Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
Mit Glanz und Franz und Gloria:
Habsburgs k.u.k. Weltuntergang
Teil IV: Radetzkymarsch
Von Katharina Eickhoff
Sendung:
Donnerstag 24. November 2016
Redaktion:
Bettina Winkler
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff
Mit Glanz und Franz und Gloria: Habsburgs k.u.k. Weltuntergang 4
SWR 2, 21. November - 25. November 2016, 9h05 – 10h00
Teil IV: Radetzkymarsch
Indikativ
Der Kaiser Franz Joseph liebte das Militär zärtlich. Es war das Einzige, wovon er
wirklich etwas verstand. Kaiser war er aus Pflichtbewusstsein und von Gottes
Gnaden, vieles von der Gottesgnade war Büroarbeit, als höchster Beamter im
Staat hatte Franz Joseph eine geradezu preußische Disziplin, und zu seinen Akten
hatte er in jedem Fall eine engere Beziehung als zu seiner Frau - aber der höchste
Soldat im Staat war er mit wirklicher Leidenschaft. Schon dem kleinen Franzl hat
man ja nur militärisches Spielzeug, Säbel, Trommeln, Zinnsoldaten, in die Hand
gedrückt, um ihn zu konditionieren, und was bei seinem Sohn Rudolf später so
fürchterlich schief ging, hat beim Vater noch tadellos funktioniert: Die kindliche
Freude an den prächtigen Aufmärschen hat sich Franz Joseph bis ins Alter
bewahrt, und er hat sie an seine Untertanen weitergegeben. Das Volk, ob in
Wien oder draußen in den abgelegenen Ecken der Bukowina, kam willig zum
Jubeln, wenn irgendwo die Mannen seiner Majestät aufliefen, auch wenn die
Leute sonst nicht viel zu melden hatten im Vielvölkerstaat.
Das Ritual der prachtvollen Militärparade hat bis ganz zum Schluss all diese so
unterschiedlichen Menschen und Völkerteile zusammengehalten.
AMS
M0009119(AMS)
01-010
3'30
Johann Strauß, Kaiser Franz Joseph I Rettungs-Jubel-Marsch für Orchester, op. 126
Berliner Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt
Als anno 1853 auf der Simmeringer Heide draußen vor den Toren Wiens der
Schneidergeselle Janos Libenyi aufgeknüpft wird, singt ganz Wien das Spottlied
mit dem Refrain „...das geschieht ihm gerade recht, warum sticht er denn so
schlecht.“ – Den Kaiser hat er niederstechen wollen, der Libenyi, warum, das weiß
man nicht so recht, sicher ist nur, dass er miserabel zielte, überwältigt wurde und
wenig später am Galgen baumelt.
Das Ereignis hat drei bleibende Folgen, erstens, der herbeieilende Metzger, der
sich vor den Kaiser geworfen hat, wird in den Adelsstand erhoben, zweitens, die
Wiener Votivkirche wird zum Dank für die Rettung seiner Majestät gestiftet und
gebaut, und drittens, verfasst Johann Strauß, der einzige Komponist, dessen
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Namen sich der Kaiser merken kann, den Kaiser-Franz-Josef-Rettungs-JubelMarsch...
Dieses fesche Gebilde, in dem alles auf das „Gotte erhalte Franz den Kaiser“
hinausläuft, trägt also den etwas umständlichen Titel „Kaiser-Franz-Joseph I.
Rettungs-Jubel-Marsch“, und zeigt, wie gut sich Strauß Sohn darauf verstanden
hat, von der allgemeinen k.u.k. -Vorliebe für Zeremonie, Marsch und
Kaiserbegeisterung zu profitieren.
Die beiden Herren, Franz Joseph I. und Johann der II., sind ja in schöner Eintracht
miteinander alt geworden, die Dioskuren der Donaumonarchie sozusagen, und
dieser Marsch stammt noch aus beider jungen Jahren – von 1853. Damals, zu
Anfang seiner Regentschaft, ist der junge Kaiser ziemlich unbeliebt, denn er hat
die Revolution von 1848 in Ungarn, Italien und Wien auf Geheiß seiner Mutter
blutig niederschlagen lassen und ein paar populäre tollkühne ungarische
Freiheitskämpfer zum Tode verurteilt. Fünf Jahre später fällt ihn also, während er
einer Militärübung beiwohnt, dieser ungarische Schneider namens Libenyi an und
versucht, ihn zu erstechen – womöglich war das schon ein Menetekel für die
kommenden Jahrzehnte, das man ernster hätte nehmen müssen.
Aber die einzigen nachweisbaren Folgen sind dann eben ein geadelter Metzger,
eine neue Kirche und ein Jubelmarsch.
Johann Strauß hat der Vorliebe des Kaisers fürs Militärische immer wieder
musikalisch gehuldigt, aber er hat damit leben müssen, dass Kaisers allerliebsten
Lieblingsmarsch, die marschmusikalische Inkarnation der Habsburgermonarchie,
nicht er, sondern sein Vater selig komponiert hat...
CD
T. 4
Johann Strauß, Radetzkymarsch Orgelfassung
Wer die Bedeutung des Radetzkymarschs für die k.u.k. – Seelenlandschaft
ermessen will, der muss Joseph Roths gleichnamigen Roman lesen. Überhaupt
und sowieso sollte man das lesen, diesen Abgesang auf die alte Glorie
Österreichs, dieses unglaublich klug und mit Wehmut geschriebene Lebewohl an
eine versunkene Zeit, dargestellt anhand der Geschichte des jungen und tumben
Leutnant Carl Josef von Trotta.
CD
Anfang Trommel freistehend
T. 5
„Noch eine Viertelstunde, und er hörte von der Kaserne her den ersten
ratternden Trommelwirbel der ausrückenden Musik. Jeden Sonntag spielte sie um
die Mittagszeit vor dem Amtshaus des Bezirkshauptmanns, der in diesem
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Städtchen keinen geringeren vertrat als Seine Majestät den Kaiser...Am besten
starb man für ihn bei Militärmusik, am leichtesten beim Radetzkymarsch. Die
flinken Kugeln pfiffen im Takt um den Kopf Carl Josephs; sein blanker Säbel blitzte,
und Herz und Hirn erfüllt von der holden Hurtigkeit des Marsches, sank er hin in
den trommelnden Rausch der Musik, und sein Blut sickerte in einem dunkelroten
und schmalen Streifen auf das gleißende Gold der Trompeten, das tiefe Schwarz
der Pauken und das siegreiche Silber der Tschinellen“...
Johann Strauß, Radetzkymarsch
3’30
Concentus Musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt
Sony 3554343
Nochmal Nikolaus Harnoncourt – der wohl musikalischste Habsburger aller Zeiten
– und sein Concentus Musicus, mit dem Radetzkymarsch von Johann Strauß
Vater.
Vielleicht sollte man mal kurz diesen Mann vorstellen, der das k.u.k. –
Soldatenglück wie kein anderer verkörpert hat, den böhmischen Grafen Johann
Joseph Wenzel Anton Franz Karl Radetzky von Radetz, dessen Reiterdenkmal bis
heute den Wiener Stubenring ziert, und den der Kaiser so sehr als militärisches
Vorbild und soldatischen Ziehvater gesehen hat, dass er ihn am liebsten auch in
der Kapuzinergruft bestattet hätte. Im ganzen Hasbsburgerreich war der
Feldmarschall der Inbegriff des tapferen Soldaten – Radetzky war Jahrgang 1766
, und bis zu seinem Tod 1858 blieb er aufrecht in seinen Stiefeln im Dienste von
Kaiser und Vaterland: Unvorstellbare 73 Jahre lang war er beim Militär und konnte
am Ende die vielen Orden, die man ihm angeheftet hat, gar nicht auf einmal
tragen, er wäre vornübergekippt, es waren nämlich 146. Fünf Kaiser hat Radetzky
erlebt, siebzehn Feldzüge mitgemacht und unzählige Schlachten. Er ist schon
beim letzten Türkenkrieg von 1788 dabeigewesen, wurde das Mastermind bei der
Völkerschlacht zu Leipzig und hat 1848 noch erfolgreich und mit aller Härte den
italienischen Freiheitsaufstand bekämpft.
Zur Feier seines Sieges bei Custoza anno 48 haben dann Johann Strauß Vater und
ein Geiger namens Fahrbach, inspiriert von zwei alten Wiener Liedern, jenen
Marsch zusammengebastelt, den sie Radetzky widmeten, und der zur
musikalischen Signatur von k.u.k. wurde, zur klingenden Manifestation des
Soldatengeistes und zur blasmusikalischen Trotzgeste, rechthaberisch
aufstampfend hat sie bis zum trübseligen Schluss die längst vergangene Glorie
beschworen. Eine Glorie, die einst, in besseren Zeiten, auch Franz Grillparzer
jauchzend besungen hat, Grillparzer, der seinerzeit, scheint’s, unvermeidlich war,
wenn es darum ging, große Männer zu bejubeln, er tat’s mit Beethoven, er tat’s
mit Schubert, und auch Radetzky entkam ihm nicht; im Triumphjahr des alten
Feldmarschalls 1848 hat er gedichtet:
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“Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich!
Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer,
In deinem Lager ist Österreich,
Wir andern sind einzelne Trümmer.“
Die Sache mit den Trümmern bekam dann, je mehr das Reich im Innern
auseinanderfiel, einen seltsamen Unterton, den Grillparzer natürlich nicht
beabsichtigt hatte.
Aber damals, als Franz Joseph frisch zum Kaiser gekrönt war, hat man alles
Militärische ohne auch nur den Schatten eines Zweifels bejubelt.
Soldat sein war, das wurde jedem Thronfolger seit Anfang des Jahrhunderts
eingebimst, das Schönste auf Erden, und der Aufstieg zur militärischen
Großmacht hat den Nimbus der Soldatenehre nirgendwo zu solcher Größe
aufgepumpt wie in Österreich.
Wobei die, die am wohlklingendsten darüber dichteten, vom wahren, harten
Soldatenleben meistens gar nichts wussten.
Weder Grillparzer saß je bei Eisregen im Pulverdampf und Dreck eines
Schützengrabens, noch der tiefgründelnde Romantiker Nikolaus Lenau, dieser
schwermütige österreichisch-ungarische Edeljunker, der die kurze Lebenszeit bis
zu seiner geistigen Umnachtung nicht als Soldat, sondern als dichtender Zivilist mit
unglücklichen Liebesgeschichten verbracht hat. Lenaus „Husarenlieder“ sind
noch vor Franz-Josephs Thronbesteigung geschrieben, sie zeichnen aber
trotzdem schon das Heldenbild der Franz-Joseph-Zeit:
Der harte Mann, den das Liebchen nur von hinten sieht, weil er immer gerade
zum nächsten Scharmützel reitet, blinkenden Säbels und blitzenden Auges, der
ohne Zögern den Feind im Zweikampf schlachtet und der, wenn mal Frieden ist,
schnell den nächsten Feldzug herbeisehnt, weil ein rechter Mann halt doch ins
Feld gehört.
Robert Schumann hat diese Husarenlieder Lenaus vertont.
AMS
M0051476(AMS)
01-001-01-004
5'33
Robert Schumann, Vier Husarenlieder von Nikolaus Lenau, op. 117
Bryn Terfel, Malcom Martineau
Die Habsburgermonarchie hatte also einen Soldatenfimmel, - allerdings:
So lustig, wie das Soldatenleben auf den Tanzvergnügungen der
Reichshauptstadt und in den Liedern und Märschen daherkommt, ist es in
Wahrheit eben doch nicht.
Damals wandelte sich langsam die Art der Kriegsführung – wo vorher der Einzelne
mit einem tapferen Husarenritt oder ein mutiges Trüppchen Ulanen mit einem
spontanen Ausfall noch kampfentscheidend waren, toben jetzt die ersten
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Materialschlachten, bei denen der einzelne Mensch gegen die neuartigen
Massenvernichtungswaffen immer weniger Chancen hat.
Das Heldenbild des Soldaten bekommt parallel dazu kaum merklich Risse. Wobei
die bösen Keime des Zweifels von außen eingeschleppt werden. Bizets „Carmen“
zum Beispiel hat 1875 seltsamerweise ausgerechnet in Wien ihren ganz großen
Durchbruch – eine Oper, die so ganz und gar die allgemeine Militärbesoffenheit
unterläuft, indem sie von einem Versager von Soldaten handelt, einem
entscheidungsunfähigen Schwächling, der sich den Schneid von einer Zigeunerin
abkaufen lässt. Bezeichnender- und ironischerweise ist in dieser Anti-Soldatenoper
die einzige Musik, die dezidiert Militärmusik ist, ein Marsch, zu dem nicht etwa
echte Soldaten auftreten, sondern eine Truppe von Soldat spielenden
Straßenkindern.
AMS
M0018469(AMS)
T. 18
Georges Bizet, Carmen-Suite für Orchester Nr. 2
La Garde Montante
Orchestre Symphonique de Montréal, Charles Dutoit
3’43
Die Realität auf den Schlachtfeldern vor Ort ist düster für die Soldaten der
Donaumonarchie, und sie wird mit jedem großen Feldzug grausiger. Als
Österreich bei Solferino die Lombardei verliert, sind es schon sechstausend Tote,
über zehntausend Verwundete und viele Tausend Vermisste. Und als dann 1866
im deutsch-deutschen „Bruderkrieg“, wie das damals hieß, eine schlecht
gerüstete österreichische Armee gegen die Preußen zu Felde zieht, die plötzlich
mit neuartigen, dreimal so schnell feuernden Zündnadelgewehren ausgestattet
sind, wird es ganz bitter.
Beim böhmischen Sadowa, auch bekannt als Königgrätz, beendet Graf Moltke
als Bismarcks ausführender Arm die Vorherrschaft der Österreicher auf
deutschem Boden nach seinem Wahlspruch: „Strategie ist die Anwendung des
gesunden Menschenverstands auf die Kriegsführung“. Der damals in der
Österreich-Armee wegen der Zündnadel-Gewehre kursierende Trost-Spruch „So
schnell schießen die Preußen nicht!“ entpuppt sich als Pfeifen im Walde - Die
Preußen schießen, und die Bilanz für Österreich ist blutig: Viele Tausend Tote,
Verletzte und Gefangene. Es ist die größte Schlacht des bisherigen Jahrhunderts,
und die österreichische Armee ist nicht darauf vorbereitet. Der vom Kaiser zum
Oberbefehlshaber berufene Graf Benedek hatte sich mit Händen und Füßen
gegen diese Ehre gewehrt und schon vorher gesagt, dass er für diese Aufgabe
nicht qualifiziert sei. Und die Regimenter selbst leiden unter
Dekadenzerscheinungen: Jeder, der auch nur einen Mittelschulabschluss hat, ist
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nämlich im Kaiserreich vom Militärdienst befreit, die Soldaten sind also vielleicht
tapfer, aber im besten Fall ungebildet, im schlechtesten nicht sehr helle.
Und befehligt werden sie von einer Offizierskaste, die aus arroganten
Adelssöhnchen und realitätsfernen Kadettenschülern besteht.
Trotzdem hängen alle in weltfernem Chauvinismus der These an, dass man die
Preußen, Zitat, „in nassen Fetzen“ nach Hause schicken würde.
Als dem dann nicht so ist, macht man an der Donau trotzdem weiter, als sei gar
nichts passiert.
In Wien schreibt der Dichter Ludwig August Frankel :
„Es ist empörend, die Wiener und Wienerinnen amüsieren sich, essen, lachen,
tanzen im Prater! Verdient solches Gesindel nicht sein Schicksal? Ich fragte mich,
ob ich es nicht nur geträumt hätte:
Sind wir denn wirklich blutig aufs Haupt geschlagen? Regnet es denn nicht Feuer
und Schmach auf uns?“
Frankel hat damals umsonst in die Wüste gerufen: Wien hörte nicht, es war viel zu
beschäftigt, sich selbst zu feiern, und das Soldatenleben war dabei ein beliebtes
Sujet. Just 1866, im Jahr von Königgrätz, bringt Franz von Suppé, einsame Vorhut
der Wiener Operette, sein Stück „Leichte Kavallerie“ heraus, deren Ouvertüre
den ganzen Charme wienerischer Militärverherrlichung ausstrahlt:
AMS
M9036827(ADM)
01-001
6'50
Franz von Suppé, Ouvertüre aus: Leichte Kavallerie Operette in 2 Akten
Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti
...komponiert 1866, im Jahr der Schlacht von Königgrätz.
Königgrätz ist, auch wenn das noch keiner wahrhaben will, der Anfang vom Ende
der Habsburgischen Supermacht.
Von jetzt an spielt Österreich in den Strategieplänen der anderen Staaten keine
so große Rolle mehr – das Ungeheuer ist zahnlos, aber höflicherweise redet man
nicht laut darüber.
Im Volk hat sich aber wohl von da an schon zumindest eine gewisse dumpfe
Vorahnung breit gemacht: Als Kaiser Franz Joseph aus Königgrätz zurückkommt
und durch Wien nach Schönbrunn fährt, hört man am Wegesrand Hochrufe, die
gelten aber nicht ihm, sondern seinem Bruder Maximilian. Der ist in vieler Hinsicht
das Gegenteil vom Soldatenkaiser, Maximilian war künstlerisch hochbegabt,
malte und dichtete und hasste das Exerzieren. Und insofern trifft es sich für den
Kaiser wohl eigentlich ganz gut, dass sein beim Volk so beliebter Bruder sich 1864
sozusagen selbst aus dem Weg räumt, indem er nach Mexiko geht. Frankreichs
Kaiser Napoleon III. hat das eingefädelt, er hatte dort drüben koloniale
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Interessen, wusste aber, dass die politische Situation heikel war und hat einen
nützlichen Idioten gesucht, der drüben in der neuen Welt für ihn den Kopf hinhält.
Also hat man dem blauäugigen Bücherwurm und Idealisten Maximilian
vorgegaukelt, dass die Bevölkerung Mexikos sehnsüchtig darauf warte, ihn zum
Kaiser zu haben - woraufhin der Nichtsahnende tatsächlich mit Mann und Maus
und seiner ehrgeizigen Gattin nach Mexiko gereist ist, im Gepäck einen Haufen
Pläne, wie man dort einen modernen Idealstaat aufziehen könnte.
Aber drüben begrüßt keine begeistert Wimpel schwenkende Menge den neuen
Kaiser bei seiner Ankunft, sondern nur ein Trupp von grölenden Bettlern.
Maximilian versucht es erst mit Liebenswürdigkeit, dann unterzeichnet er
Hinrichtungserlasse gegen die Rebellen, beides kommt ungefähr gleich schlecht
an.
In Europa hat sich keiner um den glücklosen Kaiser von Mexiko gekümmert,
obwohl er mehrere verzweifelte Hilferufe abgesetzt hat, und nach drei Jahren ist
dann auch Schluss mit Kaisersein – Maximilian I. von Mexiko wird gestürzt, vor ein
Standgericht gestellt und erschossen, nachdem er sich, ein Habsburger tut sowas
nicht, geweigert hat, heimlich zu fliehen. Sogar im Sterben war er noch stilvoll, hat
den vollstreckenden Soldaten je ein Goldstück in die Hand gedrückt und sie
getröstet, dass sie ja nichts dafür könnten.
Maximilians erschreckendes Schicksal hat seiner Mutter, der Erzherzogin Sophie,
das Herz gebrochen, nachdem sie auch noch seine übel zugerichtete Leiche
identifizieren muss – was sie übrigens nicht tut, sie sagt, das sei nicht ihr Sohn da
im Sarg. Bei aller Fokussierung auf ihr Kaiserkind Franz Joseph ist Maximilian eben
doch ihr heimlicher Lieblingssohn gewesen.
Und sein Tod hat auch ein hörbares Echo in Literatur und Musik:
Franz Liszt komponiert einen Trauermarsch auf den kunstsinnigen MöchtegernReformer, Karl May lässt Maximilian in einem seiner Bücher auftreten, und dann
gibt es da noch dieses ziemlich berühmte Bild von Édouard Manet, das die
Erschießung zeigt. Und noch eine immerwährende Erinnerung an ihn existiert, in
Form einer Leerstelle: Maximilians erklärtes Lieblingslied war Sebastian Yradiers „La
Paloma“, das gerade damals, Mitte der 1860-er Jahre, in Umlauf gekommen ist,
und das dann bei den Mexikanern, als sie davon erfahren haben, zum Spottlied
wurde. Statt um die Taube geht es in den mexikanischen Versionen um einen
dürren Esel aus Österreich... Wie auch immer, es war Maximilians Lieblingsstück,
die Kapelle hat es gespielt, als das Schiff mit seinem Leichnam von Mexiko aus in
See gestochen ist, und die gerührte k.u.k.- Marine hat damals beschlossen, dass
dies das letzte Mal sein sollte, dass man dieses Lied auf einem ihrer Schiffe hören
würde.
Nun ist die einst mächtige österreichische Marine bekanntlich mitsamt der
ganzen Donaumonarchie untergegangen, Österreich liegt schon lange nicht
mehr am Meer, aber österreichische Segler haben die Tradition übernommen –
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wenn Sie also demnächst am Wörthersee in ein Bötchen steigen, verkneifen Sie
es sich besser, diese Melodie hier zu pfeifen...
CD
T. 6
Sebastian Yradier, La Paloma
Rosita Serrano
RV 1812183
3’20
Rosita Serrano, Joseph Goebbels’ Lieblingsspanierin, die in Wahrheit aus Chile
kam, war das mit Sebastian Yradiers „La Paloma“, dem Lieblingslied des
unglücklichen Erzherzog Maximilian von Österreich,
kurzzeitig Kaiser von Mexiko, mit dem es ein so trauriges Ende genommen hat.
In den unglaublichen 68 Jahren seiner Herrschaft hat Kaiser Franz Joseph sich
gern das Image eines Friedensfürsten anheften lassen, das kommt für einen
Monarchen natürlich immer gut, und diese Image-Bildung hat auch funktioniert:
In der österreichischen Selbstwahrnehmung herrscht unter ihm ein
völkerverbindender Dauerfrieden. In Wirklichkeit hat es in dieser Zeit insgesamt 12
Kriege gegeben, und selten war danach etwas besser als vorher.
Und so peu à peu fangen dann Kunst, Musik und Literatur auch damit an, den
Krieg anders als in den glänzendsten Farben zu schildern.
Die Manöver der Truppen sind weiterhin strahlend bunte und vom Volk bejubelte
Aufläufe, noch immer kann jeder kleine Junge im Reich stolz des Kaisers Ulanen-,
Husaren- und Dragonerregimenter aufzählen und mit Zinnsoldaten nachstellen,
der Nimbus des Offiziers ist ungebrochen. Und doch beginnt in den Achtziger
Jahren ein junger Komponist damit, Soldatenlieder mit einem ganz neuen,
subversiven Unterton zu schreiben.
Gustav Mahlers Lied „Revelge“ basiert auf einem alten Text aus der Sammlung
„Des Knaben Wunderhorn“: ein Soldat wird von einer Kugel getroffen, er bittet
die Kameraden, ihn mitzunehmen, die aber lassen ihn liegen – da beschließt er
im Sterben, die Trommel zu rühren, all die schon gestorbenen
Soldatenkameraden damit zu wecken und weiterzumarschieren, bis man sich,
Gerippe an Gerippe, vor des Liebchens Haus zum Appell formiert.
Das ist an sich schon ein schauriger Text, aber was Gustav Mahler dazu an Musik
liefert, ist eine gruselige Parodie auf die eben noch virulente alt-Wiener
Militärmusik-Verherrlichung. Auch Mahler benutzt das militärische Schlagwerk,
das Becken, die große Trommel. Aber der Marsch, den sie spielen, hat von
Anfang an unheimliche, aggressive Akzente, das alles steigert sich, wenn’s ans
Sterben geht, ins Irrwitzige und versickert in einem Pianissimo, in dem man die
Knochen der strammstehenden Skelette buchstäblich klappern hört.
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Die Tralalis und Tralaleras, einst bei Lenau noch stolze Husarengesänge, haben in
diesem Stück schon den bitteren Klang der Vergeblichkeit, und der scheinbar
schneidige, männliche Tonfall entlarvt sich selbst als unterlaufen von Angst und
Wahnsinn und Einsamkeit.
In einer Zeit, wo immer größere Massen für den Krieg aufgeboten wurden, wo
immer lauter vom kollektiven Heldenmut die Rede war, hat Gustav Mahler das
Gesicht des realen Soldaten gezeigt: Nicht Masse, sondern Individuum, jeder
einzelne unter diesen vielen tausend Soldaten ein fühlender und sich fürchtender
und verzweifelnder Mensch, gefangen in einem unerbittlichen Totentanz.
AMS
M0268567(AMS)
T. 6
6’37
Gustav Mahler, Revelge, Des Knaben Wunderhorn. Lieder für Singstimme und
Orchester Zwölf [12] Lieder aus: Des Knaben Wunderhorn
Christian Gerhaher, Cleveland Orchestra, Pierre Boulez
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