Gerhard Friedrich Komm mit, lass uns Mathe spielen ! Ein Zahlen landAktionsbuc h Mathe rund um die Kita Nicht nur in den Räumen, sondern auch rund um die Kita können die Kinder Mathe spielend entdecken. Dazu werden sie zu Zahlenkommissaren, die auf unterschiedliche Art und Weise ihre Ermittlungsarbeiten beginnen können. Wer findet welche Zahlen, mathematischen Bilder oder Symbole? Und was bedeuten sie? Welche Aktivitäten des Alltags haben mit Mathe zu tun? Tipp Zahlendetektive Zu Anfang können die Kinder ihre Umgebung ganz allgemein nach der Existenz von Zahlen auskundschaften. Genaues Hinschauen ist erforderlich und vielleicht bietet sich dieses Spiel sogar als Einstiegsmethode in ein Zahlenland-Projekt an, indem zum Beispiel ein Zahlenerkundungsgang durchgeführt wird, egal, ob drinnen oder draußen. Es gibt viele Entdeckungsmöglichkeiten: ƜƜ ƜƜ Steht eine Zahl an einem Tag im Mittelpunkt, so nehmen die Kinder ihre Umgebung im Hinblick auf genau diese Zahl wahr. Wo kann man sie überall finden? im Freien: Hausnummern als Ordnungszahlen, Zahlen als Preise an den Tankstellen oder in den Schaufenstern, Zahlen als Kodierung auf den Autokennzeichen usw. im Innenbereich als allgemeine Zahlenentdeckungen: das Datum auf einem Kalender, die Ziffern an der Garderobe, die Größenangaben auf der Kleidung der Kinder, das Körpergewicht auf der Waage, die Größenangabe, die mit einem Meterstab gemessen wird, das Alter der Kinder usw. Verkehrsschilder können mathematisch interessant sein, wenn man sich die Formen ansieht (Dreieck, Quadrat usw.). 19 ken Mathe im Alltag entdec Mathekommissare Soll das Spiel gleich auf den umfassenderen Bereich der Mathematik erweitert werden, weil es den Interessen der Kinder entspricht, so ist das völlig in Ordnung. Dann geht es neben den Zahlen auch um erweiterte mathematische Inhalte und Konstruktionen. Diese begegnen uns in vielerlei Erscheinungen im ganz normalen Alltag, zum Beispiel: ƜƜ ƜƜ ƜƜ ƜƜ ƜƜ ƜƜ bei den geometrischen Formen der Verkehrsschilder beim Tagesablauf, der mittels der Uhrzeiten beschrieben werden kann beim Tischdecken, bei dem jedes Kind zum Beispiel genau einen Teller bekommt beim Ausmalen von Mandalas oder beim Herstellen von Klecksbildern bei Aktivitäten wie dem Vergleichen von Körpergrößen oder dem Messen von Gewichten beim Herstellen von Ketten, bei denen regelmäßige Muster Verwendung finden usw. All diese Aktivitäten können je nach Interessenslage einen Zugang zur Welt der Mathematik liefern. Was passiert, mathematisch gesehen, wenn eine leckere Himbeere genascht wird? Sie wird weggenommen, also subtrahiert! 20 Mit Kindern ­Mathe erfinden Mathe kann man nicht nur entdecken und verstehen, sondern auch erfinden. Auslöser für die Überlegungen zum Thema Mathe-Erfinden in der Kita war der Titel „Kinder erfinden Mathematik – gestaltendes Tätigsein mit gleichem Material in großer Menge“ der Autorin Kerensa Lee. Das Konzept selbst ist nach den Worten von Lee inspiriert durch die „natürliche Methode für das Lernen von Mathematik, die der Freinet-Pädagoge Paul Le Bohec in den 1990er-Jahren entwickelte“ (Lee, K. 2014, S. 15). Es wurde dann von Anton Strobel aufgenommen und gemeinsam mit der Autorin weiterentwickelt. Vom Entdecken zum Erfinden – wie es dazu kam Hinter der Formulierung „Mathematik erfinden“ steckt eine ausgesprochen moderne Auffassung dessen, was Mathematik überhaupt ist, bzw. wie wir zu ihr finden können. Viele Jahrhunderte lang war nämlich die Vorstellung, dass Mathematik erfunden oder gar selbst produziert werden kann, völlig abwegig. Mathematik wurde nicht erfunden, so die einhellige Meinung, sondern zum Beispiel in der Geometrie oder in der Zahlenlehre entdeckt und eben entschlüsselt. Diese Vorstellung steht der Erfindungsidee diametral entgegen. 21 ­ athe er Mit Kindern M finden Die „Mathematik-Entdeckungstheorie“ geht auf den antiken griechischen Philosophen Platon zurück (427–347 v. Chr.) und wird infolgedessen auch als „platonischer Standpunkt“ bezeichnet. Für Platon entsprachen die Objekte der mathematischen Betrachtung einer höheren Realitätsstufe als die realen, zum Beispiel wäre danach also ein mathematisch beschriebener Kreis realer als ein mit Kreide auf die Straße gezeichneter. Für die Pythagoreer, so werden die Angehörigen der philosophischen Schule des berühmten Pythagoras‘ von Samos genannt, war klar: „Alles ist Zahl“. Auch der berühmte Galileo Galilei (1564–1642) etwa war der Überzeugung, dass Mathematik die Sprache der Natur sei. Diese sich daraus ergebende Vorstellung, dass die Mathematik deshalb in der Natur lediglich entdeckt werden kann, ist uns allen im Alltag vertraut, recht einleuchtend und durchaus naheliegend. Das Schulfach Mathematik bedient diese Vorstellung immer noch weitgehend zumindest bis zum Ende der zehnten Klasse. Allerdings entspricht sie seit Längerem nicht mehr dem modernen wissenschaftlichen Verständnis dessen, was Mathematik in ihrem Kern ausmacht. Moderne Mathematiker bezeichnen Mathematik als ein vom Menschen erfundenes Spiel, welches nach klar definierten Regeln funktioniert. Mathematiker brauchen Regeln und sonst nichts. Der Rest wird erfunden (vgl. Beutelsbacher, A. 2011, S. 185-186) oder moderner formuliert: Die Mathematik wird in sich widerspruchsfrei mithilfe der vereinbarten Regeln konstruiert. 22 Die klassische Würfelreihe, immer um eins aufsteigend von eins bis sechs t Regeln. Mathe brauch Kinder machen sich keine tiefgründigen oder gar wissenschaftsphilosophischen Gedanken, aber sie haben die wissenschaftlich arbeitenden Mathematiker hinter sich, wenn sie sich ans „Erfinden von Mathe“ heranwagen, selbst wenn ihre Regeln nicht so axiomatisch unbeugsam sein werden, wie jene der reinen Mathematik – zumal es für die Kinder gilt, auch die Regeln selbst erst zu erfinden. Die Regeln zu den Dingen entwerfen Der Ansatz von Lee zielt darauf ab, die Kinder durch die Darbietung von gleichem Material zu ermutigen, mathematische Strukturen zu „erfinden“ (Lee, K. 2014). Das Material wird in großen Mengen angeboten, zum Beispiel hunderte oder gar tausende 1-Cent-Stücke, Wäscheklammern, bunte Eislöffelchen, viele Augenwürfel oder viele gleich große Holzwürfel. Lee beschreibt die Idee so: „Vielen Erwachsenen erscheint es illusorisch, Mathematik mittels gestaltenden Tätigseins und eigener Ideen selbst produzieren zu können. Doch ‚Kinder erfinden Mathematik‘ ist ernst gemeint. Der kurze Satz fasst zusammen, was passiert, wenn kleine und große Menschen passende Werkzeuge – zum Beispiel einen Beutel voller 1-Cent-Stücke – in die Hände bekommen. Sie beginnen nämlich, ihre Fantasie spielen zu lassen und die vielen Teilchen neu zu ordnen. […] Beim Tätigsein mit gleichem Material in großer Menge gibt es keine 23