Christen der ersten Stunde

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ZEITGESCHEHEN
NAHER OSTEN
Christen der ersten Stunde
Die Wiege der christlichen Kirche ist in der Türkei – und im Irak
und in Syrien: Von Kleinasien bis zum Zweistromland hat das
Christentum eine lange Tradition in Nahost.
VON Alexander
Brüggemann | 27. Dezember 2015 - 20:56 Uhr
© Omer Messinger/dpa Picture-Alliance
Das Christentum hat vielfältige Wurzeln und Spaltungen hinter sich: Orthodoxe Christen feiern den
Palmsonntag in Israel.
Mit einigem Recht kann man behaupten, dass die Wiege der Kirche in der Türkei steht.
Christus wurde in Bethlehem geboren und starb in Jerusalem . Doch tatsächlich spielt
sich etwa die Hälfte der Apostelgeschichte im westlichen Kleinasien ab. Die sieben
Gemeinden der Apokalypse; die frühen Konzilien, die das Credo des christlichen Glaubens
formulierten: Nizäa, Konstantinopel, Ephesos, Chalcedon – allesamt in der heutigen Türkei.
Kirchenväter wie Basilius oder Johannes Chrysostomus wirkten hier. Und allen voran:
Petrus und Paulus.
Die rund 200.000 Bewohner von Antakya, dem antiken Antiochia nahe der syrischen
Grenze, nennen den Ort am Fluss Orontes stolz die "wichtigste Stadt des Christentums".
Denn Antiochia war das erste Zentrum der frühen Christen – nicht Jerusalem. Hier in dem
mondänen (und vielleicht deshalb toleranten) römischen Urlaubs- und Vergnügungsort
wirkte der Völkerapostel Paulus. Der antike Melting Pot war Treffpunkt der Angesagten
und damit auch ein Handelsplatz moderner religiöser Ideen. Die Apostelgeschichte
berichtet, dass die Anhänger Christi erstmals in Antiochia "Christen" genannt worden seien.
Dass es gerade im Nahen Osten eine verwirrende Vielfalt christlicher Kirchen
und Denominationen gibt, liegt – wie später auch im Islam – an den streitvollen
Findungsprozessen der eigenen Lehr- und Glaubenssätze in den ersten Jahrhunderten.
Im Zuge der spätantiken ökumenischen Konzilien entstanden vier Kirchenfamilien mit je
eigenen Liturgieformen: 1. die sogenannten Kirchen des Ostens; 2. die frühen orthodoxen
Kirchen der Syrer, Kopten, Äthiopier und Armenier; 3. die spätere, griechische und
georgische Orthodoxie; 4. und zuletzt die (west-)römische mit den diversen später wieder
mit Rom unierten katholischen Ostkirchen.
ALEXANDER BRÜGGEMANN
Alexander Brüggemann leitet das Auslandsressort der
Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA)
Auch der Irak zählt zu den ältesten Siedlungsgebieten des Christentums. Im früheren
Mesopotamien (Zweistromland) stellten Christen vor der Expansion des Islam im 7.
Jahrhundert die Bevölkerungsmehrheit. Danach nahm der Anteil immer weiter ab – auf
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heute nur noch zwei bis drei Prozent. Ihre Zahl ist seit dem Sturz Saddam Husseins 2003
nicht mehr zu bestimmen.
Die größte christliche Konfession sind die mit Rom verbundenen Kirchen, also die
katholischen Chaldäer als mit Abstand wichtigste christliche Denomination mit früher
rund 200.000 Mitgliedern. Daneben gibt es Katholiken des armenischen, lateinischen,
byzantinischen und syrischen Ritus, Altorientalen (Assyrer, Armenier, Syrisch-Orthodoxe),
orthodoxe Christen sowie Protestanten.
Vor 100 Jahren lebten in Syrien noch 30 Prozent Christen
Auch Syrien war früher mehrheitlich christlich. Heute gehört eine klare
Bevölkerungsmehrheit von geschätzt 75 Prozent dem sunnitischen Islam an; es regiert
jedoch eine alawitische Minderheit. Als maximal zehn Prozent der Bevölkerung werden
Christen unterschiedlichster Konfessionen geführt, wahrscheinlicher sind es aber fünf bis
sechs Prozent. Vor 100 Jahren sollen es noch 30 Prozent gewesen sein. Einige syrische
Christen sprechen Syrisch-Aramäisch, also eine ähnliche Sprache wie einst Jesus.
Die größte christliche Denomination mit mehr als 50 Prozent sind die SyrischOrthodoxen (Jakobiten) unter dem Patriarchat von Antiochien; die zweitgrößte sind die
Griechisch-Orthodoxen. Zudem gibt es katholische Melkiten, die Assyrische "Kirche
des Ostens" (Nestorianer), Armenier und die mit Rom verbundene syrisch-katholische
Kirche. Die Melkiten gehören zu den Kirchen des Ostens, sind jedoch mit Rom uniert. Ihre
Mitglieder sehen sich als Nachkommen der ersten christlichen Gemeinden aus Jerusalem
und Galiläa. Ihre Gottesdienste feiern sie überwiegend in arabischer Sprache.
Die sogenannte Kirche des Ostens gehört zu den ältesten christlichen Denominationen
überhaupt. Ihr Patriarch gebot über ein weit größeres Gebiet als der Papst. Schon seit den
Anfängen des mesopotamischen Christentums im zweiten Jahrhundert bildete der Euphrat,
der von der heutigen Nordost-Türkei bis nach Basra am Persischen Golf verläuft, eine
kulturell wie sprachlich fast unüberwindliche Grenzlinie zwischen dem Römischen und
dem Großiranischen Reich. Sie bestand bis zum siebten Jahrhundert – als der Siegeszug des
Islam über die Byzantiner gleichsam noch einen weiteren kulturellen Puffer zwischen die
Kirche des Westens und die des Ostens setzte.
Des Weiteren trieben politische Entwicklungen im Iran sowie der christologische Streit
auf dem Konzil von Ephesus 431, das die Lehren des Nestorius verurteilte, den Keil der
Häresie zwischen die beiden Kirchen. 486 formulierte die Kirche des Ostens ein eigenes
Glaubensbekenntnis. Die gegenseitigen Anathemata hoben die römisch-katholische und die
Kirche des Ostens erst 1994/97 auf.
Verfolgung, Spaltung und Exil
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Schon Ende des dritten Jahrhunderts entstand ein dauerhafter Kontakt zwischen Basra
im heutigen Südirak und den Thomas-Christen im indischen Kerala. Nestorianische
Missionare drangen erfolgreich auf die Arabische Halbinsel vor, zu den Steppenvölkern
Zentralasiens und über die Seidenstraße bis nach China. Im Mittelalter waren 12 bis 16
Prozent der geschätzten 50 bis 60 Millionen Christen weltweit Nestorianer. Bis zum 14.
Jahrhundert war sie mit rund 200 Bistümern die erfolgreichste Missionskirche überhaupt.
Dabei war die "Kirche des Ostens" niemals Staatskirche. Zweimal, Mitte des 7. und an
der Wende zum 14. Jahrhundert, stand sie in Mesopotamien an der Schwelle dazu. Doch
beide Male schlug das Pendel in Richtung Islam aus. Es begann eine lange Zeit von
Verfolgungen, inneren Spaltungen und Exilbewegungen. Die Massaker des Timur Lenk
(1336–1405), innere Querelen und eine teilweise Union der Nestorianer mit Rom -– heute
die katholischen Chaldäer im Irak – zehrten schließlich an der Substanz.
Über die Jahrhunderte blieben die Christen im Irak oder in Syrien eine namhafte
Minderheit. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts machten sie regional bis zu 30 oder mehr
Prozent der Bevölkerung aus. Der Zerfall des Osmanischen Reiches brachte dann eine
Pogromstimmung islamischer Neo-Nationalisten mit sich. Diese Welle vor und im Zuge
des Ersten Weltkriegs führte zum Völkermord an den Armeniern und an der aramäischen
"Kirche des Ostens". Hunderttausende, womöglich über eine Million Christen wurden
umgebracht. Derzeit reiten die sunnitischen Terroristen des "Islamischen Staates" eine
weitere, vielleicht tödliche Attacke gegen die Christen des Nahen Ostens.
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aethiopien-irak
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