1 GrossmütterRevolution AutonomieimAlter–AbhängigeUnabhängigkeit Frühlingstagung14.April2016 LiebeGrossmütter,liebeFrauen HerzlichenDankfürIhreEinladung,andiesemNachmittagüberAutonomieimAlterreferieren,mit IhnennachdenkenundIhnenzuhörenzudürfen.SiehabensichjabereitsmiteinerzentralenFrage, nämlich:„wasistfürmichAutonomie?“ineinemWorkshopauseinandergesetztundsichkonkret persönlichaufIhreErfahrungenmit„Autonomie“eingelassen.MeinAuftragistes,Ihnenals PhilosophineinigeGedankenzudiesemThemavorzulegen,„Autonomie“quasizuproblematisieren, umdannkontroversgemeinsamzudiskutierenundeigeneIdeenundVorstellungenweiterzutreiben. ZumAuftraggehörtauch,dassichmichindenDenk-TraditionenvonFrauenumschaueundIhnen gewisseIdeenvonVordenkerinnenpräsentiere. IchmöchtemichIhremFrühlingsthema„AutonomieimAlter-AbhängigeUnabhängigkeit“indrei Fragmentenannähern.IneinemerstenZugangwillichdieEntwicklungderAutonomie,alsoder Selbstbestimmungnachzeichnen,wiesichdiesfürFrauenangebotenhatteundwiewirsieheute kritischüberdenkenkönnen.IneinemzweitenFragmentwillichdasUngleichgewichtzwischen AutonomieundAbhängigkeitschärfenundderFragenachgehen,warumAbhängigkeitspontan vermiedenodergarverleugnetwird,UnbehagenodergarÄngsteauslöst.Undschliesslichmöchteich imdrittenundletztenFragmentdenAkzentvonderAutonomieverschieben,undzwaraufmeine VorstellungvonIntegrität-in-Abhängigkeitsverhältnissen. Ichbin–altersmässig–wohlehereinerIhrerTöchter.AlskulturelleTochterhabeichvonIhren politischenKämpfenummehrRechteundvonIhrenVorstellungenvonweiblicherSelbstbestimmung profitiertunddahervielesinmeinemLebenundArbeiteneigenständiggestaltenkönnen.Dassich eineGenerationjüngerbin,zeigtsichwahrscheinlichauchindenGedanken,dieichIhnennun vorstellenmöchteunddievielleichtfürSiebefremdendanderssind.Vielleichtgelingtesmir,Sie durcheinanderzubringen… 1.Fragment:vonderSelbstlosigkeithinzurSelbstbestimmung EineselbstbestimmteFrauzuseinundautonomzuleben–daskennenSiesicherlichalle–istgerade nichtselbstverständlich,sondernsetzteinenmutigenProzessvoraus.DieZüricherPhilosophin BrigitteWeisshauptskizziertdiesenProzessalsWegindreiEtappen:erstEtappe:dieverordnete Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 2 Selbstlosigkeit,zweiteEtappe:eineoftirritierende,verunsicherndeSelbstsucheundschliesslichdie dritteEtappe,dieSelbstbestimmung.1 Nochinden50er-Jahrendes20.JahrhundertswarderWegfüreinejunge,bürgerlicheFraumeist vorbestimmt,nämlich:HeiratundMutterschaft.JungeFrauenfügtensichdamalsmehrheitlichnoch selbstverständlichindieRollederEhefrau,derMutterundderfreiwilligeHelferindesberufstätigen Ehemannes.Esgaltalsselbstverständlich,dasssiesichindiesegesellschaftlichenVorgaben,ineine EheeinfügtenundeineNormbiographiequasiübernahmen,dasssiekaumnachihrenBedürfnissen gefragtwurdenunddemMannunddenKindernzudienten.DieseFrauengaltenalsselbst-lose FrauenundihreSelbstlosigkeitwurdechristlichüberhöhtundgesellschaftlichanerkanntundauchim Eherechtverankert.Selbstlosigkeit,wiesievonFrauenjenerGenerationverkörpertwordenist, wurdezueinemVerhaltenscodexundzueinerweiblichenTugendschlechthin.EineFrauwardann eineanständigeEhefrauundeinenguteMutter,wennsiesichselberaufopfertefürandere.Und selbstwennFrauendamalsberufstätigwerdenwolltenoderarbeitenmussten,hattensieihre TugendderSelbstlosigkeitmiteinemBerufzuvereinbarenundfolglicheineneherdienenden,eben weiblichenBerufergreifenmüssen. SelbstlosigkeitwurdedenFrauenquaGeschlechtzugeordnetundalsTugendveredelt.Diese spezifischeSelbstlosigkeitalsverordneteTugendistauszweiGründenheikel:EineTugendistjaein Wert,fürdenmanausfreierEntscheidungundauseigenerÜberzeugungeinsteht.Wirdnunein Wertverordnetunddamitaufgezwungen,wirddiefreieEntscheidungmissachtet.Alsverordnete TugendverliertSelbstlosigkeitseinenWertfürFrauen:ihreWahlwurdeübergangen.Heikelist Selbstlosigkeitzumzweiten,weilsieFrauenzuFrauenohneeinSelbst,alsozuPersonenohneeinIch werdenlassen.FrauenmusstenalsoihrSelbstignorierenodergarloswerden,umtugendhaftzu lebenundgesellschaftlichanerkanntzuwerden.Erstwennsieselbstloswaren,wennsiePersonen ohneIchwaren,galtensieinderGesellschaftalsrichtige,alsoangenehmeundangeseheneFrauen. DieÜberwindungderverordnetenSelbstlosigkeitbeginntindividuellmiteineroftauchirritierenden Selbst-SucheundkollektivmitdemProzessderEmanzipation.Dasnochimmerkulturellstark wirksameBildweiblicherSelbstlosigkeitundweiblicherOpferbereitschafterschwertdenFrauenoft dieEntwicklungeinesSelbstalsnotwendigeVoraussetzungzurSelbstbestimmung.Daherwarundist dieEmanzipationeinwichtigerSchrittderkollektivenBefreiungausherrschendenVorstellungen,wie Frauenzuseinhattenbzw.wannFraueinerichtigeFrauwar.Frauen-Emanzipationverstandsichals BefreiungausdenherrschendenkulturellenVorgaben,ausderBevormundungdesPatriarchats,das vorschrieb,wieFrauenseinsollten,unddiesepolitischeBefreiungbotineinemspäterenSchrittdie Möglichkeit,selberzuentwerfen,wieFrauenseinwollten.Emanzipationwarpolitischein 1 Vgl.Weisshaupt,Brigitte:SelbstlosigkeitundWissen,in:Conrad,Judith/Konnertz,Ursula(Hg.):Weiblichkeitin derModerne.AnsätzefeministischerVernunftkritik,Tübingen1986,S.21-39 Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 3 Aneignungsprozess:dasStimm-undWahlrecht,derGleichstellungsartikel–alldiese ErrungenschaftenbotendieChance,denöffentlichenRaumanzueignenundmitzugestalten.Als GrossmütterwerdenSiedieseZeitenderFrauenbefreiungsbewegungen,derfarbig-erfolgreichen Demonstrationender70erJahreunddesFrauenstreiktagsvon1991miterlebthabenundsich erinnernkönnen. Emanzipation–obindividuelloderkollektiv–kannalsozueinerSelbstbestimmungführen.Befreit ausfremdenVorgabenkanndieFraualspolitischesSubjektübersichselberverfügenund bestimmen;siewirdsoautonom.Inderherkömmlichengesellschaftspolitischenund philosophischenTraditiongeniesstSelbstbestimmungeinenhohenStellenwert:esistdieKrönung desMenschen.DerMensch,obMannoderFrau,istselbstbestimmt,wennerodersieüberVernunft verfügtundmitdieserVernunftbegabungeigeneEntscheideüberdenken,angemessenhandelnund sichselberkritischreflektierenkann.ErstdieVernunftundderWille,dieseVernunftauch anzuwenden,befähigendenMenschenzurAutonomie.Autonomieheisst:derMenschistmithilfe derVernunftfähig,sichseineigenesmoralischeGesetzzugebenundgemässdiesemGesetzzu leben,alsoeineeigene,vernünftigeundnachvollziehbare,alsoeinemoralischfairePraxis einzuhalten.Selbstbestimmungbedeutet,dassichvernünftigmitmirundmitdenanderen MenscheninmeinemnäherenundweiterenUmfeldumgehe.Damitwirdzweierleiklar:Erstenswird deutlich,dassSelbstbestimmungzwingendandieVernunftzurückgebundenist.OhneVernunftkeine Selbstbestimmung.Zweitenswirdklar,dassSelbstbestimmungnurineinerWechselwirkung entstehenundpraktiziertwerdenkann:meineSelbstbestimmungistbereichertundbegrenztdurch dieSelbstbestimmungandererMenschen.DieindividuelleSelbstbestimmungwirdfolglichvonjener derAnderenbegrenzt. SelbstbestimmungistphilosophischgesprochenkeinFreipassfüregoistischesVerhalten.Vielmehr willSelbstbestimmungdeneinzelnenMenschen,FrauenwieMännern,einmöglichsteigenständiges, freiesLebeneröffnen.SelbstbestimmungverstehtsichalsonurausdemProzessderEmanzipation herausundmussmitderWechselwirkungderSelbstbestimmungdesAnderenzusammengedacht werden. DieserWegvonderverordnetenSelbstlosigkeitüberdieSelbstsuchehinzueinerSelbstbestimmung istsowohleinindividuellerProzesseinerjedenFrau,aberaucheinvielfältigerkollektiverProzessder Frauenbewegungen.PerspektiveodergarZielindiesenProzessenistimmereineEmanzipation,eine BefreiungvonfremdenZuschreibungenundzugleicheineBefreiunghinzueinerweiblichenFreiheit. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 4 VielleichtahnenSieesbereits:ichbinskeptischgegenüberdiesertraditionellenVorstellungvon Selbstbestimmung.SieerscheintmirdeutlicherdennjeeineverhängnisvolleFiktion.MeineSkepsis beruhtaufzweiGründen: DernachskizzierteWegvonderSelbstlosigkeithinzurSelbstbestimmungfolgteinermir unheimlichenFortschrittslogik.EineFortschrittslogiknachdemMuster:immerbesserundimmer mehr….EsisteinFortschrittvonderSelbstlosigkeitindieSelbstbestimmung.Undesistquasiauch eingesellschaftlicherzwungenerFortschritt:jedeundjedermussdiesenWeggehen,willerodersie alserwachsenePersonrespektiertwerden.Soverwunderteskaum,dassindieserLogikeine VeränderungderSelbstbestimmungzwingendeingravierenderVerlust,einharterEinbruchim eigenenLebenseinmuss.WerimAlterwenigerSelbstbestimmungerreichtodererfüllenkann,erlebt einenbedauernswertenMangel–undfälltherausausdieserKrönungderMenschen. UndzweitensistdieklassischeSelbstbestimmungzwingendandieVernunftzurückgebunden.Nun istaberauchdieVorstellungvonVernunftgeprägtvoneinerpolitischenAufklärung,dieihrerseits denweissenmittelständischenMannundseineErfahrungenzurNormerhebt.2Isteswirklichdiese halbierte,männlicheVernunft,dieunsereVorstellungvonSelbstbestimmungprägenund einschränkensoll? 2.Fragment:AutonomieundAbhängigkeit–ständigeinKonflikt Autonomie,daswillichnochmalshervorstreichen,istinunsererGesellschafteinzwingendzu erreichendesZiel,eineunausweichlicheVorgabe.Esgibtdiese(normative)Selbstverständlichkeit: manwillautonomsein.UndesgibtdiesensozialenDruck:manmussautonomseinundesauch unbedingtbleiben.WirlebenineinerZeit,dievomImperativgeprägtist:Seiautonom!Daszeigtsich beispielsweiseauchimneuenErwachsenenschutzrecht,dasdieSelbstbestimmungzumobersten Gebotmacht.Gleichzeitigistebensoklar,dassniemandabhängigwerdenwill,dassAbhängigkeitein Zustandist,denmanvermeidenmuss.EsbestehtalsoeinekrasseAsymmetrie.Diesesfrappante UngleichgewichtzwischenAbhängigkeitundUnabhängigkeitmöchteichimzweitenFragmentetwas schärfen. DieSelbstbestimmungdertraditionellenPhilosophieunddieEmanzipationderFrauenbewegung– beideMomentebeschreibeneinIdeal.AlsIdealistSelbstbestimmungundEmanzipationein Leitstern,eineOrientierungshilfeimLeben;aberalsIdealsindsienichteinfachzukonkretisierenund imAlltagumzusetzen. 2 Vgl.Weisshaupt,Brigitte:SchattenüberderVernunft,in:Nagl-Docekal,Herta(Hg):FeministischePhilosophie, Wien/München1990,136-157. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 5 ImAlltagerfahrenwirFrauenunsseltenalsausschliesslichautonom.EinigealltäglicheBeispieleaus meinemeigenenLebenskontext: *IchmachemorgensFrühstückundschneideBrot.Damitistbereitsausgesagt,dassichvomBäcker oderderBäckerinabhängigbin,diemirBrotverkauft.DerBäckerwiederumistvomBauerabhängig, derKornanpflanzt.–DieArbeitsteilunginunsererGesellschaftverweistdarauf,dasswirständig voneinanderabhängigsindunddassindieserAbhängigkeitdieSelbstbestimmungbegrenztist.Ich kannwählen,welchesBrotichkaufenwill,beiwelchemBäckericheinkaufenwill,obichselberBrot backenwilloderobichüberhauptBrotzumFrühstückessenwill,etc.WirlebenmitanderenWorten ineinerGesellschaftsordnungundvorallemauchineinemWirtschaftssystemderArbeitsteilungen. IndenherrschendenVerhältnissensindwiraufgrundderArbeitsteilungfundamentalvonanderen Menschenabhängig,dieihrerseitsspezifischeArbeitenmachen.DieseArbeitsteilungerfasstnicht nurdieLohnarbeit,sondernauchdieprivateAufteilungvonArbeitenimHaushalt. GeheichzurArbeitinmeinePraxis,binichdavonabhängig,dassdiePatientinnendieTermine einhalten,dasssiesicheinigermassenangemeinsamvereinbarteRegelnhalten,dassdie KrankenkassendieHonorarezahlen,dassderVermietersichandenMietvertraghält,etc.–Auchin konkretenunmittelbarenprofessionellen(Arbeits-)Beziehungenbinichabhängig.Diesozialen VerhältnissewiderspiegelnsichauchinprofessionellenBeziehungsarbeiten. UndinderNachbarschaftunseresMiethausesbinichauchvonderFreundlichkeitder Mitbewohnerinnenabhängig.–DieAbhängigkeitzeigtsichmitanderenWortenauchinden halböffentlichenVerhältnissen. UndauchalsTochterwarichaufdieZuneigungundFürsorglichkeitmeinerElternbzw.Mutter angewiesen,alsMutterbinichwiederumaufeinegewisses„MitmachenundMitspielen“derKinder angewiesenundalsGrossmutter,daswerdenSiemirbestästigen,werdeichauchdaraufangewiesen sein,dassmirmeineTochterdenZugangzudenEnkelinnennichtverbietet.–ImprivatenRahmen derFamilienwirddeutlich,dassdieGenerationenuntereinanderaufvielfältigeWeisevoneinander abhängigsindunddasszugleichderImpuls,ausdieserAbhängigkeitherauszukommen,starkistund Widersprüchegeneriert. Selbstjetzt,wennichhiermeineGedankenausbreiteunddanachmitIhneninsGesprächkommen möchte,binichdaraufangewiesen,dassSieebenfallsinsGesprächkommenwollen.Zwarhabeich meineAusführungenausgewähltundstrukturiertunddamitmeineSelbstbestimmungausgelebt, zugleichbinichvonIhremWunschnachAustauschabhängig. Ichkannalsonichtselbstbestimmtsein,ohneinKonfliktmitvielfältigenFormenvonAbhängigkeiten zugeraten.UnserezentraleErfahrungalsFrauen(undMänner)sindAbhängigkeitsverhältnisse–und dieAutonomiemüssenwirunserringenunderarbeiten.ZugleichistebensozentraldieErfahrung, Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 6 dasswirauchmiteinergewissenSelbstständigkeitnieganzfreivonAbhängigkeitensind.Inden realenVerhältnissenunseresLebensundunseresAlltagesistAbhängigkeitunmittelbarpräsent–und zwarindenöffentlichenherrschendenVerhältnissenebensowieindenprivatenVerhältnissen. Warumalsoistdenn‚Abhängigkeit‘einsoschwierigesPhänomenundphilosophischein stiefmütterlichbehandeltesThema? InmeinerRechercheistmiraufgefallen,dassfeministischeVordenkerinnengewisseAlternativen– imSinneeinesAuswegesausderDualitätAbhängigkeit-Unabhängigkeit–anbieten.Zweidieser Denk-Richtungen,diederSelbstbestimmungkritischgegenüberstehenunddieseausFrauensicht erweiternwollen,willichIhnenvorstellenundskizzieren. EinedieserAlternativenhatCarolGilligenmitihrerPolitisierungderFürsorgevorgeschlagen.3Sie gehtdavonaus,dassjederMensch,geradeinderKindheitundimErwachsenwerden,aufFürsorge angewiesenistunddassdieseFürsorgeGrundlagenichtnurindividuellerEntwicklungen,sondern auchderMitmenschlichkeitunddergesellschaftlichenGerechtigkeitist.Fürsorglichkeit,so beobachtetGilligan,istjedochwiedereineeherweiblicheTugend.DamitFürsorglichkeitnicht wiederzueinerverordnetenSelbstlosigkeitwird,fordertGilliganeinePolitisierungderFürsorge: Frauen(undauchfürsorglicheMänner)sollensichkritischbefragen,wemsiewieFürsorge zukommenlassenwollen,undentsprechenddiesereigenenReflexionauchauswählen.Geradeinder Möglichkeit,dieeigeneFürsorglichkeitgezielteinzusetzenundbewusstauszuwählen,werdavon profitierensoll,geradedarinliegteinMomentderSelbstbestimmung.DerVerdienstvonCarol Gilliganwarundistes,denAspektnotwendigerBeziehungsarbeithervorzustreichenunddas KonzeptderAutonomieindenKontextvonBeziehungenzustellen. InderNachfolgevonCarolGilligankritisiertenfeministischePhilosophinnenwieElisabethConradi dasParadigmadesautonomen(klassisch-philosophischen)Subjektsalsbindungsloses,eher autistischesSubjektundentwarfeneinanderesVerständnisvonMensch-sein.DasSubjekt–Frau oderMann–istgrundlegendkörperlichundinvielfältigenBeziehungen,istfolglichwiederumnurso weitüberhauptselbstbestimmt,wieesdereigeneKörperundderAustauschmitanderenMenschen zulassen.4 DieserAnsatzderpolitisiertenFürsorglichkeitwurdewiederumvonderCare-Bewegungaufgegriffen undweitergetrieben.SolenkendieVertreterinnenderCare-ÖkonomiedasAugenmerkaufdie unbezahlten,freiwilliggeleistetenArbeitenimPflege-undVersorgungsbereich,dervorallemvon FrauenerbrachtwirdundinkeinerVolkswirtschaftsrechnungauftaucht.DieVerfechterinnender Care-ÖkonomiewollendieklassischeAufteilung–hierdiegewichtigeÖkonomie,dortdasbanale 3 4 Gilligan,Carol:DieandereStimme.LebenskonflikteundMoralderFrauen,München1984. Vgl.Conradi,Elisabeth:TakeCare.GrundlageneinerEthikderAchtsamkeit,Frankfurt2001. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 7 Haushalten–unterwandern,dieArbeitsverhältnissevonproduktiverLohnarbeitundreproduktiver Care-Arbeitsichtbarmachen,kritischbefragenundeigenständiginterpretieren.5InaPraetorius drehtdieVerhältnisseum,wennsiepointiertformuliert:„WirtschaftistCare“.6 EineandereAlternativebietendieDiotima-Frauen,einKollektivausItalien,dasgemeinsamdenkt unddeneigenenAlltagbeschreiben,verstehenundvermittelnwill.IhrersterPaukenschlagistdie Einsicht,dassdieEmanzipationeineGabe/einGeschenkdesPatriarchatsistunddieFrauenweiterhin inAbhängigkeithält:DenndiegesellschaftspolitischeEmanzipationhabedieFrauennur vordergründigausderBevormundungderMännerbefreit.NachdemZweitenWeltkrieghätteman denFrauenetwasmehr(juristischverankerte)Rechteeinräumenmüssen,eineStrategie,die langfristigwiederumdieFrauenstillgestellthätte.DieFrauenhättensichmiteiner(vorbestimmten) Emanzipationbegnügenmüssen,diedieFrauenindasGesellschaftsmodellderMännerintegrieren unddiedenFrauenweiterhineinenklarumrissenenPlatzindieserGesellschaftundanderSeitedes MannesinderEhevorzeichnenwürde.WenndieFrauendergeschenktenEmanzipationFolge leisten,müssensiedieselbeVorstellungvonAutonomieundGleichstellung,aberauchähnlicheIdeen zueinemGesellschafts-undGeschlechtervertragübernehmenundkönntenkeineeigenen Vorstellungenentwickeln.7AusdiesemGrundlehnendieDiotima-FrauendieEmanzipationabund kritisierendenFeminismusalsStaatsfeminismusheftig.IhrzentralesAnliegenisteinDenkender Frauen,dasunmittelbarvomeigenenerlebtenAlltagausgeht,vondereigenenPraxisundeinem eigenenErlebenvonFreiheit,kurz:zentralistes,vonsichselberauszugehen.8 Wasaberbedeutetes,vonsichselberauszugehen? WennichvonmirundmeinenErfahrungenausgehe,erlebeichAbhängigkeitundSelbstbestimmung gleichzeitigundkonfliktreich.Ichgehevonmiraus,vonmeinenErfahrungen,undzwarausmeinem Lebenskontextheraus,undwillmichmitanderenFrauen(undMännern)imberuflichenwieprivaten 5 Vgl.Ryter,Elisabeth/Barben,Marie-Louise:Care-ArbeitunterDruck.EingutesLebenfürHochaltrigebraucht Raum.HerausgegebenvonderGrossmütterRevolution,Bern/Basel2015. 6 Praetorius,Ina:WirtschaftistCare.Oder:DieWiederentdeckungdesSelbstverständlichen,Berlin 2015/HeinrichBöllStiftungBand16.Oderauch:Praetorius,Ina(Hg.).SichinBeziehungsetzen.ZurWeltsicht derFreiheitinBezogenheit,Königstein/Taunus2005. WerfürdiePflegevonbetagtenElternverantwortlichist,wirdoftmalswiederandieTöchterdelegiert und/oderzumindestinnerhalbderFamiliendiskutiert.Hierwirdabermalsprivatisiert,wasöffentlichdiskutiert undschliesslichauchvonderGesellschaftunterdemAspektdes„gutenZusammenlebens“politischverhandelt werdenmuss. 7 Vgl.Muraro,Luisa:Nichtalleslässtsichlehren,Rüsselsheim2015.Vgl.Diotima(Hg.):MachtundPolitiksind nichtdasselbe.Sulzbach/Taunus2012.Vgl.auchZamboni,Chiara:DenkeninPräsenz.Gespräche,Orte, Improvisationen.Rüsselsheim2013.Undvgl.Hangartner,Li/Schmuckli,Lisa:DasAnderederPolitik,in:Neue Wege5/2015,S.148-152 8 Vgl.Diotima(Hg.):DieWeltzurWeltbringen.Politik,GeschlechterdifferenzunddieArbeitamSymbolischen, Königstein/Taunus1999. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 8 Alltagverbindenundaustauschen.IndiesemAustauschersterfahreichsinnlichmeine Selbständigkeit:ichbringemicheinalsindividuelleFraumiteigenenIdeenundVorstellungen,mit meinenÄngstenundFreudenundBedürfnissen,mitmeinenZweifelnundPlänenundWünschen. GleichzeitigerfahreichauchindiesenAugenblickenmeineAbhängigkeitvomGegenüber.Ichbin daraufangewiesen,dassmanmichhört,aufnimmt,dassmanmirantwortet.UndjusteineReaktion desGegenübersschränktmeineSelbstbestimmungwiederein. IndiesemAustauschentstehteinDurcheinander.9Wennichvonmirausgeheundmichaustauschen will,wirdesimVerlaufedesProzesses/desGeschehensnichtmehrentscheidendsein,dassdies meinGedankeist,dassdasihreIdeeist,dassdaseinklarumrissenerBeitragvonjenerist…Ichmuss indiesemAustauschnichtmehrübermichselberbestimmen,mussmichnichtpermanentgegen meinGegenüberabgrenzen,umsichtbarzumachen:Dasbinich!StattdemPrimatder Selbstbestimmung(undderIdentitätslogik)folgeichderVertrauensbeziehung.Durch-ein-Ander werdeichübermichselbermehrKlarheiterfahrenundzugleichimAustauschbleiben. WennichdieserÜberlegungfolge,vonmirauszugehenundmichmitanderenauszutauschen,dann geschiehtzweierlei:IchmusszumeinenmichselberundmeineunmittelbareWelt,inderichmich verortetweiss,genauwahrnehmenundauchernstnehmenalsBasismeinereigenenPraxisundals AusgangspunktmeinerpolitischenWünsche.IchmussetwasvonmirundmeinerWeltwissenund erzählenkönnen,sodassichmichaustauschenundverbindenkannmitmeinenInteressenund Wünschen.ZumandernwirdindiesemAustauschdeutlich,dasswirZeitbrauchen.DerFaktorZeit spielthierrein:WahrnehmungundAustauschbewirkeneinewohltuendeEntschleunigung gegenüberdemrasendenFortschritt. AusdiesenAnregungenderVordenkerinnenstelleichnunfolgendesfest:Ichdenke,dassdasPrimat derSelbstbestimmungunserenAlltagnichtnurdominiert,sondernauchinUnordnungbringt.Ja,Sie hörenrichtig:diesespezifische,eindimensionaleSelbstbestimmungbringtunserenAlltagin UnordnungundineinebedrohlicheSchieflage.DenndieSelbstbestimmungwidersprichtunseren Erfahrungenundverlangtvonuns,unsaufeinespezifischeWeiseanherkömmlicheNormen anzupassen.DieseUnordnunggiltes,wiederaufräumen. DieUnordnungzeigtsichschmerzlichauchdort,woderVerlustdereigenenSelbstbestimmung ebensoAngstauszulösenvermag,wiederVersuch,Selbstbestimmungfreiwilligzuüberdenken. 9 Vgl.Knecht,Ursulaundandere(Hg.):ABCdesgutenLebens,DwieDurcheinander,Rüsselsheim2012,hier besondersS.52ff. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 9 3.Fragment:Integrität-in-Abhängigkeitsverhältnissen SiebeschäftigensichmitderAutonomieimAlter,mitderabhängigenUnabhängigkeit(soder Tagungstitel).WasalsokönnteichdaIhnenvermittelnundfürIhreeigeneBeantwortungdieser FragenachderAutonomieimAlterbeitragen? IchmöchtevonmeinenVordenkerinneneinigeAspekteherausgreifen,etwasEigenesdaraus gestaltenundIhnenmeineigenesPuzzlealsGegenentwurfzueinertraditionellenSelbstbestimmung präsentieren.FürmeineVorstellunggreifeichaufdreiZutatenzurück,dieichIhnenskizzierthabe: dasVon-mir-Selbst-AusgehenistdieersteZutat,diezweiteistdasDurcheinander,diedritteistder eigeneKörper,undschliesslichfügeicheineweitere,eigeneZutathinzu,nämlichIntegrität. DieDiotima-FrauenbetonendieNotwendigkeit,vonsichselberauszugehen.Wieschonangedeutet, bedeutetdiesfolgendes:Ichgehevonmiraus,vonmeinemKontextundmeinerPraxis,ichgehevon meinenErfahrungen,ÜberlegungenundBedürfnissenaus,nichtjedoch,umwiederumbeimirzu enden,sondernummichvondiesemAusgangspunktausmitanderenFrauen(undMännern)zu verbinden.IchbringemeineErfahrungenausdemberuflichenundprivatenAlltagzurSprache,ich kanndieseErfahrungenüberdenkenunddieGedanken,Wünsche,VorstellungenundGefühlemit anderenaustauschen,ichgewinneEinsichtenübermeinePositionalsFrauindieserBerufsweltund indieserunübersichtlichenGegenwart.IchkannRechenschaftdarüberablegen,wasmich beschäftigt,wasmichumtreibt,wasmitmirgeschiehtundwasmichberührt.Ichkannalsomeine WeltzurSprachebringenundmichsomitanderenaustauschen.Genauso,wieSieesnunim EinstiegsworkshopzurFrage:wasistfürmichAutonomie?gemachthaben.DieDiotima-Gründerin LuisaMuraroschreibtdazu:„WennwirunsalsoindiesemSinneinBewegungsetzen,istdie wichtigsteEntdeckungdiedesSubjekts.ManentdecktdasSubjekt,sichselber,nichtinderPosition desSubjekts,sondernvondemaus,wasesvervollständigt:ichfindemichinderBeziehungmit anderen,bewohntvonErinnerungen,bewegtvomBegehren.IchfindealsoWünsche,diemichin Bewegungsetzen,Erinnerungen,diemichbeschäftigen,anderenFrauenundMänner,diezumir sprechenoderdiesogarstellvertretendfürmichsprechen,vielleichtauch,ummirzu widersprechen!“10LuisaMurarobetonthiersehrdeutlich:nichtdieSelbstbestimmungzeichnetdie Frauaus.VielmehrwerdeichzueinemSubjektFraudurchdas,wasmichvervollständigt.Das,was michergänztoderbereichert,das,wasanderehinzufügen–erstdiesesMomentlässtmichzueinem SubjektFrau,zueinereigenwilligenPersonwerden.IchinterpretierediesePassageso:Ichkenne zwarmeinenAusgangspunkt,ichweiss,wovonichspreche,wennichvonmirausgehe.Abererstder Austausch,erstdieErweiterungoderZugabevonmeinerGesprächspartnerinodervonmeinen 10 Muraro,Luisa:Vonsichselbstausgehenundsichnichtfindenlassen,in:Diotima(Hg):DieWeltzurWelt bringen.Königstein/Taunus1999,S.18.38,S.35. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 10 GesprächspartnerinnenvervollständigtmichundlässtmichsozueinemIndividuumwerden.Der BeitragderanderenistentscheidendfürmeinSubjektsein.AlsindividuelleFraubinichbegrenzt vollständig;ichbenötigeexistentielldiekonkretanderenFrauen(undMänner),ummichselberund meineWeltzuverstehen.ErstdieseErgänzungoderdiesesWidersprechenvervollständigtmich etwasmehr,machtmichabernichtzueinerabgeschlossenen,verschlossenenPerson.Essindauch dieseErgänzungenundWidersprüche,diemireinenanderenBlickaufmichermöglichen,mich neugierigaufmichselberindieserWeltbleibenlassen. DiesenotwenigeErgänzung,vonderLuisaMuraroindiesemAustauschspricht,setztAbhängigkeit voraus.EsistjedocheineganzandereQualitätvonAbhängigkeitalsesdietraditionelleVorstellung suggeriert.DieQualitätdieserhierangesprochenenAbhängigkeithatetwasmitSinnlichkeitundmit Vermittlungzutun,bautaufderNeugierundaufdemMitteilenauf. LassenSieesmichmitfolgendemBildsymbolisieren:ichbrauchedenSeeoderdasMeer,wennich schwimmenwill,brauchedennassenWiderstanddesWassers,ummeineKraftimKörperzuspüren undmeineBewegungauszuüben;ebensobraucheichandereFrauenunddengemeinsamen Austausch,wennichmichalsFrauindieserZeitverstehenwill. UndnocheinandererAspektistsozentralfürdasVon-sich-selber-ausgehen:nämlichdieErfahrung. JetztgehtesnichtmehrumdenAustauschvonSelbsterfahrungen,jetztgehtesdarum,die ErfahrungenalsunhintergehbarePraxisindiePolitikeinzubringen.LuisaMuraroschreibtdazu:„Die ErfahrungistetwasUnverhandelbares,allerdingsisteskeinkonfliktfreies,geschweigedenn definitivesUnterfangen,sieinWortezufassen.WennwirdenBezugzurErfahrungverlieren, verlierenwirdieBedeutungdessen,waswirdankderErfahrungfindenkönnen,einschliesslichunser Begehren.“11DieErfahrungenalsAusgangspunktunserespolitischenVerständnissesverankertunsin derRealität,eröffnetunseineigenständigeInterpretationderGegenwartundverweistunsaufunser Begehren. MeinezweiteZutatistdasDurcheinander.Ichbehaupte,dassdieradikaleBevorzugungder Autonomie,dassdiehartnäckiganhaltendeDominanzderVorstellung,autonomseinzumüssenbis inshöchsteAlter–dassdieseVorstellungeinfurchtbaresDurcheinanderimZusammenlebenundim eigenenSelbstverständnisschafft. Wasgeschiehtdennmitmirindividuell,wennichpermanentbeweisenmuss,dassichselbständig bin?WaspassiertmiteinerGesellschaft,wenndieseimmerwiederAutonomie,seitjüngsterZeit politischverstärktunterdemLabel‚Eigenverantwortung‘,gnadenloseinfordertundzugleich Menschen,diedieseAutonomieausvielfältigenGründenwieUnfälle,Krankheit,Geburtsgebrechen, Alterbzw.Kindheitnichtleistenkönnen,subtilausgrenzt? 11 Muraro,Luisa:Nichtalleslässtsichlehren,Rüsselsheim2015,S.86. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 11 SeitKindsbeinenanlernenwirmeistunkompliziert,dasswiraufeinanderangewiesensind.Mitder Geburtwirddeutlich,dassdaeinKleinkindaufjemandenangewiesenist,umüberhauptzu überlebenundumindieWelteingeführtzuwerden.AlleMenschenwurdengeborenundwaren abhängigKleinkinder.NatürlichgehörtauchdieErfahrungdazu,esselbermachenzuwollen/zu können.Dasfröhlicheoderernsteoderexperimentelle:Sälbermache!desKindesverweistjagerade auchaufdieAbhängigkeit,nämlich,dassderElternteiloderdieGrossmutterdemKinddenSpielraum desExperimentesfreihält. SeitKindsbeinenerfahrenwir,dasswirnurdurcheinanderzueigenständigenPersonenwerden,und lernen,quasizumTrotz,dieseErfahrungzuverleugnenunddasIdealderSelbstbestimmung hochzuhalten.GleichzeitigerahnenwirindiesemProzess,wiefragilundanstrengend,wiemühsam undwunderbarSelbstbestimmungist. SeitdenKindertagenwissenwir,dasswirfürdasSpielen,Lernen,Kochen,Reden,selbstfürs TelefonierenoderStreitenaufandereangewiesensind.WirahnenmitdiesenErfahrungen,dass Beziehungslosigkeit,UnverbundenheitodersozialeIsolationfürunslebensbedrohlichsind. AlldiesekonkretensinnlichenErfahrungenfindenkaumodernurwenigEingangineinerweitertes VerständnisvonSelbstbestimmung.DieklassischeAutonomie,dieaufeinemvernünftigengesunden weissenSubjekt-MannaufbautundgegenwärtigverdächtigeautistischeZügeaufweist,dieses VerständnisvonAutonomieentwertetzugleichjedeFormderAbhängigkeitundverlängertdie massiveAsymmetrie.12 Das,waswirvonKindsbeinenanmitbekommenhaben,wurdeimVerlaufedesErwachsenwerdens durcheinanderundineinegravierendeUnordnunggebracht,dieesjetztwiederaufzuräumengilt. UnddasDurch-ein-Anderbetontgerade,dassdasAufräumenunddasVerstehen,wiewirgemeinsam dasZusammenlebenund–arbeitengestaltenwollen,nurdurcheinanderfunktioniert,seltener gegeneinander,sicherlichnichtohneeinander.HiersetzenimDurcheinanderdie Vertrauensbeziehungenein. WirtreffenunshieralsFrauen,alsGrossmütter.Wirsindkörperlichpräsent.DieFürsorglichkeit,die SieTöchternundSöhnen,EnkelundEnkelinnenzukommenliessenundweiterhinzukommenlassen, istgrundlegendkörperlich,sinnlich.WirsindhieralsTöchter,diegeborenwordensind,undals Frauen,diemöglicherweiseauchgeborenhaben.DereigeneKörperistinunseremAlltagpräsent. UnserKörperistmalunserTempelderLust,malHölledesSchmerzens,malHeimatderSeele,mal TrägerdesKopfs...Waswirsehen,fühlen,spüren,riechen,kosten,waswirträumenunddenken,was 12 Vgl.zurÜberwindungderklassischmännlichkonnotiertenAutonomiebeispielsweise:Knecht,Ursulau.a.: ABCdesgutenLebens,Rüsselsheim2012,oder:Welch,Sharon:GemeinschaftendesWiderstandesundder Solidarität.EinefeministischeTheologiederBefreiung,Freiburg1988. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 12 wirwahrnehmenundausblenden,wenimmerwirumarmen,obwirnochodernichtmehr menstruieren:wir„tun“diesmitunseremindividuellen,eigenenKörper. DerKörperistmireinwichtigesThemaderFrauenbewegung;underistunserematerielleBasisall unsererWahrnehmungenundErfahrungen;schliesslichsindwirFrauenauchaufgrundunseres eigenenKörpers.13 DieAutonomieimAlteristdannbedroht,wenndereigeneKörpernichtmehrleistet,wasmansich nochwünscht.WirsindinunserenAlltagpermanentvomKörperabhängigundjustdieswirdzu häufigausgeblendetoderverdrängt.GeradeimAlterwirddochdereigeneKörperoftauch ängstlicherbeobachtet.DerKörperwirdzumSynonymfürVersehrtheit,dieAngst,dassderKörper nichtmehrverlässlichist,sondernmüdekrankfragilwird,dasserdenDienstversagt…dieseAngst vorderkörperlichenVersehrtheitverdeutlichtdievielfältigenÄngstevoreinerAbhängigkeit,gerade weilderKörperdieVorstellungvonUnabhängigkeitdurchkreuztundlahmlegt.14 DieAuseinandersetzungmitdereigenenVersehrtheit,mitdemeigenenkörperlichenAlterungsprozessundZerfallistunabdingbar,umsichinseinerHautweiterhinwohlzufühlen.Wirlebenin einerZeit,diedemMythosderUnversehrtheitmitallentechnischenundmedizinischen Möglichkeitenfrönt,ineinerZeit,inderVersehrtheitundTodausgeblendetwird.15Verpasste Chancen,scheintmir.DennwersichhieraufGesprächeeinlässt,erfährt,wiemenschen-unfreundlich undlebensfeindlichderMythosderUnversehrtheitist,wieeinschneidendKrankheitensind,wie wichtigesist,eineeigeneHaltungzusich,zuseinemKörper,zuseinerLebensführungzuentwickeln. EigeneWünschezurealisieren...Undwohlbesonderswichtig:InderAuseinandersetzungum VersehrtheitkönntendieGenerationenwiedermiteinanderinsGesprächkommen,vielleichtweniger überSelbstbestimmung,alsvielmehrüberGrenzenundLebenswünsche. DiedreivorausgegangenenIngredienzienführenmichzuetwasviertem,unerwartetem:nämlichzur Integrität.SeitichmichausführlichermitdiesemPaarUnabhängigkeit-Abhängigkeitbeschäftige, frageichmich,warumessowenigumIntegritätgeht.Ichdenke,dasswirdaskonfliktreiche SpannungsfeldzwischenAutonomieundAbhängigkeitnichtauflösenkönnenundesauchnicht (mehr)wollen.UnddochstarrenwiraufdieseSelbstbestimmungwiedassprichwörtlicheHäschen aufdieSchlagen.Warumnur,frageichmich,istdieserüberlieferteWertauchfürdieFrauennoch 13 Vgl.dazuexemplarisch:AmmichtQuinn,Regina:Körper–Religion–Sexualität.TheologischeReflexionenzur EthikderGeschlechter,Mainz1999;und:VonBraun,Christina:Nicht-Ich.Logik,Lüge,Libido,Frankfurt1990. 14 Vgl.Shklar,Judith:DerLiberalismusderFurcht,Berlin2013,hierspeziellS.51. 15 Vgl.Schmuckli,Lisa:Hautnah.Körperbilder–Körpergeschichten.PhilosophischeZugängezurMetamorphose desKörpers,Königstein/Taunus2001. Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 13 heutesowichtig,wodochdieeigenenErfahrungenvonanderenQualitätenundWerten,von anderenGefühlenundVerhältnissenzeugen? WichtigerscheintmirnachalldiesenAusführungen,dasswirnachdersubjektivenIntegritätin Abhängigkeitsverhältnissenfragen.IntegritätumschreibtjaeinsubjektivesSelbst-GefühlundSelbstVerständnis,eineVorstellungvonUnversehrtheitimWissendarum,dassmanverletztwerdenkann. IntegritätumschreibtaucheinVerhältniszueinerWelt,dieeinendasFürchtenjedenTagvonneuem lehrt.SoistfürmichdieentscheidendeFragewenigerjenenachderAutonomieimAlter,sondern nachdereigenenVorstellungvonIntegrität-in-Abhängigkeitsverhältnissen.Wiegelingtesmirmit Hilfevonanderen,inSituationenvonAbhängigkeitundAustausch,integerzubleiben? Integrität-in-Abhängigkeitsverhältnissenumfasstmindestenszweierlei:Esgehtdarum,den GestaltungsspielraumvonArbeits-undanderenVerhältnissen,alsodarum,Beziehungenauszuloten undzugestalten.WennwiralsFrauenBeziehungenundVerhältnissegestaltenkönnen,bringenwir konkreteSelbstbestimmungeinundriskierenimmerwiedervonneuemauchkonfliktive Auseinandersetzungen.EsgehtzumandernauchumdaspermanenteBewusstwerdenvon Prozessen,denenwirpassivodergarohnmächtigausgesetztsind,Prozessewiebeispielsweisejener deskörperlichenAlternsoderjenepolitischenoderwirtschaftlichenProzesse,wowirinder Minderheitsindodergarnichtmitredenkönnen.DasBewusstwerdenhilft,dieOhnmachtzu durchschauenunddievielfältigenGefühlevonAbhängigkeitengemeinsamzuteilen–umdannzu klären:wiebleibeich,wiebleibenwirindiesenkomplexenVerhältnisseninteger? BestenDankfürIhreAufmerksamkeit… ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ …undmitfolgendenFragenmöchteichgerneindieDiskussionüberleiten: • WieerlebteichdenWegvonderSelbstlosigkeitzurSelbstbestimmung? • WasgefälltmiranmeinerEmanzipation? • Und:wasmachtSelbstbestimmungsoattraktiv?UndAbhängigkeitsoverachtenswert? • WasstörtmichanAbhängigkeiten?GibtesAbhängigkeiten,dieichwohltuenderlebthabe und/odererlebe? • Wofühleichmichinteger? • Wasbraucheich,ummichineinerAbhängigkeitintegerzufühlen? • WiehalteichesmitderIntegrität-in-Abhängigkeiten? • WelcheIngredienzienhabenSiefürIhrVerständnisvonIntegrität-inAbhängigkeitsverhältnissen? Dr.phil.LisaSchmuckli,freischaffendePhilosophin,Luzern/April2016,© 14 Literatur: AmmichtQuinn,Regina:Körper–Religion–Sexualität.TheologischeReflexionenzurEthikder Geschlechter,Mainz1999. Conradi,Elisabeth:TakeCare.GrundlageneinerEthikderAchtsamkeit,Frankfurt2001. 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