LAINZER KREIS T agesthema vo m 19. No vembe r 2006 Univ.-Prof. Dr. Susanne Heine „Isla m - eine Religion der Gewa lt?“ Hans Peter stellt die Referentin kurz vor: Geb. in Prag, 1968 zum geistlichen Amt in der evangelischen Kirche AB ordiniert, 1973 Promotion, 1978 Habilitation als Religionspädagogin. An verschiedenen Universitäten im Ausland tätig, derzeit Ordinaria an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien für Praktische Theologie und Religionspsychologie. Die Referentin ist nicht Fachfrau in Sachen Islam, hat aber langjährige Erfahrung im Dialog mit dem Islam und spricht aus Wissen und Erfahrung. Zum Titel der Veranstaltung: Der Islam ist ebenso eine gewalttätige Religion wie auch das Christentum (nicht nur in seiner Geschichte, sondern auch heute - USA!). Es dürfen aber die beiden Ebenen, was Menschen tun, und was in den hl. Schriften steht, nicht verwechselt werden. Zunächst geschichtliche Information: In den arabischen Ländern gab es um 600 n.Chr. keine einheitlich geprägte Gesellschaft oder gar einen „Staat“. Man lebte in einer Gesellschaft von arabischen und jüdischen Stämmen, die kulturell unterschiedlich geprägt waren. Arabien lag zwischen dem byzantinischen und dem sassanidischen („neupersischen“) Großreich. Wirtschaftlich waren diese Stämme auch in Handwerk und Handel tätig, so auch der Stamm Mohammeds. In den Karawansereien lernte M. Angehörige der verschiedenen Stämme kennen. M.s Stamm war für die heilige Stätte der „Kaaba“ verantwortlich, an der polytheistische Opferrituale vollzogen wurden. M. wollte keine „Religion gründen“. Er war zunächst ein religiöser Prophet, der sein Volk aus seiner polytheistischen Praxis heraus und zu einem „endgültigen“ monotheistischen Verständnis hin führen wollte. In diesem Zusammenhang erlebte er Offenbarungen, die im Koran festgehalten sind. Der Koran besteht aus zwei Teilen, den mekkanischen und den medinischen Suren. Allerdings ist die Zuordnung der Suren der beiden Offenbarungsorte Mekka und Medina zu den beiden Teilen nicht streng chronologisch durchgehalten. Ausnahmen sind in guten Koranausgaben jeweils vermerkt. M. kam als monotheistischer Prophet mit den Interessen seines eigenen Stammes in Konflikt, für den der Opferkult an der Kaaba eine nicht unerhebliche Einkommensquelle war (ein ähnliches Problem bekam Paulus in Ephesus mit dem dortigen Kult der Artemis - vgl. Apg 19,23ff.). Das führte (623 n.Chr.) zum Weggang des M. nach Medina. Dort kam es zur Gründung der „Umma“, einer Föderation von Stämmen, die sich dem Monotheismus zuwandten. Mit dem Gesellschaftsvertrag der Umma ergab sich für M. selbst eine Veränderung: Die Verknüpfung von Verkündigung und Politik. M. übernahm auch die politische Führung der Gemeinschaft. Er suchte die jüdischen Stämme in Medina als Bundesgenossen zu gewinnen, einige Juden begrüßten ihn sogar als Messias, letztlich scheiterte der Dialog aber, und die Juden wurden als Abtrünnige betrachtet. Zwei jüdische Stämme wurden vertrieben, einer vernichtet. Es kam auch mit den Mekkanischen Stämmen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. In der Schlacht von Badr führte M. selbst die Muslime an und errang einen Überraschungssieg. Die Sure 3 berichtet, dass M. durch tausend Engel unterstützt worden sei (Parallele zu Gideon; Ri 7). M. nahm Mekka ein. Die Kaaba wird zur zentralen Stätte religiöser Verehrung, es wird eine religiöse Gesellschaftsordnung geschaffen, die Sharia das „bürgerliche Gesetzbuch“. Heute ist die Politik der islamischen Länder sehr unterschiedlich und wird jeweils durch eine entsprechende Auslegung des Koran begründet. Wenn von muslimischer Seite Ablehnung oder Gewalt ins Spiel gebracht werden, ist immer auch der Erfahrungshintergrund zu bedenken, auch der geschichtliche (Kolonialismus). Der Vergleich mit dem AT zeigt, dass auf Unterdrückung und Angriffe entsprechende Reaktionen folgen. Auch die neutestamentliche Glaubensgemeinschaft ist, sobald entsprechende Möglichkeiten 19. November 2006 - Seite 1 LAINZER KREIS gegeben waren, in die Gewalttätigkeit geraten, obwohl Jesus durch Wort und Leben den Weg der Gewaltlosigkeit gezeigt und als Auftrag hinterlassen hat. Das Christentum war sehr lange monarchisch organisiert und hat erst nach einem langen Prozess der Aufklärung zu demokratischen Formen von Verfassung und des Interessenausgleichs gefunden. Auch die Muslime werden diesen Weg gehen müssen und sind durch ihre Präsenz in Europa dazu herausgefordert. Zum Thema Terrorismus ist zu sagen, dass entsprechende Verhaltensweisen im Koran nicht erlaubt, geschweige denn geboten sind. Auch wenn terroristische Aktionen strikt abzulehnen sind, müssen sie doch aus dem Kontext heraus verstanden werden: Die koloniale Besetzung der muslimischen Länder, die Missionierung und die mit ihr verbundenen Demütigungen. Es hat eine „Sedimentierung“ dieser Erfahrungen im Bewusstsein der betroffenen Länder stattgefunden. Wie die Geschehnisse im Irak und auf dem Balkan zeigen: Die Erfahrung von Ohnmacht lässt Angst entstehen und macht misstrauisch. Terrorismus ist der Krieg der Ohnmächtigen. Die Einstellung der Muslime zu den Juden und Christen hat eine Wandlung durchgemacht (wie oben bezüglich des Verhältnisses zu den Juden schon beschrieben). Mit Christen hatte M. zunächst nicht zu tun, später wollte er auch sie für den Monotheismus gewinnen. Enttäuschungen veränderten dann M.s Einstellung auch zu den Christen (wie das in drei Suren zum Ausdruck kommt: 61,4; 5,2; 9,31.34). In der Umma wurde vorgesehen, dass Muslime Töchter der Christen heiraten dürfen, nicht aber umgekehrt. Die Bestimmungen wurden mehrfach verändert, insgesamt ist aber auch der Dialog mit den Christen gescheitert. Ist Dialog mit dem Islam überhaupt möglich? „Im Volk“ nicht leicht. In Theologenkreisen und in der Politik ist Dialog jedenfalls notwendig (Bildungsforen!). Eskalierungen sind zu ahnden, Pauschalierungen führen aber nicht weiter. Es sind vielmehr die „christlichen Tugenden“ zu aktivieren! Aus der Diskussion: - In den Wortmeldungen der Zuhörerschaft werden zunächst viele Beispiele gebracht, die belegen würden, dass ein Dialog mit dem Islam schwer möglich sei oder zumindest nur „einseitig“ geführt werden könne. Einstellung und Verhalten vieler oder sogar der meisten Muslime seien undialogisch. Anderseits sei auch das Wissen der Österreicher um den Islam und die Unterschiede zwischen bei uns lebenden Gruppierungen sehr dürftig, sodass die Einrichtung und Pflege von Bildungsforen höchst dringlich erscheine. Auch unter uns Christen sei das Wissen über anderer christliche Konfessionen dürftig und der Dialog zwischen den Konfessionen schwierig. Die Referentin unterstreicht den schon in ihrem Referat gegebenen Hinweis, dass Pauschalurteile und schiefe Vergleiche, die aus konkreten Erfahrungen oder auch Verletzungen stammen, nicht weiterhelfen. Auch die Muslime haben seitens der Christen Gewalt erlebt und es gibt daher auf beiden Seiten Reserven und Angst. Der so ins Spiel kommende Kreislauf der Angst kann nur durch De-Eskalierung unterbrochen werden. Es gibt auch positive Erfahrungen und Bereitschaft, auf den jeweils anderen zuzugehen. Voraussetzung dafür ist allerdings, den Alltag der Menschen ernst zu nehmen und gegenseitige Hilfen zu geben. - Das Problem, dass die Frau im Islam dem Mann grundsätzlich untergeordnet ist, wird angesprochen Die Ref. weist darauf hin, dass die muslimischen Frau zur Zeit Mohammeds mehr Rechte hatte als in der gesamten damaligen Umwelt. Auch im Christentum hat es sehr viel Zeit gebraucht, bis es zur rechtlichen Gleichstellung der Frau mit dem Mann in den heutigen demokratischen Ländern des Westens gekommen ist. Mentalitätsmäßig ist ein Problem, dass in den muslimischen Ländern Toleranz nicht geschätzt, sondern eher als Schwäche ausgelegt wird. 19. November 2006 - Seite 2 LAINZER KREIS - Zum Schriftverständnis der Muslime wird gefragt, ob nicht das fundamentalistische „Eins-zu-einsVerständnis“ der Texte des Koran für Muslime unabdingbar sei, zumal sogar an der berühmtesten Universität des Islam, der Al-Azhar-Universität in Kairo, ein solches fundamentalistisches Textverständnis herrsche. Fehlen nicht sehr prinzipiell Kritikfähigkeit und der Wille, Religionsfreiheit zu leben? Die Ref. warnt davor, sich auf einseitig darstellende Literatur zu stützen. Es gibt im Islam sehr wohl Gelehrte, die Exegese so betreiben, wie heute von Christen an theologischen Fakultäten Exegese betrieben wird (und sehr hilfreich ist, wenn sie sich nicht in literarwissenschaftlichen Banalitäten verliert, statt den Sinn der biblischen Aussagen für die Praxis christlicher Verkündigung herauszuarbeiten). So unterscheiden die betreffenden islamischen Gelehrten z. B. in ihrer Arbeit sehr wohl zwischen literarischer Gattungen (historische Texte, Reden „in Bildern“, Verwendung von Sagen usw.). Es wirkt sich innerhalb des Islam aber eben die Tatsache aus, dass eine Kultur der Aufklärung und Religionskritik fehlt und Widersprüche, die sich bei einem „Eins-zu-eins-Lesen“ der Schrift ergeben, unaufgeklärt bleiben. - Eine grundsätzliche theologische Frage ist, ob nicht ein entscheidender Unterschied zwischen Islam und Christentum im Gottesbildes gegeben ist. Schon das Wort „Islam“ bedeutet ja „Unterwerfung“. Ist nicht der Gott der Muslime ein autoritärer und gewalttätiger Gott, der vom Menschen fraglose Unterwerfung fordert? Gewiss gibt es auch im AT Züge eines solchen autoritären Gottesverständnisses. Es gibt dort aber auch den Niederschlag jenes religiös-gläubigen Erfahrungsstranges, aus dem Jesus lebte und von dem er auch nicht abgewichen wäre, wenn er (wie später das Christentum in seiner Geschichte) die Möglichkeit gehabt hätte, zum Erreichen seiner Ziele Gewalt ins Spiel zu bringen. Die Ref. weist darauf hin, dass eine andere, entsprechendere Übersetzung von „Islam“ „Hingabe“ ist, ein Begriff, der keine inhaltlichen Elemente enthält, denen nicht auch christlich zugestimmt werden könnte. Es ist eben zu fragen, ob die Gewalttätigkeiten nicht aus Notwendigkeit heraus, sich zu verteidigen, zu erklären sind, also reaktiven Charakter haben und nicht aus einem „gewalttätigen“ Gottesbild zu erklären sind. Nicht nur im AT, auch im NT begegnen Passagen, die nicht unbedingt einen barmherzigen Gott bezeugen. - Ist ein substanzieller Dialog mit dem Islam nicht schon deshalb unmöglich, weil es im Islam keine Instanz gibt, die kompetent für den Islam sprechen könnte? Die Ref.: In der Türkei gibt es ein Religionsministerium, das aber nur eine politische Überwachungsfunktion hat (auch wenn es sogar die Imame besoldet). Moscheen-Vereinen, die als politische Plattformen fungieren und nationalistische Propaganda betreiben, gehören in Österreich nicht viele Türken an. Dem Dialog förderlich ist die ImameKonferenz. Seitens der KA wurde eine Dialog-Plattform „Christen und Muslime in Österreich“ gegründet (Paul Schulmeister), die um ein substanzielles Gespräch bemüht ist. Im praktischen Leben geht es meist um kulturell bedingte Bräuche und Lebensformen, die irritieren, nicht um „die Lehre“. Es ist jeweils sehr differenziert zu urteilen (und auch der unglückliche Begriff einer „Mehrheits-“ oder gar „Leit-Kultur“ zu hinterfragen!). Personenrechte dürfen durch spezifische Verhaltensweise jedenfalls nicht verletzt werden und sind zu ahnden. F. d. Protokoll: Helene Artner, Hartwin Schmidtmayr 19. November 2006 - Seite 3