LAZ 81 25'000 Zeichen 17. März 2010 Autor: PD Dr. med. Markus Kröber Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, spez. Wirbelsäulenchirurgie, Sportmedizin Klinik St. Anna, Neuro- und Wirbelsäulenzentrum Operative Möglichkeiten zur Behandlung der Skoliose Die Behandlung von Skoliosen stellt schon seit jeher Orthopäden vor grosse Herausforderungen. Bereits Hippokrates (um 460 v. Chr.) hatte sich eingehend mit den Möglichkeiten der Begradigungen von Wirbelsäulenfehlbildungen beschäftigt. Vor etwa 25 Jahren hat sich in der operativen Behandlung der Skoliose mit der Einführung des Doppelstabsystems durch Cortel und Dubousset allerdings ein Quantensprung vollzogen. Im Gegensatz zur bisherigen Technik nach Harrington mit dem Einstabsystem war eine postoperative Gips-Immobilisation nicht mehr nötig und die dreidimensionale Korrektur der Deformität rückte ins Zentrum der ärztlichen Bemühungen. Dieser Artikel stellt die Grundzüge der Diagnose und operativen Behandlungsmöglichkeiten von Skoliosen in der Klinik St. Anna dar. Die Skoliose definiert sich unabhängig vom Lebensalter durch eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule mit gleichzeitiger Verdrehung der einzelnen Wirbelkörper gegeneinander. Es handelt sich also um eine Verkrümmung der Wirbelsäule in allen drei Raumebenen. Zunächst muss allerdings zwischen kindlicher und adulter Skoliose unterschieden werden. Die Behandlung der kindlichen Skoliose Die Skoliose kann sowohl im Bereich der Brust- als auch Lendenwirbelsäule sowie im Übergang beider Bereiche lokalisiert und ein- oder mehrbogig sein. Skoliosen im Bereich der Halswirbelsäule sind selten. Ätiologie und Pathogenese Die häufigsten Skoliosen sind idiopathisch (ca. 85%) d.h. ihre Ursachen sind unbekannt. Neueste Forschungen lassen eine multifaktorielle geschlechtsgebundene Vererbung (X-chromosomal) vermuten. Schätzungen gehen von bis zu 90% genetisch bedingten Ursachen aus. Die wahren Ursachen der idiopathischen Skoliose werden wohl erst in der Zukunft mithilfe der Humangenetik gefunden werden können. 1/11 Andere Ursachen der verschiedenen Skolioseformen sind neuromuskulärer, kongenitaler, posttraumatischer oder postinfektiöser Art. Sie entstehen auch durch Wirbeltumoren, Narbenskoliosen oder durch metabolische Störungen wie Rachitis, Osteogenisis imperfecta oder A-Avitaminosen. Da die Skoliose in der Regel eine Wachstumsdeformität ist, entwickelt sich die grösste Zunahme der Krümmung in der Pubertät. Die Torsion der Wirbelkörper und die Rotation der Wirbelsäule entstehen dabei durch ein schnelleres Wachstum in der Konvexität gegenüber der Konkavität. Das von dorsal betrachtete Rückenrelief täuscht dabei häufig geringere Krümmungen vor, als tatsächlich vorliegen. Bei kongenitalen und neuromuskulären Skoliosen besteht die stärkste Zunahmetendenz, sodass hier schon im frühen Kindesalter hochgradige Skoliosen resultieren können. Mädchen erkranken vierfach häufiger. Symptomatik Die Erstdiagnose der idiopathischen Skoliosen wird meist zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr gestellt. Rückenschmerzen treten nicht häufiger als bei der vergleichbar gesunden Normalbevölkerung auf. Veränderungen werden deshalb meist eher zufällig durch die Eltern oder im Sportunterricht entdeckt. Eine weitere Möglichkeit Skoliosen zu entdecken, besteht bei der routinemässigen schulärztlichen Untersuchung. Die aus der Skoliose resultierende Fehlstatik beschleunigt langfristig die natürliche Degeneration der Wirbelsäule erheblich, sodass ohne Therapie häufiger im höheren Erwachsenenalter Schmerzen zu erwarten sind. Ein weiterer wichtiger klinischer Faktor ist die Einschränkung von Herz und Lunge. Bei den neuropathischen Skoliosen mit hochgradigen Krümmungen spielt dies eine besondere Rolle und kann durch die resultierende Rechtsherzbelastung und dekompensierte Lungenfunktion bei nur leichten grippalen Infekten lebensbedrohlich werden. Die Einschränkung der Lungenfunktion mit Abnahme der Vitalkapazität beginnt bei thorakalen Skoliosen ab einer Krümmung von 70° nach Cobb. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Abnahme von Vitalkapazität und Grösse der thorakalen Krümmung. Diagnostik Zunächst sollten bei der Erstuntersuchung Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Verkrümmung, eventuelle Progredienz und die subjektiven Beschwerden (Schmerz und Kosmetik) festgestellt werden. Bei der klinischen Untersuchung werden Statik, Profil und Mobilität der Wirbelsäule beurteilt. Des weiteren müssen Körpergrösse und Alter dokumentiert sowie die Skelettreife abgeschätzt werden. Informationen über Primärerkrankungen müssen ebenfalls erhoben werden, um eine sekundäre Skoliose ausschliessen zu können. Bei klinisch erkennbarer Skoliose sollte zur Erstuntersuchung ein Orthoradiogramm der Wirbelsäule in zwei Ebenen mit Abbildung der Beckenkämme (Risser-Zeichen) durchgeführt werden. Diese Röntgenaufnahme dient als Ausgangsuntersuchung an der weitere Verlaufkontrollen verglichen werden können, die dann in regelmässigen Abständen erfolgen sollen; zumindest bis eine weitere 2/11 Progredienz sicher ausgeschlossen werden kann. Bei den halbjährlich durchzuführenden Verlaufskontrollen können, ergänzend durch die Rasterstereographie, Bildgebungen eingespart und damit die Röntgenstrahlenbelastung verringert werden. Weitere Spezialuntersuchungen können, je nach Diagnose und geplantem therapeutischen Vorgehen, notwendig werden, insbesondere Bendingaufnahmen, Kernspintomographie, Lungenfunktion und andere. Konservative Therapie Die Skoliosetherapie bei Kindern verfolgt folgende Ziele: Erstens soll ein Fortschreiten von strukturellen Veränderungen und der Krümmung verhindert werden. Zweitens soll möglichst eine Korrektur der Verkrümmung und ein Vermeiden von sekundären Komplikationen (kardiopulmonal) erreicht werden. Vor Behandlungsbeginn erfolgt zunächst eine umfangreiche Beratung der Patienten und ihrer Eltern über die Erkrankung, deren natürlicher Verlauf und dessen Beeinflussbarkeit durch konservative bzw., operative Therapien. Diese Informationen sind notwendig, da insbesondere für die konservative Therapie regelmässige klinische und radiologische Verlaufskontrollen sowie die Mitarbeit der Patienten und Eltern wichtig sind. Die fachärztliche Beratung gibt ausserdem Empfehlungen zum Verhalten im Alltag, zu körperlicher Belastung und sportlicher Betätigung sowie Informationsmöglichkeiten durch Selbsthilfegruppen. Wird zunächst auf Grundlage der Prognose und der individuellen Gesamteinschätzung für eine konservative Behandlung entschieden, stützt sich diese auf spezifische Krankengymnastik und/oder eine Korsettbehandlung. Das therapeutische Ziel der Korsettbehandlung ist die Verhinderung einer Progredienz, um eine Operation zu vermeiden. Dies setzt allerdings einen frühzeitigen Behandlungsbeginn und eine hohe Komplianz der Patienten voraus. Da es jedoch auch sehr heftige Kritik an der Korsettbehandlung gibt, die ihren Nutzen in Frage stellt, sind weitere prospektiv randomisierte Studien gefordert. Derzeit besteht in den Fachgesellschaften allerdings Konsens über die sinnvolle Anwendung bei idiopathischen Adoleszensskoliosen mit einer Krümmung zwischen 2040°. Allerdings muss eine Tragedauer von täglich 23 Stunden für eine Zeit bis zum Wachstumsabschluss eingehalten werden, um Erfolg zu erzielen. Bei einigen Skoliosen mit bekannter Ursache und kurzbögigen Krümmungen besteht wegen der bekannten unbeeinflussbaren Progression jedoch immer eine Operationsindikation ohne vorherigen konservativen Therapieversuch. Korrekturspondylodese Die operative Korrektur der adoleszenten Skoliose leitet sich, wie oben dargestellt, aus einer nachweislichen Progredienz der Deformität und einer Seitbiegung von >40° gemessen nach Cobb ab. Ziel der operativen Korrektur ist die sofortige möglichst anatomische Wiederherstellung des Wirbelsäulenprofils mit Ausgleich des Rippenbuckels und des Lendenwulstes. Langfristig soll es durch Erzielen einer guten knöchernen Fusion über der Korrekturstrecke zu einem möglichst geringen Korrekturverlust kommen. Zum Erreichen dieser Therapieziele stehen zwei verschiedene Operationsverfahren zur Verfügung, die je nach Skoliosetyp, Krümmungslokalisation und Sagitalprofil zu Anwendung kommen. 3/11 Die Korrekturoperation vom hinteren Zugang nach der modifizierten Technik von Cortel und Dubousset (CDI) erzielt eine Derotation und Begradigung im frontalen und seitlichen Wirbelsäulenprofil. Nach operativer Freilegung der dorsalen Wirbelsäulenanteile werden transpedikulär eingebrachte Schrauben an den Wirbeln im Skoliosebereich befestigt. Danach werden angeschränkte Längsstäbe an den Schrauben angebracht. Die Hauptkorrektur erfolgt danach über die Rotation eines angeschränkten Stabes über seine Längsachse, sodass die thorakale Seitausbiegung einerseits ausgegradet, andererseits in eine idealerweise physiologische Rundrückenbildung umgewandelt wird. Danach kann über den konvexseits angebrachten Stab komprimiert, über den konkavseits angebrachten Stab distrahiert werden. Prinzipiell sollte die Versteifungsstrecke vom oberen bis zum unteren Endwirbel der Skoliosehauptkrümmung reichen. Durch die Anwendung der modernen CD-Instrumentierungen und insbesondere die Nutzung von Pedikelschrauben an Stelle von Haken bis hochthorakal können dabei kaudal 1-2 Segmente eingespart werden, ohne dass sich dies negativ auf die frontale und sagittale Balance auswirkt. Eine Nachbehandlung im Korsett ist nicht mehr notwendig. Die Korrekturoperation vom vorderen Zugang wird meist bei Thorakalskoliosen oder Skoliosen am thorakolumbalen Übergang gewählt. Sie verfolgt das Prinzip der ventralen Derotationsspondylodese (VDS). Durch die Bandscheibenentfernung im Operationsbereich kommt es zusätzlich zu einer Derotation mit entsprechender Korrektur des Rippenbuckels. Da hierbei die Korrektur der Seitausbiegung der Skoliose durch konvexseitige Kompression gelingt, kommt es zur leichten Kyphosierung im Fusionsbereich, die bei bestehender Hypokyphose gewünscht ist. Da beim transthorakalen Zugang die Rückenmuskulatur nicht abgelöst werden muss, ist der postoperative Schmerz nach VDS meist geringer als nach dorsaler Korrekturoperation. Auch bei der VDS wird eine hohe Primärstabilität erzielt, sodass auch hier korsettfrei nachbehandelt werden kann. Die Zufriedenheit der Patienten ist mit beiden operativen Methoden auch viele Jahre postoperativ erfreulich hoch. Postoperative Nachbehandlung Je nach Länge des Eingriffs und Blutverlust wird der Patient für ein bis zwei Nächte auf der Intensivstation nachbehandelt. Bereits am zweiten postoperativen Tag werden die Patienten unter krankengymnastischer Anleitung mobilisiert. Während des acht- bis zehntägigen stationären Aufenthaltes wird mit der Krankengymnastik auch eine Rückenschulung durchgeführt. Nach sechs Wochen kann bereits mit leichtem sportlichem Aufbauprogramm begonnen werden. Kontaktsportarten sollten allerdings bis zum Abschluss der vollständigen knöchernen Durchbauung für ein Jahr vermieden werden. 4/11 //Box// Fallbeispiel 1 Orthoradiogramme der Wirbelsäule eines 13-jährigen Mädchens mit idiopathischer Thorakolumbalskoliose und thorakalem Gegenschwung. Abb. 1: Orthoradiogramm präoperativ. Abb. 2: Orthoradiogramm nach dorsaler Korrekturspondylodese mit CD-Instrumentierung. Abb. 1 Abb. 2 //Box// Fallbeispiel 2 Orthoradiogramme der Wirbelsäule eines 15-jährigen Mädchens mit Thorakalskoliose und lumbalem Gegenschwung. Abb. 3: Präoperativ. Abb. 4: Zwei Wochen postoperativ. Abb. 3 5/11 Abb. 4 Vor völlig anderen Herausforderungen steht man bei der Behandlung der Skoliose des älteren Menschen. Die operative Behandlung der adulten Skoliose Durch die stetige Weiterentwicklung der operativen Techniken und die verbesserten Möglichkeiten der Anästhesie ist die operative Versorgung der adulten Skoliose auch bei älteren, komorbiden und osteopenischen Patienten zunehmend durchführbar. Während noch in jüngerer Vergangenheit eine operative Versorgung als zu riskant galt, steigen die Anforderungen an die Lebensqualität der betroffenen Patienten stetig, sodass der Anspruch nach dauerhaften Lösungen vor allem von den betroffenen Patienten ausgeht und nicht nur eine Frage der technisch operativen Möglichkeiten bleibt. Die nachhaltige operative Versorgung der adulten Skoliose stellt zukünftig zwar einen wachsenden Sektor der Wirbelsäulenchirurgie dar, bleibt aber anspruchsvoll und wird daher auch in Zukunft speziellen Zentren mit entsprechender Infrastruktur und spezialisierten Fachkenntnissen vorbehalten bleiben. Die Korrektur der adulten Skoliose wird aus zwei wesentlichen Gründen zu einem anspruchsvollen orthopädischen Eingriff. Erstens muss eine dreidimensionale Korrektur der Wirbelsäule erfolgen und zweitens bereitet dabei die Knochensubstanz des älteren Patienten (bestehende Osteoporose in 80%) Schwierigkeiten bei der Implantatverankerung, die im Vergleich zur kindlichen Skoliosekorrektur andere Techniken verlangt (siehe im Artikel weiter oben). Klassifikation der adulten Skoliose Definitionsgemäss spricht man von adulter Skoliose bei Auftreten nach vollständigem Wachstumsabschluss mit einer klinisch relevanten Manifestation meist nach der 4. Lebensdekade. Ätiologisch werden drei Typen der adulten Skoliose unterschieden: 1. Die primär degenerative Skoliose entsteht durch Degeneration der Bandscheiben, die zu asymmetrischer Lastverteilung der Segmente führt. Im weiteren Verlauf resultiert eine 3DDeformität mit Skoliose, Endlordosierung bis hin zur Kyphose sowie eine Torsion bis hin zur Subluxation der Wirbelkörper. 2. Die sekundäre degenerative Skoliose entsteht durch strukturelle Knochenveränderungen, Osteoporose, destruierender Osteochondrose, oder nach Voroperationen mit asymmetrischer Schwächung dorsaler Elemete oder nach Dekompressionen. 3. Die progressive idiopathische Skoliose hat sich bereits in der Jugend entwickelt wurde jedoch erst in der Adoleszenz klinisch relevant und entwickelt sich dann progressiv. Von „de-novo-Skoliosen“ spricht man, wenn sie tatsächlich erst in der Adoleszenz entstanden sind; also die primär und sekundär degenerativen Skoliosen, die auch die grösste Gruppe im Patientenkollektiv darstellen. 6/11 Zur Beurteilung ist die Seitausbiegung, gemessen in Winkelgraden mit der Methode nach Cobb wichtiger Parameter. Die durchschnittliche Progression liegt bei 3,3° pro Jahr. Die strukturelle Beurteilung sollte neben dem Skoliosewinkel auch die Torsion der Wirbelkörper sowie deren laterale Translation und die segmentale Kyphosierung berücksichtigen. Alle drei Parameter können unterschiedlich deutlich ausgeprägt sein. Symptomatik Die Patienten zeigen als wichtigstes Hauptmerkmal lumbale Rückenschmerzen (bis zu 100% der Patienten), die vor allem bei axialer Belastung auftreten und zu deutlichen Einschränkungen der Lebensqualität führen. Die Schmerzstärke scheint dabei mit dem Grad der Subluxation sowie der sagitalen Imbalance, insbesondere der Endlordosierung zu korrelieren. Bei zusätzlicher rezesaler oder zentraler Stenosierung kann es entweder zu radikulären oder typischen Claudicatio-spinalis-Symptomen kommen. Die neurogene Beinschmerzsymptomatik stellt das zweithäufigste klinische Problem nach der lokalen Rückenschmerzsymptomatik dar. Bei ausgeprägter Lotabweichung leiden die Patienten zudem unter einer Fehlstatik, die wiederum zu einer erheblichen Fehlbelastung der unteren Extremitäten führen kann. Klinisch kann sich diese RumpfDekompensation sowohl in der Frontal- als auch in der Sagitalebene manifestieren und beispielsweise zu einem zunehmend nach vorn gebeugtem Gangbild entwickeln. Diagnostik Anamnese und klinisch orthopädische Untersuchung müssen mit der Rückenschmerz- und gegebenenfalls der Stenosesymptomatik korrelieren. Eine Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule in zwei Ebenen ist zum Nachweis des Degenerationsgrades sowie der Deformität notwendig. Die adulte Skoliose, insbesondere die de-novo-Skoliose, zeigt als typisches Merkmal häufig einen lateralen Tilt bei L4/5 sowie eine Translation und Subluxation bei L3/4. 78% der Patienten zeigen eine segmentale Kyphose und 84% eine frontale Dekompensation. Die Lendenlordose zeigt sich deutlich abgeflacht. Des Weiteren ist eine Wirbelsäulen-Ganzaufnahme für die Berechnung der Lotabweichung und der Balance, aber auch für die Verlaufskontrollen und den Nachweis einer eventuellen Progredienz notwendig. Für eine Operationsplanung sollten Funktionsaufnahmen mit lateralem Bending zur Beurteilung der Flexibilität und Flexions-/Extensionsaufnahmen zur Beurteilung von Instabilitäten durchgeführt werden. Mit einer Schichtbildgebung müssen der Spinalkanal und die Neuroforamina dargestellt werden. Erste Wahl ist die Magnetresonanztomographie (MRT). Bei bestehender Kontraindikation aufgrund von Komorbiditäten oder bei Voroperationen kann alternativ eine Myelographie mit anschliessender Computertomographie (CT) durchgeführt werden. Diagnostische Lokalanästhesie der Facettengelenke, der Nervenwurzeln und des Spinalkanals sowie die Diskographie helfen bei der Differenzierung der Schmerzursache. 7/11 Schweregrad Eine geeignete Beurteilung des Schweregrades der adulten Skoliose kann bei der Therapieentscheidung hilfreich sein. Bedeutung für die operative Therapie haben die Deformität sowie die stenosierenden Anteile der Skoliose. Eine bestehende Symptomatik ist Vorraussetzung vor der Abwägung der operativen Therapieoption. Entscheidend bei der Indikationsstellung zur Operation ist der subjektive Leidensdruck. Therapie Liegt eine therapiebedürftige Symptomatik vor, sollte die Behandlung immer unter Einbeziehung des Alters der Patienten und der strukturellen und ätiologischen Faktoren durchgeführt werden. Die konservative Therapie ist symptomatisch und sollte insbesondere unter klinischer und radiologischer Kontrolle der strukturellen Deformität durchgeführt werden. Die operative Therapie setzt eine Ausschöpfung medikamentöser, physikalischer, krankengymnastischer sowie interventioneller Behandlungen voraus, ebenso wie idealerweise durchgeführte Ausübung eines Eigenübungsprogramms zur Verbesserung der körperlichen Ausdauerleistung und zum Aufbau der Rumpfmuskulatur. Wichtige Kriterien bei der Indikationsstellung für eine Operation sind progrediente Schmerzen bei ausgereizter konservativer Therapie sowie progrediente Fehlhaltung mit zunehmender Gang- und Standunsicherheit. Des Weiteren spielen Komorbiditäten sowie Anspruch und persönliche Erwartung eine wichtige Rolle bei der Abwägung eines operativen Eingriffs. Die Rekonstruktion der Wirbelsäule wird je nach Ausprägung der Skoliose durch einen rein dorsalen oder auch einen kombinierten dorsalen und ventralen Eingriff erreicht. Aufgrund vielfältiger Einflussfaktoren hat die operative Behandlung der adulten Skoliose Merkmale einer individualisierten Chirurgie. Die folgenden Auswahlkriterien können daher nur als Basis der komplexen Therapieentscheidung gelten. Alleinige Dekompression Eine Dekompression über mehrere Etagen als alleinige operative Therapie kann bei ausgeprägter Spinalkanalstenose durchgeführt werden, wenn die neurogene Beinschmerzsymptomatik dem Rückenschmerz deutlich überwiegt und eine Instabilität und eine progrediente Fehlstellung radiologisch ausgeschlossen werden können. Die Gefahr durch eine iatrogene Destabilisierung die Skoliose zu verstärken ist dann allerdings gross, insbesondere wenn die Dekompression auch im Bereich des Apex durchgeführt wird. Daher sollte die Indikation zur reinen Dekompression die Ausnahme sein und sich auf ältere Patienten mit klinisch führender radikulärer Symptomatik beschränken, die aufgrund des höheren Lebensalters nicht mehr mit einer Zunahme der Skoliose zu rechen haben. 8/11 Aufrichtungsspondylodese Die Aufrichtungsspondylodese bei der adulten Skoliose verfolgt drei wichtige Ziele von deren Erreichen das klinische Ergebnis und damit die Patientenzufriedenheit ganz entscheidend abhängen: 1. soll die Wirbelsäule möglichst physiologisch aber zu mindest sowohl im sagitalen als auch im frontalen Profil lotgerecht wiederhergestellt werden, 2. muss eine solide knöcherne Fusion angestrebt werden, um das Korrekturergebnis auch langfristig halten zu können, 3. müssen komprimierte neurogene Strukturen dekomprimiert werden. Wenn die Wirbelsäule in seltenen Fällen bereits präoperativ sagital und frontal ausbalanciert ist, kann eine in-situ-Fusion durchgeführt werden. Da in den meisten Fällen die Patienten sowohl an Rückenschmerzen als auch an radikulären Beinschmerzen leiden, muss die Aufrichtungsspondylodese dann mit einer gezielten Dekompression kombiniert werden. Bei jüngeren Patienten kann in seltenen Fällen durch die Korrektur allein eine indirekte Dekompression erreicht werden. Durch die eingangs erwähnten verbesserten Materialeigenschaften der Implantate ist es möglich geworden in einem überwiegenden Anteil der Fälle alle drei Operationsziele in einem Eingriff von dorsal zu erreichen. Nach sorgfältigem, weichteilschonendem Freipräparieren der dorsalen Wirbelsäulenstrukturen werden zunächst die zur Korrektur nötigen Implantate am Wirbelknochen verankert. Anschliessend werden die eingeengten neurogenen Strukturen dekomprimiert und von transforaminal die Bandscheiben ausgeräumt. Durch das mehrsegmentale Entfernen der Bandscheiben wird zum einen der Spinalkanal zentral dekomprimiert und zum anderen die Wirbelsäule für die im Anschluss folgende Korrektur gelockert. Im nächsten Schritt werden dann mit Eigenknochen aufgefüllte Körbchen ebenfalls transforaminal in die ausgeräumten Bandscheibenfächer eingebracht und das Korrekturmanöver mit Hilfe von Längsstangen, die in Derotations- und Kompressions-, Distraktionstechnik mit den zuvor am Wirbelknochen verankerten Schrauben verbunden werden, durchgeführt. Anschliessend wird zusätzlicher Eigenknochen an die dorsalen, ossären Strukturen angebracht, um eine solide 360° Fusion zu erzielen. Aufgrund dieser Technik können selbst Patienten mit weicher Knochenstruktur korsettfrei mobilisiert werden. Wenn in Ausnahmefällen bedingt durch Narbengewebe nach Voroperationen oder langjährigen Steroid-Infiltrationstherapien die rein dorsale Präparation der Bandscheiben nicht gelingt, erfolgt zunächst die dorsale Dekompression, Korrektur und Instrumentierung und dann die Ausräumung der Bandscheiben und Implantation der mit Eigenknochen gefüllten Körbchen über einen zusätzlichen ventralen, retroperitonealen Zugang. Diese beiden Operationen können entweder einzeitig oder zweizeitig durchgeführt werden. Postoperative Nachbehandlung Die Mobilisation beginnt unter physiotherapeutischer Anleitung korsettfrei bereits am zweiten Tag nach der Operation. Flexion sollte für insgesamt drei Monate und längeres Sitzen für etwa sechs 9/11 Wochen vermieden werden. Nachdem die Patienten selbstständiges Treppensteigen erlernt haben, erfolgt die Entlassung nach Hause nach ca. zehn Tagen. Die intensivere Physiotherapie insbesondere zum Auftrainieren der Rumpfmuskulatur und zur Verbesserung des Bewegungsumfangs erfolgt in der Regel nach sechs Wochen angepasst an die individuellen Bedürfnisse entweder ambulant oder stationär. //Box// Fallbeispiel 72-jährige Patienten mit seit vielen Jahren bestehenden belastungsabhängigen, lumbalen Rückenschmerzen. Seit mehreren Monaten zunehmende radikulär ausstrahlende Beinschmerzen, Gangunsicherheit mit sowohl seitlich als auch nach vorne gebeugt zunehmender Fehlhaltung (Kyphoskoliose). Geh- und stehfähig zuletzt nur noch an Unterarmgehstützen. Abb. 5a und b Abb. 6a und b Abbildung 5a und b: Präoperatives Orthoradiogramm der Wirbelsäule in zwei Ebenen: Ausgeprägte adulte Thorakolumbalskoliose (Typ: primär degenerativ) und progressive Kyphose. Apex der Skoliose bei L2-3. Sowohl im Frontal- wie auch im Sagitalprofil deutlich aus dem Lot. Abbildung 6a und b: Postoperatives Orthoradiogramm der Wirbelsäule in 2 Ebenen: St. n. dorsaler Aufrichtungsspondylodese T3-S1. Lotgerechte Wirbelsäule mit nahezu physiologisch wiederhergestelltem Wirbelsäulenprofil in beiden Ebenen. Regelrecht einliegendes Implantat mit transforaminaler, lumbaler, interkorporeller Spondylodese (TLIF) L1-S1. Aufgrund der erreichten Korrektur mit Stabilität und Dekompression der neurogenen Strukturen konnte ein deutlich schmerzreduziertes, aufrechtes, stützfreies Gangbild erzielt werden. Zusammenfassung Durch die heutzutage zur Verfügung stehenden modernen Implantate und ausgereiften Operationstechniken sowie die verbesserten Möglichkeiten der Anästhesie können sehr gute dreidimensionale Korrektur- und Stabilisierungsergebnisse zur sicheren operativen Behandlung der 10/11 Skoliose sowohl im adoleszenten als auch im adulten Alter erzielt werden. Wegen des grossen technischen Aufwandes und der notwendigen medizinischen Infrastruktur sind diese Eingriffe in der Regel spezialisierten Wirbelsäulenzentren vorbehalten, die aufgrund ihrer höheren Fallzahl die zur sicheren Anwendung nötige chirurgische Routine und Erfahrung aufweisen. (Literatur beim Autor) Kontaktinformationen PD. Dr. med. Markus Kröber Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, spez. Wirbelsäulenchirurgie Klinik St. Anna Neuro- und Wirbelsäulenzentrum St. Anna-Strasse 32 6006 Luzern T 041 208 33 93, F 041 208 34 51 [email protected] 11/11