Juli 2012 Überstunden / Mehrarbeit ohne Entgelt oder

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Mitbestimmungsförderung
Gutachten | Juli 2012
Inhalt
Ingrid Heinlein
Inhaltsverzeichnis................. 2
Überstunden / Mehrarbeit ohne
Entgelt oder Freizeitausgleich
Einleitung.............................. 3
Dichotomie des Arbeitszeitbegriffs...................................... 7
AGB-Kontrolle von Überstundenpauschalierungsklauseln
............................................ 16
Erreichbarkeit per E-Mail oder
Telefonanruf „nach Feierabend" ................................ 23
Europarechtswidrige Mehrarbeit................................... 29
Verfall von Arbeitszeitguthaben in Betriebsvereinbarungen...................................... 45
Darlegungs- und Beweislast im
Überstundenvergütungsprozess ............................... 50
Auf einen Blick …
 Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leisten regelmäßig
Überstunden, ohne dass sie hierfür eine Vergütung erhalten.
Dieses Praxisblatt greift die verschiedenen Varianten und
Aspekte unbezahlter Mehrarbeit auf und legt dar, wo die
rechtlichen Grenzen dessen liegen, was der Arbeitgeber an
unbezahlten Überstunden verlangen kann.
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
3
2
Dichotomie des Arbeitszeitbegriffs
7
2.1
Überarbeit und Mehrarbeit, Überstunden und Mehrarbeitsstunden 8
2.2
Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft
2.3
Umkleide- und Wegezeiten im Betrieb
12
2.4
Beifahrerzeiten
14
3
AGB-Kontrolle von Überstundenpauschalierungsklauseln
16
3.1
Transparenzkontrolle
17
3.2
Angemessenheitskontrolle
19
3.3
Rechtsfolgen bei unwirksamen
9
Überstundenpauschalierungsklauseln
21
Erreichbarkeit per E-Mail oder Telefonanruf
„nach Feierabend“
23
4.1
Erwartungen eines Arbeitgebers
24
4.2
Vergütung der „always-on-Dienste“
26
5
Europarechtswidrige Mehrarbeit
29
5.1
Dienstbefreiung oder Mehrarbeitsvergütung für Beamte bei
4
Überschreitungen der europarechtlich zulässigen
Höchstarbeitszeit
5.2
31
Kein Ausgleich für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst bei
europarechtswidriger Arbeitszeit?
33
5.3
Klärungsbedarf für Opt-out-Regelungen
35
5.4
Arbeitnehmer im häuslicher Gemeinschaft mit ihnen zur Pflege
anvertrauten Personen
39
6
Verfall von Arbeitszeitguthaben in Betriebsvereinbarungen 45
6.1
Abweichende tarifvertragliche Regelung
46
6.2
Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen
47
7
Darlegungs- und Beweislast im
Überstundenvergütungsprozess
50
7.1
Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung des BAG
51
7.2
Verteilung der Darlegungslast bei Vertrauensarbeitszeit
53
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1 | Einleitung
Wer in der Arbeitsgerichtsbarkeit tätig ist, weiß, dass viele
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Überstunden leisten, für
die sie keine Vergütung erhalten. Selten wird eine Klage erhoben,
solange das Arbeitsverhältnis besteht. Ist es beendet, scheitern
Zahlungsansprüche oft an Ausschlussfristen oder daran, dass die
Einzelheiten über Beginn und Ende der regulären Arbeitszeit und
der Überstunden nicht mehr erinnerlich sind.
Welche Dimension das Thema “unbezahlte Überstunden” hat,
zeigt eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle
(IWH), die zu dem Ergebnis gelangt ist, dass in Deutschland im
Jahr 2010 mehr unbezahlte als bezahlte Überstunden geleistet
wurden 1. Im Jahresdurchschnitt entfielen danach auf jeden
Arbeitnehmer 38,1 nicht bezahlte Überstunden 2.
In Allgemeinen weitet sich die Weigerung des Arbeit- oder
Dienstgebers, Überstunden zu bezahlen, nicht zu einer Affäre aus,
wie es Anfang 2013 in Düsseldorf geschehen ist. Hier verlangten
Beamte der Berufsfeuerwehr die Bezahlung von Überstunden, die
sie in den Jahren 2001 bis 2005 geleistet hatten. Die Stadt Düsseldorf berief sich auf Verjährung. Daraufhin ließ ein Hauptbrandmeister seinen Zorn über den Oberbürgermeister Elbers im
Netzwerk Facebook freien Lauf. Seine Botschaft lautete: “Erst
wenn der eigene Bürostuhl brennt, wird Herr Elbers erkennen,
dass man mit Infopavillons keine Brände löscht”. Einige Kollegen
bewerteten den Kommentar mit “Gefällt mir”. Der Oberbürgermeister reagierte mit einer Suspendierung der Feuerwehrleute und
löste damit einen Proteststurm aus 3. Kurz darauf nahm er die Suspendierungen nach einem “Männergespräch” 4 zurück 5.
1
Brautzsch, Drechsel, Schultz, Unbezahlte Überstunden in Deutschland, Wirtschaft im Wandel, Jg. 18 (10), 2012, S. 308 ff (311)
2
A.a.O. (Fn. 1), S. 311
3
NRZ Düsseldorf vom 5.2.2013
4
So der Sprecher der Feuerwehrleute Michael Pohl, vgl. NRZ Düsseldorf vom 9.2.2013
5
A.a.O. (Fn. 4)
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3
Den Spott konnte er sich nicht ersparen. Im Düsseldorfer Rosenmontagszug erschien der Oberbürgermeister in Pappmaché auf
einem Wagen als König Elbers, der einem vor ihm knienden,
“Gnade, Majestät” bettelnden Feuerwehrmann mit dem nach oben
gerichteten Facebook-Daumen antwortet: “Gefällt mir” 6.
Der Streit um die Bezahlung der Überstunden geht auf die Urteile
“SIMAP“ und “Jaeger” des EuGH 7 und nachfolgende Urteile der
Verwaltungsgerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht 8 zurück. Mit den Urteilen “SIMAP“ und “Jaeger“ hat der EuGH zu
Beginn des Jahrtausends entschieden, dass Bereitschaftsdienste
Arbeitszeit im Sinne der europäischen Richtlinie 93/104/EG über
bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind.
Daraufhin waren Klagen von Feuerwehrbeamten, mit denen sie
Dienstbefreiung oder eine Vergütung für die Zeit ihres Einsatzes
über die höchstzulässige Arbeitszeit hinaus verlangten, letztinstanzlich beim Bundesverwaltungsgericht erfolgreich. Für Ansprüche entsprechender Arbeitnehmer hat das BAG keine Anspruchsgrundlage gesehen. Hierauf wird in Kapitel IV ausführlich
eingegangen.
Die für die IWH-Studie verantwortlichen Arbeitsmarktforscher
haben ihre Ergebnisse auf der Basis des Sozio- ökonomischen
Panels (SOEP) ermittelt, einer repräsentativen Befragung von
Mitgliedern privater Haushalte, die jährlich u. a. danach gefragt
werden, ob und ggf. wie viele Überstunden sie im letzten Monat
geleistet haben, und ob die Überstunden in der Regel abgefeiert
oder bezahlt oder gar nicht abgegolten werden 9. Zu den unbezahlten Überstunden rechneten die Forscher nicht nur die Überstunden, für die kein Entgelt gezahlt wurde, sondern auch die nicht
durch Freizeitausgleich abgegoltenen Überstunden 10. Die zunehmende Verbreitung von variablen Arbeitszeitmodellen kann somit
nicht der Grund für die hohe Anzahl nicht ausgeglichener Überstunden sein.
6
WAZ-Online vom 11.2.2013, www. derwesten.de/Städte/duesseldorf
Kapitel IV Fn. 1 und 2
8
Kapitel IV Fn. 7
9
A.a.O. (Fn. 1), S. 311
10
A.a.O. (Fn. 1), S. 310
7
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4
Eine einheitliche Erklärung dafür gibt es nicht. Hinter den globalen Angaben verbergen sich große strukturelle Unterschiede 11.
Insbesondere sagt die Studie nichts dazu aus, ob der Arbeitgeber
verpflichtet war, die Überstunden zu bezahlen. In vielen Fällen
wird es zwar eindeutig sein, dass Überstunden geleistet wurden,
die zu vergüten waren. In anderen Fällen ist die Frage, ob ein
Vergütungsanspruch für eine Dienstleistung besteht, sehr schwierig zu beantworten. Mit einigen der Probleme und Zweifelsfragen
und den Antworten in der Rechtsprechung des BAG beschäftigt
sich dieses arbeitsrechtliche Gutachten.
Kapitel I behandelt die Dichotomie des Arbeitszeitbegriffs, die
darauf beruht, dass das Arbeitszeitgesetz öffentlich-rechtliche
Vorschriften über Höchstarbeitszeiten enthält, während in
Arbeitsverträgen und Tarifverträgen die schuldrechtliche Arbeitsverpflichtung und die Vergütung für die Arbeitsleistung geregelt
wird. Daraus ergeben sich besonders bei Dienstleistungen Folgeprobleme, die wie Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft oder Reisezeiten keine Vollarbeit sind. Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen mit sehr langen Arbeitszeiten leisten häufig zusätzlich zu ihrer “eigentlichen” Arbeit derartige Dienste.
Die AGB-Kontrolle von Überstundenpauschalierungsabreden ist
Thema von Kapitel II. Diese Klauseln sind in den Bereichen, in
denen Tarifverträge keine oder nur ergänzend Anwendung finden,
weit verbreitet. In ihnen ist geregelt, dass Überstunden nicht vergütet werden, sondern mit der vereinbarten Vergütung abgegolten
sind. Bei den Überstunden, die wegen der Vereinbarung einer
Pauschalierungsklausel nicht vergütet werden, handelt es sich
daher nicht um unbezahlte, sondern um nicht gesondert bezahlte
Arbeitsstunden. Ob die Vergütung für die Überstunden angemessen ist, hängt von deren Umfang und der Höhe der Gesamtvergütung ab.
In Kapitel III. wird untersucht, ob Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die “nach Feierabend” per E-Mail, Telefonanruf oder
SMS erreichbar sind, Anspruch auf eine Überstundenvergütung
haben. Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes wird eine
besonders hohe Zahl an Überstunden von den Beschäftigten in
den Berufsgruppen “Büroberufe, Kaufmännische Angestellte”,
den “Berufen des Landverkehrs”, den “Berufen in der Unterneh11
A.a.O. (Fn. 1), S. 312
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5
mensleitung, -beratung und -prüfung” sowie von “Ingenieuren/innen” erbracht 12. Mit Ausnahme der Kraftfahrer sind dies die
Berufsgruppen, in denen sich “Feierabendkommunikation” ausgebreitet hat. Die Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensqualität der Beschäftigten werden inzwischen vielfach diskutiert; Betriebsvereinbarungen in einigen großen Unternehmen
sehen das Abschalten des E-Mail-Eingangs auf DienstSmartphones oder andere Maßnahmen vor 13. Kaum thematisiert
wird dagegen die Bezahlung dieser Leistungen.
Kapitel IV beschäftigt sich mit einigen Fragen zur Umsetzung der
Richtlinie 2003/88/EG und der vor ihrem Inkrafttreten geltenden
Richtlinie 93/104/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in das nationale Recht, unter ihnen die Zulassung des
Opt-out durch Tarifverträge und kirchliche Regelungen und die
Herausnahme bestimmter Gruppen von Pflegerinnen und Pflegern
aus dem Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes. Geprüft
wird ferner, ob eine unzureichende Umsetzung zu Ansprüchen
auf eine Überstunden- bzw. Mehrarbeitsvergütung führen kann.
Probleme des Verfalls von Ansprüchen auf Freizeitausgleich oder
Bezahlung geleisteter Überstunden werden in Kapitel V behandelt. Hier geht es nicht um tarifvertragliche und einzelvertragliche
Ausschlussfristen sondern um Klauseln in Betriebsvereinbarungen, die bestimmen, dass Arbeitszeitguthaben bis zu einem bestimmten Zeitpunkt “abgefeiert” werden müssen und nach Ablauf
dieser Frist weder ein Freizeitausgleich noch Bezahlung verlangt
werden kann.
Fragen der Rechtsdurchsetzung im Überstundenvergütungsprozess, insbesondere neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung
des BAG zur Darlegungs- und Beweislast und die Verteilung der
Darlegungslast zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Fall
von Vertrauensarbeitszeit, bilden den Schluss des Gutachtens
(Kapitel VI).
12
Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE - Bundestagsdrucksache
17/12273, S. 5
13
Vgl. nur „Süddeutsche Zeitung“ vom 3.12.202 „Out of Office“
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2 | Dichotomie des Arbeitsbegriffs
Überarbeit und Mehrarbeit sind per definitionem Zusatzleistungen. Mit den Begriffen “Überstunden” und “Mehrarbeitsstunden”
wird die Zeitspanne bezeichnet, innerhalb derer diese Zusatzleistungen erbracht werden. Voraussetzung für die Leistung von
Überarbeit oder Mehrarbeit, Überstunden oder Mehrarbeitsstunden ist, dass der Arbeitnehmer zunächst innerhalb einer bestimmten Arbeitszeit gearbeitet hat. Daran schließen sich die Zusatzdienste an. Grundlegend für die Frage, ob Überstunden vergütet
werden müssen, sind daher die Begriffe “Arbeit” und “Arbeitszeit”.
Die Dauer der Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung wird in
Tarifverträgen und Arbeitsverträgen vereinbart. Davon zu trennen
sind die arbeitsschutzrechtlichen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes und der europäischen Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Das Arbeitszeitgesetz
und die Richtlinie 2003/88/EG enthalten Mindestvorschriften für
die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung 14. Zweck des Arbeitszeitgesetzes ist es darüber hinaus,
die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern
sowie den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als
Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung der Arbeitnehmer zu schützen 15.
Demgegenüber ist die in Tarifverträgen und Arbeitsverträgen vereinbarte Dauer der Arbeitszeit und Höhe der Vergütung das Ergebnis von Tarifverhandlungen, ggf. Arbeitskämpfen, Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder auch einseitiger Festlegung durch den Arbeitgeber. Dies hat es nicht nur mit
sich gebracht, dass sich die tarifvertraglich und einzelvertraglich
vereinbarten Arbeitszeiten abweichend von den gesetzlichen
Höchstarbeitszeiten entwickelt haben. Wegen der unterschiedlichen Zwecke beider Rechtskreise können vielmehr auch die Begriffe “Arbeit” und “Arbeitszeit” in den arbeitszeitschutzrechtli-
14
15
§ 1 Nr. 1 1. Hs ArbZG; Art. 1 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG
§ 1 Nr. 1 2. Hs, Nr. 2 ArbZG
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chen und den arbeitsvertragsrechtlichen Regelungen eine unterschiedliche Bedeutung haben.
Die beiden Rechtskreise stehen aber auch nicht zusammenhanglos
nebeneinander. Vor allem, wenn Vollarbeit geleistet wird, überlagern sie sich regelmäßig. Etwas anderes kann insbesondere für
Dienste gelten, die nicht Vollarbeit sind, wie etwa für Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft oder Reisezeiten.
Die Dichotomie des Arbeitszeitbegriffs setzt sich fort bei der Frage, ob Überarbeit oder Mehrarbeit geleistet wurde. Präziser ist es
im Übrigen, wenn von den arbeitszeitschutzrechtlichen und den
arbeitsvertragsrechtlichen Arbeitszeitbegriffen gesprochen wird.
So kann es vom Arbeitszeitbegriff in § 2 Abs. 1 ArbZG abweichende arbeitszeitschutzrechtliche Begriffe in anderen Gesetzen
geben. In Betracht kommt auch, dass der Begriff der Arbeitszeit
in der Richtlinie 2003/88/EG nicht mit dem im Arbeitszeitgesetz
übereinstimmt 16. Die in Tarifverträgen und Arbeitsverträgen verwandten Arbeitszeitbegriffe können sich ebenfalls unterscheiden.
Überarbeit und Mehrarbeit, Überstunden und Mehrarbeitsstunden
Die Trennung zwischen Arbeitszeitschutz und Arbeitsvertrag
spiegelt sich wieder in der Definition der Begriffe “Überarbeit”
und “Mehrarbeit” bzw. “Überstunden” und “Mehrarbeitsstunden”. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird Mehrarbeit
dem Arbeitszeitgesetz und Überarbeit den arbeitsvertraglichen
oder tarifvertraglichen Vereinbarungen zugeordnet. Danach wird
unter Überarbeit die Arbeit verstanden, die der Arbeitnehmer
nach Ablauf der arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen, regelmäßigen Arbeitszeit leistet, und unter Mehrarbeit die Arbeit,
die der Arbeitnehmer leistet, wenn die gesetzliche Höchstarbeitszeit überschritten ist 17. Die Definition für den Begriff “Mehrarbeit” geht auf die vor Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes geltende Arbeitszeitordnung zurück, in der der Begriff für die von
16
Vgl. Kapitel IV zur unterschiedlichen Bewertung von Bereitschaftsdiensten als Arbeitzeit in der Richtlinie 93/104/EG und im Arbeitszeitgesetz bis zu dessen Änderung durch das Gesetz zu Reformen am
Arbeitsmarkt, das am 1.1.2004 in Kraft getreten ist
17
Preis ErfK, 13. Aufl., § 611 BGB Rn. 468
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8
der Höchstarbeitszeit zugelassenen Ausnahmen verwendet wurde 18. Das Arbeitszeitgesetz enthält den Begriff “Mehrarbeit” nicht
mehr, wohl aber § 8 MuSchG und § 124 SGB IX.
In der Alltagssprache, aber auch in Arbeitsverträgen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen ist dagegen häufig von Mehrarbeit die Rede, wenn die Überschreitung der vereinbarten, regelmäßigen Arbeitszeit gemeint ist. Z.B. bestimmt § 5 Nr. 1 des
Einheitlichen Manteltarifvertrages für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie des Landes NRW (EMTV),
dass Mehrarbeit die über die individuelle, regelmäßige tägliche
Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden sind. Wiederum
anders definieren die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst
den Begriff “Mehrarbeit” als die Arbeitsstunden, die Teilzeitbeschäftigte über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit bis zur
regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten leisten, während
Überstunden die Arbeitsstunden sind, die über die regelmäßige
Arbeitszeit von Vollbeschäftigten hinausgehen 19.
Dies zeigt, dass der Sprachgebrauch nicht einheitlich ist. In welcher Bedeutung die Begriffe verwendet werden, ist durch Auslegung der jeweiligen Regelung zu ermitteln.
Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft
Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 a) ArbZG kann in einem Tarifvertrag oder
auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung abweichend von § 3 ArbZG die Arbeitszeit über zehn
Stunden werktäglich verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit
regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder
Bereitschaftsdienst fällt. Der in § 3 S. 2 ArbZG vorgeschriebene
Ausgleich für die Arbeitszeit, die die werktägliche Arbeitszeit
von acht Stunden nach § 3 S. 1 ArbZG überschreitet, ist in diesem
Fall notwendig, jedoch kann nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 b) ArbZG ein
anderer Ausgleichszeitraum festgelegt werden 20.
18
§§ 6, 15 Abs. 1 AZO
§ 7 Abs. 6 und 7 TV-L und § 7 Abs. 6 und 7 TVöD-V(VKA)
20
§ 7 Abs. 8 S.1 ArbZG: Höchstgrenze 12 Kalendermonate
19
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9
Darüber hinaus besteht nach § 7 Abs. 2 a ArbZG die Möglichkeit
der Verlängerung durch Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung auch ohne
Ausgleich, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt
und durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die
Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. Zusätzlich ist
die schriftliche Einwilligung des Arbeitnehmers erforderlich, die
er innerhalb einer Frist von sechs Monaten widerrufen kann.
Wenn er nicht zustimmt oder seine Einverständniserklärung widerruft, darf der Arbeitgeber ihn nicht benachteiligen 21. Nach § 7
Abs. 3 ArbZG kann auch ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber
derartige tarifvertragliche Regelungen übernehmen. Falls ein Betriebs- oder Personalrat besteht, ist der Abschluss einer Betriebsbzw. Dienstvereinbarung erforderlich, andernfalls eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer.
Den Begriff “Arbeitsbereitschaft” definiert das BAG als die “Zeit
wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung” 22. “Bereitschaftsdienst” liegt nach seiner Rechtsprechung vor, wenn sich
ein Arbeitnehmer für Zwecke des Betriebes an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes
aufzuhalten hat, damit er erforderlichenfalls seine volle Arbeitstätigkeit unverzüglich aufnehmen kann, ohne dass von ihm wache
Aufmerksamkeit gefordert wird 23.
Bis zum 31.12.2003 galten Bereitschaftsdienste nicht als Arbeitszeit im Sinne von § 2 ArbZG. Nachdem der EuGH in den Urteilen “SIMAP” und “Jaeger” entschieden hatte, dass Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 93/104/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind, wurde u.a. § 7
ArbZG durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt, das am
1.1.2004 in Kraft getreten ist, umfassend umgestaltet 24.
21
§ 7 Abs. 7 ArbZG
Vgl. z.B. Urteil vom 9.3.2005 - 5 AZR 385/02, Rn. 27, juris
23
Vgl. z.B. Urteil vom 28.1.2004 - 5 AZR 530/02, Rn. 33, juris
24
Weitere Einzelheiten in Kapitel IV
22
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10
Beide Verfahren vor dem EuGH betrafen ärztliche Bereitschaftsdienste in Krankenhäusern. Fragen zur Arbeitsbereitschaft waren
Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens “Pfeiffer”, dem
Klagen von Rettungssanitätern des Deutschen Roten Kreuzes zugrunde lagen 25. Der Krankenhausbereich und sonstige Gesundheitseinrichtungen sind die Bereiche, in denen Arbeitsbereitschaft
und Bereitschaftsdienste verbreitet und üblich sind. Ob und in
welchem Umfang diese Dienste geleistet werden müssen und wie
sie zu vergüten sind, wird hier traditionell - zumindest für den
öffentlichen Dienst - durch Tarifverträge geregelt. Schon der
BAT enthielt detaillierte Regelungen über Bereitschaftsdienste 26.
Die ihn ersetzenden Tarifverträge für den öffentlichen Dienst der
Länder (TV-L) sowie den Bund und die Kommunen (TVöD) haben von der Möglichkeit der Verlängerung der Höchstarbeitzeit
nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 2 a ArbZG Gebrauch gemacht 27. Auch regeln sie umfassend, unter welchen Voraussetzungen und in welchem zeitlichen Umfang und zu welcher Vergütung Bereitschaftszeiten und Bereitschaftsdienste zu leisten
sind 28.
Dabei werden Bereitschaftszeiten und Bereitschaftsdienste weder
wie “normale” Arbeit noch wie “Nicht-Arbeit” behandelt. Bereitschaftszeiten sind definiert als Zeiten, die innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit anfallen. Sie werden zur Hälfte als tarifliche
Arbeitszeit gewertet (faktorisiert) 29. Bereitschaftsdienste leisten
Beschäftigte, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb
der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen.
Die Dienste werden zur Berechnung des Entgelts als Arbeitszeit
faktorisiert, wobei z.B. für die nichtärztlichen Beschäftigten in
Universitätskliniken und Krankenhäusern vier Stufen gebildet
sind, die darauf abstellen, in welchem Umfang während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß Arbeitsleistungen anfallen 30.
25
EuGH 9.3.2004 - C-397/01bis C-403/01, juris
§ 15 BAT und Sonderregelungen
27
Z.B. § 43 Nr. 4 (§ 7 Abs. 9-11) TV-L, § 7 Abs. 1-5 TVöD-K
28
§ 7 TV-L und TVöD
29
§ 9 Abs. 4 TV-L und § 9 Abs. 4 TVöD
30
§ 43 Nr. 5 (§ 8 Abs. 6) TV-L, § 8.1. TVöD
26
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Bereitschaftsdienste und Bereitschaftsdienstentgelt können unter
bestimmten Voraussetzungen in Freizeit abgegolten werden 31.
Rufbereitschaft ist keine Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1
ArbZG. Das ergibt sich aus § 5 Abs. 3 ArbZG, der bestimmt, dass
u.a. in Krankenhäusern Kürzungen der Ruhezeit durch Inanspruchnahmen während der Rufbereitschaft zu anderen Zeiten
ausgeglichen werden können. Wäre Rufbereitschaft selbst
Arbeitszeit und bei der Höchstarbeitzeit zu berücksichtigen,
müsste sie ebenfalls ausgeglichen werden 32.
Auch die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst behandeln
Rufbereitschaft nicht als Arbeitszeit. Nach § 7 Abs. 4 S. 1 TV-L
und § 7 Abs. 4 S. 1 TVöD leisten Beschäftigte Rufbereitschaft,
wenn sie sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden
Stelle aufhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Hierfür
wird ihnen nach § 8 Abs. 5 TV-L und § 8 Abs. 5 TVöD eine tägliche Pauschale und im Fall eines Einsatzes außerhalb des Aufenthaltsortes das Entgelt für Überstunden gezahlt.
In der Rechtsprechung des BAG spielen andere Wirtschaftsbereiche, in denen Arbeitnehmer Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaft leisten, im Vergleich zum öffentlichen Dienst nur eine geringe Rolle. Ungeklärte Rechtsfragen stellen sich vor allem, wenn für das Arbeitsverhältnis nicht geregelt
ist, ob diese Dienste als vertraglich geschuldete Arbeitsleistung
anzusehen und wie sie zu vergüten sind. Zwei Urteile des 5. Senats des BAG aus neuerer Zeit zu Umkleide- und Wegezeiten
sowie Reisezeiten sind insofern richtungweisend.
Umkleide- und Wegezeiten im Betrieb
Mit Urteil vom 19.09.2012 hat der Senat entschieden, dass Umkleidezeiten und durch das Umkleiden veranlasste innerbetriebliche Wegezeiten im Anwendungsbereich des TV-L Arbeitszeit
und zu vergüten sind, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb
31
32
§ 8Abs. 6 TV-L, § 8.1 Abs.7- 9 TVöD
Wank ErfK 13. Aufl. § 2 ArbZG Rn. 30
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erfolgen muss 33. In einer Universitätsklinik war angeordnet, dass
außerhalb der Dienstzeiten in einer Umkleidestelle im Betrieb
Dienstkleidung angelegt werden muss. Die Klägerin, eine Krankenschwester, wollte in dem Rechtsstreit festgestellt wissen, dass
die Umkleidezeiten und die anschließenden Wegezeiten vergütungspflichtige Arbeitszeit sind und machte Ansprüche auf eine
Überstundenvergütung für die Vergangenheit geltend. Arbeitsvertraglich vereinbart war, dass auf das Arbeitsverhältnis der TV-L
Anwendung findet.
Dieser enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, ob Umkleide- und Wegezeiten im Betrieb zur tarifvertraglichen Arbeitszeit
rechnen. Die Lösung, dass es sich um Arbeitszeit im Sinne des
TV-L handelt, entnimmt der Senat § 2 ArbZG, denn, so seine
Argumentation, die Tarifvertragsparteien hätten den Begriff
“Arbeitszeit” in der Bedeutung des Arbeitszeitgesetzes verwenden wollen, was daraus zu schließen sei, dass sie von den Möglichkeiten der Verlängerung der Arbeitszeit nach § 7 ArbZG Gebrauch gemacht hätten. Nach § 2 ArbZG wiederum, so die weitere Argumentation, ist Arbeit jede Tätigkeit, die der Befriedigung
eines fremden Bedürfnisses dient, und schließt vom Arbeitgeber
angeordnetes Umkleiden im Betrieb und die anschließenden Wegezeiten ein 34.
Damit war noch nicht über den Vergütungsanspruch entschieden.
Der Senat betont, dass dafür in erster Linie die getroffenen Vereinbarungen maßgeblich sind. Besteht jedoch keine gesonderte
Vereinbarung, ist § 611 Abs. 1 BGB die maßgebliche Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch. “Versprochene Dienste”
im Sinne dieser Bestimmung sind alle Dienstleistungen des
Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber angeordnet hat, im Fall der
klagenden Krankenschwester also auch das Umkleiden und die
anschließenden Wegezeiten. Daraus ergab sich, dass die Klägerin
Überstunden geleistet hatte, die entweder durch Freizeit auszugleichen oder zu vergüten waren 35.
33
5 AZR 678/11, juris
a.a.O. Rn. 23
35
a.a.O. Rn. 29
34
Mitbestimmungsförderung | Arbeitsrecht | Juli 2012 | www.boeckler.de
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Die Entscheidung ist nicht nur von Bedeutung für die Verschränkung von gesetzlicher Höchstarbeitszeit und vertraglicher, regelmäßiger Arbeitszeit. Sie weist auch insofern über den Einzelfall
hinaus, als der Senat in den Entscheidungsgründen hervorhebt,
dass die Qualifikation einer bestimmten Zeitspanne als Arbeitszeit nicht zwingend zu einer Vergütungspflicht führe, während
andererseits die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit nicht die Vergütungspflicht ausschließen müsse 36. Damit ist
bereits angedeutet, dass eine Vereinbarung, nach der bestimmte
Arbeiten oder Arbeitszeiten nicht vergütet werden, nach Auffassung des Senats wirksam sein kann. Kurze Zeit später hat der Senat dies so auch entschieden 37.
Beifahrerzeiten
In einem umgekehrten Fall, in dem im Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart war, dass sich die Arbeitszeit des Arbeitnehmers
nach dem Arbeitszeitgesetz richtet, bestimmt der Senat gleichermaßen § 611 Abs. 1 BGB als die maßgebliche Rechtsgrundlage
für den Vergütungsanspruch 38. Der Kläger war bei einem Speditionsunternehmen als Kraftfahrer beschäftigt und im Werksfernverkehr eingesetzt, bei dem sich jeweils zwei bis drei Fahrer abwechselten. Er forderte mit seiner Klage eine Vergütung für Beifahrertätigkeiten, die er nach Ablauf seiner regulären Arbeitszeit
von 48 Stunden pro Woche geleistet hatte.
Die vom ihm ausgeführte Beifahrertätigkeit rechnet nicht zur gesetzlichen Arbeitszeit, denn § 21 a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 ArbZG bestimmt, dass für Arbeitnehmer, die sich beim Fahren abwechseln,
die während der Fahrt neben dem Fahrer oder in einer Schlafkabine verbrachte Zeit keine Arbeitszeit ist. Eine Regelung über die
Vergütung enthält diese Bestimmung aber nicht, so dass sie sich
auf den Vergütungsanspruch nicht auswirkt. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Pauschalabgeltung von Reisezeiten hielt der
36
a.a.O. Rn. 15; die im Urteil vom 11.10.2000 - 5 AZR 122/99 - vertretene Auffassung, nach § 611 Abs. 1 BGB sei nur die Hauptleistung des
Arbeitnehmers zu vergüten, hat der Senat im Urteil vom 19.9.2012 ausdrücklich aufgegeben (Rn. 28)
37
Urteil vom 17.10.2012 - 5 AZR 792/11, juris; näheres in Kap. II
38
BAG, Urteil vom 20.4.2011 - 5 AZR 200/10- juris; ebenso BAG
16.5.2012 - 5 AZR 347/11, juris
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14
AGB-Kontrolle nicht stand. Damit gelangte der Senat zu § 611
BGB und dem dort verwendeten Begriff “versprochene Dienste”.
Auch das “Mitreisen” ist nach der Entscheidung eine Dienstleistung für den Arbeitgeber. Selbst eine vom Arbeitgeber veranlasste
Untätigkeit gehört dazu, wenn der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz
anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann 39.
39
a.a.O. Rn. 23 ff
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15
3 | AGB-Kontrolle von Überstundenpauschalirungsklauseln
Für den Anspruch auf eine Vergütung von Überstunden kann als
Fazit der in Kapitel I besprochenen Urteile des BAG vom
20.4.2011 und 19.9.2012 festgehalten werden, dass § 611 Abs. 1
BGB keine Anwendung findet, soweit eine tarifvertragliche oder
arbeitsvertragliche Vereinbarung getroffen wurde. Handelt es sich
um eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, unterliegt sie im Allgemeinen nach § 305 BGB oder § 310 Abs. 3 BGB der AGBKontrolle. Da nicht tarifgebundene Arbeitgeber häufig Formulararbeitsverträge mit Überstundenpauschalierungsabreden verwenden, existiert inzwischen eine umfangreiche Rechtsprechung zur
AGB-Kontrolle solcher Abgeltungsvereinbarungen.
Das folgende Beispiel aus der anwaltlichen Beratungspraxis betrifft wiederum einen Kraftfahrer. Sein im Sommer 2009 geschlossener Arbeitsvertrag enthält u.a. folgende Vereinbarungen:
“Soweit in diesem Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart ist,
finden auf das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag für die
gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und
Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen und der Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung.
Der Mitarbeiter wird als Kraftfahrer für alle im Unternehmen
betriebenen Verkehre eingestellt.
Für die Arbeitszeit sind die tarifvertraglichen Bestimmungen
maßgebend. Der Mitarbeiter verpflichtet sich nach Maßgabe der
tarifvertraglichen, hilfsweise der gesetzlichen Bestimmungen zur
Leistung von Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit.
Der Grundlohn beträgt 1.800 Euro brutto. Mit dem Monatslohn
ist die geleistete Arbeitszeit bis zur tariflich höchstzulässigen
Arbeitszeit einschließlich etwaiger Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge abgegolten.”
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16
Nach § 2 a Ziff. II. des im Arbeitsvertrag genannten Manteltarifvertrages (MTV) vom 21.4.2009 beträgt die regelmäßige Arbeitszeit von Kraftfahrern (mit Ausnahme des Nahverkehrs bis zu 100
km) 40 Stunden. Sie kann bis zu 60 Stunden betragen, wenn innerhalb eines Ausgleichszeitraums von regelmäßig 6 Monaten 48
Stunden Arbeitszeit nicht überschritten werden. Fallen Bereitschaftszeiten an, ist eine weitere Verlängerung zulässig.
Nach § 2 Ziff. 3 des im Arbeitsvertrag genannten Lohntarifvertrages (LTV) vom 21.4.2009 erhalten Kraftfahrer auf der Basis einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Lohngruppe
Fahrer Klasse CE einen Monatslohn von 1.777,03 Euro und ab
dem 1.5.2010 von 1.803,69 Euro. Bereitschaftszeiten mit Ausnahme von Kabinen- und Beifahrerzeiten werden nach § 2a Ziff.
5 MTV mit 100 % des tariflichen Stundenlohns vergütet. Sofern
ein Freizeitausgleich nicht erfolgt, wird nach § 3.1 b) MTV jede
über 40 Stunden hinausgehende Arbeitsstunde mit dem tariflichen
Stundenlohnsatz zuzüglich eines Mehrarbeitszuschlages von 25 %
vergütet.
Der Kraftfahrer, um den es hier geht, wird für seinen Arbeitgeber
regelmäßig 48 Stunden pro Woche tätig. Kantinen- und Beifahrerzeiten fallen bei ihm nicht an. Er ist im Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse CE, so dass der für ihn zutreffende tarifliche Monatslohn bei seiner Einstellung bis zum 30.4.2010 1.777,03 Euro
brutto betrug. Von der vereinbarten Gesamtvergütung blieben
somit 22,97 Euro für die monatlich geleisteten Überstunden, d.h.
pro geleisteter Überstunde 0,66 Euro übrig.
Hält die vereinbarte Überstundenpauschalierungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB, die sich in eine Transparenzkontrolle und eine Angemessenheitskontrolle gliedert, stand ?
Transparenzkontrolle
Nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner
des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessen benachteiligen. Dabei kann sich nach § 307 Abs. 1
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S. 2 BGB eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
Sinn der Transparenzkontrolle ist es, der Gefahr vorzubeugen,
dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Deshalb muss eine
Klausel nach der Rechtsprechung des BAG im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des
Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie
möglich umschreiben 40.
Zu Überstundenpauschalierungsklauseln hat der 5. Senat des BAG
wiederholt entschieden, sie seien nur klar und verständlich, wenn
sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergebe, welche Arbeitsleistungen von ihnen erfasst werden sollen. Der Umfang der Leistungspflicht müsse so bestimmt oder zumindest durch die konkrete Begrenzung der Anordnungsbefugnis hinsichtlich des Umfangs
der zu leistenden Überstunden so bestimmbar sein, dass der
Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen könne, was
ggf. “auf ihn zukomme” und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen müsse. Für nicht hinreichend
transparent hat der Senat Klauseln gehalten, wenn sich weder aus
ihnen noch aus den arbeitsvertraglichen Bestimmungen im Übrigen eine Begrenzung auf die nach § 3 ArbZG zulässige Höchstarbeitszeit entnehmen lässt 41.
Bei dem hier besprochenen Arbeitsvertrag ergibt sich zwar aus
dem Arbeitsvertrag selbst, dass von der Pauschalabgeltung für
Mehrarbeit alle Tätigkeiten eines Kraftfahrers bis zur tariflich
höchstzulässigen Arbeitszeit einschließlich etwaiger Überstunden
erfasst werden, nicht aber, welches die tariflich höchstzulässige
Arbeitszeit ist. Dies kann den Arbeitszeitregelungen für Kraftfahrer des MTV entnommen werden, auf den im Arbeitsvertrag zunächst allgemein und hinsichtlich der Arbeitszeit noch einmal
gesondert Bezug genommen wird.
40
BAG 17.8.2011 - 5 AZR 406/10, juris
BAG 1.9.2010 - 5 AZR 517/09, 17.8.2011 (Fn 1), 22.2.2012 - 5 AZR
765/10 - und 16.5.2012 - 5 AZR 347/11, juris
41
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Grundsätzlich ist nach der Rechtsprechung des BAG eine Verweisung in einem Arbeitsvertrag auf ein anderes Regelwerk zulässig. Ist eine AGB-Kontrolle vorzunehmen, unterliegen auch
Bezugnahmeklauseln der Transparenzkontrolle. Dabei lässt das
BAG etwaige Schwierigkeiten des Arbeitnehmers, von den tarifvertraglichen oder sonstigen Bestimmungen, auf die im Arbeitsvertrag Bezug genommen wird, Kenntnis zu nehmen oder sie zu
verstehen, für die Annahme fehlender Transparenz nicht genügen 42. Eine Klage des Kraftfahrers auf Zahlung der tarifvertraglichen Überstundenvergütung hätte daher keine Aussicht auf Erfolg, soweit sie darauf gestützt würde, dass die Bezugnahmeklausel nicht klar und verständlich im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2
BGB sei.
Angemessenheitskontrolle
Zur Angemessenheitskontrolle bestimmt § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB,
dass eine unangemessenen Benachteiligung im Zweifel anzunehmen ist, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken
der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu
vereinbaren ist. Nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB gilt u.a. Absatz 2
nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen,
durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB ist
nach wohl einhelliger Meinung auch die Rechtsgrundlage dafür,
dass Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung ebenso wie über das vom anderen Vertragspartner zu erbringende Entgelt nicht der Angemessenheitskontrolle unterliegen 43.
Es handelt sich um den Bereich, in dem Vertragsfreiheit besteht.
Dem entspricht die Freiheit von der Angemessenheitskontrolle.
Klar herausgestellt wird dies in Art. 4 Abs. 2 der europäischen
Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, in dem es heißt: “Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand
des Vertrags noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw.
dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die
42
Vgl. z.B. Urteil vom 14.3.2007 - 5 AZR 630/06, juris, Urteil vom
18.9.2012 - 9 AZR 1/11, juris
43
Preis ErfK, 13. Aufl., §§ 305-310 BGB, Rn. 34 ff
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Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.”
Hauptleistungspflichten im Arbeitsverhältnis sind die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt. Deshalb unterliegen der Umfang der
Arbeitszeit und das als Gegenleistung für die Arbeitsleistung geschuldete Arbeitsentgelt nicht der Angemessenheitskontrolle.
Eine Entscheidung des BAG vom 17.10.2012 44, die einen Lohnverzicht von Arbeitnehmern betrifft, zeigt dies deutlich. Ein
Arbeitgeber hatte mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern vereinbart, dass die regelmäßige Arbeitszeit 40 Stunden wöchentlich
beträgt, von denen aber nur 35 Stunden wöchentlich bezahlt werden. Die Klage eines Arbeitnehmers, mit der er Vergütungsansprüche für die 36. bis 40. Wochenstunde geltend gemacht hatte,
blieb ohne Erfolg, weil, so der Senat, es sich bei der vereinbarten
Unentgeltlichkeit um eine Hauptleistungsabrede handelt, die als
Bestimmung des Preis-/Leistungsverhältnisses vorbehaltlich verbindlicher Mindestentgelte bis zur Grenze der Gesetz- und Sittenwidrigkeit der Parteivereinbarung unterliegt 45.
Aber auch sittenwidrig war der Verzicht auf die Bezahlung einzelner Stunden nicht. § 138 BGB soll verhindern, dass der
Arbeitnehmer für seine Gesamtarbeitsleistung keine angemessene
Vergütung erhält. Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB oder ein
wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB können
daher nur vorliegen, wenn sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ergibt, dass der Wert der Arbeitsleistung insgesamt in einem
auffälligen Missverhältnis zur Gegenleistung steht 46.
Nach einem Urteil des BAG vom 16.5.2012 47 ist auch eine Pauschalabrede zur Vergütung von Überstunden eine Hauptleistungsabrede, wenn die Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers zur Ableistung von Überstunden nicht geregelt ist. Gebräuchlich sind
allerdings Pauschalierungsklauseln, in denen die Frage der Vergütung für Überstunden kombiniert ist mit einer Verpflichtung des
44
5 AZR 792/11, juris
Urteil vom 17.10.2012 (Fn. 6), Rn. 16
46
Urteil vom 17.10.2012 (Fn. 6) Rn. 20; ebenso für eine Betriebsvereinbarung BAG 12.3.2008 - 4 AZR 616/06, juris
47
5 AZR 331/11, juris
45
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Arbeitnehmers, Überstunden auf Anordnung des Arbeitgebers zu
leisten. So enthalten der oben vorgestellte Arbeitsvertrag ebenso
wie der MTV, auf den der Arbeitsvertrag verweist, eine Bestimmung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, gesetzlich oder
tariflich zugelassene Mehrarbeit zu leisten. Für solche Fälle wird
in der Literatur 48 und in teilweise in der Rechtsprechung 49 die
Auffassung vertreten, dass es sich um eine der Angemessenheitskontrolle unterliegende Preisnebenabrede handelt, weil durch die
Anordnung des Arbeitgebers mittelbar die Höhe des Arbeitsentgelts bestimmt wird. Das BAG hat diese Frage noch nicht entschieden.
Rechtsfolgen bei unwirksamen Überstundenpauschalierungsklauseln
Ist eine Überstundenpauschalierungsklausel unwirksam, bleibt der
Arbeitsvertrag im Übrigen wirksam (§ 306 Abs. 1 BGB), und die
unwirksame Klausel wird durch die gesetzlichen Vorschriften
ersetzt (§ 306 Abs. 2 BGB). Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine
Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten
ist. Diese Regelung wendet das BAG entsprechend an, wenn eine
Vergütungsvereinbarung der Inhaltskontrolle nicht standhält und
unwirksam ist 50. In Kapitel I wurde gezeigt, dass das BAG § 611
Abs. 1 BGB anwendet, sofern die Arbeitsvertragsparteien keine
gesonderte Vereinbarung über die Vergütung einzelner Dienste
getroffen haben. In der Logik dieser Rechtsprechung läge es, die
Rechtsfolgen im Fall der Unwirksamkeit einer Überstundenpauschalierungsabrede ebenfalls § 611 Abs. 1 BGB zu entnehmen.
Nach § 612 Abs. 1 BGB ist zusätzlich zur Unwirksamkeit der
Pauschalierungsvereinbarung erforderlich, dass die Vergütung
von Überstunden den Umständen nach objektiv zu erwarten ist.
Das BAG verneint dies für den Fall, dass Dienste höherer Art
vereinbart sind oder das Entgelt des Arbeitnehmers die Beitrags-
48
Preis ErfK (Fn. 4); Link, Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Aufl., §
35 Rn. 79; Gotthard HWK 5. Aufl. Anh. §§ 305-310 BGB Rn. 41
49
LAG Hamm 11.7.2007 - 6 Sa 410/07, LAG Hamm 18.3.2009 – 2 Sa
1108/08, juris
50
Urteile vom 1.9.2010, 17.8.2011 und 22.2.2012 (Fn. 3)
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bemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet 51.
Bei allen anderen Arbeitnehmern hat der Arbeitgeber vor allem
dann eine Vergütung für geleistete Überstunden zu zahlen, wenn
im betreffenden Wirtschaftszweig Tarifverträge gelten, die für
vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen 52. Nach § 612 Abs. 2 BGB ist die “übliche Vergütung“ der
Maßstab für die Höhe der Vergütung. Dabei geht das BAG davon
aus, dass die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit und die vereinbarte Monatsvergütung den Wert der Arbeitsleistung bestimmen
und errechnet auf dieser Basis die anteilige Vergütung für Überstunden 53. Ein Überstundenzuschlag ist darin nicht enthalten 54. Im
Fall des Kraftfahrers wäre die Grundlage für die Überstundenvergütung daher der vereinbarte Monatslohn in Höhe von 1800 Euro
brutto und die regelmäßige tarifvertragliche Arbeitzeit von 40
Stunden pro Woche, wenn die Pauschalierungsabrede der Angemessenheitskontrolle nicht standhält.
51
Urteile vom 17.8.2011 und 22.2.2012 (Fn. 3)
Urteil vom 17.8.2011, Rn. 20
53
Urteil vom 28.5.2005 - 5 AZR 52/05, juris
54
Vgl. LAG Düsseldorf vom 11.7.2008 - 9 Sa 1958/07, Rd. 152 ff, juris
52
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4 | Erreichbarkeit per E-Mail oder Telefonanruf
„nach Feierabend“
Nach einer im Jahr 2011 unter Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen durchgeführten Repräsentativerhebung antworteten auf die
Frage “Wie häufig wird von Ihnen erwartet, dass Sie außerhalb
Ihrer normalen Arbeitszeit per E-Mail oder per Telefon für Ihre
Arbeit erreichbar sind ?” 14 % mit “sehr häufig” und 13 % mit
“oft” 55. An der Spitze der Branchen, in denen dies erwartet wird,
stehen nach der Repräsentativumfrage der Sektor Erziehung und
Unterricht, das Gastgewerbe, die Energieversorgung und der Bereich Information und Kommunikation 56. Aus der Umfrage ergibt
sich auch, dass Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit nicht nur
von Arbeitnehmern mit höherem Einkommen erwartet wird, sondern nahezu ein Viertel der Arbeitnehmer, die “sehr häufig” oder
“oft” erreichbar sind, ein Arbeitsentgelt von weniger als 3000
Euro brutto pro Monat erhält 57.
In vielen Fällen dürfte eine Vergütung für diese Zusatzleistungen
nicht gezahlt werden, weil die Arbeitsverträge Überstundenpauschalierungsklauseln enthalten. Wenn sie der AGB-Kontrolle
nicht standhalten 58 oder aus sonstigen Gründen unwirksam sind,
schließen sie einen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers für
die von ihm erwartete Erreichbarkeit und eine etwaige Bearbeitung und Beantwortung einer E-Mail oder Auskunftserteilung am
Telefon jedoch nicht aus.
Ohne eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, für dienstliche Aufgaben erreichbar zu sein, besteht allerdings auch kein Vergütungsanspruch (§ 611 Abs. 1 BGB). Vielfach ist nicht klar geregelt, ob und unter welchen Voraussetzungen und zu welcher Zeit
von Arbeitnehmern erwartet wird, dass sie außerhalb ihrer
Arbeitszeit erreichbar sind. Arbeitgeber können, wenn sie es der
Entscheidung der Arbeitnehmer überlassen, ob sie “nach Feier55
„Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung, Entgrenzung“ Ergebnisse der
Repräsentativumfrage 2011 der DGB-Index Gute Arbeit GmbH, S. 10
56
a.a.O., S. 11
57
a.a.O., S. 10
58
Einzelheiten in Kap. II
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abend” erreichbar sind, einwenden, es handele sich um freiwillige
Dienste, die sie nicht angeordnet hätten und die daher auch nicht
bezahlt werden müssten.
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitnehmer,
der eine Vergütung für Überstunden verlangt, im Rechtsstreit darlegen, dass der Arbeitgeber die Überstunden angeordnet, gebilligt
oder geduldet hat, oder dass die Überstunden geleistet wurden,
weil sie notwendig waren 59. Das folgende Beispiel zeigt, dass dies
nicht uneingeschränkt zutrifft. Vergütungsansprüche für Dienste,
die der Arbeitnehmer außerhalb seiner regulären Arbeitszeit leistet, können auch bestehen, wenn der Arbeitgeber die Dienste
nicht angeordnet, gebilligt oder geduldet hat und der Arbeitnehmer auch nicht darlegt, dass sie notwendig waren.
Erwartungen eines Arbeitgebers
Vor dem Arbeitsgericht Berlin war eine “Selbstverpflichtung zum
Umgang mit mobilen Arbeitsmitteln (mobile devices) für tarifliche und außertarifliche Beschäftigte” Gegenstand eines von
einem Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahrens 60. Der
Arbeitgeber hatte den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ein
Schreiben mit Empfehlungen geschickt, um der ständigen Erreichbarkeit Grenzen zu ziehen und die Erwartungen seitens des
Unternehmens deutlich zu machen.
Das Rundschreiben enthält die folgenden Grundsätze:
“ - Außerhalb der Arbeitszeit wird grundsätzlich nicht erwartet,
dass mobile Arbeitsmittel dienstlich benutzt werden.
- Wir achten die persönlichen Freiräume unserer Beschäftigten
und gehen davon aus, dass im Urlaub auf Anrufe, Lesen und Bearbeiten von beruflichen E-Mails verzichtet wird.
- Wir stellen hiermit klar, dass bei ausnahmsweiser Nutzung
außerhalb der Arbeitszeit keine Erwartungshaltung für die umgehende Beantwortung und Bearbeitung von E-Mails besteht. Hier-
59
Urteil vom 16.5.2012 - 5 AZR 347/11, Rn. 31, juris; Urteil vom
22.5.2005 - 5 AZR 319/04, Rn. 20 m.w.N., juris
60
Beschluss vom 22.3.2012 - 54 BV 7072/11, juris
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bei bauen wir auf die Selbstverantwortung eines jeden Beschäftigten.
- Jeder Benutzer sollte sich bewusst fragen, ob ein E-Mail Versand außerhalb der Arbeitszeit notwendig ist.
- Ausnahmen bilden Krisensituationen und Situationen, in denen
unmittelbares Handeln erforderlich ist. Hier ist die direkte Kommunikation per Anruf zu bevorzugen.”
Ausdrückliche Anordnungen lassen sich dem Rundschreiben nicht
entnehmen. Die Rede ist von Empfehlungen und Erwartun- gen.
Dennoch handelt es sich um eine Weisung des Arbeitgebers im
Rahmen seines Direktionsrechts (§ 106 S. 1 GewO), denn entscheidend ist, dass der Arbeitgeber eine verbindliche Regelung
darüber treffen wollte, ob und unter welchen Voraussetzungen
außerhalb der Arbeitszeit E-Mail-Korrespondenz aus betrieblichen Gründen stattfindet oder Telefongespräche geführt werden
und die Arbeitnehmer hierfür erreichbar sein müssen 61. In dem
Rundschreiben wird an keiner Stelle zum Ausdruck gebracht,
dass sich die Arbeitnehmer daran nicht zu halten haben. Damit
sind die Grundsätze der “Selbstverpflichtung” der verbindliche
Rahmen für die dienstliche “Feierabendkommunikation”.
Deren Auslegung ergibt, dass der Arbeitgeber zwar im Grundsatz
die Nutzung von mobilen Arbeitsmitteln außerhalb der Arbeitszeit nicht wünscht, in Ausnahmefällen jedoch etwas anderes gilt.
Eine Ausnahme ist für Krisensituationen und Situationen, in
denen unmittelbares Handeln erforderlich ist, vorgesehen. Eine
weitere Ausnahme betrifft den Fall, dass E-Mails außerhalb der
Arbeitszeit empfangen werden. Hier wird es dem Mitarbeiter
überlassen, ob er die E-Mail umgehend bearbeitet und beantwortet. Er entscheidet darüber “selbstverantwortlich”.
Damit wäre es unvereinbar, wenn der Arbeitgeber im Rechtsstreit
über die Vergütung der Dienstleistung einwenden könnte, er habe
sie nicht angeordnet, er habe davon nichts gewusst, sie also auch
nicht gebilligt oder geduldet, und das Warten auf eine angekündigte E-Mail sowie die umgehende Bearbeitung und Beantwortung sei auch nicht notwendig gewesen. Wenn es der autonomen
61
BAG 28.8.2012 - 8 AZR 804/11, juris, Preis ErfK 13. Aufl., § 106
GewO Rn. 2
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Entscheidung des Arbeitnehmers überlassen ist, ob er außerhalb
seiner Arbeitszeit erreichbar ist und Arbeitsaufgaben erledigt,
muss dem bei den Anforderungen an die Darlegungslast im
Rechtsstreit Rechnung getragen werden 62.
Vergütung der “always-on-Dienste”
Finden Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Anwendung,
die differenzierte Regelungen über die Vergütung von Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaftszeiten enthalten, oder besteht
eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, kann es für die Höhe der
Vergütung darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer, der für Vorgesetzte, Arbeitskollegen oder Kunden telefonisch oder per EMail außerhalb seiner regulären Arbeitszeit erreichbar ist, Bereitschaftsdienste oder Rufbereitschaft im Sinne dieser Regelungen
leistet. Die Definitionen sind nicht einheitlich. So leisten nach § 3
Nr. 12 des Einheitlichen Manteltarifvertrages für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW (EMTV) alle
Beschäftigten, die nicht im Betrieb anwesend zu sein brauchen,
sich aber für einen eventuellen Einsatz bereithalten müssen, Rufbereitschaft, während Bereitschaftsdienste nach § 3 Nr. 11 EMTV
nur an Arbeitsplätzen im Betrieb geleistet werden.
In § 7 Abs. 3 und Abs. 4 TV-L und TVöD wird Bereitschaftsdienst von Rufbereitschaft dadurch abgegrenzt, dass sich der
Arbeitnehmer im ersten Fall an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten hat, während ihm im zweiten Fall die Bestimmung des Aufenthaltsortes überlassen bleibt. Das LAG Köln
hat entschieden, dass eine bei einem Jugendamt beschäftigte Sozialarbeiterin, die erreichbar sein muss, um Mitteilungen über
Kindeswohlgefährdungen entgegenzunehmen, Bereitschaftsdienst
im Sinne von § 7 Abs. 3 TVöD leistet, weil sie Anrufe an öffentlichen Orten mit Hintergrundkulisse nicht sachgerecht entgegennehmen könne und damit in der Wahl ihres Aufenthaltsortes nicht
frei sei 63. Bei den tarifvertraglichen Regelungen im öffentlichen
Dienst kommt es somit entscheidend auf die Bedingungen an,
62
Zur Duldung von Überstunden durch den Vorgesetzten vgl. LAG
Berlin 23.12.2011 - 6 Sa 1941/11, juris; näheres in Kap. VI
63
Urteil vom 13.12.2011 - 11 Sa 863/11, juris
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unter denen die Erreichbarkeit des Arbeitnehmers gewährleistet
wird.
Wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen keine Regelung
über die Vergütung der “always-on-Dienste” enthalten oder keine
Anwendung finden und auch im Arbeitsvertrag hierzu nichts vereinbart ist, ist nicht von Bedeutung, ob der Arbeitnehmer Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft leistet. In einem solchen Fall
hat er vielmehr unabhängig von der Qualifizierung der Dienstleistung als Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft Anspruch auf
die volle, vereinbarte Vergütung. Es müssen hier dieselben
Grundsätze gelten, die das BAG für die Vergütung von Beifahrertätigkeiten eines Kraftfahrers entwickelt hat 64. Dabei ist nicht erheblich, ob der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend ist oder
sich an einem anderen Ort aufhalten kann. Entscheidend ist vielmehr nach § 611 Abs. 1 BGB, ob er für den Arbeitgeber Dienste
leistet, wie dies auch für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft
zutrifft. Wenn keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde,
sind damit auch die Leistungen, die nicht Vollarbeit sind, mit dem
für die Vollarbeit vereinbarten Arbeitsentgelt zu vergüten.
Etwas anderes gilt, wenn vereinbart ist, dass eine geringere oder
keine Vergütung gezahlt wird. Zwar haben der 5. Senat und der 6.
Senat des BAG entschieden, dass eine Vergütungsvereinbarung
nicht nur die Zeiten der Heranziehung zur Vollarbeit sondern
auch den Verlust an Freizeit im Übrigen, etwa bei Bereitschaftsdiensten, angemessen berücksichtigen muss. Ein Verstoß gegen
die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) oder den Tatbestand des
Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) liege nahe, wenn dem Arbeitnehmer erhebliche Leistungen ohne Vergütung abverlangt würden 65.
Daran dürfte aber jedenfalls der 5. Senat nicht mehr festhalten,
nachdem er bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 138
BGB nunmehr auf die Gesamtarbeitsleistung des Arbeitnehmers
abstellt 66.
64
Urteil vom 20.4.2011 - 5 AZR 200/10, juris. Zu den Einzelheiten vgl.
Kap. I.
65
Urteil vom 28.1.2004 - 5 AZR 530/02, Rn. 42, juris; Urteil vom
21.12.2006 - 6 AZR 341/06, Rn. 34, juris
66
Urteil vom 17.10.2012 - 5 AZR 792/11, juris. Zu den Einzelheiten
vgl. Kap. II.
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Wie Überstundenpauschalierungsklauseln unterliegen Vereinbarungen, die einen Anspruch auf eine Vergütung für Bereitschaftsdienste oder Rufbereitschaftszeiten ausschließen oder eine geringere Vergütung als für die vereinbarte Vollarbeit festlegen, jedoch der AGB-Kontrolle. Es gelten dieselben Grundsätze, wie sie
in Kapitel II. für Überstundenpauschalierungsklauseln dargestellt
sind.
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5 | Europarechtswidrige Mehrarbeit
Am 3.10.2000 entschied der EuGH in der Rechtssache „SIMAP“ 67, dass Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne der
Richtlinie 93/104/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind. Es folgte die Bestätigung durch das Urteil “Jaeger“
vom 9.9.2003 68. Am 2.8.2004 trat die Richtlinie 2003/88/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in Kraft. Diese bestimmt ebenso wie die Richtlinie 93/104/EG in Art. 6, dass die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit
nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer die durchschnittliche Arbeitszeit
pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.
Der deutsche Gesetzgeber musste daher handeln und dafür sorgen, dass die Bestimmungen der Arbeitszeitrichtlinien zutreffend
in das nationale Recht umgesetzt werden. Durch das Gesetz zu
Reformen am Arbeitsmarkt, das am 1.1.2004 in Kraft getreten ist,
gestaltete er die Öffnungsklauseln für Tarifvertragsparteien und
Kirchen in § 7 ArbZG umfassend neu. Für die Zwischenzeit hatten in Streitfällen die Gerichte zu entscheiden, welche Auswirkungen die europarechtliche Vorgabe auf die Arbeitszeit und
Vergütung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hatte, die
nach nationalem Recht verpflichtet waren, länger als 48 Stunden
pro Woche zu arbeiten.
Nach Art. 288 AEUV (früher Art. 189 EWG-Vertrag, Art. 249
EG-Vertrag) ist eine Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie
gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich,
überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form
und der Mittel. Der EuGH leitet hieraus in ständiger Rechtsprechung her, dass eine von einem Mitgliedstaat nicht fristgemäß
oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzte Richtlinie keine Verpflichtungen von Einzelnen begründet. Da eine
67
68
C-303/98, juris
C-151/02, juris
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Richtlinie aber für die Mitgliedstaaten verbindlich ist, können
sich durch sie begünstigte Personen gegenüber dem Staat auf deren Bestimmungen berufen, wenn sie inhaltlich unbedingt und
hinreichend genau sind, sofern die Richtlinie nicht fristgemäß
oder fehlerhaft durchgeführt wurde. Dabei ist unerheblich, ob der
Staat als Hoheitsträger oder Arbeitgeber handelt 69. Auch auf die
Rechtsform kommt es nicht an 70.
Damit übereinstimmend, hat das BAG in den Jahren 2002 bis
2004 mehrfach entschieden, dass tarifvertragliche Regelungen,
die die in den Arbeitszeitrichtlinien festgelegte wöchentliche
Höchstarbeitszeit überschreiten, für den öffentlichen Arbeitgeber
unanwendbar sind 71. Dagegen hat es Ansprüche von im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeitnehmern auf Vergütung der
Dienste, die über die Höchstarbeitszeit hinaus geleistet wurden,
abgelehnt 72. Diese Rechtsprechung ist weiterhin aktuell, denn
dieselben Fragen stellen sich in neuen Zusammenhängen erneut.
Das gilt insbesondere für die nunmehr in § 7 Abs. 2 a ArbZG
vorgesehene Möglichkeit, in einem Tarifvertrag oder auf Grund
eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung
die werktägliche Arbeitszeit auch ohne Ausgleich über acht Stunden zu verlängern, und die entsprechende Möglichkeit für die
Kirchen nach § 7 Abs. 4 ArbZG. Die Fragen können sich aber
auch im Hinblick auf die Herausnahme bestimmter Arbeitnehmergruppen aus dem Schutzbereich des Arbeitszeitgesetzes nach
§ 18 Abs. 1 stellen. Die Rechtsprechung des BAG bedarf der
Überprüfung, nachdem das Bundesverwaltungsgericht inzwischen
auf Klagen von Feuerwehrbeamten in mehreren Verfahren entschieden hat, dass Beamte, für die nach nationalem Recht eine
längere Arbeitszeit als wöchentlich 48 Stunden festgelegt war,
69
Urteil vom 19.1.1982 - 8/81 Becker, Urteil vom 26.2.1986 - 152/84
Marshall, Urteil vom 9.3.2004 - C-397/01 bis C-403/01 Pfeiffer, Urteil
vom 23.4.2009 - C-377/07 bis C-380/07 Angelidaki, Urteil vom
14.10.2010 - C-243/09 Fuß I, juris
70
Urteil vom 24.1.2012 - C-282/10 Dominguez m.w.N., juris
71
Beschluss vom 18.2.2003 - 1 ABR 2/02, Urteil vom 5.6.2003 - 6
AZR 114/02, Urteil vom 28.1.2004 - 5 AZR 530/02, Urteile vom
14.10.2004 - 6 AZR 535/03 und 6 AZR 564/03, juris
72
Urteile vom 28.1.2004 und 14.10.2004 (Fn. 6)
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30
einen Anspruch auf Dienstbefreiung und ggf. Mehrarbeitsvergütung haben 73.
Dienstbefreiung oder Mehrarbeitsvergütung für Beamte bei
Überschreitung der europarechtlich zulässigen Höchstarbeitszeit
Feuerwehrbeamte nehmen hoheitliche Aufgaben wahr und werden daher im Regelfall im Beamtenverhältnis beschäftigt. In ihre
Arbeitszeit fallen regelmäßig Bereitschaftszeiten. Sie überschritt
und überschreitet weiterhin vielfach die Höchstarbeitszeit von 48
Stunden pro Siebentageszeitraum.
Zunächst war nach Bekanntwerden der Urteile des EuGH “SIMAP” und “Jaeger” 74 umstritten, ob die Arbeitszeitrichtlinien auf
den Feuerwehrdienst Anwendung finden 75. Nach Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG gelten sie nicht, soweit dem Besonderheiten
bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z.B.
bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen. Auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts in einem vom
Personalrat der Feuerwehr Hamburg eingeleiteten Beschlussverfahren hat der EuGH am 14. Juli 2005 entschieden, dass die Tätigkeiten, die von Einsatzkräften einer staatlichen Feuerwehr ausgeübt werden, in der Regel in den Anwendungsbereich der Richtlinien 89/391 und 93/104 fallen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden nur in außergewöhnlichen Situationen
zeitweilig überschritten werden darf 76.
Ansprüche von Feuerwehrbeamten auf Dienstbefreiung für Mehrarbeit sind Gegenstand eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.9.2011 und nachfolgender Urteile vom 26.7.2012 77.
73
Urteil vom 29.9.2011 - 2 C 32.10, Urteile vom 26.7.2012 - 2 C
25/11-, 2 C 29/11- 2 C 70/11 u.a.. Daneben werden die Entscheidungen
teilweise auch auf den unionsrechtlichen Entschädigungsanspruch gestützt. Zu dessen Voraussetzungen vgl. EuGH, Urteil vom 25.11.2010 C-429/09 - Fuß II, juris
74
Fn. 1 und 2
75
Verneinend BAG, Urteil vom 29.5.2002 - 5 AZR 370/01, juris
76
C-52/04, juris
77
Fn. 8
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31
Die erste Entscheidung betrifft einen Rechtsstreit aus NordrheinWestfalen. Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit
der Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes in den Feuerwehren der Gemeinden und Gemeindeverbände des Landes Nordrhein-Westfalen (AZVOFeu) vom 5.12.1988 betrug die regelmäßige Arbeitszeit der Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes,
die in Wechselschichten Dienst leisten, ab dem 1.4.1990 wöchentlich im Durchschnitt 54 Stunden. Der Kläger beantragte bereits im Dezember 2001, die Dienstplangestaltung gemäß der
Richtlinie 93/104/EG zu verändern und erhob nach Ablehnung
durch den Dienstherrn Klage, mit der er vor dem Bundesverwaltungsgericht in vollem Umfang Erfolg hatte.
Der Kern der Begründung ist einfach und einleuchtend: da Beamte Anspruch auf Dienstbefreiung und ggf. Mehrarbeitsvergütung
für dienstlich angeordnete oder genehmigte, kurzzeitige Mehrarbeit hätten, müsse ihnen auch ein Ausgleich für eine rechtswidrige, dauerhafte Überschreitung ihrer Höchstarbeitszeit gewährt
werden. Zwar seien §§ 78 a LBG NRW a.F., 61 LBG NRW n.F.
nicht anwendbar, weil die beamtenrechtlich zulässige Mehrarbeit
nur einen vorübergehenden außergewöhnlichen Bedarf decken
solle, während die unionsrechtliche Höchstarbeitszeitgrenze von
48 Wochenstunden außerhalb der vom Unionsrecht vorgesehenen
Verfahren nicht überschritten werden dürfe. Der Grundsatz von
Treu und Glauben gebiete jedoch, dass eine rechtswidrige Festsetzung der regulären Arbeitszeit nicht folgenlos bleibe. Andernfalls ergebe sich ein Wertungswiderspruch zu den beamtenrechtlichen Vorschriften, die einen Anspruch auf Dienstbefreiung und
ggf. Mehrarbeitsvergütung bei einer kurzzeitigen Mehrarbeit des
Beamten vorsähen.
Damit knüpft das Bundesverwaltungsgericht an ein Urteil vom
28.5.2003 an, in dem diese Grundsätze für den Fall der Verkennung der Arbeitszeit nach dem Einigungsvertrag entwickelt wurden 78. Hinsichtlich des Umfangs der auszugleichenden Arbeitszeit
entschied das Gericht, der Beamte habe Anspruch auf einen vollen Ausgleich für die Zuvielarbeit über die wöchentliche Höchstarbeitszeit hinaus. Sein Anspruch mindere sich nicht um fünf
Stunden monatlich entsprechend §§ 78 a LBG NRW a.F., 61
78
2 C 29.02, juris
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LBG NRW n.F., denn dies stünde nicht mit dem Gebot in Einklang, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern. Aus
denselben Gründen sei auch der Bereitschaftsdienst bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs nicht geringer zu gewichten.
Den betroffenen Beamten dürfe die Möglichkeit, ihre Dienstfähigkeit durch Freizeitausgleich umfassend wieder herzustellen,
nicht teilweise genommen werden. Wenn Bereitschaftsdienste
geringer gewichtet würden, könnte dies auch als Anreiz für die
Fortführung der rechtswidrigen Praxis wirken.
Kein Ausgleich für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst bei
europarechtswidriger Arbeitszeit ?
Die Rechtsprechung des BAG stimmt mit der des Bundesverwaltungsgerichts darin überein, dass Normen des nationalen Rechts,
die mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie unvereinbar sind,
vom staatlichen Arbeitgeber nicht angewendet werden dürfen 79.
Vergütungsrechtlich sollen sich daraus aber keine Konsequenzen
zu Gunsten des Arbeitnehmers ergeben, weil es an einer Anspruchsgrundlage fehle. Besonders deutlich herausgearbeitet ist
dies in zwei Urteilen des 6. Senats vom 14.10.2004, mit denen
über die zutreffende Arbeitszeit zweier Hausmeister an der Universität Düsseldorf und über deren Ansprüche auf Mehrarbeitsvergütung entschieden wurde 80.
In die Arbeitszeit von Hausmeistern fallen wie in die Arbeitszeit
von Feuerwehrleuten nicht unerhebliche Bereitschaftszeiten. In
der Annahme, dass dies zulässig sei, legten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes die Arbeitszeit für Angestellte als
Hausmeister auf durchschnittlich 50 ½ Stunden wöchentlich fest.
Auf die Klagen der beiden Hausmeister entschied das BAG wie
schon zuvor das LAG Düsseldorf 81, diese Regelung verstoße
gegen Art. 6 EGRL 104/93, der die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden begrenze. Jedoch bestehe
kein Anspruch auf eine Mehrarbeitsvergütung für die über 48
Stunden hinaus geleistete Arbeit.
79
Fn. 6
Fn. 6
81
Urteil vom 26.6.2003 - 11 Sa 368/03, juris
80
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33
Die Verneinung des Vergütungsanspruchs für die Zusatzleistung
überzeugt nicht. Zutreffend ist zwar die Begründung, dass die
Richtlinie 93/104/EG den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz
betrifft und bei Verstößen gegen ihre Regelungen keine finanziellen Ansprüche vorsieht, und dass sich auch dem Arbeitszeitgesetz
keine Anspruchsgrundlage für die Vergütungsansprüche entnehmen läßt. Die entscheidenden Normen finden sich aber in den
Vergütungsregelungen des BAT, auf die der Senat nicht eingeht.
Die Kläger begehrten die Mehrarbeitsvergütung für in den Jahren
2000 bis 2002 erbrachte Arbeitsleistungen. Anwendung fanden
daher die Bestimmungen des BAT. Nach § 17 Abs. 1 BAT sind
Überstunden die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die
über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche
dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden
hinausgehen. Sie sind auf dringende Fälle zu beschränken und
nach § 35 Abs. 3 BAT zu vergüten. In Abweichung davon bestimmt Nr. 4 i.V.m. Nr. 3 Abs. 1 der Sonderregelungen für Angestellte als Hausmeister (SR 2 r BAT), dass über die regelmäßige
Arbeitszeit von 50 ½ Stunden wöchentlich hinaus geleistete
Arbeitsstunden zur Hälfte als Überstunden gewertet werden.
Die Kläger hatten daher - bei rechtzeitiger Geltendmachung innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist - einen Anspruch
auf Überstundenvergütung zumindest für die Hälfte der Arbeitszeit, die über die Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden hinausging, wenn infolge des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts bei der Dauer der Arbeitszeit hinsichtlich der Vergütung eine unbewusste, tarifliche Regelungslücke bestand, die
durch Gewährung eines Freizeitausgleichs oder einer zusätzlichen
Vergütung zu schließen war. Nach der Rechtsprechung des BAG
können unbewusste Regelungslücken in Tarifverträgen von den
Arbeitsgerichten geschlossen werden, wenn sich aus dem Tarifvertrag hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Tarifvertragsparteien beabsichtigt hatten, eine vollständige Regelung
zu schaffen und darüber hinaus die ausdrücklich vereinbarten
Tarifregelungen eindeutige Hinweise darauf enthalten, wie die
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Tarifvertragsparteien den nicht geregelten Fall nach ihrem mutmaßlichen Willen und Treu und Glauben gelöst hätten 82.
Da die tarifvertragliche Arbeitszeitregelung für Angestellte als
Hausmeister wegen ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 6 der Arbeitszeitrichtlinien im öffentlichen Dienst nicht anwendbar war, bestand für diese Arbeitnehmer eine Regelungslücke bei der Bestimmung der Vergütung. Denn geschuldet wurde nur eine
Arbeitsleistung von 48 Wochenstunden. Die Tarifvertragsparteien
hatten dies nicht erkannt und daher nicht geregelt, welche Konsequenzen sich aus der von ihnen vereinbarten Überschreitung der
Höchstarbeitszeit für die Vergütung der Arbeitsleistung ergeben.
Dass sie beabsichtigt hatten, eine vollständige Regelung der
Arbeitszeit und Vergütung der Hausmeister zu treffen, kann nicht
zweifelhaft sein.
Der BAT enthält zudem klare Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien die Lücke durch Erstreckung der tariflichen
Bestimmungen über die Vergütung von Überstunden auf den
nicht geregelten Fall geschlossen hätten. Die Überlegung des
Bundesverwaltungsgerichts, dass die Beamten nach Treu und
Glauben einen Ausgleich für die Zuvielleistung erhalten müssten,
weil sich andernfalls ein Wertungswiderspruch zu den beamtenrechtlichen Vorschriften ergäbe, die bei einer kurzzeitigen Mehrarbeit einen Anspruch auf Dienstbefreiung und ggf. Mehrarbeitsvergütung vorsehen, treffen auch für die Vorschriften des BAT
zu. Erst recht gilt dies, weil die tarifvertraglichen Bestimmungen anders als z.B. §§ 78 a LBG NRW a.F., 61 LBG NRW n.F. - Angestellte nicht verpflichten, eine bestimmte Anzahl von Überstunden ohne Freizeitausgleich oder Entgelt zu leisten.
Klärungsbedarf für Opt-out-Regelungen
Mit der Änderung des Arbeitszeitgesetzes durch das Gesetz zu
Reformen am Arbeitsmarkt hat der Gesetzgeber zwar dafür gesorgt, dass Bereitschaftsdienste nunmehr als Arbeitszeit in Sinne
von § 2 Abs. 1 ArbZG gelten und die bis dahin den Tarifvertragsparteien und Kirchen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 a), Abs. 4 eingeräum82
Urteile vom 21.4.2010 - 4 AZR 750/08, vom 24.9.2008 - 4 AZR
642/07, vom 20.7.2000 - 6 AZR 347/99, juris
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te Möglichkeit, die Arbeitszeit über 10 Stunden werktäglich auch
ohne Ausgleich zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig
und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt, dahingehend geändert wurde, dass dies - ebenso wie bei Bereitschaftsdienst - nur noch mit Ausgleich möglich ist. Eine zweifelsfrei
europarechtskonforme Regelung wurde aber nicht geschaffen. Im
Mittelpunkt der arbeitsrechtlichen Diskussion stehen nunmehr
Bestimmungen, mit denen der Gesetzgeber von der Opt-out Klausel in Art. 18 EGRL 104/93 bzw. Art. 22 EGRL 88/2003 Gebrauch gemacht hat.
Danach ist es einem Mitgliedstaat freigestellt, Art. 6 mit seiner
Regelung über die wöchentliche Höchstarbeitszeit nicht anzuwenden, wenn er die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und
des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer einhält. Außerdem
muss er mit den erforderlichen Maßnahmen u.a. dafür sorgen,
dass kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, im
Durchschnitt mehr als 48 Stunden pro Woche zu arbeiten, es sei
denn, der Arbeitnehmer habe sich hierzu bereit erklärt, und keinem Arbeitnehmer Nachteile daraus entstehen, dass er nicht bereit
ist, eine solche Arbeit zu leisten.
§ 7 Abs. 2 a ArbZG gestattet, dass in einem Tarifvertrag oder auf
Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zugelassen wird, die werktägliche Arbeitszeit auch ohne
Ausgleich über acht Stunden zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft
oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen
sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht
gefährdet wird. Entsprechendes gilt nach § 7 Abs. 4 ArbZG für
die Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften.
Nach § 7 Abs. 7 S. 1 und 2 ArbZG ist eine schriftliche Einwilligung des Arbeitnehmers erforderlich, die er mit einer Frist von
sechs Monaten schriftlich widerrufen kann. Nach § 7 Abs. 7 S. 3
ArbZG darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, weil dieser die Einwilligung zur Verlängerung der Arbeitszeit nicht erklärt oder die Einwilligung widerrufen hat.
In den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst wurde von der
Öffnungsklausel des § 7 Abs. 2 a ArbZG Gebrauch gemacht. So
kann nach § 43 Nr. 4 Abs. 11 iVm. Absatz 10 der Sonderregelun-
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36
gen für die nichtärztlichen Beschäftigten in Universitätskliniken
und Krankenhäusern des TV-L eine Verlängerung der tariflichen
Arbeitszeit über acht Stunden hinaus ohne Ausgleich erfolgen,
wenn alternative Arbeitszeitmodelle geprüft werden, eine Belastungsanalyse gemäß § 5 Arbeitsschutzgesetz durchgeführt wird
und gegebenenfalls daraus resultierende Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes durchgeführt werden. Dabei ist
eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu maximal durchschnittlich 58 Stunden zulässig. Ähnliche Regelungen enthalten die
Sonderregelungen des TV-L für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken und außerhalb von Universitätskliniken, wobei die
wöchentliche Arbeitszeit in Universitätskliniken durch Tarifvertrag auf Landesebene sogar auf bis zu 66 Stunden verlängert werden kann 83.
Die EU-Kommission hat Zweifel daran geäußert, dass die Umsetzung der Opt-out Klausel in das deutsche Recht mit Art. 22
EGRL 88/2003 vereinbar ist, weil im Arbeitszeitgesetz selbst
nicht geregelt ist, wie sichergestellt wird, dass die allgemeinen
Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der
Arbeitnehmer eingehalten werden 84. Hinzu kommt, dass die tarifvertraglichen Bestimmungen möglicherweise nicht ausreichen, da
in ihnen nicht geregelt ist, wie die besondere Belastung durch die
ausgleichslose Arbeitszeitverlängerung bei der Belastungsanalyse
nach § 5 ArbSchG zu berücksichtigen ist, deren Wiederholung
nicht vorgeschrieben ist und auch nicht bestimmt ist, welcher Art
die Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes
sein müssen, falls die Analyse Gefährdungen für die Arbeitnehmer ergibt.
Bedenken hat die EU-Kommission auch im Hinblick auf das Erfordernis, die Freiwilligkeit der Arbeitnehmer sicherzustellen,
geäußert. Diese könne etwa bei Arbeitnehmern in der Probezeit
fehlen. Ebenso könne die Widerrufsfrist von sechs Monaten zu
83
§ 41 Nr. 4 Abs. 10 Sonderregelungen für Ärztinnen und Ärzte an
Universitätskliniken, § 42 Nr. 5 Abs. 11 Sonderregelungen für Ärztinnen und Ärzte außerhalb Universitätskliniken
84
Detailed Report on the implementation by Member States of Directive 2003/88/EC (The Working Time Directive), Übersetzung R.
Buschmann, AuR 2011, S. 105 ff
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lang sein 85. Gleiche und weitere kritische Einwendungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Opt-out nach § 7 ArbZG mit dem
europäischen Recht kommen auch von einem Teil der rechtswissenschaftlichen Literatur 86.
Falls der EuGH in Zukunft Gelegenheit haben wird, über die Voraussetzungen des Opt-out nach Art. 22 Abs. 1 EGRL 88/2003 zu
entscheiden und aus seinem Urteil zu entnehmen ist, dass die
deutsche Regelung damit nicht oder nicht in vollem Umfang vereinbar ist, kann sich erneut die Frage stellen, ob Arbeitnehmer für
die Zeit der richtlinienwidrigen Beschäftigung eine Mehrarbeitsvergütung verlangen können. Dies kann auch in Betracht kommen, wenn eine europarechtskonforme Auslegung möglich ist,
aber eine solche Lösung nur Wirkungen für die Zukunft entfaltet.
Für den Bereich des öffentlichen Dienstes ist dabei zu berücksichtigen, dass Bereitschaftsdienste zur Berechnung des Entgelts als
Arbeitszeit faktorisiert werden 87. Hier würde sich daher nur die
Frage stellen, ob sie, wie das Bundesverwaltungsgericht es für die
Vergütung von Beamten annimmt 88, wie Vollarbeit zu vergüten
sind, soweit die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten
wurde.
Möglicherweise wird der EuGH auch erneut von einem Verwaltungsgericht angerufen, denn in Deutschland wurden auch für
Feuerwehrbeamte Opt-out Regelungen geschaffen. So ist nach §
5 AZVOFeu NRW vom 1.9.2006 für die Beamten des feuerwehrtechnischen Dienstes, die in Schichten Dienst leisten, unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 48
Stunden zulässig.
85
Fn. 18
Ulber, ZTR 2005, S. 70 ff; Kohte, Festschrift für Klaus Bepler, 2012,
S. 287 ff (291); Buschmann/Ulber, Arbeitszeitgesetz, 7. Aufl., § 7 Rn.
24 c; Wank ErfK,13. Aufl., § 7 ArbZG Rn. 8, Linnenkohl/Rauschenberg, Arbeitszeitgesetz, 2. Aufl., § 7 Rn. 72; offen gelassen von BAG 23.6.2010 - 10 AZR 543/09, juris, vgl. dazu kritische
Anm. von Wank, AuR 2011, 175 ff und Kohte, Festschrift Bepler
a.a.O., S. 292
87
Vgl. Kapitel I „Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft“
88
Fn. 8
86
Mitbestimmungsförderung | Arbeitsrecht | Juli 2012 | www.boeckler.de
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Auch Angestellte im Feuerwehrdienst können betroffen sein.
Nach § 45 Nr. 2 TVöD-BT-V finden auf die Angestellten im
kommunalen feuerwehrtechnischen Dienst die Bestimmungen für
die entsprechenden Beamten im kommunalen feuerwehrtechnischen Dienst Anwendung. Über den Anspruch eines solchen Angestellten, der sich mit einer Arbeitszeit von 54 Wochenstunden
einverstanden erklärt hatte, auf eine Vergütung für die Arbeitszeit, die 48 Wochenstunden überschritt, hat das LAG Hamm in
einem Urteil vom 2.2.2012 89 entschieden. Das Gericht hat die
europarechtliche Zulässigkeit von § 5 AZVOFeu n.F. bejaht, ohne
auf die Bedenken der EU-Kommission und eines Teils der
rechtswissenschaftlichen Literatur einzugehen.
Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft mit ihnen zur Pflege anvertrauten Personen
Einige Gruppen von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sind
ganz vom Schutz des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen, unter
ihnen nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 solche, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und
sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen. Hier ist
nicht einmal eine Einverständniserklärung des Arbeitnehmers und
eine Widerrufsmöglichkeit vorgesehen. Der vollständige Verzicht
des Gesetzgebers auf die Festlegung von Höchstarbeitszeiten,
aber auch anderer arbeitszeitrechtlicher Schutzvorschriften für
diese Arbeitnehmergruppe steht in einem auffälligen Kontrast zu
Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union, der jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer das
Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche
sowie wöchentliche Ruhezeiten einräumt.
Zweifellos ist die Herausnahme der in § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG
genannten Arbeitnehmer aus dem Schutzbereich des Arbeitszeitgesetzes nicht nach Art. 2 Abs. 2 der Basisrichtlinie 89/391/EWG
zulässig, denn um spezifische Tätigkeiten im öffentlichen Dienst
oder bei den Katastrophenschutzdiensten handelt es sich nicht.
Ebenso zweifellos liegen die Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 1
89
17 Sa 1001/11, juris
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EGRL 88/2003 nicht vor. Es verbleibt die Abweichungsmöglichkeit nach Art. 17 Abs. 1 EGRL 88/2003.
Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit
und der Gesundheit der Arbeitnehmer von den Artikeln 3 bis 6, 8
und 16 abweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen
Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder
nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern
selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug
auf nachstehende Arbeitnehmer:
a) leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbständiger
Entscheidungsbefugnis;
b) Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind;
c) Arbeitnehmer, die im liturgischen Bereich von Kirchen oder
Religionsgemeinschaften beschäftigt sind.
Veröffentlichte Rechtsprechung zur Auslegung des § 18 Abs. 1
Nr. 3 ArbZG gibt es mit Ausnahme eines Urteils des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 19.9.2007 90, in dem das Problem der Vereinbarkeit mit der Arbeitszeitrichtlinie nicht erkannt wurde, soweit ersichtlich, nicht. Die Bestimmung wurde bei der Änderung
des Arbeitszeitgesetzes durch das Gesetz zu Reformen am
Arbeitsmarkt unverändert gelassen. In der Beschlussempfehlung
und dem Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung
und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts vom 8.3.1994 91 wird
zu ihr bemerkt, dass die besonderen Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Arbeitnehmer, z.B. Kinderdorfeltern, eine durch
das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht zwingend vorgeschriebene Unterscheidung zwischen Freizeit und Arbeitszeit nicht zuließen. Damit werde zugleich einer Petition der SOS-Kinderdörfer
Rechnung getragen. Allerdings erfasst der Wortlaut der Norm
nicht nur die Erziehung und Betreuung in häuslichen Gemeinschaften, sondern auch die Pflege.
Die nach § 12 AEntG für die Erarbeitung von Mindestentgeltsätzen und anderen Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche vom
90
91
2 Ca 1023/06, juris
Bundestagsdrucksache 12/6990, S. 44
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40
Bundesministerium für Arbeit und Soziales errichtete Kommission scheint § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG einen weiteren Sinn beizumessen als der Bundestagsausschuss für Arbeit und Sozialordnung, wurde doch auf ihren Vorschlag in der Verordnung des
Ministeriums über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15.07.2010 eine Obergrenze von 300
Arbeitsstunden für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege erbringen und in Pflegebetrieben beschäftigt sind (§ 1 Abs. 2 und 3
PflegeArbbV), festgesetzt.
Gemeint ist eine Obergrenze von 300 Arbeitsstunden pro Monat,
wie sich aus dem Zusammenhang des in § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV geregelten Fälligkeitszeitpunkts für das monatlich zu
zahlende Mindestentgelt und der im nächsten Satz geregelten
Obergrenze ergibt. Nach § 3 Abs. 3 PflegeArbbV bleiben die
Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes unberührt. Dies ist nur möglich, wenn oder soweit die Ausnahme vom Geltungsbereich nach
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG greift, denn andernfalls verstößt die Regelung gegen die höherrangigen Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes, u.a. zur Höchstarbeitszeit nach § 3.
Ein bedrückendes Beispiel exzessiver Arbeitszeit im Pflegebereich kann einem Urteil des LAG Baden-Württemberg vom
28.11.2012 92 entnommen werden. Im Tatbestand des Urteils ist
festgestellt, dass die Klägerin bei der Beklagten, die einen privaten Pflegedienst betreibt, einige Monate als Pflegehelferin beschäftigt war und in einer Einrichtung der katholischen Kirche
zunächst drei, später zwei pflegebedürftige Schwestern betreut
hat. Die jährliche Arbeitszeit betrug nach dem Arbeitsvertrag 204
Rudu (Rund um die Uhr) - Einsätze abzüglich 24 Urlaubstage.
Dafür war ein Festlohn von 1.885,85 Euro brutto vereinbart. Ergänzend heißt es dazu im Arbeitsvertrag, dass hauswirtschaftliche
Tätigkeit, Bereitschaft, Ruhezeiten und Pausen nicht vergütet
werden und Rudu nach Pflegemodulen/Pflegezeiten berechnet
wird.
Zu den Arbeitsaufgaben und Abläufen finden sich im Urteil folgende Feststellungen: Die Klägerin hatte ein Zimmer in der
92
4 Sa 48/12, juris
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41
Schwesternschaft in unmittelbarer Nähe zu den betreuten Schwestern. Innerhalb der Rund um die Uhr-Zeiten erbrachte sie sowohl
“klassische” Pflegeleistungen als auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten (Essen zubereiten außer Mittagessen, Wäsche waschen,
Geschirr spülen….). Sie hatte Pflegedokumentationen zu schreiben. Gelegentlich beschäftigte sie sich mit den Pflegebedürftigen,
z.B. durch zuwendende Gespräche. Vor allem bei nächtlichem
Bedarf an pflegerischen Leistungen (beruhigen, umlagern, Windeln wechseln, Betten frisch beziehen, Verbandwechsel….) hatte
die Klägerin sofort einzuspringen. Ihr Mittagessen nahmen die
Schwestern im Haus der Schwesternschaft ein. Sie wurden von
der Klägerin im Rollstuhl hingefahren und nach dem Essen wieder abgeholt. Die Klägerin brachte die Schwestern auch zum täglichen Gottesdienst von einer Stunde und holte sie wieder ab.
Die Klägerin war der Auffassung, während der Rund um die UhrDienste durchgehend 24 Stunden pro Tag gearbeitet zu haben und
forderte das Mindestentgelt gem. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV für
monatlich 330 bis 375 Stunden abzüglich der geleisteten Beträge.
Die Beklagte hielt dem entgegen, die Klägerin habe max. 170
Stunden pro Monat gearbeitet. Abzuziehen seien die Mittagessenzeiten und die Gottesdienstzeiten und die zweistündige Mittagsruhe der Schwestern. Soweit keine Pflegeleistungen angefallen
seien, habe es sich um Rufbereitschaft gehandelt.
Nach § 2 Abs. 1 ArbZG kann lediglich in Betracht kommen, dass
die Klägerin Ruhepausen während der Mittagessenszeit und Gottesdienste nehmen konnte. Soweit keine Pflegeleistungen oder
hauswirtschaftliche Tätigkeiten anfielen, jedoch eine Beaufsichtigung der Schwestern notwendig war, handelt es sich nicht um
Rufbereitschaft sondern um Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst. Die Höchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG wurde daher
in erheblichem Umfang überschritten. Nach dem Arbeitszeitgesetz zulässig wäre dies nur, wenn die Voraussetzungen des § 18
Abs. 1 Nr. 3 ArbZG erfüllt sind.
Der Wortlaut lässt ein solches Verständnis zu. Bei einer weiten
Auslegung lässt sich vertreten, dass die Klägerin die ihr anvertrauten Personen eigenverantwortlich gepflegt und in häuslicher
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Gemeinschaft mit ihnen zusammengelebt hat 93. Eine solche Auslegung ist jedoch nicht mit Art. 17 Abs. 1 EGRL 88/2003 vereinbar, der Abweichungen von wesentlichen Bestimmungen der
Arbeitszeitrichtlinie nur zulässt, wenn die Arbeitszeit wegen der
besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen
oder nicht im Voraus festgelegt wird oder vom Arbeitnehmer
selbst festgelegt werden kann 94. Der Begriff „eigenverantwortlich“ in § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG muss daher europarechtskonform so ausgelegt werden, dass er sich nicht nur auf den Inhalt der
Arbeitsleistung bezieht, sondern auch die Bestimmung der
Arbeitszeit umfasst. Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin
nicht erfüllt, denn sie konnte ihre Arbeitszeit nicht selbst festlegen. Die Arbeitszeit war vielmehr auf Grund der organisatorischen Abläufe und Bedürfnisse der anvertrauten Personen festgelegt. Auch standen der Bestimmung der Dauer der Arbeitszeit
keine Hindernisse entgegen.
Die im Ausgangsfall getroffene Arbeitszeitvereinbarung ist somit
rechtswidrig. Die Obergrenze des § 3 Abs. 1 Satz 2 PflegeArbbV
kommt nicht zur Anwendung, weil die Klägerin nach § 3 ArbZG
nicht verpflichtet war, länger als wöchentlich 48 Stunden zu
arbeiten. Die Unwirksamkeit der Arbeitszeitvereinbarung (§ 134
BGB) führt allerdings nicht zur Unwirksamkeit des gesamten
Arbeitsvertrages. Stattdessen ist der vereinbarte Festlohn für die
gesetzlich zulässige Arbeitszeit geschuldet 95. Da Arbeit im Sinne
des § 611 Abs. 1 BGB nach der Rechtsprechung des BAG auch
die vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit ist, während der der
93
In der Kommentarliteratur wird im Anschluss an die Stellungnahme
des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung (Fn. 24) eine
engere Auslegung vertreten, vgl. Anzinger/Koberski, Arbeitszeitgesetz,
2. Aufl., § 18 Rn. 19-21; Buschmann/Ulber (Fn. 20), § 18 Rn. 4, Neumann/Biebl, Arbeitszeitgesetz, 15. Aufl. § 18 Rn. 7; Linnenkohl/Rauschenberg (Fn. 20) § 18 Rn. 9
94
Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 14.10.2010 - C-428/09 - Union syndicale Solidaire Isère, juris, nach dem bei Arbeitnehmern, die aufgrund
von Verträgen über den Bildungseinsatz gelegentliche und saisonale
Tätigkeiten in Ferien- und Freizeitzentren ausüben, die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 nicht erfüllt sind
95
LAG Rheinland-Pfalz 10.6.2010 - 2 Sa 74/10, Juris; Zimmermann,
AuR 2012, S. 7 (9); Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Aufl., § 156
Rn. 28; Armbrüster, Münchner Kommentar BGB Bd. 1, 5. Aufl, § 134
Rn. 81
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Arbeitnehmer am Arbeitsplatz anwesend sein muss und nicht frei
über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann 96, besteht auch
ein Anspruch auf Vergütung der über die höchstzulässige
Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitszeit. Dasselbe würde für Bereitschaftszeiten und Zeiten der hauswirtschaftlichen Tätigkeit
gelten, wenn die Vereinbarung, dass solche Tätigkeiten nicht vergütet werden, der AGB-Kontrolle nicht standhält 97.
Das LAG Baden-Württemberg ist einen anderen Weg gegangen
und konnte dies auch, da die Klägerin den Vergütungsanspruch
nicht auf der Basis des vereinbarten Festlohns und der gesetzlich
zulässigen Höchstarbeitszeit errechnet, sondern das Mindestentgelt für ihre Arbeitszeit nach § 2 PflegeArbbV gefordert hat.
Nach seiner Auffassung ist das Mindestentgelt in der Pflegebranche für alle Arbeitsleistungen zu zahlen, und Bereitschaftszeiten
sind wie Vollarbeit zu vergüten. Es hat lediglich den Vergütungsanspruch für die Pausenzeiten während des Mittagessens und des
Gottesdienstes verneint. Die für die Beklagte zugelassene Revision wurde inzwischen eingelegt 98.
96
Vgl. Kap. I „Beifahrerzeiten“
Vgl. Kap. II „Angemessenheitskontrolle“
98
BAG 5 AZR 1101/12, juris
97
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6 | Verfall von Arbeitszeitguthaben in Betriebsvereinbarungen
Betriebsräte haben nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, wenn die betriebsübliche Arbeitszeit vorübergehend verlängert werden soll. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG haben sie auch mitzubestimmen hinsichtlich des Beginns und Endes
der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Das Mitbestimmungsrecht umfasst die Einführung und Ausgestaltung variabler Arbeitszeitmodelle wie z.B. Gleitzeit mit Arbeitszeitkonten 99, aber auch Vertrauensarbeitszeit, bei der auf eine Erfassung
der Arbeitszeit verzichtet wird 100. Die Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit und ihr Ausgleich kann ebenso wie ihre
Unterschreitung Bestandteil variabler Arbeitszeitmodelle sein.
Nicht ungewöhnlich sind Betriebsvereinbarungen, in denen vorgesehen ist, dass ein Arbeitszeitguthaben zunächst auf den folgenden Monat übertragen wird und zu einem späteren Zeitpunkt,
wenn es nicht abgebaut wurde, verfällt, ohne dass eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die erbrachte Arbeitsleistung gewährt
wird. Um Verfallklauseln im herkömmlichen Sinn handelt es sich
nicht, denn es geht nicht darum, dass Ansprüche erlöschen, weil
der Arbeitnehmer sie nicht innerhalb einer bestimmten Ausschlussfrist geltend gemacht hat. § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG findet somit keine Anwendung.
Klauseln über den Verfall von Arbeitszeitguthaben in Betriebsvereinbarungen sind weder uneingeschränkt zulässig noch uneingeschränkt unzulässig. Beispielhaft für die Voraussetzungen und
Grenzen sind ein Beschluss des BAG vom 29.4.2004 101 und ein
Beschluss des LAG München vom 27.3.2012 102, die im Folgenden besprochen werden.
99
BAG vom 18.4.1989 - 1 ABR 3/88, juris
BAG vom 18.8.2009 - 9 AZR 517/08, juris
101
1 ABR 30/02, juris
102
6 TaBV 101/11, juris
100
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Abweichende tarifvertragliche Regelung
Gegenstand der Entscheidung des BAG waren die “Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit für die Zentrale Stuttgart der
DaimlerChrysler AG” (BV Classic) vom 1.10.1999 und die “Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Gleitenden Arbeitszeit
(NEZE) in der Zentrale Stuttgart der DaimlerChrysler AG” (BV
NEZE) vom 1.10.1999. Die BV Classic bestimmte, dass die monatliche Sollarbeitszeit um bis zu 30 Stunden überschritten werden kann und die darüber hinaus geleisteten Stunden am Monatsende verfallen. Die BV NEZE bestimmte, dass der Ausgleichsbzw. Abrechnungszeitraum für das Zeitkonto 12 Monate beträgt,
ein Stundensaldo von +100 Stunden in den nächsten Ausgleichszeitraum übertragen wird und Überschreitungen des übertragbaren Positivsaldos am Ende des Ausgleichszeitraums verfallen.
Aus den Gründen des Beschlusses geht hervor, dass es im Betrieb
zu erheblichen Überschreitungen der Zeitguthaben gekommen
war. Der Betriebsrat und die Industriegewerkschaft Metall wollten daher in dem von ihnen eingeleiteten Beschlussverfahren erreichen, dass der Arbeitgeber es unterlässt, zu dulden, dass Beschäftigte ohne Zustimmung des Betriebsrats im Rahmen des
Arbeitszeitmodells “Classic” ein Gleitzeitguthaben von 30 Stunden am Monatsende und im Rahmen des Arbeitszeitmodells
“NEZE” von 100 Stunden am Ende des Ausgleichszeitraums
überschreiten. Außerdem sollte der Arbeitgeber verpflichtet werden, den Zeitausgleich im Rahmen des Arbeitszeitmodells NEZE
so zu planen und umzusetzen, dass am Ende des Ausgleichszeitraums ein Guthaben von 100 Stunden nicht überschritten wird.
Vor dem LAG Baden-Württemberg hatten der Betriebsrat und die
Gewerkschaft damit Erfolg, nicht aber vor dem BAG. Die Begründung des BAG ist so einfach wie zutreffend. Nach § 87 Abs.
1 BetrVG hat der Betriebsrat nur mitzubestimmen, soweit eine
gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Eine Betriebsvereinbarung im Anwendungsbereich des § 87 BetrVG ist unwirksam, soweit ihr eine zwingende tarifvertragliche Regelung
entgegensteht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Tarifvertrag
den Abschluss einer ergänzenden Betriebsvereinbarung ausdrücklich gestattet (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).
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Der für den Betrieb der DaimlerChrysler AG in Stuttgart geltende
Manteltarifvertrag sah vor, dass die wöchentliche Arbeitszeit von
35 Stunden ungleichmäßig verteilt werden kann, aber im Durchschnitt von sechs Monaten erreicht werden muss. Ein Tarifvertrag
zur Beschäftigungssicherung erweiterte den Ausgleichszeitraum
auf zwölf Monate. Beide Tarifverträge enthielten keine Öffnungsklausel, die die Übertragung von Arbeitszeitguthaben gestattete. Damit waren die Klauseln in der BV Classic und der BV
NEZE, die dies in einem bestimmten Umfang ermöglichten, unwirksam und konnten keine Rechtsgrundlage für eine Durchführungsverpflichtung des Arbeitgebers nach § 77 Abs. 1 Satz 1
BetrVG sein.
Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen
Das LAG München hatte über die Wirksamkeit einer Klausel über
die Kappung von Arbeitszeiten und einer Verfallklausel in einer
Betriebsvereinbarung zu entscheiden, bei der nach dem mitgeteilten Sachverhalt die Übereinstimmung mit einem Tarifvertrag nicht zu prüfen war. Aus den Gründen des Beschlusses geht
hervor, dass zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat u.a.
folgendes vereinbart war:
“2. Gleitzeit
2.1. Alle Mitarbeiter können Beginn und Ende der Arbeitszeit
sowie die Inanspruchnahme von Gleitzeit (Gleitzeit und Gleitzeittage) innerhalb der in dieser Vereinbarung genannten Grenzen
(vgl. 2.2.) selbst bestimmen.
…
2.3. Dem Arbeitszeitgesetz entsprechend darf im Rahmen der
Gleitzeitregelung eine werktägliche Arbeitszeit von 10 Stunden
nicht überschritten werden.
2.4 Persönliches Gleitzeitkonto
2.4.1. Bei Über- oder Unterschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit pro Monat wird die Differenz auf die Folgemonate übertragen. Der Gleitzeitrahmen beträgt +/- 150 Stunden. Trifft der Vorgesetzte keine Anordnung nach 2.4.3 Satz 2, so werden für AT-
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Mitarbeiter auch Zeitguthaben über + 150 Stunden dem Gleitzeitkonto gutgeschrieben, für tarifliche Mitarbeiter werden die über
150 Stunden hinausgehenden Stunden entspr. Ziff. 4 dem Freizeitkonto zugeführt. Verbleibt bei AT-Mitarbeitern am 31.12. ein
positiver Saldo von mehr als 300 Stunden, so verfällt dieser.
…
Protokollnotiz:
Die tägliche Arbeitszeit darf gemäß dem Arbeitszeitgesetz 10
Stunden nicht überschreiten. Darüber hinaus geleistete Zeiten,
sowie Zeiten außerhalb der Rahmenarbeitszeit sind im Zeiterfassungssystem zu protokollieren, werden aber dort systemseitig
gekappt. In Fällen, die als Ausnahme/Notfälle im Sinne des Gesetzes zu betrachten sind, kann der Mitarbeiter mit schriftlicher
Zustimmung seiner Führungskraft sowie Personalbereich und
Betriebsrat diese Zeiten seinem Gleitzeitkonto gutschreiben lassen.”
Auch in diesem Betrieb wurden die Arbeitszeitgrenzen der Betriebsvereinbarung nicht eingehalten. Nach den Feststellungen des
LAG wurden in der Zeit vom 1. Januar bis 7. Dezember 2010 auf
Grund der Kappungsregelung der Protokollnotiz 2.747,51 Stunden gekappt.
Dem Argument des Betriebsrats, die Protokollnotiz sei unwirksam, weil die Betriebsparteien keine Verfügungsmacht über die
Arbeitszeit der Beschäftigten hätten, ist das Gericht zu Recht
nicht gefolgt. Die Protokollnotiz bringt vielmehr zum Ausdruck,
dass die gesetzliche Höchstarbeitszeit eingehalten werden muss,
es sei denn, dass ein außergewöhnlicher Fall im Sinne von § 14
Abs. 1 ArbZG vorliegt. Mit der Kappung darüber hinaus geleisteter Arbeitsstunden im Zeiterfassungssystem soll daher nicht erreicht werden, dass ein nach den Regelungen der Betriebsvereinbarung erworbenes Zeitguthaben verfällt, sondern ihr Zweck ist
es, zu verhindern, dass für untersagte Arbeitsleistungen Zeitguthaben gebildet werden.
Davon unterscheidet sich die Bestimmung in der Betriebsvereinbarung, dass ein positiver Saldo von mehr als 300 Stunden bei
den AT- Angestellten am 31.12. verfällt, grundlegend. Nach § 75
Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu
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wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Dazu gehört, dass
der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz
beachtet wird. Das LAG München sieht eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung der AT-Angestellten gegenüber den sonstigen Angestellten darin, dass AT-Angestellte ihr
Zeitguthaben selbständig abbauen könnten und nicht darauf angewiesen seien, dass die Vorgesetzten den Freizeitausgleich genehmigten. Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass ATAngestellte auf Grund des Umfangs der ihnen übertragenen
Arbeitsleistung oder wegen einer Erkrankung oder aus anderen
Gründen daran gehindert sein können, das Guthaben vor seinem
Verfall abzubauen.
Unabhängig davon, ob der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt ist, verstößt die Verfallklausel
deshalb gegen die von den Betriebsparteien zu wahrenden Grundsätze des Rechts. Dazu gehört, dass der Arbeitgeber nach § 611
Abs. 1 BGB verpflichtet ist, die vereinbarte Gegenleistung zu
erbringen, wenn der vorleistungspflichtige Arbeitnehmer die
Arbeitsleistung erbracht hat. Diese Wertung müssen die Betriebsparteien beachten 103. Da die Klausel den Verfall eines 300 Stunden überschreitenden Arbeitszeitguthabens auch in den Fällen
vorsieht, in denen es dem AT-Angestellten nicht möglich war, das
Guthaben durch Freizeitnahme auszugleichen, ist sie unwirksam 104. Die Entscheidung des BAG 105 über die gegen den Beschluss des LAG München eingelegte Rechtsbeschwerde steht
noch aus.
103
BAG vom 12.4.2011 - 1 AZR 412/09; zu unzumutbaren Bedingungen vgl. BAG vom 27.7.2003 - 1 AZR 575/02 und BAG vom
12.12.2006 - 1 AZR 96/06, juris
104
Ebenso BAG 4.5.1994 - 4 AZR 445/93, juris, hinsichtlich einer einzelvertraglichen Vereinbarung, die eine finanzielle Abgeltung geleisteter Überstunden auch für die Fälle ausschließt, in denen der Arbeitnehmer aus Gründen, die in der Sphäre des Arbeitgebers liegen, Freizeitausgleich nicht nehmen konnte
105
Anhängig unter dem AZ 1 ABR 40/12, juris
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7 | Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess
Niemand weiß, wie viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
im Rechtsstreit über eine Überstundenvergütung daran scheitern,
dass sie keine Notizen darüber gefertigt haben, wann sie die
Arbeit begonnen und beendet und welche Aufgaben sie innerhalb
welcher Zeiträume erledigt haben, wer ihnen die Arbeit zugewiesen hat, und dass sie auch nicht über die Beweismittel nachgedacht haben. Da der Arbeitnehmer in einem solchen Rechtsstreit
eine Leistung vom Arbeitgeber fordert, trägt er nach allgemeinen
Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen,
die den Anspruch begründen 106. Das Vorbringen muss substantiiert sein; allein die Behauptung, eine bestimmte Zahl von Stunden gearbeitet zu haben, reicht nicht aus, weil sie nicht nachprüfbar ist.
Zum notwendigen Vorbringen des Arbeitnehmers gehört, dass er
darlegt, welche Vereinbarungen er mit dem Arbeitgeber über die
regelmäßige Arbeitszeit getroffen hat, weil Überstunden erst nach
ihrem Ablauf geleistet werden können. Darüber hinaus hat es das
BAG in ständiger Rechtsprechung für erforderlich gehalten, dass
der Arbeitnehmer darlegt, an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus tätig geworden ist
und welche Tätigkeiten er ausgeführt hat, und dass sich aus seinem Vortrag auch ergibt, ob die Überstunden vom Arbeitgeber
angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden oder jedenfalls zur
Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren 107.
In der Rechtsprechung finden sich Beispiele, in denen Arbeitnehmer mit Behauptungen, die ungereimt und in sich widersprüchlich waren, versucht haben, eine Überstundenvergütung zu
erlangen 108. In anderen Fällen wurde von den Gerichten die Substantiierungslast des Arbeitnehmers überspannt. Ein Beispiel dafür
ist eine Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein, der folgender
106
Greger/Zöller, ZPO, 28. Aufl., Vor § 284 Rn. 17 a
Urteile vom 25.11.1993 - 2 AZR 517/93, 4.5.1994 - 4 AZR 445/93,
29.5.2002 - 5 AZR 370/01, 25.5.2005 - 5 AZR 319/04, juris
108
BAG 25.5.2005 (Fn. 2)
107
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Leitsatz vorangestellt ist: “Fordert ein Berufskraftfahrer Mehrarbeitsvergütung, dann muss er im Einzelnen darlegen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten er über die übliche Arbeitszeit
hinaus gearbeitet hat. Hierzu ist erforderlich, dass er den Arbeitsbeginn, etwaige Vorbereitungstätigkeiten (Fahrzeugwartung, Ladung), Fahrtbeginn, Fahrtstrecke, arbeitszeitverlängernde Vorkommnisse (Stau, Umleitungen), Zeiten etwaiger Fahrtunterbrechungen (Pausen, polizeiliche Fahrzeugkontrolle, Fahrzeugpanne), Ankunftszeit sowie Abschlusstätigkeiten (Wagenpflege, Entladung, Schriftverkehr) angibt” 109.
Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung des BAG
In einem Urteil vom 16.5.2012 110 hat nunmehr der 5. Senat des
BAG Grundsätze aufgestellt, nach denen die Anforderungen an
den Umfang der Darlegungslast des Arbeitnehmers geringer sind,
die aber nicht ohne weiteres verallgemeinert werden können. Es
lässt sich nur schwer prognostizieren, ob damit ein tiefer greifender Wandel eingeleitet wurde, da die Entscheidungsbegründung
auf die Besonderheiten der zu erledigenden Tätigkeit des klagenden Arbeitnehmers zugeschnitten ist.
Auch dieses Urteil betrifft die Klage eines Kraftfahrers. Aus dem
Tatbestand geht hervor, dass die betriebliche Arbeitszeit 40 Stunden pro Woche betrug. Der Kläger hatte vorgebracht, an welchen
Tagen er zu welcher Uhrzeit seine Arbeit im Betrieb begonnen
hatte, wann er vom Betrieb aus zu welchen Auftraggebern gefahren und wieder zurückgekehrt war und in welchem zeitlichen
Umfang Vorbereitungsarbeiten zu erledigen waren.
Nachdem die vereinbarte Pauschalabgeltung von Überstunden
mangels hinreichender Transparenz unwirksam war (§ 307 Abs. 1
S. 2 BGB), kam es darauf an, ob er die Voraussetzungen des Anspruchs auf Überstundenvergütung ausreichend dargelegt hatte.
Um dies zu beantworten, wählt der Senat einen neuen Ansatz und
verknüpft die Darlegungslast im Rechtsstreit über die Vergütung
für die regelmäßige Arbeitszeit mit der Darlegungslast im Über-
109
Urteil vom 31.5.2005 - 5 Sa 38/05 , juris; weitere Beispiele bei Klueß, AuR 2012, 409
110
5 AZR 347/11, juris
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51
stundenprozess. Im ersten Fall, so der Senat, muss der Arbeitnehmer darlegen, dass er Arbeit verrichtet oder sich zur rechten
Zeit am rechten Ort bereitgehalten hat, um Arbeitsanweisungen
des Arbeitgebers zu befolgen 111. Daran ändert sich nichts, wenn er
eine Überstundenvergütung fordert.
Diese Modifizierung ist konsequent und notwendig, denn auch
bei der Leistung von Überstunden kann ein Vergütungsanspruch
ohne Arbeitsleistung bestehen, etwa wenn der Arbeitnehmer an
seinem Arbeitsplatz oder an anderer Stelle warten musste.
Eine andere Frage ist, welche Tatsachen im Ausgangsrechtsstreit
vorzutragen waren.
Anerkannt ist, dass der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften
Darlegungslast auf einen ausreichend substantiierten Sachvortrag
des Arbeitnehmers substantiiert erwidern muss.
Hierzu führt der Senat aus, ein Kraftfahrer wie der Kläger, dem
vom Arbeitgeber bestimmte Touren zugewiesen würden, könne
seiner Darlegungslast bereits dadurch genügen, dass er vortrage,
an welchen Tagen er welche Tour wann begonnen und wann beendet habe. Im Rahmen der gestuften Darlegungslast sei es dann
Sache des Arbeitgebers, unter Auswertung der Aufzeichnungen
nach § 21 a Abs. 7 Satz 1 ArbZG substantiiert darzulegen, an
welchen Tagen der Arbeitnehmer aus welchen Gründen in geringerem zeitlichen Umfang als von ihm behauptet gearbeitet haben
müsse. Ruhepausen werden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Da kein Vergütungsanspruch für Pausenzeiten besteht, ist
aber davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer vortragen muss,
von wann bis wann er Ruhepausen eingelegt hat, es sei denn, er
hat keine Pausen gemacht.
Der Senat hält daran fest, dass der Arbeitnehmer auch darzulegen
hat, ob die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt
oder geduldet wurden oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren. Problematisch war dies im Ausgangsrechtsstreit nicht, weil die Touren auf Weisung des Arbeitgebers gefahren wurden. Näherer Vortrag zur Notwendigkeit von
Überstunden ist jedoch z.B. erforderlich, wenn der Arbeitgeber
einwendet, die Tour könne innerhalb der Normalarbeitszeit gefah111
Urteil vom 18.4.2012 - 5 AZR 248/11, juris
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ren werden. Im Übrigen hebt der Senat hervor, die von ihm aufgestellten Grundsätze könnten nicht schematisch angewendet
werden, sondern bedürften stets der Berücksichtigung der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und der konkreten
betrieblichen Abläufe.
Möglicherweise wird in Zukunft ein entscheidendes Kriterium für
die Verteilung der Darlegungslast zwischen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber sein, wie genau dieser über den zeitlichen Umfang
der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers informiert ist oder sich die
entsprechenden Kenntnisse unschwer beschaffen kann. Dann
würde es für Arbeitnehmer, die zeitautonom arbeiten und selbst
entscheiden, ob die Leistung von Überstunden notwendig ist,
schwieriger sein, die Voraussetzungen für den Anspruch auf
Überstundenvergütung darzulegen. In Kapitel III. wurde allerdings bereits gezeigt, dass der Umfang der Darlegungslast auch in
derartigen Fällen nicht schematisch zu bestimmen ist, sondern
entscheidend davon abhängt, welche Regeln der Arbeitgeber aufgestellt oder welche Erwartungen er geäußert hat. Dies soll abschließend am Beispiel “Vertrauensarbeitszeit” verdeutlicht werden.
Verteilung der Darlegungslast bei Vertrauensarbeitszeit
Das Kennzeichen von Vertrauensarbeitszeit ist der Verzicht auf
eine betriebliche Zeiterfassung. Soweit es mit der Arbeitsaufgabe
vereinbar ist, können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
selbst entscheiden, wann sie arbeiten. An die Stelle der Kontrolle
der Arbeitszeit treten Zielvereinbarungen, Zielvorgaben oder andere Steuerungsmittel, die darauf abzielen, dass das gewünschte
Arbeitsergebnis termingerecht vorliegt 112.
Ebenso wie bei variablen Arbeitszeitmodellen mit Zeiterfassung
kann bei der Vertrauensarbeitszeit die vertraglich vereinbarte
Arbeitszeit überschritten werden. Die äußerste Grenze ist die gesetzliche Höchstarbeitszeit, falls nicht eine kürzere Rahmen-
112
Beermann, Brennscheidt, Im Takt ? Gestaltung von flexiblen
Arbeitszeitmodellen (Hrsg. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitssicherheit), 4. Aufl., Febr. 2013, S. 42; Schlottfeldt, Rechtsfragen der Vertrauensarbeitszeit, Sept. 2004, www.arbeitszeitkanzlei.de
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arbeitszeit festgelegt ist. Im Regelfall soll der Ausgleich durch
Freizeitnahme erfolgen. Wenn der Arbeitnehmer längerfristig
erkrankt oder mit Arbeitsaufgaben überlastet ist, kann der Freizeitausgleich jedoch nicht realisiert werden. Praktisch relevant
kann die Frage, wie die Darlegungslast zwischen Arbeitnehmer
und Arbeitgeber im Rechtsstreit zu verteilen ist, insbesondere
dann werden, wenn der Freizeitausgleich nicht mehr durchführbar
ist, weil das Arbeitsverhältnis geendet hat, und der Arbeitnehmer
nunmehr eine Vergütung für die geleisteten Überstunden verlangt.
Weder nach dem herkömmlichen Schema noch nach den modifizierten Gesichtspunkten in der Entscheidung des BAG vom
16.5.2012 113 ist diese Frage lösbar. Bei einer Tour, die einem
Kraftfahrer übertragen wird, sind dem Arbeitgeber die Fahrtstrecke und die anfallenden Arbeitsaufgaben im Wesentlichen bekannt. Wenn Vertrauensarbeitszeit geleistet wird, etwa bei komplizierten Projekten, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten oder
sonstigen Arbeiten, die Spezialkenntnisse erfordern, kann dies
nicht vorausgesetzt werden. Dem Arbeitgeber ist es auch nicht
ohne weiteres möglich, Aufzeichnungen über die Arbeitszeit des
Arbeitnehmers auszuwerten, denn er ist nach § 16 Abs. 2 ArbZG
lediglich verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des §
3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen und die
Nachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Die Aufzeichnungspflicht nach dieser Bestimmung ist also - anders als die
nach § 21 Abs. 7 ArbG - nicht umfassend.
Daraus folgt dennoch nicht, dass der Vertrauensarbeitszeit leistende Arbeitnehmer gesteigerte Anforderungen erfüllen muss, um
seinen Anspruch auf eine Vergütung von Überstunden gerichtlich
durchzusetzen. Zwar ist es unerlässlich, dass er den Beginn und
das Ende der Arbeitszeit und der Pausenzeiten substantiiert darlegt, weil nur so nachvollzogen werden kann, ob und in welchem
Umfang Überstunden angefallen sind. Nicht erforderlich ist es
aber, dass er auch vorträgt, welche Tätigkeiten er ausgeführt hat,
wenn er nach den zugrunde liegenden Regelungen berechtigt war,
Zeitguthaben nach Maßgabe des Arbeitsanfalls aufzubauen.
113
Fn. 5
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54
Wenn etwa eine Betriebsvereinbarung bestimmt, dass die Mitarbeiter Differenzen zwischen der tatsächlich geleisteten und der
vertraglich vereinbarten Arbeitszeit eigenverantwortlich ausgleichen, wird den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nicht nur
hinsichtlich ihrer vertraglichen Arbeitszeit Zeitautonomie eingeräumt. Sie dürfen vielmehr auch selbst darüber entscheiden, ob
und in welchem Umfang sie zur Erledigung ihrer Arbeitsaufgaben
die regelmäßige Arbeitszeit überschreiten. Damit wäre es unvereinbar, wenn der Arbeitgeber im Überstundenvergütungsprozess
einwenden könnte, er wisse nicht, welche Arbeiten der Arbeitnehmer während der von ihm behaupteten Überstunden erledigt
habe, dies habe der Arbeitnehmer vorzutragen.
Aus demselben Grund bedarf es keiner, auf die konkreten Überstunden bezogenen Darlegung des Arbeitnehmers, dass der
Arbeitgeber sie angeordnet, gebilligt oder geduldet hat oder sie
jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren. Denn die Überschreitung der Arbeitszeit wird bei einem derartigen Arbeitszeitmodell generell im voraus gestattet. Hierfür
wird dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Freizeitausgleich eingeräumt.
Hat der Arbeitnehmer daher Beginn und Ende der Arbeitszeit und
der Pausen dargelegt, obliegt es dem Arbeitgeber, Gegentatsachen
vorzutragen, wenn er die Leistung von Überstunden bestreiten
will. Behauptet der Arbeitgeber, dass es dem Arbeitnehmer möglich war, die Überstunden durch Freizeitnahme während des bestehenden Arbeitsverhältnisses auszugleichen, hat er die entsprechenden Tatsachen substantiiert darzulegen. Denn insoweit erhebt
er den Einwand der Erfüllung des Ausgleichsanspruchs, für den er
die Darlegungs- und Beweislast trägt 114.
114
Fn. 1
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Autorin
Name
Ingrid Heinlein
Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht a. D., Rechtsanwältin
Bell & Windirsch Anwaltsbüro
Marktstraße 16
40213 Düsseldorf
Tel.: 0211 / 863 20 20
Fax: 0211 / 863 20 222
[email protected]
www.fachanwaeltInnen.de
Ansprechpartner
Dr. Andreas Priebe
Hans-Böckler-Stiftung
Abteilung Mitbestimmungsförderung
Referatsleiter Arbeitsrecht
Hans-Böckler-Straße 39
40476 Düsseldorf
Tel.: 0211 / 77 78 183
Fax: 0211 / 77 78 4183
[email protected]
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