich verschiedener ra­
tional rekonstruierter, klassischer Positionen untereinander, die Grundlinien
des philosophischen Fortschritts klarer erkennen und nachzeichnen.
Diese Form des Arbeitens, bei der die Methodik der Analytischen Philo­
sophie für philosophiegeschichtliche Untersuchungen fruchtbar gemacht
wird, ist vereinzelt schon in den sechziger Jahren praktiziert worden. Ein
.gutes Beispiel ist Strawsons Kommentar zu Kants Kritik der reinen Ver­
nunft.J 2 In den letzten Jahren hat sich diese Form des Umgehens mit der Phi­
losophiegeschichte immer stärker durchgesetzt, und sie soll mit dieser Zeit­
schrift zum Programm werden.
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4 Philosophiegeschichte und Philosophische Aufklärung
Was heißt es, philosophische Aufklärung im Umgang mit philosophiege­
schichtlichen Themen zu realisieren? Damit ist nicht vorrangig die Entwick­
lung systematischer Thesen in der Philosophie gemeint, sondern das Klären
von philosophiegeschichtlich relevanten Positionen. Dies kann durch die be-.
schriebene Methode der logischen Analyse erreicht werden, d. h. mittels Be-
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Literatur
Ehrhard Bahr: Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, Stuttgart 1974.
Peter Bieri (Hrsg.): Analytische Philosophie der Erkenntnis, Frankfurt 21992.
Rüdiger Bittner, "What is enlightenment?", in: What is enlightenment?, hrsg. von Ja­
mes Scbmidt.
J. G. Hamann: "Brief an Christian Jacob Kraus", in: Was ist Aufklärung? Thesen und
Definitionen, hrsg. von Ehrhard Bahr, Stuttgart 1974.
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Darmstadt 51983 (B-Auflage 1793).
Immanuel Kant: "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?", in: Was ist Auf­
klärung? Thesen und Definitionen, hrsg. von Ehrhard Bahr, Stuttgart 1974.
Wolfgang Künne: "George Edward Moore. Was ist Begriffsanalyse?", in: Philosophen
des 20. Jahrhunderts. Eine Einführung, hrsg. von Margot Fleischer, Darmstadt
31992.
Albert Newen, Eike von Savigny: Analytische Philosophie. Eine Einführung, Mün­
chen 1996.
James Scbmidt (Hrsg.): What is enlightenment? Eighteenth century answers and
twentieth century questions, Berkeley 1996.
Peter F. Strawson: The bounds of sense, dt. Übers.: Die Grenzen des Sinns. Ein Kom­
mentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft, Frankfurt 1981.
12
Peter F. Strawson: The bounds 01 sense, dt. Übers.: Die Grenzen des Sinns.
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