Seite 2 Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald 4 PATHOGENESE UND KLINIK BEI ERWACHSENEN UND SENIOREN 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7 Pathogenese Einleitung Erregervirulenz und Transmission Sialinsäure als virale Rezeptorstruktur Molekulare Signaturen der Virulenz Transmissionmodi und Transmissionspotential Wirtsspezifische Immunantwort Pathoanatomie der respiratorischen Organe 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 4.2.8 4.2.9 4.2.10 4.2.11 4.2.12 Klinik Einleitung Transmission Erkrankungsrate (attack rate) Falldefinition Altersgruppenverteilung Asymptomatischer Verlauf Initiale Symptome Klinisch relevante bzw. schwere Krankheitsverläufe Bakterielle Lungenkomplikationen Risikogruppen/Risikofaktoren Chronische Grunderkrankungen Schwangerschaft 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 Weitere Patientengruppen Ältere Personen Personen ohne zusätzliche Risikofaktoren Hospitalisierungsrate Sterblichkeitsrate (case fatality rate, CFR) Konsequenzen für die Krankenhausplanung 4.4 Literatur Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald Einleitung Jede Influenzapandemie ist hinsichtlich ihrer klinischen Auswirkung unterschiedlich. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. der Pathogenität des Virus und den hauptsächlich vulnerablen Altersgruppen. Jede Influenza, auch die pandemische, startet mit klinischen Symptomen einer Infektion des oberen Respirationstraktes, wobei sich die klinischen Auswirkungen unterscheiden. Hierbei handelt es sich besonders um virale und bakterielle pulmonale Komplikationen. Die influenzaassoziierte bakterielle Pneumonie wird auch für die hohe Letalität bei der „Spanischen Grippe“ 1918/1919 angeschuldigt [1]. Unterschiedlich ist jedoch das Spektrum der hauptsächlich betroffenen Altersgruppen. Bei der saisonalen Influenza und den beiden letzten Pandemien waren insbesondere die älteren Altersgruppen betroffen, während bei der Pandemie 1918/19 und der jetzigen besonders die jüngeren Alterklassen betroffen sind [2, 3, 4, 5]. 4.1 Pathogenese 4.1.1 Einleitung Die pathogenetischen Eigenschaften von Influenzaviren unterscheiden sich in Abhängigkeit von Typ, Subtyp, Stamm und natürlich der Wirtsspezies zum Teil erheblich [6, 7]. Auch innerhalb einer Spezies kann die Pathogenität in Abhängigkeit von der Immunkompetenz des Wirtes und dem Vorhandensein einer angeborenen (innaten) als auch erworbenen, spezifischen Immunantwort differieren [8, 9]. Möglicherweise können bei bestimmten Bevölkerungsgruppen oder Ethnen genetische Unterschiede in der Empfänglichkeit und dem daraus resultierenden Schweregrad der Erkrankung insbesondere bei pandemischen Influenzaviren bestehen [10, 11, 12]. Die Pathogeneseforschung bei der Influenza-A/H1N1/2009-Infektion stützt sich auf 3 Säulen: die Evaluation und Analyse klinisch-pathologischer Veränderungen bei Erkrankten, die Entwicklung und Beschreibung adäquater Tiermodelle sowie die genomische, proteomische und transkriptomische Analyse distinkter viraler Eigenschaften, deren Bedeutung von anderen, charakterisierten Virusstämmen her bekannt ist. Hierbei werden insbesondere Ergebnisse von Untersuchungen mit dem pandemischen Stamm der „Spanischen Grippe“ von 1918 zu Vergleichen herangezogen. Zudem sind bei etablierten Tiermodellen vergleichende Untersuchungen zwischen Influenza A/H1N1/2009 und beispielsweise pandemischen Influenza-A-Viren möglich und erlauben somit eine Einschätzung von Transmissionsmodi und -raten, Virulenz und pathogenem Potenzial. Nicht zuletzt geben klinisch-epidemiologische, radiologische, laborchemische und pathologisch-anatomische Daten von Krankheitsverläufen verschiedener Patientenpopulationen wichtige Informationen über Transmissionsmodi, die Virulenz des Erregers und wirtsspezifische Immunreaktionen [13–18]. Im Folgenden soll der aktuelle Kenntnisstand zur Virulenz, Transmissionsmodi, wirtsspezifischer Immunantwort und Pathogenese der Läsionen am Respirationstrakt von Influenza A/H1N1/2009 diskutiert werden. 4.1.2 Erregervirulenz und Transmission Die Evolution von Influenzaviren ist eng verknüpft mit der Erreger-Wirts-Beziehung. Letztere hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Dynamik der viralen Phylogenese. Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Seite 3 Seite 4 Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald Zwei eng miteinander verknüpfte Faktoren stehen hier im Vordergrund: die Adaptation des Erregers an einen neuen Wirt mit Überwindung der Speziesbarriere (cross-species transmission) und der Tropismus des Virus für wirtsspezifische Gewebe, der von der Expression spezifischer Glykane abhängig ist. Zur Sialinsäurefamilie gehörende Glykane zeichnen sich durch einen hohen Grad an Diversität aus. Die für die Pathogenese von Influenzavirusinfektionen relevanten sind in der α2,3- bzw. der α2,6-Position glykosidisch an Galactose gebunden. Durch die Expression an der Zelloberfläche stehen sie evolutionsbiologisch ein attraktives Target für Pathogene und hier insbesondere Viren dar. Die Expression der einzelnen Sialinsäuren ist in den einzelnen Organen unterschiedlich, so dass verschiedene Viren entsprechend ihrer Rezeptorbindung unterschiedliche Erfolgsorgane haben (Tab. 1 und 2; [19–21]). Gewebetyp Sialinsäuretyp Lymphatische Gewebe im pharynx Nasale Mukosaepithelien Sinusendothel Pharynx Larynx Trachea Bronchien und Bronchiolen Alveolen Konjunktivalschleimhaut Naso- α2,6 α2,6 und α2,3* α2,6 α2,6 α2,6 α2,6 α2,6 und α2,3a α2,3 α2,3Galβ1,4(Fucα1,3)GlcNAc α2,3Galβ1,3(Fucα1,4)GlcNAc 39 a nur in sehr geringer Dichte exprimiert Tabelle 1 Expression von Sialinsäure-Glykanen an der Zelloberfläche in Geweben des humanen Respirationstrakts [19, 20]. Sialinsäuretyp Virus Klinik/Erkrankung α2,3 Adenovirus Typ 37 Parainfluenzavirus Typ 1 und 5 Polyomavirus BK Parainfluenzavirus Typ 3 Coronavirus OC43 Polyomavirus JC Keratokonjunktivitis Bronchitis, Perimyokarditis Nephropathiea, Urozystitisa Bronchitis, Perimyocarditis Rhinitis, Bronchitis, Meningitis Encephalitisa α2,6 und α2,3 α2,6 α2,3 α2,6 und α2,3 α2,6 a b Influenzaviren HPAIVb H5N1 Influenza A/H7N7 Influenza A/H7 (nordamerikanische Isolate) HPAIVb H5N1 (humane Isolate) Influenza A/H1N1 (saisonale humane Isolate) Influenza A/H3N2 (saisonale humane Isolate) Influenza A(H1N1)v klinisches Syndrom bzw. Erkrankung HPAIV = hochpathogenes aviäres Influenzavirus nur Pneumonie, Hepatitis Konjunktivitis, Pneumonie Konjunktivitis, Pneumonie Pneumonie Grippe Grippe Grippe bei Immunsupprimierten Tabelle 2 Rezeptoraffinität und Organotropismus verschiedener humanpathogener Viren mit klinischer Manifestation am Respirationstrakt sowie verschiedener Influenza-A-Virusstämme [19, 21]. Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald 4.1.3 Sialinsäure als virale Rezeptorstruktur Während das Hämagglutinin (HA) humanpathogener Influenzaviren v. a. an α2,6verlinkte Sialinsäurestrukturen bindet, besitzen aviäre Influenzaviren ein an α2,3Sialinsäure bindendes Hämagglutinin. Im Respirationstrakt von Schweinen kommen beide Varianten sowohl in den oberen als auch den tiefen Atemwegen vor, so dass diese sowohl mit aviären als auch humanpathogenen Influenzaviren infizierbar sind. Dieser Umstand hat zu Spekulationen geführt, dass das Schwein ein sog. Mischgefäß (mixing vessel) für das Reassortieren humaner und aviärer Viren zu einem pandemischen Virus darstellt [22]. Hierfür ist eine entsprechende Co-Infektion auf zellulärer Ebene die Voraussetzung. Jedoch muss kritisch angemerkt werden, dass zumindest für die Pandemieviren des 20. Jahrhunderts ein definitiver Beweis für die Entstehung im Schwein fehlt. Eine weitere Möglichkeit der besseren Adaptation an humane Gewebe ist die Ausprägung von Punktpolymorphismen im HA-Gen, welche für die hochpathogenen aviären H5N1Viren schon charakterisiert sind [23]. Entsprechende Substitutionen an den Positionen 182 und 192 führen zu einer dualen Bindungsmöglichkeit sowohl an α2,3- als auch an α2,6-Sialinsäuren. Für das Influenza-A/H1N1/2009-Virus ist bislang lediglich α2,6-Sialinsäure als Rezeptorstruktur identifiziert worden [22]. Hierbei ist die Rezeptorbindung offenbar geringer als bei vergleichbaren saisonalen Stämmen oder dem H1N1-Pandemiestamm von 1918. Es wird spekuliert, ob hierbei durch die Kombination von Isoleucin an Position 219 mit Glutamin an Position 227 eine Destabilisierung der Rezeptorbindungsstelle mit der Folge einer niedrigeren Affinität bedingt [24]. 4.1.4 Molekulare Signaturen der Virulenz Bislang charakterisierte Isolate von Influenza A/H1N1/2009 zeigen keine genetischen Determinanten einer erhöhten Humanpathogenität (s. u.), wie sie beispielsweise von dem 1918 Pandemieisolaten bekannt sind [22]. Hierzu zählt v. a. das PB1-F2-Protein, welches intrazellulär an Mitochondrien bindet, deren Wand permeabilisert, so dass es zu einer intrazytoplasmatischen Freisetzung von Cytochrom C kommt. In der Folge kommt es in den Targetzellen (u. a. Alveolarmakrophagen und zytotoxische T-Lymphozyten) zur Apoptose (Zelltod) sowie zur Gewebsinvasion und -infiltration durch neutrophile Granulozyten mit einem höheren Risiko für eine bakterielle Superinfektion und einem schwereren Verlauf derselben [25]. Dieser Pathogenitätsmechanismus ist sowohl für das Pandemievirus von 1918 als auch für HPAIV-Stämme belegt [26], jedoch findet sich bei Influenza A/H1N1/2009 dieses Protein nicht vollständig exprimiert [22, 27]. Neben PB1-F2 stellt NS1 ein weiteres Nichtstrukturprotein des Influenzavirus dar, welches bei allen Influenzaviren als Suppressor der innaten Immunität, insbesondere der Typ-1-Interferon-Aktivierung, agiert [28]. Dieses geschieht über multiple Signalwege wie der Hemmung der dsRNS-abhängigen Protein-Kinase R (PKR) und der RNaseL und zudem über eine Aktivierung von Phosphokinasen, die die Replikationskompetenz der Influenzaviren in humanen Geweben erhöhen. Die Wirkungen von NS1 sind isolatspezifisch und nicht einheitlich. Punktmutationen können zu erheblichen Veränderungen der biologischen Wirkung führen [28, 29]. Influenza A/H1N1/2009 zeigt im NS1-Genabschnitt keine Veränderungen, die mit einer erhöhten Zytokinproduktion, proinflammatorischen oder antiapoptotischen Veränderungen und damit replikationssteigernden Effekten vergesellschaftet sind [22]. Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Seite 5 Seite 6 Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald 4.1.5 Transmissionmodi und Transmissionspotential Für pandemische Influenzaviren wird eine hohe attack rate (Erkrankungsrate) postuliert, die durch die fehlende oder nur marginal vorhandene Populationsimmunität erklärbar ist. Das Transmissionspotential von Influenzaviren lässt sich durch die sog. Reproduktionskonstante (R0) darstellen, die die Zahl der Infektionen angibt, die von einem Individuum ausgehen. Pandemische Viren liegen mit einer R0 von 1,5–2,5 verglichen mit anderen epidemischen Erregern in einem mittleren Bereich [30]. Influenza A/H1N1/2009 liegt mit einer geschätzten R0 von 1,5–2,0 auf dem gleichen Niveau. Natürlich ist die Reproduktionsrate von vielerlei Faktoren Wirt und Erreger betreffend abhängig (Populationsdichte, Ausmaß der sozialen Distanz, Möglichkeiten der Aerosol- und Kontaktübertragung, Tenazität des Erregers ect.), so dass die Schätzungen in Abhängigkeit vom gewählten Umfeld variieren [31]. Neben der Übertragung durch Tröpfchen und Aerosole scheint die Kontaktinfektion bei Influenza A(H1N1)v eine ungleich größere Rolle als bei den saisonalen Influenzaviren zu spielen [32]. Dieses wird gestützt durch die Persistenz der Viruszirkulation des neuen Pandemievirus über die Sommermonate auf der Nordhalbkugel, wobei gleichzeitig nur eine geringe Co-Zirkulation saisonaler Viren zu verzeichnen war. Für die Südhalbkugel sind die Daten noch eindrücklicher [33]. Zudem zeigen kürzlich veröffentlichte Daten, dass hohe Umgebungstemperaturen sowie eine entsprechend hohe Luftfeuchtigkeit die Aerosoltransmission von Influenzaviren beeinträchtigen können, während die Möglichkeit der Kontakttransmission erhalten bleibt [34, 35]. Daten aus Tiermodellen (Frettchen) stützen diese Einschätzung [24]. Sowohl der Beginn der Virusexkretion etwa 24 Stunden vor dem Beginn klinischer Symptome als auch die Dauer von etwa 7 Tagen unterscheiden sich nicht von den Merkmalen der saisonalen Influenzaviren. Die möglichen Implikationen für die Dynamik der Epidemiologie in der humanen Population sind noch nicht absehbar, entsprechende Konsequenzen für die Einhaltung einer adäquaten Hygiene aber immanent. 4.1.6 Wirtsspezifische Immunantwort Die Immunität gegenüber Influenzaviren wie auch anderen viralen Pathogenen des Respirationstraktes unterteilt sich in 2 Phasen: Initial kommt es zu einer Reaktion des natürlichen (innaten) Immunsystems, die gekennzeichnet ist von einer Aktivierung ortsständiger dendritischer Zellen und Alveolarmakrophagen mit Induktion von Typ-1-Interferonen, welche sich im Modell u. a. durch die Messung des antiviralen MxA-Proteins quantifizieren lässt [36, 37]. Grundlage dieser Aktivierung ist das Erkennen (Sensing) von Pathogenen über Struktur- oder Mustererkennungsrezeptoren sowohl durch respiratorische epitheliale Zellen als auch von Makrophagen. Diese sog. pattern recognition receptors (PRR) wie die Toll-like-Rezeptoren (TlR) und retinoic acid-inducible gene-I(RIG-I)-like receptors (RLR) aktivieren direkt oder indirekt den Cryopyrinsignalweg [38, 39]. Die Aktivierung des Cryopyrin-Inflammasom-Komplexes führt zum Einstrom von neutrophilen Granulozyten und Monozyten in die infizierten Gewebe. Beide Zelltypen sezernieren dann inflammatorische Zyto- und Chemokine, prozessieren virusinfizierte Zellen und kontrollieren somit die lokale Infektion [40]. Nur die präzise Funktion dieses Netzwerks kann die fatalen Folgen einer überschießenden Zytokinfreisetzung (sog. „Zytokin-Sturm“) verhindern, der v. a. bei HPAIVInfektionen und solchen mit 1918-Pandemie-Stämmen für schwere und letale Verläufe verantwortlich zeichnet [41]. Hierbei ist die Feinregulation der Immunantwort insbesondere abhängig von der Viruslast und der Menge des viralen Proteins NS1, welches in der Lage ist, den NLRP3-Komplex und die sekundäre Caspase-1-Aktivierung zu inhibieren. Damit wird ein für die Virusreplikation vorteilhaftes proinflammatorisches Milieu generiert und Apoptosemechanismen werden hochreguliert [42, 43, 44]. Therapeutische Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald Optionen aus einer Zytokininhibition lassen sich aber nach den in den untersuchten Modellen erzielten Resultaten nicht ableiten [45]. Auch virale RNS selbst kann die Typ-1-Interferone α und ß induzieren, so dass hier zusätzlich direkte Interaktionen mit TlR und RPR diskutiert werden [40]. Die Interaktion von Alveolarmakrophagen und Typ-2-Pneumozyten mit Influenzavirusproteinen führt dann in der zweiten Phase der Immunantwort zur Synthese von TNF-α, IL1ß, IL10, MIP-1α, MIP-1ß, RANTES sowie IL8 und weiteren proinflammatorischen Zytokinen sowie auch – in einem geringeren Maße – Typ-3-Interferonen (Interferon-λ1, syn.: IL29 und Interferon-λ2, syn.: IL28A; [46]). Sie steuert über Effektor-T-Lymphozyten (Th17) die zelluläre, v. a. durch IL17sezernierende CD8+ T-Lymphozyten (Tc17-Zellen) vermittelte Immunantwort, und schließlich auch die humorale, die als Charakteristikum eine IL21-vermittelte BZell-Stimulation beinhaltet [47–50]. Unterschiede in der Ausprägung dieser immunologischen Kaskade finden sich in Abhängigkeit von primärer oder sekundärer Exposition zu Influenzaviren [47]. Ebenso ist hierbei die lokale Viruslast mit ihren Einflüssen auf proinflammatorische, antiapoptotische und interferonregulierende Faktoren von Bedeutung. Die CD8+ T-Lymphozyten-Antwort scheint robust und durabel über einen längeren Zeitraum zu bestehen, eine Rekrutierung diverser Klonotypen ist auch nach Jahren noch kurzfristig möglich [50]. Ein besonderes Merkmal der Influenzavirusinfektion ist die Tatsache, dass die innate Immunantwort erst relativ spät – bis 48 h nach der Infektion einsetzt [52]. So existiert schon vor protektiver Immunantwort eine effektive Virusreplikation mit Destruktion der Targetstrukturen. Die Höhe der Viruslast im Zielorgan korreliert positiv mit der Intensität und invers mit der Effektivität der Immunantwort [36]. Dieses ist besonders gut für Infektionen mit dem HPAIV-H5N1-Virus belegt [53], scheint aber ebenso für Influenza A/H1N1/2009 zu gelten [54]. Schwere klinische Verläufe bei Influenzavirusinfektionen sind hierbei gekennzeichnet von einer Hyperzytokinämie und massiver Apoptose in den betroffenen Organen (akutes Lungenversagen und ARDS beim Menschen, aber auch nekrotisierende Hepatitis bei anderen Säugern; [55, 56]). 4.1.7 Pathoanatomie der respiratorischen Organe In Tiermodellen (Makaken, Ratten, Frettchen, Schwein) lassen sich Eigenschaften des neuen Influenzavirus aufzeigen, die es in die Nähe klassischer pandemischer Influenzaviren rücken: hier sind v. a. die inflammatorischen Veränderungen der tiefen Atemwege zu nennen, die für saisonale Influenzastämme nicht typisch sind [27, 24, 54]. Auch, wenn die Viruslast in Bronchiolen und Alveoli im Vergleich zu Infektionen mit HPAIV oder dem 1918-Pandemievirus deutlich geringer ist, finden sich im Frettchen- und im Makakenmodell ein dichteres Infiltrat mononukleärer Zellen. Die Expression von Influenzaantigenen von A/H1N1/2009 in der nasalen Schleimhaut ist insgesamt geringer als die saisonaler Virusisolate, jedoch sind nur Isolate von Influenza A/H1N1/2009 in der Lage, auch in der Trachea, den Bronchien und Bronchiolen zu replizieren [27]. Die Pathogenese von Influenza-A/H1N1/2009-Manifestation außerhalb des Respirationstraktes ist noch vollständig ungeklärt. Klinische Daten zeigen in einzelnen Patientengruppen eine hohe Rate an gastrointestinalen Beschwerden. Auch neurologische Symptome wurden beschrieben; ob sie jedoch direkt der Influenza zugeordnet werden können, wie es bei den HPAIV-Infektionen der Fall ist [57], oder nur Epiphänomene darstellen, bleibt zu klären. Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Seite 7 Seite 8 Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald 4.2 Klinik 4.2.1 Einleitung Die Analyse der bisher vorliegenden Daten zeigt, dass die Influenza A/H1N1/2009 überwiegend durch einen milden bis moderaten Krankheitsverlauf gekennzeichnet ist [3, 58–60]. Schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle traten bisher mehrheitlich bei Patienten mit klinisch relevanten Vorerkrankungen auf [61]. Als ein besonderes Risiko hinsichtlich schwerer Krankheitsverläufe und Tod hat sich eine Schwangerschaft und chronische Grunderkrankungen herausgestellt [18]. Die Hospitalisierungsfrequenz kann aufgrund der vorliegenden Daten als niedrig eingeschätzt werden [62, 63]. Asymptomatische Verläufe kommen in nennenswerter Anzahl vor, so dass zusätzlich von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist, die zu einer Überschätzung der prozentualen Angaben hinsichtlich Morbidität und Letalität führen [3, 62, 64]. Inzwischen sind viele Charakteristika der neuen Influenza bekannt (Transmissionswege, Inkubationszeit, klinische Präsentation etc.), jedoch sind noch zahlreiche Fakten offen (künftige Schwere der Pandemie, Dominanz des neuen Influenzasubtyps in der kommenden Influenzasaison, Pathogenitäts- und Resistenzentwicklung etc). Die bisher bekannten Daten zum klinischen Verlauf und den Komplikationen werden im Folgenden zusammengefasst. 4.2.2 Transmission Es gibt bisher keine Evidenz, dass das Influenzavirus A/H1N1/2009 sich in anderer Weise überträgt, als dies von den bisher bekannten humanen Influenzaviren bekannt ist. So ist von einem Infektionsweg über Tröpfchenbildung beim Husten oder Niesen oder direkten bzw. indirekten Kontakt mit respiratorischen Sekreten von infizierten Personen auszugehen. Es gibt weder Hinweise auf einen unüblichen Transmissionsweg noch auf eine Übertragung über Nahrungsmittel [60, 65]. Die Daten zur Übertragungswahrscheinlichkeit von Influenza A/H1N1/2009 sind widersprüchlich. In kürzlich publizierten experimentellen Studien zeigte sich im Vergleich zur saisonalen Influenza eine geringere oder ähnliche Transmissionsrate. Diese wird bei epidemiologischen Analysen gegenüber der saisonalen Influenza als gleich oder teilweise sogar höher eingeschätzt [24, 54]. Auch fand sich tierexperimentell eine höhere Virusreplikation und eine stärkere Virusfreisetzung aus dem oberen Respirationstrakt [54]. Ob die Transmissionsrate in der kommenden Influenzasaison effektiver ist, und das pandemische Virus das saisonale Influenzavirus A/H1N1 verdrängt, bleibt spekulativ. 4.2.3 Erkrankungsrate (attack rate) Die Erkrankungsrate (attack rate) beschreibt die kumulative Inzidenz einer Infektion während einer Epidemie in einer Population während eines definierten Zeitraums. Mithin gibt der Begriff ein Maß für den Anteil der Bevölkerung, der erkranken wird. In früheren Pandemien lag die klinische Erkrankungsrate bei 20– 30 % oder höher, während sie für die saisonale Influenza üblicherweise bis zu 10 % beträgt [70]. Die attack rate der jetzigen Pandemie wird nach aktuellem Stand deutlich geringer eingeschätzt, da die Erkrankungsrate bei älteren Patienten bedeutend niedriger ist als in früheren Pandemien [3]. Ob dies so bleibt, kann nicht vorher gesagt werden; daher sollte man bei zukünftigen Planungen für die Auswirkung einer Pandemie auf das Gesundheitssystem von höheren Zahlen ausgehen [71]. In einer mexikanischen Studie wurde eine attack rate von 30 % angegeben [72]. In Nordamerika lag diese Zahl mit 7 % deutlich geringer [73]. In einer neuseeländischen Beobachtungsstudie wurde eine attack rate von 8 % Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald angegeben, die unter Einschluss der asymptomatischen Fälle auf 11 % stieg [63]. In Europa wurde in bestimmten definierten Gruppen eine höhere attack rate gefunden. Aus Ausbrüchen in Schulen in Großbritannien und Frankreich kommen Angaben von 30–50 % [74, 75]. Alle Daten werden dadurch kompromittiert, dass die Zahl der asymptomatischen Infektionen wahrscheinlich hoch ist und inzwischen viele Patienten keine ärztliche Versorgung mehr aufsuchen. 4.2.4 Falldefinition Ausgehend von den bisher bekannten Symptomen und epidemiologischen Expositionen wurde eine Falldefinition erarbeitet [76, 77]. Ein wahrscheinlicher Fall liegt bei einer relevanten epidemiologischen Exposition zu einem bestätigten Fall mit gesichertem Nachweis einer Influenza A/H1N1/2009 vor, wenn zusätzlich Zeichen einer akuten respiratorischen Infektion bestehen und keine andere Ursache identifiziert werden kann. Ein gesicherter Fall besteht bei einem Nachweis von Influenzavirus A/H1N1/2009 mittels PCR oder Virusisolierung. Ein serologischer Beweis (4-facher Titeranstieg) kann derzeit noch nicht herangezogen werden, da validierte serologische Testverfahren noch nicht allgemein verfügbar sind. Da am Beginn der jetzigen Influenzapandemie in den hauptsächlich betroffenen Regionen die saisonale Influenzasaison 2008/2009 bereits zurückging, war es wesentlich einfacher, mit Hilfe der Falldefinition Infektionen an pandemischer Influenza klinisch bzw. epidemiologisch wahrscheinlich zu machen. In der kommenden Influenzasaison wird dies bei der Zirkulation saisonaler Influenzaviren und anderer respiratorischer Viren deutlich schwieriger sein, was die Bedeutung einer zeitnahen virologischen Diagnostik zur Entscheidung über eine antivirale Therapie hervorhebt. 4.2.5 Altersgruppenverteilung Die Häufigkeit der Influenza A/H1N1/2009 ist in den verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich. Nach Auswertungen des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) ist die Inzidenz in der Altersgruppe von 5 bis 29 Jahren am größten. Menschen im Alter über 60 Jahre sind signifikant seltener betroffen. Diese Tatsache wird mit einer Kreuzimmunität aus früheren Kontakten mit Influenzaviren A/H1N1/2009 bei Angehörigen dieser Altersgruppe erklärt [78]. Dieses Phänomen wird auch als Ursache für die geringe Letalität der über 60-Jährigen während der „Spanischen Grippe“ 1918/19 angesehen [3, 79]. Dies wurde durch Untersuchungen der CDC erhärtet, die bei der Analyse von über 60-Jährigen bei rund 30 % der Fälle kreuzreaktive Antikörper gegen Influenzavirus A/H1N1/2009 fanden. In der Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen war dies noch bei 6–9 % der Fall; bei Kindern fanden sich keine spezifischen Antikörper [78]. Die Auswertung der ersten 10.000 Fälle durch das Robert-Koch-Institut (RKI) in Deutschland zeigt ein ähnliches Bild [58]. Auch hier war die Mehrzahl der Fälle (77 %) der Altersgruppe von 10 bis 29 Jahren zugehörig [58]. Der Altersmedian lag bei 19 Jahren (Altersbereich 0–89 Jahre). Die Geschlechtsverteilung zeigte sich in allen Untersuchungen nahezu gleich [3, 58]. 4.2.6 Asymptomatischer Verlauf Es ist davon auszugehen, dass asymptomatische Verläufe häufig vorkommen [62, 64, 71]. Deren Anteil kann mit bis zu 50 % angenommen werden. Genauere Informationen werden von serologischen Fallstudien erwartet, die derzeit unterwegs sind. Die serologische Surveillance ist momentan nur in Studien durchführbar, da allgemein verfügbare validierte serologische Tests noch nicht vorhanden sind. Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Seite 9 Seite 10 Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald 4.2.7 Initiale Symptome Die Inkubationszeit der pandemischen Influenza A/H1N1/2009 beträgt im Mittel 3 bis 4 Tage (Spannbreite 1 bis 7 Tage) und ist damit etwas länger als bei der saisonalen Influenza. Die initiale Symptomatik gleicht der der saisonalen Influenza. Im Vordergrund stehen Fieber über 37,5°C (96 %), Husten (95 %), Kopfschmerzen (61 %; [3, 58, 80]). Eine Auflistung der häufigsten klinischen Symptome zeigt Tab. 3. Der einzige klinische Befund, der von der saisonalen Influenza abweicht, ist die berichtete Häufigkeit gastrointestinaler Symptome, wobei Diarrhoe (41 %) im Vordergrund stand [4, 81]. Dies wird auch bei der saisonalen Influenza häufig bei Kindern berichtet, ist jedoch bei Erwachsenen eher seltener. Die Verteilung der Symptome ist zwischen den Ländern und Kontinenten nahezu gleich, wobei in einer Übersicht von in Europa aufgetretenen Fällen die gastrointestinalen Symptome weniger häufig waren [62]. Traten diese auf, waren sie auch mit anderen eher unüblichen Zeichen einer Influenza kombiniert [81]. Die klinischen Symptome beginnen prompt und bilden sich in 3–5–7 Tagen in den meisten Fällen spontan zurück. Eine antivirale Therapie wird für diese Personengruppe derzeit nicht empfohlen. Die Virusausscheidung kann bis zu 7 Tage betragen, bei schweren Krankheitsverläufen und hoher Viruslast auch darüber hinaus, wie dies auch bei der saisonalen Influenza vorkommt [82]. Tabelle 3 Klinische Daten über bestätigte Krankheitsfälle bei der Influenza A/H1N1/2009 [80]. 4.2.8 Klinisch relevante bzw. schwere Krankheitsverläufe Aufgrund des überwiegend milden Krankheitsverlaufs ist die Datenlage hinsichtlich klinisch relevanter Krankheitsverläufe bzw. Komplikationen schmal und auf eine wenige numerisch kleine Beobachtungsstudien begrenzt. Es gibt zwischen der saisonalen Influenza und jetzigen pandemischen Influenza für schwere Krankheitsverläufe bei Erwachsenen deutliche Unterschiede (Abb. 1; [3]). Während die saisonale Influenza bei klinisch relevanten Verläufen überwiegend durch influenzaassoziierte, besonders bakterielle Komplikationen charakterisiert ist, finden sich bei der pandemischen Influenza A/H1N1/2009 überwiegend primär virale Organbeteiligungen und deutlich weniger bakterielle pulmonale Komplikationen [4]. Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald Abbildung 1 Klinische Charakteristika der saisonalen Influenza im Vergleich zur pandemischen Influenza [3]. Der häufigste Grund für eine Krankenhausaufnahme und schwerer Erkrankungen war bei den bisher beobachteten Fällen eine primär virale Pneumonie (virale Pneumonitis), die möglicherweise besonders bei genetisch prädisponierten Personen vorkommt [4, 17]. Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass die pandemische Influenza A/H1N1/2009 auch den tiefen Respirationstrakt mit einer viralen Invasion in das Lungengewebe betrifft [54]. Die histologische Aufarbeitung von Autopsiepräparaten zeigte eine diffuse Schädigung des Alveolarepithels, hämorrhagische interstitielle virale Pneumonie mit überwiegend lymphozytärer Infiltration. Die Befunde waren vereinbar mit dem Syndrom eines akuten Lungenversagens [3, 4]. Sowohl bakterielle Komplikationen als auch sekundäre bakterielle Infektionen wurden seltener beobachtet als dies bei der saisonalen Influenza der Fall war. Autopsiebefunde zeigten bei 7/50 Fällen (14 %) mikrobiologische Hinweise für eine bakterielle Komplikation oder Pilzinfektion in der Lunge [4]. Haupttodesursache in den Fällen mit einer schweren Pneumonie war eine fortschreitende Erkrankung der Influenza mit Organversagen. 4.2.9 Bakterielle Lungenkomplikationen Bakterien, insbesondere Pneumokokken und Influenzaviren bilden eine unheilige Allianz [83]. Für die erhöhte Rate an bakteriellen Komplikationen spielt offenbar die Dysregulation der unspezifischen (innaten) Immunität eine entscheidende Rolle. Die Überstimulation durch Typ-1-Interferone über den dazugehörigen Rezeptor führt zu einer unzureichenden Produktion neutrophiler chemotaktischer Faktoren (CXCL1 und CXCL2), die dann in einen verminderten Influx von neutrophilen Granulozyten mündet, so dass die antikörper- und opsoninabhängige Phagozytose von Pneumokokken nicht mehr ausreichend gewährleistet ist. Ähnliches geschieht durch eine erhöhte Interferon-γ-Freisetzung aus Makrophagen und T-Lymphozyten [84]. Kapselpolysaccharide und Lipoteichonsäure lösen dann eine heftige proinflammatorische und proapoptotische lokale Immunantwort mit der Folge einer massiven Gewebsdestruktion aus [83, 85]. Für das Pandemievirus 1918/19 zeigen viele Daten den fatalen Verlauf bei bakterieller Superinfektion [1], während bei Infektionen mit Influenza A/H1N1/2009 keine Berichte über eine deutlich erhöhte Rate an schweren bakteriellen Superinfektionen existieren [3, 4]. Von der saisonalen Influenza ist bekannt, dass sie insbesondere bei älteren Patienten mit bakteriellen influenzaassoziierten Lungenkomplikationen einhergeht. Besonders ist, dass im Gegensatz zum Spektrum der konventionellen ambulant erworbenen Pneumonie, hier Pneumokokken und Staphylokokken führen [83, 86, 87]. Autoptische Untersuchungen aus Südafrika zeigten eine Dominanz von Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Seite 11 Seite 12 Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald Staphylokokken als Ursache sekundärer bakterieller Pneumonien (W. Preisser, persönliche Mitteilung). Dies ist auf einen spezifischen Mechanismus zurückzuführen, in dem die virale Neuraminidase die Adhärenz dieser beiden Bakterien an das Alveolarepithel begünstigt [83, 86, 87]. Darauf muss sich die antibiotische Therapie einstellen, wobei hier insbesondere auf eine Staphylokokkenwirksamkeit der Antibiotika geachtet werden muss. Diese beiden Keime zeigen, national unterschiedlich, hohe Resistenzraten, wobei besonders die Penicillinresistenz von Pneumokokken anzusprechen ist und, je nach Prävalenz, bei den Staphylokokken die Häufigkeit von MRSA therapeutisch berücksichtigt werden muss [4, 88; s. auch Abschn. Therapie und Management). Untersuchung bei der saisonalen Influenza zeigen, dass bei Erwachsenen Staphylokokken bei 32 % und Pneumokokken bei 16,5 % der Fälle das bakterielle Erregerspektrum dominieren [88]. 4.2.10 Risikogruppen/Risikofaktoren Es gibt definierte Risikogruppen, bei denen bei einer Influenza A/H1N1/2009 schwerere bzw. kompliziertere Krankheitsverläufe als bei der Allgemeinbevölkerung beobachtet wurden. Dabei handelt es sich besonders um Personen mit chronischen Grunderkrankungen, Schwangere und Kinder (v. a. <2 Jahre; [3, 4, 61]). Bei 274/574 an der pandemischen Influenza Verstorbenen (Stand Juli 2009) wiesen 90 % relevante Vorerkrankungen auf [89]. Bei einer Analyse aus Deutschland zeigten sich Risikofaktoren bei 195/5885 Fällen (3,3 %) mit Influenza A/H1N1/2009, wobei Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen am häufigsten dokumentiert wurden (Tab. 4; [58]). Tabelle 4 Häufigkeit und Spektrum von Grunderkrankungen bei Patienten (n=5885) mit einer A/H1N1/2009 [58]. 4.2.11 Chronische Grunderkrankungen In ersten Untersuchungen vom Mai 2009 zeigten sich bei 19/553 bestätigten oder wahrscheinlichen Fällen mit Influenza A/H1N1/2009 chronische Grunderkrankungen wie Asthma bronchiale, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Diabetes mellitus, Immunsuppression, chronische Herz-KreislaufErkrankung, Niereninsuffizienz, Epilepsie und Malignome (in absteigender Reihenfolge; [61]). Spätere Auswertungen auf einer größeren Datenbasis von Verstorbenen (n=302 Fälle) zeigten eine ähnliche Verteilung sowie zusätzlich Schwangerschaft und ein Alter <2 Jahre als weitere Risikofaktoren. Diese fanden sich bei 70 % der Fälle [90]. Auch eine massive Adipositas wird als Risikofaktor für einen schweren Verlauf angesehen [4, 91]. Diese prädisponierenden Faktoren Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald finden sich bei 70 % von Patienten mit einem schweren Verlauf oder Tod an Influenza A/H1N1/2009 [90]. 4.2.12 Schwangerschaft Schon bei früheren Pandemien und auch bei den saisonalen Influenzaausbrüchen zeigten Schwangere ein überdurchschnittliches Risiko hinsichtlich Morbidität und Letalität im Vergleich zu nichtschwangeren Frauen [92, 93]. Auch während der jetzigen Pandemie zeigen Schwangere ein höheres Risiko für schwere Verläufe, die insbesondere durch eine erhöhte Hospitalisierungsrate, akute respiratorische Insuffizienz und eine bis zu 10-fach erhöhte Letalität im Vergleich zur Gesamtpopulation gekennzeichnet ist [4, 18, 94]. Pathogenetisch lässt sich dieses erhöhte Risiko zum einen durch eine fehlende Populationsimmunität gegenüber Influenza A/H1N1/2009 erklären, zum anderen dürfte die in der Schwangerschaft bestehende immunologische Toleranz, die physiologischerweise der Erhaltung des Fetus dient, eine erhöhte Suszeptibilität und ein schwereres klinisches Krankheitsbild erklären. Centers for Disease Control and Prevention (CDC) berichtete über 34 Schwangere (Erfassungszeitraum bis Juni 2009) mit einer bestätigten oder wahrscheinlich pandemischen Influenza A/H1N1/2009. Diese führte 4- bis 5-mal häufiger zu einer Krankenhausbehandlung als bei nichtschwangeren Frauen [18]. Die klinische Symptomatik war vergleichbar mit der bei nichtschwangeren Frauen und der Vergleichskohorte (Männer, nichtschwangere Frauen und Kinder jeden Alters). Jedoch war das Symptom Luftnot bei Schwangeren signifikant häufiger im Vergleich zu Nichtschwangeren (p=0,05) und zur Vergleichkohorte (p=0,005; [18]). Aus diesen Daten leiten sich die Empfehlungen ab, Schwangere bei Verdacht einer pandemischen Influenza zu hospitalisieren und unverzüglich einer antiviralen Therapie, schon auf empirischer Basis, zuzuführen. 4.3 Weitere Patientengruppen 4.3.1 Ältere Personen Personen >65 Jahre haben nach derzeitiger Datenlage im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein geringeres Risiko an Influenza A/H1N1/2009 zu erkranken oder im Erkrankungsfall einer Krankenhausbehandlung zu bedürfen (nur etwa 5 %; [90]). Bei der saisonalen Influenza hingegen repräsentiert diese Altersgruppe etwa 50 % der Hospitalisierten. Dies wird mit einer Immunität durch frühere Expositionen zu anderen Influenza-A/H1N1-Viren erklärt [78], allerdings ist die von älteren Menschen generierte Immunantwort nahezu ausschließlich gegen Hauptepitope von Influenzavirusantigenen gerichtet, Subepitope werden wie bei jüngeren Erwachsenen nicht als immundominante Antigene erfasst. Dieses kann sich ändern, wenn sich mehr empfängliche Personen >65 Jahre gegenüber Influenza A/H1N1/2009 exponieren [90]. 4.3.2 Personen ohne zusätzliche Risikofaktoren Schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle bei Patienten ohne Risikofaktoren sind dokumentiert [17, 90]. Dies wird auch bei der saisonalen Influenza beobachtet [95]. Bei den ersten Todesfällen in Großbritannien an pandemischer Influenza hatten 20 % der Patienten keine oder unwesentliche Grunderkrankungen (10 %; [3]). Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Seite 13 Seite 14 Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald 4.3.3 Hospitalisierungsrate Zu Beginn der Pandemie wurde eine Hospitalisierungsrate von etwa 10 % kalkuliert auf der Basis US-amerikanischer Daten [63]. Europäische Daten zeigen eine Krankenhausbehandlung in 12 % der Fälle (1076/9092, n=27 Länder). Die Schwankungsbreite ist erheblich (2 % in Großbritannien und 96 % in Österreich und Rumänien; [3, 62]). Diese Krankenhausaufnahmefrequenz kann als zu hoch eingeschätzt werden [90]. Neuere Analysen zeigen, dass die Hospitalisierungsfrequenz für laborbestätigte Fälle für Erwachsene 0,5 (18–49 Jahre), 0,6 (50– 64 Jahre) und 0,5 (>65 Jahre) pro 10.000 Fälle beträgt [4, 96, 97]. Zu Anfang der Pandemie wurden viele Erkrankte bzw. Erkrankungsverdächtige aus epidemiologischen Gründen hospitalisiert, um eine Transmission im ambulanten Bereich zu verhindern; viele dieser Personen bedurften keiner spezifischen Krankenhausbehandlung. Daher können die Hospitalisierungsfrequenzen zu Beginn der jetzigen Pandemie nicht als Grundlage für spätere Planungen genutzt werden. Die Hospitalisierungsfrequenz für Europa liegt derzeit ungefähr bei 5–6 % [62]. In Großbritannien lag die Hospitalisierungsfrequenz auf der Datenbasis vom Juli 2009 bei etwa 1–2 %, was daraus resultiert, dass Patienten nicht aus Gründen der Infektionskontrolle stationär aufgenommen wurden [62]. Daher wird derzeit für weitere Planungen von einer Hospitalisierungsrate von 1 % ausgegangen, was eine realistische Einschätzung bei derzeitiger Datenlage ist. 4.3.4 Sterblichkeitsrate (case fatality rate, CFR) Während der 3 Pandemien des 20. Jahrhunderts und der saisonalen Influenza traten die Mehrzahl der Todesfälle in der sehr jungen und der älteren Population auf. Eine Ausnahme fand sich bei der Pandemie 1918/19, während der v. a. gesunde Erwachsene der Influenza erlagen (Sterblichkeitsrate 2-3 %; [89]). Zunächst wurde von einer Letalität von 0,6 % bei symptomatisch Erkrankten ausgegangen, wobei die Spannbreite je nach Land von 0,1–5,1 % reichte [89]. In Mexiko gibt ein aktueller Bericht eine Sterblichkeit von 1 % (119/10.162 Fällen) an, wobei in dieser Kohorte schwere Erkrankungen besonders registriert wurden [99]. Daher muss diese Einschätzung als zu hoch angesehen werden [98]. Aus den USA wird eine Letalitätsrate von etwa 0,3 % mit Stand vom 15. Juli 2009 gemeldet (28 Tote/10.649 bestätigten Fällen; [3, 62, 100]). Dies liegt etwas über der in den letzten Jahren der saisonalen Influenza gefundenen Letalitätsrate. Bei bis Juli 2009 evaluierten Todesfällen fanden sich folgende Grundkrankheiten in absteigender Reihenfolge: Metabolische und respiratorische Erkrankungen, kardiale Erkrankungen, konkurrierende Infektionen, Immunsuppression, Leber- und Nierenerkrankungen [3, 4, 89]. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass milde Verläufe nicht mehr registriert werden und eine Kreuzimmunität bei älteren Patientengruppen aufgrund früherer Kontakte mit Influenza-A/H1N1-Viren besteht, kann davon ausgegangen werden, dass die Letalitätsrate derzeit unter der der saisonalen Influenza liegt. Zurzeit wird mit einer Letalität von 0,4 % kalkuliert [3, 66, 89]. 4.3.5 Konsequenzen für die Krankenhausplanung Für die Planungen der Krankenhäuser sind die Hospitalisierungsfrequenz und die Rate der Patienten, die einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen, unabdingbar. Hierzu hat das ECDC unlängst eine revidierte Fassung zu den notwendigen Annahmen für die jetzige Influenzapandemie veröffentlicht [71]. Dabei wird von einer attack rate von 30 %, von klinischen Erkrankungen bei bis zu 6 % Besonders wichtige Arbeiten sind im Text und im Literaturverzeichnis fett gedruckt. Pathogenese und Klinik bei Erwachsenen und Senioren, B. Ruf/T. Grünewald der Infizierten, einer Komplikationsrate von 15 % bei klinischen Fällen sowie einer Hospitalisierungsrate von 1–2 % der klinischen Fälle ausgegangen [71]. Die Sterblichkeitsrate (CFR) wird mit 0,1–0,2 % der klinischen Fälle kalkuliert und es wird eine Arbeitsunfähigkeitsrate von 12 % angegeben [3, 71]. Andere Berichte nennen eine Hospitalisierungsrate von <1 % [4]. Ausgehend von einer Hospitalisierungsfrequenz von 1 % dürfte es in Deutschland derzeit keine Probleme geben, solche Patienten stationär aufzunehmen. Die Angaben, wie viele der hospitalisierten Patienten einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen, schwanken erheblich (bis zu 25 % dieser hospitalisierten Patienten; [3, 4]). Dies trifft insbesondere auf die Risikogruppen Patienten mit chronischen Grunderkrankungen, Schwangere und Kleinkinder zu. In einer Studie aus den USA fanden sich unter 553 bestätigten Fällen 30 Patienten, die einer Krankenhausbehandlung bedurften. Insgesamt 19 dieser 30 Patienten hatten Grunderkrankungen (Asthma bronchiale, COPD, Diabetes, Immunsuppression, kardiovaskuläre Erkrankungen). Auch Übergewichtigkeit war ein Hauptrisikofaktor für die Hospitalisierung [4]. Wie schon erwähnt, repräsentiert die Schwangerschaft ein hohes Risiko für Krankenhausaufnahmen und schweren Krankheitsverlauf mit einem Steigerungsfaktor um das 4- bis 5-fache im Vergleich zu nichtschwangeren Frauen. Die Hospitalisierungsrate für Schwangere bei der saisonalen Influenza liegt 0,32/1.000 Fälle. 4.4 Literatur 1. Brundage JF, Shanks GD (2008) Death from Bacterial Pneumonia during 1918–19 Influenza Pandemic. Emerging Infectious Diseases 14:1193–99 2. Murray CJL et al (2006) Estimation of potential global pandemic influenza mortality on the basis of vital registry data from the 1918–20 pandemic: a quantitative analysis. Lancet 368: 2211–18 3. ECDC Interim risk Assessment: Pandemic H1N1 2009, 25 September 2009 4. 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