Nach brusterhaltender Therapie bei klinisch negativer Axilla

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Strahlentherapie
und Onkologie
Literatur kommentiert
Nach brusterhaltender Therapie bei klinisch negativer Axilla:
Die regionale Strahlentherapie ist ebenso effektiv wie die Axilladissektion
Hintergrund: Die Standardbehandlung der Axilla bei Brustkrebs
war lange Zeit die Axilladissektion (AD). Sie war mit einem hohen Morbiditätsrisiko verbunden. Heute ist die Sentinelnode­Biopsie (SNB) weit verbreitet. Die Ergebnisse laufender und zukünftiger randomisierter Studien werden über das Ausmaß des
erwarteten Morbiditätsrückgangs Auskunft geben.
Methodik: Vor der SNB-Einführung wurde eine Studie [3] konzipiert, in der 180 Patientinnen über 50 Jahren mit T1/2-cN0-Mammakarzinom brusterhaltend operiert wurden. Statt einer AD erhielten diese Patientinnen eine regionale Strahlentherapie des
Lymphabflussgebiets in Kombination mit Tamoxifen (RT-Gruppe). Diese Gruppe wurde mit 341 Patientinnen vergli­chen, die
eine AD erhalten hatten (OP-Gruppe).
Ergebnisse: Die Behandlungsgruppen waren bis auf das Alter vergleichbar. Die RT-Gruppe war signifikant älter als die OP-Gruppe. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 7,2 Jahre. Die regionalen Rezidivraten waren in beiden Gruppen gleich niedrig.
Sie lagen nach fünf Jahren bei 1,1% in der RT und bei 1,5% in der
OP-Gruppe. Auch das Gesamtüberleben war ähnlich; lediglich
das krankheitsfreie Überleben war in der RT-Gruppe signifikant
besser.
Schlussfolgerung: Die regionalen Rezidivraten sind nach
­ trahlentherapie vergleichbar niedrig wie nach einer Axilla­
S
dissektion.
Kommentar
Die Morbidität nach kompletter Axilladissektion (AD) ist
trotz verbesserter OP-Techniken (Schonung von Level III)
und intensiver rehabilitativer Therapien immer noch beträchtlich. Daher wird bei klinisch negativer Axilla in der
Regel der Sentinelnode-Biopsie (SNB) der Vorzug gegeben.
Leider gibt es immer wieder Situationen, bei der eine SNB
bei klinisch negativer Axilla entweder nicht möglich (z. B.
keine Markierung eines SN-LK nach Injektion des Markers)
oder von der Patientin abgelehnt worden ist. Hier zeigt die
vorgestellte Studie [3] eine sichere Alternative zur kompletten AD insbesondere bei günstigem Risikoprofil (postmenopausal, rezeptorpositiv, kleiner Tumor) auf. Wenn man
die Daten dieser Publikation [3] mit den beiden größten randomisierten Studien zu diesem Thema vergleicht [1, 4], ergibt sich bezüglich der lokalen Kontrolle eine hohe Übereinstimmung trotz etwas unterschiedlicher Einschlusskriterien
(Tabelle 1). Bei allen drei Stu­dien lag die mittlere Rezidivrate pro Jahr bei der Strahlentherapiegruppe in einer vergleichbaren Größenordnung, d. h. bei 0,1–0,2%. Und auch
die Vergleichsgruppen hatten niedrige mittlere Rezidivraten
pro Jahr von > 0,1–0,3%. Soweit erfasst, gab es wohl kaum
Spättoxizitäten der Strahlentherapie (RT). Ein Fall einer reversiblen Plexopathie wurde von Veronesi [4] beschrieben;
Lymphödeme wurden nicht gesehen. Allerdings ist die Akuttoxizität an der Haut von 50 Gy Axilla-RT in der Regel höher
als bei einer Brust-RT, da die anatomischen Besonderheiten
eine höhere Oberflächendosis bedingen. Die Akuttoxizität
wurde aber in keiner der drei Studien beschrieben, sodass im
Hinblick auf therapieassoziierte akute Morbidität keine Aus­
sage möglich ist.
Ein weiterer Aspekt der Gleichwertigkeit von kompletter AD und Axilla-RT wäre die Überlegung, bei minimalem SN-Befall statt einer AD eine adjuvante Axilla-RT anzuschließen. Hier könnten sich bei gleicher Tumorkontrolle
492
Tabelle 1. Vergleich dreier randomisierter Studien.
Veronesi et al. [4]
Patientenanzahl 435
Nachbeobachtung 63 Monate
Alter (Jahre)
> 45
Tumorgröße
< 1,2 cm
Randomisiert ja
Rezidivrate RT
0,5 % (5 Jahre)
Rezidivrate 1,5 % (5 Jahre) Kontrolle
ohne AD
Gesamtüberleben keine Angabe
Krankheitsfreies idem
Überleben
Louis-
Sylvestre et al. [1]
Spruit
et al. [3]
658
180 (521)
180 Monate
86 Monate
< 70
> 49
< 3,0 cm
T1/T2
ja nein
3 % (10 Jahre) 1,1 % (5 Jahre)
1 % (10 Jahre) 1,5 % (5 Jahre)
AD
AD
idem
idem
idem
RT > AD
Möglichkeiten zur Reduktion der langfristigen Morbidität
ergeben. Im Rahmen einer Einzelfallentscheidung wäre ein
solches Vorgehen aufgrund der Datenlage durchaus vertretbar. Allerdings sollte für eine breite Anwendung eine randomisierte Studie wie die AMAROS-Studie der EORTC abgewartet werden [2].
Fazit: Die Axilla-RT stellt in vielen Fällen eine vertretbare
Alternative zur kompletten AD dar, weil sie bei vergleichbarer lokaler Kontrolle ein niedrigeres langfristiges Morbiditätsrisiko bietet. Es ist aber zu früh, von einem neuen Standard zu sprechen. Daher sollte jeder Einzelfall interdisziplinär
unter Einbeziehung der Präferenzen der Patientin beurteilt
werden .
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
Literatur
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Peter Stadler, München
Erstmals publiziert in InFoOnkologie 2008;11:94–5 (No. 2)
Kleinzelliges Lungenkarzinom: Stellenwert der alleinigen Chemotherapie bei
Hirnmetastasen
Fragestellung: Ziel der Phase-II-Studie [2] war es, die Wirksamkeit der kombinierten Chemotherapie von Irinotecan und Carboplatin bei Patienten mit metastasiertem oder rezidiviertem kleinzelligem Lungenkarzinom (SCLC) zu prüfen und eine ergänzende
Diskussion der existierenden Literatur zur Chemotherapie von
Hirnfiliae zu führen.
Patienten und Methodik: 80 Patienten mit metastasiertem oder
rezidiviertem SCLC wurden in diese multizentrische Phase-IIStudie eingebracht. Chemotherapienaive Patienten erhielten Irinotecan 200 mg/m² und Carboplatin AUC 5, zuvor schon chemotherapierte Patienten erhielten Irinotecan 150 mg/m² und Carboplatin AUC 5 alle 21 Tage für sechs Zyklen.
Ergebnisse: Von den 80 Patienten hatten 15 (19%) Hirnmetastasen, davon waren 14 auswertbar. Diese zeigten eine Gesamtansprechrate von 65% nach zwei Chemotherapiezyklen und ein
medianes Überleben von sechs Monaten (1–24 Monate).
Im Rahmen des Überblicks wurden acht Studien gefunden,
die jeweils mehr als zehn Patienten mit einer Chemotherapie bei
Hirnfiliae eines kleinzelligen Lungenkarzinoms eingeschlossen
hatten. Die Response lag zwischen 22% und 85% und das me­
diane Überleben zwischen drei und neun Monaten unter verschiedenen Chemotherapeutika.
Schlussfolgerung: Eine Chemotherapie einschließlich der Kombination von Irinotecan und Carboplatin ist eine wirksame Therapie von Hirnfiliae des SCLC.
Kommentar
Beim kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC) ist die primäre,
systemische Chemotherapie die Therapie der Wahl mit hohen Remissionsraten.
Bei 18–25% der Patienten können jedoch klinisch und
radiologisch Hirnmetastasen nachgewiesen werden und ca.
die Hälfte aller Patienten mit kleinzelligem Lungenkar­
zinom erleidet innerhalb von zwei Jahren eine zerebrale
Metastasierung, nicht selten als Ort der ersten Tumorprogression.
Die Prognose dieser Patienten ist schlecht, so dass eine
prophylaktische Strahlenbehandlung des Ganzhirns bei lokal begrenzter (limited) und systemischer (extensive) Tumor­
erkrankung eingeführt wurde [1, 10]. Hierdurch konnte die
Rezidivrate signifikant gesenkt und die Überlebensrate erhöht werden. Rezidivraten im Bereich des Gehirns von
40–60% innerhalb von zwei Jahren ohne prophylaktische
Strahlenbehandlung sprechen dabei für eine geringe Effektivität der alleinigen Chemotherapie. Andererseits werden je-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
doch die kognitiven Fähigkeiten der Patienten durch die zusätzliche Strahlentherapie verschlechtert, wobei vor allem
eine simultane Chemo-Strahlen-Therapie und der Einsatz
höherer Einzeldosen das Risiko erhöhen.
Diskutiert wurde lange, ob die Einschränkung der BlutHirn-Schranke die geringe Wirksamkeit der systemischen
Chemotherapie verursacht [8]. Auch bei der Therapie manifester Hirnfiliae hat sich die definitive Strahlentherapie als
Standardtherapie etabliert [5], da hier ebenfalls angenommen wird, dass die Blut-Hirn-Schranke für Zytostatika eine
nahezu unüberwindbare Barriere darstellt.
Allerdings konnte gezeigt werden, dass durch eine bestehende Hirnmetastasierung die Blut-Hirn-Schranke geschädigt und diese somit für Zytostatika überwindbar wird [4].
In den letzten 20 Jahren fanden sich zunehmend Hinweise, dass Hirnmetastasen von soliden Tumoren, einschließlich des SCLC, auch effektiv mit Chemotherapien behandelt
werden können. Insbesondere die neuen Zytostatika wie z.B.
493
Literatur kommentiert
Irinotecan und Carboplatin scheinen eine erhöhte Wirksamkeit zu zeigen [3].
Fazit: In mehreren, wenn auch sehr kleinen Studien werden
­ nsprechraten der Hirnmetastasen des SCLC auf die ChemoA
therapie sowohl in First-Line- als auch in der Salvage-Situa­tion
zwischen 22% und 85% beschrieben [6, 9]. Chen et al. [2] konnten in der vorliegenden Arbeit Remissionen bei 65% der primären oder rezidivierten Hirnmetastasen dokumentieren. Eine
Verbesserung neurologischer Symptome trat im Allgemeinen
nach dem ersten Behandlungszyklus auf. Dennoch sollte der
von den Autoren ausgesprochenen Empfehlung, die Chemotherapie als primäre Therapie insbesondere bei Patienten mit
progressiver Grunderkrankung und asymptomatischen Hirnmetastasen einzusetzen, nur mit Zurückhaltung und unter
strenger Überwachung der Patienten gefolgt werden. Zum
­einen ist die Anzahl der in der Subgruppenanalyse erfassten Patienten zu klein für eine endgültige Empfehlung, zum anderen
belegt die randomisierte Studie der EORTC [7] eindeutig den
Stellenwert der zusätzlichen Strahlenbehandlung des Hirns gegenüber einer alleinigen Chemotherapie mit Teniposid.
Vor allem bei Patienten mit ungünstiger Lage einer zerebralen Metastasierung (z.B. im Bereich des Hirnstammes)
sollte man sich auch bei Symptomfreiheit nicht auf die alleinige Chemotherapie verlassen. Bei einer singulären oder
Oligometastasierung in unkritischen Regionen des Gehirns
und Symptomfreiheit sowie ausgedehnter extrakranieller
Tumorlast scheint es unter sorgfältiger Überwachung des Patienten gerechtfertigt, mit einer alleinigen systemischen Chemotherapie zu beginnen.
Literatur
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Volkmar Nüssler, München;
Frank B. Zimmermann, Basel
Erstmals publiziert in InFoOnkologie 2008;11:108–9 (No. 2)
Erlaubt die gezielte Untersuchung des Pförtnerlymphknotens beim
Kolonkarzinom ein besseres Staging?
Fragestellung und Hintergrund: Eine internationale Gruppe, bestehend aus Angehörigen von Militärkrankenhäusern, überwiegend in den USA, untersuchte in einer prospektiven Studie, ob
mit der Pförtnerlymphknotendiagnostik („sentinel lymph node
biopsy“ [SNB]) Lymphknotenmetastasen häufiger entdeckt und
damit die Staginguntersuchungen verbessert werden können [3].
Die SNB hat sich inzwischen zur Festlegung der pN‑Kategorie bei klinisch nodal negativen Mammakarzinomen und malignen Melanomen etabliert. Bei anderen Tumorentitäten wird
sie bisher nicht eingesetzt.
Patienten und Methodik: 175 Patienten mit einem Kolonkarzinom
wurden entsprechend den amerikanischen Richtlinien einer sog.
En‑bloc‑Lymphknotendissektion unterzogen. Nach Entnahme
494
wurde randomisiert, ob eine konventionelle pathohistologische
Aufarbeitung (n = 82) oder zusätzlich eine Identifizierung des Pförtnerlymphknotens (n = 93) durch subseröse Injektion von Blaulösung um den bereits resezierten Tumor herum erfolgen sollte.
Ergebnisse: Mit der konventionellen pathohistologischen Untersuchung wurde das UICC‑Stadium III in 35,3%, in der
SNB‑Gruppe dagegen in 50,5% diagnostiziert. Dieser „Zugewinn“ resultierte jedoch daraus, dass in der zweiten Gruppe sehr
viel häufiger Mikrometastasen ≤ 0,2 mm gefunden wurden. Diese
Mikrometastasen wurden durch den Nachweis einzelner Tumorzellen oder Zellaggregate mit Hämatoxylin‑ und Eosinfärbung,
aber auch durch immunhistochemischen Nachweis von Panzytokeratin definiert.
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
Kommentar
Die publizierte Arbeit ist unter mehreren Gesichtspunkten
interessant. Grundsätzlich sind nämlich die bisher mitgeteilten Ergebnisse zur Untersuchung des Pförtnerlymphknotens
beim Kolonkarzinom kontrovers, nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Beurteilung.
Es darf inzwischen wohl bezweifelt werden, dass die
SNB vor der Resektion eines Tumors irgendwelche Hilfen
zur Wahl des Resektionsausmaßes beim Kolonkarzinom liefert. Vielmehr mangelt es weltweit noch ganz erheblich an
der Standardisierung der Lymphknotendissektion mit daraus folgenden außerordentlich großen Unterschieden in den
Langzeitergebnissen nach Resektion eines Kolonkarzinoms.
Die Vorgaben durch die international sehr ähnlich lautenden
Leitlinien werden tatsächlich nur selten konsequent umgesetzt. Dies ist auch in der vorliegenden Arbeit erkennbar, da
letztlich bei immerhin 73% aller Patienten lediglich eine Segmentresektion des Kolons erfolgte. Umso erstaunlicher ist
die doch überdurchschnittlich hohe Anzahl entfernter
Lymphknoten mit einem Mittel von etwa 17,5 pro Resektat.
Allein hieraus kann man schließen, dass offenbar bei engagierter Aufarbeitung durch den Pathologen sehr viel mehr
Lymphknoten gefunden werden könnten. Dies ist insofern
wichtig, als inzwischen ebenfalls anerkannt ist, dass mindestens 12 bis 17 Lymphknoten notwendig sind, um das Sta­dium
III überhaupt identifizieren zu können.
Ausschließlich diese Zielrichtung verfolgten auch die
Autoren mit pathohistologisch detaillierter Aufarbeitung
des Pförtnerlymphknotens. Dies ist auch daran erkennbar,
dass sie eine der wichtigsten Arbeiten zu dieser Thematik
von Bembenek et al., die interessanterweise in derselben
Zeitschrift publiziert wurde, allerdings aus Deutschland
kommt und die Ergebnisse einer multizentrischen Studie zu
der in vivo vorgenommenen SNB mitteilt, schlichtweg ignoriert [1]. Dies haben allerdings die beiden Kommentatoren
des ergänzenden Editorials korrigiert [2]. Zum Ergebnis der
vorgelegten Untersuchung muss man zusätzlich zwei Gesichtspunkte diskutieren: Zum einen sagt der Nachweis einer
positiven Zytokeratinfärbung von Zellen überhaupt nichts
über deren biologische Wertigkeit aus. Dies ist hinreichend
durch den Befund bekannt, dass solche Zellen ja auch im
Knochenmark und anderswo gefunden werden, ohne dass
bei diesen Patienten je Metastasen aufgetreten wären. Der
zweite Aspekt berührt die Frage, ob durch das Auftreten von
Mikrometastasen eine Prognoseverschlechterung zu erwar-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
ten ist und ob diese dann durch adjuvante Chemotherapie
verbessert werden könnte. Hierzu gibt es leider keine ausreichenden Daten. Beim malignen Melanom wird aus diesem
Grund derzeit in Deutschland eine multizentrische Studie
durchgeführt, welche es sogar erlaubt, in der einen Gruppe
beim Nachweis von Mikrometastasen in einem regionären
Lymphknoten auf weitere Maßnahmen einschließlich einer
nachfolgenden radikalen regionären Lymphknotendissek­
tion überhaupt zu verzichten.
Die hier kommentierte Arbeit wurde von Bilchik &
Compton in einem Editorial kommentiert [2]. Carolyn
Compton hat in den letzten Jahren wesentliche Beiträge zum
Lymphknotenstaging beim kolorektalen Karzinom geleistet.
Laut ihrem Resümee ist zwischen Chirurgen und Pathologen
für ein akkurates Staging früher Kolonkarzinome eine enge
Zusammenarbeit notwendig. Diese Qualität einzufordern ist
auch eine Aufgabe bei der Zertifizierung der zunehmenden
Zahl von Darmzentren.
Fazit: Die gezielte Pförtnerlymphknotenuntersuchung hat
beim Kolonkarzinom keinen Einfluss auf das Ausmaß der
Lymphknotendissektion und damit der Darmresektion, sofern man den derzeit geltenden chirurgischen Leitlinien folgt.
Allerdings mangelt es auch international noch an deren konsequenter Umsetzung.
Es wird derzeit diskutiert, ob man mit der Pförtnerlymph­
knotenexzision und dessen detaillierter pathohistologischer
Aufarbeitung mehr Mikrometastasen entdeckt. Offen bleibt
damit zudem, ob dann im positiven Falle die Prognose der betroffenen Patienten verschlechtert wird und damit die Indikation zur adjuvanten Chemotherapie abgeleitet werden kann.
Literatur
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Werner Hohenberger, Erlangen
495
Literatur kommentiert
Adjuvante Chemotherapie beim kolorektalen Karzinom im Stadium II
Fragestellung und Hintergrund: Die QUASAR Collaborative
Group untersuchte in einer großen randomisierten Phase‑III‑Studie den Einfluss einer adjuvanten Chemotherapie mit 5‑Fluorouracil (5‑FU) und Folinsäure (FS) auf das Überleben von Patienten
mit kolorektalen Karzinomen, bei denen nach Beurteilung der
behandelnden Ärzte keine klare Indikation für eine adjuvante
Therapie bestand [4].
Der klinische Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie bei
kolorektalen Karzinomen im UICC‑Stadium II war bisher durch
Studien nicht klar belegt. Beim Kolonkarzinom im Stadium II
fand sich zwar in Metaanalysen ein positiver Trend, aber kein
signifikanter Überlebensvorteil durch eine adjuvante Chemotherapie [1]. Eine gepoolte Analyse von sieben randomisierten
Studien zeigte nur eine signifikante Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens nach 5 Jahren (72% vs. 76%; p = 0,049),
aber nicht des 5‑Jahres‑Gesamtüberlebens (80% vs. 81%; p =
0,1127) im Stadium II [3]. Beim Rektumkarzinom könnte die
beobachtete Verbesserung des Überlebens durch eine Radiochemotherapie im Vergleich zur alleinigen Strahlentherapie
durch den synergistischen Effekt beider Therapien begründet
sein, so dass auch hier der Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie im Stadium II unklar ist [5].
Patienten und Methodik: In die Studie wurden 3 239 Patienten
nach R0‑Resektion eines Kolon‑ (n = 2 291 [71%]) oder Rektumkarzinoms (n = 948 [29%]) aufgenommen, bei denen nach Beurteilung der behandelnden Ärzte „keine klare Indikation für eine
adjuvante Therapie“ bestand. Um eine gute Rekrutierung zu gewährleisten, wurde dieses Einschlusskriterium nicht festgelegt,
sondern den behandelnden Ärzten überlassen. Nach der Randomisierung erhielten die Patienten entweder eine Chemotherapie
mit 5‑FU und FS (Arm A, n = 1 622) oder wurden nur im Verlauf
kontrolliert (Arm B, n = 1 617). Die Tumorstadien waren in beiden Armen ausgeglichen, wobei die überwiegende Anzahl der
Patienten ein UICC‑Stadium II aufwies (Arm A: I: n = 8 [0,5%];
II: n = 1 483 [91%]; III: n = 131 [8%]; Arm B: I: n = 8 [0,5%];
II: n = 1 480 [92%]; III: n = 129 [8%]). Die adjuvante Chemotherapie bestand aus 30 Dosen 5‑FU (370 mg/m2) in Kombination
mit hoch‑ (175 mg/m2) oder niedrigdosierter (25 mg/m2) FS. Die
Chemotherapie wurde entweder mit sechs 5‑tägigen Gaben alle
4 Wochen oder einmal pro Woche in einem 30‑Wochen‑Protokoll
verabreicht. 283 Patienten erhielten zusätzlich Levamisol. Primärer Endpunkt der Studie war die Gesamtmortalität.
Ergebnisse: Nach einem mittleren Beobachtungszeitraum von 5,5
Jahren war das relative Risiko (RR) für Tod jeglicher Ursache in
der Therapiegruppe signifikant geringer als in der Beobachtungsgruppe (RR 0,82, 95%‑Konfidenzintervall [CI] 0,70–0,95; p =
0,008), entsprechend einem absoluten Überlebensvorteil von
3,6%. Im Therapiearm traten 293 Rezidive auf, während in der Beobachtungsgruppe 358 Rezidive festgestellt wurden (RR 0,78,
95%‑CI 0,67–0,91; p = 0,001). Die Senkung des Rezidivrisikos
durch die adjuvante Chemotherapie bestand vor allem in den ersten 2 Jahren nach Randomisierung (RR 0,64, 95%‑CI 0,52–0,78;
p < 0,0001), während es nach diesem Zeitraum nicht mehr signifikant unterschiedlich war. Interessanterweise war die Reduktion des
Rezidivrisikos im Stadium II vergleichbar mit dem Stadium III.
Subgruppenanalysen zeigten einen größeren Therapieeffekt bei Patienten < 70 Jahre im Vergleich zu älteren Patienten
und bei Rektumkarzinomen im Stadium II im Vergleich zu Kolonkarzinomen im Stadium II, wobei diese Effekte in den Subgruppenanalysen nicht signifikant waren. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten selten auf. Nur einer von acht Todesfällen
innerhalb von 30 Tagen nach Therapiebeginn war möglicherweise chemotherapiebedingt.
Schlussfolgerung: Eine adjuvante Chemotherapie mit 5‑FU und
FS verbessert das Überleben von Patienten mit kolorektalen Karzinomen im UICC‑Stadium II signifikant, wobei der absolute
Überlebensvorteil gering ist.
Kommentar
Die britische QUASAR‑Studie ist die größte publizierte Einzelstudie, die den Einfluss einer adjuvanten Chemotherapie
auf das Überleben von Patienten mit kolorektalen Karzinomen im Stadium II untersucht. Das Konzept der Studie wurde
von Anfang an auf eine maximale Rekrutierung ausgelegt,
was zulasten der Datenqualität ging. Die Studie hat daher einige schwerwiegende Mängel, welche die generelle Übertragung der Studienergebnisse in die klinische Praxis einschränken:
1. Die Studie weist methodische Mängel hinsichtlich ihres heterogenen Studienkollektivs (71% Kolonkarzinome, 29%
Rektumkarzinome, nur 91% im UICC‑Stadium II) sowie
der heterogenen 5‑FU/FS‑Therapieprotokolle auf, bei denen einige Patienten sogar zusätzlich das toxische und unwirksame Levamisol erhielten.
2. In früheren Studien gingen gewisse Risikosituationen im
Stadium II wie ein T4‑Tumor, eine Tumorperforation
496
und/oder Operation unter Notfallbedingungen sowie eine
zu geringe Anzahl untersuchter Lymphknoten mit einer
schlechteren Prognose der Patienten einher. Internationale Leitlinien sprechen daher in der Regel eine
„Kann‑Empfehlung“ für eine adjuvante Therapie bei diesen Risikopatienten im Stadium II aus. Diese Risikofaktoren sind in der QUASAR‑Studie aus o.g. Gründen nicht
gut dokumentiert. So waren nur für 628 (19%) der 3 239
Patienten verlässliche Daten zum T4‑Stadium und zur
Gefäßinvasion vorhanden, und über die Anzahl der
durchschnittlich untersuchten Lymphknoten lagen überhaupt keine Daten vor.
3. Die Qualität der pathohistologischen Aufarbeitung spielt
gerade im Stadium II eine sehr große Rolle. So wäre ein
geringer positiver Studieneffekt auch allein durch die
Tatsache zu erklären, dass evtl. durch mangelhafte
Lymphknotenaufarbeitung eine gewisse Anzahl von Tu-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
moren fälschlicherweise dem Stadium II zugeordnet wurde.
Trotz der großen methodischen Mängel der QUASAR‑Studie kann jedoch jetzt eine adjuvante Therapie mit
5‑FU/FS oder Capecitabin im Stadium II zumindest erwogen
werden. Der Patient sollte über die Ergebnisse der QUASAR‑Studie kritisch informiert werden, und die Vorteile und
Risiken einer adjuvanten Therapie im Stadium II sollten mit
ihm besprochen werden. Hinsichtlich der Kombinationschemotherapie mit Oxaliplatin liegen bei Patienten im Stadium
II mit Standardrisiko im Gegensatz zum Stadium III beim
Kolonkarzinom keine signifikant positiven Daten vor, so
dass aufgrund der höheren Toxizität von einer adjuvanten
Kombinationschemotherapie bei diesen Patienten zurzeit
noch abgeraten werden muss. Da die Hochrisikopatienten
im Stadium II aber in einer Subgruppenanalyse durch eine
adjuvante FOLFOX4‑Chemotherapie mit einer tendenziellen Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens im
Vergleich zur LV5FU2 profitierten (Hazard‑Ratio 0,74,
95%‑CI 0,52–1,06) [2], kann für diese Patienten eine Kombinationschemotherapie erwogen werden.
Literatur
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Stefan Kubicka, Hannover
Kein Vorteil der intraarteriellen Chemoperfusion der Leber mit 5‑FU bei
irresektablen Lebermetastasen kolorektaler Karzinome im Vergleich zur
intravenösen Chemotherapie
Fragestellung und Hintergrund: Über 2 Jahrzehnte war die Chemoperfusion der Leber ein wissenschaftlich sehr attraktives Verfahren. Die Konzentration des Zytostatikums 5‑Fluorouracil
(5‑FU) erreicht dabei in der Leber mehr als 100fach höhere Konzentrationen gegenüber der intravenösen Applikation. Daher
stellt das Verfahren ein attraktives und gut begründetes Konzept
bei solchen Erkrankungen dar, bei denen die Leber der Hauptmetastasierungsort ist. Diese Kriterien werden beim kolorektalen
Karzinom erfüllt. Die vorliegende Metaanalyse untersucht, ob die
intraarterielle Applikation einen Vorteil gegenüber der intravenösen Gabe besitzt [5].
Material und Methodik: In die Metaanalyse gingen zehn zwischen
1987 und 2006 publizierte randomisierte Studien mit 1 277 Patienten ein. 673 Patienten wurden mit intraarterieller Chemotherapie behandelt, meist mit FUDR (einem Pyrimidinantimetaboliten, der in der Leber in 5‑FU umgewandelt wird und sich wegen
der kurzen Halbwertszeit und vorwiegend hepatischen Elimina­
tion für die Leberperfusion besonders eignet). In den jeweiligen
Kontrollarmen erfolgte eine Chemotherapie mit FUDR oder
5‑FU oder 5‑FU plus Leukovorin; zwei Studien erlaubten auch
eine alleinige Supportivtherapie im Kontrollarm.
Ergebnisse: Die Ansprechrate (in neun Studien mitgeteilt) war im
Perfusionsarm höher als bei intravenöser Chemotherapie (43%
vs. 18%; p < 0,0001). Im Hinblick auf das Gesamtüberleben fanden drei Studien einen signifikanten Vorteil, die anderen sieben
nicht. Unter Berücksichtigung der Heterogenität der Studien er­
gab sich kein Vorteil für die Leberperfusion bezüglich der Leta­
lität (Hazard‑Ratio 0,9; Konfidenzintervall 0,76--1,07; p = 0,24).
Schlussfolgerung: Im Gegensatz zu zwei früheren Metaanalysen,
die weniger Studien berücksichtigten oder manche Studien ausschlossen, wurden für diese Analyse erstmals alle verfügbaren randomisierten Studien ausgewertet. Dabei zeigte sich trotz höherer
Remissionsraten kein Überlebensvorteil nach Leberperfusion.
Kommentar
Die intraarterielle Chemotherapie wurde in den 80er und
90er Jahren für viele Tumorentitäten erprobt und hat sich
nicht durchgesetzt; bei den meisten Tumorlokalisationen und
‑entitäten sind diese Konzepte einschließlich verschiedener
Spielarten (z.B. Extremitätenperfusion, Chemotherapie von
Hirntumoren mit „Aufreißen“ der Blut‑Hirn‑Schranke) nicht
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
über das Stadium der Phase‑I/II‑Studien hinausgekommen.
Die Chemoperfusion der Leber hat sich demgegenüber lange
gehalten und war Gegenstand großer klinischer Studien. Sie
ist beim kolorektalen Karzinom wegen der bevorzugten hepatischen Metastasierung und des oft langwierigen Verlaufs
auch tumorbiologisch besser begründet als die intraarterielle
497
Literatur kommentiert
Chemotherapie bei anderen Tumorlokalisationen. Gerade in
Deutschland konnten zwei Studiengruppen in der Vergangenheit zeigen, dass diese Therapie nach Metastasenresek­
tion das Überleben verbessert [3, 4]. Allerdings erhielt der
Kontrollarm in diesen Studien keine Systemtherapie, und eine kürzliche Metaanalyse zeigte für dieses Vorgehen in der
Summe keinen signifikanten Vorteil [1].
In der hier referierten Metaanalyse wurde deshalb untersucht, ob die Verabreichungsart der Chemotherapie (konventionell intravenös vs. intraarteriell hepatisch) einen Unterschied bewirkt [5]. Dass dies für das Überleben nicht der
Fall war, kam nicht überraschend, und das Ergebnis fällt in
eine Zeit, in der andere Konzepte als wesentlich erfolgreicher
bestätigt wurden, nämlich die intensivierte Chemotherapie
mit neuen Substanzen und die präoperative Chemotherapie
bei primär inoperablen Lebermetastasen. Vor allem der Einsatz neuer Substanzen ist nicht nur für Patienten durch die
nachgewiesenen Überlebensverlängerungen vorteilhafter,
sondern wegen des einfachen und flächendeckenden Einsatzes auch für Ärzte und Industrie attraktiver [2].
Allerdings bleibt zu hinterfragen, welche Konsequenzen
sich aus dieser Metaanalyse ergeben. Heute stehen andere
systemische Therapiemöglichkeiten zur Verfügung als in den
80er und 90er Jahren, in denen die hier analysierten Studien
durchgeführt wurden. Skeptiker der Leberperfusion können
argumentieren, dass FUDR einen wichtigen pharmakologischen Vorteil bot, den die neuen Substanzen nicht haben,
und man mag daraus folgern, dass die Wirksamkeit der Leberperfusion heute eher noch geringer sein dürfte. Befürworter der Leberperfusion können argumentieren, dass
diese Methode die höchste Effektivität gegenüber nichtresektablen Lebermetastasen besitzt und dass dies für ein Teilkollektiv metastasierter Patienten auch heute noch wichtig
ist. Früher, als 5‑FU das einzig verfügbare Zytostatikum war,
hatten die Patienten von der verbesserten Kontrolle in der
Leber nämlich keinen Vorteil, weil man die extrahepatische
Progression kaum verhindern konnte. Mit den heute verfüg-
baren Systemtherapien lässt sich die progressionsfreie Zeit
wesentlich verlängern, und möglicherweise profitieren Patienten mit hoher Tumorlast in der Leber, nur mäßigem Ansprechen einer isolierten Lebermetastasierung oder isolierter hepatischer Progression bei extrahepatisch kontrollierter
Erkrankung von diesem Verfahren. Außerdem können systemische Chemotherapie und Leberperfusion mit lokal ablativen Verfahren kombiniert werden. Eine nachweislich effektive Therapie wie die Leberperfusion sollte deshalb nicht
vorschnell ad acta gelegt werden.
Fazit: Die intraarterielle Chemoperfusion der Leber bietet
nach heutigem Kenntnisstand trotz hoher Effektivität bei hepatischen Metastasen keine Verbesserung der Überlebenszeiten gegenüber einer systemischen Chemotherapie. Aus
wissenschaftlicher Sicht ist es aber durchaus wahrscheinlich,
dass Teilkollektive von diesem Verfahren profitieren können, so dass weitere Studien gerechtfertigt und sinnvoll sind.
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Jürgen Dunst, Sebastian Fetscher, Lübeck
Platinbasierte Chemotherapie bei Patienten mit nichtkleinzelligem
Bronchialkarzinom im Stadium IIIB oder IV: vier versus sechs Zyklen
Fragestellung und Hintergrund: Platinhaltige Zytostatikakombinationen haben einen festen Stellenwert in der palliativen Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligen
Bronchialkarzinom (NSCLC). Ansprechraten und Überleben
sind jedoch nicht zufriedenstellend. Ansätze zur Intensivierung
der Therapie basieren u.a. auf der Applikation einer höheren Anzahl von Zytostatikazyklen [4].
Patienten und Methodik: Die Autoren aus Korea führten eine
prospektiv‑randomisierte multizentrische Phase‑III‑Studie mit
cisplatinhaltigen Kombinationen der dritten Generation als Erst-
498
linienbehandlung durch. Eingeschlossen wurden Patienten mit
malignem Pleuraerguss im Stadium IIIB oder Fernmetastasen im
Stadium IV (keine Hirnmetastasen). Eine vorangegangene Strahlentherapie musste mindestens 4 Wochen zuvor beendet worden
sein. Wie viele Patienten bestrahlt worden waren, bleibt unklar,
ebenso das Metastasierungsmuster. Alle 452 Patienten hatten eine
adäquate Nieren‑, Leber‑ und Knochenmarkfunktion und befanden sich in einem guten Allgemeinzustand (Performance‑Status
0–2). Zunächst wurden zwei Chemotherapiezyklen im Abstand
von 3 Wochen appliziert. 58% der Patienten erhielten Cisplatin
plus Gemcitabin (1 000 mg/m2 an den Tagen 1 und 8), 25% Cis-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
platin plus Paclitaxel (175 mg/m2 an Tag 1) und der Rest Cisplatin
plus Docetaxel (75 mg/m2 an Tag 1). Cisplatin wurde immer an
Tag 1 und in einer Dosis von 70 mg/m2 gegeben.
Nach den beiden Therapiezyklen wurden alle progressionsfreien Patienten (n = 314, d.h., 30,5% hatten bereits eine
progrediente Erkrankung) randomisiert. Sie erhielten dann
entweder weitere zwei oder vier Zyklen der ursprünglichen
Chemotherapie. Im Fall einer Progression oder unakzeptabler
Nebenwirkungen wurde die Behandlung beendet. Eine eventuelle Zweitlinienbehandlung durfte frei gewählt werden. Die Patienten wurden in vier Strata gruppiert: Stadium, Allgemeinzustand, Ansprechen und Zentrum. Die Kontrolluntersuchungen
erfolgten in beiden Armen gleich. Primärer Endpunkt war das
Gesamtüberleben. Lebensqualität, Toxizität und Zeit bis zur
Progression waren sekundäre Endpunkte. Die Studie sollte
nachweisen, dass die kürzere Behandlung der längeren nicht unterlegen ist („noninferiority trial“). Die Grenze hierfür wurde
als 15%iger Unterschied der Überlebensrate nach 1 Jahr definiert. Es erfolgte eine Intention‑to‑treat‑Auswertung, es wurden keine Patienten ausgeschlossen.
Ergebnisse: Die Rekrutierung fand zwischen September 2002
und Dezember 2004 statt. Überwiegend wurden Männer eingeschlossen (69%). Das mediane Alter lag bei 58 Jahren (bis zu 81
Jahre). Bei 82,5% lag ein Stadium IV vor (Performance‑Status
0–1 in 92%). 58% der Patienten hatten ein Adenokarzinom, 31%
ein Plattenepithelkarzinom. Die beiden Arme wiesen keine signifikanten Unterschiede in den Patientencharakteristika auf. Von
den insgesamt geplanten vier Chemotherapiezyklen wurde nur
in 8% der Fälle abgewichen, im anderen Arm aber in 32%. Nur
68% der Patienten erhielten alle sechs Zyklen, weitere 6% fünf
Zyklen. Der Hauptgrund für einen Behandlungsabbruch war ein
Tumorprogress.
Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 12,2 Monate.
Das mediane Überleben lag in dem Arm mit vier Zyklen Chemotherapie mit 15,9 Monaten höher als in dem Arm mit maximal sechs Zyklen (14,9 Monate). Die 2‑Jahres‑Überlebensrate
betrug 32% versus 31%. Das Nichtunterlegenheitskriterium
wurde erreicht. Ein signifikanter Unterschied fand sich in der
Zeit bis zur Progression. Hier war der intensivere Arm überlegen (median 6,2 vs. 4,6 Monate; p = 0,001). Allerdings hatten
in beiden Vergleichsgruppen jeweils > 90% der Patienten nach
1 Jahr eine Tumorprogression.
Alle nichthämatologischen Grad‑3/4‑Toxizitäten lagen in
beiden Armen jeweils < 3,5%. Die intensivere Chemotherapie
führte jedoch häufiger zu Anämie (9,5% vs. 0,6%), Thrombozytopenie (2,5% vs. 0,6%), Neutropenie (12,7% vs. 9,6%) und febriler Neutropenie (8,2% vs. 3,2%) der Grade 3 und 4. Signifikant
mehr Patienten in dem Arm mit nur vier Zyklen erhielten eine
Zweitlinienbehandlung (74% vs. 63%), jeweils etwa 40% von ihnen später auch noch eine Drittlinienbehandlung. Während der
ersten vier Zyklen fanden sich keine signifikanten Unterschiede
in der Lebensqualität (erfasst mittels EORTC‑QLQ‑C30‑ und
‑QLQ‑LC13‑Fragebögen). Danach schnitten die Patienten mit
abgeschlossener Behandlung besser ab.
Schlussfolgerung: Die Studie zeigt, dass eine Chemotherapie mit
vier Zyklen einer Behandlung mit maximal sechs Zyklen bei diesem Patientenkollektiv nicht unterlegen ist, und unterstützt somit
eine aktuelle Leitlinie der American Society of Clinical Oncology.
Kommentar
Die koreanische Studie bestätigt, dass das fortgeschrittene
NSCLC eine schlecht behandelbare Erkrankung ist, bei der
auch eine intensive Erstlinienchemotherapie die Zeit bis zur
Progression nur wenig verlängert. Der beobachtete Unterschied entspricht praktisch den 6 Wochen, die es dauert, weitere zwei Zyklen zu applizieren. Ein signifikanter Unterschied
im Überleben wurde nicht beobachtet und wäre auch kaum zu
erwarten, da viele Patienten Zweit‑ und Drittlinientherapien
erhielten. Für eine Nichtunterlegenheitsstudie ist die Fallzahl
niedrig. Hätte der Unterschied in der 1‑Jahres‑Überlebensrate
nicht bei 3%, sondern zwischen 10% und 15% gelegen, wäre
die Studie erheblich kritischer aufgenommen worden. Das
95%‑Konfidenzintervall reicht allerdings von –8% bis 15%.
Insofern ist es gut zu wissen, dass weitere Studien zu identischen Ergebnissen kamen [5, 6]. Allerdings wurden hier die
Patienten ab dem Beginn der Chemotherapie randomisiert
und nicht erst nach zwei „erfolgreichen“ Zyklen. Erwähnenswert ist auch, dass bis zu 81 Jahre alte Patienten in diese Studie
aufgenommen wurden. Das bestätigt erneut, dass ein Teil der
älteren Patienten intensive Chemotherapien toleriert.
Eine weitere Phase‑III‑Studie untersuchte den Stellenwert einer Erhaltungstherapie mit Gemcitabin nach initialer
Cisplatin/Gemcitabin‑Behandlung [2]. Auch hier fand sich
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
eine signifikante Verlängerung der Zeit bis zur Progression
um 1,6 Monate, die wieder nicht zu einer signifikanten Verbesserung des Überlebens führte. Eine Erhaltungstherapie
mit Vinorelbin nach anfänglicher Gabe der Kombination
von Cisplatin, Mitomycin und Ifosfamid resultierte ebenfalls
nicht in einer Verlängerung der Überlebenszeit [7].
Die prinzipiellen Hindernisse für eine erfolgreiche Chemotherapie wurden in der Literatur oftmals zusammengefasst,
und es sei an dieser Stelle nur auf die Begriffe intrinsische und
erworbene Resistenz verwiesen [1]. Solange es so gut wie nie
gelingt, eine komplette Remission zu induzieren, wird der
Stellenwert einer Erhaltungschemotherapie begrenzt bleiben.
Zu einem weiteren Problem wird bei vielen Substanzen auch
die kumulative Toxizität, die u.U. eine Weiterbehandlung unmöglich macht. Ob dies durch neue Substanzen (Gefitinib,
Bevacizumab, Cetuximab etc.) zu ändern sein wird, müssen
künftige Studien zeigen. Auch Vakzinierungsbehandlungen
werden gegenwärtig intensiv untersucht [3].
Bei der hier diskutierten Problematik könnte man wohl
am ehesten Hoffnung auf bessere Behandlungsresultate
schöpfen, wenn es gelänge, die Ursachen des Bronchialkarzinoms zu bekämpfen und die dann dennoch auftretenden Fälle
in frühen, noch kurativ behandelbaren Stadien zu erkennen.
499
Literatur kommentiert
Literatur
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Carsten Nieder, Bodø, Norwegen
Ein vom Toll‑like‑Rezeptor 4 abhängiger Beitrag des Immunsystems
zur antitumorösen Wirkung der Chemo‑ und Strahlentherapie
Fragestellung und Hintergrund: Bisher gibt es erst wenige Hinweise für einen direkten Einfluss des angeborenen und adaptiven
Immunsystems auf eine durch Strahlen‑ oder Chemotherapie vermittelte Eliminierung von Tumorzellen. Dieser Frage widmeten
sich Apetoh et al. [1].
Material und Methodik: Dendritische Zellen mit oder ohne Toll‑likeRezeptor 4 (Tlr4) wurden mit sterbenden Ovalbumin exprimierenden Brustkrebs‑ (TS/A‑OVA) oder Thymomzellen (EG7) inkubiert und dann im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur Antigenpräsentation nach Zugabe von ovalbuminspezifischen T‑Zell‑Hybridomen
untersucht. Die Tumorzellinaktivierung wurde durchflusszytome­
trisch durch die Exposition von Phosphatidylserin mit Hilfe des mit
Fluoresceinisothiocyanat (FITC) markierten Annexin V nachgewiesen. Die Expression des High‑Mobility‑Group‑Box‑1‑(HMGB1‑)
Proteins in Tumorzellen analysierte man mittels Immunoblot; die
Sekretion wurde mit RNA‑Interferenz (siRNA), neutralisierenden
Antikörpern und bindenden Peptiden inhibiert. Mäuse mit
HMGB1‑Wildtyp (wt) oder „loss of function“‑Genotyp wurden entweder mit Kolonkarzinomzellen (CT26) vakziniert bzw. etablierte
Tumoren eines definierten Tumorvolumens mit Oxaliplatin und Doxorubicin behandelt oder mit 10 Gy bestrahlt. Die Genotypisierung
der Tlr4‑„loss of function“‑Mutationen bei Patienten mit Brustkrebs
erfolgte mit der Polymerase‑Kettenreaktion.
Ergebnisse: Ovalbuminantigene von bestrahlten oder mit Oxaliplatin behandelten Tumorzellen führen bei wt‑Tlr4‑Zellen,
nicht jedoch bei Tlr4‑mutierten dendritischen Zellen zu einer
Interleukin‑2‑Sekretion. Dies zeigt, dass der Tlr4 für die effiziente Präsentation von Antigenen sterbender Zellen notwendig
ist. Einen wesentlichen Liganden für den Tlr4 stellt das Protein
HMGB1 dar, das selektiv aus bestrahlten oder chemotherapierten Tumorzellen in einem caspaseabhängigen Prozess freigesetzt wird. Eine Hemmung oder Neutralisation des
HMGB1‑Proteins verhindert diese Bindung und damit die Aktivierung der dendritischen Zellen.
Im Tiermodell vermindert die Vakzinierung mit sterbenden Tumorzellen bzw. die Chemotherapie etablierter
CT26‑Tumoren bzw. deren Bestrahlung nur in Tieren mit
wt‑Tlr4 das Tumorvolumen oder verbessert deren Überleben.
Dieser Effekt kann durch Inhibition der HMGB1/Tlr4‑Interaktion aufgehoben werden. Entsprechend haben Patientinnen
mit Brustkrebs und mutiertem Tlr4 ein höheres Risiko für Tumorrezidive nach adjuvanter Radio‑ oder Chemotherapie mit
Anthracyclinen.
Schlussfolgerung: Die Autoren beschreiben einen bisher in diesem Zusammenhang nicht bekannten Mechanismus der Aktivierung einer tumorspezifischen Immunantwort, die auf der Freisetzung des HMGB1‑Proteins und der Aktivierung von Tlr4 auf
dendritischen Zellen beruht. Sie zeigen einen klinisch relevanten,
immunadjuvanten Mechanismus, der von sterbenden Tumorzellen ausgeht.
Kommentar
Die neuere Literatur belegt die Bedeutung des Immunsystems
für die Tumorentwicklung. So sind beispielsweise eine Colitis
ulcerosa und chronische Hepatitis Risikofaktoren für die Ent-
500
stehung eines kolorektalen oder hepatozellulären Karzinoms.
Darüber hinaus spielt das Immunsystem auch bei der Tumorabwehr eine zentrale Rolle; die dem zugrundeliegenden Me-
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
Literatur kommentiert
chanismen sind jedoch noch nicht hinreichend aufgeklärt. Immerhin weiß man, dass Tumorantigene zur Induktion einer
zytotoxischen Anti‑Tumor‑Immunantwort nur dann von antigenpräsentierenden Zellen (vor allem dendritischen Zellen)
effizient aufgenommen und prozessiert werden, wenn diese
zusätzlich durch immunogenitätsbestimmende Oberflächenmoleküle der Tumorzellen, wie z.B. Calreticulin [6], und durch
sezernierte Gefahrensignale, wie Harnsäure, Adenosintriphosphat oder HMGB1, aktiviert werden.
Die in Nature Medicine hochrangig publizierte Arbeit
von Apetoh et al. [1] erweitert nun unser Wissen über die Rolle des Immunsystems bei der Reaktion von Tumorzellen auf
Strahlen‑ und Chemotherapie und liefert neue molekular‑ und
immunbiologische Ansätze für das Verständnis der Zellaktivierung durch Strahlen‑ und Chemotherapie. Eine Tumorbehandlung sollte darauf ausgerichtet sein, jede Krebszelle einschließlich der Tumorstammzelle zu eliminieren. Dazu ist zur
Verhinderung von Tumorrezidiven und Metastasen eine spezifische Anti‑Tumor‑Immunität entscheidend. Die Tumorzellen sollten nach den Behandlungen eine hohe Immunogenität
besitzen. Die hier vorgestellte Arbeit scheint uns deshalb für
Strahlentherapeuten und Strahlenbiologen von besonderem
Interesse zu sein, und zwar aus zweierlei Gründen:
1. Die Untersuchungen bestätigen, dass der Erfolg einer
Strahlen‑ und Chemotherapie von der Aktivierung einer
tumorspezifischen Immunantwort abhängt. Neu und interessant an der kommentierten Arbeit ist die Beobachtung,
dass sterbende Tumorzellen durch die Freisetzung des
­Gefahrensignals HMGB1 und dessen Interaktion mit Tlr4
eine spezifische antitumoröse Immunantwort auslösen.
HMGB1 wird von nekrotischen Zellen, Makrophagen und
natürlichen Killerzellen freigesetzt [4] oder aus apoptotischen Zellen sezerniert [2]. Für das strahlenbiologische
Verständnis wäre nun eine exakte Definition des Begriffs
„strahleninduzierte Zellinaktivierung“ wünschenswert, da
seine synonyme Verwendung mit dem Begriff der Apoptose nicht zur Klärung der noch kontrovers diskutierten Frage in der Radioonkologie zur Bedeutung des apoptotischen
bzw. des programmierten Zelltodes beiträgt. Die Art des
Zelltodes und seine eventuellen Übergangsformen sind
aber von entscheidender Bedeutung für die Immunogenität der Tumorzellen, denn apoptotische und nekrotische
Zellen unterscheiden sich in ihrer Immunogenität. Apoptotische Zellen halten lange Zeit die Integrität ihrer Plasmamembran aufrecht und durchlaufen dabei charakteristische Veränderungen auf ihrer Zelloberfläche. Mit Hilfe
dieser „Fress‑mich‑Signale“, wie z.B. der Exposition von
Phosphatidylserin, können apoptotische Zellen schnell von
Makrophagen erkannt und phagozytiert werden. Darauf
sezernieren die Fresszellen antiinflammatorische Zyto­kine.
Somit sind apoptotische Zellen im Gegensatz zu nekro-
tischen Zellen nicht oder nur schwach immunogen. Sekundäre Nekrose tritt dann ein, wenn Zellen, die zunächst
apoptotisch sterben, nicht von Makrophagen beseitigt werden und die Integrität ihrer Plasmamembran verlieren.
Nach der „Danger“‑Hypothese reagiert das Immunsystem
vor allem auf Signale, die von Zellen in pathologischen Situationen, z.B. während einer Nekrose, ausgehen. Die permeable Zytoplasmamembran von nekrotischen Zellen
setzt intrazelluläre Gefahrensignale, wie z.B. HMGB1, frei,
die als endogene Adjuvanzien einen starken inflammatorischen und immunogenen Stimulus darstellen. Somit haben primär und sekundär nekrotische Zellen ein viel höheres immunogenes Potential als apoptotische Zellen [5].
2. Die Vorstellung, dass eine Strahlen‑ bzw. Chemotherapie ihre Wirkung nur durch direkte Effekte an den Tumorzellen
entfaltet, ist so nicht mehr haltbar. Die Beobachtung, dass
nach Bestrahlung „sterbende Tumorzellen“ mit dem umgebenden Tumorstroma interagieren, belegt die hohe Komplexität der Strahlenreaktionen durch interzelluläre Kommunikation. In diesem Zusammenhang sind auch Beobachtungen
von Interesse, dass die Fähigkeit von Gefäßendothelzellen
zum Zelltod den Effekt einer Strahlenexposition wesentlich
verstärkt. Im Tiermodell erwiesen sich Tumoren mit apoptoseresistenten Endothelzellen gegenüber einer Bestrahlung
mit bis zu 20 Gy als unempfindlicher im Vergleich zu Tumoren mit apoptoserefraktären Endothelzellen [3].
Fazit: Insgesamt stimuliert die Arbeit von Apetoh et al., die
bisherigen Paradigmen der Strahlenbiologie zu überdenken
und bei künftigen Therapieplanungen und experimentellen
Untersuchungen sowohl die Mechanismen der direkten Tumor‑Stroma‑Interaktionen als auch die Rolle der angeborenen oder adaptiven Immunantwort mit zu berücksichtigen.
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Franz Rödel, Frankfurt/Main; Udo Gaipl, Erlangen
Die in der Rubrik „Literatur kommentiert“ seit 2007 erschienenen Beiträge sind online verfügbar unter www.degro.org
Strahlenther Onkol 2008 · No. 9 © Urban & Vogel
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