Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Evaluation der Wirksamkeit von Reittherapie bei Kindern mit ADHS und/oder einer Störung des Sozialverhaltens“ Projekttitel: Modellprojekt „Jim Knopf“. Evaluation der Wirksamkeit von Reittherapie bei Kindern mit ADHS und/oder einer Störung des Sozialverhaltens Projektförderung: Volkswagen Financial Services AG Antragsstellerin: Prof. Dr. Daniela Hosser Technische Universität Braunschweig Institut für Psychologie Abteilung für Entwicklungs-, Persönlichkeits- und Forensische Psychologie Humboldtstr. 33, 38106 Braunschweig [email protected], 0531/391-2812 (Sekretariat) Kooperationspartner: Reit- und Therapiezentrum Braunschweig Friederike Bewig Am Forst 10 A 38108 Braunschweig OT Querum Telefon: 0531 / 21 49 49 4 E-Mail: [email protected] Förderzeitraum: 01.08.2010 bis 31.01.2012 -2- Inhalt Zusammenfassung..........................................................................................................................................4 1 Reittherapie bei Kindern mit Aufmerksamkeits-­ und Verhaltensstörungen ........................5 1.1 Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd....................................................................................................5 1.2 Reittherapie bei Kindern mit ADHS und Störungen des Sozialverhaltens...........................................7 1.3 Das Modellprojekt „Jim Knopf“................................................................................................................................9 2 Methodische Umsetzung........................................................................................................................ 10 2.1 Untersuchungsdesign und Durchführung ....................................................................................................... 10 2.2 Änderungen im Projektablauf.............................................................................................................................. 11 2.3 Teilnahmekriterien und Stichprobe .................................................................................................................. 12 2.4 Erhebungsinstrumente............................................................................................................................................ 14 2.5 Nachhaltigkeit des Projektes ................................................................................................................................ 18 3 Ergebnisse .................................................................................................................................................. 18 3.1 Veränderungen der Störungssymptomatik.................................................................................................... 19 3.2 Veränderungen der Kognitionen, Emotionen und Sozialen Kompetenzen ...................................... 22 5 Zusammenfassung und Ausblick ........................................................................................................ 24 6 Literatur ...................................................................................................................................................... 25 -3- Zusammenfassung Die vorliegende Studie untersuchte die Wirksamkeit einer Reittherapie bei der Behandlung von Kindern mit ADHS und/oder einer Störung des Sozialverhaltens. Ausgangspunkt war die Annahme, dass therapeutisches Reiten zu einer deutlichen Verbesserung der Störungssymptomatik führt. Darüber hinaus sollten mögliche positive Effekte im Bereich der Kognitionen (Konzentration, Selbstwirksamkeit), Emotionen (allgemeines Wohlbefinden, Selbstwert, Depressivität, Ängstlichkeit,) und sozialen Kompetenzen (Empathiefähigkeit, kooperatives Verhalten) sowie der Therapiemotivation ermittelt werden. Basierend auf einem randomisierten Kontrollgruppendesign nahmen je 20 Kinder, im Alter von 5-12 Jahren über 40 Wochen an einer Reittherapie oder einem erlebnispädagogischen sozialen Gruppenprogramm teil. Die Befragung erfolgte mit Hilfe standardisierter Skalen im Rahmen von Interviews mit den Kindern und je einem Elternteil. Im Prä-/Postvergleich konnte bei beiden Behandlungsgruppen eine starke Verbesserung der ADHS-Symptomatik sowie ein deutlicher Rückgang oppositionell-aggressiver Verhaltensweisen festgestellt werden. Darüber hinaus zeigten sich keine signifikanten Veränderungen im Bereich der Kognitionen, Emotionen und sozialen Kompetenzen. In ihrer Effektivität ist die Reittherapie mit herkömmlichen kindzentrierten Trainingsprogrammen vergleichbar, diesen aber nicht überlegen. Die Teilnahmemotivation der Kinder an der Reittherapie ist jedoch außerordentlich hoch. Zusammengefasst belegen die Befunde die Wirksamkeit der Reittherapie als einer ergänzenden Therapiemaßnahme bei der Behandlung von Kindern mit externalisierenden Störungen. -4- 1 Reittherapie bei Kindern mit Aufmerksamkeits- und Verhaltensstörungen 1.1 Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd Dem Reiten wird eine positive Wirkung auf Körper und Psyche des Menschen nachgesagt. Diesen positiven Einfluss des Reitens bzw. des Umgangs mit dem Pferd macht sich die Reittherapie bzw. das Therapeutische Reiten zu Nutze. Unter dem Begriff „Therapeutisches Reiten“ wird allgemein der ganzheitlich fördernde und heilende Einsatz des Pferdes in der heilpädagogischen, psychologischen, medizinischen und sportlich-integrativen Arbeit mit Menschen bezeichnet (DKThR, 2010). Die Maßnahmen des Therapeutischen Reitens richten sich an Kinder, Jugendliche oder Erwachsene mit körperlichen, psychischen und psychosozialen Störungen, Behinderungen oder Erkrankungen. Innerhalb des interdisziplinären Forschungs- und Praxisfeldes der tiergestützten Psychotherapie (pet facilitated therapy) wird davon ausgegangen, dass durch den Umgang mit Tieren heilend und helfend auf den Klienten eingewirkt werden kann. Tiere sollen Interesse und Lebensfreude vermitteln, das Verantwortungsbewusstsein und soziale Kompetenzen fördern sowie die psychische Gesundung durch Anregung und Stabilisierung beschleunigen. Darüber hinaus kann durch den Aufbau von Beziehungen zu einem Tier der Aufbau von interpersonellen Beziehungen allgemein erleichtert und der Zugang des Therapeuten zu den Klienten gefördert werden (Greiffenhagen, 2009; Stoffl, 2007). Durch die vielfältigen pädagogisch-psychologischen Wirkungs- bzw. Einsatzmöglichkeiten kann das Therapeutische Reiten als ganzheitlicher Ansatz verstanden werden: „Das Pferd ist eine Zwischeninstanz der psychotherapeutischen Beziehung, sein breites Spektrum allgemeiner Wirkungsmöglichkeiten kann im Einzelfall höchst individuell genutzt werden“ (Papke, 1998, S. 13). Im KOGNITIVEN BEREICH sollen durch das Therapeutische Reiten die Wahrnehmung geschult, Sprachverständnis und Sprechbereitschaft des Klienten in der Interaktion mit Pferd und Therapeut gefördert und die Lern- und Leistungsbereitschaft erhöht werden (Steiner, 2008; Stoffl, 2007). Weiterhin wird von einer Erhöhung der Frustrationstoleranz (Steiner, 2008) und einer Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit sowie des Durchhaltevermögens ausgegangen (Kardos, 2008; Kröger, 2004; Papke, 1998; Steiner, 2008). Durch konkrete Selbsterfahrungen im Umgang mit und auf dem Pferd können die Klienten zu einer -5- realistischen Selbsteinschätzung gelangen (Kröger, 2004; Stoffl, 2007), Selbstwirksamkeitserwartung und Selbstkontrolle werden erhöht (Kardos, 2008; Stoffl, 2007). Darüber hinaus wird immer wieder berichtet, dass durch das Therapeutische Reiten die soziale Informationsverarbeitung und die Empathiefähigkeit verbessert werden können (Schmid, 1989). Im EMOTIONALEN BEREICH berichtet Mehlem (1994) von einer Förderung der Emotionswahrnehmung und Emotionsregulation durch das Reiten. Das Pferd reagiert wie ein Spiegel, was dem Kind eine Auseinandersetzung mit seinem Verhalten und Emotionen erleichtert (Ewing, Mac Donald, Taylor & Bowers, 2007). Die Identifikation mit dem Pferd wird von Schultz, Remick-Barlow und Robbins (2006) als zentraler Aspekt in der Reittherapie betrachtet. In ihrer Untersuchung von 63 Jungen und Mädchen mit unterschiedlichen psychosozialen Symptomen konnten die Autoren entsprechend eine Verbesserung der psychologischen, sozialen und schulischen Funktion nachweisen. Ein wesentlicher positiver Effekt ist dabei auch die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse durch das Pferd, wie beispielsweise die Bedürfnisse nach Wertschätzung und Zuneigung. Dies geht mit einer Steigerung des Selbstwertgefühls und der subjektiven Lebenszufriedenheit einher (Baum, 1980; Kröger, 2004; Papke, 1998; Steiner, 2008; Vorsteher, 2003). Im SOZIALEN BEREICH wird durch das Therapeutische Reiten eine Verbesserung der Beziehungsfähigkeit (z.B. Kröger, 2004; Papke, 1998; Stoffl, 2007), der Abbau von Antipathien und aggressiven Verhaltensweisen (z.B. Kröger, 2004; Steiner, 2008; Kaune, 1993) sowie der Erwerb von Sozialkompetenzen (z.B. Baum, 1980; Papke, 1998; Vorsteher, 2003) angestrebt. Die Klienten können durch das Reiten und den Umgang mit dem Pferd lernen, Verantwortung zu übernehmen (z.B. Stoffl, 2007; Steiner, 2008; Kardos, 2008), rücksichtvoll zu handeln und konstruktive Problemlösefertigkeiten zu erwerben. Indem die Klienten lernen, Kontakt zu Anderen aufzunehmen und sich auf ihr Gegenüber einzustellen, können die Kooperations- und Hilfsbereitschaft sowie der Respekt gegenüber anderen Menschen und ihren Bedürfnissen gefördert werden (Stoffl, 2007). Im MOTORISCHEN BEREICH setzt das Therapeutische Reiten an der Körperwahrnehmung, Motorik und Körperbeherrschung der Klienten an. Durch die rhythmischen Bewegungen des Pferdes während des Reitens wird eine Lockerung der Muskulatur, eine Schulung des Gleichgewichts, eine Verbesserung der -6- Muskelspannung, eine Schulung der Raumlagekoordination und eine Verbesserung der Eigenwahrnehmung angestrebt (Steiner, 2008) sowie die Sensomotorik geschult (Kröger, 2004). Diese positiven Auswirkungen der Reittherapie auf die physische Entwicklung der Kinder sind empirisch belegt. In ihrer Analyse von elf Studien mit 4 bis 30 Personen, die über einen Zeitraum von 4 bis 39 Wochen am therapeutischen Reitunterricht teilnahmen, konnten Mac Kinnon, Noh, Laliberte und Kollegen (1995) signifikante Verbesserungen in den genannten Bereichen der motorischen Entwicklung nachweisen. 1.2 Reittherapie bei Kindern mit ADHS und Störungen des Sozialverhaltens Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zählt zu den häufigsten Verhaltensstörungen im Kindesalter. Nach dem Internationalen Klassifikationssystem ICD-10 (engl. International Classification of Diseases and Health Problems; WHO, 2011) müssen für die Diagnose von ADHS situationsübergreifend und in beeinträchtigendem Ausmaß Störungen in den Bereichen der Aufmerksamkeitsleistung und Impulskontrolle, sowie eine deutliche motorische Unruhe vorliegen. Die Prävalenzrate liegt im Kindesalter bei 5%. Jungen sind im Vergleich zu Mädchen etwa doppelt so häufig von einer primären Aufmerksamkeitsstörung und etwa fünfmal häufiger von einer Hyperaktivitäts- /Impulsivitätsstörung betroffen (Döpfner, Frölich & Lehmkuhl, 2000). Bei 30 % bis 50 % der Kinder tritt zusätzlich eine Störung des Sozialverhaltens auf, gekennzeichnet durch oppositionelle, aggressive und dissoziale Verhaltensprobleme. Begleitende affektive Störungen zeigen 15 bis 20 % der betroffenen Kinder, 20 % bis 25 % leiden unter Angststörungen und 10 % bis 25 % unter Lernstörungen (Döpfner, Görtz-Dorten & Lehmkuhl, 2008). Durch die Symptome sind die Kinder im Alltag, in der Familie, der Schule und im Freundeskreis in der Regel so stark belastet und in ihrem Leistungsvermögen beeinträchtigt, dass sie therapeutische Hilfen benötigen. Neben einer Verhaltenstherapie oder einem verhaltenstherapeutischen Trainingsprogramm, Psychoedukation und ggf. einer ergänzenden medikamentösen Behandlung, kommen als weitere unterstützende Fördermaßnahmen häufig auch Ergotherapie oder soziale Trainings zum Einsatz. Zu den Fördermaßnahmen, die nach oder während einer psychotherapeutischen Behandlung ergänzend eingesetzt werden können, zählt auch das Therapeutische Reiten. Immer mehr Reittherapeuten bieten daher gezielte Angebote für Kinder und Jugendliche mit ADHS an. Die Reittherapie scheint dabei besonders für solche Kinder geeignet, die größere -7- Schwierigkeiten im Beziehungsaufbau und Bindungsverhalten sowie dem Sozialverhalten in der Gruppe haben. Den Nutzen der therapeutischen Arbeit mit dem Pferd sieht Hamsen (2006, S.38) darin, dass die Pferdepflege sowie das Putzen und Satteln die Handlungsplanung und -steuerung der Kinder fördert. Den Gangqualitäten des Pferdes wird eine konzentrationsfördernde Wirkung nachgesagt. Bei der Arbeit mit Kind und Pferd muss der Therapeut nicht ständig regulierend eingreifen, was besonders aufgrund der häufig negativen Vorerfahrung mit Autoritätspersonen von Kindern mit externalisierenden Verhaltensstörungen als sehr positiv zu bewerten ist. Zudem verlangt das Reiten vom Kind eine Anpassung an das Pferd sowie Verständnis und Respekt für die Reaktionen und Eigenheiten des Pferdes. Dabei kann das Kind die Erfahrung machen, dass letztlich nur einfühlsames, kooperatives Verhalten des Reiters im Umgang mit dem Pferd zum Erfolg führt. Trotz der vielfältigen Wirkannahmen fehlt es bisher jedoch an empirischen Evaluationsstudien, welche die Wirksamkeit des Therapeutischen Reitens bei Kindern mit ADHS und Störungen des Sozialverhaltens überzeugend belegen. Abgesehen von einer größeren, methodisch anspruchsvollen Studie von Riedel (2005), liegen bislang vor allem qualitative Einzelfallstudien bzw. Untersuchungen mit sehr wenigen Teilnehmern vor, die keine Generalisierung der Befunde erlauben (Gomolla, 2009). Zwar deuten die vorliegenden Befunde auf eine Verbesserung der Symptomatik im Sozialverhalten und im emotionalen, kognitiven und motorischen Bereich hin, reichen aber aufgrund ihrer mangelnden wissenschaftlichen Qualität insgesamt nicht aus, um gesicherte Aussagen treffen zu können (Gomolla, 2009). In einer qualitativen Einzelfalldarstellung, in welcher sechs Kinder mit ADHS über einen Zeitraum von 15 Wochen zweimal wöchentlich an der Reittherapie teilnahmen, fand Hamsen (2003) positive Auswirkungen des Reitens auf das Aufmerksamkeits- und Bewegungsverhalten der Kinder. Die Verbesserung der Aufmerksamkeitsleistung ließ sich sogar in der schulischen Situation und in der heimischen Situation bestätigen. In der methodisch aufwändigen Untersuchung von Riedel (2005) an 30 Kindern mit ADHS, die über 15 Wochen zweimal wöchentlich am Therapeutischen Reiten (Koordinations- und Ausdauertraining mit und auf dem Pferd) teilnahmen, zeigte sich auch im Vergleich mit einer Kontrollgruppe unbehandelter Kinder, dass der festgestellten motorischen Retardation von Kindern mit ADHS durch gezielte Förderung in Form des Therapeutischen Reitens -8- entgegengewirkt werden kann und das Reiten zu einer Verbesserung der Ausdauerleistungsfähigkeit sowie ruhigerem Verhalten aufgrund einer veränderten Aktivität des vegetativen Nervensystems führte. Unterstützt wird die Annahme positiver Effekte auch von einer Pilotstudie von Cuypers, de Ridder und Strandheim (2011) mit fünf Kindern mit ADHS, die über den Zeitraum von acht Wochen zweimal wöchentlich für eine Stunde am Therapeutischem Reiten teilnahmen. Es zeigte sich eine Verbesserung des Verhaltens und der Lebensqualität der Kinder während der Intervention, während sich in den Phasen ohne Therapeutisches Reiten keine positiven Veränderungen einstellten. Die Angaben beruhten dabei auf Fremdeinschätzungen durch Eltern und Lehrer aber auch Selbsteinschätzungen der Kinder. Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft die Teilnahmemotivation der Kinder an der Reittherapie. Während es bei Kindern mit externalisierenden Verhaltensstörungen bei konventioneller Behandlung sehr häufig zu Therapieabbrüchen kommt, verhält sich dies bei der Reittherapie anders. Sowohl Eltern als auch Kinder geben eine höhere Motivation zur Teilnahme am Therapeutischen Reiten an, als an traditionellen Therapieformen. In ihrer Studie, welche die Auswirkungen einer zweimal wöchentlich über sechs Wochen lang stattfindenden Reittherapie mit einer traditionellen Therapie an drei Jungen mit Lernschwierigkeiten verglich, konnten Macauley und Gutierrez (2004) positive motivationale Effekt der Reittherapie belegen. 1.3 Das Modellprojekt „Jim Knopf“ Ausgehend vom zunehmenden Einsatz des Therapeutischen Reitens bei Kindern mit externalisierenden Verhaltensstörungen und der gleichzeitig mangelnden empirischen Befundlage, war es das Ziel, des von der Volkswagen Financial Services AG finanzierten Modellprojekts „Jim Knopf“ (8/2010-1/2012), die Wirksamkeit von Reittherapie als heilpädagogische Maßnahme bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und/oder einer Störung des Sozialverhaltens (SSV) zu untersuchen. Es wurde von der Annahme ausgegangen, dass sich durch die Reittherapie eine signifikante intraindividuelle Verbesserung der Störungssymptomatik (ADHS und SSV) in den Bereichen Kognition, Emotion und (Sozial-)Verhalten feststellen lässt. Neben der ADHSund SSV-Symptomatik sollten Auswirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit und -9- Selbstwirksamkeit sowie das allgemeine Wohlbefinden, Selbstwert, Depressivität, Ängstlichkeit, Empathiefähigkeit sowie die sozialen Kompetenzen ermittelt werden. Außerdem wurde angenommen, dass die Reittherapie in Bezug auf Ihre Wirksamkeit in den angesprochenen Bereichen anderen unterstützenden Behandlungsmaßnahmen überlegen ist, da sie stärker ganzheitlich auf die Kernsymptomatik von ADHS einwirkt und eine höhere Teilnahmemotivation der Kinder zur Folge hat. 2 2.1 Methodische Umsetzung Untersuchungsdesign und Durchführung Bei der Untersuchung handelte es sich um eine Längsschnittstudie mit randomisiertem Kontrollgruppendesign. Eine Behandlungsgruppe von 20 zufällig ausgelosten Kindern, erhielt über 40 Wochen hinweg einmal wöchentlich Reittherapie, während eine vergleichbare Gruppe von ebenfalls 20 Kindern im gleichen Zeitraum an einem erlebnispädagogisch orientierten sozialen Training teilnahm. Die Kinder beider Gruppen und ihre Eltern wurden vor Beginn der Behandlung, nach den ersten 20 Behandlungswochen und nach Beendigung der Maßnahmen anhand standardisierter Interviews befragt. Die Interviews, die ca. 45 bis 60 Minuten dauerten, wurden von jeweils zwei geschulten studentischen Interviewerinnen durchgeführt und fanden größtenteils in der häuslichen Umgebung der Familien statt, in einigen Fällen jedoch auch in den Räumlichkeiten der Universität. Die Befragungen der Eltern (in der Regel der Mutter) und des Kindes wurden getrennt vorgenommen. Die Durchführung der Reittherapie und des parallel laufenden erlebnispädagogischen sozialen Trainingsprogramms übernahm das Reit- und Therapiezentrum Braunschweig. Bei der Reittherapie arbeitete eine Reittherapeutin einmal wöchentlich 60 Minuten mit einer festen Gruppe von jeweils vier bis sechs Kindern, wobei sie nach Bedarf von ein bis zwei studentischen Mitarbeiterinnen unterstützt wurde. Neben dem Voltigieren und Reiten beinhaltete die Reittherapie auch Gruppenübungen, wie gemeinsame Pferdepflege, wechselseitiges Führen des Pferdes, gemeinsames Bemalen des Pferdes und Basteln, um achtsames Verhalten auch in der Gruppe einzuüben. Das ebenfalls einmal wöchentlich stattfindende, 90 Minuten dauernde, erlebnispädagogische soziale Training wurde von einer Gruppenleiterin mit ebenfalls vier bis sechs Kindern - 10 - durchgeführt, wobei jeweils zwei studentische MitarbeiterInnen behilflich waren. Spiel- und Kletterübungen im Freien sowie Bastelübungen dienten zur Förderung der Grob- und Feinmotorik, gleichzeitig aber auch der Einübung kooperativer Verhaltensweisen. Spielerische Beobachtungsübungen dienten der Steigerung der Aufmerksamkeit und Konzentration, Selbstbeschreibungen und die Verbalisierung eigener Gefühle sollten die Emotionswahrnehmung der Kinder und ihre Empathiefähigkeit fördern. Da es sich explizit um keine therapeutische Maßnahme handelte, wurde auf den Einsatz strukturierter Aufgabenstellungen und Verstärkersysteme verzichtet. 2.2 Änderungen im Projektablauf In einigen Punkten musste bei der Durchführung der wissenschaftlichen Begleitforschung von der ursprünglichen Projektplanung abgewichen werden. Zu Beginn des Projektes wurden die Eltern nach ihrem Einverständnis gefragt, die Meinung der Klassenlehrerin oder des Klassenlehrers über Verhalten und Entwicklung des Kindes im schulischen Bereich einzuholen. Viele der angesprochenen Eltern lehnten dies jedoch ab. Bei einigen der Familien, deren Kinder bereits in einer (psycho-)therapeutischen Behandlung waren, waren die Klassenlehrer bereits im Rahmen der Diagnostik und Therapieplanung einbezogen worden. Ein nochmaliges Bemühen der Lehrer wurde daher von den Eltern kritisch gesehen. Bei anderen Eltern bestanden wiederum Ängste, dass die Lehrer, wenn sie auf die Problematik des Kindes aufmerksam gemacht würden, dieses noch stärker beobachten oder benachteiligen könnten. Mit Blick auf die Befürchtungen der Eltern wurde daher auf die Lehrerbefragung verzichtet. Aufgrund des hohen Stichprobenausfalls und der daraus resultierenden zu geringen Stichprobengröße konnte zudem die ursprünglich geplante Follow-Up-Erhebung drei Monate nach Therapieende nicht durchgeführt werden. Die Daten wären nicht sinnvoll verwertbar gewesen. Ebenso musste auf die ursprünglich geplanten Videoanalysen im Therapieverlauf verzichtet werden. Kameras und das verfügbare Analysesystem waren auf eine stabile Bildqualität angewiesen. Da die Reittherapie aber zumeist im freien Gelände erfolgte und auch das soziale Training stets in variierenden Konstellationen durchgeführt wurde, zudem am Spätnachmittag die Lichtverhältnisse nicht ausreichten, konnten nicht genügend Aufnahmen mit ausreichender Bildqualität von den Kindern gemacht werden. Einzelne Aufnahmen wurden daher lediglich gemeinsam mit den Kindern betrachtet und besprochen, - 11 - aber nicht wissenschaftlich ausgewertet. Von diesen unumgänglichen Änderungen abgesehen, folgte der Ablauf der Projektplanung. 2.3 Teilnahmekriterien und Stichprobe Das Modellprojekt richtete sich an deutschsprachige Kinder mit ADHS und oder einer Störung des Sozialverhaltens, im Altersbereich von 5 bis 12 Jahren. Die teilnehmenden Kinder durften keine Tierhaarallergie und keine (umfangreiche) reiterliche Vorerfahrung haben. Keines der Kinder befand sich während der Programmteilnahme in einer laufenden psychotherapeutischen Behandlung. Die Rekrutierung der Untersuchungsteilnehmer erfolgte drei Monate vor Beginn der Maßnahmen durch die Verteilung von Informationsbroschüren an kinder- und jugendpsychiatrische bzw. psychotherapeutische Praxen in Braunschweig sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Personen, die sich für eine Projektteilnahme interessierten, wurden Anfang Juni 2010 zu einem Informationsabend eingeladen, an dem sie über das Projekt und die Teilnahmebedingungen, u.a. die Zulosung zu den beiden Behandlungsgruppen, informiert wurden. Die Teilnahme an dem Projekt war, dank der finanziellen Förderung durch die VW Financial Services AG, für alle Kinder kostenlos. An der Befragung vor Trainingsbeginn nahmen 40 Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren und ihre jeweiligen Erziehungsberechtigten teil. Durch Zulosung wurden 16 Jungen und 4 Mädchen der Reittherapie und 16 Jungen und 4 Mädchen dem erlebnispädagogischen sozialen Training zugeteilt. Das Geschlechterverhältnis im Projekt entspricht mit 80 % Jungen zu 20 % Mädchen dem 4:1 Geschlechterverhältnis bei der Auftretenshäufigkeit von ADHS. Das Durchschnittsalter der Kinder betrug beim ersten Interview 9.5 Jahre (SD = 1.7). Zwischen den beiden gebildeten Gruppen, die nachfolgend kurz als EG = Reittherapie und KG = Soziales Training bezeichnet werden, bestand ein signifikanter Altersunterschied (t = 3.16, df = 37, p < .01). Die Kinder in der EG waren im Durchschnitt 8.6 Jahre (SD = 1.6), die Kinder in der KG 10.2 Jahre (SD = 1.4). Eine ärztlich diagnostizierte psychische Störung wiesen 18 Kinder auf (45 %), davon 11 im sozialen Training und 7 in der Reittherapie. Mädchen waren signifikant seltener von einer oppositionellen Störung des Sozialverhaltens betroffen (r = -.39, p < .05). Bei jüngeren Kindern war häufiger eine dissozial-aggressive Störung des Sozialverhaltens festzustellen (r = -.32, p = .05). Alle 18 diagnostizierten Kinder wurden zum Zeitpunkt des Erstinterviews auch medikamentös behandelt, wobei es sich bei den Medikamenten, die von den - 12 - Erziehungsberechtigten regelmäßig verabreicht wurden, ausschließlich um derartige handelte, die bei ADHS-Diagnosen für gewöhnlich Anwendung finden (z. B. Ritalin, Medikinet, Risperidon etc.). Die Kinder, die medikamentös behandelt wurden, wiesen erwartungsgemäß eine signifikant stärkere Symptombelastung der ADHS auf (t = 4.6, df=37, p < .001), nicht aber der Störung des Sozialverhaltens. Trotz der scheinbaren Ungleichverteilung in den Untersuchungsgruppen unterschieden sich diese hinsichtlich der ärztlichen Diagnose und der Medikation statistisch nicht signifikant voneinander. Nur 18 (45 %) Kinder wurden von beiden leiblichen Elternteilen gemeinsam erzogen oder betreut. Von nur einem Elternteil, ggf. unter Mithilfe der neuen Lebensgefährtin oder des jeweiligen neuen Lebensgefährten, wurden 20 Kinder (50 %) erzogen. Aus Pflegefamilien bzw. sozialen Einrichtungen kamen 2 (5 %) Kinder. In 8 von 36 Fällen waren die Eltern der Kinder geschieden, davon bei 7 Kindern aus dem sozialen Training und nur bei einem aus der Reittherapie. Im Hinblick auf die Scheidung der Eltern unterschieden sich die beiden Gruppen damit signifikant (χ2(1) = 5.0; p < .05). Obwohl zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch nicht alle Kinder schulpflichtig waren, wurden trotzdem in 26 von 38 Fällen (68%) von den Eltern Lernschwierigkeiten berichtet. Beide Gruppen unterschieden sich hinsichtlich der besuchten Schulformen statistisch nicht voneinander (χ2(1)= 2.6; p > .05). Auch im Hinblick auf die Durchschnittsnoten unterschieden sich die beiden Gruppen statistisch nicht (χ2(1)1.2; p > .05; vgl. Tab. 2). Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass sich die beiden Behandlungsgruppen anhand der soziodemographischen Ausgangsmerkmale der Kinder und ihrer Familien in Bezug auf nahezu alle bedeutsamen Variablen statistisch nicht voneinander unterschieden. Im Behandlungsverlauf waren erhebliche Stichprobenausfälle zu verzeichnen, wobei sich hierbei die Untersuchungsgruppen dramatisch unterschieden. In der Reittherapie kam es kaum zu Teilnehmerausfällen. Lediglich ein Kind (5%) schied nach drei Monaten aus der EG aus, da es nach eigenem Bekunden keinen Spaß am Reiten hatte und sich in der Gruppe nicht wohl fühlte. Im Unterschied hierzu, waren bereits nach 20 Wochen 14 Kinder (70%) aus der KG ausgeschieden. Der überdurchschnittlich hohe Stichprobenausfall war bei fünf Kindern (25%) durch Faktoren erklärbar, die nichts mit dem Training zu tun hatten (Umzug, schwere Erkrankung), bei fünf Kindern (25%) wurde explizit Unzufriedenheit mit dem Programm und der Leitung genannt, bei weiteren vier Kindern (20%) blieben die Gründe für den Abbruch offen. - 13 - Bei der abschließenden Befragung der Eltern nach 40 Behandlungswochen, konnten insgesamt nur 25 Familien erreicht werden, davon 14 (56%) aus der Reitgruppe und 11 (44%) aus dem Trainingsprogramm. Bei der Reitgruppe war die Beteiligung an der Schlussbefragung durch den Umzug von vier Familien reduziert. Dadurch hatten zwei Kinder, ihre Beteiligung an der Reittherapie bereits zwei bis drei Wochen vor der regulärem Abschluss vorzeitig beenden müssen, bei zwei weiteren Kindern wurde die Abschlussbefragung durch einen Umzug direkt nach Abschluss der Reittherapie verhindert. Auf schriftliche Anfragen meldeten sich die Familien nicht. Bei der Trainingsgruppe konnten fünf Familien nicht mehr erreicht werden, die anderen Familien verweigerten die Teilnahme an der Abschlussbefragung. Bei der statistischen Auswertung wurde dem Stichprobenausfall dadurch Rechnung getragen, dass bei den ausgeschiedenen Kindern, im Sinne von Intention-To-Treat-Analysen, der jeweils letzte verfügbare Messwert in den Auswertungen zugrunde gelegt wurde. Aus der Verlaufsbefragung, 20 Wochen nach Behandlungsbeginn, standen die Daten von 33 Familien, davon 19 aus der Reittherapie (100%) und 14 aus dem sozialen Training (70%) zur Verfügung. 2.4 Erhebungsinstrumente Einen Überblick über die im Eltern- und Kinderinterview eingesetzten Erhebungsinstrumente liefert Tabelle 1. Das erste Elterninterview beinhaltete zusätzlich einen ausführlichen Anamneseteil, der Angaben zu den Eltern (z. B. Alter, Konfession, Beruf, Erkrankungen, Erkrankungen in der Familie), dem Kind (z. B. Entwicklungsverlauf, Schullaufbahn, bestehende Diagnosen, bisherige Behandlung, Medikation), Geschwistern (z. B. Alter, Ausbildungsstand, Gesundheitszustand) und allgemeine Aspekten (z. B. Wohnsituation) erfasste. SELBSTWERT, KÖRPERLICHES UND PSYCHISCHES WOHLBEFINDEN wurden mit dem KidKINDL (Ravens-Sieberer & Bullinger, 2000) operationalisiert. Dieser erfasst die sechs Dimensionen: körperliches und psychisches Wohlbefinden, Selbstwert, Familie, Freunde und Funktionsfähigkeit im Alltag (Schule bzw. Kindergarten) mit jeweils vier Items von 0 (nie) bis 4 (immer). Die sechs Subskalen können zu einem Gesamtskalenwert zusammengefasst - 14 - werden. Der Fragebogen wurde in der Selbstbeurteilung durch das Kind und als Fremdbeurteilung durch einen Elternteil ausgefüllt. Wie in der Selbstbeurteilung werden die Dimensionen auch in der Fremdbeurteilung zu einem Gesamtskalenwert aggregiert. PROBLEMVERHALTENSWEISEN UND STÄRKEN des Kindes wurden mittels des Strength and Difficulties Questionaire (SDQ; Goodman, 1997) einem Verhaltensscreening für 3-16 Jährige erhoben. Auf einer dreistufigen Skala (nicht zutreffend, teilweise zutreffend, eindeutig zutreffend) werden von den Eltern je 25 Items zu den fünf Bereichen emotionale Probleme, Verhaltensprobleme, Hyperaktivität, Verhaltensprobleme mit Gleichaltrigen und prosoziales Verhalten beantwortet (je fünf pro Subskala). EMPATHIE wurde anhand einer Subskala des Inventar zur Erfassung von Impulsivität, Risikoverhalten und Empathie (IVE; Stadler, Janke & Schmeck, 2004) erfasst. Das IVE ist ein Selbstbeurteilungsfragebogen für Kinder und Jugendliche, bei welchem auf einer vierstufigen Likert-Skala von 0 (nie) bis 4 (immer) Items zur Impulsivität, dem Risikoverhalten und der Empathie beantwortet werden. Die hier verwendete Subskala Empathie (16 Items) erfasst das Einfühlungsvermögen und die Sensitivität gegenüber den Gefühlen anderer Menschen. Tabelle 1: Erhebungsinstrumente der Kind-­‐ und Elternbefragung Erfasster Problembereich Verwendete Skalen Kinder Selbstwert, phys. + psych. Wohlbefinden Kid-KINDL Problemverhalten SDQ Empathie Prosozialität IVE FEPAA: Prosozialität Aggressionshäufigkeit Aufmerksamkeit FEPAA: Aggressionshäufigkeit (AH), Form B BUEGA: Bp-Test; BUEVA: FTF-K Nonverbale Intelligenz BUEGA: Matrizen- Test Eltern ADHS DISYPS- II: Skala FBB-ADHS Störung des Sozialverhaltens Kooperatives Verhalten Selbstkontrolle Erziehungsfragebogen Phys. und psych. Wohlbefinden DISYPS- II: FBB- SSV JCTI 7-11: Kooperation (KO) JCTI 7-11: Selbstlenkungsfähigkeit (SL), Selbstranszendenz (ST) EFB; EFB- K zu t2 SF- 36 Stress ESF - 15 - PROSOZIALES UND AGGRESSIVES VERHALTEN wurden mit dem Fragebogen zur Erfassung von Empathie, Prosozialität, Aggressionsbereitschaft und aggressiven Verhalten (FEPAA; Lukesch, 2006) erhoben, wobei nur die Skalen Prosozialität und Aggressionshäufigkeit eingesetzt wurden. Aufgrund fehlender Altersnormen wurde die Empathie anhand des IVE operationalisiert. Beim FEPAA handelt es sich um ein Selbstbefragungsinstrument, bei welchem von den Kindern auf einer vierstufigen LikertSkala (0=nie bis 4=immer) geantwortet wird. Der Fragebogen ist für Kinder ab 12 Jahren konzipiert worden, so dass er für die vorliegende Untersuchung in den Formulierungen angeglichen werden musste. Aus diesem Grund lässt sich nur eine statistische intra- und interindividuelle, jedoch keine klinische (im Vergleich zu der Normierungsstichprobe) Differenz festhalten. AUFMERKSAMKEIT und NONVERBALE INTELLIGENZ wurden schließlich mit der Basisdiagnostik Umschriebener Entwicklungsstörungen im Grundschulalter (BUEGA; Esser, Wyschkon & Ballaschk, 2008) getestet. Die Aufmerksamkeit wurde anhand des bp-Subtests bei den Kindern zwischen sechs und elf Jahren getestet. Für Kinder, die jünger als sechs Jahre waren und noch nicht lesen und schreiben konnten, wurde auf die Basisdiagnostik für umschriebene Entwicklungsstörungen im Vorschulalter (BUEVA; Esser, 2002) zurückgegriffen. Bei beiden Testformen haben die Kinder die Aufgabe in einer bestimmten Zeit vorgegebene Buchstaben (b, p) bzw. vorgegebene Zeichen (Äpfel, Birnen) zwischen anderen Buchstaben oder Zeichen zu markieren. Beide Tests gelten als reliabel und valide. Die nonverbale Intelligenz wurde anhand des Matrizen-Tests aus der BUEGA getestet. Die Aufgabe der Kinder bestand in diesem Teil darin, passende Figuren auszuwählen um sie in eine bereits bestehende Anordnung von verschiedenen Bildern sinnvoll einzuordnen. Die Schwierigkeitsstufen variieren im Verlauf des Tests. Auch hier findet sich eine zufriedenstellende Zuverlässigkeit und Messgenauigkeit des Tests. ADHS UND STÖRUNGEN DES SOZIALVERHALTENS wurden anhand des Diagnostik- System für Psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-IV für Kinder und Jugendliche (DYSIPS- II; Döpfner, Görtz-Dorten & Lehmkuhl, 2008) erfragt. Das DYSIPS liegt in je einer Version für die Kinder und für die Eltern vor und erfasst psychische Störungen entsprechend den Diagnosekriterien von ICD-10 und DSM-IV. Eingesetzt wurde die Fremdbeurteilung (FBB) der Eltern bezüglich der aktuellen Ausprägung der kindlichen Störungen. Eine Selbstbeurteilung ist erst ab dem elften Lebensjahr möglich und wurde daher nicht durchgeführt. Ziel dieses Diagnosesystems ist eine differenzierte dimensionale Beschreibung psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 18 - 16 - Jahren. Die beiden verwendeten Skalen (ADHS und SSV) sind von 0 (gar nicht) bis 3 (besonders) skaliert und weisen gute Gütekriterien auf. KOOPERATIVES VERHALTEN UND SELBSTKONTROLLE wurden anhand des Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI; Goth, Schmeck, 2009) erfragt, einem Inventar zur Erfassung der Persönlichkeit vom Kindergarten- bis zum Jugendalter. Das Inventar basiert auf Cloningers biopsychosozialem Persönlichkeitsmodell, wonach Charakter anhand der drei eigenständigen Skalen Selbstlenkungsfähigkeit (SL), Kooperativität (KO) und Selbsttranszendenz (ST) definiert wird. Diese drei Charakterskalen beschreiben Unterschiede in zentralen Selbstkonzepten, die Einstellungen, Werte und Ziele umfassen, und letztlich die Fähigkeit begründen, mit sich und seiner Umwelt zurecht zu kommen. Anhand einer Skalierung von 0 (nie) bis 4 (immer) erfasst das JTCI die elterliche Einschätzung über Verhaltensweisen, Einstellungen, Meinungen, Interessen und Gefühle des Kindes. ERZIEHUNGSVERHALTEN der Erziehungsberechtigten wurde anhand der deutschen Fassung der Parenting Scale (PS; Arnold, O´Leary, Wolff & Acker, 1993, zitiert nach Naumann, Bertram, Kuschel, Heinrich, Hahlweg & Döpfner, 2010) erfragt. Die Skala erweist sich im deutschsprachigen Raum als geeignetes Maß (Lübeck et al., 2000, zitiert nach Naumann et al., 2010). Die Autoren dieser Studie übersetzten den Titel mit Erziehungsfragbogen, kurz EFB. Beim Zweitinterview wurde im Unterschied zum Erstinterview die Kurzform des EFB, der EFB-K genutzt, der sich in deutschen Studien bisher ebenfalls sehr gut bewährt hat (Naumann et. al, 2010). Je Item werden zwei mögliche Reaktionen auf kindliches Verhalten genannt, die effektives bzw. ineffektives Erzieherverhalten repräsentieren. Die Eltern geben auf einer Skala von 1 (trifft nicht zu) bis drei (trifft zu) an, wie sehr das beschriebene Erziehungsverhalten auf sie zutrifft. PSYCHISCHES WOHLBEFINDEN DER ELTERN wurde durch den SF-36 (Bullinger & Kirchenberger, 1998) und den Elternstressfragebogen (ESF; Domsch & Lohaus, 2010) erfasst. Beide Fragebögen haben sich in der psychologischen Praxis bisher gut bewährt. Sie wurden den Eltern als Fragebogen vorgelegt. Bei dem ESF geben die Erziehungsberechtigten auf einer vierstufigen Skala (0= trifft nicht zu, 3= trifft genau zu) an, inwiefern sie z. B. soziale Unterstützung erfahren oder wie gut sie mit dem Kind subjektiv zurechtkommen. Die verwendeten Skalen des SF-36 beinhalten zwei unterschiedliche Dimensionen. Auf einer fünfstufigen Skala soll angeben werden wie der eigene Gesundheitszustand empfunden wird (1= ausgezeichnet, 5= schlecht), zudem sind Angaben zur Gesundheitswahrnehmung und der sozialen Funktionsfähigkeit zu machen (1= trifft völlig zu, 5= trifft gar nicht zu). Das Psychische Wohlbefinden wird durch eine sechsstufige Skala erfasst (1= immer, 6= nie). - 17 - 2.5 Nachhaltigkeit des Projektes Neben den unmittelbaren Projektergebnissen ist ein Ertrag des Projektes auch darin zu sehen, dass es maßgeblich zur Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses beitrug und dadurch langfristig nachwirkt. Insgesamt 14 Studierende der Psychologie absolvierten im Rahmen des Projektes ein Forschungspraktikum im Umfang von 210 Stunden. Den Studierenden wurden umfassende Möglichkeiten zur Erlangung von Praxiserfahrungen im Umgang mit psychisch auffälligen Kindern und teilweise hoch belasteten Familien gewährt, wie auch die Mitarbeit in allen Phasen eines Forschungsprozesses gestattet. Zwei der Studierenden möchten sich aufgrund der gesammelten Erfahrungen später auch beruflich weiter mit der tiergestützten Therapie befassen. Aus dem Projekt entstanden außerdem drei Bachelorarbeiten. In der Arbeit von Nina Grimm (2011) wurden die Zusammenhänge zwischen elterlichem psychischen Befinden, elterlichem Erziehungsverhalten und kindlicher ADHS-Symptomatik betrachtet. Die Arbeit von Amelie Engels und Nele Vrielink (2011) untersuchte die Wirkung des Heilpädagogischen Reitens und Voltigierens auf das Sozialverhalten von Kindern mit externalisierenden Verhaltensstörungen. Die Ergebnisse beider Arbeiten sollen auszugsweise demnächst veröffentlich werden. Ein Konferenzbeitrag über die zentralen Ergebnisse des Modellprojekts soll außerdem 2012 auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie vor einem Fachpublikum präsentiert und anschließend veröffentlicht werden. Die Ergebnisse werden an das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten weitergeleitet und tragen damit hoffentlich weiter zur Etablierung der Reittherapie als Behandlungsmethode bei Kindern mit Verhaltensstörungen bei. 3 Ergebnisse Neben den statistischen Signifikanzen werden, um die praktische Bedeutsamkeit der gefundenen Effekte einschätzen zu können, im Folgenden auch die Effektstärken berichtet. Bei dem verwendeten Untersuchungsdesign wird als Effektstärke Cohens d (d) angegeben, wobei nach Cohen (1988) bei d= 0.2 ein schwacher Effekt, bei d= 0.5 ein mittlerer Effekt und bei d= 0.8 ein starker Effekt vorliegt. Da bei den vorab durchgeführten statistischen Ausreißeranalysen ein Kind (2,5%) durch extrem auffällige Werte und ein inkonsistentes Antwortverhalten aus dem Rahmen fiel, wurde es von den Auswertungen ausgeschlossen. - 18 - Dies erscheint gerechtfertigt, da bei der vorliegenden geringen Stichprobengröße bereits eine einzelne Person mit Extremantworten die Ergebnisse der gesamten Studie verfälschen kann. Aufgrund der hohen Abbrecherrate wurde außerdem das Intention-To-Treat-Prinzip angewandt. Hierbei wird der jeweils letzte Messwert als Post-Messung angesehen, sodass die statistische Auswertung alle Teilnehmer berücksichtigen kann. Dieses Verfahren verhindert, dass es zu Verzerrungen kommt, da davon ausgegangen wird, dass Abbrecher schlechtere Ergebnisse aufweisen als Nicht-Abbrecher. Durch die besonders hohe Abbruch-Rate unter den Teilnehmern des sozialen Trainings könnten die Ergebnisse ohne das Intention-To-TreatPrinzip positiver wirken, als sie real sind, da die Personen, die nicht von der Intervention profitierten abgebrochen haben. An dieser Stelle ist jedoch auch anzumerken, dass die grundsätzlich durch die fehlenden Werte entstandene Verzerrung nicht minimiert werden kann. Die Methode dient lediglich dazu diese nicht noch zu vergrößern. 3.1 Veränderungen der Störungssymptomatik Zunächst wurde die Veränderung der ADHS Symptomatik untersucht. Zu diesem Zweck wurde eine multivariate Varianzanalyse mit Messwiederholung über die unterschiedlichen Symptombereiche hinweg berechnet. Die Kompetenzskala wurde dabei außer Acht gelassen. Es ergab sich multivariat ein signifikanter positiver Gesamteffekt (F = 2.85, df = 4, p = .039, ES = .09). Sowohl im Hinblick auf den ADHS-Globalwert als auch in Bezug auf die Bereiche Aufmerksamkeit und Impulsivität sind starke, signifikante positive Veränderungen in der erwarteten Richtung erkennbar (Tab. 2). Hinsichtlich der Symptomatik der Hyperaktivität ist insbesondere bei der Reittherapie ein positiver Entwicklungstrend erkennbar, der jedoch knapp die statistische Signifikanz verfehlt. Zwischen den beiden Behandlungsgruppen finden sich keine signifikanten Unterschiede. Kinder, die Medikamente aufgrund ihrer ADHS verschrieben bekamen, wiesen zu Behandlungsbeginn erwartungsgemäß eine geringere Störungssymptomatik auf. Die Medikation nahm aber keinen Einfluss auf die Veränderung der Störungssymptomatik im Behandlungsverlauf. Keine Behandlungseffekte zeigten sich bei den störungsbezogenen Kompetenzen. - 19 - Tabelle 2: MANOVA mit Messwiederholung bezüglich der ADHS-Skalen: Univariate Vergleiche ADHS-Skalen Gruppe M1 (SD) M3(SD) F-Wert p-Wert Cohens d EG 1.66 (0.6) 1.43 (0.61) 7.46 .010 .39 Gesamtwert KG 1.85 (0.63) 1.70 (0.57) EG 1.80 (0.51) 1.52 (0.56) 7.95 .008 .54 Aufmerksamkeit KG 1.90 (0.62) 1.78 (0.63) EG 1.35 (0.91) 1.06 (0.80) 3.84 .058 .35 Hyperaktivität KG 1.54 (0.99) 1.40 (0.81) EG 1.87 (0.92) 1.54 (1.00) 9.31 .004 .35 Impulsivität KG 2.24 (0.79) 1.96 (0.77) EG 1.09 (0.53) 1.07 (0.55) 0.36 .552 .04 Kompetenzen KG 0.96 (0.51) 1.08 (0.59) Anmerkungen: Reittherapie (EG): N=19, Soziales Training (KG): N=20; Cohens d = Effektstärke. Bei der Störung des Sozialverhaltens ergibt sich ebenfalls multivariat ein positiver Gesamteffekt (F = 4.15, df = 3, p = 0.13, ES = .11). In beiden Gruppen ist dies in erster Linie auf eine signifikante Reduzierung von oppositionellem Verhalten zurückzuführen (Tab. 3). Praktisch liegt die erzielte Veränderung im mittleren Bereich. Bei Vorliegen einer stärker ausgeprägten dissozialen Störung des Sozialverhaltens konnten keine signifikanten Effekte erzielt werden, wohl aber ein Entwicklungstrend in erwarteter Richtung, welcher allerdings nur bei der Reittherapie, nicht beim sozialen Training auftritt. Die störungsbezogenen Kompetenzen veränderten sich im Therapieverlauf nicht signifikant. Tabelle 3: Mittelwertvergleiche (ANOVA mit Messwiederholung) bezüglich der SSV-Skalen SSV-Skalen Gruppe M 1 (SD) M 3 (SD) F-Wert p-Wert Cohens d EG 1.64 (1.61) 1.07 (1.29) 7.29 .010 .4 Gesamtskala KG 0.96 (0.64) 0.26 (0.55) EG 1.66 (0.76) 1.30 (0.73) 11.83 .001 .5 Opp. Verhalten KG 1.96 (1.22) 1.69 (1.17) EG 1.61 (2.51) 0.92 (1.95) 1.45 .236 .48 Diss. Verhalten KG 0.39 (0.41) 0.32 (0.28) EG 1.78 (0.52) 1.85 (0.56) 0.00 .948 .13 Kompetenzen KG 1.98 (0.70) 1.10 (1.31) Anmerkungen: Reittherapie (EG): N=19, Soziales Training (KG): N=20; Cohens d = Effektstärke. Die positive Veränderung der Störungssymptomatik bestätigt sich auch anhand der Antworten auf die Fragen nach den Stärken und Schwächen der Kinder (SDQ), die sowohl im - 20 - Elternurteil (Tab. 4) als auch im Selbsturteil (Tab 5) erfasst wurden. Tabelle 4: Mittelwertvergleiche (ANOVA mit Messwiederholung) bezüglich der SDQ-Skalen (Elternfragebogen) SDQ Gruppe M1 (SD) M3 (SD) F-Wert p-Wert Cohens d EG 19.16 (5.38) 12.74 (8.16) 28.50 .000 .95 Gesamtwert KG 21.00 (4.76) 11.15 (9.71) EG 4.689 (3.59) 3.58 (2.83) 3.74 .061 .35 Emotionale Probleme KG 5.10 (2.31) 4.50 (1.82) EG 3.89 (2.00) 3.42 (1.84) 0.91 .347 .25 Verhaltensprobleme KG 4.00 (2.13) 3.90 (1.65) EG 5.00 (1.15) 3.89 (2.11) 26.38 .000 .67 Hyperaktivität KG 6.10 (1.45) 3.65 (2.58) EG Probleme mit 5.78 (1.35) 5.26 (1.79) 0.91 .346 .34 Gleichaltrigen KG 5.80 (1.70) 5.60 (1.19) EG 7.26 (1.45) 7.89 (1.76) 1.55 .220 .4 Prosoziales Verhalten KG 7.40 (2.09) 7.50 (1.79) Anmerkungen: Reittherapie (EG): N=19, Soziales Training (KG): N=20; Cohens d = Effektstärke. Tabelle 5: Mittelwertvergleiche (ANOVA mit Messwiederholung) bezüglich der SDQ-Skalen (Kinderfragebogen) SDQ-Skalen Gruppe M1 (SD) M3 (SD) F-Wert p-Wert Cohens d EG 17.74 11.21 (4.76) (5.83) 24.30 .000 1.26 Gesamtwert KG 19.10 10.95 (4.14) (9.88) EG Emotionale 2.63 (1.86) 2.05 (1.90) 0.57 .453 .32 Probleme KG 4.25 (2.00) 4.36 (2.52) EG 3.42 (2.01) 2.84 (1.34) 0.11 .743 .35 Verhaltensprobleme KG 3.55 (1.76) 2.95 (1.67) EG 6.68 (1.53) 5.00 (2.49) 26.16 .000 .84 Hyperaktivität KG 6.45 (1.00) 3.90 (2.85) Verhaltensprobleme EG 5.00 (1.20) 4.26 (1.88) 2.53 .120 .48 mit Gleichaltrigen KG 4.85 (1.31) 4.65 (1.73) EG 7.84 (2.22) 7.68 (2.36) 0.82 .373 .07 Prosoziales Verhalten KG 7.85 (1.35) 7.35 (1.93) Anmerkungen: Reittherapie (EG): N=19, Soziales Training (KG): N=20; Cohens d = Effektstärke, Verhaltensprobleme (VP). Eltern und Kinder berichteten übereinstimmend eine stark verbesserte psychosoziale Anpassung nach der Therapie, die in erster Linie auf eine starke Reduzierung der Hyperaktivität zurückzuführen ist. Auch hier hatten Kinder, die eine Medikation erhielten, eine geringere Symptombelastung, wobei die Medikation keinen Einfluss auf die Entwicklung - 21 - im Behandlungsverlauf nahm. Die Eltern nahmen außerdem einen tendenziellen Rückgang emotionaler Probleme bei ihren Kinder wahr, wobei sich hier aber kein signifikanter Effekt sondern lediglich eine Entwicklungstendenz abzeichnet. Besonders hervorzuheben ist, dass sich nach Therapieende gemäß der Fragebogenkennwerte keiner der Teilnehmer der Reittherapie noch im klinisch auffälligen Bereich befand. 3.2 Veränderungen der Kognitionen, Emotionen und Sozialen Kompetenzen Neben der Veränderung der Störungssymptomatik wurde nach weiteren Veränderungen im Bereich der Kognitionen, Emotionen und der Sozialen Kompetenzen gesucht. Mittels des KINDL-Fragebogens wurden im Eltern- und Kindurteil Veränderungen des körperlichen und psychischen Wohlbefindens, des Selbstwertes, der familiären Beziehungen, der Freundschaftsbeziehungen und der Funktionsfähigkeit in Schule und Kindergarten untersucht. Im Elternurteil konnten diesbezüglich keine signifikanten Veränderungen festgestellt werden (Tab. 6). Tabelle 6: Mittelwertvergleiche (ANOVA mit Messwiederholung) bezüglich der KINDLSkalen (Elternfragebogen) KINDL Gruppe M1 (SD) M3 (SD) F-Wert p-Wert Cohens d Körper EG 3.09 (0.61) 2.95 (0.97) 1.35 .252 .18 KG 3.44 (0.61) 3.25 (0.54) Psyche EG 2.91 (0.67) 2.84 (0.68) 0.73 .398 .11 KG 3.04 (0.68) 2.90 (0.76) Selbstwert EG 2.58 (0.61) 2.36 (0.63) 1.98 .168 .36 KG 2.66 (0.51) 2.41 (0.94) Familie EG 2.68 (0.70) 2.68 (0.62) 0.36 .553 .0 KG 2.84 (0.76) 2.68 (0.79) Freunde EG 2.14 (0.85) 2.45 (0.82) 0.30 .589 .38 KG 2.61 (0.83) 2.44 (0.81) Schule EG 2.84 (0.75) 2.71 (0.83) 0.24 .631 .17 KG 2.69 (0.72) 2.65 (0.64) Anmerkungen: Reittherapie (EG): N=19, Soziales Training (KG): N=20; Cohens d = Effektstärke. Die Auswertung des Kinderfragebogens ergab ein tendenziell verbessertes psychisches Wohlbefinden (F = 3.87, df = 1, p = .057, ES = .11), das Signifikanzniveau wurde hier nur knapp verfehlt. In den anderen Bereichen fanden sich keine statistisch bedeutsamen Veränderungen. - 22 - Im Bereich der Kognitionen stellt die Selbstkontrollfähigkeit der Kinder eine wichtige Voraussetzung für normangepasstes Verhalten dar. In diesem Bereich ließ sich allerdings keine Veränderung im Therapieverlauf feststellen (Tab. 8). Tabelle 8: Mittelwertvergleiche (ANOVA mit Messwiederholung) bezüglich der JTCI-Skalen JTCI-Skalen Gruppe M1 (SD) M3 (SD) F-Wert p-Wert Cohens d EG 23.58 23.37 (4.19) (5.71) 0.24 .625 .04 Selbstlenkungsfähigkeit KG 23.50 22.95 (4.12) (3.55) EG 17.37 17.42 (5.45) (4.36) 0.57 .457 .01 Selbsttranszendenz KG 15.90 14.80 (3.86) (5.36) EG 30.47 26.63 (10.62 (8.28) 6.21 .017 .41 Kooperation KG 28.40 26.55 (6.52) (5.73) Anmerkungen: Reittherapie (EG): N=19, Soziales Training (KG): N=20; Cohens d = Effektstärke. Tabelle 9: Mittelwertvergleiche (ANOVA mit Messwiederholung) bezüglich der IVE- und FEPAA-Skalen Skalen Gruppe M1 (SD) M3 (SD) F-Wert p-Wert Cohens d IVE EG 32.26 32.36 Empathie (15.97) (16.52) 0.11 .743 .01 KG 38.20 36.50 (13.26) (12.18) FEPAA EG 36.95 (9.42) 33.05 (8.59) 3.07 .088 .44 Prosozialität KG 40.45 38.90 (10.39) (12.30) Anmerkungen: Reittherapie (EG): N=19, Soziales Training (KG): N=20; Cohens d = Effektstärke. Die Kooperationsfähigkeit der Kinder nahm dem Elternurteil zufolge im Therapieverlauf sogar signifikant und stark in beiden Gruppen ab (Tab. 8). Damit in Einklang stehend, gehen die Eltern tendenziell auch von einer Abnahme prosozialer Verhaltensweisen aus. Allerdings ist dieser Effekt nicht statistisch signifikant, spiegelt aber die negative Entwicklungsrichtung in diesem Bereich wider. Im Empathievermögen der Kinder konnten hingegen keine Veränderungen ausgemacht werden (Tab. 9). - 23 - 5 Zusammenfassung und Ausblick Ziel des Projektes war die Überprüfung der Wirksamkeit von Reittherapie als heilpädagogische Maßnahme bei Kindern mit externalisierenden Verhaltensstörungen, d.h. mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und/oder einem gestörten Sozialverhalten. Die Befunde belegen, dass die Reittherapie eine wirksame therapeutische Maßnahme bei der Behandlung von Kindern mit ADHS darstellt. Bereits nach 20 Wochen war eine starke Verbesserung der ADHS-Symptomatik zu beobachten, die bis zum Ende der Therapie nach 40 Wochen anhielt. Auch medikamentös und zuvor therapeutisch behandelte Kinder konnten von der Reittherapie in ihrer Entwicklung noch weiter profitieren. Neben der ADHS-Symptomatik konnten außerdem die Symptome einer oppositionell-aggressiven Störung des Sozialverhaltens signifikant reduziert werden. Eltern und Kinder berichteten zudem übereinstimmend eine starke Verbesserung der psychosozialen Anpassung bzw. Reduzierung von Verhaltensauffälligkeiten, was sich in erster Linie auf eine Verringerung der Hyperaktivität und ihrer Folgen zurückführen lässt. Die Reittherapie war in ihrer Wirksamkeit mit einem sozialen Trainingsprogramm vergleichbar, die Kinder in der Reittherapie wiesen allerdings eine deutlich höhere Teilnahmemotivation auf. Sie berichteten in ihren Tagebüchern von großem Spaß beim Reiten und im Umgang mit dem Pferd. Die Reittherapie wurde außerdem auch von den Eltern überaus positiv wahrgenommen. Eltern, die auf dem Reiterhof gemeinsam auf ihre Kinder warteten, konnten sich untereinander austauschen und Fortschritte ihrer Kinder unmittelbar beobachten; ein großer Vorteil, der bei herkömmlichen Gruppenprogrammen entfällt. Hinzu kam, dass selbst körperlich hoch aggressive und massiv auffällige Kinder in die Reitgruppen mühelos integriert werden konnten, während es bei alternativen Beschäftigungen ohne Pferd schwer war, Streitereien und Übergriffe zu unterbinden. Die Anwesenheit der Pferde bewirkte hingegen eine starke Dämpfung des aggressiven Affektes, selbst wenn die Kinder vorher hoch erregt waren. Angesichts dieser sehr positiven Effekte erstaunt allerdings, dass neben der deutlichen Verbesserung der psychischen Symptomatik keine weiteren positiven Begleiterscheinungen der Reittherapie, wie z. B. verbesserter Selbstwert, Empathiefähigkeit oder Selbstkontrolle zu bemerken waren. Eine Generalisierung der positiven Verhaltenseffekte auf den familiären oder schulischen Bereich war ebenfalls nicht festzustellen, was in gewissem Widerspruch zu - 24 - bereits vorliegenden Studien steht. Auch sonstige Zusammenhänge zwischen der Reittherapie und Merkmalen der Familie, dem psychischen Befinden der Eltern, dem Erziehungsverhalten und dem sozialen Umfeld waren nicht festzustellen. An dieser Stelle ist damit sicherlich weitere Forschung notwendig, um zu klären, ob dies ein generelles Befundmuster darstellt oder auf die spezifische Angebotsstruktur im Modellprojekt zurückzuführen ist. Es ist dabei festzuhalten, dass Eltern stark auffälliger Kinder oft einen solch belasteten Alltag erleben, dass eine ressourcenorientierte Betrachtung des Kindes in den Hintergrund tritt. Denkbar wäre somit durchaus die Möglichkeit, die Eltern in die Reittherapie und andere Behandlungsprogramme enger einzubeziehen und ihnen die Fortschritte der Kinder direkter zurückzumelden. Somit hätten sie einerseits einen Einblick in die jeweiligen Vorgänge und könnten des Weiteren auch selbst im Alltag lernen, Entwicklungen ihrer Kinder besser wahrzunehmen. Dies könnte sich in differenzierteren Angaben in den Fragebögen zeigen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist jener der pferdegestützten Psychotherapie. Bei dieser Form wird die Reittherapie durch Psychotherapeuten durchgeführt und ermöglicht dadurch auch gezielt symptomorientiertes Arbeiten. Es wäre zu untersuchen, ob sich durch die Integration von Elternarbeit, Ressourcenaktivierung und gezielter symptomreduzierender Maßnahmen durch psychotherapeutische Interventionen mit dem Pferd ein Gesamtkonzept der Reittherapie entwickeln ließe, dessen positive Effekte sich dann auch auf unterschiedliche Alltagsbereiche auswirken. 6 Literatur Baum, M. (1980). Die besondere Eignung des Pferdes als Erziehungshilfe bei Störungen in Sozialisationsprozessen. Zeitschrift Therapeutisches Reiten, 4, 16-19. Bullinger, M. & Kirchenberger, I. (1998). SF-36. Fragebogen zum Gesundheitszustand. Göttingen: Hogrefe. Cuyper, K., Ridder, K. & Strandheim, A. 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