Was ist Dyskalkulie - Lehrstuhl für Mathematik und ihre Didaktik

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Was ist Dyskalkulie?
Obwohl die Dyskalkulie noch nicht den Bekanntheitsgrad der Legasthenie erreicht
hat und auch die Forschungsergebnisse hierzu noch recht jung sind, ist auch die
Dyskalkulie eine international diagnostisch anerkannte Entwicklungsstörung, die im
internationalen
Klassifikationskatalog
der
Krankheiten
der
WHO
(ICD-10)
aufgenommen ist.
Unter der Ziffer F81.2 wird eine Rechenstörung wie folgt definiert:
„Diese Störung besteht in einer umschriebenen Beeinträchtigung von
Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung
oder eine unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft vor
allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten, wie Addition,
Subtraktion, Multiplikation und Division...“
Die Definition von Ortner und Ortner lautet:
„Rechenschwäche ist gekennzeichnet durch anhaltende Schwierigkeiten im
Erfassen rechnerischer Sachverhalte, im Umgang mit Zahlen und in der
Bewältigung von Rechentechniken...“
Von den meisten Autoren wird der Begriff synonym mit dem der Rechenschwäche
und Rechenstörung verwendet.
Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass Dyskalkulie von verschiedenen Autoren
auch als Teilleistungsschwäche, Teilfunktionsstörung, Teilleistungsstörung, partielles
Lernproblem oder multikausale Störung verstanden wird.
Die Rechenleistung des Kindes muss eindeutig unterhalb des Niveaus liegen,
welches aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Schulklasse zu
erwarten ist. Die Rechenschwierigkeiten dürfen nicht wesentlich auf unangemessene
Unterrichtung oder direkt auf Defizite im Sehen, Hören oder auf eine neurologische
Störung zurückzuführen sein. Ebenso dürfen sie nicht als Folge irgendeiner
neurologischen, psychiatrischen oder anderen Krankheit erworben worden sein.
Nicht gleichgesetzt wird im allgemeinen der Begriff der Rechenschwierigkeiten, die
zwar Ausdruck einer Rechenschwäche sind, doch nicht jedes Kind, das schlecht
rechnet, hat eine Rechenschwäche.
Ganz in diesem Sinne – und damit die genannten Probleme umgehend – kann
„Rechenschwäche
umgangssprachlich
als
„Bezeichnung
für
extreme
Lernschwierigkeiten im Mathematikunterricht“ aufgefasst werden (Schulz, 19995).“
Welche Ursachen liegen zugrunde?
Es gibt nicht die eine Ursache, die die Verantwortung für das Vorhandensein einer
Rechenschwäche trägt.
Vielmehr werden viele Faktoren als mögliche Ursachen angenommen, die selten
isoliert eine Rechenschwäche bedingen, sondern in Wechselwirkung zueinander
stehen.
„Aufgrund von Forschungsergebnissen lässt sich heute feststellen, dass das
Ursachengefüge für Rechenschwäche zumindest so komplex ist wie für LeseRechtschreibschwäche...“ (Lorenz/Radatz, 1986)
Die möglichen Ursachen können nach primären und sekundären Ursachen eingeteilt
werden (Schilling/Prochinig, 1995). Dabei werden unter primären Ursachen
organische Bedingungen, d.h. Hirnleistungsschwächen verstanden, die genetisch
bedingt oder erworben wurden. Unter sekundären Ursachen werden solche
zusammengefasst, die nicht organisch bestimmt sind. Hier werden seelische und
schulische Bedingungen angeführt.
Ein einfaches Modell zur Entstehung gibt es nicht. Dies sollte man im Hinterkopf
behalten, um etwaige Schuldzuweisungen zu vermeiden
.
Verschiedene Erklärungsansätze zur Entstehung von Dyskalkulie:
1. der entwicklungspsychologische Ansatz
Diesem Ansatz liegt die Entwicklungspsychologie von Piaget zugrunde.
Hiernach erfolgen der Aufbau und die Verinnerlichung von Zahlbegriffen und
mathematischen Operationen in vier Phasen.
a) 1. Phase: Handlung mit konkretem Material
b) 2. Phase: Bildliche Darstellung
c) 3. Phase: Symbolische Darstellung
d) 4. Phase: Automatisierung im Symbolbereich
Es kann nun passieren, dass eine Phase gestört wird – und somit die
darauffolgenden Phasen nicht erreicht werden kann. Wenn ein Kind z.B. mit
der abstrakten Darstellung von Zahlen und Operationen (dritte Phase) nicht
zurechtkommt, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit bei der Automatisierung
im Symbolbereich (vierte Stufe) versagen.
Experiment von Radatz: Er ließ von Schülern zu Rechenoperationen oder
Gleichungen Rechengeschichten erfinden und auch zeichnerisch darstellen.
Er konnte feststellen, dass insbesondere bei schwachen Rechnern“...oft die
Bindeglieder zwischen den einzelnen Repräsentationsebenen mathematischer
Problemstellungen...“ fehlen. Er schreibt weiter: „Für rechenschwache Schuler
existieren offensichtlich Klüfte, zwischen den konkreten Handlungen, den
vermeintlichen Veranschaulichungen und der formalen Mathematik.“
Manche
Kinder
benötigen
auch
entwicklungsbedingt
länger
Veranschaulichungsmaterial und können die Stufen beim Aufbau und der
Verinnerlichung mathematischer Operationen nicht so schnell wie andere
„erleben, erfahren“. Auch hier kann aus anfänglichen Schwächen und
Rückständen eine Dyskalkulie entstehen.
2. der neuropsychologische Ansatz
Dieser Ansatz geht davon aus, dass Dyskalkulie eine Teilleistungsschwäche
ist, also eine „umschriebene Entwicklungsstörung“ sehr unterschiedlicher
Funktionen, die nicht dem sonstigen Entwicklungsstand des Kindes entspricht.
Für das mathematische Lernen bedeutet dies, dass einer der vielen
Bausteine, die hierfür benötigt werden, nicht so funktioniert, wie er eigentlich
sollte bzw. dass er mit den anderen Bausteinen nicht richtig zusammenwirkt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es kein „Rechenzentrum“ im
Gehirn gibt bzw. noch nicht lokalisiert wurde, sondern mathematische
Leistungen durch das Zusammenspiel von Teilfunktionen verschiedener
Rindenbereiche beider Hemisphären zustande kommen wie z.B. räumliche
Orientierungsfähigkeit,
auditive
und
visuelle
Wahrnehmung,
Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Zusammenwirken von Wahrnehmung und
Motorik und Gedächtnis.
3. Mängel beim rechnerischen Repertoire
Mangelndes Verständnis des Kindes für Begriffe, Techniken oder
Zusammenhänge
Da die Mathematik lehrgangsorientiert aufgebaut ist und ihre Basiskenntnisse
von Jahrgangsstufe zu Jahrgangsstufe größer werden, führen auch Lücken
bzw. falsche Automatismen in den Vorkenntnissen zu Leistungsstörungen.
Einer Statistik zufolge macht das Vorwissen in den Klassen 5 und 6 bereits
55% aus.
Betrachtet man Schülerfehler genauer, so wird man in vielen Fällen
feststellen, dass die Fehler nicht etwa willkürlich entstanden, sondern einer
ganz bestimmten Regelstruktur unterliegen. Diese lassen sich durch
detaillierte Fehleranalysen entdecken und die Bereiche aufzeigen, bei denen
ein falsches oder fehlendes Grundverständnis von Seiten des Kindes über
Rechenzeichen, Operationen – allgemein über mathematische Begriffe vorliegt.
4. Ursachen im sozialen Umfeld des Kindes bzw. in der Person des Kindes
(Leistungsblockierungen,
angstbedingte
Konzentrationsstörungen,
ungünstiges Selbstkonzept)
5. schulische Ursachen (Lücken in den Basisoperationen)
Häufiger Lehrerwechsel in den ersten Grundschulklassen und damit
verbunden häufigen Wechsel von Unterrichtsmethoden wirken sich zumindest
negativ für schwache Rechner aus (Verwirrung im Kopf) und begünstigen das
Entstehen einer Rechenschwäche.
6. Wahrnehmungsstörungen
Schwarz
setzt
folgende
Wahrnehmungsstörungen
in
Beziehung
zu
mathematischen Leistungen:
Störung der taktil-kinästhetischen Wahrnehmung,
Störung der vestibulären Wahrnehmung und
Störung der visuellen in Verbindung mit der kinästhetischen und taktilen
Wahrnehmung (visuomotorische Koordination, Figur - Grund - Wahrnehmung,
Raum – Lage – Wahrnehmung)
Etwa ein Drittel der rechenschwachen Kinder zeigen Aufmerksamkeits- und
Hyperaktivitätsstörungen und bei mindestens einem weiteren Drittel bestehen
Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung.
Wie erkennt man eine Rechenstörung?
Symptome und Erscheinungsbild
Die ersten Symptome für eine mögliche Rechenschwäche können sich schon im
frühen
Kindesalter
zeigen,
besonders,
wenn
die
Ursache
in
Wahrnehmungsstörungen liegt.
Ich möchte auf die Symptome eingehen, die sich zeigen, wenn das Kind in die
Schule kommt. Dabei ist es jedoch möglich, dass sich Schwierigkeiten in Mathematik
nicht gleich zu Beginn der Schulzeit bemerkbar machen, weil Kinder oft effektive
Kompensationsstrategien entwickeln. Solche Kompensationsstrategien können sein:
zählendes Rechnen, veränderte Schreibweise der Rechenaufgabe (heimlich
untereinander) oder das Auswendiglernen von Aufgaben (Schwarz, 1999).
Allgemein ist festzustellen, dass rechenschwache Kinder keine spezifischen Fehler
machen. Fehler treten immer dann auf, wenn neue mathematische Inhalte erlernt
werden. Sie sind unvermeidbare Bestandteile des Lernprozesses.
„Schüler mit Rechenschwäche zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie andere
Fehler als ihre Mitschüler machen, vielmehr spielen Häufigkeit, Vielfalt der
Fehlertypen und Hartnäckigkeit eine entscheidende Rolle.“ (Schulz, 1995, zit. bei
Thiel 2001)
Im folgenden werde ich häufig gemachte Rechenfehler auflisten. Die Gliederung und
die meisten Elemente habe ich weitgehend von Schwarz (1999) übernommen und
durch eigene Beobachtungen und Erfahrungen ergänzt:
Mengen- und Zahlvorstellung
-
1:1-Zuordnung, d.h. ein Gegenstand wird nicht mit einer Zahl gleichgesetzt:
5 Gegenstände, aber das Kind zählt nicht bis 5
-
Kind muss Mengen anfassen beim Zählen, um Anzahl nennen zu können.
-
keine klare Mengenvorstellung (Menge kann nicht gedacht werden).
-
Kodierungsschwierigkeiten
(Übersetzung
von
Zahlwort
–
–
Ziffer
entsprechende Mengenrepräsentation gelingt nicht)
-
Mengen im Zahlenraum bis 4 oder 5 können nicht simultan erfasst werden.
-
Ebenso können Zahlen und Mengen im Bereich bis 10 nicht gegliedert
abgerufen oder zerlegt werden.
-
Partnerzahlen (Ergänzungszahlen zur 10) werden nicht spontan gefunden:
5/5; 6/4; 3/7;
-
Die Kardinalzahl wird benutzt, ohne mit der Menge, die sie darstellt, in
Verbindung gebracht zu werden. Es fehlt die Vorstellung von der Mächtigkeit.
Zahlenschreiben und Zahlenlesen
-
Zahlen und Symbole werden falsch abgeschrieben (Ortner/Ortner, 1995)
-
Einzelne Ziffern werden seitenverkehrt geschrieben: aus 3 wird E
-
Zahlen werden verdreht: aus 32 wird 23 (Schreibung richtet sich nach der
Sprechweise.
-
Zahlen werden lautgetreu geschrieben: 800090011 statt 8911.
-
Zahlen, die sich in der Form ähneln, werden verwechselt: 9/6; 8/3; 6/8.
-
Schwierigkeiten beim Zuordnen von Zahlwörtern zu vorgegebenen Zahlen
Zahlenreihe
-
In schweren Fällen werden bereits Fehler beim Vorwärtszählen gemacht,
besonders aber beim Rückwärtszählen.
-
Das Weiterzählen ab einer zweistelligen Zahl ist nicht möglich
-
Vorgänger und Nachfolger – besonders von zwei- oder mehrstelligen Zahlen –
sind nicht bestimmbar.
-
Zahlenstrahl wird nicht verstanden und kann daher auch nicht genutzt werden.
-
Schwierigkeiten beim Vergleichen und in Beziehung setzen von Mengen und
Zahlen
-
Zahlen werden benutzt, ohne mit der Position im Zahlenraum verknüpft zu
werden.
Stellenwertsystem
-
Die
Bestimmung
von
Nachbarzahlen
fällt
Überschreitung des Zehners oder Hunderters).
schwer
(besonders
bei
-
Der Zehner-, Hunderter-, Tausenderübergang macht Probleme (möglicher
Fehler: 199 + 1 = 1000)
-
Keine
Einsicht
in
das
Dezimalsystem
mit
seinen
Stellenwerten
(Zehnerbündelung und Einer,...)
-
Jede Ziffer wird gleich behandelt, egal, an welcher Stelle sie steht.
-
Rechenschwache Schüler sind nicht in der Lage, das Zehnersystem als
Ordnungsprinzip zu erkennen und anzuwenden.
-
Mit Ziffern verschiedener Stellenwerte wird rein willkürlich gerechnet; dies ist
Ausdruck einer Verzweiflungsstrategie.
-
Das Rechnen mit der Null führt zu vielen Fehlern. Die Null wird mit „nichts“
gleichgesetzt entsprechend der umgangssprachlichen Bedeutung. Die Null als
Leerstelle oder Platzhalter wird nicht verstanden.
Schwierigkeiten im Umgang mit Rechenoperationen
-
Kind verrechnet sich häufig um 1.
-
Vertauschung der Rechenzeichen, kein Verständnis der Rechenoperationen
-
Schwierigkeiten bei Platzhalteraufgaben
-
Kind kann keine Ergebnisse abschätzen.
-
Schwierigkeiten mit der Null als Ziffer und Zahl
-
zählendes Operieren: Kind kann sich beim Rechnen nicht von den Fingern
lösen.
-
Klammern an konkrete Zählhilfen, Kind kann Aufgaben nur zählend
bewältigen.
-
„Klappfehler“ (Wechsel der Rechenrichtung beim Zehnerübergang, z.B. 62 – 7
= 65, weil 62 – 2 = 60, 60 + 5 = 65)
Schwierigkeiten beim Einmaleins
-
Kind zählt die Einmaleinsreihen (5, 10, 15, 20,...) immer wieder von „unten“
hoch, unter anderem mit Hilfe der Finger.
-
Keine Sicherheit im Einmaleins trotz ständigem Üben
Schwierigkeiten beim Lösen von Sachaufgaben
-
Textinhalte können nur wörtlich wiedergegeben oder nochmals vorgelesen
werden.
-
Situationen werden nicht erfasst und können nicht in mathematische
Operationen umgesetzt werden.
-
Zahlen werden willkürlich kombiniert und in beliebige Operationen umgesetzt
-
Unfähigkeit zum Überschlagen, Schätzen
-
Duldung widersprüchlicher Ergebnisse nebeneinander
-
Kein
Verständnis
für
Mengen,
Größen,
Zahlen
und
mathematische
Operationen
Weitere Schwierigkeiten
-
Kind benötigt unverhältnismäßig viel Zeit.
-
Nur Aufgaben des gleichen Typs können (schematisch) abgearbeitet werden,
ein Wechsel in ähnliche Strukturen ist nicht möglich.
-
Strategien, die die Kinder bei mathematischen Problemen anwenden,
erweisen sich als wenig hilfreich, sind umständlich, zeitaufwendig und
verursachen neue Schwierigkeiten.
-
Das Verinnerlichen von mathematischen Operationen gelingt schwer, so dass
die Kinder auf Material und begleitendes Sprechen angewiesen sind und
bleiben.
-
Verhaftetbleiben am zählenden Rechnen (häufig mit den Fingern)
Massive Lernschwierigkeiten in Mathematik scheinen in hohem Maße mit
zählenden Strategien der Zahlauffassung und –darstellung korreliert zu sein
(80 – 90 % der Kinder mit Rechenschwäche sind manifeste Zähler, auch noch
im 3., 4., ja sogar im 5. Schuljahr.)
Ein großes Problem ist das fehlende Vorstellungsvermögen
(Ortner/Ortner, 1995)!
Die Kinder können nur über konkretes Handeln (z.B. mit Fingern rechnen) zu
Lösungen kommen. In diesem Zusammenhang wird auch vom Konkretismus
gesprochen (Grissemann, 2000).
Dies war eine Aufzählung der primären Symptome, also der Schwierigkeiten beim
Rechnen, durch die sich Rechenschwäche bemerkbar machen kann.
Neben dieser Primärsymptomatik treten innerhalb des Teufelskreises Lernstörung
(Betz/Breuninger) nach einem gewissen Zeitraum sekundäre Symptome auf. Dabei
handelt es sich nicht um „dyskalkuliespezifische“
Symptome, sondern um
Auffälligkeiten, die auch in Zusammenhang mit anderen Lernschwierigkeiten
und/oder sonstigen Problemen auftreten können.
Die häufigsten Sekundärsymptome der Dyskalkulie nach Erfahrung
von Ramacher-Faasen sind:
-
Konzentrationsstörungen
-
starke Ablenkbarkeit
-
Vermeidungsverhalten
-
Nervosität
-
Wutausbrüche und/oder Aggressivität
-
psychosomatische
Beschwerden
(Bauch-,
Kopfschmerzen,
Übelkeit,
Einnässen usw.)
-
leichte Ermüdbarkeit, kein Durchhaltevermögen
-
Anpassungsprobleme (z.B. in der Schule)
-
Schulunlust/Schulangst
-
mangelndes Selbstwertgefühl
-
Introvertiertheit (Kind zieht sich zurück)
-
Kontaktprobleme mit Gleichaltrigen
-
„Klassenkasper“ spielen
Wie wird eine Rechenschwäche festgestellt?
Produktives Üben braucht fundierte Diagnostik
Bei Verdacht einer Rechenstörung muss zunächst eine fundierte Diagnostik erfolgen,
die das Ausmaß und die Tiefe des Problems zeigt, Stärken und Schwächen darstellt
und die allgemeine Leistungsfähigkeit dies Kindes beschreibt.
Grundlage einer gezielten Förderung ist die Feststellung des sachstrukturellen
Entwicklungsstandes mithilfe einer individuellen Fehleranalyse.
Der Grundsatz „Fehler vermeiden ist besser als Fehler korrigieren“ führte jahrelang
zu einer Tabuisierung des Fehlers. Eine Auseinandersetzung mit dem Fehler fand
und findet meist in der Form statt, dass
-
die Ergebnisse verbessert werden, d. h. die richtigen Ergebnisse werden
mitgeschrieben,
-
fehlerhafte Aufgaben neu zu berechnen sind,
-
bei fehlerhaften Aufgaben Musterlösungen ins Heft übernommen werden.
Informelle Diagnostik des Leistungsstandes
Viele Lehrerhandbücher bieten den Lehrkräften inzwischen prozessorientierte
Lernbeobachtungsbögen an.
Zweckmäßigerweise
wird
man
bei
der
informellen
Leistungsprüfung
eines
rechenschwachen Kindes mit den Aufgaben ein Jahr unterhalb der aktuellen
Klassenstufe beginnen. Dabei sollte soweit „zurückgegangen“ werden, bis die letzten
gesicherten Kenntnisse in der Mathematik sichtbar werden. Dies macht erforderlich,
zuweilen bis in den pränumerischen und basalen Bereich zurückzugehen.
Pränumerische und basale Diagnostik
Der basale und pränumerische Bereich erscheint dabei als wichtig, da bei vielen
Schülern mit Rechenschwächen Defizite in diesem Bereich festzustellen sind.
Im pränumerischen Bereich werden folgende Leistungen geprüft:
Verständnis für Mengen und Teilmengen (z.B. alle keinen und roten Steine),
Unterscheiden von Merkmalen
Bilden von Reihen aus Bausteinen oder Stäben (Ordnen nach der Größe),
Verständnis von mathematischen Begriffen mithilfe von Material (z.B. größer kleiner, mehr – weniger - am meisten, lang - kurz),
Orientierung in der Zeit (Verständnis von Dimension vorher – jetzt – nachher, gestern
– heute – morgen, früher – später, usw. )
Mengenauffassung,
Lateralität,
Menge-Ziffer-Zahlwort-Zuordnung,
Invarianz der Menge,
Eins-zu-Eins-Zuordnung von konkreten Dingen,
Zählen,
konkretes Verständnis der Operationen Addition und Subtraktion.
Im basalen Bereichen wird in folgenden Bereichen ein Diagnostik durchgeführt:
z.B. taktil-kinästhetische Wahrnehmung, Körperschema, Lateralität, Grobmotorik,
Feinmotorik,
akustische
visuelle
Wahrnehmung,
Fähigkeiten,
auditive
Raumlage,
Raumorientierung,
Wahrnehmung,
Serialität,
verbal-
intermodale
Verknüpfungen, Sprache, Merkfähigkeit, Konzentration,...
Standardisierte Rechentests
Testverfahren zur Dyskalkulie (ZAREKI, 2001) von Michael von Aster
Neuropsychologische Testbatterie für Zahlenverarbeitung und Rechnen bei Kindern
(2001, Swets & Zeitlinger, Swets Test Services GmbH, Frankfurt am Main)
Einsatzbereich: 7,5 Jahre bis 11 Jahre, Einzeltest, 15 – 30 Minuten
Verfahren:
Ziel des Tests ist es, mit diesem Verfahren qualitative und quantitative Einblicke in
wesentliche
Aspekte
der
Zahlenverarbeitung
und
des
Rechnens
bei
Grundschulkindern zu ermöglichen.
Subtests: Abzählen, Zählen rückwärts mündlich, Zahlen schreiben, Kopfrechnen,
Zahlen lesen, Anordnen von Zahlen auf einem Zahlenstrahl, Zahlenvergleich (Worte),
perzeptive Mengenbeurteilung, kognitive
(kontextuelle) Mengenbeschreibung,
Textaufgaben (Blatt 1 und 2), Zahlenvergleich).
DEMAT 1+ (Deutscher Mathematiktest für erste Klasse, 2002) von K. Krajewski,
P. Küspert, W. Schneider und unter Mitarbeit von M. Visé
Einsatzbereich: Ende 1. Klasse und Anfang 2. Klasse, Gruppentest mit zwei
Parallelformen (40 Minuten), Einzeltest (20 –25 Minuten)
Ziel:
Ökonomische Erfassung der Rechenleistung einer gesamten Schulklasse. Es wird
ferner ermöglicht, zu einem frühen Zeitpunkt leistungsschwächere Schüler im
Klasenverband zu identifizieren. Da der DEMAT 1+ besonders gut im unteren
Leistungsbereich differenziert, ist er gut einsetzbar zur frühzeitigen Diagnose einer
Rechenschwäche. Dem Aufbau beider Tests liegen die Lehrpläne aller deutschen
Bundesländer zu Grunde.
Der Test enthält neun Inhaltsschwerpunkte der ersten Grundschulklasse, die durch
die Subtests Mengen-Zahlen, Zahlenraum, Addition und Subtraktion, Zahlzerlegung
–Zahlenergänzung, Teil-Ganzes-Schema, Kettenaufgaben, Ungleichungen und
Sachaufgaben abgedeckt werden.
DEMAT 2+ (Deutscher Mathematiktest für zweite Klassen, 2002)
Die Voruntersuchungen sind abgeschlossen, so dass die Normierung des
Testverfahrens im Oktober 2001 beginnen konnte und im Jahr 2002
abgeschlossen wurde.
Einsatzbereich: Ende 2. Klasse und Anfang 3. Klasse, Gruppentest mit zwei
Parallelformen (40 Minuten), Einzeltest (20 – 25 Minuten)
Ziel:
Überprüfung der mathematischen Kompetenz von Grundschülern auf die Diagnose
einer Rechenschwäche
Der Test enthält neun Inhaltsbereiche der zweiten Grundschulklasse, die durch die
Subtests Zahleneigenschaften, Längen, Addition/Subtraktion, Multiplikation, Division,
Geld, Geometrie und Sachaufgaben abgedeckt werden.
Vorhersage von Rechenschwäche in der Grundschule
In den letzten Jahren wurden viele Studien zur Entwicklung des Schriftspracherwerbs
durchgeführt,
wobei
Schreibenlernen
bedeutende
erforscht
wurden
Faktoren
für
gelingendes
(Untersuchungen
zur
Lesen
und
phonologischen
Bewusstheit).
Im Gegensatz dazu wurde in der bisherigen Forschung der Entwicklung
mathematischer Kompetenzen wenig Bedeutung beigemessen.
Im März 1999 wurde eine Längsstudie durchgeführt, die zum Ziel hatte, geeignete
Vorhersagen zu finden, mit denen man schon im letzten Kindergartenjahr den Erfolg
eines Kindes im Mathematikunterricht der Grundschule hinreichend gut vorhersagen
kann. Untersuchungen wurden hinsichtlich verschiedener kognitiver, vor allem
zahlenrelevanter Fähigkeiten angestellt.
Als Ergebnis dieser Untersuchung kam im Juli 2000 der „Deutsche Mathematiktest
für erste Klassen (DEMAT 1+)“ zum Einsatz und ein Jahr später der DEMAT 2+.
Es zeigte sich, dass das schon vor der Einschulung vorhandene mengen- und
zahlbezogene Vorwissen einen ganz entscheidenden Faktor darstellt, wie gut ein
Kind in der ersten und zweiten Klasse den Stoff des Mathematikunterrichts
beherrschen wird. Folgendes Vorwissen ist von entscheidender Bedeutung:
-
Fähigkeit zur Seriation (ein Element in eine vorgegebene Reihe einordnen)
-
Mengenvergleich (erkennen, dass die Anzahl einer Menge nicht durch deren
räumliche Ausdehnung gekennzeichnet ist)
-
Zahlenwissen (wie die Kenntnis der Zahlbilder bis 10 und das Zuordnen von
Zahlbildern zu akustisch vorgegebenen Zahlen im Zahlenraum bis 20)
-
Zählfertigkeiten (wie vorwärts und rückwärts zählen, Vorgänger und
Nachfolger von Zahlen bestimmen)
-
Erste Rechenfertigkeiten im Umgang mit konkretem Material
Die Ergebnisse dieser fünf im Kindergarten erfassten Fertigkeiten zeigten ein bzw.
zwei Jahre später mehr Vorhersagekraft in den Mathematikleistungen der Kinder als
die Intelligenz. Sie erwiesen sich als spezifische Prädiktoren der Mathematikleistung.
(Untersuchung und Forschung von Dipl.-Psych. Kristin Krajewski, Uni Würzburg,
Lehrstuhl für Psychologie)
Von „echten“ und „falschen“ Fehlern
(qualitative Fehleranalyse)
Fehler als Ausgangspunkt für Förderung
Fehler werden im System Schule in aller Regel als etwas Negatives abgewertet, mit
dem Versagen und Unzulänglichkeit einhergehen.
Seit der „kognitiven Wende“ in der Lernpsychologie und dem dadurch veränderten
Bild vom Lernen werden Fehler nicht mehr ausschließlich als Minderleistung
gegenüber der Norm gesehen, sondern werden auch als Bestandteil entdeckender
Lernprozesse interpretiert.
Mechthild Dehn (1987): „Fehler sind nicht bloß Fehler, sondern sie geben Einblick in
die geistige Arbeit des Kindes bei fortschreitender Aneignung des Rechnens.“
Meist handelt es sich bei Fehlern eben nicht um Flüchtigkeitsfehler, sondern um
subjektive Lösungsstrategien, die dem Kind zum augenblicklichen Zeitpunkt zur
Verfügung stehen, um eine mathematische Aufgabenstellung zu bearbeiten.
So gesehen sind Fehler ein notwendiges Zwischenstadium im Aneignungsprozess
mathematischer Gesetzmäßigkeiten.
Rechenschwache
Kinder
verharren
oft
hartnäckig
auf
selbstgewählte
Lösungsstrategien („Verzweiflungsstrategien“).
„Falsche Fehler“ – oder Fehler die eigentlich gar keine sind
Kinder lösen neue Aufgabenstellungen zunächst immer auf der Basis ihres bisher
erworbenen Wissens, auf ihrer momentanen Entwicklungsstufe. Hierbei unterlaufen
Fehler, die natürlich nicht im Sinne von „Minderleistung“ betrachtet werden dürfen,
sondern „als naturgemäß zu betrachten und gewissermaßen recht sind“ (Goethe).
Beim Aneignen mathematischen Wissens und Könnens befinden sich Lernende auf
dem Weg von der singulären zur regulären Mathematik, also vom „so mach ich das“
zum „so macht man das“ (R. Dolenc).
„Falsche Fehler“ sind somit Bestandteil des Lernprozesses und aus einem
intelligenten Umgang mit ihnen wird man klug.
„Richtige Fehler“ – und der Umgang damit
Rechenschwache Schüler unterscheiden sich qualitativ in der Regel nicht von ihren
Mitschülern, sondern sind häufig nur langsamere Lerner.
„Wir lernen von den Kinder, die von uns am wenigsten lernen häufig am meisten. An
ihnen ist zu beobachten, welche didaktisch–methodische Entscheidungen im
Unterricht zu Fehlern führen.“ (R. Dolenc)
„Fehler im Sinne von „Minderleistung gegenüber der Norm“ können erst gemacht
werden, wenn Zusammenhänge und Regeln bekannt sind, aber – aus welchen
Gründen auch immer – nicht berücksichtigt oder eingehalten werden. Nur wer nichts
weiß oder kann macht keine Fehler.“ (Jobst/Erni/Schmassmann)
Fehleranalyse
Oft ist die rein produktorientierte Fehleranalyse (nur am Ergebnis bzw. an der Anzahl
der Fehlern orientiert) wenig aufschlussreich. Tiefere und eindeutigere Hinweise auf
subjektive Lösungswege ermöglicht das prozessorientiertes Vorgehen bzw. eine
qualitative Fehleranalyse (z.B. nach Storath).
Fehler sind selten zufälliger Natur, werden meist systematisch begangen, machen in
der ihnen zugrundeliegenden Systematik durchaus Sinn und sind oft sehr regelstabil.
70 – 80 % aller vorkommenden mathematischen Fehler sind durch stabile
Fehlstrategien erklärbar. Aufgabe der Fehleranalyse ist es, das Denken der Kinder
zu verstehen , es zu respektieren und daraus Konsequenzen für die unterrichtliche
Arbeit zu ziehen (nach R. Dolenc: Mit Fehlern muss gerechnet werden).
Bewährt hat sich die Methode des „handlungsbegleitenden Sprechens“, bei der das
Kind beim Rechnen mitspricht, sein Tun kommentiert. Durch dieses Vorgehen
gewinnt der Lehrer Einblick in die individuellen, meist recht „kreativen“ Denkweisen
und
Lösungsversuche
des
Schülers,
die
sich
oft
erheblich
von
den
erwachsenentypischen Strategien unterscheiden.
Fehlerarten:
-
Plus-Minus-Eins-Fehler (Verrechnen um 1, da die Kinder abzählen)
-
Falsches Ergebnis bei Aufgaben mit Zehnerübergang (2. Zahl wird falsch
zerlegt oder es wird weiter- bzw. zurückgezählt)
-
Fehler mit „Null-Zahlen“ (Beispiel: 16 + 0 = 0; 0 + 10 = 0; 60 – 21 = 40 usw.)
-
Klappfehler (Beispiel: 12 – 9 = 17; 12 – 2 = 10; 10 + 7 = 17)
-
Stellenwertfehler durch isoliertes Betrachten der Stellenwerte (E zu Z gezählt)
-
Perseverationsfehler (Kind vollzieht den ersten Denkschritt richtig, beim
zweiten
wird
dann
aber
eine
der
Zahlen
einfach
übernommen.)
Perseverationsfehler treten bei glatten Zehnerzahlen gehäuft auf, z. B. 70 – 6
= 74)
-
Ziffernvertauschung (anstelle 32 wird 23 geschrieben, Stellenwertschreibweise
nicht verstanden)
-
Zehnerüberschreitung bzw. –unterschreitung wird in der Notation nicht
berücksichtigt (z. B. 28 + 7 = 25; 76 + 15 = 81)
-
Richtungsfehler (Verwechseln von + und -)
-
Aneinanderfügen der Ziffern (anstelle von 107 wird 1007 geschrieben, keine
Einsicht in die Ordnung und Struktur des Dezimalsystems)
-
Falscher Strategie-Transfer
-
usw.
Zur besonderen Problematik von zählendem Rechnen
Zählendes Rechnen darf nicht die einzige Lösungsstrategie bleiben, weil
-
es nur Einzelfakten liefert, die dem Gedächtnis schnell wieder verloren gehen,
da sie nicht in ein Beziehungsgeflecht eingebettet sind;
-
es viel Zeit kostet;
-
es das Erlernen von komplexen Inhalten erschwert.
Woran kann man zählendes Rechnen erkennen?
-
Kinder benutzen Finger
-
Ergebnisse weichen häufig um 1 vom richtigen Ergebnis ab
-
Ergebnisse von Basisfakten sind nicht rasch genug abrufbar
Ursachen für das „Steckenbleiben“ am zählenden Rechnen
-
Defizite bei der gliedernden Mengenauffassung
-
fehlende Vernetzungsstrategien
Hinweise zum methodischen Vorgehen
-
Training der Simultanerfassung (Erfassen der Mächtigkeit von Mengen ohne
Zählen)
-
Abrufbarkeit aller Zahlzerlegungen bis 10/ Wissen, wie viel bis 10 fehlt
-
Verfügbarkeit des kleinen Einspluseins und Einsminuseins durch das
Anwenden
von
Ableitungsstrategien
(Kernaufgaben,
Nachbaraufgaben,
Tauschaufgaben, Umkehraufgaben, Verdoppeln plus 1/ Verdoppeln minus 1)
Zum Tragen kommen folgende Grundsätze produktiven Übens für
Schüler mit Lernschwächen
Kein ständiger Wechsel der Veranschaulichungsmittel
Die Folgerung für ein Fördern und Differenzieren im Mathematikunterricht kann nicht
ein „Mehr“ an Materialien bzw. an Darstellungen bedeuten, sondern ein bewusstes
Auswählen und Einsetzen unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen
der Schüler.
Über tatsächliches Begreifen gelangt das Kind zur mathematischen Begriffsbildung
Prozessorientierte Förderung setzt an der Stelle an, an der sich das Kind noch
kompetent fühlt. So können vorhandene Ressourcen genützt und Erfolgserlebnisse
aufgebaut werden.
Abstraktionsprozess nicht durch zu frühen Verzicht auf Material stören.
Es empfiehlt sich , das Material so lange in der Hand der Kinder zu lassen, bis sie es
von selbst beiseite legen, d.h. nicht mehr benötigen.
Dazu Lorenz: „Die visuellen Vorstellungsbilder entwickeln sich in der Altersstufe der
Grundschüler auf der Basis von selbstausgeführten Handlungen, selten durch
stellvertretend ausgeführte, beobachtete Handlungen.“
„Etwas zu verstehen, heißt immer auch, sich ein Bild von einer Sache zu machen.“
(Lorenz)
Ein
Hauptproblem
rechenschwacher
Schüler
besteht
in
der
Störung
des
intermodalen Transfers, d.h. zwischen konkreter und symbolischer Stufe wird keine
Verbindung hergestellt.
Von daher ist der Wechsel innerhalb der Operationsebenen ist sinnvoll. Verknüpfung
von konkreter Handlung und Rechenoperation müssen immer wieder und ganz eng
miteinander verzahnt werden, damit Kinder ihren Zusammenhang begreifen.
Hier sollte konkretes Tun stufenweise in Notation umgesetzt werden, Handeln und
Schreiben erfolgen parallel.
Zu
einer
gelegten
bzw.
dargestellten
„Plättchenkonstellation“
(z.
B.
mit
Wendeplättchen) möglichst viele Aufgaben legen und aufschreiben (Plusaufgabe,
Tauchaufgabe, Umkehraufgabe, zahlreiche Zerlegungsaufgaben, usw.).
Der innere Zusammenhang zwischen drei Zahlen muss verstanden werden.
Eingehen auf die Zähltechniken der Kinder und allmähliches behutsames Ablösen
über geeignetes Fördermaterial (z.B. Perlenkette bis 20 mit einer Fünferunterteilung)
Abgrenzung von Fördermaterial zu Übungsmaterial
Das Streben nach kindgemäßen Formen der Unterrichtsgestaltung, wie z. B.
Freiarbeit, führte zu einer verwirrenden „Materialflut“.
Im
Unterricht
mit
rechenschwachen
Kindern
sind
besonders
Materialien
auszuwählen, die Einsichten in arithmetische und geometrische Strukturen
erleichtern. Zum Gewinnen und Abstrahieren mathematischer Begriffe und
Erkenntnisse sind Handlungen an und mit mathematisch strukturierten Materialien
günstig, bei denen nichts Nebensächliches vom Lerninhalt ablenkt.
Im Gegensatz zu Übungsmaterialien (Rechenpuzzles, Klammerkarten, Dominos,...)
ermöglichen Fördermaterialien (Entwicklungsmaterialien) die aktive, handelnde
Auseinandersetzung
mit
dem
Lernstoff
und
helfen
dem
Kind,
eindeutige
Vorstellungsbilder mathematischen Handelns aufzubauen.
Erst wenn bei rechenschwachen Schülern Handlungsvorstellungen gebildet und so
der Weg zur Abstraktion geebnet ist, sollte Übungsmaterial zum Einsatz kommen.
Ein Rechenpuzzle etwa erzeugt keine Grundvorstellung für den Umgang mit Zahlen
und Strukturen.
Materialkriterien
-
Liefert das Material Grundmuster (Grundvorstellungen) für mathematisches
Denken? Werden mit dem Material Handlungen ausgeführt, aus denen dann
prototypische Vorstellungsbilder für arithmetische Operationen abgeleitet
werden können?
-
Hat das Material eine eindeutig mathematische Struktur (in der Regel eine
Fünfer-/Zehner-Struktur)?
-
Gibt es weiterführendes Material für größere Zahlenräume? Gibt es zu dem
Material strukturgleiche Fortsetzungen für das Rechnen im Zahlenraum bis
100/1000?
-
Ist das Material vielseitig einsetzbar und erlaubt es dem Kind, eigene
Strategien und Lösungswege zu entwickeln?
-
Ermöglicht es einen fließenden Übergang von der konkreten Ebene, über die
zeichnerische Darstellung bis hin zur symbolischen?
-
Ist das Material „be-greifbar“ d.h. dreidimensional?
-
Unterstützt das Material die Ablösung vom zählenden Rechnen?
-
Erlaubt das Material quasi-simultane Mengenauffassung und Zahldarstellung
bis 10 bzw. 20?
Produktives Üben in der Kleingruppe/im Förderunterricht
Förderunterricht muss anders aufgebaut sein als der reguläre Klassenunterricht. Das
Lehrer-Schüler-Verhältnis ist von entscheidender Bedeutung. Der Beziehungsaufbau
muss also in der Anfangsphase im Mittelpunkt stehen.
Die Schüler haben häufig eine Versagenskarriere in Mathematik hinter sich mit der
Folge von Ausweichen oder Verweigern. Ein Förderunterricht darf also nicht an der
gleichen Stelle ansetzen. Möglicherweise muss in der ersten Zeit völlig losgelöst von
Mathematik gearbeitet werden.
Dabei ist zuerst auf Erfolg in der Förderung zu achten, und der Schüler dort
abzuholen, wo er im Moment steht (optimale Passung). Das Kind muss den Lernstoff
noch gewachsen sein. Dies baut Selbstwertgefühl und Motivation auf (Bereiche, die
bei Schülern im „fortgeschrittenen“ Stadium von Rechenschwierigkeiten immer
betroffen sind.)
Förderunterricht in Mathematik ist keine Nachhilfe im herkömmlichen Sinne. Er soll
die Gelegenheit bieten, einmal völlig anders anzusetzen und zu arbeiten, sowohl aus
der Sicht des Lehrers als auch des rechenschwachen Kindes.
Sechs Grundsätze:
-
Diagnosegeleitetes Vorgehen
Ausgangspunkt produktiven Übens stellt eine genaue Diagnostik dar. Dabei ist
neben der genauen Fehleranalyse, auch die Einschätzung der Grundlagen
des Lernens (basale und pränumerische Lernvoraussetzungen, Lern- und
Arbeitsverhalten) zu beachten.
-
Individualisierendes Vorgehen
Selbst die Kleingruppe ist eine heterogene Gruppe. Jeder Schüler erhält
Angebote zu seinen speziellen Förderschwerpunkt
-
Besondere Organisationsform
Verschiedene
kindgemäße
Organisationsformen
sind
aufgrund
der
Kleingruppenstruktur möglich.
Mathematik in der Natur, Turnhalle, „bewegte“ Mathematik, konkrete
Mathematik: Einkaufen auf dem Wochenmarkt...
-
Zielorientierung
Ziele auf verschiedenen Ebenen werden formuliert und laufend überprüft. Das
Ziel „der Schüler soll rechnen lernen“ ist kein angemessenes Ziel für einen
Förderunterricht.
-
Ganzheitlichkeit
Da Fördern eine umfassende pädagogische Tätigkeit ist und mehr als nur die
rein mathematischen Bereiche umfasst, muss das Kind mit all seinen Stärken
und Möglichkeiten im Mittelpunkt stehen. Es muss sich trotz seiner Defizite
emotional angenommen fühlen, unabhängig von seinen Leistungen.
-
Material- und Handlungsorientierung
Entsprechend der Entwicklung der mathematischen Fähigkeiten über die
Beschäftigung mit Material, steht dieses Vorgehen im Zentrum den
Förderunterrichts.
Grundsätze produktiven Übens für Schüler mit Lernschwächen
aufgezeigt an Beispielen
-
zur
visuellen
Wahrnehmungsförderung
und
des
räumlichen
Vorstellungsvermögens
-
zur Raumlage und Lateralität
-
zum Mengen- und Zahlbegriff
-
zur Zahlzerlegung
-
zum Zehnerübergang
-
zur Orientierung im Hunderterraum
-
zum Einmaleins
Ausgewählte Literatur:
-
Rechenstörungen
Diagnose – Förderung – Materialien, Akademie für
Lehrerfortbildung, Auer-Verlag, Donauwörth,1995
-
Rechenschwäche Unterrichtspraktische Förderung, Akademiebericht Nr. 309,
zu beziehen über die Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen/Donau
-
Schulleistungsdiagnostik von Storath, R., Wolf – Verlag, Regensburg
-
Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht von Lorenz J. H.,
Hannover, 1993
-
Rechenschwäche erkennen und behandeln von Milz I., Dortmund, 1993
-
Lehrerband zum „Zahlenzauber 2“, Oldenbourg - Verlag, 2001
-
Lehrerband zum „Das Zahlenbuch – Mathematik im 1. Schuljahr“, Ernst
Klett Grundschulverlag, Leipzig, 2001
-
Lehrerband zum „Denken und Rechnen 2“, Westermann Verlag,
Braunschweig
-
Fördern im Mathematikunterricht Was kann ich tun? Ernst Klett Verlag,
Berlin 1994
-
Dyskalkulie – Wenn Zahlen zum Albtraum werden, Landesverband
Legasthenie Bayern e.V. (http://www.dyskalkuliker.de)
-
Leichtsinnsfehler oder Rechenschwäche v. H. Leutenbauer, Care-LineVerlag, 82062 Neuried
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