Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrates des Kantons Zürich KR-Nr. 232/1994 Sitzung vom 5. Oktober 1994 3021. Anfrage (Neue Wege in der Drogentherapie) Kantonsrat Daniel Schloeth, Zürich, hat am 11. Juli 1994 folgende Anfrage eingereicht: Angesichts des noch wachsenden Problems der Abhängigkeit von illegalen Betäubungsmitteln und neuer Erkenntnisse der damit befassten Forschung möchte ich dem Regierungsrat folgende Fragen zu Verbesserungsmöglichkeiten der Therapieeinrichtungen im Kanton Zürich stellen: 1. Bei wie vielen der im Kanton Zürich von öffentlichen als auch privaten Einrichtungen betreuten Drogenabhängigen ist bei der Einweisung eine Doppeldiagnose (Sucht und psychische Störungen wie Schizophrenie, «borderline»-Syndrom und/oder Depression treten gemeinsam auf) gestellt worden? Was geschieht im Kanton Zürich mit Abhängigen von illegalen Betäubungsmitteln, bei denen Doppeldiagnosen gestellt werden? Was kann der Kanton Zürich unternehmen, um diese wachsende Gruppe von bisher ungenügend betreuten Abhängigen adäquat zu therapieren? Im Kanton Bern sind schon einzelne Bestrebungen im Gang, und Mitte September wird sich ein Kongress an der Universität Zürich mit der Behandlung von Doppeldiagnosepatienten befassen. 2. Bei der Untersuchung von Therapieeinrichtungen für Drogenabhängige wird versucht, den Erfolg der medizinischen, psychischen und sozialen Hilfestellungen für die Behandelten und die Gesellschaft zu beurteilen. Werden dabei auch die psychischen Auswirkungen für diejenigen Drogenabhängigen beachtet, welche aufgrund von Überlastung und/oder restriktiven Aufnahmekriterien einer Therapieeinrichtung mit einer Ablehnung fertig werden müssen? Wie gross ist der Prozentsatz von abgewiesenen Gesuchstellenden für einen langfristigen Therapieplatz? Wie beurteilt der Regierungsrat die psychischen Auswirkungen für die abgewiesenen Abhängigen von illegalen Betäubungsmitteln? 3. Es ist bekannt, dass Abhängige von illegalen Betäubungsmitteln im Verlauf ihrer Suchtkarriere und auch während einer Therapie Rückfälle erleiden. Bei vielen öffentlichen und privaten Einrichtungen zur langfristigen Therapie (nach abgeschlossenem körperlichem Entzug) bedeutet ein einmaliger Rückfall in die Sucht den Ausschluss von der Therapie. Die psychischen Auswirkungen einesTherapieausschlusses auf die Motivation von Drogenabhängigen zum Ausstieg ist jedoch klar negativ. Es kann sich somit ein eigentlicher Teufelskreis von immer grösserer Abhängigkeit entwickeln. Unterstützt der Regierungsrat ein differenziertes Konzept, das (wie zum Teil in der Fachliteratur bekannt) zwischen einem einmaligen Ausrutscher und einem dauernden Rückfall in die Sucht unterscheidet? Ausrutscher können demnach aufgefangen werden, indem man sie als korrigierbaren Misstritt auffasst, aus dem unter therapeutischer Anleitung gelernt werden kann, solche in Zukunft zu vermeiden. Auf Antrag der Direktionen der Fürsorge und des Gesundheitswesens beschliesst der Regierungsrat: I. Die Anfrage Daniel Schloeth, Zürich, wird wie folgt beantwortet: 1. Eine grössere Minderheit der Drogenabhängigen leidet nicht nur an ihrer Sucht, sondern auch an einer psychiatrischen Krankheit wie Schizophrenie oder Depression. In Fachkreisen wird dafür der Begriff der Dualdiagnose oder Doppeldiagnose verwendet. Dieses Phänomen bezieht sich nicht nur auf Abhängige von illegalen Drogen, sondern auch auf Alkoholkranke. Als Ursache wird beispielsweise der Versuch einer Selbstbehandlung der psychiatrischen Krankheit mittels der Droge oder eine sekundäre, durch den Drogenkonsum ausgelöste Erkrankung postuliert. Der Anteil von Patienten mit einer Doppeldiagnose wird etwa auf einen Fünftel bis einen Drittel aller Abhängigen von illegalen Drogen geschätzt. So waren es 1993 in den Einrichtungen des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Psychiatrischen Universitätsklinik 208 Fälle von insgesamt 1018 behandelten Patienten, davon 190 im ambulanten und 18 im stationären Bereich. Die Behandlung dieser Patienten ist im ambulanten Bereich gesichert. Die in allen Psychiatrieregionen vorhandenen Drogenberatungsstellen Drop-in verfügen über psychiatrisch erfahrene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und sind psychiatrischen Diensten angeschlossen. Sie sind damit gut darauf vorbereitet, Suchtkranke mit zusätzlichen psychischen Störungen abzuklären, zu beraten und zu behandeln. Im stationären Bereich hat die Psychiatrische Universitätsklinik eine Sonderstation für Patienten mit Doppeldiagnose eingerichtet, die in erster Linie solche Patienten aus der eigenen Versorgungsregion, bei freien Plätzen aber auch aus dem übrigen Kantonsbereich aufnimmt. Die anderen psychiatrischen Regionskliniken im Kanton behandeln derartige Fälle auf ihren Akut- oder Langzeit- und Rehabilitationsstationen für psychisch Kranke. Wesentlich sind dabei die korrekte Diagnostik und die darauf abgestützte Behandlung. Die psychiatrischen Kliniken sind in diesen Fällen die geeigneten Institutionen. Durch den hohen Anteil psychisch Kranker, die im Verlauf der Krankheit mit Suchtmitteln in Kontakt kommen, muss immer die Gefahr der Drogenabhängigkeit thematisiert werden. Nur in einzelnen Fällen und bei guter psychiatrischer Konsiliarbetreuung können Patienten mit schweren psychischen Störungen in stationäre Therapieeinrichtungen, die speziell auf Drogenabhängige oder Alkoholiker ausgerichtet sind, eingewiesen werden. Eine demnächst anlaufende systematische und kontinuierliche Weiterbildung für Suchttherapeuten befasst sich unter anderem ebenfalls mit diesem wichtigen Thema. Die in Bern entstehenden Therapiekonzepte und die Zürcher Erfahrungen werden, ebenso wie internationale Erfahrungen, periodisch verglichen und diskutiert. 2. Bedingt durch die Vielzahl verschiedenster stationärer Institutionen der Drogenentwöhnung und Rehabilitation, durch Mehrfachanmeldungen und die abhängigkeitsbedingte Unstetigkeit der Anmelder während dieser Phase ist eine aussagekräftige Erfassung abgewiesener Bewerber schwierig. Beispielsweise betrug in der Klinik Sonnenbühl diese Zahl für 1993 14 Personen, im Vergleich zu 27 aufgenommenen Patienten. 51 Patienten konnten aus Platzgründen nicht aufgenommen werden oder wählten einen anderen Weg. Eine Optimierung der Zugänglichkeit der stationären Therapieeinrichtungen soll in Zukunft durch eine koordinierte Erfassung freier Plätze auf gesamtschweizerischer Ebene (Reha 2000) erreicht werden. Der Kanton Zürich beteiligt sich daran als einer der Pilotkantone. Im ambulanten Bereich ist das Behandlungsangebot diversifiziert und ausgebaut, und restriktive Aufnahmebedingungen einzelner Therapieeinrichtungen werden durch Niedrigschwelligkeit anderer Einrichtungen ausgeglichen. Es darf davon ausgegangen werden, dass Behandlungswillige innert nützlicher Frist in eine ambulante Therapie aufgenommen werden können. 3. Therapieausschlüsse aufgrund von Rückfällen in den Konsum von Suchtmitteln kommen insbesondere im stationären Bereich vor. Die dafür geltenden Regeln sind unterschiedlich strikt. Es kann kein stationäres Therapieprogramm das Einschleusen von Suchtmitteln tolerieren. Suchtmittelkonsum ausserhalb der Einrichtung, zum Beispiel im Ausgang, wird aber unterschiedlich sanktioniert. Bei klarem oder wiederholtem Verstoss gegen die Abstinenzregel kann der Ausschluss aber auch positive Folgen haben. Der Suchtpatient lernt durch einen solchen Absturz mit seinen Absichten Ernst zu machen. Um die negativen Auswirkungen eines Therapieabbruchs eingrenzen zu können, besteht in Zürich die Therapiestation Steinwies. Sie nimmt Abbrecher bzw. Ausgeschlossene aus stationären Therapien auf sowie Patienten, die in ambulanter Behandlung in eine Krise geraten. Mit individuellem Regime und individueller Aufenthaltsdauer wird versucht, die entstandene Krise aufzufangen. Im ambulanten Bereich müssen die Grenzen weiter gezogen werden. Es gibt kaum eine ambulante Behandlung, die nach einmaligem Rückfall einen Ausschluss verfügt. Rückfallsfreiheit ist eines der Behandlungsziele und kann nicht von Anfang an verlangt werden. Wichtig ist, dass an den Rückfällen gearbeitet und aus ihnen gelernt wird. Hier wird aber gerade auch die Grenze einer ambulanten gegenüber einer stationären Therapie aufgezeigt. II. Mitteilung an die Mitglieder des Kantonsrates und des Regierungsrates sowie an die Direktionen der Fürsorge und des Gesundheitswesens. Zürich, den 5. Oktober 1994 Vor dem Regierungsrat Der Staatsschreiber: i.V. Hirschi