4 Atmung, Säure-Basen-Haushalt 80 Obstruktive Lungenerkrankungen Auf dem Weg in die Alveolen passiert Luft die Atemwege (→ S. 72), die der Strömung einen Widerstand (Resistance) entgegensetzen. Der Widerstand wird durch das Lumen der Atemwege (v. a. ≤ 2 mm) diktiert. Das Lumen kann durch Schleim und durch Kontraktion der Bronchialmuskulatur eingeengt werden. Der Schleim wird sezerniert, um Erreger und Schmutzpartikel abzufangen. Über Flimmerhaare wird er zum Rachen transportiert und dann verschluckt. Da die Flimmerhaare im zähflüssigen Schleim nicht schlagen können, wird normalerweise Elektrolytlösung sezerniert, die den Schleim von den Flimmerhaaren abhebt. Auf einer dünnen Flüssigkeitsschicht schwimmt der Schleim dann oralwärts. Über Aktivierung der Bronchialmuskulatur kann das Lumen enggestellt und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass Erreger im Schleim hängen bleiben. Der Preis ist eine Widerstandszunahme. Bei gesteigerter Resistance spricht man von obstruktiven Lungenerkrankungen. Eine intrathorakale Zunahme der Resistance ist meist auf Verengung bzw. Verlegung der Bronchien zurückzuführen, sei es durch Kompression von außen, durch Kontraktion der Bronchialmuskulatur, durch Verdickung der die Atemwege auskleidenden Schleimhaut oder durch Verlegung des Lumens mit Schleim. Meist sind die genannten Veränderungen Folgen von Asthma oder chronischer Bronchitis. Bei Asthma liegt eine Allergie gegen inhalierte Antigene vor (z. B. Blütenstaub, Pollen). Diese Antigene lösen eine Entzündung der Bronchialschleimhaut aus, die u. a. zur Freisetzung von Histamin, Leukotrienen (v. a. LTD4), Prostaglandinen, Thromboxan, PAF (platelet activating factor), Cytokinen, Bradykinin, Tachykininen, reaktiven Sauerstoffspezies, Adenosin, Anaphylatoxinen, Endothelin, NO und Wachstumsfaktoren führt. In der Folge kontrahiert die Bronchialmuskulatur, und Schleimsekretion sowie Gefäßpermeabilität (Schleimhautödem) sind gesteigert (→ A oben). Neben inhalierten Antigenen können auch in der Schleimhaut sitzende Mikroorganismen antigen wirken (infektallergisches Asthma). Hier sind die Grenzen zur chronischen Bronchitis fließend. Eine obstruktive Lungenerkrankung kann auch Folge von Mukoviszidose sein: Durch einen genetischen Defekt des CFTR (→ S. 176) überwiegt die Flüssigkeitsresorption, und der Schleim kann nicht mehr abtransportiert werden. Auch eine herabgesetzte Retraktionskraft der Lunge (sog. schlaffe Lunge, → S. 82) kann zu obstruktiven Lungenerkrankungen führen, da bei gesteigerter Compliance zur Exspiration ein Überdruck aufgewendet werden muss, der die intrathorakalen Atemwege komprimiert (s. u.). Eine extrathorakale Zunahme der Resistance tritt z. B. bei Stimmbandlähmung, Glottisödem und Kompression der Trachea von außen auf (z. B. Tumoren, Struma [→ S. 302 ff.]). Bei der sog. Tracheomalazie ist die Trachealwand aufgeweicht und kollabiert bei Inspiration. Auswirkung einer obstruktiven Lungenerkrankung ist eine eingeschränkte Ventilation. Bei extrathorakalen Hindernissen ist vorwiegend die Inspiration betroffen (inspiratorischer Stridor), da der bei Exspiration steigende prästenotische Druck im Lumen der Atemwege die Engstelle weitet. Intrathorakale Hindernisse beeinträchtigen vorwiegend die Exspiration, da der bei Inspiration sinkende intrathorakale Druck die Atemwege erweitert. Der Atemzeitquotient (Exspirationsdauer/Inspirationsdauer) nimmt zu. Die erschwerte Exspiration überbläht die Ductuli alveolares (zentrilobuläres Emphysem, → S. 82), die Retraktionskraft der Lunge nimmt ab (Zunahme der Compliance), und die Atemmittellage wird in Richtung Inspiration verschoben (Faßthorax, → S. 82). Dabei ist die funktionelle Residualkapazität erhöht. Durch die Zunahme von Compliance und Resistance muss zur Exspiration ein intrathorakaler Überdruck erzeugt werden. Dieser bewirkt eine Kompression der Bronchiolen, so dass der Atemwegswiderstand weiter zunimmt. Während die Arbeit zur Überwindung der elastischen Lungenwiderstände normal oder sogar vermindert sein kann, ist die Arbeit zur Überwindung der viskösen Widerstände und damit die Gesamt-Atemarbeit massiv gesteigert (→ A Mitte). Die Obstruktion schränkt Atemgrenzwert (V̇ max) und Sekundenkapazität ein, die unterschiedliche Ventilation verschiedener Alveolen führt zu Verteilungsstörungen (→ S. 76). Die Hypoxie hypoventilierter Alveolen führt zu Vasokonstriktion, Widerstandszunahme im kleinen Kreislauf, pulmonaler Hypertonie und Rechtsherzbelastung (Cor pulmonale, → S. 228). aus: Silbernagl u. a., Taschenatlas Pathophysiologie (ISBN 9783131021939) © 2009 Georg Thieme Verlag KG Obstruktive Lungenerkrankungen A. Obstruktive Lungenerkrankungen normal Knorpelspangen Infektion Allergie Asthma Entzündung Flimmerzellen u. a. Histamin Leukotriene Becherzellen Bronchialdrüsen Muskeln Bronchiolus (Schnitt) Muskelkontraktion Schleimhautödem Ruhelage 0 0 inspiratorisch Ventilationsstörung 0,5 0,5 pathologisch normal Exspiration Lungenvolumen (l) Atemarbeit Zeit (s) exspiratorisch 1 Zunahme des Atemwiderstands Lungenvolumen (l) 0 normal pathologisch Alveolardruck (kPa) Inspiration Exspiration +1 0 Inspiration Schleimsekretion 0 1 Pleuradruck Ppl (kPa) Exspiration erfordert Überdruck 1 Pleuradruck Ppl (kPa) Kompression der Bronchien Hypoxie Dyspnoe erschwerte Exspiration Vasokonstriktion der Lungengefäße Kompression der Gefäße pulmonale Hypertonie Überblähung der Lunge Emphysem Rechtsherzinsuffizienz aus: Silbernagl u. a., Taschenatlas Pathophysiologie (ISBN 9783131021939) © 2009 Georg Thieme Verlag KG 81 4 Atmung, Säure-Basen-Haushalt Tafel 4.6