Prof. Dr. Jörn Steuding, Pascal Stumpf Institut für Mathematik, Universität Würzburg 31. Oktober 2016 Elementare Zahlentheorie — 2. Übung Aufgabe 1. [5 × 2 Punkte] Beweisen oder widerlegen Sie die folgenden Aussagen, wobei wir ♯(M) für die Anzahl der Elemente einer endlichen Menge M schreiben: (i) Für endliche Mengen A und B haben wir ♯(A ∪ B) > ♯(A) + ♯(B). (ii) Für endliche Mengen A und B haben wir ♯(A ∪ B) 6 ♯(A) + ♯(B). (iii) Für endliche Mengen A und B haben wir ♯(A) + ♯(B) = ♯(A ∪ B) + ♯(A ∩ B). (iv) Es ist möglich, dass drei Kinder einzeln gesehen jeweils genau sechs Sammelbilder verschiedener Motive haben, wobei jeweils zwei Kinder als Paar sowie auch alle drei Kinder gemeinsam betrachtet immer genau neun verschiedene Motive haben. (v) Falls die paarweise gebildeten Durchschnitte A ∩ B, B ∩ C und C ∩ A dreier Mengen A, B und C jeweils nicht leer sind, dann ist auch deren gemeinsamer Durchschnitt A ∩ B ∩ C nicht leer. Aufgabe 2. [10 Punkte] Dies ist eine Bibliotheksaufgabe — bitte benutzen Sie nicht das Internet! Begeben Sie sich in die Teilbibliothek Mathematik und recherchieren Sie zur Babylonischen Keilschrifttafel YBC 7289 und der kryptischen Inschrift √ 2 = 1 24 51 10. Was hat es damit auf sich? Verfassen Sie hierzu einen Essay von etwa einer DinA4-Seite! (Literaturhinweise: Geometry by its history von Ostermann & Wanner, 6000 Jahre Mathematik von Wußing) Aufgabe 3. [5 + 5 Punkte] Betrachten Sie das obige Bild mit dem (ikonischen) Beweis ” ohne Worte“ für folgende, auf Galileo Galilei zurückgehende und für n ∈ N gültige Formel: 1 + 3 + . . . + (2n − 1) 1 = . (2n + 1) + (2n + 3) + . . . + (4n − 1) 3 (i) Erläutern Sie das Bild und erklären Sie diesen Beweis ohne Worte. (ii) Beweisen Sie die Formel mit vollständiger Induktion nach n. Für den Übungsbetrieb melden Sie sich bitte in sb@home an. Übungsblätter werden immer montags in der Vorlesung ausgegeben; sie stehen auch online auf der homepage https://www.mathematik.uni-wuerzburg.de/∼steuding/elemzahltheo2016.htm zur Verfügung (wie auch die Folien). Bearbeitete Übungsblätter müssen in Gruppen von maximal drei Studierenden im Raum 00.105 des BSZ im Briefkasten Elementare Zahlentheorie bis 12 Uhr am Mittwoch der darauffolgenden Woche abgegeben werden. Für die Klausurzulassung sind 50% der Übungspunkte (jeweils 30 pro Blatt) nötig. Für den begleitenden vhb-Kurs kann man sich auf der Webseite www.vhb.org/studierende bis Ende Oktober einschreiben. Der Kurs selbst findet sich auf der WueCampus2-Plattform unter den Kursen der vhb. Viel Spaß! 3 Lösungshinweis zu Aufgabe 1: Die erste Aussage (i) ist falsch, denn wählen wir unsere beiden Mengen (nicht leer und) identisch, also zum Beispiel A = {1, 2} = B, dann enthält deren Vereinigung A ∪ B = {1, 2} jedes Element aus A = B nicht doppelt sondern auch nur genau einmal, d.h. ♯(A ∪ B) = 2, obwohl wir deren Elemente auf der anderen Seite über ♯(A) + ♯(B) = 2 + 2 = 4 > ♯(A ∪ B) hier gerade doppelt zählen. Falls dagegen beide Mengen A und B disjunkt sind, also kein Element gemeinsam haben und wir A ∩ B = ∅ bzw. ♯(A ∩ B) = 0 schreiben können, dann zählen wir über ♯(A) + ♯(B) kein Element mehr doppelt, was ♯(A ∪ B) = ♯(A) + ♯(B) bedeutet und uns nebenbei bereits (ii) sowie (iii) für disjunkte Mengen A und B beweist. Mit dieser Formel für zwei disjunkte Mengen ausgerüstet, versuchen wir nun zuerst (iii) im allgemeinen Fall (also auch falls A und B nicht disjunkt sind) zu zeigen. Dafür zerlegen wir A ∪ B in zueinander disjunkte Teilmengen, so dass unsere Formel gut anwendbar wird. Es gilt A ∪ B = A ∪ (B \ A), wobei nun A und B \ A disjunkt sind, d.h. unsere Formel kann ♯(A ∪ (B \ A)) = ♯(A) + ♯(B \ A) flüstern. Als nächstes können wir für B \ A auch B \ (A ∩ B) und somit ♯(B \ (A ∩ B)) = ♯(B) − ♯(A ∩ B) schreiben, da A ∩ B eine Teilmenge von B ist, oder als alternative Begründung, da wir B über B = (B \ (A ∩ B)) ∪ (A ∩ B) wieder disjunkt für unsere Formel zerlegen können, die dann genau ♯(B) = ♯(B \ (A ∩ B)) + ♯(A ∩ B) liefert. Gemeinsam erhalten wir ♯(A ∪ B) = ♯(A ∪ (B \ A)) = ♯(A) + ♯(B \ A) = ♯(A) + ♯(B) − ♯(A ∩ B) , oder leicht umgestellt wie gewünscht ♯(A) + ♯(B) = ♯(A ∪ B) + ♯(A ∩ B), und (iii) ist wahr. Da außerdem stets ♯(A ∩ B) > 0 besteht, kann uns nun (iii) insbesondere ♯(A ∪ B) = ♯(A) + ♯(B) − ♯(A ∩ B) 6 ♯(A) + ♯(B) , also die Wahrheit von (ii) mitverraten. Als kleine Modellierung für (iv) seien die verschiedenen Motive von 1 bis 9 nummeriert, aus denen wir speziell {1, 2, 3, 4, 5, 6}, {4, 5, 6, 7, 8, 9} und {7, 8, 9, 1, 2, 3} als sechselementige Sammelbildermengen“ für unsere drei Kinder auswählen. Dann sind in der Tat alle (vier) ” gewünschten Eigenschaften ♯({1, 2, 3, 4, 5, 6} ∪ {4, 5, 6, 7, 8, 9}) = ♯({1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}) = 9 , ♯({4, 5, 6, 7, 8, 9} ∪ {7, 8, 9, 1, 2, 3}) = ♯({4, 5, 6, 7, 8, 9, 1, 2, 3}) = 9 , ♯({7, 8, 9, 1, 2, 3} ∪ {1, 2, 3, 4, 5, 6}) = ♯({7, 8, 9, 1, 2, 3, 4, 5, 6}) = 9 , sowie ♯({1, 2, 3, 4, 5, 6} ∪ {4, 5, 6, 7, 8, 9} ∪ {7, 8, 9, 1, 2, 3}) = 9 erfüllt. Die letzte Aussage (v) ist schließlich nicht richtig, betrachten wir nämlich gerade die drei Mengen A = {1, 2, 3, 4, 5, 6}, B = {4, 5, 6, 7, 8, 9} und C = {7, 8, 9, 1, 2, 3} aus dem Beispiel für (iv), so sind deren paarweise gebildeten Durchschnitte A ∩ B = {4, 5, 6}, B ∩ C = {7, 8, 9} und C ∩ A = {1, 2, 3} zwar nicht leer, aber ihr gemeinsamer Durchschnitt A ∩ B ∩ C = (A ∩ B) ∩ C = {4, 5, 6} ∩ {7, 8, 9, 1, 2, 3} = ∅ enthält doch keine Elemente mehr, und wir haben ein Gegenbeispiel gefunden. Lösungshinweis zu Aufgabe 2: Die Mathematik der Babylonier vor ca. 3500 Jahren war an praktischen Anwendungen orientiert. Sachverhalte, wie etwa der Satz des Pythagoras, waren wohl bekannt, aber Beweise werden die Babylonier nicht geführt haben (diese setzen wohl erst mit Thales von Milet im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ein). Es gibt nicht viele Quellen aus dieser Epoche, auf der Keilschrifttafel YBC 7289 findet √ sich die kryptische Inschrift 1 24 51 10 in einem Bild für eine Strecke, welche die Länge 2 hat. Wir notieren dies als √ 2 = 1 24 51 10. 4 Die √ Zahlen auf der rechten Seite können als Ziffern einer Darstellung einer Zahl (hier also 2) im bei den Babyloniern üblichen Sexagesimalsystem interpretiert werden. Dieses mit unserem Dezimalsystem verwandte Stellenwertsystem benutzt die Basis 60 (eine Zahl mit vielen ganzzahligen Teilern, was Rechnungen vereinfacht), entsprechend berechnen wir 24 10 30 547 51 + 2+ 3 = 60 60 60 21 600 in Analogie zur Dezimalbruchentwicklung 1+ 1414 4 4 1 + 3. =1+ + 1000 10 102 10 √ Beide Ausdrücke stellen sehr gute rationale Näherungen an 2 bereit: √ 30 547 2− = 0, 00000 05994 . . . 21 600 bzw. √ 1414 = 0, 00021 35623 . . ., 2− 1000 allerdings liefert die alte babylonische Näherung bereits sechs (und damit √ doppelt so viele) Nachkommastellen, was eine doch bemerkenswerte Approximation an 2 ist. 1, 414 = Benutzte Quelle: Hans Wußing, 6000 Jahre Mathematik, Band 1, Springer 2008 (Kapitel 3.2) Lösungshinweis zu Aufgabe 3: Zu (i): In dem Bild tritt eine Art Dreieck“ insgesamt viermal auf, einmal im oberen und ” dreimal im unteren Teil. Dieses Dreieck“ besteht aus insgesamt n Etagen die mit den ersten ” ungeraden natürlichen Zahlen von 1 bis 2n − 1 durchnummeriert sind; dabei enthält die jte Etage genau j Punkte, die so angeordnet sind, dass insgesamt ein gleichschenkliges Dreieck“ ” entsteht. Im unteren Teil sind die drei Dreiecke“ derart zusammengefügt, dass das Dreieck ” aus dem oberen Teil durch die darauffolgenden ungeraden natürlichen Zahlen 2n + 1, 2n + 3 usw. bis 4n−1 für die Anzahl der jeweiligen Punkte in den jeweiligen 21 (4n−1−(2n−1)) = n Etagen fortgeführt wird. Aufgrund der Konstruktion treten im unteren Teil dreimal so viele Punkte wie im oberen Teil auf, was nach Abzählen der Punkte etagenweise auf die Formel 1 + 3 + . . . + (2n − 1) 1 = (2n + 1) + (2n + 3) + . . . + (4n − 1) 3 führt. Oberhalb des Bildes werden mit 1+3 1+3+5 1 = = 3 5+7 7 + 9 + 11 Beispiele für diese Formel für n = 1, 2, 3 gegeben. Zu (ii): Für den Induktionsbeweis formen wir die Formel äquivalent um zu 3 · 1 + 3 + . . . + (2n − 1) = 1 · (2n + 1) + (2n + 3) + . . . + (4n − 1) . Wir kürzen die linke bzw. die rechte Seite der Gleichung ab mit L(n) := 3 · 1 + 3 + . . . + (2n − 1) , R(n) := 1 · (2n + 1) + (2n + 3) + . . . + (4n − 1) , und haben also L(n) = R(n) für beliebiges n ∈ N zu zeigen. Dies bewiesen wir per vollständiger Induktion nach n: Induktionsanfang n = 1: Hier gilt R(1) = 3 · 1 = 3 und L(1) = 1 · 3 = 3, was mit R(1) übereinstimmt. 5 Induktionsschritt n 7→ n + 1: Es gelten L(n + 1) = 3 · 1 + 3 + . . . + (2n − 1) + (2n + 1) L(n) + 3 · (2n + 1), R(n + 1) = 1 · (2n + 3) + (2n + 5) + . . . + (4n − 1) + (4n + 1) + (4n + 3) = = R(n) −(2n + 1) + (4n + 1) + (4n + 3). Man beachte hier, dass beim Schritt von n 7→ n + 1 der Summand 2n + 1 von der rechten Seite zur linken wandert! Nach Induktionsannahme gilt L(n) = R(n), womit also L(n + 1) = R(n + 1) äquivalent zu 3 · (2n + 1) = (4n + 1) + (4n + 3) − (2n + 1) ist. Und diese Gleichung verifiziert sich durch Nachrechnen: 6n + 3 = 8n + 4 − (2n + 1). Damit gilt R(n + 1) = L(n + 1) und der Induktionsbewies ist abgeschlossen.