Was ist Dyskalkulie? Obwohl die Dyskalkulie noch nicht den Bekanntheitsgrad der Legasthenie erreicht hat und auch die Forschungsergebnisse hierzu noch recht jung sind, ist auch die Dyskalkulie eine international diagnostisch anerkannte Entwicklungsstörung, die im internationalen Klassifikationskatalog der Krankheiten der WHO (ICD-10) aufgenommen ist. Unter der Ziffer F81.2 wird eine Rechenstörung wie folgt definiert: „Diese Störung besteht in einer umschriebenen Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten, wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division...“ Die Definition von Ortner und Ortner lautet: „Rechenschwäche ist gekennzeichnet durch anhaltende Schwierigkeiten im Erfassen rechnerischer Sachverhalte, im Umgang mit Zahlen und in der Bewältigung von Rechentechniken...“ Von den meisten Autoren wird der Begriff synonym mit dem der Rechenschwäche und Rechenstörung verwendet. Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass Dyskalkulie von verschiedenen Autoren auch als Teilleistungsschwäche, Teilfunktionsstörung, Teilleistungsstörung, partielles Lernproblem oder multikausale Störung verstanden wird. Die Rechenleistung des Kindes muss eindeutig unterhalb des Niveaus liegen, welches aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Schulklasse zu erwarten ist. Die Rechenschwierigkeiten dürfen nicht wesentlich auf unangemessene Unterrichtung oder direkt auf Defizite im Sehen, Hören oder auf eine neurologische Störung zurückzuführen sein. Ebenso dürfen sie nicht als Folge irgendeiner neurologischen, psychiatrischen oder anderen Krankheit erworben worden sein. Nicht gleichgesetzt wird im allgemeinen der Begriff der Rechenschwierigkeiten, die zwar Ausdruck einer Rechenschwäche sind, doch nicht jedes Kind, das schlecht rechnet, hat eine Rechenschwäche. Ganz in diesem Sinne – und damit die genannten Probleme umgehend – kann „Rechenschwäche umgangssprachlich als „Bezeichnung für extreme Lernschwierigkeiten im Mathematikunterricht“ aufgefasst werden (Schulz, 19995).“ Welche Ursachen liegen zugrunde? Es gibt nicht die eine Ursache, die die Verantwortung für das Vorhandensein einer Rechenschwäche trägt. Vielmehr werden viele Faktoren als mögliche Ursachen angenommen, die selten isoliert eine Rechenschwäche bedingen, sondern in Wechselwirkung zueinander stehen. „Aufgrund von Forschungsergebnissen lässt sich heute feststellen, dass das Ursachengefüge für Rechenschwäche zumindest so komplex ist wie für LeseRechtschreibschwäche...“ (Lorenz/Radatz, 1986) Die möglichen Ursachen können nach primären und sekundären Ursachen eingeteilt werden (Schilling/Prochinig, 1995). Dabei werden unter primären Ursachen organische Bedingungen, d.h. Hirnleistungsschwächen verstanden, die genetisch bedingt oder erworben wurden. Unter sekundären Ursachen werden solche zusammengefasst, die nicht organisch bestimmt sind. Hier werden seelische und schulische Bedingungen angeführt. Ein einfaches Modell zur Entstehung gibt es nicht. Dies sollte man im Hinterkopf behalten, um etwaige Schuldzuweisungen zu vermeiden . Verschiedene Erklärungsansätze zur Entstehung von Dyskalkulie: 1. der entwicklungspsychologische Ansatz Diesem Ansatz liegt die Entwicklungspsychologie von Piaget zugrunde. Hiernach erfolgen der Aufbau und die Verinnerlichung von Zahlbegriffen und mathematischen Operationen in vier Phasen. a) 1. Phase: Handlung mit konkretem Material b) 2. Phase: Bildliche Darstellung c) 3. Phase: Symbolische Darstellung d) 4. Phase: Automatisierung im Symbolbereich Es kann nun passieren, dass eine Phase gestört wird – und somit die darauffolgenden Phasen nicht erreicht werden kann. Wenn ein Kind z.B. mit der abstrakten Darstellung von Zahlen und Operationen (dritte Phase) nicht zurechtkommt, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Automatisierung im Symbolbereich (vierte Stufe) versagen. Experiment von Radatz: Er ließ von Schülern zu Rechenoperationen oder Gleichungen Rechengeschichten erfinden und auch zeichnerisch darstellen. Er konnte feststellen, dass insbesondere bei schwachen Rechnern“...oft die Bindeglieder zwischen den einzelnen Repräsentationsebenen mathematischer Problemstellungen...“ fehlen. Er schreibt weiter: „Für rechenschwache Schuler existieren offensichtlich Klüfte, zwischen den konkreten Handlungen, den vermeintlichen Veranschaulichungen und der formalen Mathematik.“ Manche Kinder benötigen auch entwicklungsbedingt länger Veranschaulichungsmaterial und können die Stufen beim Aufbau und der Verinnerlichung mathematischer Operationen nicht so schnell wie andere „erleben, erfahren“. Auch hier kann aus anfänglichen Schwächen und Rückständen eine Dyskalkulie entstehen. 2. der neuropsychologische Ansatz Dieser Ansatz geht davon aus, dass Dyskalkulie eine Teilleistungsschwäche ist, also eine „umschriebene Entwicklungsstörung“ sehr unterschiedlicher Funktionen, die nicht dem sonstigen Entwicklungsstand des Kindes entspricht. Für das mathematische Lernen bedeutet dies, dass einer der vielen Bausteine, die hierfür benötigt werden, nicht so funktioniert, wie er eigentlich sollte bzw. dass er mit den anderen Bausteinen nicht richtig zusammenwirkt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es kein „Rechenzentrum“ im Gehirn gibt bzw. noch nicht lokalisiert wurde, sondern mathematische Leistungen durch das Zusammenspiel von Teilfunktionen verschiedener Rindenbereiche beider Hemisphären zustande kommen wie z.B. räumliche Orientierungsfähigkeit, auditive und visuelle Wahrnehmung, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Zusammenwirken von Wahrnehmung und Motorik und Gedächtnis. 3. Mängel beim rechnerischen Repertoire Mangelndes Verständnis des Kindes für Begriffe, Techniken oder Zusammenhänge Da die Mathematik lehrgangsorientiert aufgebaut ist und ihre Basiskenntnisse von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe größer werden, führen auch Lücken bzw. falsche Automatismen in den Vorkenntnissen zu Leistungsstörungen. Einer Statistik zufolge macht das Vorwissen in den Klassen 5 und 6 bereits 55% aus. Betrachtet man Schülerfehler genauer, so wird man in vielen Fällen feststellen, dass die Fehler nicht etwa willkürlich entstanden, sondern einer ganz bestimmten Regelstruktur unterliegen. Diese lassen sich durch detaillierte Fehleranalysen entdecken und die Bereiche aufzeigen, bei denen ein falsches oder fehlendes Grundverständnis von Seiten des Kindes über Rechenzeichen, Operationen – allgemein über mathematische Begriffe vorliegt. 4. Ursachen im sozialen Umfeld des Kindes bzw. in der Person des Kindes (Leistungsblockierungen, angstbedingte Konzentrationsstörungen, ungünstiges Selbstkonzept) 5. schulische Ursachen (Lücken in den Basisoperationen) Häufiger Lehrerwechsel in den ersten Grundschulklassen und damit verbunden häufigen Wechsel von Unterrichtsmethoden wirken sich zumindest negativ für schwache Rechner aus (Verwirrung im Kopf) und begünstigen das Entstehen einer Rechenschwäche. 6. Wahrnehmungsstörungen Schwarz setzt folgende Wahrnehmungsstörungen in Beziehung zu mathematischen Leistungen: Störung der taktil-kinästhetischen Wahrnehmung, Störung der vestibulären Wahrnehmung und Störung der visuellen in Verbindung mit der kinästhetischen und taktilen Wahrnehmung (visuomotorische Koordination, Figur - Grund - Wahrnehmung, Raum – Lage – Wahrnehmung) Etwa ein Drittel der rechenschwachen Kinder zeigen Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen und bei mindestens einem weiteren Drittel bestehen Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung. Wie erkennt man eine Rechenstörung? Symptome und Erscheinungsbild Die ersten Symptome für eine mögliche Rechenschwäche können sich schon im frühen Kindesalter zeigen, besonders, wenn die Ursache in Wahrnehmungsstörungen liegt. Ich möchte auf die Symptome eingehen, die sich zeigen, wenn das Kind in die Schule kommt. Dabei ist es jedoch möglich, dass sich Schwierigkeiten in Mathematik nicht gleich zu Beginn der Schulzeit bemerkbar machen, weil Kinder oft effektive Kompensationsstrategien entwickeln. Solche Kompensationsstrategien können sein: zählendes Rechnen, veränderte Schreibweise der Rechenaufgabe (heimlich untereinander) oder das Auswendiglernen von Aufgaben (Schwarz, 1999). Allgemein ist festzustellen, dass rechenschwache Kinder keine spezifischen Fehler machen. Fehler treten immer dann auf, wenn neue mathematische Inhalte erlernt werden. Sie sind unvermeidbare Bestandteile des Lernprozesses. „Schüler mit Rechenschwäche zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie andere Fehler als ihre Mitschüler machen, vielmehr spielen Häufigkeit, Vielfalt der Fehlertypen und Hartnäckigkeit eine entscheidende Rolle.“ (Schulz, 1995, zit. bei Thiel 2001) Im folgenden werde ich häufig gemachte Rechenfehler auflisten. Die Gliederung und die meisten Elemente habe ich weitgehend von Schwarz (1999) übernommen und durch eigene Beobachtungen und Erfahrungen ergänzt: Mengen- und Zahlvorstellung - 1:1-Zuordnung, d.h. ein Gegenstand wird nicht mit einer Zahl gleichgesetzt: 5 Gegenstände, aber das Kind zählt nicht bis 5 - Kind muss Mengen anfassen beim Zählen, um Anzahl nennen zu können. - keine klare Mengenvorstellung (Menge kann nicht gedacht werden). - Kodierungsschwierigkeiten (Übersetzung von Zahlwort – – Ziffer entsprechende Mengenrepräsentation gelingt nicht) - Mengen im Zahlenraum bis 4 oder 5 können nicht simultan erfasst werden. - Ebenso können Zahlen und Mengen im Bereich bis 10 nicht gegliedert abgerufen oder zerlegt werden. - Partnerzahlen (Ergänzungszahlen zur 10) werden nicht spontan gefunden: 5/5; 6/4; 3/7; - Die Kardinalzahl wird benutzt, ohne mit der Menge, die sie darstellt, in Verbindung gebracht zu werden. Es fehlt die Vorstellung von der Mächtigkeit. Zahlenschreiben und Zahlenlesen - Zahlen und Symbole werden falsch abgeschrieben (Ortner/Ortner, 1995) - Einzelne Ziffern werden seitenverkehrt geschrieben: aus 3 wird E - Zahlen werden verdreht: aus 32 wird 23 (Schreibung richtet sich nach der Sprechweise. - Zahlen werden lautgetreu geschrieben: 800090011 statt 8911. - Zahlen, die sich in der Form ähneln, werden verwechselt: 9/6; 8/3; 6/8. - Schwierigkeiten beim Zuordnen von Zahlwörtern zu vorgegebenen Zahlen Zahlenreihe - In schweren Fällen werden bereits Fehler beim Vorwärtszählen gemacht, besonders aber beim Rückwärtszählen. - Das Weiterzählen ab einer zweistelligen Zahl ist nicht möglich - Vorgänger und Nachfolger – besonders von zwei- oder mehrstelligen Zahlen – sind nicht bestimmbar. - Zahlenstrahl wird nicht verstanden und kann daher auch nicht genutzt werden. - Schwierigkeiten beim Vergleichen und in Beziehung setzen von Mengen und Zahlen - Zahlen werden benutzt, ohne mit der Position im Zahlenraum verknüpft zu werden. Stellenwertsystem - Die Bestimmung von Nachbarzahlen fällt Überschreitung des Zehners oder Hunderters). schwer (besonders bei - Der Zehner-, Hunderter-, Tausenderübergang macht Probleme (möglicher Fehler: 199 + 1 = 1000) - Keine Einsicht in das Dezimalsystem mit seinen Stellenwerten (Zehnerbündelung und Einer,...) - Jede Ziffer wird gleich behandelt, egal, an welcher Stelle sie steht. - Rechenschwache Schüler sind nicht in der Lage, das Zehnersystem als Ordnungsprinzip zu erkennen und anzuwenden. - Mit Ziffern verschiedener Stellenwerte wird rein willkürlich gerechnet; dies ist Ausdruck einer Verzweiflungsstrategie. - Das Rechnen mit der Null führt zu vielen Fehlern. Die Null wird mit „nichts“ gleichgesetzt entsprechend der umgangssprachlichen Bedeutung. Die Null als Leerstelle oder Platzhalter wird nicht verstanden. Schwierigkeiten im Umgang mit Rechenoperationen - Kind verrechnet sich häufig um 1. - Vertauschung der Rechenzeichen, kein Verständnis der Rechenoperationen - Schwierigkeiten bei Platzhalteraufgaben - Kind kann keine Ergebnisse abschätzen. - Schwierigkeiten mit der Null als Ziffer und Zahl - zählendes Operieren: Kind kann sich beim Rechnen nicht von den Fingern lösen. - Klammern an konkrete Zählhilfen, Kind kann Aufgaben nur zählend bewältigen. - „Klappfehler“ (Wechsel der Rechenrichtung beim Zehnerübergang, z.B. 62 – 7 = 65, weil 62 – 2 = 60, 60 + 5 = 65) Schwierigkeiten beim Einmaleins - Kind zählt die Einmaleinsreihen (5, 10, 15, 20,...) immer wieder von „unten“ hoch, unter anderem mit Hilfe der Finger. - Keine Sicherheit im Einmaleins trotz ständigem Üben Schwierigkeiten beim Lösen von Sachaufgaben - Textinhalte können nur wörtlich wiedergegeben oder nochmals vorgelesen werden. - Situationen werden nicht erfasst und können nicht in mathematische Operationen umgesetzt werden. - Zahlen werden willkürlich kombiniert und in beliebige Operationen umgesetzt - Unfähigkeit zum Überschlagen, Schätzen - Duldung widersprüchlicher Ergebnisse nebeneinander - Kein Verständnis für Mengen, Größen, Zahlen und mathematische Operationen Weitere Schwierigkeiten - Kind benötigt unverhältnismäßig viel Zeit. - Nur Aufgaben des gleichen Typs können (schematisch) abgearbeitet werden, ein Wechsel in ähnliche Strukturen ist nicht möglich. - Strategien, die die Kinder bei mathematischen Problemen anwenden, erweisen sich als wenig hilfreich, sind umständlich, zeitaufwendig und verursachen neue Schwierigkeiten. - Das Verinnerlichen von mathematischen Operationen gelingt schwer, so dass die Kinder auf Material und begleitendes Sprechen angewiesen sind und bleiben. - Verhaftetbleiben am zählenden Rechnen (häufig mit den Fingern) Massive Lernschwierigkeiten in Mathematik scheinen in hohem Maße mit zählenden Strategien der Zahlauffassung und –darstellung korreliert zu sein (80 – 90 % der Kinder mit Rechenschwäche sind manifeste Zähler, auch noch im 3., 4., ja sogar im 5. Schuljahr.) Ein großes Problem ist das fehlende Vorstellungsvermögen (Ortner/Ortner, 1995)! Die Kinder können nur über konkretes Handeln (z.B. mit Fingern rechnen) zu Lösungen kommen. In diesem Zusammenhang wird auch vom Konkretismus gesprochen (Grissemann, 2000). Dies war eine Aufzählung der primären Symptome, also der Schwierigkeiten beim Rechnen, durch die sich Rechenschwäche bemerkbar machen kann. Neben dieser Primärsymptomatik treten innerhalb des Teufelskreises Lernstörung (Betz/Breuninger) nach einem gewissen Zeitraum sekundäre Symptome auf. Dabei handelt es sich nicht um „dyskalkuliespezifische“ Symptome, sondern um Auffälligkeiten, die auch in Zusammenhang mit anderen Lernschwierigkeiten und/oder sonstigen Problemen auftreten können. Die häufigsten Sekundärsymptome der Dyskalkulie nach Erfahrung von Ramacher-Faasen sind: - Konzentrationsstörungen - starke Ablenkbarkeit - Vermeidungsverhalten - Nervosität - Wutausbrüche und/oder Aggressivität - psychosomatische Beschwerden (Bauch-, Kopfschmerzen, Übelkeit, Einnässen usw.) - leichte Ermüdbarkeit, kein Durchhaltevermögen - Anpassungsprobleme (z.B. in der Schule) - Schulunlust/Schulangst - mangelndes Selbstwertgefühl - Introvertiertheit (Kind zieht sich zurück) - Kontaktprobleme mit Gleichaltrigen - „Klassenkasper“ spielen Wie wird eine Rechenschwäche festgestellt? Produktives Üben braucht fundierte Diagnostik Bei Verdacht einer Rechenstörung muss zunächst eine fundierte Diagnostik erfolgen, die das Ausmaß und die Tiefe des Problems zeigt, Stärken und Schwächen darstellt und die allgemeine Leistungsfähigkeit dies Kindes beschreibt. Grundlage einer gezielten Förderung ist die Feststellung des sachstrukturellen Entwicklungsstandes mithilfe einer individuellen Fehleranalyse. Der Grundsatz „Fehler vermeiden ist besser als Fehler korrigieren“ führte jahrelang zu einer Tabuisierung des Fehlers. Eine Auseinandersetzung mit dem Fehler fand und findet meist in der Form statt, dass - die Ergebnisse verbessert werden, d. h. die richtigen Ergebnisse werden mitgeschrieben, - fehlerhafte Aufgaben neu zu berechnen sind, - bei fehlerhaften Aufgaben Musterlösungen ins Heft übernommen werden. Informelle Diagnostik des Leistungsstandes Viele Lehrerhandbücher bieten den Lehrkräften inzwischen prozessorientierte Lernbeobachtungsbögen an. Zweckmäßigerweise wird man bei der informellen Leistungsprüfung eines rechenschwachen Kindes mit den Aufgaben ein Jahr unterhalb der aktuellen Klassenstufe beginnen. Dabei sollte soweit „zurückgegangen“ werden, bis die letzten gesicherten Kenntnisse in der Mathematik sichtbar werden. Dies macht erforderlich, zuweilen bis in den pränumerischen und basalen Bereich zurückzugehen. Pränumerische und basale Diagnostik Der basale und pränumerische Bereich erscheint dabei als wichtig, da bei vielen Schülern mit Rechenschwächen Defizite in diesem Bereich festzustellen sind. Im pränumerischen Bereich werden folgende Leistungen geprüft: Verständnis für Mengen und Teilmengen (z.B. alle keinen und roten Steine), Unterscheiden von Merkmalen Bilden von Reihen aus Bausteinen oder Stäben (Ordnen nach der Größe), Verständnis von mathematischen Begriffen mithilfe von Material (z.B. größer kleiner, mehr – weniger - am meisten, lang - kurz), Orientierung in der Zeit (Verständnis von Dimension vorher – jetzt – nachher, gestern – heute – morgen, früher – später, usw. ) Mengenauffassung, Lateralität, Menge-Ziffer-Zahlwort-Zuordnung, Invarianz der Menge, Eins-zu-Eins-Zuordnung von konkreten Dingen, Zählen, konkretes Verständnis der Operationen Addition und Subtraktion. Im basalen Bereichen wird in folgenden Bereichen ein Diagnostik durchgeführt: z.B. taktil-kinästhetische Wahrnehmung, Körperschema, Lateralität, Grobmotorik, Feinmotorik, akustische visuelle Wahrnehmung, Fähigkeiten, auditive Raumlage, Raumorientierung, Wahrnehmung, Serialität, verbal- intermodale Verknüpfungen, Sprache, Merkfähigkeit, Konzentration,... Standardisierte Rechentests Testverfahren zur Dyskalkulie (ZAREKI, 2001) von Michael von Aster Neuropsychologische Testbatterie für Zahlenverarbeitung und Rechnen bei Kindern (2001, Swets & Zeitlinger, Swets Test Services GmbH, Frankfurt am Main) Einsatzbereich: 7,5 Jahre bis 11 Jahre, Einzeltest, 15 – 30 Minuten Verfahren: Ziel des Tests ist es, mit diesem Verfahren qualitative und quantitative Einblicke in wesentliche Aspekte der Zahlenverarbeitung und des Rechnens bei Grundschulkindern zu ermöglichen. Subtests: Abzählen, Zählen rückwärts mündlich, Zahlen schreiben, Kopfrechnen, Zahlen lesen, Anordnen von Zahlen auf einem Zahlenstrahl, Zahlenvergleich (Worte), perzeptive Mengenbeurteilung, kognitive (kontextuelle) Mengenbeschreibung, Textaufgaben (Blatt 1 und 2), Zahlenvergleich). DEMAT 1+ (Deutscher Mathematiktest für erste Klasse, 2002) von K. Krajewski, P. Küspert, W. Schneider und unter Mitarbeit von M. Visé Einsatzbereich: Ende 1. Klasse und Anfang 2. Klasse, Gruppentest mit zwei Parallelformen (40 Minuten), Einzeltest (20 –25 Minuten) Ziel: Ökonomische Erfassung der Rechenleistung einer gesamten Schulklasse. Es wird ferner ermöglicht, zu einem frühen Zeitpunkt leistungsschwächere Schüler im Klasenverband zu identifizieren. Da der DEMAT 1+ besonders gut im unteren Leistungsbereich differenziert, ist er gut einsetzbar zur frühzeitigen Diagnose einer Rechenschwäche. Dem Aufbau beider Tests liegen die Lehrpläne aller deutschen Bundesländer zu Grunde. Der Test enthält neun Inhaltsschwerpunkte der ersten Grundschulklasse, die durch die Subtests Mengen-Zahlen, Zahlenraum, Addition und Subtraktion, Zahlzerlegung –Zahlenergänzung, Teil-Ganzes-Schema, Kettenaufgaben, Ungleichungen und Sachaufgaben abgedeckt werden. DEMAT 2+ (Deutscher Mathematiktest für zweite Klassen, 2002) Die Voruntersuchungen sind abgeschlossen, so dass die Normierung des Testverfahrens im Oktober 2001 beginnen konnte und im Jahr 2002 abgeschlossen wurde. Einsatzbereich: Ende 2. Klasse und Anfang 3. Klasse, Gruppentest mit zwei Parallelformen (40 Minuten), Einzeltest (20 – 25 Minuten) Ziel: Überprüfung der mathematischen Kompetenz von Grundschülern auf die Diagnose einer Rechenschwäche Der Test enthält neun Inhaltsbereiche der zweiten Grundschulklasse, die durch die Subtests Zahleneigenschaften, Längen, Addition/Subtraktion, Multiplikation, Division, Geld, Geometrie und Sachaufgaben abgedeckt werden. Vorhersage von Rechenschwäche in der Grundschule In den letzten Jahren wurden viele Studien zur Entwicklung des Schriftspracherwerbs durchgeführt, wobei Schreibenlernen bedeutende erforscht wurden Faktoren für gelingendes (Untersuchungen zur Lesen und phonologischen Bewusstheit). Im Gegensatz dazu wurde in der bisherigen Forschung der Entwicklung mathematischer Kompetenzen wenig Bedeutung beigemessen. Im März 1999 wurde eine Längsstudie durchgeführt, die zum Ziel hatte, geeignete Vorhersagen zu finden, mit denen man schon im letzten Kindergartenjahr den Erfolg eines Kindes im Mathematikunterricht der Grundschule hinreichend gut vorhersagen kann. Untersuchungen wurden hinsichtlich verschiedener kognitiver, vor allem zahlenrelevanter Fähigkeiten angestellt. Als Ergebnis dieser Untersuchung kam im Juli 2000 der „Deutsche Mathematiktest für erste Klassen (DEMAT 1+)“ zum Einsatz und ein Jahr später der DEMAT 2+. Es zeigte sich, dass das schon vor der Einschulung vorhandene mengen- und zahlbezogene Vorwissen einen ganz entscheidenden Faktor darstellt, wie gut ein Kind in der ersten und zweiten Klasse den Stoff des Mathematikunterrichts beherrschen wird. Folgendes Vorwissen ist von entscheidender Bedeutung: - Fähigkeit zur Seriation (ein Element in eine vorgegebene Reihe einordnen) - Mengenvergleich (erkennen, dass die Anzahl einer Menge nicht durch deren räumliche Ausdehnung gekennzeichnet ist) - Zahlenwissen (wie die Kenntnis der Zahlbilder bis 10 und das Zuordnen von Zahlbildern zu akustisch vorgegebenen Zahlen im Zahlenraum bis 20) - Zählfertigkeiten (wie vorwärts und rückwärts zählen, Vorgänger und Nachfolger von Zahlen bestimmen) - Erste Rechenfertigkeiten im Umgang mit konkretem Material Die Ergebnisse dieser fünf im Kindergarten erfassten Fertigkeiten zeigten ein bzw. zwei Jahre später mehr Vorhersagekraft in den Mathematikleistungen der Kinder als die Intelligenz. Sie erwiesen sich als spezifische Prädiktoren der Mathematikleistung. (Untersuchung und Forschung von Dipl.-Psych. Kristin Krajewski, Uni Würzburg, Lehrstuhl für Psychologie) Von „echten“ und „falschen“ Fehlern (qualitative Fehleranalyse) Fehler als Ausgangspunkt für Förderung Fehler werden im System Schule in aller Regel als etwas Negatives abgewertet, mit dem Versagen und Unzulänglichkeit einhergehen. Seit der „kognitiven Wende“ in der Lernpsychologie und dem dadurch veränderten Bild vom Lernen werden Fehler nicht mehr ausschließlich als Minderleistung gegenüber der Norm gesehen, sondern werden auch als Bestandteil entdeckender Lernprozesse interpretiert. Mechthild Dehn (1987): „Fehler sind nicht bloß Fehler, sondern sie geben Einblick in die geistige Arbeit des Kindes bei fortschreitender Aneignung des Rechnens.“ Meist handelt es sich bei Fehlern eben nicht um Flüchtigkeitsfehler, sondern um subjektive Lösungsstrategien, die dem Kind zum augenblicklichen Zeitpunkt zur Verfügung stehen, um eine mathematische Aufgabenstellung zu bearbeiten. So gesehen sind Fehler ein notwendiges Zwischenstadium im Aneignungsprozess mathematischer Gesetzmäßigkeiten. Rechenschwache Kinder verharren oft hartnäckig auf selbstgewählte Lösungsstrategien („Verzweiflungsstrategien“). „Falsche Fehler“ – oder Fehler die eigentlich gar keine sind Kinder lösen neue Aufgabenstellungen zunächst immer auf der Basis ihres bisher erworbenen Wissens, auf ihrer momentanen Entwicklungsstufe. Hierbei unterlaufen Fehler, die natürlich nicht im Sinne von „Minderleistung“ betrachtet werden dürfen, sondern „als naturgemäß zu betrachten und gewissermaßen recht sind“ (Goethe). Beim Aneignen mathematischen Wissens und Könnens befinden sich Lernende auf dem Weg von der singulären zur regulären Mathematik, also vom „so mach ich das“ zum „so macht man das“ (R. Dolenc). „Falsche Fehler“ sind somit Bestandteil des Lernprozesses und aus einem intelligenten Umgang mit ihnen wird man klug. „Richtige Fehler“ – und der Umgang damit Rechenschwache Schüler unterscheiden sich qualitativ in der Regel nicht von ihren Mitschülern, sondern sind häufig nur langsamere Lerner. „Wir lernen von den Kinder, die von uns am wenigsten lernen häufig am meisten. An ihnen ist zu beobachten, welche didaktisch–methodische Entscheidungen im Unterricht zu Fehlern führen.“ (R. Dolenc) „Fehler im Sinne von „Minderleistung gegenüber der Norm“ können erst gemacht werden, wenn Zusammenhänge und Regeln bekannt sind, aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht berücksichtigt oder eingehalten werden. Nur wer nichts weiß oder kann macht keine Fehler.“ (Jobst/Erni/Schmassmann) Fehleranalyse Oft ist die rein produktorientierte Fehleranalyse (nur am Ergebnis bzw. an der Anzahl der Fehlern orientiert) wenig aufschlussreich. Tiefere und eindeutigere Hinweise auf subjektive Lösungswege ermöglicht das prozessorientiertes Vorgehen bzw. eine qualitative Fehleranalyse (z.B. nach Storath). Fehler sind selten zufälliger Natur, werden meist systematisch begangen, machen in der ihnen zugrundeliegenden Systematik durchaus Sinn und sind oft sehr regelstabil. 70 – 80 % aller vorkommenden mathematischen Fehler sind durch stabile Fehlstrategien erklärbar. Aufgabe der Fehleranalyse ist es, das Denken der Kinder zu verstehen , es zu respektieren und daraus Konsequenzen für die unterrichtliche Arbeit zu ziehen (nach R. Dolenc: Mit Fehlern muss gerechnet werden). Bewährt hat sich die Methode des „handlungsbegleitenden Sprechens“, bei der das Kind beim Rechnen mitspricht, sein Tun kommentiert. Durch dieses Vorgehen gewinnt der Lehrer Einblick in die individuellen, meist recht „kreativen“ Denkweisen und Lösungsversuche des Schülers, die sich oft erheblich von den erwachsenentypischen Strategien unterscheiden. Fehlerarten: - Plus-Minus-Eins-Fehler (Verrechnen um 1, da die Kinder abzählen) - Falsches Ergebnis bei Aufgaben mit Zehnerübergang (2. Zahl wird falsch zerlegt oder es wird weiter- bzw. zurückgezählt) - Fehler mit „Null-Zahlen“ (Beispiel: 16 + 0 = 0; 0 + 10 = 0; 60 – 21 = 40 usw.) - Klappfehler (Beispiel: 12 – 9 = 17; 12 – 2 = 10; 10 + 7 = 17) - Stellenwertfehler durch isoliertes Betrachten der Stellenwerte (E zu Z gezählt) - Perseverationsfehler (Kind vollzieht den ersten Denkschritt richtig, beim zweiten wird dann aber eine der Zahlen einfach übernommen.) Perseverationsfehler treten bei glatten Zehnerzahlen gehäuft auf, z. B. 70 – 6 = 74) - Ziffernvertauschung (anstelle 32 wird 23 geschrieben, Stellenwertschreibweise nicht verstanden) - Zehnerüberschreitung bzw. –unterschreitung wird in der Notation nicht berücksichtigt (z. B. 28 + 7 = 25; 76 + 15 = 81) - Richtungsfehler (Verwechseln von + und -) - Aneinanderfügen der Ziffern (anstelle von 107 wird 1007 geschrieben, keine Einsicht in die Ordnung und Struktur des Dezimalsystems) - Falscher Strategie-Transfer - usw. Zur besonderen Problematik von zählendem Rechnen Zählendes Rechnen darf nicht die einzige Lösungsstrategie bleiben, weil - es nur Einzelfakten liefert, die dem Gedächtnis schnell wieder verloren gehen, da sie nicht in ein Beziehungsgeflecht eingebettet sind; - es viel Zeit kostet; - es das Erlernen von komplexen Inhalten erschwert. Woran kann man zählendes Rechnen erkennen? - Kinder benutzen Finger - Ergebnisse weichen häufig um 1 vom richtigen Ergebnis ab - Ergebnisse von Basisfakten sind nicht rasch genug abrufbar Ursachen für das „Steckenbleiben“ am zählenden Rechnen - Defizite bei der gliedernden Mengenauffassung - fehlende Vernetzungsstrategien Hinweise zum methodischen Vorgehen - Training der Simultanerfassung (Erfassen der Mächtigkeit von Mengen ohne Zählen) - Abrufbarkeit aller Zahlzerlegungen bis 10/ Wissen, wie viel bis 10 fehlt - Verfügbarkeit des kleinen Einspluseins und Einsminuseins durch das Anwenden von Ableitungsstrategien (Kernaufgaben, Nachbaraufgaben, Tauschaufgaben, Umkehraufgaben, Verdoppeln plus 1/ Verdoppeln minus 1) Zum Tragen kommen folgende Grundsätze produktiven Übens für Schüler mit Lernschwächen Kein ständiger Wechsel der Veranschaulichungsmittel Die Folgerung für ein Fördern und Differenzieren im Mathematikunterricht kann nicht ein „Mehr“ an Materialien bzw. an Darstellungen bedeuten, sondern ein bewusstes Auswählen und Einsetzen unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen der Schüler. Über tatsächliches Begreifen gelangt das Kind zur mathematischen Begriffsbildung Prozessorientierte Förderung setzt an der Stelle an, an der sich das Kind noch kompetent fühlt. So können vorhandene Ressourcen genützt und Erfolgserlebnisse aufgebaut werden. Abstraktionsprozess nicht durch zu frühen Verzicht auf Material stören. Es empfiehlt sich , das Material so lange in der Hand der Kinder zu lassen, bis sie es von selbst beiseite legen, d.h. nicht mehr benötigen. Dazu Lorenz: „Die visuellen Vorstellungsbilder entwickeln sich in der Altersstufe der Grundschüler auf der Basis von selbstausgeführten Handlungen, selten durch stellvertretend ausgeführte, beobachtete Handlungen.“ „Etwas zu verstehen, heißt immer auch, sich ein Bild von einer Sache zu machen.“ (Lorenz) Ein Hauptproblem rechenschwacher Schüler besteht in der Störung des intermodalen Transfers, d.h. zwischen konkreter und symbolischer Stufe wird keine Verbindung hergestellt. Von daher ist der Wechsel innerhalb der Operationsebenen ist sinnvoll. Verknüpfung von konkreter Handlung und Rechenoperation müssen immer wieder und ganz eng miteinander verzahnt werden, damit Kinder ihren Zusammenhang begreifen. Hier sollte konkretes Tun stufenweise in Notation umgesetzt werden, Handeln und Schreiben erfolgen parallel. Zu einer gelegten bzw. dargestellten „Plättchenkonstellation“ (z. B. mit Wendeplättchen) möglichst viele Aufgaben legen und aufschreiben (Plusaufgabe, Tauchaufgabe, Umkehraufgabe, zahlreiche Zerlegungsaufgaben, usw.). Der innere Zusammenhang zwischen drei Zahlen muss verstanden werden. Eingehen auf die Zähltechniken der Kinder und allmähliches behutsames Ablösen über geeignetes Fördermaterial (z.B. Perlenkette bis 20 mit einer Fünferunterteilung) Abgrenzung von Fördermaterial zu Übungsmaterial Das Streben nach kindgemäßen Formen der Unterrichtsgestaltung, wie z. B. Freiarbeit, führte zu einer verwirrenden „Materialflut“. Im Unterricht mit rechenschwachen Kindern sind besonders Materialien auszuwählen, die Einsichten in arithmetische und geometrische Strukturen erleichtern. Zum Gewinnen und Abstrahieren mathematischer Begriffe und Erkenntnisse sind Handlungen an und mit mathematisch strukturierten Materialien günstig, bei denen nichts Nebensächliches vom Lerninhalt ablenkt. Im Gegensatz zu Übungsmaterialien (Rechenpuzzles, Klammerkarten, Dominos,...) ermöglichen Fördermaterialien (Entwicklungsmaterialien) die aktive, handelnde Auseinandersetzung mit dem Lernstoff und helfen dem Kind, eindeutige Vorstellungsbilder mathematischen Handelns aufzubauen. Erst wenn bei rechenschwachen Schülern Handlungsvorstellungen gebildet und so der Weg zur Abstraktion geebnet ist, sollte Übungsmaterial zum Einsatz kommen. Ein Rechenpuzzle etwa erzeugt keine Grundvorstellung für den Umgang mit Zahlen und Strukturen. Materialkriterien - Liefert das Material Grundmuster (Grundvorstellungen) für mathematisches Denken? Werden mit dem Material Handlungen ausgeführt, aus denen dann prototypische Vorstellungsbilder für arithmetische Operationen abgeleitet werden können? - Hat das Material eine eindeutig mathematische Struktur (in der Regel eine Fünfer-/Zehner-Struktur)? - Gibt es weiterführendes Material für größere Zahlenräume? Gibt es zu dem Material strukturgleiche Fortsetzungen für das Rechnen im Zahlenraum bis 100/1000? - Ist das Material vielseitig einsetzbar und erlaubt es dem Kind, eigene Strategien und Lösungswege zu entwickeln? - Ermöglicht es einen fließenden Übergang von der konkreten Ebene, über die zeichnerische Darstellung bis hin zur symbolischen? - Ist das Material „be-greifbar“ d.h. dreidimensional? - Unterstützt das Material die Ablösung vom zählenden Rechnen? - Erlaubt das Material quasi-simultane Mengenauffassung und Zahldarstellung bis 10 bzw. 20? Produktives Üben in der Kleingruppe/im Förderunterricht Förderunterricht muss anders aufgebaut sein als der reguläre Klassenunterricht. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist von entscheidender Bedeutung. Der Beziehungsaufbau muss also in der Anfangsphase im Mittelpunkt stehen. Die Schüler haben häufig eine Versagenskarriere in Mathematik hinter sich mit der Folge von Ausweichen oder Verweigern. Ein Förderunterricht darf also nicht an der gleichen Stelle ansetzen. Möglicherweise muss in der ersten Zeit völlig losgelöst von Mathematik gearbeitet werden. Dabei ist zuerst auf Erfolg in der Förderung zu achten, und der Schüler dort abzuholen, wo er im Moment steht (optimale Passung). Das Kind muss den Lernstoff noch gewachsen sein. Dies baut Selbstwertgefühl und Motivation auf (Bereiche, die bei Schülern im „fortgeschrittenen“ Stadium von Rechenschwierigkeiten immer betroffen sind.) Förderunterricht in Mathematik ist keine Nachhilfe im herkömmlichen Sinne. Er soll die Gelegenheit bieten, einmal völlig anders anzusetzen und zu arbeiten, sowohl aus der Sicht des Lehrers als auch des rechenschwachen Kindes. Sechs Grundsätze: - Diagnosegeleitetes Vorgehen Ausgangspunkt produktiven Übens stellt eine genaue Diagnostik dar. Dabei ist neben der genauen Fehleranalyse, auch die Einschätzung der Grundlagen des Lernens (basale und pränumerische Lernvoraussetzungen, Lern- und Arbeitsverhalten) zu beachten. - Individualisierendes Vorgehen Selbst die Kleingruppe ist eine heterogene Gruppe. Jeder Schüler erhält Angebote zu seinen speziellen Förderschwerpunkt - Besondere Organisationsform Verschiedene kindgemäße Organisationsformen sind aufgrund der Kleingruppenstruktur möglich. Mathematik in der Natur, Turnhalle, „bewegte“ Mathematik, konkrete Mathematik: Einkaufen auf dem Wochenmarkt... - Zielorientierung Ziele auf verschiedenen Ebenen werden formuliert und laufend überprüft. Das Ziel „der Schüler soll rechnen lernen“ ist kein angemessenes Ziel für einen Förderunterricht. - Ganzheitlichkeit Da Fördern eine umfassende pädagogische Tätigkeit ist und mehr als nur die rein mathematischen Bereiche umfasst, muss das Kind mit all seinen Stärken und Möglichkeiten im Mittelpunkt stehen. Es muss sich trotz seiner Defizite emotional angenommen fühlen, unabhängig von seinen Leistungen. - Material- und Handlungsorientierung Entsprechend der Entwicklung der mathematischen Fähigkeiten über die Beschäftigung mit Material, steht dieses Vorgehen im Zentrum den Förderunterrichts. Grundsätze produktiven Übens für Schüler mit Lernschwächen aufgezeigt an Beispielen - zur visuellen Wahrnehmungsförderung und des räumlichen Vorstellungsvermögens - zur Raumlage und Lateralität - zum Mengen- und Zahlbegriff - zur Zahlzerlegung - zum Zehnerübergang - zur Orientierung im Hunderterraum - zum Einmaleins Ausgewählte Literatur: - Rechenstörungen Diagnose – Förderung – Materialien, Akademie für Lehrerfortbildung, Auer-Verlag, Donauwörth,1995 - Rechenschwäche Unterrichtspraktische Förderung, Akademiebericht Nr. 309, zu beziehen über die Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen/Donau - Schulleistungsdiagnostik von Storath, R., Wolf – Verlag, Regensburg - Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht von Lorenz J. H., Hannover, 1993 - Rechenschwäche erkennen und behandeln von Milz I., Dortmund, 1993 - Lehrerband zum „Zahlenzauber 2“, Oldenbourg - Verlag, 2001 - Lehrerband zum „Das Zahlenbuch – Mathematik im 1. Schuljahr“, Ernst Klett Grundschulverlag, Leipzig, 2001 - Lehrerband zum „Denken und Rechnen 2“, Westermann Verlag, Braunschweig - Fördern im Mathematikunterricht Was kann ich tun? Ernst Klett Verlag, Berlin 1994 - Dyskalkulie – Wenn Zahlen zum Albtraum werden, Landesverband Legasthenie Bayern e.V. (http://www.dyskalkuliker.de) - Leichtsinnsfehler oder Rechenschwäche v. H. Leutenbauer, Care-LineVerlag, 82062 Neuried