Hoffnung und Verantwortung

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
FERDINAND-RUPERT PROSTMEIER
Hoffnung und Verantwortung
Zeitenkrise und Zeitendeutung im frühen Christentum
Originalbeitrag erschienen in:
Regensburger RU-Notizen 18 (1999), H. 2, S. 3-16
Hoffnung und Verantwortung
Zeitenkrise und Zeitendeutung im frühen Christentum'
Ein signifikanter Sektor der Wirkungsgeschichte literarischer Formen und theologischer
Traditionen, Motive und Vorstellungskomplexe des Judentums im antiken Christentum
ist die frühchristliche Apokalyptik. Die Analyse der Gegenwart und ihre enthüllende
Deutung mithilfe apokalyptischer Vorstellungen und Deutungsmuster als Krisenzeit sind
keine marginalen Phänomene in der Alten Kirche. Die Prägekraft der frühjüdischen
Apokalyptik für die Alte Kirche ist darin erkennbar, dass die nachösterlichen Gemeinden
Jesu Botschaft von der akut nahen Gottesherrschaft, in der apokalyptisches Material eingegangen und transformiert ist, erneut apokalyptisch profilierte. Ernst Käsemann hat
daher die Apokalyptik „die Mutter aller christlichen Theologie"' genannt.
Im folgenden geht es um die Fortdauer und Funktion eines für die apokalyptische Konzeption von Geschichte und Welt in Verbindung mit der Frage nach dem eschatologischen
Heil und der Teilhabe an diesem Heil signifikanten Aspekts in der frühchristlichen Literatur. Im Zentrum steht die als akute Krise erlebte Zeit und die theologische Durchleuchtung der gegenwärtigen Zeitverhältnisse, wobei sich Erleben und Deutung regelmäßig in kosmische und transhistorische Dimensionen einordnen. Der Drehpunkt, um
den alle theologische Reflexion der Apokalyptik über Geschichte und Zukunft, und zwar
hinsichtlich des Heils, konzeptionell gruppiert ist, der eschatologische Kairos also, ließe
sich mit dem Wortspiel „Zeiten(w)ende" beschreiben.
1. Zeiten(w)ende und Heil in der frühjüdischen Apokalyptik
Die Annomination „Zeiten(w)ende" setzt die Idee voraus, dass die irdische Wirklichkeit
ein Provisorium und vergänglich ist. Im Blickfeld des vorliegenden Beitrags ist diese Vorstellung die biblisch begründete Geschichtsauffassung, wonach Gott seiner Schöpfung
einen Anfang, ein Ende und ein Ziel gesetzt hat. Die Zeit ist also zugleich mit der Welt
erschaffen und durch das Ende der Welt begrenzt. Zeit und ihre existenziellen Denominationen Zeitlichkeit, Geschichtlichkeit und Weltlichkeit sind daher mit einer spezifischen Bedeutung ausgestattet, nämlich mit dem konstitutiven Bezug auf den Schöpfer. In
der frühjüdischen Apokalyptik 3 verbindet sich damit ein charakteristisches Wirklichkeitsverständnis4 — und Lebensgefühl. Demzufolge steht erstens die Geschichte unter dem
zunehmenden Einfluss von Sünde und der Macht des Bösen und zweitens ist die Gegenwart jene weltgeschichtliche Endperiode, die nächstens in einem furiosen Finale von
allem Widergöttlichen kulminiert. Daher erkennt die frühjüdische Apokalyptik im
Unterschied zur alttestamentlich prophetischen und weisheitlichen Tradition das Ziel der
Schöpfung nicht (mehr) in einer innerweltlichen Realisierung von Gottes Heilszusagen.
Gegenstand der apokalyptischen Hoffnung ist vielmehr eine exklusiv transzendente
Wirklichkeit, die alles Innerweltliche ablösen wird. Eine innergeschichtliche Heilserfahrung ist in diesem theozentrisch ausgerichteten eschatologischen Denkhorizont nicht
erschwinglich.' Erkennbar sind nur die Zeichen der Heilsverheißung, nämlich die Erwählung Israels, die Offenbarungen Gottes und die Tora. 6 Sie weisen auf jene zukünftige, jenseitige Erfüllung, die mit der Ablösung der gegenwärtigen Welt und der Beseitigung aller
Heilsantagonismen durch eine neue Schöpfung in Kürze erfolgen wird. Mit der gegenwärtigen Schöpfung verbindet sie (nur), dass sie ebenfalls Werk Gottes ist. Dieser eschatologische Kairos, sein theozentrisches Profil und seine Nähe sind Konstitutiva des apokalyptischen Welt-, Geschichts- und Gottesbildes.' Hierbei ist die Vertrautheit mit der
Dramaturgie der Endzeit und das Wissen um deren heilvollen Ausgang für die Gerechten
und Frommen vor Gott eine wichtige Konstante des apokalyptischen Selbstverständnisses'. Diese Konzeption zielt darauf, die Gegenwart aus der Perspektive des in der Regie
Gottes nahenden Geschichtsendes und der von Gott initiierten neuen Heilszeit sowohl
zu deuten als auch Hoffnung zu schaffen, zu trösten und zu ermutigen.'
Beide Ziele münden in eine spezifische Ethik. Neben der Eschatologisierung des in weisheitlicher Tradition beheimateten Tun-Ergehen-Zusammenhangs" zeichnet diese Ethik
Ferdinand R.
Prostmeier
ihre mit der Paralyse Israels als Erwählungsgemeinschaft verbundene Individualisierung"
und die Abkapselung Gleichgesinnter aus." Kraft der universellen Eschatologisierung
besitzt für jeden, der dieses überhitzte Existenzverständnis teilt, die Frage nach der Teilhabe am verheißenen Heil unüberbietbare Brisanz und existenziellen Rang. Von dieser
Konzeption her bestimmen sich die Modelle und Strukturen, mit denen die frühjüdische
Apokalyptik die geschichtliche Wirklichkeit sowie das Offenbarungsgeschehen erfasst
und beschreibt." Der Charakter der Gegenwart als die Zeit der Enthüllung von Gottes
eschatologischem Heilsplan und insofern als die akute Phase vor der Heilszeit sowie die
Partizipation am eschatologischen Heil erweisen sich hierbei als Axialthemen der spätantiken Apokalyptik.
2. Zeiten(w)ende und Heil in frühchristlicher Sicht
Die Vorstellungswelt und die Deutungsmuster der frühjüdischen Apokalyptik sowie ihr
soteriologisches Thema fanden im judenchristlichen Milieu den Weg in die Alte Kirche
und den Eingang in die frühchristliche Literatur. In einem Klima gespannter Erwartung
auf den eschatologischen Umbruch avancierten Denkmodelle und Strukturen der spätantiken jüdischen Apokalyptik zum bevorzugten Repertoire für die Artikulation des christlichen Glaubens sowie zur Deutung der Kirche in der Welt. Darüber hinaus zitiert die
Alte Kirche nicht nur jüdische Apokalypsen und billigte ihnen damit einen beachtlichen
Rang neben der Schrift zu", sondern sie okkupierte diese Literatur auf zweifachem Weg.
Zum einen überarbeitete sie jüdische Apokalypsen" und gab ihnen einen christlichen
Anstrich, zum anderen schuf sie eigene Werke dieser Textsorte' 6, wodurch diese jüdische
Literaturgattung in das Formenrepertoire christlicher Literatur eingereiht wurde. Aus dieser historischen und literarischen Verbindung zwischen der frühjüdischen und der frühchristlichen Apokalyptik erklärt sich die genreübergreifende Verwendung apokalyptischer Denk- und Ausdrucksschemata als Topoi".
Das hervorstechendste Unterscheidungsmerkmal, durch das sich die frühchristliche Apokalyptik von ihrem jüdischen Mutterboden abhebt, ist die soteriologische Qualität und
Funktion, die sie dem eschatologischen Kairos beimisst. Der Konzeption der jüdischen
Apokalyptik zufolge findet in diesem Umbruch eine unter wachsendem Ordnungsverlust
leidende, soteriologisch zunehmend depravierte Zeit durch einen transhistorischen, göttlichen Akt abrupt ihr Ende, und es setzt ein qualitativ neuer, ewiger Heilszustand mit der
Verwirklichung des verheißenen Heils ein."
Das hellenistische Judentum und das frühe Christentum benennen diesen weltgeschichtlichen Augenblick vorzugsweise mit der in der alttestamentlichen Prophetie geprägten
Wendung en tais eskhdtais hemjrais (Jes 2,2; Dan 10,14). Der Ausdruck konnotiert die
Ankündigung von Versuchungen und Heilsbedrohungen (Spr 31,25; 2 Tim 3,1; vgl. Jak
5,3b; Did 16,3), die einer göttlichen, bisweilen mit messianischen Insignien ausgestatteten
Heilszeit (Apg 2,17; vgl. JoUl 3,1 en tais hernjrais ekeinais kai en to kairo ekeino) unmittelbar vorausgehen. Mit ihm und der weit häufiger bezeugten Variante en tais hemgrais
ekeinais (vgl. 2 Clem 17,6; 4 Esra 4,51; 5,12) sachlich verwandt ist ep' eskhdton ton hemeron (vgl. Gen 49,1; Num 24,14; Dtn 4,30; 8,16; Jos 24,27; Sir 1,13; Jer 23,20; 25,19; 37,24;
Ez 38,16; Dan 2,28.45; Hos 3,5; Mich 4,1; 2 Petr 3,3; Barn 12,9; 16,5b; Herrn. sim. IX 12,3
[89,3]; 2 Clem 14,2) sowie die Form ep' eskhdtou ton hemeron touton in Hebr 1,2. Die verbindende Grundlage ist in der hebräischen Formel be'aharij t hajjamijm („in den künftigen
Tagen"; vgl. Gen 49,1; Num 24,14; Dtn 31,29; Jes 2,2; Dan 10,14) bzw. ihrem aramäischen
Äquivalent zu sehen. Dieser topische Vorstellungskomplex sowie die Gewißheit, dass
in dieser Schlussetappe für die Teilhabe am Heil Entscheidendes geschieht (vgl. Herm.
vis. II 2,5 [6,5]) — sei es für die des Gottesvolkes oder eines jeden einzelnen — ist Teil des
apokalyptischen Grundwissens (vgl. äthHen 91,5-7; 92,4; syrBar 44,7f.; 4 Esra 9,3;
13,30f.41-50; 14,15 20).
Die Phrase ist also keine Zeitangabe, die diese Endzeit bemisst, sondern eine theozentrische Definition der Lebens- und Glaubenssituation, die — vom Ende aller Geschichte
gedacht — trösten, und — was im frühchristlichen Kontext im Vordergrund steht" — mahnen und zum Bekenntnis ermutigen will (vgl. Mt 24,19.22.36; 26,29; Offb 2,10; ferner
4 Esra 4,51; 1 QSa 1,1) und die hierzu apokalyptische Bildersprache an sich bindet. Ein
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4
besonderer, wirkungsgeschichtlich nicht unbedeutender Sprachgebrauch liegt im Johannesevangelium vor; es kennt den Ausdruck, vermutlich in Rezeption des kultischen
Datums 7,37, nur im Sg. Von dieser Stelle abgesehen meint en the eskhathe hemera im
Johannesevangelium den Tag der Auferweckung (6,39f.44.54; 11,24) der Jünger Jesu sowie
speziell den Tag des Gerichts (12,48)."
Neben dieser mit dem Lexem hemjra (Tag) konstruierten Bezeichnung für den eschatologischen Kairos begegnen in der frühchristlichen Literatur eine Reihe apokalyptisch konnotierender Ausdrücke und Wendungen. Hierzu gehören die Begriffe skändalon (Ärgernis) und bdjlygma (Gräuel). Aus Dan 9,27; 11,31; 12,11 entlehnte die Alte Kirche z.B. die
Wendung ti bdaygma thes erhemöseos (Mk 13,14 par; vgl. auch 1 Makk 1,54); ihr entspricht in etwa der Ausdruck td tgleion skändalon (Barn 4,3) 21 . Hierauf weisen die Synonymie beider Begriffe in Weish 14,11, die Substitution von anomia (Gesetzlosigkeit) durch
bdeVygma z.B. in Spr 29,27; Sir 1,25; 13,20 und die Gleichsetzung von skändalon mit
anomia in Mt 13,41. Das „vollendete Ärgernis" ist ein deutender Oberbegriff, der die
eschatologisch-soteriologische Valenz ungezählter skändala aufdeckt, die die Ursache von
Schuld und Verderben in einem sind, und ist, als deren Höhepunkt, zugleich selbst
Bezeichnung für das apokalyptische Finale. Die Abschlussworte in Sib 8,245-250 zeigen,
dass mit derselben Sinngebung für skändalon das paulinische pröskomma eintreten konnte." Mit diesen Ausdrücken verwandt sind Wendungen, die mit dem Begriff Irrtum (plelnhe) operieren, der zumal in gnostischem Ambiente per se Widergöttlichkeit signalisiert.
Mit der „Vollendung des Äons des Irrtums" wird ApokPetr 80,8-14 (NHC VII,3) zufolge die Zeit, in der der Irrtum herrscht, d.h. die Zeit, die unter der Regentschaft des Demiurgen und der Archonten siecht, beendet und die Erneuerung eines „nichtalternden Äons
der unsterblichen Einsicht" geschehen.
Die Alte Kirche hält zwar an dem apokalyptischen Endzeitszenarium fest und wahrt sich
mittels der letztlich optimistischen Zielvorstellung ein immenses Hoffnungs- und Motivationspotential. Indem sie aber die exklusiv zukunftsorientierte Hoffnung auf Heilsvollendung mit einer auf göttliche Initiative hin in der Gegenwart anbrechenden Heilsverwirklichung kombiniert, nimmt sie an der Konzeption der frühjüdischen Apokalyptik an
entscheidender Stelle, nämlich in der Heilsauffassung, eine grundlegende Korrektur vor,
die die Gegenwart in deutlich günstigerem Licht erscheinen lässt. Grundlage dafür ist Jesu
Botschaft von der Gottesherrschaft (basileia tou theou), wonach Gottes eschatologisches
Heilshandeln bereits jetzt geschieht und auf die (somit) kurz bevorstehende endzeitliche
Durchsetzung von Gottes Heilswillen hinführt. Diese Hoffnung auf Vollendung des
bereits angebrochenen Heils verknüpft die frühchristliche Apokalyptik mit dem eschatologischen Kairos. Die für die frühjüdische Apokalyptik tragende Zeitvorstellung, wonach
vom Schöpfer her die Zeit begrenzt und auf das Weltende ausgerichtet ist, wird im nachösterlichen Kerygma modifiziert und mit neuer Bedeutung gefüllt, indem die Ausrichtung der Zeit auf das Weltende mit der Erwartung der Wiederkunft Christi, dem eschatologischen Gericht und der Vollendung des im Christusereignis angebrochenen Heils
verbunden wird.
Der darin aufscheinende (soteriologisch-eschatologische) Vorbehalt, dass also das Heil
weder in der Welt noch durch Weltliches zur Vollendung gelangt, gibt dem mitten in der
noch bestehenden Welt verwirklichten Heil proleptische Bedeutung. Mittels des eschatologischen Vorbehalts — worunter insbesondere gehört, dass von der allgemeinen Auferweckung der Toten, womit die Zusage des Bleibens der personalen Wirklichkeit gemeint
ist, futurisch gesprochen wird sowie, dass die Gottesherrschaft angebrochen ist und ihrer
Vollendung zustrebt — bleiben die im Christusereignis festgemachten präsentischen Heilsauffassungen, wie sie das Johannesevangelium enthält und korinthische Enthusiasten
gegenüber Paulus propagieren, apokalyptisch verankert und eingegrenzt. Zugleich ist hierin die Einheit des eschatologischen Heilsgeschehens angezeigt und Gott als Schöpfer und
Richter ausgewiesen.
Durch diese Konzeption hält die Alte Kirche die Botschaft Jesu vom Reich Gottes fest
und stellt ihr das Bekenntnis zu Jesu Person als eschatologischem Heilsbringer bei. Darin
bekundet sie, dass mit Jesu Wiederkunft als himmlischer Menschensohn zum Jüngsten
Gericht die mit Jesu Auftreten und Wirken koinzidente „Widerfahrnis der in die Welt eingreifenden Gottesherrschaft" 23 sowie die in Tod und Auferstehung Jesu grundsätzlich
5
geschehene Erlösung ihre Vollendung erfahren. Die Gegenwart ist somit die durch das
Christusereignis umfangene Zeit, in der sich daher alles Leben im Angesicht Gottes vollzieht. Der in diesem Glauben geeinten Christenheit, dem sich die Überzeugung anschliesst, nach Gottes Heilsplan in der letzten Etappe vor dem Anbruch der ewigen
Gottesherrschaft zu leben, verleiht die auf Jesu Botschaft rekurrierende Forderung nach
Gehorsam und (tätiger) Liebe ethisches Profil.
3. Funktionen der frühchristlichen Rede vom apokalyptischen Umbruch
Im Rahmen der Funktionen, die apokalyptisches Denken in der Alten Kirche gewinnt,
treten in bezug auf das janusköpfige Motiv „Zeiten(w)ende" zwei besonders hervor: a. die
Deutung der Gegenwart als Krisenzeit und als die das Eschaton eröffnende Heilszeit
sowie b. die Verwendung des Topos zur Motivierung der Paränese.
a. Deutung der Gegenwart
Die von der Heilsauffassung der frühchristlichen Apokalyptik behauptete Einheit im
eschatologischen Heilshandeln Gottes hat erfordert, das apokalyptische Denkmodell der
in Kürze erwarteten Ablösung der gegenwärtigen Weltzeit durch einen neuen, kommenden Äon und deren dualistisch bestimmte soteriologische Charakteristik zu entflechten.
Einerseits hält die frühchristliche Apokalyptik am dualistischen Entwurf sich (dem Plan
Gottes gemäß) ablösender Weltzeiten und dem dafür maßgeblichen Dogma fest, dass Gott
das Heil endgültig erst in der vollendete Gottesherrschaft schenkt. Dies belegen u.a. die
Konstanz der Erwartung von Jesu Parusie als des erhöhten, mit richterlicher, königlicher
und priesterlicher Funktion (vgl. Hebr 4,14-5,10; Barn 7,9) ausgestatteten Heilsbringers,
die (chronologische) Fixierung der (allgemeinen) Totenauferweckung auf diesen kosmischen Umbruch, ferner die Übernahme von soteriologisch dichten Motiven (z.B. neues
Jerusalem, neuer Himmel und neue Erde) sowie die symbuleutische und die didaktische
Rede von der künftigen Herrlichkeit, die in der frühjüdischen Apokalyptik zur Kennzeichnung des eschatologischen Heils Karriere gemacht haben.
In diesen Bildern ist mit ein Ansatz zu sehen für das zunehmende Interesse an den himmlischen, jenseitigen und zukünftigen Verhältnissen, dem frühchristliche Apokalypsen ab
Mitte des zweiten Jahrhunderts mit Ausmalungen der erhofft'en Heilszeit entgegenkommen. Schon aus „Gründen der Auseinandersetzung mit dem Judentum" 24 ist es für apokalyptisch bewegte Kreise des frühen Christentums hoch bedeutsam, die eschatologische
Gottesherrschaft christlich zu profilieren (vgl. AscJes [Test.Hisk], ApokPetr). Aus demselben Grund wird der Frage nach dem Charakter des Heilbringers breiter Raum gegeben." Analog zu dieser absichtsvollen Auswahl von Sujets und der Entfaltung bestimmter Züge des kommenden Aons konzentriert sich die Skizzierung des gegenwärtigen Aons
auf den „Antichristen als den Gegenspieler Christi und auf das, was mit ihm zusammenhängt"". Daher sieht die frühchristliche Apokalyptik die Gegenwart vom Odium des
Widergöttlichen durchzogen und deutet sie als die Krisenzeit schlechthin. 27 Entsprechend
belangvoll sind Glaube und Handeln und ebenso erstklassig ist die Ethik motiviert."
Andererseits ist die Gegenwart, in der Unglaube und Glaubensfeindschaft Realität sind,"
vom Christusereignis, in das der Glaubende hineingenommen ist, soteriologisch und
eschatologisch bestimmt. Der gewandelten Heilsauffassung zufolge ist sie jene eschatologisch hochkarätige Zeit, in der Gott begonnen hat, seine (im Himmel) bereits vollzogene
Entscheidung, alle Heilszusagen zu verwirklichen, auf Erden durchzusetzen. Entsprechend bedeutungsvoll ist es, diesen Vollzug zu plausibilisieren. Dieser Aufgabe dienen
wesentlich die visionären Widerfahrnisse, die der Offenbarungsempfänger berichtet; sie
wollen die Gewissheit des Eschatons und das Profil der zukünftigen Heilszeit für die
Kirche bestimmen und beglaubigen.
Infolge Gottes Heilshandelns trägt die Gegenwart irreversibel das Siegel für das endgültige Heil. Die Vorstellung, Gott werde dieser notvollen, unheiligen Geschichte ein Ende
setzen, beinhaltet daher neben der darin mitgedachten Zuwendung Gottes zum Menschen, die die Hörer der apokalyptischen Predigt zu Gott gehorsamem Handeln ruft, die
Heilsproklamation, wonach der Mensch in seiner gegenwärtigen Geschichte bereits von
Gottes eschatologischem Heilshandeln erfasst ist. Sehnsuchtsvolles und wachsames Harren Gleichgesinnter auf den heilbringenden eschatologischen Kairos, wie es die frühjüdi6
sche Apokalyptik empfiehlt, ist daher mitnichten die einzig fromme Lebensmöglichkeit.
Aus der perspektivischen Verschiebung in der Soteriologie in bezug auf den eschatologischen Umbruch folgt vielmehr der Auftrag zu einem Handeln, das in der Widerfahrnis
der Gottesherrschaft gründet, von ihr getragen ist und von der in ihr grundgelegten Hoffnung auf Heilsvollendung zeugt.
Diese Befähigung und Beauftragung korrespondiert einer Entschränkung. Durch die Hineinnahme der Gläubigen in das Christusereignis (Taufe) ist die Zeit der Kirche von Christi Auferstehung und der Auferweckung der Toten in Christus umgrenzt und die soteriolögische Befindlichkeit der Kirche qualifiziert. Zugleich ist hiermit die Durchsetzung der
Gottesherrschaft auf Erden als das eschatologische Wachstumsziel der Ekklesia bestimmt.
Die dem eschatologischen Kairos zustrebende Welt ist der Ort der Kirche. Hieraus
erwächst die missionarische Aufgabe der Kirche. Der an Jesu Botschaft orientierte Gehorsam gegenüber Gott und die in Jesu Nachfolge tätige Liebe gelangen daher nicht in einer
elitären Heilsenklave ans Ziel, sondern in einer zeugnishaften Präsenz in der Welt. Kirche
ist per se entschränkt auf den „Gottesdienst im Alltag der Welt" 30.
Durch das Motiv „Zeiten(w)ende" bekundet sich darum die Hoffnung, dass der gegenwärtige Aon, von jener Heilswirklichkeit Gottes erfasst wird, die auf die zukünftige
Heilsvollendung hinführt. Der gegenwärtige Aon vermag zwar aus sich heraus kein Heil
zu erlangen, wofür Unglauben und Glaubensfeindschaft sichere Indikatoren sind, doch
zeugt christlicher Gottesdienst im Alltag der Welt davon, dass die neue Schöpfung im
gegenwärtigen Aon bereits greift." Dieser gegenüber der frühjüdischen Apokalyptik
gewandelte Welt- und Gegenwartsbezug verwehrt jede Form von Sektierertum und Konventikeldasein.
b. Motivierung der Paränese - Gelassenheit im Alltag der Welt
Das Bekenntnis der frühchristlichen Apokalyptik zu Gott als Agens der Geschichte öffnet die Kirche auf die Welt hin; Kirche ist daher nicht ohne Geschichte. Die Vorstellung
über Sinn und Ziel der Geschichte ist folglich nicht nur die zentrale Deutungskategorie
der frühchristlichen Apokalyptik. Sie bezieht aus dieser Zukunftshoffnung zugleich die
erstrangige Motivierung für Glaube und Handeln der Kirche. Diese Motivierung rückt
die Kirche in ihrer noch unabgeschlossenen Geschichte in den Blick. Der Interessenbrennpunkt ist also nicht die Entfaltung des eschatologischen Dramas; diese ist, wie die
topische Verwendung der Motive bestätigt, vielmehr die Folge davon, dass der Grund für
die Hoffnung auf Heil nicht im gegenwärtigen Aon zu gewinnen ist. Insofern trägt das
apokalyptisch geschärfte eschatologische Bewusstsein einen Widerspruch gegen die Welt
in sich, der nur unter Aufgabe der alles tragenden Hoffnung auf die von Gott initiierte
radikale, umfassende und heilvollende Neuschöpfung einzuebnen ist. Im Zusammenhang
mit der im Christusereignis gründenden Neubestimmung der Gegenwart begründet diese
apokalyptische und daher antienthusiastische Konzeption, wonach die Hoffnung auf
vollkommenes Heil nicht in der gegenwärtigen Welt aufgeht, als Ethos weder zwangsläufig eine feindliche Distanz zur Welt noch berechtigt sie zur interessenlosen Erhabenheit über die Welt. Im Horizont der frühchristlichen Apokalyptik beinhaltet die eschatologisch-soteriologische Konstitution der Kirche vielmehr das Vermögen und die Aufgabe, in Gelassenheit im Alltag der Welt christliche Identität zu dokumentieren. Mit der im
Christusereignis gründenden Neubestimmung der Gegenwart geht daher eine Verschiebung im Verhältnis von Eschatologie und Ethik einher, in der die Eschatologie zusehends
ein Anhängsel der Ethik wird.
Die folgenden beiden christlichen Texte aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts
wollen diese Motivationsfunktion und damit den Wandel im Interesse am Apokalyptischen exemplarisch illustrieren.
Didache 16 - Liturgie und Verfassung im Zeichen des Eschatons
Die Didache - oder Zwölf-Apostel-Lehre -, ein Werk, das Anfang des zweiten Jahrhunderts entstand und neben einer sog. Zwei-Wege-Lehre liturgische Anordnungen und kirchenordnende Instruktionen umfasst, schließt mit einer kleinen Apokalypse. In Kapitel
16 werden im Rückgriff auf apokalyptische Traditionen nach Mahnungen zur Wachsam7
keit und Glaubensfestigkeit (16,1f.) in knappster Form Erkennungszeichen und Etappen
der eschatologischen Zeit bis zur Parusie des Herrn rekapituliert (16,3-8)." Einst dürfte
darauf noch der Hinweis gefolgt sein, dass der Kyrios zum Weltgericht wiederkommt."
Der Text lautet:
Wachet über euer Leben. Eure Lampen sollen nicht erlöschen und eure Lenden sollen nicht losgegürtet werden.
Vielmehr: seid bereit, denn ihr wisst nicht die Stunde, in der unser Herr kommt. 2Doch kommt häufig (zahlreich) zusammen und sucht das, was für euer Leben nötig ist; denn nichts wird euch die ganze Zeit eures Glaubens nützen, wenn ihr nicht in der letzten Zeit vollkommen seid.
3 In den letzten Tagen nämlich werden sich die Pseudopropheten und die Verführer mehren, und die Schafe
werden sich in Wölfe verwandeln, und die Liebe wird sich in Hass verkehren. Nimmt die Ungerechtigkeit nämlich zu, werden sie einander hassen und verfolgen und verraten.
4bUnd dann wird der Weltverführer erscheinen als „Sohn Gottes" und wird Zeichen und Wunder tun, und
die Erde wird in seine Hände gegeben werden, und er wird Freveltaten tun, wie sie noch nicht geschehen sind
seit Ewigkeit.
5 Dann wird das Menschengeschlecht in das Feuer der Prüfung kommen, und viele werden Anstoß nehmen
und zugrundegehen; die aber standhalten in ihrem Glauben werden gerettet werden von dem Verfluchten selbst.
6Und dann werden die Zeichen der Wahrheit erscheinen: zuerst das Zeichen der Ausbreitung am Himmel,
dann das Zeichen des Trompetenstoßes; und das dritte: die Auferstehung der Toten. Nicht aller aber, sondern
wie gesagt ist: „Kommen wird der Herr und alle Heiligen mit ihm."
7 Dann wird die Welt den Herrn kommen sehen auf den Wolken des Himmels ...
Beachtlich ist zum einen die kaum merkliche christliche Stilisierung. Allenfalls können
die Charakterisierung des Weltverführers (ho kosmoplanhjs) „als Sohn Gottes" (hos hiös
theou) in V 4b und das rätselhafte katäthema (Verfluchter) in V 5b dafür in Anspruch
genommen werden, sofern mit dem Lexem katäthema die Identität des eschatologischen
Retters unter Anspielung auf den Gekreuzigten bestimmt sein soll. 34 Das Erstaunliche an
dieser Apokalypse ist zum anderen ihre Schlichtheit, und dass die für die apokalyptische
Tradition typische Naherwartung sowie der Gegenwartsbezug fehlen." Weder spricht Did
16 einer von Unglauben und Glaubensfeindschaft umzingelten Gemeinde Trost und Mut
zu noch will dieses Schlusskapitel die glühende Naherwartung der ersten christlichen
Generation reanimieren und die Gemeinde darauf verpflichten.
Beides würde der Intention des Regelwerks, das in den fünfzehn vorausgehenden Kapiteln
zusammengestellt ist, zuwiderlaufen. Das darin getroffene Reglement bestimmt autoritativ über Liturgie und Verfassung dieser Kirche und erhebt hierbei, wie seine sprachliche
Fassung" klarlegt, Anspruch auf Befolgung unabhängig von der geschichtlichen Situation.
Schließen die literarischen Formen und der Skopos der liturgischen und kirchenordnenden Instruktionen eine auf konkrete Glaubens- und Lebensumstände bezogene Funktion der Apokalypse aus, dann ist sie als „Bestandteil der ,Lehre"" anzusehen. Die Funktion dieser Lehre, die die traditionelle Ansicht der Apokalyptik über Sinn und Ziel der
Geschichte vorträgt, erwächst folglich aus ihrer Stellung im Werk. Aufschlussreich ist
hierfür das Zitat aus Sach 14,5 in Did 16,7 und seine Einführung (hos errjthe). Zunächst
wird festgestellt, dass die ,Auferstehung der Toten' kein allgemeines Geschehen sein wird,
sondern wie das Prophetenzitat verheißt, werden mit dem Herrn „alle Heiligen" (päntes
hoi hägioi) davon erfasst. Der Ausdruck meint die von den Toten auferweckten Christen;
sie sind die Heiligen des Eschatons. Mit diesem dritten Zeichen und Wunder (Did 16,6)
erfüllt sich die Schrift (Did 16,7a). Skopos der alttestamentlichen Prophetie, und damit
der Schrift überhaupt, ist also die Kirche und ihr eschatologisches Wachstumsziel." Hieraus werden Zweck und Funktion der Apokalypse in Did 16 ersichtlich. Weil alle Bestimmungen bezwecken, die Christen im Eschaton vollkommen erscheinen zu lassen, damit
sie das endzeitliche Geschehen als hägioi erleben", liegt auf der Befolgung der Ordnung
entsprechendes Gewicht. Daher bedarf es anspruchsvoller Motivation. Diese leistet die
Apokalypse, indem sie binnenkirchliches Handeln funktional in einen umfassenden soteriologisch-eschatologischen Horizont stellt und über dessen Gültigkeit und Plausibilität
Konsens voraussetzt.
Hierauf weist die Verwendung apokalyptischer Motive außerhalb des Kapitels 16. Zum einen
geschieht dies durch die zweite und dritte „Du-Bitte" des „Unservater" in Did 8,2c.d („... es soll
kommen deine Herrschaft, es soll geschehen dein Wille wie im Himmel, so auf der Erde."). Zum
anderen begegnet diese Motivik in den beiden Mahlgebeten (Did 9f.). In der Brotbenediktion in Did
9,4a heißt es: „Wie dies <gebrochene Brot> zerstreut war auf den Bergen, und gesammelt eins wurde,
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so möge gesammelt werden deine Kirche von den Enden der Erde in dein Reich." Das Kommen des
Gottesreiches erbittet auch die dritte Nachtisch-Benediktion; in Did 10,5a heißt es: „Gedenke,
Herr, deiner Kirche, sie zu erretten von allem Bösen, und sie zu vollenden in deiner Liebe, und
führe sie zusammen von den vier Winden < in dein Reich, das du ihr bereitet hast." Noch deutlicher apokalyptisch ist der Einladungsruf zur Eucharistie in Did 10,6 gehalten: „Es komme die
Gnade, und es vergehe diese Welt! Hosanna dem Gotte Davids! ... Maranatha. Amen." Diese
Sequenzen verraten die jüdischen Wurzeln der Agende40 und zeigen, dass in der Didache apokalyptische Motive keineswegs auf das Kapitel 16 beschränkt sind. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass der Verfasser über die Motivierung der Paränese und der Plausibilisierung der Ordnungen
hinaus dem Endzeitthema als solchem Interesse entgegenbringt. Weil beide Zitate der Agende
zugehören ist zumal bei der Arbeitsweise des Didachisten damit zu rechnen, dass in beiden Sequenzen Material aus früher Liturgie bewahrt ist.41 Insofern belegen diese formelhaften Bitten, dass apokalyptisches Material bereits Topos ist. In den beiden Mahlgebeten kommt die in der frühchristlichen Apokalyptik mit dem Motiv „Zeiten(w)ende" konnotierte Deutung der Kirche und ihrer
sowie der Welt Zukunft prägnant zum Tragen. Die Versammlung zum Mahl beruht nämlich nicht
auf dem Entschluss der Mahlteilnehmer, vielmehr ist dieses Versammeltwerden als Tat Gottes ausgewiesen. Dieses von Gott erbetene Versammeltwerden erlebt die Gemeinde proleptisch im Mahl.
Im (eucharistischen) Mahl antizipiert sie ihre erhoffte endzeitliche Einheit und bezeugt damit, dass
in ihr, der Kirche, die endzeitliche Neuschöpfung anbricht. Der apokalyptische Vorstellungs- und
Denkrahmen ist (fragloser und unbefragter) Teil des theologischen Grundwissens der didachistischen Gemeinde(n).
Die Stellung der Apokalypse am Schluss dieser Kirchenordnung ist daher in hohem Maße
funktional und scheint insofern wohlüberlegt. Indem der Didachist den Strukturen und
Ordnungen, die er seiner Kirche vorschreibt, perspektivisch für die Zeit der Kirche, also
bis zum Eschaton Gültigkeit zuspricht, stellt er sein Regelwerk unter eschatologischen
Vorbehalt. Did 16 ist also kein artifizieller Abschluss der Agende und Kirchenordnung.
Durch die apokalyptische Plausibilierung der Gegenwart und die Ausrichtung der Weltzeit auf das Eschaton erlangen Liturgie und Verfassung zwar ihre Bedeutung für die Zeit
der Kirche. Zugleich aber folgt daraus ihre Relativität im Blick auf das eschatologische
Heil. Nach Auffassung des Didachisten wirkt die binnenkirchliche Ordnung weder
das eschatologische Heil noch garantiert sie es, aber sie kann und soll Zeichen sein für
die nach dem Willen Gottes in der Kirche angebrochene zukünftige Vollendung des
Heils.
Hirt des Hermas — Handeln im Zeichen des Eschatons
Der römische Christ Hermas schreibt um 140 ein umfangreiches Buch für die Christen
des caput mundi. Sein Titel poirnhjn Hirt — ist eine Anspielung auf die Hirtengestalt, in
der ein Engel ab der fünften Vision als Offenbarer und Deuter auftritt. Das zentrale
Thema dieses mit apokalyptischen Formelementen gerahmten und durchwirkten Allegorienbuches ist die Buße für postbaptismale Sünden. Hermas propagiert in rigoristischer
Verschärfung der bei den Christen am Tiber gängigen Bußpraxis mittels einer engen Befristung eine nur einmalige Buße nach der Taufe (Herm. vis. II 2,5).
Die Attraktivität und das hohe binnenkirchliche Ansehen dieser römischen Schrift bis
herauf ins Mittelalter rührt von der Kombination der mit autobiographisch angelegten
Visionen, Träumen, mit Engeln, Sibyllen und Geistern erfüllten, vielfach in apokalyptischer Tradition verwurzelten Bilderwelt einerseits mit einem für die kirchliche Gegenwart
anderseits hochbrisanten, weil die Teilhabe am eschatologischen Heil betreffenden Thema
her: der einmaligen und individuellen Buße.
Die apokalyptischen Motive begegnen gehäuft im Visionenbuch (Herm. vis. I—V). Auffällig ist, dass die ersten vier Visionen — ebenso wie die fünfte, die das Gebote- und das
Gleichnissebuch einleitet — keine eschatologische Zielsetzung besitzen; ihr Skopos ist vielmehr die Ethik, speziell die Motivation der erwünschten Bußpraxis.
Nach Ausweis des Pastor Hermae haben in der Alten Kirche am Tiber apokalyptische
Stoffe einen Funktionswandel erfahren. Dieser ist besonders in der vierten Vision erkennbar. Hermas setzt in dieser Tiervision apokalyptische Motive, Figuren und Vorgänge ein,
jedoch „ohne Interesse an ihrer apokalyptischen Qualität" 42. Die apokalyptischen Stoffe
sind zu Episoden in der Biographie des Hermas mutiert, die seinem Leben (und dem seiner Familie) Züge des kosmischen Endschicksals verleihen. Das apokalyptische Szenarium ist enteschatologisiert und individualisierend ins Ethische transformiert. Entspre—
9
chend nimmt Hermas nicht das eschatologische Ergehen der Menschheit in den Blick,
sein Interesse ist vielmehr auf das Schicksal des Individuums am Ende seines Lebens
gerichtet. Dieser Interessenslage und dem zentralen Thema des Buches folgend entnimmt
Hermas dem apokalyptischen Bildprogramm und Szenarium den drängenden Appell zu
sofortiger Buße und sündenfreiem Lebenswandel aller Christen (Herrn. vis. II 2,6f.; IV
2,4f.). Für den Bedeutungs- und Funktionswandel, den der mit dem Wortspiel „Zeiten(w)ende" erfasste apokalyptische Vorstellungszusammenhang erfährt, ist eine Passage
aus der zweiten Vision (Herrn. vis. II) aufschlussreich. Sie gehört zu dem an Hermas übermittelten und an die Kirche (Herrn. vis. II 1,3) gerichteten Himmelsbrief (Herrn. vis. II
2,2-3,4); darin (vis. II 2,4-8) heißt es:
Wenn du ihnen diese Worte mitgeteilt hast, die mir der Herr(scher) zur Offenbarung an dich aufgetragen hat, dann werden ihnen alle ihre früheren Sünden erlassen und auch allen Heiligen, die bis
zu diesem Tag gesündigt haben, wenn sie von ganzem Herzen Buße tun und aus ihrem Herzen die
Zweifel ausrotten. 5Denn geschworen hat der Herr(scher) bei seiner Herrlichkeit über seine Auserwählten: Wenn, nachdem dieser Tag festgesetzt ist, noch gesündigt wird, gibt es keine Rettung mehr
für sie. Denn die Bußmöglichkeit hat für die Gerechten ein Ende. Die Tage der Buße sind für alle
Heiligen abgelaufen. Die Heiden dagegen haben Bußfrist bis zum jüngsten Tag. 6Sag also den Vorstehern der Kirche, dass sie ihre Wege an der Gerechtigkeit ausrichten, um die Verheißungen in lauter Herrlichkeit voll zu erhalten. 7So verharrt dabei, ihr Täter des Rechten, und zweifelt nicht,
damit ihr eingehen dürft zu den heiligen Engeln. Selig seid ihr, die ihr in der großen kommenden
Not ausharrt, samt allen, die ihr Leben nicht verleugnen. 8Denn der Herr hat bei seinem Sohn
geschworen, dass denen, die ihren Herrn verleugnen, ihr Leben aberkannt werden solle, denen, die
ihn jetzt in den kommenden Tagen verleugnen; denen aber, die früher verleugnet haben, hat er sich
in seiner Barmherzigkeit gnädig erwiesen.
V 5 ist für das gesamte Werk von exzeptioneller Bedeutung. Feierlich eingeleitet wird konstatiert: Buße und damit Wiedereingliederung in die Gemeinschaft der „Heiligen", d.h.
der Kirche, der die Partizipation am endgültigen Heil verheißen ist (V 7a), ist nicht mehr
unbefristet möglich. Gott hat für die postbaptismale Buße einen Kairos bestimmt (horismenos), der im Grunde mit seiner Festsetzung bereits verstrichen ist. 43 Geschieht daher
nicht unverzüglich Buße (Vv 4.8b), ist für Christen die unwiderruflich letzte Möglichkeit
auf Rettung versäumt (Vv 5b.c.8a). Geringstes Zögern reicht, um sein eschatologisches
Heil zu verwirken. Hermas' Offenbarung definiert hierdurch die für die christliche Identität tragende Heilsauffassung vollends neu und weist sie kraft des Offenbarungsszenariums und der optimal autorisierenden Schwurformel in V 5a zugleich als irreversibel aus.
Diese Neuordnung der Buße trifft die Kirche in ihrem Lebensnerv; sie fordert programmatisch ein neues, elitäres Kirchenbild. Mit diesem Rigorismus tangiert die Kirche des
Hermas massiv die Einheit der Ekklesia, die communio der Christen am Tiber und in der
Oikumene.
Von Interesse ist daran vor allem, dass Hermas diesen alarmierenden Termin in deutlichem Anklang an apokalyptische Bezeichnungen für den eschatologischen Kairos „dieser
Tag", „die Tage der Buße" und „Ende der Bußfrist" nennt. Aus V 4 ist klar, dass damit
kein kalendarischer Termin gemeint ist, sondern der Moment, in dem die Kirche den
Beschluss Gottes, der Hermas geoffenbart wurde, erfährt. Mit dieser Enthüllung von
Gottes jetzt raumgreifendem Heilswillen ist für Christen diese singuläre Bußchance da.
Weil mit der Verkündigung dieser Einmaligkeit und Unmittelbarkeit der Möglichkeit zur
Buße post baptismum für jeden die Entscheidung ansteht, ob er an der eschatologischen
Heilsvollendung teilhaben kann, besitzt dieser Augenblick ungeahnten soteriologischeschatologischen Belang. Dieser Moment der Bußmöglichkeit ist der eschatologische
Kairos.
Der Teilvers 5d legt klar, dass diese für den einzelnen Getauften nicht wiederholbare Bußgelegenheit nicht identisch ist mit dem „jüngsten Tag". Für Ungetaufte besteht die Möglichkeit zur Buße nämlich bis zu diesem verheißenen Tag. Hermas unterscheidet präzise
zwischen he hemjra taiithe bzw. hai hemerai metanoias (Vv 4f.) und eskhathe hemira (V 5d).
Hierdurch erfährt das Motiv des eschatologischen Kairos eine besondere Prägung. Die
Mahnung zu einem sündenfreien Leben nach der jetzt möglichen und fälligen Buße
zeigt, dass dieser eschatologische Kairos nicht der weltgeschichtliche Kulminationspunkt
10
ist, an dem der alte Äon implodiert in der Widergöttlichkeit und die ersehnte Heilsvollendung geschieht. Die Enthüllung des Hermas über die Buße versetzt vielmehr den
einzelnen in eine nicht vermeid- oder verschiebbare eschatologisch hochkarätige Entscheidungssituation. Der eschatologische Kairos ist der Augenblick, in welchem dem einzelnen in seiner geschichtlichen Situation das eindeutige und lebensprägende Bekenntnis
abverlangt ist. Die Enthüllung der eschatologischen Tragweite der Gegenwart aufgrund
der jetzt möglichen und nie wiederkehrenden Bußmöglichkeit muß jeden in tiefstes
Erschrecken stürzen. Zugleich aber bezieht Hermas daraus die nicht überbietbare Motivierung zur Buße sowie zur Aufnahme eines Lebenswandels, der vom christlichen Glauben Zeugnis gibt. Aufgrund dieser programmatischen Verschärfung gewinnt das Motiv
Zeiten(w)ende einen Doppelsinn. Im Hirten des Hermas verbindet sich damit „die biographisch verpaßte Bußchance des einzelnen Sünders bzw. die gelungene Bewährung des
Christen"".
Der durch die Verkündigung der Bußmöglichkeit unvermittelt und akut eintretende
eschatologische Kairos hat fünf Folgen: Erstens ist dieser einzigartige Kairos reproduzierbar; er ereignet sich für jeden Getauften bei der Verkündigung der nicht wiederkehrenden
Bußgelegenheit. Zweitens ist die Verkündigung zugleich das Initialereignis, mit dem für
den einzelnen die eschatologische Zeit einsetzt. Daher ist die Kirche jener Bereich, in dem
der eschatologische Kairos jeden Gläubigen trifft und ihn irreversibel auf das Eschaton,
wofür Hermas den Ausdruck ,jüngster Tag' verwendet, ausrichtet. Indem der eschatologische Kairos biographisch konkret wird, ist die ,Zeit der Kirche' als die eschatologische
Zeit und als die ,Zeit der Krisis' unmittelbar „meine" Zeit. Diese Verzweckung der Apokalyptik und speziell des eschatologischen Kairos für die Motivierung der Ethik setzt drittens eine spezifische kommunikative Disposition der Hörer dieser Verkündigung voraus.
Der wesentliche Teil dieser Rezeptionsvoraussetzung ist das apokalyptische Grundwissen,
in dessen Zentrum das Theologumenon von Gottes eschatologischem Heilshandeln sowie
das Wissen um die Dramaturgie und die Insignien der eschatologischen Zeit steht, und das
bedeutet vor allem die Hoffnung auf den heilvollendenden Ausgang der eschatologischen
Zeit. Viertens gewinnt die Kirche spezifische Züge und Aufgaben. Sie ist nicht nur (soziologisch) die Gemeinschaft, die durch Mahnung und Ermutigung zu sündenfreiem Leben
nach der Buße hin auf das Eschaton anhält, sondern es ist ihre Obliegenheit, in der
geschichtlichen Wirklichkeit den Raum für den „Weg der Gerechtigkeit" (Herm. vis. II
2,6) zu gewährleisten. Der Individualisierung des eschatologischen Kairos, die alles Handeln jeder Christin und jedes Christen im Zeichen des Eschatons zu verstehen gibt, ist
fünftens die Aufgabe inhärent, dass durch Glaube und Handeln des einzelnen die Kirche
in der gegenwärtigen Welt Zeichen der eschatologischen Neuschöpfung ist. Aufgrund der
Verbindung zwischen Verkündigung der singulären Bußchance und eschatologischem
Kairos gewinnt also die Kirche durch das Handeln des einzelnen, das von der sie tragenden Hoffnung zeugt, Profil im Alltag der Welt.
In dieser artifiziellen Verwendung apokalyptischer Motive, Vorstellungs- und Denkstrukturen hat Hermas eine Konstante bewahrt, die die apokalyptische Tradition mit dem
Motiv Zeiten(w)ende verbindet: die Theozentrik. Der Herr hat nämlich sowohl die „Tage
der Buße" als auch den „jüngsten Tag" festgesetzt und damit die Unmittelbarkeit des
eschatologischen Kairos bewirkt.
11
4. Fragen und Anmerkungen zur Fortführung im Unterricht
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Welchen Belang können apokalyptische Vorstellungen sowie das Denkmuster
Zeiten(w)ende für die Kirche (noch) haben, zumal angesichts ihrer beinahe
2000jährigen Geschichte?
Mit welchem Ziel und unter welcher Rücksicht können apokalyptische Vorstellungen und Denkmuster der frühen Kirche herangezogen werden, um
unsere Zeit, unsere Gegenwart, zu analysieren und zu deuten?
In welchem Verhältnis stehen die unter Punkt 3 skizzierten apokalyptischen
Vorstellungen im frühen Christentum Syriens und Roms zu Weltuntergangsterminierungen und -szenarien bei Sekten?
Welche Lebenskonzepte und Lebensmöglichkeiten lassen sich aus diesen Auffassungen von Geschichte, Zukunft und Heil in der frühchristlichen Apokalyptik entnehmen, welche verbieten sich?
Welchen Wert besitzt — nach Ausweis der frühchristlichen Apokalyptik — die
Welt mit ihren Strukturen und Einrichtungen?
In welches Verhältnis zur Welt ist der Getaufte gestellt? Was ist darin seine
Aufgabe, seine Zuständigkeit?
Was beinhaltet, im Horizont der frühchristlichen Apokalyptik verstanden,
Jesu Ruf zu Gottesgehorsam und zur Nachfolge?
Worin besteht — nach Ausweis der frühchristlichen Apokalyptik — die Kompetenz und Aufgabe der Christen in einer nichtchristlichen und mitunter
glaubensfeindlichen Welt?
Weshalb ist — nach Ausweis der frühchristlichen Apokalyptik — die Hoffnung
auf Heil nicht von verantwortetem, zeugnishaftem Handeln in den Strukturen
der Welt zu trennen?
Inwiefern kann Handeln, das sich aus der frühchristlichen Apokalyptik herleitet, im biblischen Sinne als prophetisches Korrektiv aufgefaßt werden?
Wie muß sich Kirche präsentieren, um in ihrer eschatologisch-soteriologischen Konstitution wahr- und ernstgenommen zu werden?
Folgern die Hoffnungs- und Handlungsentwürfe der frühchristlichen Apokalyptik eine Relativierung weltlicher und auch kirchlicher Strukturen?
Welches sind — nach Ausweis der frühchristlichen Apokalyptik — Kriterien für
adäquates Handeln in der Gegenwart und für die Gestaltung der Zukunft der
Welt im Licht christlichen Glaubens?
Welchen Belang haben eschatologischer Vorbehalt sowie Eschatologisierung
und Individualisierung der Ethik für das Handeln des Christen im Alltag der
Welt?
In welchem Verhältnis steht die einzelne Christin oder der einzelne Christ
angesichts der durchgreifenden Individualisierung der Hoffnung und der
Ethik, die die frühchristliche Apokalyptik kennzeichnet, zur Kirche?
12
Weiterführende Literatur
Collins, A. Y: Early Christian Apokalyptic Literatur, in: Tempori, H./Haase, W. (Hgg.):
Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung, II 26/6, Berlin/New York 1988, 4664-4771.
Glommer, G.: Zur Bildersprache des Johannes von Patmos. Untersuchung der Johannesapokalpyse anhand einer um Elemente der Bildinterpretation erweiterten historischkritischen Methode (Neutestamentliche Abhandlungen NF, 34), Münster 1999.
Hahn, E: Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik. Eine Einführung (Biblisch-theologische Studien, 36), Neukirchen-Vluyn 1998.
Hellhom, D. (Hg.):, Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East
(Dokumentation des Uppsala-Kongresses), Tübingen 2 1989.
Koch, K./Schmidt, J. M (Hgg.): Apokalyptik (Wege der Forschung, 365), Darmstadt 1982.
Müller, K.: Studien zur frühjüdischen Apokalyptik (Stuttgarter biblische Aufsatzbände,
11), Stuttgart 1991.
Oegema, G. S.: Zwischen Hoffnung und Gericht. Untersuchungen zur Rezeption der
Apokalyptik im frühen Christentum und Judentum, WMANT 82, NeukirchenVluyn 1999.
Vielhauer, Ph./Strecker, G.: Apokalyptik des Urchristentums. Einleitung, in: Schneemelcher, W. (Hg.): Neutestamentliche Apokryphen. Bd. 2: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 5 1989, 491-679.
1 Der vorliegende Artikel kann im Lehrplan für das bayerische Gymnasium dem Themenbereich 10.4 »Hoffnung über den Tod hinaus" und im Grundkurs der Kollegstufe dem
Themenbereich 13/3.2 »Zukunft aus der Sicht des christlichen Glaubens. Eschatologische
und apokalyptische Texte in der Bibel" zugeordnet werden sowie im Leistungskurs der
Kollegstufe den Themenbereichen 13/2.1 "Der Christ in Staat und Gesellschaft. Der prophetische Auftrag der Kirche" und 13/2.2 „Der Christ in Staat und Gesellschaft. Verschiedene Formen politischer Theologie". - Der Beitrag basiert auf meinem Artikel in dem
Sammelband Jüngste Tage. Die Gegenwart der Apokalyptik." Hg. von M. N. Ebertz/R.
Zwick. Freiburg 1999.
Käsemann, E.: Die Anfänge christlicher Theologie, in: Exegetische Versuche und Besinnungen,
Bd. 2, Göttingen 21965, 100; vgl. ders., Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, in: ib.
130. Nicht zuletzt wegen dieser zugespitzten Formulierung erhielt Käsemann auf seine These
ausführliche Rezensionen; sein Lehrer Bultmann widersprach prompt und heftig: Bultmann,
R.: Ist die Apokalyptik die Mutter der christlichen Theologie?, in: ders., Exegetica, Tübingen
1967, 476-482; Einwände erhoben Ebeling, G.: Der Grund christlicher Theologie, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 58 (1961) 227-244; Fuchs, E.: Über die Anfänge einer christlichen Theologie, in: ib. 245-267. Die neuere Apokalyptikforschung favorisiert Käsemanns
These.
3 Zum Begriff und Phänomen vgl. von Rad, G.: Theologie des Alten Testaments, Bd. 2, München
4 1965, 316; Schröder, R.: Was ist Apokalyptik?, in: Theologische Versuche 10 (1979) 45-52; Betz,
H -D.: Zum Problem des religionsgeschichtlichen Verständnisses der Apokalyptik, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 63 (1966) 392; Baumgarten, J.: Paulus und die Apokalyptik.
(Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 44), Neukirchen-Vluyn
1975, 9-33; Maier, J.: Apokalyptik im Judentum, in: Althaus, H. (Hg.), Apokalyptik und
Eschatologie. Sinn und Ziel der Geschichte, Freiburg 1987, 43-50; Sousek, Z.: Die Funktion
und Bedeutung der Apokalyptik, in: Communio viatorium 32 (1989), 181-187; Hengel, M.:
Judentum und Hellenismus. Tübingen 2 1973, 319-330; Lampe, R: Die Apokalyptiker - ihre
Situation und ihr Handeln, in: Liedke, G. (Hg.), Eschatologie und Frieden, Bd. 2, Heidelberg
1978, 91-99. - Die für die Zeit zwischen 1843-1971 repräsentativen Forschungen zur Apokalyptik-Interpretation sind verfügbar in: Koch, K./Schmidt, J. M. (Hgg.): Apokalyptik (Wege
der Forschung, 365), Darmstadt 1982; für neuere Forschungen vgl. Hellhom, D. (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, Tübingen 21989; Müller, K.: Apo2
13
kalyptik/Apokalypsen 3., in: Theologische Realenzyklopädie 3 (1978) 202-210; ders., Studien
zur frühjüdischen Apokalyptik (Stuttgarter biblische Aufsatzbände, 11), Stuttgart 1991.
4 Vgl. Lebram, J.: Apokalyptik/Apokalypsen 2., in: Theologische Realenzyklopädie 3 (1978)
192; Müller, K.: Apokalyptik/Apokalypsen 210-223; Russell, D. S.: Method and Message of
Jewish Apocalyptic. 200 BC - AD 100, Londen 21971, 15-33.
5 Diese frühjüdischen Schriften reflektieren auch nahöstliche Geschichte, und zwar aus der Perspektive einer religiösen Gemeinschaft, Bewegung oder Richtung. Sie sind das literarische Echo
jener Kreise (vielleicht die von 1 Makk 2,31-38; 2,42; 7,13; 2 Makk 14,6 anvisierten Asidäer),
die vom 3. Jh. v.Chr. bis zum Beginn des 2. Jh. n.Chr. theologische Deutungen für historische
Vorgänge suchten, nämlich die hellenistische Überfremdung von Kultur und Religion und die
politische Ohnmacht, wodurch die Aporie der Verheißungen an Israel zur quälenden Frage
geworden war. Hierdurch avancierte die Apokalyptik zum gesellschaftspolitischen Phänomen.
Dem offenen oder nur latenten politischen Anspruch dieser Literatur (und ihrer Trägerkreise)
und insbesondere dessen Zurückweisung in der Predigt Jesu sowie in der nachösterlichen Verkündigung wird in diesem Beitrag nicht nachgegangen. Zum politischen Bezugsrahmen der
Offb vgl. Roloff, J.: Die Offenbarung des Johannes (Zürcher Bibelkommentare NT, 18), Zürich
21987, 145-147; Giesen, H.: Die Offenbarung des Johannes (Regensburger Neues Testament),
Regensburg 1997, 25-30.
6 Vgl. syrBar 84; spez. V 8 (Übersetzung: Rießler, R: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel,
Augsburg 1928, 111: „Seid des Gesetzes eingedenk und Sions und des Heiligen Landes und eurer
Brüder und des Bundes eurer Väter! Vergeßt auch nicht der Feste und Sabbate!"); ferner syrBar
85,3c.14; äthHen 99,2; slavHen 33,11.
7 Vgl. syrBar 85,10 (Übersetzung: Rießler: Schrifttum 112): „Die Jugendzeit der Welt ist ja vergangen, der Schöpfung Vollkraft längst zu End gekommen; der Zeiten Ankunft ist fast da, fast
schon vorüber."
8 Vgl. Prostmeier, E R.: Handlungsmodelle im ersten Petrusbrief (forschungen zur bibel, 63),
Würzburg 1990, 306-308.
9 Vgl. äthHen 96,1.3; 102,4; 104,2; syrBar 10f.
10 Vgl. slavHen 50,1-5; 52,15f.; 53,13; 4 Esra 7,75-101; 14,13f.34f.
11 Vgl. 4 Esra 7,16f.
12 Vgl. Schräder: Was ist Apokalyptik? 50; Prostmeier: Handlungsmodelle 314f.
13 Vgl. Maier: Apokalyptik im Judentum 51-54
14 Das oft als apokalyptischer Initialtext gehandelte Kapitel Dan 7 findet bei den Synoptikern und
in der Offb einen signifikanten Nachhall; Jud 7 nimmt Motive aus äthHen 6,7 und 10,4-6 auf
und Jud 14b gibt wörtlich äthHen 1,9 wieder. Dass dies keine Ausnahmen sind, zeigt das Stellenregister bei Nestle/Aland, das die Vielzahl von Anklängen an frühjüdische Apokalypsen
erkennen lässt.
15 Bekannte Beispiele sind die beiden, das jüdische vierte Ersrabuch rahmenden Abschnitte 5 Esra
(= 4 Esra 1-2); 6 Esra (= 4 Esra 15-16); ferner Interpolationen sowie Fortschreibungen, nämlich AscJes (Test.Hisk) 3,13-5,1 6-11; Sib 6.8; Elchasai Frg. 1 u. 2.
16 Über die wichtigsten frühchristlichen Werke des Genres informieren Schneemelcher, W (Hg.):
Neutestamentliche Apokryphen. Bd. 2, Tübingen 51989 [= NTApo5 2], 525-679, wobei für
AscJes, ApokPetr, 5/6 Esra, die christlichen Teile in Sib, die Elchasai-Fragmente, ApokPls,
ApokThom (Cod. 4563 fol. 40r-40v) sowie ApokPetr (NHC VII,3) Übersetzungen geboten
werden. - Der Fund der Bibliothek von Nag Hammadi hat eine Reihe christlicher bzw. christlich-gnostischer Schriften ans Licht gebracht, die als Apokalypsen firmieren oder gehandelt
werden, aber (abgesehen vielleicht von der ApokAd [NHC V,5]) ihrer Anlage und ihrem Motivbestand zufolge der Gattung Apokalypse nur bedingt (vgl. ApokPls [NHC V,2], ApokPetr
[NHC VII,3], Noema [NHC VI,4], ParaSeem [NHC VII,1]) oder nicht (vgl. 1/2ApokJk [NHC
V,3.4]) zugehören. Ähnlich wie mit Mk 13 eine (kleine) Apokalypse in ein umfassenderes Werk
Eingang fand, haben auch einige Schriften aus Nag Hammadi apokalyptische Texte aufgenommen. Eine deutsche Übersetzung aller Schriften aus Nag Hammadi steht durch Lüdemann,
G./Janßen, M: Bibel der Häretiker, Stuttgart 1997, zur Verfügung; dort sowie in NTApo 5
2,506.3fweitrLau
17 Vgl. 1 Petr 1,3-7; 4,7.12-14; 5,8f.; charakteristische Beispiele in der außerkanonischen frühchristlichen Literatur sind Did 16: Näheres vgl. Niederwimmer, K.: Die Didache (Kommentar
zu den Apostolischen Vätern, 1), Göttingen 2 1993, 247-269; NTApo5 2, 535-537. - Barn
4,1-5.9b-14; 6,18f.; 7,9-11; passim: Näheres vgl. Prostmeier, E R.: Der Barnabasbrief (Kommentar zu den Apostolischen Vätern, 8), Göttingen 1999, 189-227.522-525.
18 Vgl. äthHen 96,3; 4 Esra 7,32; syrBar 44,11; 48,50.
14
Vgl. Lona, H E.: „Treu bis zum Tod", in: Merklein, (Hg.): Neues Testament und Ethik (FS R.
Schnackenburg), Freiburg u.a. 1989, 442-461; Giesen: Offenbarung 31-34.
20 Davon abhängig gehen der singularische Ausdruck (vgl. Clemens Alexandrinus paed. I 6,29;
q.d.s. 1,5; Hippolyt consumm. 9; Origenes Jo. X 17,99; or. 27,4; passim; Apoc.Adam 41) sowie
die pluralische Variante (z.B. Barn 4,9b; Origenes Cels. V 33; Jo. II 1,7; passim) u.a. in die frühchristliche Auferstehungsapologetik ein. Näheres vgl. bei Lona, H E.: Über die Auferstehung
des Fleisches. (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde
der älteren Kirche, 66), Berlin/New York 1993.
21 Vgl. Prostmeier: Barnabasbrief 197-202.
22 Vgl. NTApo5 2,610.
23 Hahn, E: Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik. (Biblisch-theologische Studien, 36),
Neukirchen-Vluyn 1998, 95.
24 Maier: Apokalyptik im Judentum 49.
25 Die Bindung von Jesu Botschaft an das Bekenntnis zu Jesu Person als Heilsbringer verlangte,
die Identität dieser Gestalt in einer Weise zu präzisieren, dass die Einheit des eschatologischen
Heilsgeschehens gewahrt und plausibel wurde. Die Charakterisierung geschieht von zwei Seiten her: Ausgehend von der Parusieerwartung wird zum einen die soteriologische Funktion des
irdischen Jesus unter Applizierung eschatologischer Heilsgrößen wie ,Menschensohn`
qualifiziert und zum anderen die Identität des eschatologischen Heilsbringers mittels der Übertragung von Merkmalen des Irdischen angezeigt. Die bevorzugten, weil signifikant auf Jesus
weisenden Epitheta stammen aus der Passionsüberlieferung (vgl. Did 16,5b; Barn 7,9) oder
schließen sich daran an, z.B. in Barn 7,9 das Motiv des scharlachroten Mantels (vgl. Prostmeier:
Barnabasbrief 309-314). Der Kontext stellt dabei klar, dass der Skopos dieser Bestimmungen
nicht die Christologie, sondern die Soteriologie ist, nämlich die Einheit des Heilsgeschehens.
In dieser Intention steht auch die Rede von der särks (Fleisch) des Wiederkommenden, denn sie
verbindet ihn in soteriologischer Hinsicht mit dem Inkarnierten. Zugleich ist sie Zeichen für
die den ganzen Menschen erfassenden Erlösung und Vollendung im Eschaton.
26 NTApo5 2,508.
27 Vgl. Did 16,3-8; Barn 4,1-6a.913-14.
28 Vgl. Did 16,2b; Barn 4,9c.
29 Vgl. 2 Tim 3,1-9; Jak 5,3b; 1 Petr 4,12-5,9; Jud 3f.; Barn 8,6.
30 Käsemann: Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik 129.
31 Instruktiv hierfür ist z.B. die Verbindung der im 1 Petr mittels apokalyptischer Motive vorgenommenen Deutung der Glaubens- und Lebenssituation, die die Gemeinde als den Ort
erkennt, an dem der eschatologische Entscheidungskampf tobt, mit Instruktionen, die ob ihrer
oikonomischen Herkunft und ihrer sozialen Funktionalität die Christen in die Strukturen der
nichtchristlichen Welt einweisen, wodurch der Kirche zeugnishaftes Handeln im Alltag der
Welt vorgeschrieben ist. Näheres vgl. bei Prostmeier: Handlungsmodelle 177-180. 318-326.
382-393. 471-475.
32 Einen griechischen Text mit Übersetzung bieten Wengst, K.: Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, zweiter Clemensbrief, Schrift an Diognet (Schriften des Urchristentums, 2), Darmstadt 1984, 66-91; Schöllgen, G.: Didache. (Fontes Christiani, 1), Freiburg u.a. 1991, 98-139;
Lindemann, A./Paulsen, H. (Hgg.): Die Apostolischen Väter, Tübingen 1992, 4-21.
33 Zu Did 16fin vgl. die Rekonstruktion durch Wengst: Didache 20.91, sowie deren Kritik durch
Niederwimmer: Didache 247 und Schöllgen: Didache 81f.91f.139. Zum paläographischen Problem im Codex Hierosolymitanus 54 vgl. Prostmeier: Barnabasbrief 14-18.
34 Am plausibelsten ist es, katdthema (Verfluchter?) auf Jesus zu beziehen (zu den möglichen Deutungen vgl. Niederwimmer: Didache 263-265). Hierzu wird auf Gal 3,13 verwiesen, wo Paulus
den Fluchspruch der älteren griechischen Übersetzungen von Dtn 21,236 („... denn verflucht
von Gott ist jeder, der am Holz hängt.") auf Jesus münzt zum Schriftbeweis, dass Christus ‚uns'
vom Fluch des Gesetzes (Gal 3,10) befreit hat, indem er diesen Fluch am Kreuz auf sich genommen hat. Angereichert mit passionssoteriologischen Signets begegnet das Motiv vielfach im
christologischen und soteriologischen Diskurs, z.B. Barn 7,7.9; DidascSyr 109 (CSCO.S
245,16ff.; Hier. comm. ad. Gal. 3,13 (PL 26,360).
35 NTApo5 2,536f.
36 Näheres vgl. bei Steimer, B: Vertex Traditionis. Die Gattung der altchristlichen Kirchenordnungen (Beihefte zur Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der ältesten Kirche, 63), Berlin/New York 1992, 11-20.192-210.242-248.
37 NTApo5 2,537.
38 In der Didache kommt das endzeitliche Wachstumsziel der Kirche innerhalb der Agende (Did
19
15
7,1-10,7), nämlich im „Unservater" und in den Mahlgebeten, in den Blick; hierbei finden apokalyptische Motive reichlich Verwendung.
39 Vgl. Steimer: Vertex Traditionis 209.
40 Näheres vgl. Prostmeier, E R.: Unterscheidendes Handeln. Fasten und Taufen gemäß Did 7,4
und 8,1. In: Bauer, J. B. (Hg.): filofronesis für Norbert Brox (Grazer Theologische Studien, 19).
Graz 1995, 55-75.
41 Näheres vgl. Niederwimmer: Didache 187-191.198-205.
42 Brox, N: Der Hirt des Hermas (Kommentar zu den Apostolischen Vätern, 7), Göttingen 1991,
162.
43 Vgl. syrBar 85,12f.15 (Übersetzung: Rießler: Schrifttum 113): „Denn wenn der Höchste alles
das herbeigeführt, dann gibt es dort nicht abermals Gelegenheit zur Buße und nicht ein Ende
für die Zeiten, nicht eine Dauer für die Stunden, nicht einen Wechsel für die Wege, nicht mehr
Gelegenheit fürs Beten, nicht mehr ein Bitten, nicht Finden von Erkenntnis, nicht Hingabe aus
Liebe, nicht mehr Gelegenheit für Seelenreue, nicht Fürbitten für Sünden, nicht Fürsprache
der Väter, nicht Flehen der Propheten, nicht Hilfe der Gerechten. Dort aber ist das Urteil zum
Verderben, der Weg zum Feuer, der Pfad zur Hölle. ... Dann macht er die lebendig, die er entsündigen kann; zugleich vernichtet er die Schuldbefleckten." Vgl. ferner slavHen 53,1-3; 4 Esra
7,105b.
44 Brox: Der Hirt des Hermas 162.
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