Strahlentherapie und Onkologie Literatur kommentiert Nach brusterhaltender Therapie bei klinisch negativer Axilla: Die regionale Strahlentherapie ist ebenso effektiv wie die Axilladissektion Hintergrund: Die Standardbehandlung der Axilla bei Brustkrebs war lange Zeit die Axilladissektion (AD). Sie war mit einem hohen Morbiditätsrisiko verbunden. Heute ist die Sentinelnode­Biopsie (SNB) weit verbreitet. Die Ergebnisse laufender und zukünftiger randomisierter Studien werden über das Ausmaß des erwarteten Morbiditätsrückgangs Auskunft geben. Methodik: Vor der SNB-Einführung wurde eine Studie [3] konzipiert, in der 180 Patientinnen über 50 Jahren mit T1/2-cN0-Mammakarzinom brusterhaltend operiert wurden. Statt einer AD erhielten diese Patientinnen eine regionale Strahlentherapie des Lymphabflussgebiets in Kombination mit Tamoxifen (RT-Gruppe). Diese Gruppe wurde mit 341 Patientinnen vergli­chen, die eine AD erhalten hatten (OP-Gruppe). Ergebnisse: Die Behandlungsgruppen waren bis auf das Alter vergleichbar. Die RT-Gruppe war signifikant älter als die OP-Gruppe. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 7,2 Jahre. Die regionalen Rezidivraten waren in beiden Gruppen gleich niedrig. Sie lagen nach fünf Jahren bei 1,1% in der RT und bei 1,5% in der OP-Gruppe. Auch das Gesamtüberleben war ähnlich; lediglich das krankheitsfreie Überleben war in der RT-Gruppe signifikant besser. Schlussfolgerung: Die regionalen Rezidivraten sind nach ­ trahlentherapie vergleichbar niedrig wie nach einer Axilla­ S dissektion. Kommentar Die Morbidität nach kompletter Axilladissektion (AD) ist trotz verbesserter OP-Techniken (Schonung von Level III) und intensiver rehabilitativer Therapien immer noch beträchtlich. Daher wird bei klinisch negativer Axilla in der Regel der Sentinelnode-Biopsie (SNB) der Vorzug gegeben. Leider gibt es immer wieder Situationen, bei der eine SNB bei klinisch negativer Axilla entweder nicht möglich (z. B. keine Markierung eines SN-LK nach Injektion des Markers) oder von der Patientin abgelehnt worden ist. Hier zeigt die vorgestellte Studie [3] eine sichere Alternative zur kompletten AD insbesondere bei günstigem Risikoprofil (postmenopausal, rezeptorpositiv, kleiner Tumor) auf. Wenn man die Daten dieser Publikation [3] mit den beiden größten randomisierten Studien zu diesem Thema vergleicht [1, 4], ergibt sich bezüglich der lokalen Kontrolle eine hohe Übereinstimmung trotz etwas unterschiedlicher Einschlusskriterien (Tabelle 1). Bei allen drei Stu­dien lag die mittlere Rezidivrate pro Jahr bei der Strahlentherapiegruppe in einer vergleichbaren Größenordnung, d. h. bei 0,1–0,2%. Und auch die Vergleichsgruppen hatten niedrige mittlere Rezidivraten pro Jahr von > 0,1–0,3%. Soweit erfasst, gab es wohl kaum Spättoxizitäten der Strahlentherapie (RT). Ein Fall einer reversiblen Plexopathie wurde von Veronesi [4] beschrieben; Lymphödeme wurden nicht gesehen. Allerdings ist die Akuttoxizität an der Haut von 50 Gy Axilla-RT in der Regel höher als bei einer Brust-RT, da die anatomischen Besonderheiten eine höhere Oberflächendosis bedingen. Die Akuttoxizität wurde aber in keiner der drei Studien beschrieben, sodass im Hinblick auf therapieassoziierte akute Morbidität keine Aus­ sage möglich ist. Ein weiterer Aspekt der Gleichwertigkeit von kompletter AD und Axilla-RT wäre die Überlegung, bei minimalem SN-Befall statt einer AD eine adjuvante Axilla-RT anzuschließen. Hier könnten sich bei gleicher Tumorkontrolle 492 Tabelle 1. Vergleich dreier randomisierter Studien. Veronesi et al. [4] Patientenanzahl 435 Nachbeobachtung 63 Monate Alter (Jahre) > 45 Tumorgröße < 1,2 cm Randomisiert ja Rezidivrate RT 0,5 % (5 Jahre) Rezidivrate 1,5 % (5 Jahre) Kontrolle ohne AD Gesamtüberleben keine Angabe Krankheitsfreies idem Überleben Louis- Sylvestre et al. [1] Spruit et al. [3] 658 180 (521) 180 Monate 86 Monate < 70 > 49 < 3,0 cm T1/T2 ja nein 3 % (10 Jahre) 1,1 % (5 Jahre) 1 % (10 Jahre) 1,5 % (5 Jahre) AD AD idem idem idem RT > AD Möglichkeiten zur Reduktion der langfristigen Morbidität ergeben. Im Rahmen einer Einzelfallentscheidung wäre ein solches Vorgehen aufgrund der Datenlage durchaus vertretbar. Allerdings sollte für eine breite Anwendung eine randomisierte Studie wie die AMAROS-Studie der EORTC abgewartet werden [2]. Fazit: Die Axilla-RT stellt in vielen Fällen eine vertretbare Alternative zur kompletten AD dar, weil sie bei vergleichbarer lokaler Kontrolle ein niedrigeres langfristiges Morbiditätsrisiko bietet. Es ist aber zu früh, von einem neuen Standard zu sprechen. Daher sollte jeder Einzelfall interdisziplinär unter Einbeziehung der Präferenzen der Patientin beurteilt werden . Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel Literatur kommentiert Literatur 1. Louis-Sylvestre C, Clough K, Asselain B, et al. Axillary treatment in conservative management of operable breast cancer: dissection or radiotherapy? Results of a randomized study with 15 years of followup. J Clin Oncol 2004;22:97–101. 2. Rutgers EJ, Meijnen P, Bonnefoi H, et al. Clinical trials update of the European Organization for Research and Treatment of Cancer Breast Cancer Group. Breast Cancer Res. 2004;6:165–9. 3. Spruit PH, Siesling S, Elferink MA, et al. Regional radiotherapy versus an axillary lymph node dissection after lumpectomy: a safe alternative for an axillary lymph node dissection in a clinically uninvolved axilla in breast cancer. A case control study with 10 years follow-up. Radiat Oncol 2007;2:40. 4. Veronesi U, Orecchia R, Zurrida S, et al. Avoiding axillary dissection in breast cancer surgery: a randomized trial to assess the role of axillary radiotherapy. Ann Oncol 2005;16:383–8. Peter Stadler, München Erstmals publiziert in InFoOnkologie 2008;11:94–5 (No. 2) Kleinzelliges Lungenkarzinom: Stellenwert der alleinigen Chemotherapie bei Hirnmetastasen Fragestellung: Ziel der Phase-II-Studie [2] war es, die Wirksamkeit der kombinierten Chemotherapie von Irinotecan und Carboplatin bei Patienten mit metastasiertem oder rezidiviertem kleinzelligem Lungenkarzinom (SCLC) zu prüfen und eine ergänzende Diskussion der existierenden Literatur zur Chemotherapie von Hirnfiliae zu führen. Patienten und Methodik: 80 Patienten mit metastasiertem oder rezidiviertem SCLC wurden in diese multizentrische Phase-IIStudie eingebracht. Chemotherapienaive Patienten erhielten Irinotecan 200 mg/m² und Carboplatin AUC 5, zuvor schon chemotherapierte Patienten erhielten Irinotecan 150 mg/m² und Carboplatin AUC 5 alle 21 Tage für sechs Zyklen. Ergebnisse: Von den 80 Patienten hatten 15 (19%) Hirnmetastasen, davon waren 14 auswertbar. Diese zeigten eine Gesamtansprechrate von 65% nach zwei Chemotherapiezyklen und ein medianes Überleben von sechs Monaten (1–24 Monate). Im Rahmen des Überblicks wurden acht Studien gefunden, die jeweils mehr als zehn Patienten mit einer Chemotherapie bei Hirnfiliae eines kleinzelligen Lungenkarzinoms eingeschlossen hatten. Die Response lag zwischen 22% und 85% und das me­ diane Überleben zwischen drei und neun Monaten unter verschiedenen Chemotherapeutika. Schlussfolgerung: Eine Chemotherapie einschließlich der Kombination von Irinotecan und Carboplatin ist eine wirksame Therapie von Hirnfiliae des SCLC. Kommentar Beim kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC) ist die primäre, systemische Chemotherapie die Therapie der Wahl mit hohen Remissionsraten. Bei 18–25% der Patienten können jedoch klinisch und radiologisch Hirnmetastasen nachgewiesen werden und ca. die Hälfte aller Patienten mit kleinzelligem Lungenkar­ zinom erleidet innerhalb von zwei Jahren eine zerebrale Metastasierung, nicht selten als Ort der ersten Tumorprogression. Die Prognose dieser Patienten ist schlecht, so dass eine prophylaktische Strahlenbehandlung des Ganzhirns bei lokal begrenzter (limited) und systemischer (extensive) Tumor­ erkrankung eingeführt wurde [1, 10]. Hierdurch konnte die Rezidivrate signifikant gesenkt und die Überlebensrate erhöht werden. Rezidivraten im Bereich des Gehirns von 40–60% innerhalb von zwei Jahren ohne prophylaktische Strahlenbehandlung sprechen dabei für eine geringe Effektivität der alleinigen Chemotherapie. Andererseits werden je- Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel doch die kognitiven Fähigkeiten der Patienten durch die zusätzliche Strahlentherapie verschlechtert, wobei vor allem eine simultane Chemo-Strahlen-Therapie und der Einsatz höherer Einzeldosen das Risiko erhöhen. Diskutiert wurde lange, ob die Einschränkung der BlutHirn-Schranke die geringe Wirksamkeit der systemischen Chemotherapie verursacht [8]. Auch bei der Therapie manifester Hirnfiliae hat sich die definitive Strahlentherapie als Standardtherapie etabliert [5], da hier ebenfalls angenommen wird, dass die Blut-Hirn-Schranke für Zytostatika eine nahezu unüberwindbare Barriere darstellt. Allerdings konnte gezeigt werden, dass durch eine bestehende Hirnmetastasierung die Blut-Hirn-Schranke geschädigt und diese somit für Zytostatika überwindbar wird [4]. In den letzten 20 Jahren fanden sich zunehmend Hinweise, dass Hirnmetastasen von soliden Tumoren, einschließlich des SCLC, auch effektiv mit Chemotherapien behandelt werden können. Insbesondere die neuen Zytostatika wie z.B. 493 Literatur kommentiert Irinotecan und Carboplatin scheinen eine erhöhte Wirksamkeit zu zeigen [3]. Fazit: In mehreren, wenn auch sehr kleinen Studien werden ­ nsprechraten der Hirnmetastasen des SCLC auf die ChemoA therapie sowohl in First-Line- als auch in der Salvage-Situa­tion zwischen 22% und 85% beschrieben [6, 9]. Chen et al. [2] konnten in der vorliegenden Arbeit Remissionen bei 65% der primären oder rezidivierten Hirnmetastasen dokumentieren. Eine Verbesserung neurologischer Symptome trat im Allgemeinen nach dem ersten Behandlungszyklus auf. Dennoch sollte der von den Autoren ausgesprochenen Empfehlung, die Chemotherapie als primäre Therapie insbesondere bei Patienten mit progressiver Grunderkrankung und asymptomatischen Hirnmetastasen einzusetzen, nur mit Zurückhaltung und unter strenger Überwachung der Patienten gefolgt werden. Zum ­einen ist die Anzahl der in der Subgruppenanalyse erfassten Patienten zu klein für eine endgültige Empfehlung, zum anderen belegt die randomisierte Studie der EORTC [7] eindeutig den Stellenwert der zusätzlichen Strahlenbehandlung des Hirns gegenüber einer alleinigen Chemotherapie mit Teniposid. Vor allem bei Patienten mit ungünstiger Lage einer zerebralen Metastasierung (z.B. im Bereich des Hirnstammes) sollte man sich auch bei Symptomfreiheit nicht auf die alleinige Chemotherapie verlassen. Bei einer singulären oder Oligometastasierung in unkritischen Regionen des Gehirns und Symptomfreiheit sowie ausgedehnter extrakranieller Tumorlast scheint es unter sorgfältiger Überwachung des Patienten gerechtfertigt, mit einer alleinigen systemischen Chemotherapie zu beginnen. Literatur 1. Arriagada R, Le Chevalier T, Rivière A, et al. Patterns of failure after prophylactic cranial irradiation in small-cell lung cancer: analysis of 505 randomized patients. J Clin Oncol 2002;13:748–54. 2. Chen G, Huynh M, Chen A, et al. Chemotherapy for brain metastases in small-cell lung cancer. Clinical Lung Cancer 2008;9:35–8. 3. Chou R, Chen A, Lau D. Complete response of brain metastases to irinotecan-based chemotherapy. J Clin Neurosci 2005;12:242–5. 4. Gerstner ER, Fine RL. Increased permeability of the blood-brain ­barrier to chemotherapy in metastatic brain tumors: establishing a treatment paradigm. J Clin Oncol 2007;25:2306-12. 5. Kepka L, Cieslak E, Bujko K, et al. Results of the whole-brain radiotherapy for patients with brain metastases from lung cancer: the RTOG RPA intra-classes analysis. Acta Oncol 2005;44:389–98. 6. Korfel A, Oehm C, von Pawel J, et al. Response to topotecan of symptomatic brain metastases of small-cell lung cancer also after whole-brain irradiation. a multicentre phase II study. Eur J Cancer 2002;38:1724–9. 7. Postmus PE, Haaxma-Reiche H, Smit EF, et al. Treatment of brain metastases of small-cell lung cancer: comparing teniposide and teniposide with whole-brain radiotherapy – a phase III study of the European Organization for the Research and Treatment of Cancer Lung Cancer Cooperative Group. J Clin Oncol 2000;18:3400–8. 8. Schuette W. Treatment of brain metastases from lung cancer: chemotherapy. Lung Cancer 2004;45 (Suppl 2):S253–7. 9. Seute T, Leffers P, Wilmink JT, et al. Response of asymptomatic brain metastases from small-cell lung cancer to systemic first-line chemotherapy. J Clin Oncol 2006;24:2079–83. 10. Slotman B, Faivre-Finn C, Kramer G, et al. Prophylactic cranial irradiation in extensive small-cell lung cancer. N Engl J Med 2007;357:664–72. Volkmar Nüssler, München; Frank B. Zimmermann, Basel Erstmals publiziert in InFoOnkologie 2008;11:108–9 (No. 2) Erlaubt die gezielte Untersuchung des Pförtnerlymphknotens beim Kolonkarzinom ein besseres Staging? Fragestellung und Hintergrund: Eine internationale Gruppe, bestehend aus Angehörigen von Militärkrankenhäusern, überwiegend in den USA, untersuchte in einer prospektiven Studie, ob mit der Pförtnerlymphknotendiagnostik („sentinel lymph node biopsy“ [SNB]) Lymphknotenmetastasen häufiger entdeckt und damit die Staginguntersuchungen verbessert werden können [3]. Die SNB hat sich inzwischen zur Festlegung der pN‑Kategorie bei klinisch nodal negativen Mammakarzinomen und malignen Melanomen etabliert. Bei anderen Tumorentitäten wird sie bisher nicht eingesetzt. Patienten und Methodik: 175 Patienten mit einem Kolonkarzinom wurden entsprechend den amerikanischen Richtlinien einer sog. En‑bloc‑Lymphknotendissektion unterzogen. Nach Entnahme 494 wurde randomisiert, ob eine konventionelle pathohistologische Aufarbeitung (n = 82) oder zusätzlich eine Identifizierung des Pförtnerlymphknotens (n = 93) durch subseröse Injektion von Blaulösung um den bereits resezierten Tumor herum erfolgen sollte. Ergebnisse: Mit der konventionellen pathohistologischen Untersuchung wurde das UICC‑Stadium III in 35,3%, in der SNB‑Gruppe dagegen in 50,5% diagnostiziert. Dieser „Zugewinn“ resultierte jedoch daraus, dass in der zweiten Gruppe sehr viel häufiger Mikrometastasen ≤ 0,2 mm gefunden wurden. Diese Mikrometastasen wurden durch den Nachweis einzelner Tumorzellen oder Zellaggregate mit Hämatoxylin‑ und Eosinfärbung, aber auch durch immunhistochemischen Nachweis von Panzytokeratin definiert. Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel Literatur kommentiert Kommentar Die publizierte Arbeit ist unter mehreren Gesichtspunkten interessant. Grundsätzlich sind nämlich die bisher mitgeteilten Ergebnisse zur Untersuchung des Pförtnerlymphknotens beim Kolonkarzinom kontrovers, nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Beurteilung. Es darf inzwischen wohl bezweifelt werden, dass die SNB vor der Resektion eines Tumors irgendwelche Hilfen zur Wahl des Resektionsausmaßes beim Kolonkarzinom liefert. Vielmehr mangelt es weltweit noch ganz erheblich an der Standardisierung der Lymphknotendissektion mit daraus folgenden außerordentlich großen Unterschieden in den Langzeitergebnissen nach Resektion eines Kolonkarzinoms. Die Vorgaben durch die international sehr ähnlich lautenden Leitlinien werden tatsächlich nur selten konsequent umgesetzt. Dies ist auch in der vorliegenden Arbeit erkennbar, da letztlich bei immerhin 73% aller Patienten lediglich eine Segmentresektion des Kolons erfolgte. Umso erstaunlicher ist die doch überdurchschnittlich hohe Anzahl entfernter Lymphknoten mit einem Mittel von etwa 17,5 pro Resektat. Allein hieraus kann man schließen, dass offenbar bei engagierter Aufarbeitung durch den Pathologen sehr viel mehr Lymphknoten gefunden werden könnten. Dies ist insofern wichtig, als inzwischen ebenfalls anerkannt ist, dass mindestens 12 bis 17 Lymphknoten notwendig sind, um das Sta­dium III überhaupt identifizieren zu können. Ausschließlich diese Zielrichtung verfolgten auch die Autoren mit pathohistologisch detaillierter Aufarbeitung des Pförtnerlymphknotens. Dies ist auch daran erkennbar, dass sie eine der wichtigsten Arbeiten zu dieser Thematik von Bembenek et al., die interessanterweise in derselben Zeitschrift publiziert wurde, allerdings aus Deutschland kommt und die Ergebnisse einer multizentrischen Studie zu der in vivo vorgenommenen SNB mitteilt, schlichtweg ignoriert [1]. Dies haben allerdings die beiden Kommentatoren des ergänzenden Editorials korrigiert [2]. Zum Ergebnis der vorgelegten Untersuchung muss man zusätzlich zwei Gesichtspunkte diskutieren: Zum einen sagt der Nachweis einer positiven Zytokeratinfärbung von Zellen überhaupt nichts über deren biologische Wertigkeit aus. Dies ist hinreichend durch den Befund bekannt, dass solche Zellen ja auch im Knochenmark und anderswo gefunden werden, ohne dass bei diesen Patienten je Metastasen aufgetreten wären. Der zweite Aspekt berührt die Frage, ob durch das Auftreten von Mikrometastasen eine Prognoseverschlechterung zu erwar- Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel ten ist und ob diese dann durch adjuvante Chemotherapie verbessert werden könnte. Hierzu gibt es leider keine ausreichenden Daten. Beim malignen Melanom wird aus diesem Grund derzeit in Deutschland eine multizentrische Studie durchgeführt, welche es sogar erlaubt, in der einen Gruppe beim Nachweis von Mikrometastasen in einem regionären Lymphknoten auf weitere Maßnahmen einschließlich einer nachfolgenden radikalen regionären Lymphknotendissek­ tion überhaupt zu verzichten. Die hier kommentierte Arbeit wurde von Bilchik & Compton in einem Editorial kommentiert [2]. Carolyn Compton hat in den letzten Jahren wesentliche Beiträge zum Lymphknotenstaging beim kolorektalen Karzinom geleistet. Laut ihrem Resümee ist zwischen Chirurgen und Pathologen für ein akkurates Staging früher Kolonkarzinome eine enge Zusammenarbeit notwendig. Diese Qualität einzufordern ist auch eine Aufgabe bei der Zertifizierung der zunehmenden Zahl von Darmzentren. Fazit: Die gezielte Pförtnerlymphknotenuntersuchung hat beim Kolonkarzinom keinen Einfluss auf das Ausmaß der Lymphknotendissektion und damit der Darmresektion, sofern man den derzeit geltenden chirurgischen Leitlinien folgt. Allerdings mangelt es auch international noch an deren konsequenter Umsetzung. Es wird derzeit diskutiert, ob man mit der Pförtnerlymph­ knotenexzision und dessen detaillierter pathohistologischer Aufarbeitung mehr Mikrometastasen entdeckt. Offen bleibt damit zudem, ob dann im positiven Falle die Prognose der betroffenen Patienten verschlechtert wird und damit die Indikation zur adjuvanten Chemotherapie abgeleitet werden kann. Literatur 1. Bembenek AE, Rosenberg R, Wagler E, et al. Sentinel lymph node ­biopsy in colon cancer: a prospective multicenter trial. Ann Surg 2007;245:858–63. 2. Bilchik AJ, Compton C. Close collaboration between surgeon and pathologist is essential for accurate staging of early colon cancer [Editorial]. Ann Surg 2007;245:864–6. 3. Stojadinovic A, Nissan A, Protic M, et al. Prospective randomized study comparing sentinel lymph node evaluation with standard pathologic evaluation for the staging of colon carcinoma. Ann Surg 2007;245:846–57. Werner Hohenberger, Erlangen 495 Literatur kommentiert Adjuvante Chemotherapie beim kolorektalen Karzinom im Stadium II Fragestellung und Hintergrund: Die QUASAR Collaborative Group untersuchte in einer großen randomisierten Phase‑III‑Studie den Einfluss einer adjuvanten Chemotherapie mit 5‑Fluorouracil (5‑FU) und Folinsäure (FS) auf das Überleben von Patienten mit kolorektalen Karzinomen, bei denen nach Beurteilung der behandelnden Ärzte keine klare Indikation für eine adjuvante Therapie bestand [4]. Der klinische Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie bei kolorektalen Karzinomen im UICC‑Stadium II war bisher durch Studien nicht klar belegt. Beim Kolonkarzinom im Stadium II fand sich zwar in Metaanalysen ein positiver Trend, aber kein signifikanter Überlebensvorteil durch eine adjuvante Chemotherapie [1]. Eine gepoolte Analyse von sieben randomisierten Studien zeigte nur eine signifikante Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens nach 5 Jahren (72% vs. 76%; p = 0,049), aber nicht des 5‑Jahres‑Gesamtüberlebens (80% vs. 81%; p = 0,1127) im Stadium II [3]. Beim Rektumkarzinom könnte die beobachtete Verbesserung des Überlebens durch eine Radiochemotherapie im Vergleich zur alleinigen Strahlentherapie durch den synergistischen Effekt beider Therapien begründet sein, so dass auch hier der Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie im Stadium II unklar ist [5]. Patienten und Methodik: In die Studie wurden 3 239 Patienten nach R0‑Resektion eines Kolon‑ (n = 2 291 [71%]) oder Rektumkarzinoms (n = 948 [29%]) aufgenommen, bei denen nach Beurteilung der behandelnden Ärzte „keine klare Indikation für eine adjuvante Therapie“ bestand. Um eine gute Rekrutierung zu gewährleisten, wurde dieses Einschlusskriterium nicht festgelegt, sondern den behandelnden Ärzten überlassen. Nach der Randomisierung erhielten die Patienten entweder eine Chemotherapie mit 5‑FU und FS (Arm A, n = 1 622) oder wurden nur im Verlauf kontrolliert (Arm B, n = 1 617). Die Tumorstadien waren in beiden Armen ausgeglichen, wobei die überwiegende Anzahl der Patienten ein UICC‑Stadium II aufwies (Arm A: I: n = 8 [0,5%]; II: n = 1 483 [91%]; III: n = 131 [8%]; Arm B: I: n = 8 [0,5%]; II: n = 1 480 [92%]; III: n = 129 [8%]). Die adjuvante Chemotherapie bestand aus 30 Dosen 5‑FU (370 mg/m2) in Kombination mit hoch‑ (175 mg/m2) oder niedrigdosierter (25 mg/m2) FS. Die Chemotherapie wurde entweder mit sechs 5‑tägigen Gaben alle 4 Wochen oder einmal pro Woche in einem 30‑Wochen‑Protokoll verabreicht. 283 Patienten erhielten zusätzlich Levamisol. Primärer Endpunkt der Studie war die Gesamtmortalität. Ergebnisse: Nach einem mittleren Beobachtungszeitraum von 5,5 Jahren war das relative Risiko (RR) für Tod jeglicher Ursache in der Therapiegruppe signifikant geringer als in der Beobachtungsgruppe (RR 0,82, 95%‑Konfidenzintervall [CI] 0,70–0,95; p = 0,008), entsprechend einem absoluten Überlebensvorteil von 3,6%. Im Therapiearm traten 293 Rezidive auf, während in der Beobachtungsgruppe 358 Rezidive festgestellt wurden (RR 0,78, 95%‑CI 0,67–0,91; p = 0,001). Die Senkung des Rezidivrisikos durch die adjuvante Chemotherapie bestand vor allem in den ersten 2 Jahren nach Randomisierung (RR 0,64, 95%‑CI 0,52–0,78; p < 0,0001), während es nach diesem Zeitraum nicht mehr signifikant unterschiedlich war. Interessanterweise war die Reduktion des Rezidivrisikos im Stadium II vergleichbar mit dem Stadium III. Subgruppenanalysen zeigten einen größeren Therapieeffekt bei Patienten < 70 Jahre im Vergleich zu älteren Patienten und bei Rektumkarzinomen im Stadium II im Vergleich zu Kolonkarzinomen im Stadium II, wobei diese Effekte in den Subgruppenanalysen nicht signifikant waren. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten selten auf. Nur einer von acht Todesfällen innerhalb von 30 Tagen nach Therapiebeginn war möglicherweise chemotherapiebedingt. Schlussfolgerung: Eine adjuvante Chemotherapie mit 5‑FU und FS verbessert das Überleben von Patienten mit kolorektalen Karzinomen im UICC‑Stadium II signifikant, wobei der absolute Überlebensvorteil gering ist. Kommentar Die britische QUASAR‑Studie ist die größte publizierte Einzelstudie, die den Einfluss einer adjuvanten Chemotherapie auf das Überleben von Patienten mit kolorektalen Karzinomen im Stadium II untersucht. Das Konzept der Studie wurde von Anfang an auf eine maximale Rekrutierung ausgelegt, was zulasten der Datenqualität ging. Die Studie hat daher einige schwerwiegende Mängel, welche die generelle Übertragung der Studienergebnisse in die klinische Praxis einschränken: 1. Die Studie weist methodische Mängel hinsichtlich ihres heterogenen Studienkollektivs (71% Kolonkarzinome, 29% Rektumkarzinome, nur 91% im UICC‑Stadium II) sowie der heterogenen 5‑FU/FS‑Therapieprotokolle auf, bei denen einige Patienten sogar zusätzlich das toxische und unwirksame Levamisol erhielten. 2. In früheren Studien gingen gewisse Risikosituationen im Stadium II wie ein T4‑Tumor, eine Tumorperforation 496 und/oder Operation unter Notfallbedingungen sowie eine zu geringe Anzahl untersuchter Lymphknoten mit einer schlechteren Prognose der Patienten einher. Internationale Leitlinien sprechen daher in der Regel eine „Kann‑Empfehlung“ für eine adjuvante Therapie bei diesen Risikopatienten im Stadium II aus. Diese Risikofaktoren sind in der QUASAR‑Studie aus o.g. Gründen nicht gut dokumentiert. So waren nur für 628 (19%) der 3 239 Patienten verlässliche Daten zum T4‑Stadium und zur Gefäßinvasion vorhanden, und über die Anzahl der durchschnittlich untersuchten Lymphknoten lagen überhaupt keine Daten vor. 3. Die Qualität der pathohistologischen Aufarbeitung spielt gerade im Stadium II eine sehr große Rolle. So wäre ein geringer positiver Studieneffekt auch allein durch die Tatsache zu erklären, dass evtl. durch mangelhafte Lymphknotenaufarbeitung eine gewisse Anzahl von Tu- Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel Literatur kommentiert moren fälschlicherweise dem Stadium II zugeordnet wurde. Trotz der großen methodischen Mängel der QUASAR‑Studie kann jedoch jetzt eine adjuvante Therapie mit 5‑FU/FS oder Capecitabin im Stadium II zumindest erwogen werden. Der Patient sollte über die Ergebnisse der QUASAR‑Studie kritisch informiert werden, und die Vorteile und Risiken einer adjuvanten Therapie im Stadium II sollten mit ihm besprochen werden. Hinsichtlich der Kombinationschemotherapie mit Oxaliplatin liegen bei Patienten im Stadium II mit Standardrisiko im Gegensatz zum Stadium III beim Kolonkarzinom keine signifikant positiven Daten vor, so dass aufgrund der höheren Toxizität von einer adjuvanten Kombinationschemotherapie bei diesen Patienten zurzeit noch abgeraten werden muss. Da die Hochrisikopatienten im Stadium II aber in einer Subgruppenanalyse durch eine adjuvante FOLFOX4‑Chemotherapie mit einer tendenziellen Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens im Vergleich zur LV5FU2 profitierten (Hazard‑Ratio 0,74, 95%‑CI 0,52–1,06) [2], kann für diese Patienten eine Kombinationschemotherapie erwogen werden. Literatur 1. Benson AB III, Schrag D, Somerfield MR, et al. American Society of Clinical Oncology recommendations on adjuvant chemotherapy for stage II colon cancer. J Clin Oncol 2004;22:3408–19. 2. De Gramont A, Boni C, Navarro M, et al. Oxaliplatin/5FU/LV in adjuvant colon cancer: updated efficacy results of the MOSAIC trial, including survival, with a median follow‑up of six years. Proc Am Soc Clin Oncol 2007;26:abstract 4007. 3. Gill S, Loprinzi CL, Sargent DJ, et al. Pooled analysis of fluorouracil‑based adjuvant therapy for stage II and III colon cancer: who benefits and by how much? J Clin Oncol 2004;22:1797–806. 4. Gray R, Barnwell J, McConkey C, et al., Quasar Collaborative Group. Adjuvant chemotherapy versus observation in patients with colorectal cancer: a randomised study. Lancet 2007;370:2020–9. 5. Taal BG, Van TH, Zoetmulder FA. Adjuvant 5FU plus levamisole in colonic or rectal cancer: improved survival in stage II and III. Br J Cancer 2001;85:1437–43. Stefan Kubicka, Hannover Kein Vorteil der intraarteriellen Chemoperfusion der Leber mit 5‑FU bei irresektablen Lebermetastasen kolorektaler Karzinome im Vergleich zur intravenösen Chemotherapie Fragestellung und Hintergrund: Über 2 Jahrzehnte war die Chemoperfusion der Leber ein wissenschaftlich sehr attraktives Verfahren. Die Konzentration des Zytostatikums 5‑Fluorouracil (5‑FU) erreicht dabei in der Leber mehr als 100fach höhere Konzentrationen gegenüber der intravenösen Applikation. Daher stellt das Verfahren ein attraktives und gut begründetes Konzept bei solchen Erkrankungen dar, bei denen die Leber der Hauptmetastasierungsort ist. Diese Kriterien werden beim kolorektalen Karzinom erfüllt. Die vorliegende Metaanalyse untersucht, ob die intraarterielle Applikation einen Vorteil gegenüber der intravenösen Gabe besitzt [5]. Material und Methodik: In die Metaanalyse gingen zehn zwischen 1987 und 2006 publizierte randomisierte Studien mit 1 277 Patienten ein. 673 Patienten wurden mit intraarterieller Chemotherapie behandelt, meist mit FUDR (einem Pyrimidinantimetaboliten, der in der Leber in 5‑FU umgewandelt wird und sich wegen der kurzen Halbwertszeit und vorwiegend hepatischen Elimina­ tion für die Leberperfusion besonders eignet). In den jeweiligen Kontrollarmen erfolgte eine Chemotherapie mit FUDR oder 5‑FU oder 5‑FU plus Leukovorin; zwei Studien erlaubten auch eine alleinige Supportivtherapie im Kontrollarm. Ergebnisse: Die Ansprechrate (in neun Studien mitgeteilt) war im Perfusionsarm höher als bei intravenöser Chemotherapie (43% vs. 18%; p < 0,0001). Im Hinblick auf das Gesamtüberleben fanden drei Studien einen signifikanten Vorteil, die anderen sieben nicht. Unter Berücksichtigung der Heterogenität der Studien er­ gab sich kein Vorteil für die Leberperfusion bezüglich der Leta­ lität (Hazard‑Ratio 0,9; Konfidenzintervall 0,76--1,07; p = 0,24). Schlussfolgerung: Im Gegensatz zu zwei früheren Metaanalysen, die weniger Studien berücksichtigten oder manche Studien ausschlossen, wurden für diese Analyse erstmals alle verfügbaren randomisierten Studien ausgewertet. Dabei zeigte sich trotz höherer Remissionsraten kein Überlebensvorteil nach Leberperfusion. Kommentar Die intraarterielle Chemotherapie wurde in den 80er und 90er Jahren für viele Tumorentitäten erprobt und hat sich nicht durchgesetzt; bei den meisten Tumorlokalisationen und ‑entitäten sind diese Konzepte einschließlich verschiedener Spielarten (z.B. Extremitätenperfusion, Chemotherapie von Hirntumoren mit „Aufreißen“ der Blut‑Hirn‑Schranke) nicht Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel über das Stadium der Phase‑I/II‑Studien hinausgekommen. Die Chemoperfusion der Leber hat sich demgegenüber lange gehalten und war Gegenstand großer klinischer Studien. Sie ist beim kolorektalen Karzinom wegen der bevorzugten hepatischen Metastasierung und des oft langwierigen Verlaufs auch tumorbiologisch besser begründet als die intraarterielle 497 Literatur kommentiert Chemotherapie bei anderen Tumorlokalisationen. Gerade in Deutschland konnten zwei Studiengruppen in der Vergangenheit zeigen, dass diese Therapie nach Metastasenresek­ tion das Überleben verbessert [3, 4]. Allerdings erhielt der Kontrollarm in diesen Studien keine Systemtherapie, und eine kürzliche Metaanalyse zeigte für dieses Vorgehen in der Summe keinen signifikanten Vorteil [1]. In der hier referierten Metaanalyse wurde deshalb untersucht, ob die Verabreichungsart der Chemotherapie (konventionell intravenös vs. intraarteriell hepatisch) einen Unterschied bewirkt [5]. Dass dies für das Überleben nicht der Fall war, kam nicht überraschend, und das Ergebnis fällt in eine Zeit, in der andere Konzepte als wesentlich erfolgreicher bestätigt wurden, nämlich die intensivierte Chemotherapie mit neuen Substanzen und die präoperative Chemotherapie bei primär inoperablen Lebermetastasen. Vor allem der Einsatz neuer Substanzen ist nicht nur für Patienten durch die nachgewiesenen Überlebensverlängerungen vorteilhafter, sondern wegen des einfachen und flächendeckenden Einsatzes auch für Ärzte und Industrie attraktiver [2]. Allerdings bleibt zu hinterfragen, welche Konsequenzen sich aus dieser Metaanalyse ergeben. Heute stehen andere systemische Therapiemöglichkeiten zur Verfügung als in den 80er und 90er Jahren, in denen die hier analysierten Studien durchgeführt wurden. Skeptiker der Leberperfusion können argumentieren, dass FUDR einen wichtigen pharmakologischen Vorteil bot, den die neuen Substanzen nicht haben, und man mag daraus folgern, dass die Wirksamkeit der Leberperfusion heute eher noch geringer sein dürfte. Befürworter der Leberperfusion können argumentieren, dass diese Methode die höchste Effektivität gegenüber nichtresektablen Lebermetastasen besitzt und dass dies für ein Teilkollektiv metastasierter Patienten auch heute noch wichtig ist. Früher, als 5‑FU das einzig verfügbare Zytostatikum war, hatten die Patienten von der verbesserten Kontrolle in der Leber nämlich keinen Vorteil, weil man die extrahepatische Progression kaum verhindern konnte. Mit den heute verfüg- baren Systemtherapien lässt sich die progressionsfreie Zeit wesentlich verlängern, und möglicherweise profitieren Patienten mit hoher Tumorlast in der Leber, nur mäßigem Ansprechen einer isolierten Lebermetastasierung oder isolierter hepatischer Progression bei extrahepatisch kontrollierter Erkrankung von diesem Verfahren. Außerdem können systemische Chemotherapie und Leberperfusion mit lokal ablativen Verfahren kombiniert werden. Eine nachweislich effektive Therapie wie die Leberperfusion sollte deshalb nicht vorschnell ad acta gelegt werden. Fazit: Die intraarterielle Chemoperfusion der Leber bietet nach heutigem Kenntnisstand trotz hoher Effektivität bei hepatischen Metastasen keine Verbesserung der Überlebenszeiten gegenüber einer systemischen Chemotherapie. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es aber durchaus wahrscheinlich, dass Teilkollektive von diesem Verfahren profitieren können, so dass weitere Studien gerechtfertigt und sinnvoll sind. Literatur 1. Clany TE, Dixon E, Perlis R, et al. Hepatic arterial infusion after curative resection of colorectal cancer metastases: a meta‑analysis of prospective clinical trials. J Gastrointest Surg 2005;9:198–206. 2. Golfinopoulos V, Salanti G, Pavlidis N, et al. Survival and disease‑progression benefits with treatment regimens for advanced colorectal cancer: a meta‑analysis. Lancet Oncol 2007;8:898–911. 3. Link KH, Sunelaitis E, Kornmann M, et al. Regional chemotherapy of nonresectable colorectal liver metastases with mitoxantrone, 5‑fluorouracil, folinic acid, and mitomycin C may prolong survival. Cancer 2001;92:2746–53. 4. Lorenz M, Müller HH, Schramm H, et al. Randomized trial of surgery versus surgery followed by adjuvant hepatic arterial infusion with 5‑fluorouracil and folinic acid for liver metastases of colorectal cancer. Ann Surg 1998;228:756–62. 5. Mocellin S, Pilati P, Lise M, et al. Meta‑analysis of hepatic arterial infusion for unresectable liver metastases from colorectal cancer: the end of an era? J Clin Oncol 2007;25:5649–54. Jürgen Dunst, Sebastian Fetscher, Lübeck Platinbasierte Chemotherapie bei Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom im Stadium IIIB oder IV: vier versus sechs Zyklen Fragestellung und Hintergrund: Platinhaltige Zytostatikakombinationen haben einen festen Stellenwert in der palliativen Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC). Ansprechraten und Überleben sind jedoch nicht zufriedenstellend. Ansätze zur Intensivierung der Therapie basieren u.a. auf der Applikation einer höheren Anzahl von Zytostatikazyklen [4]. Patienten und Methodik: Die Autoren aus Korea führten eine prospektiv‑randomisierte multizentrische Phase‑III‑Studie mit cisplatinhaltigen Kombinationen der dritten Generation als Erst- 498 linienbehandlung durch. Eingeschlossen wurden Patienten mit malignem Pleuraerguss im Stadium IIIB oder Fernmetastasen im Stadium IV (keine Hirnmetastasen). Eine vorangegangene Strahlentherapie musste mindestens 4 Wochen zuvor beendet worden sein. Wie viele Patienten bestrahlt worden waren, bleibt unklar, ebenso das Metastasierungsmuster. Alle 452 Patienten hatten eine adäquate Nieren‑, Leber‑ und Knochenmarkfunktion und befanden sich in einem guten Allgemeinzustand (Performance‑Status 0–2). Zunächst wurden zwei Chemotherapiezyklen im Abstand von 3 Wochen appliziert. 58% der Patienten erhielten Cisplatin plus Gemcitabin (1 000 mg/m2 an den Tagen 1 und 8), 25% Cis- Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel Literatur kommentiert platin plus Paclitaxel (175 mg/m2 an Tag 1) und der Rest Cisplatin plus Docetaxel (75 mg/m2 an Tag 1). Cisplatin wurde immer an Tag 1 und in einer Dosis von 70 mg/m2 gegeben. Nach den beiden Therapiezyklen wurden alle progressionsfreien Patienten (n = 314, d.h., 30,5% hatten bereits eine progrediente Erkrankung) randomisiert. Sie erhielten dann entweder weitere zwei oder vier Zyklen der ursprünglichen Chemotherapie. Im Fall einer Progression oder unakzeptabler Nebenwirkungen wurde die Behandlung beendet. Eine eventuelle Zweitlinienbehandlung durfte frei gewählt werden. Die Patienten wurden in vier Strata gruppiert: Stadium, Allgemeinzustand, Ansprechen und Zentrum. Die Kontrolluntersuchungen erfolgten in beiden Armen gleich. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben. Lebensqualität, Toxizität und Zeit bis zur Progression waren sekundäre Endpunkte. Die Studie sollte nachweisen, dass die kürzere Behandlung der längeren nicht unterlegen ist („noninferiority trial“). Die Grenze hierfür wurde als 15%iger Unterschied der Überlebensrate nach 1 Jahr definiert. Es erfolgte eine Intention‑to‑treat‑Auswertung, es wurden keine Patienten ausgeschlossen. Ergebnisse: Die Rekrutierung fand zwischen September 2002 und Dezember 2004 statt. Überwiegend wurden Männer eingeschlossen (69%). Das mediane Alter lag bei 58 Jahren (bis zu 81 Jahre). Bei 82,5% lag ein Stadium IV vor (Performance‑Status 0–1 in 92%). 58% der Patienten hatten ein Adenokarzinom, 31% ein Plattenepithelkarzinom. Die beiden Arme wiesen keine signifikanten Unterschiede in den Patientencharakteristika auf. Von den insgesamt geplanten vier Chemotherapiezyklen wurde nur in 8% der Fälle abgewichen, im anderen Arm aber in 32%. Nur 68% der Patienten erhielten alle sechs Zyklen, weitere 6% fünf Zyklen. Der Hauptgrund für einen Behandlungsabbruch war ein Tumorprogress. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 12,2 Monate. Das mediane Überleben lag in dem Arm mit vier Zyklen Chemotherapie mit 15,9 Monaten höher als in dem Arm mit maximal sechs Zyklen (14,9 Monate). Die 2‑Jahres‑Überlebensrate betrug 32% versus 31%. Das Nichtunterlegenheitskriterium wurde erreicht. Ein signifikanter Unterschied fand sich in der Zeit bis zur Progression. Hier war der intensivere Arm überlegen (median 6,2 vs. 4,6 Monate; p = 0,001). Allerdings hatten in beiden Vergleichsgruppen jeweils > 90% der Patienten nach 1 Jahr eine Tumorprogression. Alle nichthämatologischen Grad‑3/4‑Toxizitäten lagen in beiden Armen jeweils < 3,5%. Die intensivere Chemotherapie führte jedoch häufiger zu Anämie (9,5% vs. 0,6%), Thrombozytopenie (2,5% vs. 0,6%), Neutropenie (12,7% vs. 9,6%) und febriler Neutropenie (8,2% vs. 3,2%) der Grade 3 und 4. Signifikant mehr Patienten in dem Arm mit nur vier Zyklen erhielten eine Zweitlinienbehandlung (74% vs. 63%), jeweils etwa 40% von ihnen später auch noch eine Drittlinienbehandlung. Während der ersten vier Zyklen fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der Lebensqualität (erfasst mittels EORTC‑QLQ‑C30‑ und ‑QLQ‑LC13‑Fragebögen). Danach schnitten die Patienten mit abgeschlossener Behandlung besser ab. Schlussfolgerung: Die Studie zeigt, dass eine Chemotherapie mit vier Zyklen einer Behandlung mit maximal sechs Zyklen bei diesem Patientenkollektiv nicht unterlegen ist, und unterstützt somit eine aktuelle Leitlinie der American Society of Clinical Oncology. Kommentar Die koreanische Studie bestätigt, dass das fortgeschrittene NSCLC eine schlecht behandelbare Erkrankung ist, bei der auch eine intensive Erstlinienchemotherapie die Zeit bis zur Progression nur wenig verlängert. Der beobachtete Unterschied entspricht praktisch den 6 Wochen, die es dauert, weitere zwei Zyklen zu applizieren. Ein signifikanter Unterschied im Überleben wurde nicht beobachtet und wäre auch kaum zu erwarten, da viele Patienten Zweit‑ und Drittlinientherapien erhielten. Für eine Nichtunterlegenheitsstudie ist die Fallzahl niedrig. Hätte der Unterschied in der 1‑Jahres‑Überlebensrate nicht bei 3%, sondern zwischen 10% und 15% gelegen, wäre die Studie erheblich kritischer aufgenommen worden. Das 95%‑Konfidenzintervall reicht allerdings von –8% bis 15%. Insofern ist es gut zu wissen, dass weitere Studien zu identischen Ergebnissen kamen [5, 6]. Allerdings wurden hier die Patienten ab dem Beginn der Chemotherapie randomisiert und nicht erst nach zwei „erfolgreichen“ Zyklen. Erwähnenswert ist auch, dass bis zu 81 Jahre alte Patienten in diese Studie aufgenommen wurden. Das bestätigt erneut, dass ein Teil der älteren Patienten intensive Chemotherapien toleriert. Eine weitere Phase‑III‑Studie untersuchte den Stellenwert einer Erhaltungstherapie mit Gemcitabin nach initialer Cisplatin/Gemcitabin‑Behandlung [2]. Auch hier fand sich Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel eine signifikante Verlängerung der Zeit bis zur Progression um 1,6 Monate, die wieder nicht zu einer signifikanten Verbesserung des Überlebens führte. Eine Erhaltungstherapie mit Vinorelbin nach anfänglicher Gabe der Kombination von Cisplatin, Mitomycin und Ifosfamid resultierte ebenfalls nicht in einer Verlängerung der Überlebenszeit [7]. Die prinzipiellen Hindernisse für eine erfolgreiche Chemotherapie wurden in der Literatur oftmals zusammengefasst, und es sei an dieser Stelle nur auf die Begriffe intrinsische und erworbene Resistenz verwiesen [1]. Solange es so gut wie nie gelingt, eine komplette Remission zu induzieren, wird der Stellenwert einer Erhaltungschemotherapie begrenzt bleiben. Zu einem weiteren Problem wird bei vielen Substanzen auch die kumulative Toxizität, die u.U. eine Weiterbehandlung unmöglich macht. Ob dies durch neue Substanzen (Gefitinib, Bevacizumab, Cetuximab etc.) zu ändern sein wird, müssen künftige Studien zeigen. Auch Vakzinierungsbehandlungen werden gegenwärtig intensiv untersucht [3]. Bei der hier diskutierten Problematik könnte man wohl am ehesten Hoffnung auf bessere Behandlungsresultate schöpfen, wenn es gelänge, die Ursachen des Bronchialkarzinoms zu bekämpfen und die dann dennoch auftretenden Fälle in frühen, noch kurativ behandelbaren Stadien zu erkennen. 499 Literatur kommentiert Literatur 1. Belka C, Nieder C, Molls M. Biological basis of combined radio‑ and chemotherapy. In: Brown JM, Mehta MP, Nieder C, eds. Multimodal concepts for integration of cytotoxic drugs and radiation therapy. Heidelberg–Berlin–New York: Springer, 2006:3–18. 2. Brodowicz T, Krzakowski M, Zwitter M, et al. Cisplatin and gemcitabine first‑line chemotherapy followed by maintenance gemcitabine or best supportive care in advanced non‑small cell lung cancer: a phase III trial. Lung Cancer 2006;52:155–63. 3. Butts C, Murray N, Maksymiuk A, et al. Randomized phase IIB trial of BLP25 liposome vaccine in stage IIIB and IV non‑small‑cell lung cancer. J Clin Oncol 2005;23:6674–81. 4. 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Carsten Nieder, Bodø, Norwegen Ein vom Toll‑like‑Rezeptor 4 abhängiger Beitrag des Immunsystems zur antitumorösen Wirkung der Chemo‑ und Strahlentherapie Fragestellung und Hintergrund: Bisher gibt es erst wenige Hinweise für einen direkten Einfluss des angeborenen und adaptiven Immunsystems auf eine durch Strahlen‑ oder Chemotherapie vermittelte Eliminierung von Tumorzellen. Dieser Frage widmeten sich Apetoh et al. [1]. Material und Methodik: Dendritische Zellen mit oder ohne Toll‑likeRezeptor 4 (Tlr4) wurden mit sterbenden Ovalbumin exprimierenden Brustkrebs‑ (TS/A‑OVA) oder Thymomzellen (EG7) inkubiert und dann im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur Antigenpräsentation nach Zugabe von ovalbuminspezifischen T‑Zell‑Hybridomen untersucht. Die Tumorzellinaktivierung wurde durchflusszytome­ trisch durch die Exposition von Phosphatidylserin mit Hilfe des mit Fluoresceinisothiocyanat (FITC) markierten Annexin V nachgewiesen. Die Expression des High‑Mobility‑Group‑Box‑1‑(HMGB1‑) Proteins in Tumorzellen analysierte man mittels Immunoblot; die Sekretion wurde mit RNA‑Interferenz (siRNA), neutralisierenden Antikörpern und bindenden Peptiden inhibiert. Mäuse mit HMGB1‑Wildtyp (wt) oder „loss of function“‑Genotyp wurden entweder mit Kolonkarzinomzellen (CT26) vakziniert bzw. etablierte Tumoren eines definierten Tumorvolumens mit Oxaliplatin und Doxorubicin behandelt oder mit 10 Gy bestrahlt. Die Genotypisierung der Tlr4‑„loss of function“‑Mutationen bei Patienten mit Brustkrebs erfolgte mit der Polymerase‑Kettenreaktion. Ergebnisse: Ovalbuminantigene von bestrahlten oder mit Oxaliplatin behandelten Tumorzellen führen bei wt‑Tlr4‑Zellen, nicht jedoch bei Tlr4‑mutierten dendritischen Zellen zu einer Interleukin‑2‑Sekretion. Dies zeigt, dass der Tlr4 für die effiziente Präsentation von Antigenen sterbender Zellen notwendig ist. Einen wesentlichen Liganden für den Tlr4 stellt das Protein HMGB1 dar, das selektiv aus bestrahlten oder chemotherapierten Tumorzellen in einem caspaseabhängigen Prozess freigesetzt wird. Eine Hemmung oder Neutralisation des HMGB1‑Proteins verhindert diese Bindung und damit die Aktivierung der dendritischen Zellen. Im Tiermodell vermindert die Vakzinierung mit sterbenden Tumorzellen bzw. die Chemotherapie etablierter CT26‑Tumoren bzw. deren Bestrahlung nur in Tieren mit wt‑Tlr4 das Tumorvolumen oder verbessert deren Überleben. Dieser Effekt kann durch Inhibition der HMGB1/Tlr4‑Interaktion aufgehoben werden. Entsprechend haben Patientinnen mit Brustkrebs und mutiertem Tlr4 ein höheres Risiko für Tumorrezidive nach adjuvanter Radio‑ oder Chemotherapie mit Anthracyclinen. Schlussfolgerung: Die Autoren beschreiben einen bisher in diesem Zusammenhang nicht bekannten Mechanismus der Aktivierung einer tumorspezifischen Immunantwort, die auf der Freisetzung des HMGB1‑Proteins und der Aktivierung von Tlr4 auf dendritischen Zellen beruht. Sie zeigen einen klinisch relevanten, immunadjuvanten Mechanismus, der von sterbenden Tumorzellen ausgeht. Kommentar Die neuere Literatur belegt die Bedeutung des Immunsystems für die Tumorentwicklung. So sind beispielsweise eine Colitis ulcerosa und chronische Hepatitis Risikofaktoren für die Ent- 500 stehung eines kolorektalen oder hepatozellulären Karzinoms. Darüber hinaus spielt das Immunsystem auch bei der Tumorabwehr eine zentrale Rolle; die dem zugrundeliegenden Me- Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel Literatur kommentiert chanismen sind jedoch noch nicht hinreichend aufgeklärt. Immerhin weiß man, dass Tumorantigene zur Induktion einer zytotoxischen Anti‑Tumor‑Immunantwort nur dann von antigenpräsentierenden Zellen (vor allem dendritischen Zellen) effizient aufgenommen und prozessiert werden, wenn diese zusätzlich durch immunogenitätsbestimmende Oberflächenmoleküle der Tumorzellen, wie z.B. Calreticulin [6], und durch sezernierte Gefahrensignale, wie Harnsäure, Adenosintriphosphat oder HMGB1, aktiviert werden. Die in Nature Medicine hochrangig publizierte Arbeit von Apetoh et al. [1] erweitert nun unser Wissen über die Rolle des Immunsystems bei der Reaktion von Tumorzellen auf Strahlen‑ und Chemotherapie und liefert neue molekular‑ und immunbiologische Ansätze für das Verständnis der Zellaktivierung durch Strahlen‑ und Chemotherapie. Eine Tumorbehandlung sollte darauf ausgerichtet sein, jede Krebszelle einschließlich der Tumorstammzelle zu eliminieren. Dazu ist zur Verhinderung von Tumorrezidiven und Metastasen eine spezifische Anti‑Tumor‑Immunität entscheidend. Die Tumorzellen sollten nach den Behandlungen eine hohe Immunogenität besitzen. Die hier vorgestellte Arbeit scheint uns deshalb für Strahlentherapeuten und Strahlenbiologen von besonderem Interesse zu sein, und zwar aus zweierlei Gründen: 1. Die Untersuchungen bestätigen, dass der Erfolg einer Strahlen‑ und Chemotherapie von der Aktivierung einer tumorspezifischen Immunantwort abhängt. Neu und interessant an der kommentierten Arbeit ist die Beobachtung, dass sterbende Tumorzellen durch die Freisetzung des ­Gefahrensignals HMGB1 und dessen Interaktion mit Tlr4 eine spezifische antitumoröse Immunantwort auslösen. HMGB1 wird von nekrotischen Zellen, Makrophagen und natürlichen Killerzellen freigesetzt [4] oder aus apoptotischen Zellen sezerniert [2]. Für das strahlenbiologische Verständnis wäre nun eine exakte Definition des Begriffs „strahleninduzierte Zellinaktivierung“ wünschenswert, da seine synonyme Verwendung mit dem Begriff der Apoptose nicht zur Klärung der noch kontrovers diskutierten Frage in der Radioonkologie zur Bedeutung des apoptotischen bzw. des programmierten Zelltodes beiträgt. Die Art des Zelltodes und seine eventuellen Übergangsformen sind aber von entscheidender Bedeutung für die Immunogenität der Tumorzellen, denn apoptotische und nekrotische Zellen unterscheiden sich in ihrer Immunogenität. Apoptotische Zellen halten lange Zeit die Integrität ihrer Plasmamembran aufrecht und durchlaufen dabei charakteristische Veränderungen auf ihrer Zelloberfläche. Mit Hilfe dieser „Fress‑mich‑Signale“, wie z.B. der Exposition von Phosphatidylserin, können apoptotische Zellen schnell von Makrophagen erkannt und phagozytiert werden. Darauf sezernieren die Fresszellen antiinflammatorische Zyto­kine. Somit sind apoptotische Zellen im Gegensatz zu nekro- tischen Zellen nicht oder nur schwach immunogen. Sekundäre Nekrose tritt dann ein, wenn Zellen, die zunächst apoptotisch sterben, nicht von Makrophagen beseitigt werden und die Integrität ihrer Plasmamembran verlieren. Nach der „Danger“‑Hypothese reagiert das Immunsystem vor allem auf Signale, die von Zellen in pathologischen Situationen, z.B. während einer Nekrose, ausgehen. Die permeable Zytoplasmamembran von nekrotischen Zellen setzt intrazelluläre Gefahrensignale, wie z.B. HMGB1, frei, die als endogene Adjuvanzien einen starken inflammatorischen und immunogenen Stimulus darstellen. Somit haben primär und sekundär nekrotische Zellen ein viel höheres immunogenes Potential als apoptotische Zellen [5]. 2. Die Vorstellung, dass eine Strahlen‑ bzw. Chemotherapie ihre Wirkung nur durch direkte Effekte an den Tumorzellen entfaltet, ist so nicht mehr haltbar. Die Beobachtung, dass nach Bestrahlung „sterbende Tumorzellen“ mit dem umgebenden Tumorstroma interagieren, belegt die hohe Komplexität der Strahlenreaktionen durch interzelluläre Kommunikation. In diesem Zusammenhang sind auch Beobachtungen von Interesse, dass die Fähigkeit von Gefäßendothelzellen zum Zelltod den Effekt einer Strahlenexposition wesentlich verstärkt. Im Tiermodell erwiesen sich Tumoren mit apoptoseresistenten Endothelzellen gegenüber einer Bestrahlung mit bis zu 20 Gy als unempfindlicher im Vergleich zu Tumoren mit apoptoserefraktären Endothelzellen [3]. Fazit: Insgesamt stimuliert die Arbeit von Apetoh et al., die bisherigen Paradigmen der Strahlenbiologie zu überdenken und bei künftigen Therapieplanungen und experimentellen Untersuchungen sowohl die Mechanismen der direkten Tumor‑Stroma‑Interaktionen als auch die Rolle der angeborenen oder adaptiven Immunantwort mit zu berücksichtigen. Literatur 1. Apetoh L, Ghiringhelli F, Tesniere A, et al. Toll‑like receptor 4‑dependent contribution of the immune system to anticancer chemotherapy and radiotherapy. Nat Med 2007;13:1050–9. 2. Bell CW, Jiang W, Reich CF 3rd, et al. The extracellular release of HMGB1 during apoptotic cell death. Am J Physiol Cell Physiol 2006;6: C1318–25. 3. Garcia‑Barros M, Paris F, Cordon‑Cardo C, et al. Tumor response to radiotherapy regulated by endothelial cell apoptosis. Science 2003; 300:1155–9. 4. Lotze MT, Tracey KJ. High‑mobility group box 1 protein (HMGB1): nuclear weapon in the immune arsenal. Nat Rev Immunol 2005;5: 331–42. 5. Munoz LE, Franz S, Pausch F, et al. The influence on the immunomodulatory effects of dying and dead cells of annexin V. J Leukoc Biol 2007;81:6–14. 6. Obeid M, Tesniere A, Ghiringhelli F, et al. Calreticulin exposure dictates the immunogenicity of cancer cell death. Nat Med 2007;13: 54–61. Franz Rödel, Frankfurt/Main; Udo Gaipl, Erlangen Die in der Rubrik „Literatur kommentiert“ seit 2007 erschienenen Beiträge sind online verfügbar unter www.degro.org Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel 501