Sofortige Beschwerde, Sicherungsverwahrung

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OLG Nürnberg, Beschluss v. 02.03.2015 – 1 Ws 49/15
Titel:
Sofortige Beschwerde, Sicherungsverwahrung, Strafvollstreckungsverfahren,
Strafkammer, Fachpsychiatrisches Gutachten, Sachaufklärung, Beschluss
Normenketten:
StGB §§ 66c, 67d
StPO §§ 454a, 463
Leitsätze:
1. Weicht die Diagnose im neuen Sachverständigengutachten von derjenigen in früheren
Begutachtungen ab, kann zur vom Gericht vorzunehmenden normativen Bewertung einer
"psychischen Störung” sowie zur Beurteilung der Rückfallwahrscheinlichkeit nicht auf die früheren
sachverständigen Ausführungen zurückgegriffen werden. (amtlicher Leitsatz)
2. Im Falle unterbliebener Lockerungen ist eine Fristsetzung nach § 67d Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 66c
Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB nicht zulässig (im Anschluss an OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.10.2013,
Az.: 1 Ws 421/13). Zu erwägen ist dann aber eine Beendigung der Maßnahme nach §§ 463 Abs.1,
454a StPO. (amtlicher Leitsatz)
Schlagworte:
Beschluss, Fachpsychiatrisches Gutachten, Sachaufklärung, Sicherungsverwahrung, Sofortige
Beschwerde, Strafkammer, Strafvollstreckungsverfahren
Tenor
I.
1
Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten A. wird der Beschluss der auswärtigen großen
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 05.01.2015
aufgehoben.
II.
2
Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens,
an die auswärtige große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht
Straubing zurückverwiesen.
Gründe
I.
3
Hinsichtlich des Verfahrensganges nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Gründe der angefochtenen
Entscheidung unter Ziffer I.
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Mit Beschluss vom 05.01.2015 hat die auswärtige große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts
Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing die weitere Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts
Schweinfurt vom 18.12.1986 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 07.12.1987 (1
Ks 11 Js 4646/86) angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und die
Unterbringung weder zur Bewährung ausgesetzt noch für erledigt erklärt.
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Gegen diesen dem Verteidiger des Untergebrachten am 09.01.2015 zugestellten Beschluss hat der
Untergebrachte mit Schreiben seines Verteidigers vom 09.01.2015, bei Gericht eingegangen am selben
Tage, sofortige Beschwerde eingelegt und mit Schreiben vom 19.02.2015 näher begründet.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat mit Schreiben vom 22.01.2015 beantragt, die sofortige
Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss und die genannten Schreiben verwiesen.
II.
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Die nach den §§ 454 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. 463 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen
zulässige sofortige Beschwerde vom 09.01.2015 hat in der Sache zumindest vorläufigen Erfolg.
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Auf die sofortige Beschwerde des Untergebrachten vom 09.01.2015 ist der Fortdauerbeschluss der
auswärtigen großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht
Straubing vom 05.01.2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung
zurückzuverweisen, weil der Strafvollstreckungskammer keine hinreichende aktuelle Tatsachenplattform zur
Verfügung stand und damit dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung nicht Genüge getan ist.
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1. Die Strafvollstreckungskammer hatte zu entscheiden, ob der weitere Vollzug der im Ausgangsurteil
angeordneten Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 5 StPO für erledigt zu erklären war, ob eine
Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gemäß § 67d Abs. 2 StPO in Betracht kam oder ob der
weitere Vollzug der Maßnahme notwendig ist. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist bei
vorliegendem „Altfall“, bei dem die Sicherungsverwahrung über die ursprünglich gesetzlich höchstmögliche
Dauer von zehn Jahren hinaus vollstreckt wird, eine Fortdauer der Unterbringung nur dann zulässig, wenn
vom Untergebrachten im Falle seiner Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt weiterhin eine hochgradige Gefahr
für schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten ausgeht und daneben eine für die Gefährlichkeit ursächliche
psychische Störung im Sinne von § 1 ThUG vorliegt.
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2. Hier stand der Strafvollstreckungskammer für ihre Entscheidung kein hinreichendes aktuelles
Tatsachenmaterial zur Verfügung. Es ist erforderlich, ein neues fachpsychiatrisches Gutachten zu erholen.
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a) Der Sachverständige Prof. Dr. B. erklärt in seinem schriftlichen Gutachten vom 31.07.2014, ergänzt bei
seiner mündlichen Anhörung am 30.10.2014, dass nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu
den „psychischen Störungen“ im Sinne des § 1 ThUG Störungen gehörten, die er nicht kenne, und kommt
unter anderem zu dem Ergebnis, dass der Untergebrachte kein Sexualstraftäter im üblichen Sinne sei,
sondern lediglich eine unter beschützenden Bedingungen weitgehend kompensierte dissoziale
Persönlichkeitsstörung habe, und dass die Rückfallgefahr bezüglich der Anlasstat vergleichbarer Taten bei
adäquatem Übergangsmanagement nurmehr bei lediglich 6% oder weniger liege. Demgegenüber haben die
vorhergehenden Gutachter den Untergebrachten durchgängig als betreffend seine sexuelle Tatmotivation
und seine sexuelle Devianz unbehandelten Sexualstraftäter angesehen mit einer Rückfallwahrscheinlichkeit
bezüglich schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten von 60% und mehr.
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b) Das Gutachten von Prof. Dr. B. entspricht nicht den anerkannten Mindestanforderungen für die Erstellung
von Prognosegutachten. Die gravierendsten Fehler hat die Staatsanwaltschaft Schweinfurt in ihrem
Schreiben vom 14.08.2014 zutreffend herausgearbeitet und den berechtigten Schluss gezogen, dass der
Sachverständige die frühere Delinquenz des Untergebrachten bagatellisiert, wobei dies nach Ansicht des
Senats bisweilen statt durch sachlich fundierte Ausführungen durch unangebrachte Polemik geschieht. Das
Gutachten von Prof. Dr. B. kann deshalb einer gerichtlichen Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden,
und zwar weder hinsichtlich der die entscheidende Basis für jede weitere Bewertung bildenden Diagnose
noch hinsichtlich der darauf aufbauenden Einordnung als psychische Störung im Sinne von § 1 ThUG noch
hinsichtlich der zum jetzigen Zeitpunkt vom Untergebrachten infolge seiner konkreten psychischen Störung
noch ausgehenden Gefährlichkeit, verbunden mit der Frage, ob für deren Reduzierung der erfolgreiche
Abschluss einer speziellen Sexualtherapie unabdingbar ist.
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c) Der Strafkammer stand somit keine ausreichende Grundlage zur Verfügung, um den normativen Begriff
der „psychischen Störung“ im Sinne des § 1 ThUG selbstständig rechtlich beurteilen zu können. Hinsichtlich
der Rückfallwahrscheinlichkeit nimmt die Strafkammer, die insoweit den Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr. B. wegen erkannter Unzulänglichkeiten dessen erstatteten Gutachtens
ausdrücklich nicht folgt, Bezug auf die vorangegangenen gutachterlichen Stellungnahmen. Dies ist, wie die
Beschwerdebegründung vom 19.02.2015 zu Recht ausführt, jedoch nicht zulässig. Die früheren
Begutachtungen geben nicht den aktuellen Stand von Behandlungsverlauf und Persönlichkeitsentwicklung
wieder, berücksichtigen insbesondere nicht die neueren Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt Straubing
vom 09.04.2014, 22.08.2014 und 14.10.2014, die dem Untergebrachten einen tendenziell positiven Verlauf
der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bescheinigen. Eine eigene Bewertung der Rückfallgefahr
kann die Strafkammer nicht vornehmen, da die diesbezüglichen Erwägungen der früheren Gutachten auf
einer anderen Diagnose beruhen als das aktuelle Gutachten von Prof. Dr. B. und die Klärung dieser nicht
allein rechtlichen Frage aufgrund des erforderlichen Fachwissens nur ein psychiatrischer Sachverständiger
herbeiführen kann.
III.
15
1. Wegen der zwingend erforderlichen weiteren Sachverhaltsaufklärung, zu deren Ergebnis der
Untergebrachte auch erneut anzuhören sein wird, war die Sache entgegen § 309 Abs. 2 StPO an die
Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl. § 309 Rn. 8). Unter
Umständen kann das am 09.09.2014 von der Justizvollzugsanstalt Straubing in Auftrag gegebene
Lockerungsgutachten eine geeignete Grundlage für die vorzunehmende Neubewertung sein.
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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die ausreichende Gewährung von
Lockerungsmaßnahmen grundsätzlich eine unabdingbare Vorbereitung für die Entlassung eines
Untergebrachten darstellt.
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Insoweit kommt jedoch eine Fristsetzung nach § 67d Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht in
Betracht. Die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen ist nämlich in § 66c Abs. 1 Nr. 3 StGB geregelt,
auf den § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB nicht verweist, und deshalb entgegen dem Beschluss des Landgerichts
Koblenz vom 24.06.2013 (Az.: 7 StVK 116/13) keiner Fristsetzung nach § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB
zugänglich (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 23.10.2013, Az.: 1 Ws 421/13, abrufbar über juris).
Hieran hält der Senat fest. Es ist dann aber gegebenenfalls eine Beendigung der Maßnahme nach §§ 463
Abs. 1, 454a StPO zu erwägen.
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Die Strafvollstreckungskammer wird darüber hinaus bei einer erneuten Entscheidung unter dem
Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen haben, ob Maßnahmen der Führungsaufsicht,
insbesondere die elektronische Aufenthaltsüberwachung, ausreichen und damit eine weitere Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung entbehrlich machen würden.
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3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, weil in der Zurückverweisung nur ein vorläufiger Erfolg liegt
(Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl. § 473 Rn. 7).
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