Kapitel 1 - nPage.de

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Broken Throne (12.03.2002 – 1.10.2007)
Disclaimer: Traurig aber wahr. Auch nach so langer Zeit scheint meine
Millionenüberweisung noch nicht auf Carters Konto eingegangen zu sein, also gehören sie
wohl immer noch ihm. Alle nicht aus AX genommenen Charaktere und Namen sind frei
erfunden, auffallende Übereinstimmungen mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht
geplant.
Spoiler: Nur ein Klitzekleiner für Arcadia, wegen der Kosenamen. Ansonsten nur die ganzen
Babyfolgen und natürlich: De Love.
Rating: NC-17, soviel Zeit muss sein. Allerdings muss ich hier gleich mal erwähnen, dass der
NC-Part es nur in den Epilog geschafft hat, irgendwie scheinen sich Handlung und Sex in
meiner Fantasie nicht wirklich zu vertragen.
Short–Cut: Es gibt Dinge, die wir nicht klären können und es gibt Dinge, die wir nicht klären
sollten, aus Angst sie zu verstehen.
Widmung: Die Story widme ich meinem Engel Sanne, obwohl sie mit knapp 4 Monaten noch
nicht lesen kann, aber sie hat mir etwas im Leben gegeben, von dem ich nicht gewusst hatte,
dass es mir fehlte. Dafür danke ich ihr und liebe sie über alles.
Gut, also mein Engel war 4 Monate, als ich die Story begann, jetzt ist sie beinahe 6 Jahre alt
und weil sie inzwischen auch ein Schwesterchen bekommen hat, denke ich, dass es nur fair ist,
diese Story auch der kleinen Romy zu widmen.
Extra–Danksagung: Widmung ist die seine Sache, ohne Sanne hätte ich die Story
wahrscheinlich nie angefangen, aber es gibt noch mehr Leute, denen ich danken muss, ohne
die hätte ich die Story nämlich niemals beendet.
Zuerst Sandra, die von der Story erfahren hat und mir seitdem damit in den Ohren lag, wann
sie endlich das fertige Produkt sehen könnte.
Als Nächstes hätten wir Jessy, immer wenn ich glaube, dass ich verrückt werde, taucht sie auf
und zeigt mir, dass es Leute gibt, die noch viel verrückter sind (sie eingeschlossen).
Und dann hätten wir da noch eine Jess, die mir zu Seite stand, als ich der Meinung war, dass
man bereits nach dem ersten Kapitel die ganze X-Akte aufgelöst hätte, bin zwar eigentlich
immer noch der Meinung, aber ich vertraue dir einfach mal.
Dann meiner ehemaligen Chemie- und Biologie-Lehrerin, denn ich hatte ehrlich gesagt keine
Ahnung, welche Auswirkungen Schwefelfluorid auf den menschlichen Körper hat, aber das
werdet ihr verstehen, sobald ihr die Story gelesen habt.
Kommentar: Ich hoffe ihr seid bereit für eine Seite Kommentar. Ich kann mir vorstellen, dass
viele von euch sich fragen, was ich die letzten Jahre über so gemacht habe und natürlich,
warum ich so klangheimlich nichts mehr von mir hab hören lassen. Also, ich hab mein Abi
gemacht, lerne jetzt Gesundheits- und Krankenpflegerin (einfach Schwester!) und stehe kurz
vor meinem Examen. Tja und das Schreiben? Richtig habe ich nie damit aufgehört.
Tatsächlich tummeln sich auf meiner Festplatte 6 angefangen Geschichten von denen ich
auch ernsthaft plane sie zu beenden (Seelenverwandtschaft ist eine von ihnen). Außerdem
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arbeite ich gerade an einem Roman über meine Ausbildung, von dem ich noch nicht weiß, ob
ich ihn jemals abschließen werde.
Hmm, und mehr hab ich eigentlich nicht so wirklich auf die Reihe bekommen. Also bleibt mir
jetzt wohl nur die Hoffnung, dass all die treuen Leser sich an mich erinnern und dieser Story
und damit auch mir noch eine Chance zu geben. Glaubt mir, ich hab das Feedback genauso
vermisst, wie ihr das Lesen. Also bitte reichlich Mails an [email protected].
So und als Allerletztes noch: das hier ist meine erste X-Akte, vielleicht nicht unbedingt die
beste Story um wieder einzusteigen, aber wenigstens ist sie fertig. Seid also bitte zärtlich mit
eurer Kritik. Danke fürs Lesen, schon mal im Voraus.
Warnung: Ich will hier nicht mit der üblichen Nummer kommen, vonwegen alle die unter 18
sind sollten sich schämen das hier zu lesen, da hört ja sowieso keiner drauf. Aber wovor ich
warnen möchte, ist, dass ich in dieser Story nicht gerade feierlich mit Gott und der Kirche
umspringe. Man könnte sogar soweit gehen zu behaupten, ich würde Blasphemie betreiben.
Ich bin mir dieser Anschuldigungen bewusst, deshalb möchte ich jeden vorwarnen, diese Story
nicht zu lesen, sofern er tief religiös ist. Es liegt mir fern, jemanden zu verletzten. Sollte diese
Warnung ignoriert werden, weise ich jede Schuld von mir.
Außerdem möchte ich die Chance nutzen, mich für mein schlechtes Französisch zu
entschuldigen, war nie mein bestes Fach und eines der ersten, das ich abgewählt habe.
Vergebt mir.
Ach ja, und auch nach all den Jahren hat sich der OOC-Anteil in meinen Stories nicht
verändert, bieg mir die Charaktere halt gern so hin, wie ich sie brauche.
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„... Denn alles, was entsteht,
ist wert, dass es zugrunde geht;
drum besser wär’s, dass nichts entstünde.“
- Mephisto
Prolog
Er konnte seine Anwesenheit fühlen. Die Stärke, die den ganzen Raum erfüllte, der
plötzliche Kälteeinbruch und das klamme Gefühl von Krankheit und Tod, das in der Luft
schwang. All das waren Beweise für seine Präsenz.
Wie immer war ihm äußerst unwohl in seiner Haut, obwohl er wusste, dass der Meister das
bald durch ein besseres Gefühl ersetzen würde. Eine Empfindung, die es wert war durch
die Hölle zu gehen, im wahrsten Sinne der Worte. Macht! Oh ja, bald schon würde die pure
Kraft durch seine Adern fließen und ihn unsterblich machen.
Vorfreude und Angst vermischten sich und schufen eine explosive Mischung in ihm,
Größenwahn. Vielleicht konnte er den Meister heute dazu bringen, länger zu bleiben. Die
Empfindung länger aufrechtzuerhalten und das scharfe Gefühl der Schwäche im
Nachhinein vielleicht völlig von ihm zu nehmen. In gewissem Sinne den Kater, nach einer
suchtdurchtränkten Nacht. Wie süchtig er nach Macht geworden war, konnte er kaum
glauben, aber es war egal.
Genauso wie es egal war, dass immer, wenn der Meister kam, Menschen sterben mussten.
Auf grausame Weise ihr Leben opfern mussten und nicht einmal wussten, weshalb. Es
galten keine Leben, es galten keine Gefühle, außer der beschämenden Freude der
gehorsame Diener Satans zu sein!
Es beobachtete sie, sie konnte es fühlen. Gierige Blicke, die irgendwo aus ihrer Umgebung
kamen, aber sie konnte nicht ausmachen woher. Panisch drehte sie sich von einer Seite zur
anderen und wünschte sich am ganzen Kopf Augen. Der Park um sie herum lag in
trügerischer Ruhe, aber irgendwo in den Büschen lauerte es. Wartete, dass sie einen Fehler
machte, eine Sekunde nicht aufpasste und dann würde es passieren.
Ihr Atem kam stoßweise und Schweiß lief ihren ganzen Körper hinunter, obwohl sie
erbärmlich fror. Wieso war sie hierher gekommen? Wieso hatte sie Greg nicht gesagt, wenn
er sie unbedingt sehen wollte, sollte er gefälligst mit seinem Auto vor ihrem Haus vorfahren
und sie abholen, egal was ihr Großvater dazu sagte. Es hätte ein verdammt schöner Abend
werden können, aber er musste sich ausgerechnet diesen kleinen Park aussuchen und jetzt
war er tot und sie würde es bald genauso sein.
Tränen, die sie nicht bemerkte, liefen ihre beschmutzten Wangen hinunter. Ihre Lungen
füllten sich mit Sauerstoff und stießen quälend Kohlenstoffdioxid wieder aus. Die Schuhe,
die sie erst vor zwei Tagen für einen unanständig hohen Preis gekauft hatte, lagen irgendwo
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neben der Leiche ihres Freundes und wenn sie das hier überlebte, würde sie nie wieder
teure Schuhe kaufen.
Ihre Beine, die auf dem Laufsteg den perfekten Gang hatten, zitterten und waren völlig
zerkratzt. Die Dornenbüsche hatten sie übel zugerichtet, die Kratzer waren überall, ein Teil
ihres Kleides war eingerissen. Husten drohte sie zu überwältigen, aber sie unterdrückte den
Drang aus Angst, die Konzentration zu verlieren und ihr eigenes Todesurteil zu
unterschreiben. Es war lange her gewesen, seit sie für ihre gute Figur joggen musste und sie
besaß keine Kondition mehr.
„Hilfe“, schrie sie erneut heiser. Das Laufen und Schreien hatten ihre Stimme fast gänzlich
zum Versagen gebracht und ihr ganzer Körper drohte aufzugeben. „Hilfe!“ Sie hatte die
Arme in einer hilflosen Art von sich gestreckt und sah kurze Zeit so aus, als würde sie mit
den Schultern zucken wollen.
„Hil-“, sie brach ab und ihr gefror das Blut in den Adern. Einen erlösenden Moment setzte
ihr Herzschlag aus und sie hoffte auf der Stelle tot umzufallen, um ihrem grausamen
Schicksal zu entgehen. Hinter ihr. Ein Ast hatte geknackt, als etwas schwerfällig darauf
getreten war. Sie drehte sich nicht sofort um, wollte leugnen, dass es sie schließlich doch
erwischt hatte, und hörte weitere Äste knacken und bersten. Langsam, tödlich langsam,
drehte sie sich auf ihrer Ferse herum und blickte dem Tod ins Auge.
Sein grässliches, geiferndes Antlitz ließ sie völlig erstarren. Ihre Augen waren vor Entsetzen
geweitet und sie wusste, dass sie keine weitere Minute zu leben hatte, als es angriff und
Unbeschreibliches geschah. Sie schrie nicht mehr, nie mehr.
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Kapitel 1
Das fordernde Klopfen hatte den vier Monate alten William aus seinem ohnehin schon
leichten Schlaf gerissen und er schrie. Schrie, wie es nur ein wütendes Baby konnte, das bei
seiner Nachtruhe gestört worden war.
„Oh Gott“, stöhnte Dana erschöpft und hievte sich in die Höhe und schalt sich zum x-ten
Mal dafür, dass sie nicht auf ihre Mutter gehört hatte. Sie hätte um seine Krippe
staubsaugen und Musicals veranstalten sollen, sobald sie aus dem Krankenhaus waren.
Aber nein, sie und Mulder waren flüsternd um seine Krippe herum getänzelt und was
hatten sie nun davon? Ein Baby, das beim leisesten Geräusch aufwachte. Nicht, dass das
Klopfen leise war.
Ein Blick auf den Wecker verriet ihr, dass es gerade kurz nach zwei Uhr morgens war. Sie
hatte William erst vor zwanzig Minuten in den Schlaf wiegen können, wer auch immer vor
dieser Tür stand, brauchte einen verdammt guten Grund.
„Mulder“ sie stupste ihn an und konnte nicht fassen, dass er immer noch schlief. In den
letzten Monaten, seit sie mit William aus dem Krankenhaus gekommen war, hatte er
entgegen dem Baby einen erstaunlich tiefen Schlaf entwickelt und schien das Schreien gar
nicht zu hören, was oft bedeutete, dass sie aufstehen musste. Was sie sowieso häufig musste,
da er William unmöglich füttern konnte, so ganz ohne Muttermilch und den dafür
erforderlichen Körperteilen. Allerdings hatten sie begonnen ihn abwechselnd mit dem
Fläschchen zu füttern und zu stillen und das Fläschchen konnte sogar Mulder halten,
allerdings bis er aufwachte, war William wahrscheinlich längst verhungert, also war sie es,
die sich Nacht für Nacht in die Dunkelheit stürzte, um ihr Kind zu beruhigen.
„Hmm“, brummte er auch jetzt noch schläfrig und schob sich ein Stück näher an sie. „Er
beruhigt sich schon wieder“, murmelte er und wollte sie in seine Arme ziehen, einen kurzen
Moment war sie versucht nachzugeben. Es war so erstaunlich, wie schnell sie sich wieder an
seine Gegenwart gewöhnt hatte. Es schien beinahe Jahre her zu sein, seit er... aber das
kleine piekende Gefühl in ihrem Herzen als sie daran dachte, wo genau er vor sechs
Monaten noch gewesen war, erinnerte sie schmerzlich daran, dass es noch nicht Jahre her
war. Sie wollte sich wieder in seine Arme kuscheln und seinem leisen Schnarchen die
Zufriedenheit anhören, die sie beide im Moment verspürten. Wollte hoffen, dass William
sich einfach schnell wieder beruhigte und erschöpft einschlief, doch dann setzte das Klopfen
wieder ein und rief ihr den Grund, warum ihr Sohn nicht mehr schlief, wieder ins
Gedächtnis und mit einem undamenhaften Stoß, schob sie den Mann ihres Lebens aus
ihrem gemeinsamen Bett.
Es ertönte ein leiser, dumpfer Aufprall und gleich darauf erschien sein Kopf auf
Matratzenhöhe. „Was ist?“, fragte er irritiert und sie musste unfreiwillig über seinen
Anblick grinsen, er war völlig verwirrt.
„Ich geh zu William und du an die Tür und wer immer es ist, wimmle ihn ab.“ Sie erhob
sich und wollte zur Tür gehen. Er rappelte sich auf die Beine, holte sie noch vor der Tür ein
und gab ihr einen Kuss auf die Schulter.
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„Ich übernehme den Kleinen, bin nicht in der Stimmung für Besuch“, grinste er und
verschwand im Kinderzimmer.
„Glaubst du ich?“, grummelte sie und zog ihren Morgenmantel über, um dem entsetzlichen
Klopfen endlich ein Ende zu bereiten. Ein Gähnen entkam ihr als sie durch den Spion sah.
„Das kann nicht wahr sein“, sprach sie zu sich und entriegelte die Schlösser um zu öffnen.
„Agent Doggett?“, sie klang nur gerade eben so höflich. So höflich, wie man klingen konnte,
wenn man seit einer knappen halben Stunde schlief und dann erneut vom Schreien seines
Neugeborenen aufgeweckt wurde und einem gegenüber der Grund dafür stand.
„Es tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe.“
„Nicht mich, ihn“, sie deutete zum Kinderzimmer und er schien erst jetzt das laute
Schreien zu bemerken.
„Oh, vielleicht sollten Sie zu ihm gehen, ich kann warten“, er scharrte errötend mit seinem
Schuh auf dem Teppich, ihm war die Sache wirklich unangenehm. In seinen Augen
erkannte sie, dass es sich um etwas Wichtiges handeln musste, ansonsten hätte er bis zum
Morgen gewartet.
„Nicht nötig, Mulder ist bei ihm. Kommen Sie rein und erzählen Sie was los ist“, meinte sie
und er schien widerwillig ihrer Aufforderung Folge zu leisten.
„Natürlich Mulder“, gab er dabei irgendwie verträumt von sich, als müsste er sich wieder
daran erinnern, dass Mulder und sie zusammen wohnten und versuchten, ein Kind
großzuziehen. Er setzte sich, immer noch in seinen Mantel gehüllt, auf die Couch und
blickte abwesend auf ihren Tisch.
Die Kinderzimmertür öffnete sich und Mulder erschien, nur mit Boxershorts bekleidet, mit
dem schreienden William auf dem Arm. Das Baby zappelte und hatte schon einen ganz
roten Kopf vom vielen Schreien, ließ sich aber in keinster Weise von seinem Vater
beruhigen, sondern strampelte protestierend mit seinen kleinen Beinchen.
„Dana, ich schätze, er hat Hunger“, er sah sie etwas hilflos an, er versuchte sie häufiger
Dana zu nennen um sich und seinen Sohn daran zu gewöhnen, er konnte sich bildlich
vorstellen wie Williams erstes Wort nicht Mama sondern Scully sein würde. Für seine
Eltern wäre das sicherlich normal, für alle anderen vermutlich eher verstörend und Mulder
wollte auf jeden Fall verhindern, dass sein Sohn durch irgendetwas was sie beide taten zum
Außenseiter werden würde. Allerdings war sie für ihn immer Scully gewesen, nicht das er
ihren Vornamen nicht mochte, aber Dana hatte nicht all das mit ihm erlebt wodurch er sie
lieben gelernt hatte. Und wenn sie ihn dann mit diesem skeptischen Blick ansah, wie in
diesem Augenblick, dann war sie einfach Scully…
„Ich habe ihn erst vor anderthalb Stunden gefüttert, was übrigens deine Aufgabe gewesen
wäre, aber er kann unmöglich schon wieder hungrig sein“, erwiderte sie, nahm ihm das
schreiende Bündel aber trotzdem aus den Armen.
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„Entweder das, oder er will mich ärgern. Vielleicht möchte er aber auch einfach nur ein
großer, starker Junge werden und dafür muss er ordentlich essen“, er schenkte ihr ein
charmantes Lächeln, das sich schnell zu einem Grinsen ausbreitete.
„Schon dran gedacht, dass eine neue Windel nötig sein könnte?“
„Aber Mami, ich bin doch schon seit 39 Jahren stubenrein“, grinste er und sie verdrehte
genervt die Augen. „Nein, er ist sauber“, gab er darauf schnell zur Antwort. Es war nicht
ratsam sich mit einer übermüdeten Scully anzulegen. Schließlich seufzte sie und begann,
das Baby schaukelnd ins Kinderzimmer zurück zu bringen, wo sie ihn noch einmal füttern
würde. Als sich die Tür hinter ihr schloss, lenkte Mulder seinen Blick auf Doggett und sein
Grinsen verschwand. Etwas an seinem Blick störte ihn, gewaltig sogar.
„Agent Doggett. Was verschafft uns die Ehre Ihres späten Besuches?“, er leistete dem
ungebetenen Gast auf der Couch Gesellschaft und betrachtete ihn. Es war eindeutig, dass
Doggett etwas von ihnen wollte. Vielleicht hatte er einen Fall, mit dem er nicht klar kam,
schon wieder. Ab und zu begann Mulder zu zweifeln, ob dieser Mann so gut für die XAkten war. Sicher, er war ein sehr fähiger Agent und hatte sicher auch das Zeug dazu, aber
er war manchmal so verbohrt und verschlossen gegenüber den irrealen Möglichkeiten, dass
es ein Wunder war, dass er überhaupt schon einen Fall gelöst hatte. Ein Verdienst der
sicherlich auch auf Agent Reyes zurückzuführen war, die an allen Punkten aufgeschlossen
zu sein schien, die John Doggett so vehement von sich wegzustoßen versuchte. Er fragte
sich, warum ihm der Agent diesmal allein aufsuchte, zumal sein nächtliches Erscheinen
doch auf ein drängendes Geschehen hinwies und das versuchte Doggett ihm niemals ohne
seine Partnerin schmackhaft zu machen.
Jedenfalls würde ihm Mulder heute dieselbe Antwort wie immer geben, er war nicht mehr
beim FBI und versuchte gerade in seiner Rolle als Vater aufzugehen, was ihm im Moment
noch nicht so besonders gelang. Dabei hätte er weder die Zeit noch die Lust sich mit einer
X-Akte herumzuschlagen. Wobei ein Teil gelogen war.
Gott, er vermisste diese verrückten Fälle. Tatsächlich würde er liebend gern zusagen,
einfach um wieder etwas zu erleben, eine Herausforderung zu haben, die nichts mit
Windeln oder einem schreienden Baby zu tun hatte.
Natürlich liebte er William, er war das süßeste Baby, das er sich vorstellen konnte und
Scully als Mutter zu sehen, war ein Anblick, in dem schwelgen zu dürfen er nie geglaubt
hatte und er genoss es vollkommen. Doch etwas in seinem Inneren, ein alter bekannter
Drang, kehrte von Zeit zu Zeit zurück und er wollte zurück in die alte Zeit. Von einem Fall
zum nächsten, in billigen Motels übernachten, sich mit trampeligen Bauernpolizisten
rumschlagen, die das Niveau 08/15 – im Dutzend billiger vertraten, Fast Food essen bis zum
Umfallen und 16 Stunden am Tag arbeiten. Er musste krank sein das zu vermissen, aber er
tat es.
„Nun, ich wollte eigentlich zu Dana, aber Sie sind ebenfalls ein Grund, warum ich
gekommen bin“, begann der Agent langsam zu sprechen, schien jedes Wort sorgfältig
auszuwählen. Noch etwas, was ihm fehlte, Spontanität. Mulder wäre mit den Neuigkeiten
sofort zur Tür hereingeplatzt, hätte sich Scully geschnappt und auf den Weg gemacht, ohne
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überhaupt auf ihren Protest zu warten. Na ja, wenn er es genau betrachtete, war das
langsamere Vorgehen vielleicht doch nicht so falsch. Wie oft hatte er sich schließlich Scullys
Zorn aufgehalst mit seinen Manövern.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ In diesem Moment ertönte ein erneutes Klopfen an der Tür
und Doggett sah eilig hinüber. Mulder entging sein Blick nicht. Irgendetwas regte den
Agenten auf und machte ihn sehr nervös. Er stand auf und öffnete die Tür und sah
überrascht zu ihm zurück, dann öffnete er die Tür ein Stück weiter und ließ Monica Reyes
eintreten. Jetzt war er sich hundertprozentig sicher, dass etwas nicht stimmte, wenn sie
schließlich doch im Doppelpack auftraten.
„Agent Reyes? Sagen Sie“, er sah auf den Flur hinaus „Wie viele kommen denn noch? Ich
wusste nicht, dass wir eine Party geben“, lächelte er, aber sie erwiderte es nur kurz, bevor
sie sich Doggett zuwandte, ihm einen fragenden Blick zuwarf und sich dann neben ihm auf
die Couch niederließ, offensichtlich keiner Worte nötig. Eine Tatsache, die Mulder sehr
bekannt vorkam.
Wie aufs Stichwort kam seine telepathische Hälfte aus dem Kinderzimmer, William noch
immer auf dem Arm. Er hatte zwar aufgehört zu schreien, war aber putzmunter und
machte nicht den Eindruck heute überhaupt noch zu schlafen.
„Dein Job“, gähnte sie und übergab ihm das Baby. William schenkte ihm ein zahnloses
Lächeln und schmiegte sich an ihn. „Hey Buddy, gar nicht müde?“, er knuddelte ihn
sachte. Der kleine Mann sah zum großen Mann auf, mit treuen blauen Augen, die absolut
die seiner Mutter waren und für einen Moment war die ganze, große, weite Welt in
Ordnung.
„Monica? Kommen noch ein paar? Dann hätte ich einkaufen gehen sollen“, scherzte Scully
und hatte ja keine Ahnung, dass Mulder genau so einen Kommentar gerade von sich
gegeben hatte. Die Agenten lächelten nicht.
„Okay, dann mal raus mit der Sprache“, meinte sie schließlich und setzte sich auf den
kleinen Couchtisch, sie hätte sich sicher auch auf einen der Sessel setzten können, aber
irgendwie hatte sie das Gefühl, es wäre besser ihnen beiden direkt gegenüber zu sitzen und
als Mulder es ihr gleich tat, wusste sie, dass er es auch fühlte. Etwas stimmte nicht, ganz
und gar nicht.
„Kennen Sie die Todesfälle, die ganz Texas zur Zeit in Aufruhr versetzen?“, fragte Doggett
und klang ganz beiläufig.
„Nur was man so aus der Zeitung erfährt. Das anscheinend ein Irrer in Beaumont sein
Unwesen treibt und wahllos seine Opfer tötet. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie beide an
dem Fall arbeiten“, bemerkte Mulder und sah sie fragend an. Es schien etwas zu geben, was
die Zeitungen verschwiegen, etwas, dass die unterste Abteilung des FBIs auf den Plan rief.
„Monica ist hinzugezogen worden, aufgrund ihrer Erfahrung von Ritualmorden. Er tötet
nicht völlig wahllos, seine Opfer sind immer Pärchen. Allerdings hat sie mich schnell
darüber informiert, dass das wohl eher ein Fall für die X-Akten wäre und so bin ich in den
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Fall hineingekommen“, erklärte er. Mulder fühlte das ABER schon kommen, bevor er es
aussprach. „Aber ich bin mir nicht so sicher, dass wir den Fall lösen können“, gab er zu.
„Was haben Sie gefunden?“, schaltete sich jetzt Scully ein und warf ihm einen vielsagenden
Blick zu.
„Das.“ Doggett legte einen Umschlag in ihre Hände und wartete bis Scully ihn geöffnet und
dessen Inhalt herausgeholt hatte. „Die sind von allen Tatorten, 8 insgesamt mit 16 Opfern.
Die Zeitungen haben dem Fall den Spitznamen ‚Höllenopfer‘ gegeben, nicht schwer zu
verstehen warum. Und das ist auch genau das, was uns Kopfschmerzen bereitet.“ Er
deutete auf ein Foto nach dem anderen, immer auf eine bestimmte Stelle. Zuerst konnte sie
nicht erkennen, was es war, dann erkannte sie es und gab die Fotos schweigend an Mulder
weiter.
Auch er sah auf die ihm gezeigte Stelle und ließ die Fotos wieder sinken. Alle Fotos zeigten
die Leichen, aber der Aufnahmeradius war weitaus größer und nicht nur auf die Körper
beschränkt. Im weichen Morast, alle Opfer waren auf Wiesen, Lichtungen oder ähnlichem
gefunden worden, erklärte Doggett, sah man ganz deutlich Abdrücke. Abdrücke, die nicht
menschlich waren oder nur zum Teil. Nach der Verteilung sah es so aus, als wäre das
Wesen, was auch immer es war, zuerst auf normalen menschlichen Füßen gegangen, jedoch
kurz vor den Leichen verschwanden die Fußabdrücke und zurück blieben eingeschlitzte
Hufabdrücke, die dem eines Pferdes ähnlich sahen, jedoch waren es nur zwei und nicht
vier, wie man bei diesem Tier erwartet hätte.
„Die sind an allen Tatorten gefunden worden?“, hakte Mulder nach und Doggett nickte.
„Schön, aber was haben wir damit zu tun?“
„Es gab noch zwei Opfer, man hat sie vor fünf Stunden gefunden und identifiziert.“ Er gab
Mulder ein weiteres Foto. „Susan van Bolt und ihr Freund Greg Wanschovsky sind in
einem Park nicht weit von Miss van Bolts Haus tot aufgefunden worden.“ Mulder sah auf
und traf Doggetts Blick.
„Van Bolt von dem Champagnerunternehmen?“, fragte Scully und erhielt ein Nicken.
„Außerdem sind sie adelig und ihr Großvater, Albert van Bolt, ist ein sehr einflussreicher
Mann, er hat sofort und ausdrücklich Sie beide verlangt, das Verbrechen an seiner Enkelin
aufzuklären. Können Sie mir sagen wieso?“
„Was hatte Susan in dem Park zu suchen?“ Mulder senkte den Blick, als es das fragte und
Scully erkannte sofort, dass er sie gekannt hatte.
„Anscheinend war ihr Großvater nicht einverstanden mit der Gesellschaft, in der sie sich
rumtrieb. Greg Wanschovsky war weder adelig noch besonders reich, nicht der Umgang,
den sich ein verantwortungsvoller Mann für seine Enkelin vorstellt. Anscheinend hatten
sich die beiden treffen wollen, sind dabei aber überrascht worden. Wenn Sie jetzt bitte
meine Frage beantworten würden“, drängte ihn Doggett.
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„Meine Großtante war Alberts erste Frau und so ist unsere Familie in den Adel eingeweiht
worden. Sie hat ihn bereits nach zwei Jahren wieder verlassen und so haben wir nicht viel
mit ihnen zu tun, man sieht sich auf Familienfeiern und fährt sich ab und zu besuchen.
Susan und ich, wir haben uns recht gut verstanden und Albert war der einzige, der sich
nicht wie etwas Besseres benahm. Besonders nach dem Tod seiner Tochter und seines
Schwiegersohns, die beiden sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, war
Susan alles was ihm blieb und er hatte nicht die Art sich hochnäsig zu verhalten. Ich hab
ihn vor vier oder fünf Jahren das letzte Mal gesehen und ihm erzählt, was ich beruflich
mache. Er hat gelacht und gemeint «Nun mein Junge»“, ahmte er Alberts Stimme nach,
eine dunkle, rauchige Alt-Männer-Stimme. „«Solange es dir Spaß macht und genug Geld
für die Miete einbringt ist das schon okay.» Das dürfte wohl erklären, warum er an mich
gedacht hat. Haben Sie ihm gesagt, dass ich nicht mehr fürs FBI arbeite?“
„Ja, ich sagte ihm, dass Sie nicht mehr die X-Akten leiten und dass Agent Scully im
Mutterschaftsurlaub ist, aber er wollte davon gar nichts hören. Er sagte, Sie könnten auch
als Privatpersonen kommen, in seinem Haus wohnen und er würde Ihnen alles besorgen,
was Sie brauchen würden“, erzählte Doggett und sah zwischen Scully und Mulder hin und
her.
Scully war ehrlich gesagt ein wenig überrumpelt. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt,
dass Mulder Adel in seiner Familie besaß. Er hatte es ihr nie erzählt und hielt es
wahrscheinlich auch gar nicht für nötig, bis jetzt.
William gab ein kleines Wimmern von sich, er war inzwischen in den Armen seines Vaters
eingeschlafen. Mulder stand auf, um ihn ins Bettchen zu bringen, blieb kurz stehen und
wartete, bis sie ihm über sein kleines Köpfchen gestreichelt und ihm einen Kuss gegeben
hatte, dann begab er sich ins Kinderzimmer.
„Er ist ein so süßes Baby“, meinte Monica und sprach das erste Mal etwas, seit sie hier war.
„Und das sage ich nicht nur, weil er das einzige Baby ist, dem ich auf die Welt geholfen
habe.“
„Ja, das ist er“, gab Dana leicht verträumt zurück und wendete ihren Blick schließlich von
der Tür wieder ihren Gegenübern zu. „Und das sage ich nicht nur, weil er das einzige Baby
ist, das ich auf die Welt gebracht habe.“ Die beiden Frauen lächelten einander kurz an,
dann kehrte Ruhe ein. Scully überlegte, was sie jetzt sagen sollte? Eigentlich war sie nicht
besonders scharf darauf, einen Fall zu übernehmen. William und Mulder füllten ihr Leben
im Moment genug aus, allerdings war dieser Fall etwas Persönliches für ihn und sie konnte
es verstehen, wenn er sich darum kümmern wollte. Wenn er es wünschte, würde sie mit ihm
nach Beaumont reisen und für William wäre es sein erster Urlaub und er könnte einen
entfernten Verwandten kennen lernen, der sogar adelig war.
Niemand sprach ein Wort, es war fast, als würde ein unsichtbarer Schatten über ihnen
schweben und jegliches Gespräch im Keim ersticken. Phrasen wie „Was gibt’s sonst Neues“
schienen so unpassend, dass sie niemand aussprach. Aber Scully wollte auch nicht über den
Fall sprechen. Die Chance wäre zu groß, dass er ihre Neugier wecken würde und wenn
Mulder dann beschloss nicht zu fahren, würde es schwer werden, dem Drang zu
widerstehen.
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Schließlich kehrte er aus dem Kinderzimmer zurück und lehnte vorsichtig die Tür hinter
sich an. Er stellte sich neben Scully und alle Augenpaare ruhten auf ihm. Nach kurzem
Überlegen brach er das Schweigen.
„Wann würden wir fahren?“
„Am besten sofort“, erwiderte Agent Doggett und das erste Mal an diesem Abend umspielte
so etwas wie ein Lächeln seine Lippen. Langsam begann die Anspannung aus seinem
Körper zu weichen. Dieser Fall war eigentlich nicht anders als die Fälle, die er in den
letzten drei Monaten mit Monica untersucht hatte, aber bei diesem hatte er von Beginn an
ein merkwürdiges Gefühl. Ein Schleier, der sich über sein Haupt gelegt hatte und ihm
weismachte, dass etwas Furchtbares geschehen war und wieder geschehen würde. Dazu
kam der einflussreiche van Bolt, der sie eigentlich nicht einmal in der Nähe dieses Falls
haben wollte und sich nicht überzeugen ließ, dass sie es auch allein schaffen konnten. Eine
Tatsache, die Doggett zwar in seinem Stolz kränkte, die er aber auch nicht einfach so von
der Hand weisen konnte.
„Ich muss erst darüber nachdenken, drüber schlafen sozusagen. Ich werde Sie morgen
anrufen und Ihnen dann Bescheid geben“, entschied er sich schließlich und Scully sah ihn
erstaunt an. Das war ganz und gar nicht Mulders Art, entweder er war sofort Feuer und
Flamme für einen Fall oder es gab nicht die geringste Spur, dass er ihn übernehmen würde,
aber darüber nachdenken musste er nie.
„Mulder, die Zeit drängt“, wollte Doggett ihn überzeugen, aber Mulder hatte seine
Entscheidung bereits getroffen.
„Morgen, Agent Doggett, morgen.“ Seine Stimme war ruhig und er schien sich sicher zu
sein, dass Doggett ihn gewähren lassen würde, was dieser auch tat. Er nickte
niedergeschlagen und erhob sich, sie taten es ihm gleich. Hände wurden geschüttelt und
schöne Träume wurden gewünscht, dann wurde es wieder ruhig in der Wohnung.
„Was meinst du, sollten wir noch versuchen etwas Schlaf zu bekommen, bevor er wieder
aufwacht?“, fragte er gähnend und deutete auf die angelehnte Tür.
„Sicher“, sie folgte ihm ins Schlafzimmer und legte sich neben ihn. Der Schlaf wollte sie
augenblicklich übermannen, aber das konnte sie nicht zulassen, nicht solange ihre Fragen
noch unbeantwortet waren. Derer hatte sie eine ganze Menge in ihrem Kopf
herumschwirren. „Wirst du annehmen?“
„Ich weiß noch nicht“, wich er aus und sie erhob sich leicht. Sich auf ihren Ellenbogen
stützend sah sie ihn prüfend an. In der Dunkelheit glänzten seine Augen fast schwarz und
sie konnte den Ausdruck in ihnen nur erahnen.
„Das bist nicht du. Ich meine, entweder du sagst ja oder nein, aber niemals, ich muss erst
darüber nachdenken“, widersprach sie und er gluckste kurz.
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„Die Zeiten haben sich geändert. Wer weiß, wenn wir noch immer unten in diesem alten
Büro sitzen würden, hätte ich den Fall sicher sofort angenommen, aber jetzt liegen die
Dinge etwas anders“, erklärte er.
„Weil du das letzte Opfer gekannt hast? Wir haben das schon öfter durchgestanden.
Nebenbei bemerkt, hast du jemals in Erwägung gezogen, mir von deiner hohen
Verwandtschaft zu erzählen?“ Ihr Ellenbogen schmerzte allmählich und sie drehte sich in
eine bequemere Haltung auf den Bauch, schob die Arme unters Kopfkissen und sah ihn
wartend an.
„Vielleicht hätte ich es dir erzählt. Es ist nicht gerade etwas, worauf man so besonders stolz
sein kann. Die meisten meiner Verwandten sind reiche, versnobte Menschen, die ich
glücklicherweise nicht mehr sehen muss. Die einzige Ausnahme waren eben immer Albert
und…“
„Susan“, beendete sie für ihn und er nickte stumm. Sie ließ eine Hand unter dem Kissen
hervorschlängeln und legte sie sanft auf seine Brust. Das ruhige Heben und Senken
beruhigte sie und ließ sie fast einschlafen, bevor sie sich zusammenriss und weiterfragte.
„Ist es deshalb anders?“
„Nicht nur. Es geht nicht nur darum, dass es Susan war, immerhin hat es noch 15 andere
Opfer gegeben. Es kommt so vieles zusammen, das einen komplexen Grund ergibt, warum
ich ablehnen sollte. Susan ist nur ein kleiner Teil davon, einen größeren macht aus, dass ich
nicht mehr beim FBI bin. Es dürfte schwer werden einen Fall zu lösen, ohne den nötigen
Zugang zu besitzen.“
„Wir haben immer noch Agent Doggett und Agent Reyes dabei, die den nötigen Zugang
haben“, warf sie ein und er nickte erneut. Irgendetwas schien es noch zu geben, was den
eigentlichen Grund darstellte, aber er machte nicht den Eindruck als würde er es ihr sagen,
ohne dass sie nachhakte. „Aber das ist nicht alles, oder?“ Er schüttelte den Kopf. „Was
noch?“
„Du“, er amtete tief ein. „Du und William. Welchen anderen Grund könnte es sonst noch
geben? Zum ersten Mal zeichnet sich so etwas wie Normalität in meinem, in unserem Leben
ab und ich möchte das nicht aufs Spiel setzen und noch weniger möchte ich euer Leben in
Gefahr bringen.“ Er hob schnell eine Hand, um ihrem Einwand zuvor zu kommen. „Ich
weiß, du entscheidest gerne selber, ob du dein Leben aufs Spiel setzt oder nicht und ich
weiß auch, dass ich dich nicht davon abhalten kann. Aber jetzt geht es auch um William, er
ist ein kleines, hilfloses Baby, das auf unseren Schutz angewiesen ist und wenn ihm etwas
geschieht, dann haben wir in unserer Funktion versagt und das möchte ich nicht riskieren,
das ist keine X-Akte wert“, schloss er leise und sie war geschmeichelt und berührt zugleich,
so sehr, dass sie sich näher an ihn schmiegte und ihm einen zärtlichen Kuss auf die rechte
Brust gab, die sein Herz verbarg, bevor sie ihn prüfend anschaute.
„Bist du sicher? Ich meine, sie war immerhin eine Verwandte von dir und da könnte ich es
gut verstehen, wenn du dich selbst um diese Angelegenheit kümmern willst“, der Kloß in
ihrem Hals erschwerte ihr das Sprechen merklich, aber sie riss sich zusammen und sah ihn
aufrichtig an.
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„Ich habe nicht behauptet, dass ich den Fall nicht gerne übernehmen würde, sondern
lediglich, dass es das Risiko nicht wert ist, sowohl deins als auch Williams Leben in Gefahr
zu bringen“, entgegnete er erklärend. „Aber ich denke nicht, dass wir jetzt darüber reden
sollten. Es ist schon spät und es wird mit Sicherheit nicht mehr lange dauern, bis William
aufwacht, um uns mitzuteilen, dass eine Stunde Schlaf schon eine Stunde zu viel ist.“
„So verführerisch dieser Gedanke auch klingt, du hast versprochen Agent Doggett morgen
früh Bescheid zu geben und ich denke, dass du womöglich nein sagen könntest und es dir –
und was noch viel wichtiger ist – es mir auf Ewig vorwerfen könntest“, sie schmiegte sich
wieder näher an ihn.
„Wie könnte ich dir jemals etwas vorwerfen?“ gab er kurz übertrieben theatralisch von
sich, dann wurde er ernst. „Vermutlich hast du recht, ich denke, ich vermisse es, auf
Geisterjagd zu gehen und dennoch hält mich schon der Gedanke an die Gefahr davon ab.“
Seine Arme schlossen sich fast automatisch enger um ihren Körper. „Ich kann den
Gedanken nicht ertragen dich zu verlieren.“
„Das wirst du nicht, wir machen einfach ein bisschen Urlaub, zeigen Will die Stadt und
ganz nebenbei stecken wir unsere Nasen wieder in Angelegenheiten, die uns eigentlich
nichts angehen.“ Sie schloss die Augen.
„Also eigentlich alles wie früher“, grinste er und sie nickte an seiner Schulter. „Schön, ich
werde Doggett morgen früh anrufen, dass wir bis zu einem bestimmten Grad einverstanden
sind, aber, dass wir uns von jeglichen gefährlichen Situationen fernhalten werden“,
ergänzte er und sie kicherte leise, ein Geräusch, von dem er nie genug bekommen konnte.
„Kannst du mir mal sagen, was so lustig ist?“
„Ich dachte nur, wenn uns unser Glück immer noch hold ist, dann ist das Fernhalten von
gefährlichen Situationen ein Ding der absoluten Unmöglichkeit.“
„Das ist ein Argument. Wir werden uns halt anstrengen müssen. Jetzt sollten wir aber
sehen, dass wir wenigstens noch eine Mütze voll Schlaf bekommen, ansonsten können wir
das Ganze gleich vergessen. Wir müssen morgen früh noch Sachen packen, haben wir noch
genug Windeln und alles, was Will sonnst noch so braucht?“ Er erhielt keine Antwort.
„Dana?“ flüsterte er und sie kuschelte sich noch ein Stück näher an ihn. Ein Lächeln
umspielte seine Lippen und er küsste sie sanft hinter ihr Ohr, dann lehnte er sich zurück. In
Erwartung was auf sie zukam.
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Kapitel 2
Am nächsten Morgen, nach zwei weiteren Schreiattacken ihres Sohnes, erwachte Scully
nicht durch ihren kleinen Mann, sondern durch den großen. Seine Lippen liebkosten ihre
und weckten sie sanft. Genießerisch bewegte sie ihren Mund an seinem, nicht willig die
Augen schon zu öffnen, doch dann verschwand das weiche Gefühl und sie seufzte frustriert.
Langsam öffnete sie die Augen und machte seine sitzende Gestalt neben sich aus, aber er
war nicht allein. Auf seinen Armen lag William, der leise vor sich hinbrabbelte und gerade
seine linke Hand entdeckte. Eine Entdeckung, die er seinem Vater unbedingt zeigen musste,
indem er mit seiner neu begrüßten Hand gegen seine Brust schlug.
„Morgen ihr zwei“, lächelte sie. Er schenkte ihr ein breites Guten-Morgen-Lächeln und
beschäftigte das Baby mit seinem Zeigefinger. Will umschloss den großen Finger mit seiner
kleinen Hand und ehe Mulder sich versah, hatte er ihn auch schon im Mund und nuckelte
vergnügt.
„Das ist wohl das deutlichste Zeichen dafür, dass er Hunger hat“, grinste Mulder und
wandte sich dann seinem Sprössling zu. „Hey Buddy, du wirst ziemlich schnell lernen, dass
da keine Milch rauskommt, da musst du schon zu Mami gehen.“
„Hast du ihm das letzte Mal die Flasche gegeben?“ fragte sie gähnend.
„Ja Mami, sonst würde ich es jetzt tun und dir noch ein wenig Ruhe gönnen“, erwiderte er
lächelnd und wartete, bis sie sich aufgesetzt hatte, bevor er ihr das Baby in die Arme legte.
Er quengelte kurz ob der veränderten Lage, beruhigte sich jedoch gleich wieder, als er
erkannte, wo er sich jetzt befand und was das zu bedeuten hatte: Frühstück!
„Das sieht wundervoll aus. Meiner Meinung nach sollten wir die Sache mit dem Fläschchen
lassen, ich meine immer abwechselnd Fläschchen und Stillen, immerhin ist das doch das
Beste für ihn“, stellte Mulder kritisch fest, während er ihr fasziniert zusah, wie sie William
stillte. Er hatte das in den letzten Monaten schon so oft gesehen, aber war immer noch
völlig begeistert davon.
„Du hast ja auch keine Ahnung wie das weh tut. Auch ohne Zähne kann er schon kräftig
zubeißen. Abgesehen davon, je früher ich anfange ihn abzustillen, um so einfacher wird es
später ins Berufsleben zurückzukehren, nicht wahr Süßer, du siehst das doch genauso,
oder?“, wandte sie sich an das Baby, das sich aber davon nicht im Geringsten beeindrucken
ließ und stattdessen glücklich weiter an ihrer Brust saugte. Es war schon erschreckend wie
ähnlich sich Vater und Sohn waren, sobald sie etwas Angenehmes im Mund hatten, war an
eine Unterhaltung nicht mehr zu denken. Wer hätte gedacht, dass orale Fixierung erblich
war.
„Wie spät ist es eigentlich?“, wandte sie sich dem mehr oder weniger erwachseneren
männlichen Wesen im Raum zu. Ein erneutes Gähnen entrang sich ihren Lippen und sie
schloss kurz die Augen.
14
„Es ist kurz nach sieben Uhr an einem verführerischen Mittwochmorgen in unserer aller
Lieblingshauptstadt Washington, D.C. und was steht heute auf dem Programm, Bert? Sag‘
es uns Ernie!“ Er war aufgesprungen und ahmte die Stimmen von Ernie und Bert, den
beiden Morgenmoderatoren von KbbL – ihrem Lieblingssender - nach. „Oh, es gilt einen
dreistündigen Flug zu überleben und daraufhin eine noch langweiligere Autofahrt nach
Texas zu bewältigen und als Hauptpreis gibt es dann eine Übernachtung im alten
Herrenhaus der Vaaaannnn Boooolts“, er zog den Namen wie ein Boxmoderator in die
Länge und sie konnte das Lachen nicht stoppen, welches als kleines Glücksgefühl in ihrem
Magen begonnen und sich sehr schnell zu einem unüberwindbaren Kloß in ihrem Hals
entwickelt hatte.
„Du bist völlig verrückt“ lachte sie und William entließ ihre Brust neugierig aus seinem
Mund, um aufgeregt kreischend zwischen seinen Eltern hin und her zu sehen.
„Absolut deiner Meinung“, er saß sofort wieder an ihrer Seite auf dem Bett und streichelte
seinem Sohn zärtlich über den Kopf, der fröhlich vor sich hinstrampelte. Dann beugte er
sich sanft nach vorn, um verspielt ihre Lippen in Beschlag zu nehmen. Als sie sich wieder
trennten, legte sie ihren Sohn, seinen Bauch voran, auf ihre Beine und knöpfte ihr Oberteil
wieder zu, bevor sie langsame Streichbewegungen auf seinem Rücken vollführte, die immer
den gewünschten Erfolg brachten. So ertönte auch diesmal nach kurzer Zeit ein kleines,
recht feucht klingendes Bäuerchen und Mulder schenkte ihr ein stolzes Lächeln „Mein
Junge“, stellte er fest.
„Naja von mir hat es das sicher nicht“, bestätigte sie lachend und drehte ihren Sohn auf
den Rücken, nahm seine kleinen Füße in die Hand und begann Babyfitness mit ihm zu
machen, naja zumindest nannte sie es so, eigentlich war es nur einfaches Herumalbern,
aber wer war schon so korrekt? Über seinen Sprössling gebeugt ergatterte sein Vater einen
weiteren Kuss seiner Mutter, sanft und zärtlich.
Der Morgen war Danas absolute Lieblingstageszeit, obwohl er, seit William da war, immer
ein wenig früher anfing, als sie es gewohnt war. Aber um diese Zeit war das Baby meistens
weder besonders hungrig, noch musste einer von ihnen seine Windeln wechseln, er war
einfach nur munter und glücklich. Außerdem war Mulder morgens immer in einer
ausgezeichneten Stimmung, er hatte eine Leidenschaft entdeckt sie mit kleinen zärtlichen
Küssen auf ihrem Körper zu wecken, diese Angewohnheit hatte sie zu schnell lieben
gelernt. Nicht zu vergessen, dass es am Morgen nichts gab, was man nicht tun konnte, der
ganze Tag lag vor einem – zu allem bereit.
Viel zu schnell waren seine Lippen wieder verschwunden und er erneut vom Bett
aufgestanden.
„Ich habe den größten Teil von seinen Sachen schon eingepackt, aber wie ich dich kenne,
wirst du sowieso noch mal nachsehen, dass wir auch nichts vergessen haben, also sollten wir
jetzt aufstehen. Agent Doggett wird hier um halb neun mit Agent Reyes vor der Tür stehen,
also hopp, hopp“, und schon war er aus dem Schlafzimmer verschwunden.
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Dana sah ihm nach, blickte auf den kleinen munteren Jungen in ihrem Schoß hinunter und
seufzte: „Dein Dad ist ein richtiger Sklaventreiber, sein Glück, dass wir ihn so lieben.“ Die
einzige Antwort darauf bestand aus einem kräftigen Rülpser.
Es klingelte um kurz nach acht und Dana sah erschrocken von ihrer Tasche auf. Sie hatte
noch einmal überprüft, dass Mulder nichts vergessen hatte, hatte noch einige Sachen
hinzugefügt und war nun dabei, ihre Tasche zu packen.
„Sie sind zu früh“, rief sie Mulder zu, als der mit William in seinem Autositz aus dem
Kinderzimmer kam, um zu öffnen.
„Sicher, aber sie werden sicherlich noch zwei Minuten warten können, bis du – so langsam
wie immer – auch fertig bist“, grinste er und öffnete die Tür. Doggett und Reyes lächelten
ihm freundlich entgegen, heute waren sie definitiv in besserer Stimmung, als in der Nacht
davor. Er bat sie herein und stellte William auf den Tisch. Dana lugte aus der
Schlafzimmertür und als Mulder zu ihr sah und ihr ein Lächeln schenkte, warf sie ein
großes Kissen nach ihm. Da er völlig unvorbereitet war, traf es ihn am Kopf und er sah sie
irritiert an.
„Ich bin nicht langsam und wenn ich nicht die Sachen für 3 Personen packen müsste, wäre
ich auch schon fertig“, rechtfertigte sie sich. „Morgen“, gab sie dann in die Richtung der
beiden Agenten, die amüsiert zurücknickten.
„Aber du würdest es doch gar nicht aushalten, wenn ich auch nur andeuten würde, dass ich
mein Zeug allein zusammensuche“, antwortete er, während sie wieder im Schlafzimmer
verschwand und er ihr langsam, das Kissen abwurfbereit vor sich haltend, folgte.
„Sicher, weil wir dann die Hälfte vergessen wür... Mulder!“ Die Art, wie sie empört seinen
Namen rief und er siegessicher grinste, konnte nur bedeuten, dass er sie überraschend
getroffen hatte.
„Rache ist süß, Dana“, grinste er. Wenn sie herumalberten, fiel es ihm irgendwie überhaupt
nicht schwer sie Dana zu nennen. Ehrlich gesagt war es erstaunlich, wie schnell er sich an
ihren Vornamen gewöhnt hatte. Wo doch jahrelang Scully die einzige Art wie er sie
genannt, und noch viel wichtiger, die einzige Art, die er sich hatte vorstellen können,
gewesen war. Allerdings auch kaum verwunderlich, wenn man zu dem Schluss kam, den er
gerade in diesem Moment zog. Es war völlig egal, wie er sie nannte. Jede Form, in der er sie
anredete, wurde mit der gleichen Liebe, der gleichen Sorgfalt ausgesprochen, in der nur er
mit ihr sprach. Irgendwann würde es völlig egal sein, wie er sie nannte.
„Dann warte nur, bis ich mich räche“, drohte sie ihm. Er hob beschwichtigend seine Hände
und nahm eine der Taschen, die bereits fertig gepackt war, und stellte sie neben William
auf den Boden ab. Das Baby nuckelte vergnügt an seinem Schnuller und beobachtete mit
großen Augen, was sein Vater tat.
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„Na Buddy bist du zufrieden?“, er streichelte mit dem Daumen sanft über die Wange seines
Sohnes. Der kleine Mund verzog sich um den Rand des Nuckels zu einem glücklichen
Babylächeln.
„Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?“, fragte er dann an Doggett und Reyes gewandt.
„Gern, eine Tasse mehr oder weniger wird mich nicht umbringen“, witzelte Monica und
Mulder schenkte ihr ein kleines Lächeln. Yap, sie waren heute wesentlich besser drauf, als
noch in der Nacht zuvor und er war auch guter Laune, aber genau das war es, was ihn ein
wenig misstrauisch machte. Am Anfang eines Falles war er nie besonders gut gelaunt, eher
aufgeregt und ruhelos. Allerdings war das ja auch kein Fall wie die anderen. Das war der
Erste, den er als Vater lösen würde.
Während er daran dachte und in die Küche marschierte, wurde das Lächeln auf seinem
Gesicht immer breiter und strahlender, und als er in der Küche nach dem Kaffee griff,
leuchteten sogar seine Augen. Er war tatsächlich Vater und obwohl er es gefürchtet hatte,
hatte sich nicht wirklich viel dadurch geändert, außer natürlich, dass er Scully völlig
ungeniert anfassen durfte und mit seinem Sohn spielen konnte. Aber hier waren sie,
unterwegs zu einigen ungeklärten Morden und alles schien so zu sein, wie früher. Er
ignorierte wissentlich das kleine, nagende Gefühl in ihm, das ihm das Gegenteil
weiszumachen versuchte.
Er nahm drei Tassen aus dem kleinen Schrank über der Spüle und die Kaffeesahne aus
dem Kühlschrank.
„Dana, willst du einen Kaffee?“, rief er vergnügt aus der Küche.
„Ich weiß zwar nicht, warum du so schreist“, ertönte eine amüsierte Stimme hinter ihm
und er drehte sich erschrocken um. Er hatte sie gar nicht reinkommen gehört und was noch
viel wichtiger war, er hatte sie nicht reinkommen gefühlt. Was aber wahrscheinlich eher
daran lag, dass er sich ihrer Präsenz nur allzu bewusst war, schließlich war das hier ihr
Appartement. Nein, nicht mehr. Jetzt war es auch sein Zuhause geworden. „Aber ich hätte
liebend gern eine Tasse, allerdings mit viel Milch“, beendete sie ihren Satz und küsste seine
Schulter durch sein T-Shirt, während sie ihre Arme um seine Taille schlang. Eine Geste, die
so vertraut und liebevoll war, dass er diesen Moment für eine Ewigkeit auskosten wollte.
„Wie die Dame wünscht.“ Er drehte sich in ihrer Umarmung und küsste ihre Nasenspitze
und schloss dann seine Arme ebenfalls um sie. Ihr Kopf ruhte sanft an seiner Brust und sie
schloss genießerisch die Augen.
„Das fühlt sich so gut an“, sprach er ihre Gedanken aus.
„So natürlich“, endete sie für ihn. Endlich nach all der Zeit gab es kein Versteckspiel mehr.
Niemand, der sie darauf hinweisen konnte, dass ihre Gefühle offen auf dem Gesicht des
anderen zu lesen waren, obwohl sie es nicht hätten sein dürfen. Nie mehr abends allein im
Hotelzimmer liegen und sich nach dem anderen verzehren. Niemals wieder die einzige
Person begehren, die man nicht begehren durfte. Und es war so erschreckend einfach.
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„Ich würde gerne für immer so bleiben“, flüsterte er in ihren Haaransatz.
„Das könnte ein bisschen problematisch werden. Wer füttert William?“, fragte sie und er
konnte das Lächeln an seiner Brust fühlen, wie es sich langsam über ihr ganzes Gesicht
ausbreitete. Dann löste sich ihr Kopf von seiner Brust und er lockerte seine Arme um sie
herum, während sie die Augen wieder öffnete. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und gab ihm
einen zärtlichen, unschuldigen Kuss und dann war der Moment vorbei. Ihre traute
Zweisamkeit löste sich, als sie aus seinen Armen trat und eine weitere Tasse aus dem
Schrank holte.
„Schön, also wie lange werden wir brauchen?“, steuerte sie geschickt auf das eigentliche
Thema, während sie die Milch aus dem Kühlschrank nahm und ihre Tasse füllte.
„Wir fliegen ungefähr drei bis vier Stunden und fahren dann noch etwas über eine halbe
Stunde, da das Haus ein wenig außerhalb liegt. Ich denke, wir werden so kurz nach Mittag
da sein“, erklärte er, während er die braune Flüssigkeit erst in ihre und dann in die
verbleibenden Tassen goss.
„Okay, dann können wir uns heute Nachmittag schon ein wenig umsehen und uns mit den
Gegebenheiten vertraut machen. Ich nehme an, dass Agent Doggett die Akte dabei hat. Die
können wir während des Fluges durchsehen“, sie stoppte kurz und legte eine Hand auf
seinen Arm. „Wirst du okay sein?“ Er wusste sofort, worauf sie anspielte und er nickte
verhalten, während er ihr ein kleines Lächeln schenkte.
„Wir haben Schlimmeres überstanden.“ William gab ein Geräusch zwischen einem Lachen
und einem Schreien von sich und Mulders Lächeln erlosch. „Wie meinst du, wird er den
Flug überstehen?“
„Oh, er ist ein starkes Baby und wird alles gut meistern“, sie nahm außer ihrer eigenen
noch eine andere Tasse und lief zur Tür. Kurz vor dem Hinausgehen drehte sie sich noch
einmal um, „genau wie sein Vater“, und mit diesen Worten war sie aus der Tür
verschwunden. Gab es irgendetwas an dieser Frau, das nicht liebenswert war, fragte sich
Mulder, der nach den beiden übrig gebliebenen Tassen langte. Als er ihr folgte, stellte er
fest, dass falls es etwas gab, er es in acht Jahren noch nicht gefunden hatte. Und wenn doch,
dass es ihn noch nie sehr gestört hatte, um es nicht trotzdem zu versuchen.
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Kapitel 3
Nachdem sie den Kaffee ausgetrunken hatten, mussten sie sich auch schon auf den Weg
zum Flughafen machen, um ihren Flieger noch rechtzeitig zu erreichen. William saß die
gesamte Fahrt über verträumt in seinem Kindersitz und betrachtete interessiert seine
Hand, als könne er nicht fassen, dass sie sich in den drei Stunden seit seiner Entdeckung
noch nicht in Luft aufgelöst hatte.
Sie kamen pünktlich an und checkten ein. Natürlich zogen sie die übliche Aufmerksamkeit
auf sich, die man eben auf sich zog, wenn man mit zwei FBI-Agenten und einem Baby
unterwegs war.
Während ihres Fluges studierten sie abwechselnd die Akte und tauschten erste Eindrücke
aus.
„Sind das wirklich Hufabdrücke?“ fragte Mulder.
„Mag sein, aber welches Tier läuft auf zwei Hufen?“ entgegnete ihm Doggett, der in der
Reihe hinter ihnen saß.
„Kein Tier“ mischte sich nun auch Reyes ein. „Ich meine, ich habe zwar den größten Teil
der Biologievorlesungen verschlafen, aber ich denke, so ein Tier wäre irgendwo
verzeichnet“, scherzte sie. Mulder sah auf Scully, die William sanft auf ihrem Arm hin und
her schaukelte, damit er ruhig blieb.
„Was glaubst du?“
„Ehrlich gesagt ist es zu früh, um jetzt schon irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ich glaube dafür ist es erst Zeit, wenn ich die Abdrücke persönlich gesehen habe, obwohl
ich noch nicht weiß, wie wir das anstellen wollen. Doch bis dahin, sollten wir unsere
Theorien im Zaum halten“, sie schaute dabei ausschließlich Mulder an, der ihr mit einem
Nicken zu verstehen gab, dass er den Wink verstanden hatte.
Nach 3 Stunden, drei Schreiattacken von William und ein paar Theorien, die sie einfach
nicht für sich behalten konnten landeten sie endlich auf dem Flughafen von Houston und
stiegen aus. Während die Männer das Gepäck holten, kümmerten sich die beiden Frauen
um einen Mietwagen.
Nach weiteren 30 Minuten kamen sie am Herrenhaus der Van Bolts in Beaumont an und
Scully war beeindruckt. Sie hatte ja keine Ahnung, was Adel auch für Reichtum bedeutete.
Das Haus lag ein wenig abseits der Stadt und hätte problemlos als Kulisse für einen
Horrorfilm oder als ein Schloss herhalten können.
Die dunklen Backsteine waren von wuchernden Pflanzen fast völlig bedeckt und obwohl es
sehr alt wirkte, machte es keinen verfallenen Eindruck. Ein großer bedrohlicher Turm
ragte an der Ecke beinahe hervor. Die Fenster waren riesig und keinesfalls vergittert, wie
sie fast erwartet hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen in so einem Haus aufzuwachsen.
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„Okay, wie viele deiner Verwandten, die solche Häuser haben, hast du mir noch
verschwiegen?“ William litt ein wenig unter Jetlag und lag erschlagen in den Armen seiner
Mutter. Mulder schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln, bevor er sich vorsichtig auf ihre
Seite herüberbeugte, um das Baby nicht zu stören und aus dem Fenster sah.
„Keine. Ich hatte schon fast vergessen wie beängstigend dieses Haus ist“, lenkte er dann
immer noch lächelnd ein.
„Warst du früher oft hier?“, das Baby schluchzte leise vor sich hin, mehr als wollte er sich
selbst unterhalten als Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dennoch reichte ihm Mulder
seinen Zeigefinger, den er nur allzu gerne mit seiner Hand umkrallte und in seinen Mund
steckte.
„Nicht wirklich, ich glaube nur drei oder vier Mal. Obwohl ich über die Jahre immer älter
geworden bin, hatte ich immer einen gewissen Respekt vor diesem Haus, aber glaub mir
sobald du Albert kennengelernt hast vergisst du die kühle Fassade des Äußeren. Innen
hat...“, er überlegte kurz, „Ich glaube ihr Name war Marien, Alberts zweite Frau, alles sehr
warm und einladend dekoriert. Sie ist aber schon vor vielen Jahren gestorben und jetzt
auch noch Susan“, er stoppte und Scully legte sanft eine Hand auf seinen Arm und gab ihm
ein verständnisvolles Nicken.
„Hey Mulder, ich hoffe Ihr Onkel ist uns jetzt ein wenig besser gesinnt, er war nicht gerade
das, was man kooperativ nennt“, stellte Doggett fest, während er den Wagen vor dem Haus
zum Stehen brachte.
„Großonkel und er war schon immer für sein Temperament bekannt“, korrigierte ihn
Mulder. Sie stiegen aus und Scully konnte nicht umhin festzustellen, dass das Haus aus der
Nähe noch beängstigender aussah. Nachts musste es eine fabelhafte Sicht bieten, wenn man
von der Stadt aus hier her sah.
Jedoch hatte das eindrucksvolle Gebäude noch eine ganz andere Wirkung auf sie. Denn bei
allem beängstigenden, mittelalterlichen Charme war es noch immer ein Heim, jemandes
Zuhause, was sie daran erinnerte, dass sie und Mulder sich nun bald selbst auf die Suche
nach einem neuen Eigenheim begeben mussten.
Sie lächelte kurz, schon der Gedanke daran war unglaublich. Hätte ihr jemand vor drei
Jahren zu erklären versucht, dass sie mit Mulder auf Haussuche gehe würde, um für sie
beide und ihren gemeinsamen Sohn ein Zuhause zu schaffen, hätte sie ihn mit Sicherheit so
angesehen, wie sie ein Alien mit zwei Köpfen und einem Schwanz so lang wie eine
ausgewachsene Anakonda angesehen hätte. Natürlich, kurz bevor sie in schallendes,
ungläubiges Gelächter ausgebrochen wäre. Aber jetzt lebten sie seit beinahe vier Monaten
zusammen und allmählich wurde es Zeit den nächsten Schritt zu tun.
Dass Mulder bei ihr eingezogen war, war ein Zeichen für alle Welt und jeden, der es nicht
wissen wollte, gewesen, dass sie nun offiziell zusammen gehörten, als ob das nach dem Baby
nicht ohnehin schon klar gewesen wäre. Aber das war keine dauerhafte Lösung. Obwohl
drei Personen bequem in ihrer Wohnung zusammenleben konnten, waren fast alle seine
Sachen in einer Lagereinheit untergebracht. Falls also irgendetwas Unvorhergesehenes
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geschah, konnte er einfach so aus ihrer Wohnung spazieren und bis auf die leere Hälfte in
ihrem Bett, in ihrem Kleiderschrank, ein paar fehlenden Utensilien im Badezimmer und
das Fehlen der lächerlichen, grünen Porzellankrankheit – die er Tasse nannte – mit dem
verwaschenen Alien und dem Spruch „I’m so Spooky“ (yeah, das war Spooky mit großem
S) darauf, die er vor Jahrhunderten von den drei Stooges zum Geburtstag geschenkt
bekommen hatte, in ihrem Küchenschrank, würde nichts mehr daraufhin weisen, wie sehr
er ihr Leben vereinnahmt hatte. Nichts Offensichtliches zumindest.
Und da sie beide noch immer keinen Ring an ihrem Finger trugen, musste eben ein Haus
als Ewigkeitsschwur herhalten. Heirat war natürlich in Zukunft nicht ausgeschlossen, wie
ihr nur allzu bewusst war. Den Antrag hatte es bereits gegeben.
Er hatte überraschend um ihre Hand angehalten an dem Abend, nachdem sie und William
das Krankenhaus verlassen und gegen die vertraute Umgebung ihrer Wohnung
eingetauscht hatten. Sie hatte von Anfang an gewusste, dass er etwas im Schilde führte, als
er ihren Sohn auf dem Arm hielt und so war es dann auch. Und obwohl sie überglücklich
und vollgepumpt mit Endorphinen gewesen war, die noch von den Tatsachen herrührten,
dass sie ihrem Sohn das Leben geschenkt hatte und nun seinem Vater nach einer
scheinbaren Ewigkeit der Unruhe, in trauter Zweisamkeit, voll von mütterlichem Stolz,
wieder in die Augen sehen konnte; war das ein Antrag, den sie hatte ablehnen müssen. Oh
ihre Mutter würde sicherlich ihrem gekränkten Stolz erliegen sollte sie jemals davon
erfahren. Nicht nur, dass ihr Enkelkind in Sünde gezeugt und geboren worden war, nein,
nun weigerte sich ihre Tochter auch noch diesen Fehler so schnell wie möglich zu beheben.
Aber so einfach war das nicht.
Ja, sie liebte ihn.
Ja, sie wollte ihr Leben mit ihm verbringen.
Aber, sie war weder naiv, noch dumm. Während der Zeit in der sie Partner gewesen waren,
hatten sie so ziemlich alle Seiten von einander kennengelernt und die fehlenden in der
kurzen Zeit der Intimität bevor er verschwand. Doch jetzt gab es eine neue
Herausforderung und sie konnte unmöglich vorhersagen, wie sie beide mit dem Stress
umgehen würden, den ein Baby so mit sich brachte. Sich nebenbei auch noch dem Eheleben
zu stellen war keine besonders verführerische Aussicht. Kind und Ehe waren beide am
besten, wenn man sie in Ruhe genoss und nicht versuchte, beides auf einmal unter einen
Hut zu bringen, denn das führte meistens ins Desaster und das konnten sie nun wahrlich
nicht auch noch in ihrem Privatleben gebrauchen.
Also hatte sie ihm sanft aber bestimmt klar gemacht, dass sie ihn natürlich heiraten wolle,
aber erst nach einer für beide angemessenen Zeit des gemeinsamen Lebens. Er hatte
geschmollt – nun was hätte sie den auch anderes erwartet? –, aber auch recht schnell
eingesehen, dass sie recht hatte, nicht alles im Leben war nur mit gutem Willen zu schaffen.
Mit einem eigenen Haus allerdings, war der erste Schritt in eine längerfristige Beziehung
getan und nach dieser Hürde war sie auch bereit seinen Ring am Finger zu tragen, auf das
es alle Welt erfahre.
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Während sie in Gedanken versunken und beeindruckt vom Anblick vor dem Haus stand,
hatte sich die große, schwere Holztür geöffnet und ein älterer Mann war herausgekommen.
Seine Haare waren gräulich-weiß, seine elegante Gestalt war ganz in schwarz getaucht und
Scullys geschultes Auge erkannte sofort, dass es sich bei dieser Person nur um den
Hausherrn handeln konnte.
„Mulder“, seine Stimme war von Trauer geprägt, aber man konnte auch die
Wiedersehensfreude durchscheinen hören. Willig ließ Mulder sich von dem älteren Mann
umarmen.
„Hallo Albert“, er trat aus der Umarmung zurück. „Das ist Dana Scully, das ist William“,
er deutete erst auf sie, dann auf das Baby und Albert schenkte ihnen beiden ein
freundliches, jedoch etwas irritiertes Lächeln. „Na ja und Agent Doggett und Agent Reyes
kennst du ja schon“, er deutete auf die beiden Agenten.
„Sie beide hätten gleich zu Hause bleiben können“, war alles, was Albert für sie übrig hatte,
bevor er kehrt machte und zurück zur Tür stapfte.
„Was für ein netter Empfang“, gab Reyes nicht wenig überrascht von sich. Sie wusste zwar,
dass Mr. Van Bolt nicht viel von ihnen hielt, aber sie hatte Doggetts Ansicht durchaus
geteilt, dass er jetzt, wo sie ihm Mulder gebracht hatten, auch sie schätzen würde. Mulder
schenkte ihnen ein versöhnliches Lächeln und folgte ihm dann zusammen mit Scully, seine
Hand in der kleinen Mulde ihres Rückens.
Wie sich herausstellte, hatte Mulder mit seiner Umschreibung nicht übertrieben. Sah das
Haus von außen, alt, verknöchert und beinahe gruselig aus, so war es innen warm, weich
und sehr einladend. Die kalten Wände waren mit bunten Teppichen versehen, ähnliche
fanden sich auch auf dem Boden wieder. Von der Tür aus gesehen rechts, führte eine
gerundete Treppe auf den zweiten Flur. Unter der Treppe befand sich eine Schwingtür, die
laut Mulder in die Küche führte. Direkt gegenüber der Eingangstür, quer durch die
Empfangshalle befanden sich zwei große Schiebtüren, die zum Salon führten. An der linken
Seite waren zwei weitere Türen, die in eines der vier Badezimmer und ins Speisezimmer
führten. Während Mulder das schnell alles erklärte – er brauchte nicht länger als drei
Minuten und war selbst überrascht, wie sehr er sich doch an alles erinnerte, allerdings war
das bei ihm ja keine Seltenheit, blieb Albert in der Halle stehen und betrachtete seine Gäste
kritisch.
„Oben befinden sich die Gästezimmer“, wandte er sich an seinen Neffen und an Scully. „Ich
nehme doch an, dass sie beide in einem Hotel übernachten werden“, dieser Kommentar war
eindeutig, an die beiden Agenten gerichtet.
„Ja, Sir. Wir wohnen im Delfont Inn Motel, das ist hier gleich um die Ecke“, begann
Doggett wurde aber unfreundlich von Albert mit einem „Ich weiß, wo das ist“
unterbrochen und verstummte sofort. Scully und Mulder tauschten einen Blick aus und er
zuckte kaum merklich mit den Schultern, nur so, dass sie es erkennen konnte.
„Dottie“, rief er und nur bei diesem Namen bekam seine harte Stimme einen etwas
weicheren Klang. Fast auf der Stelle kam eine um die fünfzig jährige, leicht dickliche Frau
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aus der Schwingtür gelaufen. Sie trug eine hell lila farbene Uniform und eine schneeweiße
Schürze, die kurzen, dunklen Haare lagen ordentlich frisiert und sie hatte einen leicht
spanischen Touch in ihren Gesichtszügen. Um ihren rechten Oberarm hatte sie ein
schwarzes Tuch zum Zeichen der Trauer gebunden.
„Fox“, grüßte sie fröhlich, umarmte ihn ebenfalls herzlich und er vermied es, sie
zurechtzuweisen, wie er es eigentlich immer tat. Es gab einfach Frauen, die sich nicht
verbessern ließen, seine Mutter war eine gewesen, Dottie und Margaret Scully waren die
beiden anderen und irgendwie konnte er damit trotzdem leben. Er genoss es, Dottie wieder
zu umarmen. Dottie, mit ihrem großen Herzen, die Susan fast wie ihre eigene Enkelin
behandelt hatte und erst aus der Nähe erkannte Mulder die dunklen Ringe, die sich unter
ihren Augen gebildet hatten.
„Hallo Dottie, es ist schön dich wieder zu sehen“, auch hier löste er sich schnell aus der
Umarmung um die anderen der Reihe nach vorzustellen. „Das ist Dorothea Bogomaz“,
stellte er sie schließlich vor.
„Die gute Seele des Hauses“, fügte Albert immer noch mit weicher Stimme hinzu. Dottie
hatte sofort einen Narren an William gefressen, der erschöpft von der Reise schließlich in
den Armen seiner Mutter eingeschlafen war, er nuckelte dabei unbewusst an dem Nuckel,
dem Dana ihm kurz zuvor in den Mund geschoben hatte. Die ältere Frau konnte es gar
nicht glaube, wie schön es war, wieder ein Baby im Haus zu haben und bot sofort ihre Hilfe
an, wenn sie von Nöten sein würde und Scully bedankte sich lächelnd.
„Schön, nachdem ihr euch jetzt alle bekannt gemacht habt, könnt ihr ja eure Sachen holen
und eure Zimmer beziehen. Mulder, ich würde dich gerne kurz im Salon sprechen. Agent
Doggett kann ja deine Tasche hochtragen, Dottie wird ihnen den Weg zeigen“, stellte er wie
selbstverständlich fest und John hatte das Gefühl salutieren zu müssen, nickte aber
stattdessen einfach nur. Mulder gab ihm einen dankenden Blick und begleitete seinen
Onkel dann durch die zwei Schiebetüren, die dieser gleich wieder hinter sich schloss.
„Ich bin sehr froh, dass du hier bist“, begann Albert und Mulder bestätigte durch ein
leichtes Nicken, dass es ihm ebenfalls so ging. „Zuerst war ich ein wenig überrascht, als
dieser Doggett mir sagte, dass du nicht mehr beim FBI arbeitest, aber du hast sicher deine
Gründe dafür. Wie ich sehe, sogar sehr gute. Als mir gesagt wurde, dass deine Partnerin im
Mutterschaftsurlaub wäre, hatte ich ja keine Ahnung, dass du der Grund dafür bist. Oder
irre ich mich und der Kleine ist gar nicht von dir? Was ich mir ehrlich gesagt nicht
vorstellen kann, denn er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Und wer könnte es dir bei
dieser bezaubernden Mama schon verdenken.“
„Er ist mein Sohn und du hast recht, niemand kann es mir verdenken“, bestätigte er nicht
ohne ein Lächeln, dass der ältere Mann warmherzig erwiderte.
„Kinder sind etwas wunderbares, ich hoffe nur, dass du nie das durchmachen musst, was
ich gerade durchmache. Es gibt nicht schlimmeres, als sein eigen Fleisch und Blut zu
überleben, glaube mir. Erst die Tochter und dann auch noch meine einzige Enkelin zu
verlieren ist der absolute Horror“, sprach er weise und lief zu einem kleinen Tisch herüber,
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um sich einen Sherry einzugießen, er kam erst gar nicht auf die Idee, Mulder ebenfalls
einen anzubieten, er wusste, dass er ihn sowieso nicht annehmen würde.
„Ich weiß, dass es eine harte Zeit für dich ist, aber meinst du nicht, dass du ein wenig
angenehmer zu Agent Doggett und Agent Reyes sein könntest?“, warf Mulder ein.
„Wir haben in unserer Familie immer alles selbst geregelt. Ich will einfach nicht, dass sich
solche Grünschnäbel in die Untersuchung einmischen, davon haben wir hier schon genug
und dafür ist das einfach zu wichtig“, die Verbitterung war nicht zu überhören. „Nach
Mariens und Karens Tod ist Susan alles, was mit geblieben ist und ich will, dass ihr Tod
zufriedenstellend aufgeklärt wird“, er nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Ich würde es
ja selbst tun, aber seit meinem siebzigsten Geburtstag letztes Jahr, weigert sich mein
Körper den Weg zu gehen, den mein Geist gehen will. Tja Fox, ich werde wirklich langsam
alt“, er nahm noch einen Schluck und Mulder konnte sich ein Lächeln trotz seiner
Vornamens nicht verkneifen.
Das war Albert wie er ihn kannte. Der Mann, der sich einbildete, nur weil er jeden Sherlock
Holmes Roman gelesen hatte, dass er in der Lage wäre, jedes Verbrechen aufzuklären und
der mit seinen siebzig Jahren mit Sicherheit noch um einiges fitter war, als Mulder selbst.
„Vertrau mir. Doggett und Reyes sind durchaus fähige Agenten, immerhin arbeiten sie
jetzt dort, wo ich die letzten Jahre verbracht habe und klären die Fälle nicht weniger
schnell und zufriedenstellend auf, als Dana und ich es getan haben.“ Okay, das war
vielleicht ein bisschen geflunkert, aber immerhin arbeiteten sie erst seit etwas mehr als
einem halben Jahr zusammen und selbst er und Scully hatten einige Zeit gebraucht um sich
aufeinander einzustimmen.
„Schön wenn du der Meinung bist, vielleicht kann ihre Hilfe wirklich nicht schaden“, ließ
sich Albert problemlos überzeugen.
Während Mulder mit Albert sprach, kümmerten sich die Anderen um ihr Gepäck. Doggett
nahm Mulders Tasche und Williams Windeln, Reyes nahm Scullys Tasche und Dana
balancierte den schlafenden William auf dem einen Arm und seinen Kindersitz über dem
anderen. Dottie hatte bereitwillig Williams Tasche übernommen und gemeinsam stiegen sie
die Treppen zum zweiten Flur empor. Der Flur war lang und schmal und am Ende befand
sich eine Wendeltreppe, die, so vermutete Dana, zum Turm hinaufführte.
Oben lief sie an einer Reihe von Türen vorbei, wobei Dottie immer einige Worte fallen ließ.
„Rechts Mr. Van Bolts Zimmer... links Miss Susans Zimmer... rechts das große
Badezimmer... daneben das Arbeitszimmer... links mein Zimmer... anschließend das kleine
Badezimmer“, schließlich blieb sie vor einer Tür stehen.
„So und das“, sie öffnete die Tür, „ist Ihr Zimmer“, sie trat ein und stellte die Tasche neben
die Tür. Die drei folgten ihr. Das Zimmer war sehr geräumig und strahlte ebenfalls die
feminine Wärme aus, die auch das ganze Innere des Hauses umgab. Es war ohne Zweifel
mit viel Liebe eingerichtet worden. Zwei der vier Wände waren mit feinen Schränken
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verziert – sowohl die rechts neben der Tür, als auch die direkt links an die Tür
anschließende. Gegenüber waren zwei Fenster eingearbeitet und an der einzig freien Wand
stand ein großes Gästebett, das gerade dazu einlud ein Nickerchen zu machen. Das Bett
hatte an beiden Seiten einen Nachtschrank mit zwei feinen Porzellanlampen.
„Direkt neben Ihrem Zimmer liegt das Gästebadezimmer, das nur Sie benutzen“, fügte
Dottie hinzu. „Ich werde sie jetzt allein lassen, wenn etwas sein sollte, rufen sie einfach“, sie
war bereits aus der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte. „Dabei fällt mir ein, ich glaube
wir haben noch Miss Susans altes Kinderbett, wenn sie es für ihren Sohn haben möchten,
könnte ich es für sie herrichten“, bot sie an.
„Das wäre wunderbar“, dankte Scully lächelnd und die ältere Frau erwiderte es, bevor sie
verschwand.
„Also da wären wir. Stellen sie die Taschen einfach neben das Bett“, erklärte sie darauf
schnell und setzte den Kindersitz ab und legte William vorsichtig auf die weichen Decken in
die Mitte des großen Bettes. Der kleine Körper protestierte kurz gegen die veränderte Lage
schlief aber ruhig weiter, als Scully ihm zärtlich über den Kopf streichelte.
„Schön, ich werde dann mal wieder runtergehen“, begann Doggett und war kurz darauf
schon aus der Tür.
„Wir sollten das vielleicht auch tun, ich meine, wenn er“, Monica deutete auf das Baby,
„ruhig schläft. Immerhin gibt es bestimmt noch einiges, was wir besprechen müssen.“
„Keine Sorge, ich denke, er ist völlig erschöpft. Kommt nicht alle Tage vor, dass er fliegt
und einer ganz neuen Umgebung ausgesetzt ist. Gesellen wir uns zu dem Rest“, meinte
Scully, während sie Kissen so um den kleinen Körper ihres Sohnes drapierte, dass er nicht
herunterfallen konnte und dann verließen sie den Raum.
Der Rest – bestehend aus Mulder, Doggett und Albert – stand in der Eingangshalle und
unterhielt sich, als Dana und Monica zu ihnen stießen.
„Okay, wir werden jetzt in unser Hotel einchecken und sehen, ob wir etwas Neues über die
örtlichen Behörden herausfinden können“, erklärte Doggett und alle nickten einstimmig.
„Sie sind natürlich zum Abendessen eingeladen“, fügte Albert freundlicher als vorhin hinzu
und Reyes war etwas überrascht. Anscheinend hatte sich Mulder für sie beide stark
gemacht und dafür war sie ihm sehr dankbar, es gab nichts Schlimmeres als wenn die
wichtigsten Leute eines Falls nicht kooperierten.
„Diese Einladung nehmen wir gerne an“, mit diesen Worten verabschiedeten sich die
beiden.
„Ich und William wir machen ein kleines Schläfchen, ich bin ganz schön kaputt“, gestand
Scully und schenkte ihm sofort ein entwaffnendes Lächeln, als er sie besorgt ansah. Es ging
nur um die erste Regel die man als neue Eltern niemals vergessen sollte: Schlafe, wenn das
Baby schläft.
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„Tut das, ein bisschen mehr Schlaf wird dir gut tun, sofern er dich lässt“, grinste er und
streichelte mit seinem Daumen zärtlich über ihre Wange. Sie nickte zustimmend und warf
ihm einen hoffenden Blick zu, dann drehte sie sich um und lief die Treppen hinauf in ihr
Zimmer, er blickte ihr nach, bis sie aus seinem Blickwinkel verschwunden war.
„Und was wirst du nun tun?“, fragte Albert.
„Ich denke, ich werde mich mal ein wenig am Tatort umsehen, um mir einen ersten
Eindruck zu verschaffen“, überlegte Mulder laut.
„Das halte ich für eine ausgesprochen gute Idee“, pflichtete ihm der alte Herr bei.
„Da ist nur ein Problem“, sprach Mulder weiter und fügte auf den fragenden Blick seiner
Onkels hinzu, „Ich habe kein Auto. Wir haben nur einen Mietwagen und den fahren Agent
Doggett und Agent Reyes.“
„Du kannst Susans Auto benutzen, es müsste sogar noch vollgetankt sein“, stellte er mit
einer traurigen Stimme fest. „Dottie wird dir die Schlüssel geben. Ich ziehe mich so lange in
den Salon zurück. Gib mir Bescheid, wenn du wieder zurück bist“, verlangte er noch,
während er bereits auf dem Weg in die Küche war, um seine Haushälterin zu holen.
„Sicher Onkel Albert“, versprach Mulder und wartete dann in der Halle, bis ihm Dottie die
Schlüssel gab und gleich darauf war er auf den Weg zum Park, in dem Susan umgekommen
war.
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Kapitel 4
Okay, es wimmelten immer noch weit mehr Polizisten am Tatort herum, als es sich nach
beinahe 20 Stunden geziemte. Irgendetwas musste dort sein, was sie am helllichten Tag aufs
Neue herlockte und Mulder war fest entschlossen herauszufinden, worum es sich dabei
handelte.
Es war völlig ausgeschlossen, dass er einfach durchs Absperrband hindurchschlendern
konnte, wie früher. Also blieb ihm nur eine Möglichkeit. Er tat so, als würde er achtlos an
der Lichtung vorbeigehen, um dann im nächstbesten Gebüsch zu verschwinden. Dort
schlich er leise raschelnd weiter und einige Äste knackten verräterisch unter ihm. Als er
anhielt, war er bereits am anderen Ende der Lichtung und ein gutes Stück von den
Polizisten entfernt.
Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, erst mal hier hinten anzufangen, heute Nacht
konnte er vielleicht den Rest des Tatortes untersuchen, wenn bis dahin nicht auch der letzte
Rest verschwunden war.
Unauffällig kroch er aus seinem Versteck hervor und schob sich unter dem gelben Band
hindurch. Dann begann er aufmerksam die Umgebung in sich aufzunehmen. Er konnte die
Teile schon jetzt in die richtigen Lücken klicken fühlen. Er war wieder zurück, tat das, was
er am besten konnte und fühlte sich großartig.
Leider erwies sich der Teil der Lichtung, den er einsehen konnte, nicht als Glücksgrube. Es
gab keine vergessen Kleidungsstücke, keine Abdrücke, ja nicht einmal ein abgeknicktes
Blatt, das ihm hätte Aufschluss darüber geben könnte, was hier mit Susan passiert war.
Plötzlich erfasste etwas Glänzendes sein Auge. Wie eine Motte zum Licht wurde er immer
näher herangezogen. Dort spiegelte sich definitiv die Sonne in etwas, die Frage war nur,
was es war. Er musste es herausfinden, doch soviel Glück hatte er nicht, er war noch gute
zehn Schritte von seinem Ziel entfernte, als sich ein stämmiger Riese in Uniform vor ihm
aufbaute und ihm den Weg versperrte.
„Wer sind Sie und was machen Sie hier?“, fragte der Koloss in einer tiefen, autoritären
Bassstimme. Automatisch wanderte Mulders Hand zu seiner Gesäßtasche, um dort
vergeblich nach seiner ID Marke zu tasten. Was sollte er jetzt tun? Dann fiel es ihm ein, wie
ein Lichtstrahl in eine Höhle fällt und den geheimnisvollen Schatz enthüllt.
Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche und gab dem unnachgiebigen Hüter des Gesetzes
einen gefälschten Presseausweis, den die Gunmen ihm vor zwei Jahren als Scherz zum
Geburtstag geschenkt hatten. „Du wirst ihn eines Tages brauchen“, hatte Langley
triumphierend verkündet und wahrscheinlich keine Ahnung gehabt, wie recht er damit
hatte.
„Meine Name ist Fox Mulder ich bin Angestellter der Pressevertriebsabteilung für
Außergewöhnliches und Übersinnliches.“ Er hatte keine Ahnung, woher das jetzt kam,
aber seine Spontanität hatte die Oberhand gewonnen und das Reden und Denken
übernommen, jetzt konnte er nur eines tun: mitziehen.
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„So Mr.“, der Hüne sah noch einmal auf den Ausweis, als hätte er kein Wort von dem
gehört, was Mulder gesagt hatte, „Mulder. Ich bin Hilfssheriff Luka und es ist mir ziemlich
egal, wer oder was Sie sind, solange Sie keine hübsche, blinkende Marke wie die hier
tragen“, er deutete voller Stolz auf sein Abzeichen. „Solange haben sie hier nichts zu
suchen, verstanden?“ Mulder nickte, es war keine gute Idee sich mit diesem Kerl
anzulegen. „Gut, wenn ich Sie hier noch mal sehe, werde ich Sie einbuchten lassen, okay?“
Mulder nickte erneut und ließ sich von Hilfssheriff Luka zum Absperrband dirigieren.
Die ganze Zeit tänzelten seine Gedanken um das kleine, glänzende Etwas und er wusste,
dass er keine Ruhe finden würde, bis er wusste, was es war. So ließ er sich willig von dem
Riesen führen und ging leicht schlendernd davon, bis er sich sicher war, dass er außer
Sichtweite des Polizisten war, dann schlug er sich erneut ins Gebüsch. Schnell hatte er seine
vorherige Position erreicht.
Er warf noch einen letzten Blick auf die Polizisten, die wieder eifrig ihren Tätigkeiten
nachgingen, bevor er sein schützendes Versteck erneut verließ. Immer wieder stahl sich
sein Blick zu seinem neugewonnen Freund, um auch wirklich sicher zu gehen, dass der
nicht in seine Richtung sah. Es war ein sehr gefährliches Unterfangen und er hätte
sicherlich auch heute Nacht nach dem glänzenden Punkt seiner Aufmerksamkeit suchen
können, wie groß war schon die Chance, dass sie es vor ihm finden würden, wenn sie es bist
jetzt noch nicht gefunden hatten? Aber es gab Zufälle, mehr als ihm lieb war und auch ein
blindes Huhn fand ab und zu mal ein Korn, was wenn dieses blinde Huhn sein Korn finden
würde?
Allerdings machte Hilfssheriff Luka momentan nicht den Eindruck, als würde er wirklich
nach etwas suchen, was nicht offensichtlich vor seiner Nase lag. Mulder näherte sich zügig
und in gebückter Haltung seinem Ziel, dieses Mal mit Erfolg. Er kniete daneben nieder und
zog einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche.
Vorsichtig schob er ihn unter das silberne Frauenarmband und hob es hoch. Sogleich
erkannte er, dass es kein Armband war, sondern ein Fusskettchen. Aber wie konnte dieses
Fusskettchen hierher kommen? Soweit er von Agent Doggett wusste, war Susan von der
anderen Seite gekommen und hatte diesen Teil der Lichtung gar nicht betreten. Es sei denn,
das Kettchen würde gar nicht ihr gehören. Er drehte den Kugelschreiber ein wenig, um das
Plättchen umzudrehen und dort stand er. In feinsäuberlich aufgezeichneten Buchstaben ihr
Name, es war sicherlich ein sehr teures Stück gewesen. Hatte ihr Killer es möglicherweise
an sich genommen und dann verloren? Aber das hatte er bei keinem der früheren Opfer
getan. Er tötete nicht materieller Dinge wegen, sondern um des Tötens willen. Aus seiner
Brusttasche zog er nun einen Plastikbeutel und ließ das Kettchen hineinfallen. Er hatte
nicht vor Beweismaterial zu stehlen, er wollte es lediglich ausleihen. Nachdem er das
Tütchen in seiner Tasche verstaut hatte, erhob er sich und spürte eine starke Hand auf
seiner Schulter.
„So Mr. Pressevertriebsabteilung, ich habe Sie gewarnt und jetzt muss ich Sie bitten mich
aufs Revier zu begleiten.“
28
Dana hatte William gerade gewickelt und in einen neuen Anzug gesteckt, den Versuch eines
Nickerchens hatte sie wohl oder übel aufgeben müssen, da er sich entschlossen hatte, seine
Mom mit lautstarkem fröhlichem Geplapper wach zu halten, als Monica zur Tür
hereinkam. Ihr Blick verhieß schlechte Neuigkeiten. Ihrem Sohn zärtlich über den Bauch
streichelnd sah sie sie wartend an.
„Mulder ist verhaftet worden“, begann diese zu erklären. Sie wusste zwar, dass Mulder
nicht da war, aber wo er war, wusste sie nicht und es überraschte sie schon.
„Meine Güte“, entfuhr es Dana, während sie William auf den Arm nahm, das Baby
schnappte sich eine Haarlocke und stopfte sie sich in den Mund. „Wir sind noch keine 12
Stunden hier und er hat sich schon in Schwierigkeiten gebracht, dass ist selbst für Mulder
ein Rekord“, sie lächelte kurz und entfernte ihre Haare aus Williams Faust, bevor sie aus
dem Badezimmer lief mit Reyes auf ihren Fersen. Im Gästezimmer gab sie ihr das Baby,
packte seinen Autositz und nahm die Schlüssel des Mietwagens an sich.
„Soll ich ihn solange nehmen?“, bot Monica an, während sie die Treppen hinunter gingen
doch Dana schüttelte den Kopf.
„Ich werde ihn mitnehmen, er soll schon früh genug Erfahrungen dafür sammeln seinen
Vater aus dem Knast zu holen, vielleicht wird er das später allein machen müssen.“ Sie lief
nach draußen und befestigte den Kindersitz bevor sie ihren Sohn wieder an sich drückte
und lächelte Reyes kurz zu. „Wo ist das Polizeigebäude?“, fragte sie, William in den
Autositz setzend und sich peinlich genau vergewissernd, dass alle Gurte richtig saßen,
bevor sie die Tür schloss.
„Etwa zwanzig Minuten von hier. Die Straße runter und dann links. Auf der rechten Seite
steht ein altes, beigefarbenes Gebäude, eigentlich nicht zu übersehen, ist kurz vor dem
Auseinanderfallen“, während Reyes ihr die Wegbeschreibung gab, hatte Dana das Auto
umrundet und stieg mit einem letzten Lächeln und einem leisen „Danke“ ein.
Sheriff Donna Wally saß in dem kleinen Büro und durchsah gerade einige Akten, als sich
die Tür öffnete und Edward Wilson einen Mann hineinführte. Er sah gut aus, dass musste
sie zugeben. Ziemlich attraktiv, ein bisschen übermüdet vielleicht, aber definitiv sexy.
„Danke Ed“, nickte sie ihrem Assistenten zu, der flüchtig lächelte und dann den Raum
verließ. „Setzen Sie sich“, sie deutete auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch und er leistete
willig Folge. Während er auf dem Stuhl Platz nahm, erhob sie sich und umrundete den
Tisch langsam, seinen Anblick in sich aufnehmend. Warum mussten die hübschesten
Männer immer kriminell sein? Allerdings war das manchmal auch ganz gut, wie in diesem
Fall, wie sollte sie sie sonst kennen lernen?
„Wir haben ihren Ausweis überprüft Mr. Mulder und wie Sie sicher wissen, gibt es keine
Pressevertriebsabteilung für Außergewöhnliches und Übersinnliches. Also was haben Sie
wirklich dort gemacht?“, sie setzte sich auf ihren Schreibtisch und sah ihn fragend an.
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In dem Moment, in dem Mulder befand, dass der Sheriff in seine Privatsphäre eindrang,
brachte Scully das Auto vor dem Polizeigebäude zum Stehen, stellte den Motor ab und stieg
aus. William, der fast immer beim Autofahren einschlief, hatte große Probleme die Augen
offen zu halten, bemühte sich aber wirklich. Sie überlegte kurz, ob sie ihn im Sitz in den
Schlaf driften lassen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Wenn er jetzt wach war,
würde er wenn sie zu Hause waren schnell vor Erschöpfung einschlafen und sie konnte sich
in aller Ruhe mit Mulder unterhalten, was wohl auch nötig war.
Sie befreite ihren Sprössling aus den Gurten und hob ihn hoch, er gab ein merkwürdiges
Geräusch zwischen Schreien und Jauchzen von sich, wahrscheinlich war er sich nicht
sicher, ob seine veränderte Lage positive oder negative Folgen für ihn hatte.
Zärtlich küsste sie seinen kleinen Kopf und streichelte ihm beruhigend über den Rücken.
Will beruhigte sich und lehnte seinen Kopf schwerfällig gegen ihre Schulter und schloss die
Augen, um sie dann wieder zu öffnen, bis sie wieder zufielen. Als Scully aufs Gebäude
zuschlenderte, wurde es für ihn immer schwerer die Augen wieder zu öffnen. In dem
Moment als sie die große Tür erreichte, hatte er den Kampf schließlich verloren und war
eingeschlafen.
Monica hatte mit ihrer Beschreibung nicht übertrieben. Tatsächlich hatte sie das Gefühl,
als würde sich der Türgriff in ihrer Hand gleich ins Nichts auflösen, was er jedoch nicht tat.
Stattdessen gab die Tür ein gefährliches Knarren und Ächzen von sich, während sie hinter
ihr wieder ins Schloss fiel.
Das Baby bekam von alledem nichts mehr mit, er hatte seine kleinen Arme so gut es ging
um die Schulter seiner Mutter geschlungen und atmete leicht und regelmäßig gegen ihre
Haut.
Sie ging einen langen Korridor herunter, der ziemlich staubig und dunstig war. In einem
großen Vorraum stand ein einfacher Holztresen und dahinter saß ein nett, aber naiv
aussehender Mann. Zielstrebig lief sie auf ihn zu, während sie nicht umhin kam sich zu
fragen, ob die Gitterstäbe der Zellen dieselbe Festigkeit wie der Rest des Gebäudes besaßen.
Als sie den Raum betrat, konnte sie erkennen, dass drei weitere Korridore von diesem
Raum abzweigten in zweien davon befanden sich Leitern und Gerüste, es war
offensichtlich, dass das Haus gerade renoviert wurde, was es auch dringend nötig hatte.
„Was kann ich für sie tun?“, fragte der nette, naive Mann lächelnd.
„Ich suche meinen“, hmm, wen suchte sie? Mulder natürlich, aber sie konnte dem
Polizisten ja kaum sagen, dass sie Mulder suchte. Obwohl, so wie sie Mulder kannte, hatte
er sich mit Sicherheit schon einen Namen gemacht. „Ich suche meinen Partner“, sagte sie
schließlich, sollte der Mann das doch auffassen, wie er wollte. Allerdings schoss der
Gedanke ‚Wie in alten Zeiten‘ durch ihren Kopf und sie musste lächeln. Der Polizist
missverstand das natürlich völlig und schenkte ihr ein breites Lachen.
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„Ja, ja immer Ärger mit den Männern, wie heißt er denn?“
„Mulder, Fox Mulder“, gab sie immer noch lächelnd zurück. Sie wollte nur noch so schnell
wie möglich zu Mulder und dann raus hier.
„Oh, der ist gerade beim Sheriff, den Gang runter die letzte Tür links, nicht zu verfehlen.
An der Tür steht Wally“, erklärte der Polizist hilfreich und Dana wünschte sich nichts
sehnlicher, als ihren Ausweis aus der Tasche zu ziehen und diesem Kerl unter die Nase zu
halten. Nur weil sie ein Baby auf dem Arm hatte, war sie nicht plötzlich zu einer dieser
überempfindlichen Mamis geworden, die man nicht mehr respektieren musste. Sie konnte
immer noch ohne mit der Wimper zu zucken einen Mann auf die Matte legen, so wie diesen
überfreundlichen Polizisten.
„Danke“, antwortete sie stattdessen und lief den Gang hinunter.
Zu der Zeit, als Scully sich mit dem Männchen an der Information herumschlug, versuchte
Mulder krampfhaft eine Erklärung zu finden. Schließlich gab er resignierend auf.
„Schön, ich bin Tourist. Ich und meine Familie machen hier Urlaub und besuchen einen
Verwandten“, gab er zögerlich von sich. Donna allerdings war nicht erst seit ein paar
Tagen Sheriff und erkannte das Zögern sofort, er log. Pressemitarbeiter? Tourist? Als
nächstes würde er ihr wahrscheinlich noch erzählen, dass er für das gottverdammte FBI
arbeitete.
„Mit ihrer Familie?“, hakte sie nach.
„Ja, meine“, er hatte keine Ahnung, dass Scully ungefähr im selben Moment nach der
gleichen Erklärung wie er suchte. „Meine Partnerin und unser Sohn“, erklärte er hilfreich,
aber auch dieses Zögern erkannte Donna und missinterpretierte es in die völlig falsche
Richtung.
Dana war angepisst. Wirklich. Das dämmrige Licht und der Staub verursachten ihr
langsam Kopfschmerzen und jetzt stand sie auch noch vor einem völlig verwüsteten Büro
und einem nach Schweiß stinkenden Bauarbeiter gegenüber.
„Ich suche den Sheriff“, meinte sie gestresst und der Bauarbeiter warf ihr einen gierigen
Blick zu, bevor er sich überhaupt ihren Worten widmete.
„Wegen der Bauarbeiten ist das Büro nach dort verlegt worden“, er hob den Arm und
deutete an ihrem Kopf vorbei auf zwei Türen weiter, dabei gaben seine Achseln ihren
gesamten Duft frei und sie fühlte ein unangenehmes Gefühl in ihrem Magen aufflammen.
Anscheinend hatte auch William die Wolke bemerkt, denn er quengelte leise und vergrub
seine Nase in ihrer Schulter, wo er zu Schluchzen begann.
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„Oh weint der kleine Mann?“ Sie konnte sich gerade noch rechtzeitig genug wegdrehen,
bevor der abstoßende Kerl seine Hand auf ihn legen konnte und lief zu der ihr gezeigten
Tür.
„Sie haben Kinder?“, fragte Donna ohne ihm in Wirklichkeit auch nur ein Wort zu
glauben. Es ertönte ein Klopfen an der Tür und sie öffnete sich. Scully kam mit einem völlig
übermüdeten Baby auf den Arm herein, obwohl sie auch alles andere als frisch aussah.
„Gott, dich zu finden ist ja völlig unmöglich“, stöhnte sie und schloss die Tür hinter sich.
Erst jetzt schien sie die Frau zu bemerken, die sie dicht über Mulder gebeugt fragend
ansah. Definitiv zu dicht über Mulder gebeugt.
„Sheriff Wally nehme ich an?“, sie reichte Mulder das langsam wieder munter werdende
Baby und reichte dann Donna die Hand, die bemerkte, dass ihr Mund offenstand und ihn
schnell wieder schloss, um Scully dann ebenfalls die Hand zu reichen. Dann richtete sie sich
auf, umrundete den Tisch und setzte sich wieder in ihren Stuhl.
„Sie sind?“, fragte sie und versuchte immer noch höflich zu klingen. Warum mussten alle
guten Männer vergeben oder schwul sein?
„Dana Scully“, antwortete sie und setzte sich auf einen Stuhl neben Mulder und warf einen
aufmerksamen Blick auf das Baby. Er fühlte sich sichtlich wohl im Arm seines Vaters und
spielte mit seiner Hand, steckte abwechselnd einen, dann zwei Finger und die ganze Hand
in den Mund, doch gelegentlich vielen seine Augen doch ein bisschen länger zu.
„Nun, Mr. Mulder ist verhaftet worden, nachdem er sich wiederholt Zugang zu einem
Tatort verschafft hat“, erkläre Donna und beobachtete, wie Scully ihm einen vielsagenden
Blick zuwarf, den sie aber nicht richtig deuten konnte. Allerdings konnte sie seine Reaktion
deuten, er wendete den Blick ab und war auf einmal völlig fasziniert von dem kleinen
Jungen in seinem Schoß.
„Ich denke aber, dass wir es hierbei mit einer Verwarnung belassen können, solange er
nicht noch einmal unangenehm auffällt“, meinte sie hilfreich, konnte ihre Enttäuschung
aber nicht wirklich verbergen.
„Sicher, danke Sheriff Wally“, erwiderte Scully und erhob sich, um ihr erneut die Hand zu
reichen. Mulder erhob sich ebenfalls, balancierte das Baby auf einem Arm, während er ihr
die Hand gab und ihr dankend zunickte. Dann verließ er hinter Scully den Raum und
schloss die Tür.
„Alles okay? Du siehst müde aus“, fragte er, während er mit ihr zusammen den Korridor
hinunterging.
„Verstehst du das unter unauffälliger Ermittlung?“, erwiderte sie giftig. Ihre Stimmung
war völlig umgeschlagen. Sie fühlte sich heiß, verschwitzt und einfach nur erschöpft.
Abgesehen davon, dass es ihn keine 12 Stunden gekostet hatte sie dazu zu bringen ihm
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hinterher zu jagen. Das war das, was sie überhaupt nicht vermisst hatte, ihn ständig aus
solchen Situationen zu retten.
„Du kennst doch mein Motto, der Zweck heiligt die Mittel“, gab er lächelnd zurück, konnte
aber ihre Stimmung nicht heben.
„Und welchen Zweck hatte das ganze hier?“
„Warte noch eine Minute, dann zeige ich es dir“, flüsterte er geheimnisvoll, als sie den
netten, naiven Polizisten passierten und Richtung Ausgang liefen. Seine Hand hatte sich fast
von selbst an ihren Stammplatz auf ihren Rücken gelegt und geleitete sie sanft nach
draußen.
Ungeduldig wartete sie, bis er William in seinen Autositz geschnallt hatte und sich
schließlich zu ihr umdrehte, während er die Tür schloss. Sein rechter Arm legte sich um
ihre Schultern und zog sie eng an ihn, während seine linke Hand in seiner Tasche kramte.
Letztendlich beförderte er ein kleines Plastiktütchen ans Tageslicht und hielt es so, dass sie
– und nur sie – den Inhalt erkennen konnte.
„Ein Fußkettchen?“
„Susans Fußkettchen um ganz genau zu sein“, erklärte er und sie sah ihn überrascht an.
„Woher hast du das?“ Sie konnte sich denken woher er es hatte und es gefiel ihr ganz und
gar nicht. Ihre Stimme verriet bereits ihre wahre Vorahnung.
„Es lag etwa fünf Meter vom Tatort entfernt, allerdings meinte Agent Doggett, dass Susan
von Norden her gekommen war, aber es lag südlich von ihr, was entweder bedeutet, dass sie
dortlang gelaufen ist oder-“
„- oder der Mörder es an sich genommen und verloren hat“, schloss sie für ihn und er
nickte. „Mulder, du hast Beweismittel in einem Mordfall vom Tatort gestohlen“, fügte sie
dann anklagend hinzu.
„Nicht gestohlen, eher ausgeliehen und wenn wir es nicht mehr brauchen, gebe ich es Agent
Doggett und er kann damit machen was er will“, er umrundete das Auto, während er das
sagte und stopfte das Tütchen zurück in seine Hosentasche, bevor er ins Auto stieg.
Sie seufzte resignierend, das würde böse enden, aber nichts desto trotz musste sie zugeben,
dass sie beide mit dem Kettchen wahrscheinlich wesentlich mehr anfangen konnten als
diese Vorstadtpolizisten. Zudem kam, dass sie den Blick den der Sheriff auf ihren Mann
geworfen hatte noch nicht vergessen hatte, also warum sollte sie ihr helfen? Das ungute
Gefühl in ihr aber blieb und sollte sich schneller bewahrheiten als ihr lieb war.
Doggett öffnete einer äußerst schlecht gelaunten Scully mit einem schreienden Baby auf
dem Arm die Tür. William schrie wütend und war nicht zu beruhigen. Ohne ihn überhaupt
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zu bemerken lief sie an Doggett vorbei die Treppen hinauf und in ihr Gästezimmer.
Langsam und nicht unbedingt in besserer Laune folgte Mulder.
Reyes hatte Doggett erzählt, was passiert war und er musterte den Mann ihm gegenüber
misstrauisch. Auch wenn er nicht mehr fürs FBI arbeitete, seine Gewohnheiten hatte er
deswegen nicht geändert.
„Sie schien ziemlich wütend zu sein“, bemerkte er kritisch, während er die Tür schloss und
in den Salon lief, Mulder folgte ihm.
„Ja, die Dinge laufen nicht unbedingt so, wie sie sich das vorgestellt hat“, gab er zu und
setzte sich niedergeschlagen auf das Sofa. Tatsächlich liefen die Dinge auch nicht so, wie er
es sich vorgestellt hatte. Kaum hatte er den Wagen auf der Straße gehabt, hatte sie von ihm
verlangt, ihr zu erklären, warum er nicht einmal so handeln konnte wie jeder normale
Mensch – was bedeutete, dass er Doggett und Reyes das Kettchen geben sollte, damit sie es
auf Fingerabdrücke untersuchen konnten und – natürlich – sich nicht weiter mit der Polizei
anzulegen.
Er hatte gewusst, dass sie in keiner guten Stimmung war, seit sie das Büro von Sheriff
Wally betreten hatte, konnte es sich aber nicht nehmen lassen sie daraufhin zu weisen, dass
er mit seinen Methoden meistens Erfolg hatte. Oh Gott, genauso gut hätte er sich als
Punchball verkleiden können mit der Aufschrift: Schlag mich!
Wiedereinmal hatte sie ihm vorgehalten, wie verdammt dickköpfig er doch war und zu
allem Überfluss hatte ihre laute Auseinandersetzung William, der bis dahin friedlich vor
sich hin gedöst hatte, aufgeweckt und ihn daran erinnert, dass er eigentlich Hunger hatte.
Mit lautem Protest hatte er auf sich aufmerksam gemacht bis sie endlich am Haus
angekommen waren – was eine Ewigkeit zu dauern schien. Er stoppte auch nicht, als Scully
ihn aus dem Kindersitz befreit und in ihre Arme geschlossen hatte.
„Agent Doggett“, seine Hand wanderte bereits in seine Hosentasche, vielleicht war es keine
so schlechte Idee ihm zu vertrauen. Besonders, wenn das bedeutete, dass er heute Nacht bei
Scully übernachten konnte und in dem Stadium in dem sie sich jetzt befand, war sie
definitiv nicht dafür zu haben und die Couch machte nicht unbedingt einen gemütlichen
Eindruck. Er zog die Tüte aus der Tasche und legte sie auf den Tisch, wartete bis Doggett
sie genommen hatte und sich ansah.
„Das ist Susans Fußkettchen, es wäre keine schlechte Idee, wenn Sie es auf Fingerabdrücke
untersuchen würden“, meinte er dann.
„Woher haben Sie-“
„Fragen sie nicht Agent Doggett, fragen sie bloß nicht“, stoppte er Doggetts Einwände und
wich seinem fragenden Blick aus, es gab Dinge, die man selbst einem Agenten nicht
unbedingt anvertrauen sollte.
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Kapitel 5
Erschöpft lief er die Treppe hinauf. Es galt jetzt zunächst einmal Scully zu beruhigen,
wahrscheinlich würde sie oben schon auf ihn warten. Danach sollte er vielleicht sehen, dass
er noch etwas Schlaf bekam, denn er war jetzt schon alles andere als munter und wenn er
heute Nacht wirklich noch einmal zum Tatort wollte, konnte er wenigstens ein bisschen
Schlaf gebrauchen.
Leise öffnete er die Tür und trat ein. Sie saß entspannt am Kopfende des Bettes, William in
ihren Armen, der verschlafen an ihrer Brust nuckelte. Diese Position brachte Vor- und
Nachteile für Mulder mit sich.
Ein Vorteil war, dass sie ihm so nicht entkommen konnte. Dana Scully war niemals eine
Frau gewesen die vor einer Auseinandersetzung zurückschreckte, doch in letzter Zeit
wurde sie zu schnell frustriert, was sicherlich an zu wenig Schlaf und zu viel Stress lag,
unter denen sie seit der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes zu leiden hatte. Wenn sie
allerdings frustriert war, wurde die gesamte Auseinandersetzung schnell zu einer
schmutzigen Schlammschlacht und er hatte häufig Begegnung mit der Seemannstochter
gemacht. Junge, diese Frau konnte fluchen, dass man taub wurde. Gott sei Dank tat sie das
niemals vor ihrem Sohn, aber Mulder hatte dennoch das Gefühl, dass Will die bösen
Wörter später nicht nur aus der Schule mit nach Hause bringen würde.
Ein Nachteil war, dass er unmöglich mit ihr argumentieren konnte, wenn sie tat was sie
gerade tat. Einer liebenden, stillenden Mutter zu erklären, dass sie überreagierte stand
ganz oben auf seiner ‚Das werde ich niemals tun‘-Liste. Aber er wollte sich ja auch nur bei
ihr entschuldigen und das würde er doch wohl noch schaffen. Hoffentlich.
„Es tut mir leid“, begann er und setzte sich neben sie auf das Bett, sie sah ihn abwartend
an. „Es ist so merkwürdig wieder zu arbeiten, soweit es das ist, was wir tun und es ist so
einfach wieder in alte Verhaltensmuster zurück zu verfallen. Ich gebe zu, ich habe nicht
wirklich nachgedacht als ich das Kettchen eingesteckt habe. Alles was ich sah, war ein
Beweisstück, das die Polizei offensichtlich übersehen hat und das von großer Bedeutung
sein könnte und ich meine, wenn sie es schon nicht gefunden haben, wer weiß, was sie noch
falsch machen“, er stoppte kurz und schenkte ihr einen bittenden Blick. „Ich habe Albert
versprochen alles mir mögliche zu tun und in dem Moment schien es eine gute Idee zu sein.
Kann ich auf vorrübergehende Geistesabwesenheit plädieren?“ Ein winziges Lächeln
huschte für einen Sekundenbruchteil um ihren Mund. Verschwand aber sofort wieder.
„Das ist genau das, worum es geht. Nicht darum, ob du ein Beweisstück von einem Tatort
entfernt hast. Du handelst erst und überlegst dann, was dein Handeln für Konsequenzen
haben könnte, aber in den meisten Fällen sind die dann schon eingetreten. Beim Stehlen
von Beweisstücken sind die Folgen noch verhältnismäßig unproblematisch, aber es geht
nicht nur um solche Situationen.
Als Monica und John uns von dem Fall erzählt haben, da hast du nachgedacht. Du hast
sorgfältig eventuelle Folgen betrachtet und das nicht nur für dich, sondern auch für mich
und Will. Das hat mich überrascht“, er sah sie verletzt an und sie lächelte beschwichtigend
„im positiven Sinne. Das hat mir gezeigt, dass du begriffen hast, dass dein Leben nicht
mehr nur dir gehört und dies ist genau der Punkt, von dem ich wollte, dass du ihn verstehst
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und weshalb ich damals deinen Antrag abgelehnt habe.“ In seinem Kopf fingen
augenblicklich Alarmglocken an zu läuten. Der Grund, warum sie seinen Antrag abgelehnt
hatte. Vergangenheitsform! Sollte das etwa bedeuten, dass er verdammt gute Chance auf
einen positiveren Ausgang haben würde, sollte er sie erneut fragen? Es störte ihn mehr als
er zugeben wollte, dass Will ein uneheliches Kind war, jedoch nicht so sehr, wie die
Tatsache, dass Dana Scully noch immer nicht rechtmäßig vor dem Staat und allen seinen
Bewohnern zu ihm gehörte, sowie er zu ihr. Nicht, dass er das ihr gegenüber zugegeben
hätte.
„In Zukunft wird es sicher hin und wieder vorkommen, dass du als Profiler fürs FBI tätig
sein wirst, du bist einfach zu gut, als das sie dich einfach so gehen lassen könnten“, er
grinste. Das wurde immer besser. Er wurde aber schnell wieder ernst, als er ihren Blick
sah, nun würde sicher das dicke Ende folgen. „Ich kann dich aber nicht gehen lassen. Nicht,
wenn ich mir Sorgen darüber machen muss, was genau du während deiner geistigen
Abwesenheit tust. Genau wie den Fakt, dass du aufgrund eines vagen Hinweises überhastet
in die Nacht hinaus jagst, allein! Ich möchte unserem Sohn nicht erklären müssen, warum
sein Vater wegen seines Leichtsinns nicht mehr zu uns zurück kommt“, sie konnte ihn nicht
länger ansehen und betrachtete stattdessen das Baby in ihren Armen, er war tief und fest
eingeschlafen.
„Dana, was immer auch passiert, ich werde immer zu dir zurückkommen, zu euch“, sie
musste die Worte nicht aussprechen, ein Blick genügte und er kannte ihren Einwand. „Du
weißt, dass ich alles mir mögliche getan habe, um wieder bei dir zu sein.“
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass du freiwillig gegangen bist. Ohne mir zu sagen
warum, ohne mir zu sagen, dass du vielleicht – wahrscheinlich – nicht wiederkehrst“, ihre
Stimme war unbewusst lauter geworden und William quengelte leise. „Ich kann verstehen,
dass es Dinge gibt, die du mit deinen eigenen Augen sehen musst, aber wenn ich deinen
Antrag irgendwann annehme, muss ich wissen, dass er“, sie sah kurz auf ihren schlafenden
Jungen hinunter „und ich, das Wichtigste in deinem Leben sind. Ich weiß, dass das
bedeutet, dass du viel aufgeben musst und dass es viel gefragt ist, aber-“, er legte ihr sanft
einen Finger auf die Lippen und brachte sie zum Schweigen.
„Seit Jahren bist du das Wichtigste in meinem Leben, du bist mein Leben und seit seiner
Geburt ist er genauso Teil davon. Es ist nur beängstigend festzustellen, dass man
vollkommen von einem anderen Menschen abhängig ist und wie wichtig du mir bist, ist mir
immer dann klar geworden, wenn ich in unüberlegten Situationen gesteckt habe“, er
streichelte ihr mit seinem Daumen über die Wange und sie lehnte sich in seine Berührung.
„Aber jetzt weiß ich es, sehe es jeden Tag aufs Neue. Sechs Monate ohne dich waren wie die
Hölle auf Erden und jetzt kann ich mir nicht mal vorstellen, dass ich auch nur einen Tag
von euch getrennt bin. Ein Grund mehr, nachzudenken bevor ich handle.“ Sie schenkte ihm
ein müdes Lächeln. „Du weißt, ich kann dir nichts versprechen, auch wenn bei einer
Hochzeit genau das von uns verlangt wird, aber ich kann dir versichern, dass ich versuche
so verantwortungsbewusst zu werden wie es sich für einen Vater und Ehemann gehört. So
wie du es bist, obwohl ich gestehen muss, dass es ein hartes Stück Arbeit werden wird.“
„Es ist auch nicht einfach, das war es für mich auch nicht“, wendete sie ein. „Jeder glaubt
nur weil man die Mutter ist, dass eine Form von Instinkt dafür sorgt, dass man genau weiß,
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was zu tun ist, aber das ist leider nicht der Fall. Als er geboren wurde hatte ich solche Angst
einen Fehler zu machen, aber weißt du was: es ist okay Fehler zu machen und das hast du
mir gezeigt“, jetzt lächelte sie wirklich und es war atemberaubend. „Nur so kann man
lernen, was das Beste ist und wer wäre ich, dir nicht dabei zu helfen, so wie du es für mich
getan hast.“
„Wir sind schon ein gutes Team“, grinste er.
„Und das überrascht dich?“
„Nicht wirklich, ich hätte nur nie gedacht, dass sich diese phänomenale Zusammenarbeit,
wenn ich das mal so ausdrücken darf, auch auf unser Privatleben ausbreiten würde.
Allerdings haben die letzten vier Monate deutlich gezeigt, dass wir zusammen auf fast
jedem Gebiet spitze sind.“ Er streichelte seinem Sohn zärtlich über den Bauch „Ich meine
er ist einfach perfekt und das waren wir“, er klang noch immer genauso erstaunt, wie er es
getan hatte, als er ihn das erste Mal gesehen hatte und tatsächlich war er es auch noch. Es
war schlichtweg unglaublich.
„Zusammen ist das Codewort dabei, Mulder“, sie verschränkte ihre Finger mit der Hand,
die das Baby streichelte. „Begib dich nicht unnötig in Gefahr aus der falschen Ansicht, dass
es zu gefährlich für mich wäre. Getrennt sind wir nur halb so effektiv.“ Sie hob seine Hand
und küsste seine Finger sachte einem nach dem anderen, die Augen halb geschlossen, was
ihn an den zweiten Teil seines Plans erinnerte, Schlaf.
„Wir sollten sehen, dass wir vielleicht noch eine Mütze voll Schlaf vor dem Abendessen
kriegen.“
„Das halte ich für eine ausgesprochen gute Idee, aber ich sollte mich erst mal frisch
machen“ stellte sie fest und ließ seine Hand aus ihrer gleiten.
„Ich finde du riechst zum anbeißen und Will scheint damit auch kein Problem zu haben.
Das sind dann zwei zu eins Stimmen, dass du genau hier im Bett bleibst“, er grinste, Logik
konnte sie einfach nicht widerstehen.
„Schön, wenn du meinst“, ehrlich gesagt, war schon der Gedanke wieder aufstehen und ins
Badezimmer gehen zu müssen zu anstrengend, als dass sie ihn tatsächlich in die Tat hätte
umsetzen können. Stattdessen rutschte sie ein Stück weiter auf die linke Seite des Bettes
platzierte das Baby vorsichtig zwischen ihnen und legte sich dann neben ihn so auf die
Seite, dass sie seinen Vater über ihn hinweg ansehen konnte. Er spiegelte ihre Position,
rückte näher, so dass sich ihre Beine berührten.
„Ich hätte niemals gedacht, dass einfaches liegen sich so gut anfühlen kann“, lächelte sie
leise.
„Es könnte sich besser anfühlen, aber dann müsste Will in sein Bettchen umziehen“, er
wackelte mit den Augenbrauen, diese Nummer versuchte er immer und jedes einzelne Mal
scheiterte er.
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„Mulder, mein Arm schläft gerade unter mir ein und ich kann mich nicht mal dazu
bewegen ihn umzulegen, wie sollte ich da ein neun Pfund schweres Baby quer durchs
Zimmer tragen, außerdem bin ich momentan nur an Schlaf interessiert.“
„Ich mag das Wort momentan“, es tat gut so unbeschwert mit ihr zu flirten, er hatte seit
Williams Geburt immer darüber nachgedacht welche Rolle Sex in ihrem Leben einnehmen
würde. Bis jetzt war das eine schwindend geringe. Aber hin und wieder gab es Augenblicke
wie diese, in denen er wirklich glaubte, dass dieser Teil auch bald wieder zu ihrer
Beziehung gehören würde.
„Hmm, das Wort Schlaf mag ich aber auch“, sie hatte ihre Augen bereits geschlossen. Er
stützte sich auf seinen Ellenbogen lehnte sich über seinen Sohn und küsste ihre Wange,
„Schlaf gut“, flüsterte er leise und sie lächelte kurz, „und träum was Unanständiges.“ Aber
sie war schon eingeschlafen. Oder zumindest nahm er das an, da er noch keinen Fuß in
seinem Hintern hatte, was aber auch nur bedeuten konnte, dass sie wirklich zu müde war
sich zu bewegen.
Er legte sich zurück und sein letzter Gedanke bevor er einschlief war, wie er ihr beibringen
sollte, dass er heute nacht noch einmal zum Tatort wollte, ohne dass er sie zu sehr verletzte
und sie womöglich noch dazu brachte es sich mit der Heirat zu überlegen. Sie hatte noch
immer nicht ja gesagt, aber immerhin schien sie jetzt die Möglichkeit in Betracht zu ziehen,
was zumindest schon mal ein Anfang war. Einer, auf dem er gewillt war aufzubauen.
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Kapitel 6
Beim Abendessen herrschte unangenehme Stille. Albert, der, ganz wie es sich für den
Hausherren gehörte, am Kopf des Tisches saß, machte nicht den Eindruck als wäre er ein
sehr gesprächiger Mensch und kaum ein anderer traute sich etwas zu sagen, aus Angst,
ungewollte Erinnerungen zu wecken. Die einzigen Geräusche kamen von William, der
vergnügt mit seinem Brei blubberte. Er saß zwischen seinem Vater, der gegenüber von
seinem Onkel postiert war und seiner Mutter, die neben Albert saß. Ihnen gegenüber saßen
Doggett und Reyes, die sich in gekonntem Schweigen übten.
Bis Albert sie schließlich alle überraschte und sich räusperte.
„Nun was haben Sie denn vor zu unternehmen?“, es war für alle ersichtlich, dass er damit
Agent Doggett und Reyes meinte, letztere schluckte hastig ihr Essen hinunter und öffnete
den Mund, um ihn sofort wieder zu schließen, da ihr nicht klar war, was sie sagen sollte.
Auf der einen Seite wollte sie Albert nichts verheimlichen, auf der anderen, wie sollte man
einem Großvater beibringen, dass man am folgenden Tag die Autopsieergebnisse seiner
Enkelin durchgehen würde?
„Wir treffen uns Morgen mit Sheriff Wally, um über die vorläufigen
Untersuchungsergebnisse zu diskutieren“, gab sie schließlich widerwillig zu, irgendetwas
musste sie ja sagen. Leider schien der alte Mann keineswegs damit zufrieden, denn er warf
ihr einen missbilligenden Blick zu, der so viel besagte wie: Ich dachte mir schon, dass sie zu
nichts besserem im Stande sein würden.
„Und du?“, er richtete sein Augenmerk auf Mulder, der stocherte in seinem Essen herum
und schien sich auf einmal äußerst unwohl zu fühlen.
„Ich hatte eigentlich daran gedacht, mich heute Nacht noch einmal am Tatort umzusehen
und mir ein besseres, ungestörtes Bild zu verschaffen“, er musste nicht aufsehen um zu
wissen, dass Scully ihn gehört hatte, obwohl er leise gesprochen hatte. Und wie sie ihn
gehört hatte. Sie sah nahezu schockiert in seine Richtung, anscheinend hatte er ihr
Gespräch von vorhin bereits wieder vergessen und das verletzte sie. Wie sollte sie nicht an
seiner Ernsthaftigkeit zweifeln, wenn er in der einen Minuten dies erzählte und in der
nächsten das tat.
William nutzte den Moment der Unachtsamkeit und schlug ihr den Löffel, der vor seinem
Mund zum Halten gekommen war, aus der Hand. Sein Brei landete mit einem
geschmackvollen Schmatzen sowohl auf ihm, als auch auf dem Shirt seiner Mutter.
„William“, rief sie überrascht und sprang auf, das Baby sah sie erschrocken an und im
nächsten Moment erfüllte ein herzzerbrechendes Weinen das Speisezimmer.
„Ist okay, Honey. Mami hat sich bloß erschreckt“, sie befreite das schreiende, kleine
Bündel aus seinem Stuhl, den Dottie auch noch auf dem Dachboden gefunden hatte und
schloss ihn in die Arme. Über den Kopf ihres schreienden Sohnes sah sie seinen Vater
anklagend an.
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„So viel zu deinem Versprechen, Mulder, erst zu denken und dann zu handeln. Du glaubst
doch nicht ernsthaft, dass ich dich dort noch einmal hingehen lasse und zusehe, wie du
wieder verhaftet wirst. Was wirst du ihnen diesmal erzählen?“, während sie das sagte,
wiegte sie William sanft hin und her, der dadurch leicht schläfrig wurde und sein Schreien
ebbte zu leisen Schluchzern ab.
„Doch, das glaube ich“, war alles, was er darauf antwortete und wusste, dass er sich damit
auf sehr dünnes Eis zubewegte, schon wieder. Aber er musste, noch einmal zum Tatort, er
musste sich ein persönliches Bild machen, bevor er nach dem Täter suchen konnte.
„Ich verstehe, dass das wichtig für dich ist, Mulder“, gab sie zu und begann zur Tür zu
gehen, um oben sowohl sich selbst, als auch ihren Sohn von seinem Brei zu befreien. Kurz
vor der Tür blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um, „Und genau weil es so wichtig ist,
werde ich dich begleiten, als dein Quasi-Alibi“, schloss sie und sah ihn abwartend an, das
Baby noch immer leicht schaukelnd. Schließlich sickerte der Sinn ihrer Worte zu ihm
durch und er sprang erschrocken auf.
„Das halte ich für keine gute Idee.“
„Es ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal, ob du das für eine gute Idee hältst oder auch nicht.
Aber du kannst nicht wirklich von mir erwarten, hier einfach nur still rumzusitzen und
abzuwarten“, schon verschwand sie ohne seinen Einwand auch nur anzuhören. Er folgte
ihr eilig und holte sie auf der Treppe ein.
„Scully, das könnte gefährlich werden, immerhin jagen wir einen Killer, ob nun irdisch
oder übersinnlich, darüber werden wir uns sicher später noch in die Haare kriegen, aber
Fakt ist, dort draußen treibt ein Mörder sein Unwesen“, rechtfertigte er sich.
„Mulder, dass ist wohl eher ein Argument dafür als dagegen, dass du nicht alleine gehen
solltest“, erklärte sie und lief vor ihm den Flur entlang zu ihrem Zimmer.
„Dann frage ich eben Agent Doggett“ konterte er, woraufhin sie ihm einen giftigen Blick
zuwarf, während sie das Zimmer betrat. William war trotz der lauten Unterhaltung seiner
Eltern fast eingeschlafen.
„Warum machst du das?“, fragte sie und er erkannte an ihrer Stimme, dass er sie wohl
irgendwie gekränkt haben musste.
„Warum mache ich was?“
„Seit das Baby da ist, traust du mir gar nichts mehr zu. Tatsächlich benimmst du dich so,
als würde William mein Fähigkeiten als Agentin in Frage stellen, aber nicht er tut das,
sondern du.“ Sie legte William auf das Bett, der aufgrund der veränderten Lage und der
fehlenden Wärme des Körpers seiner Mutter wieder vollends erwachte und mit lautem
Geschrei protestierte. Diese stapfte inzwischen leicht angesäuert zum Kleiderschrank und
zog ein paar saubere Babysachen heraus.
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„Das tue ich ganz und gar nicht“, entgegnete er und hob seinen Sohn auf, der sich jedoch
gar nicht beruhigen wollte.
„Doch und du weißt ganz genau, dass es so ist“, giftete sie zurück. Sie kam vom Schrank
herüber, platzierte die Sachen über ihrem Arm und nahm ihm das schreiende Kind aus den
Armen. Sie drückte ihn fest an sich, in der Hoffnung ihn ein wenig zu beruhigen, aber er
schien instinktiv zu bemerken, dass etwas nicht stimmte und verlieh seinen Bedenken durch
noch lauteres Weinen Ausdruck.
„Na schön, wenn du unbedingt mitkommen willst, dann tu das doch“, schmollte er und sie
blieb auf dem Weg zu Tür stehen.
„Fein“, antwortete sie ruhig.
„Fein.“ Sie ließ ihn stehen und verschwand im Badezimmer. Allmählich wurde ihm das
ganze Ausmaß ihres Streites bewusst: die Vorwürfe, die sie ihm gemacht hatte, und er
fühlte sich furchtbar. Sicherlich hatte er schon einige solcher Diskussionen mit ihr hinter
sich, aber noch keine in der sie ihren Sohn mit einbezog. Konnte sie denn nicht verstehen,
dass er nicht wollte, dass ihr etwas passierte. Wie sollte er denn ohne sie William groß
ziehen, wie sollte er ohne sie sein Leben meistern und vor allem, wie sollte er ohne sie
überhaupt leben wollen?
Er musste mir ihr darüber reden, ihr klar machen, dass er ihre Fähigkeiten nicht im
geringsten in Frage stellte, er wusste, dass sie eine bessere Agentin war, als er es jemals in
seiner Laufbahn gewesen war. Aber wie konnte er sie überzeugen, dass seine Motive
wesentlich nobler – wenn auch zugegeben, etwas egoistischer – waren, als sie es vermutete?
„Dana“, er betrat das Badezimmer und stockte. Sie hatte eine Kommode die an einer Seite
des Badezimmers stand kurzfristig als Wickeltisch umfunktioniert und war nun damit
beschäftigt William umzuziehen und aufzupassen, dass er nicht herunterfiel, denn der
kleine Mann hatte gar nicht die Absicht still zu liegen und die Prozedur über sich ergehen
zu lassen. Er schrie zwar nicht mehr, war aber immer noch schlecht gelaunt. In dem
Moment fiel Mulder auf, wie erschöpft sie aussah und wie sehr sie diese Konfrontation
mitgenommen hatte. Erst war er sich unsicher, doch dann fasste er Mut und trat hinter sie,
seine Hände legten sich beruhigend auf ihre Arme und sie hielt kurz inne damit, ihren Sohn
in ein neues Höschen zu stecken, und hielt ihn stattdessen mit einer Hand auf seinem
Bäuchlein fest. Das Baby hörte auf zu zappeln und sah scheinbar neugierig zu seinen Eltern
auf.
„Ich will nicht, dass wir immer streiten“, sprach er leise und ließ seine Hände sanft an ihren
Armen auf und ab fahren, er wusste, dass sie das beruhigte.
„Mulder, denkst du denn ich will das?“, fragte sie genauso leise zurück und ließ ihren Kopf
nach vorne sinken. „Ich meine, es ist nur so frustrierend. Versteh mich nicht falsch, ich
liebe William mehr als ich es je ausdrücken könnte und ich liebe es seine Mutter zu sein, ich
habe so lange davon geträumt. Aber ich möchte nicht, dass du mich nur noch darauf
reduzierst“, gestand sie.
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„Ich reduziere dich nicht darauf-“
„Doch das tust du und wahrscheinlich bekommst du es gar nicht mit. Du lehnst ab, wann
immer mich jemand von der Arbeit anruft und um Hilfe bittet, selbst wenn es nur um eine
einfache Diagnose geht ohne mich überhaupt zu fragen. Und wann hast du mich das letzte
Mal als eine Frau gesehen? Nenn mir ein Bespiel, einen Moment, an dem du nicht dachtest,
dass ich nur Williams Mutter bin?“ Ihre Stimme wurde immer belegter und er machte sich
ernstlich Sorgen darüber, ob sie anfangen würde zu weinen.
„Scully, ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll“, er war wirklich überrascht und obwohl
er es nicht für möglich gehalten hätte, schien ihr Kopf noch ein Stück tiefer zu sinken, in
der falschen Annahme, dass er keinen Moment benennen könnte. „Nein bitte, versteh mich
nicht falsch. Ich meine nicht, dass ich dir kein Bespiel geben kann“, korrigierte er seine
ungeschickte Wortwahl. „Ich liebe dich, als Frau, als Agentin und als Mutter. Ich liebe
dich, als die Person die du bist und das sind alle drei. Tatsächlich kann ich dir Hunderte
von Gelegenheiten nennen bei denen ich dich auf keinen Fall als Mutter angesehen habe.
Das jüngste Beispiel fand gerade eben statt. Es mag ja komisch klingen, aber du bist
wunderschön, wenn du dich aufregst. Deine Wangen bekommen diesen feurigen Ton, deine
Augen kochen fast und dein Haar scheint wie elektrisch geladen zu sein, du hast keine
Ahnung, wie sehr du mich antörnst“, er küsste erst ihre rechte und dann ihre linke
Schulter. „Aber ich dachte einfach, dass in deiner Welt im Moment dafür kein Platz wäre.“
„Mulder“, sie schluchzte leise. „In meiner Welt, wie du es ausdrückst, wird es immer Platz
dafür geben. Ich liebe dich, ich liebe es, Zeit mit dir zu verbringen und ich liebe es mit dir
zu schlafen, auch wenn ich in dieser Hinsicht noch nicht auf einen sonderlich großen
Erfahrungsschatz zurückgreifen kann, aber das tue ich.“ Er zog ihre Haare zur Seite und
küsste ihren Nacken, er sah, wie sich die kleinen Härchen dort aufstellten und eine
Gänsehaut ihren Hals überzog.
„Aber genau das ist der Grund, warum ich dich von der Arbeit fernhalte. Ich will nicht,
dass dich andere Dinge mehr interessieren, als Will und ich es tun. Und vor allen Dingen
will ich nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Wie soll ich denn ohne dich leben und alleine
einen Sohn aufziehen? Wie soll ich jeden Tag mit dem Gedanken aufstehen, dass du nicht
mehr da bist und ich es hätte verhindern können?“, entblößte er all seine Ängste.
„Doch das kann ich gut verstehen“, sie schluchzte erneut. „Deshalb will ich nicht, dass du
dort allein hingehst, denn wenn dir etwas zustößt, dann bin ich es, die allein leben und ein
Kind großziehen muss und das kann ich genauso wenig wie du. Ich habe drei Monate mit
diesem Wissen leben müssen und ich will, dass sich diese Zeit nie wieder wiederholt“,
schloss sie leise.
Er war erstaunt, wenn nicht sogar schockiert. Natürlich hatte er gewusst, dass die Zeit
seines Verschwindens und seines Todes nicht einfach für sie gewesen waren – er konnte da
sehr gut auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, von denen er auch nicht wollte, dass sie
sich jemals wiederholten. Aber er hatte ja keine Ahnung gehabt, dass es ihr vielleicht
genauso ging wie ihm. Immerhin war sie immer so eine starke unabhängige Frau gewesen,
konnte es sein, dass er es tatsächlich geschafft hatte, dass sie ihn genauso sehr brauchte wie
er sie?
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„Oh Scully“, und das war alles was er sagen musste. Sie verstand und er auch. Ohne den
Anderen wären beide nur noch ein Teil ihres Selbst und deshalb konnte er sie nicht einfach
so hier lassen.
„Wir werden gehen, sobald William schlafen gelegt ist“, es bedurfte keiner weiteren
Erklärung, er küsste noch einmal ihren Nacken, dann ließ er die Hände von ihren Armen
gleiten und verließ das Badezimmer. Sie zog das Baby fertig an und wechselte dann ihr TShirt, danach folgte sie ihm nach unten.
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Kapitel 7
Es war schon kurz nach halb zwölf als sie schließlich im Park ankamen, da William sich in
seiner neuen Umgebung nicht besonders zu Hause fühlte. Scully hatte Stunden gebraucht,
bevor sie ihn dazu gebracht hatte in dem Bettchen zu schlafen, das Dottie extra gesäubert
und bezogen hatte, aber jetzt waren sie hier.
Sie hatten Agent Doggett und Reyes doch gefragt ob sie sie begleiten wollten, da sie es im
Nachhinein beide für besser hielten, wenn wenigstens jemand dabei war, der eine Waffe
trug, legal. Also waren sie jetzt zu viert als sie den Park betraten.
Auf dem kleinen Weg, der von zahlreichen Laternen beleuchtet wurde, liefen sie in
Richtung Tatort. Sie waren noch nicht weit gekommen, als etwas weiter vor ihnen ein
Lichtkegel über den Weg huschte. Ihrem geschulten Auge war sofort klar, worum es sich
dabei handelte. Nachtwächter.
Es gab jetzt zwei Wege. Entweder auf dem Weg stehen bleiben, dem netten Wächter ihre
Dienstmarken unter die Nase halten und sich anfangen darüber zu streiten, wo wessen
Dienstbereich anfing und der des anderen aufhörte, und vor allem ihm zu erklären, warum
sie zwei eigentlich Zivilisten dabei hatten. Oder es gab die Möglichkeit sich zu verstecken
und zu warten, bis der Herr vorbei war.
Doggett und Reyes schlugen sich sofort in die Büsche, doch für Mulder und Scully war es
bereits zu spät. Kurzentschlossen schlang Mulder seinen Arm um ihre Taille und zog sie
nah an sich heran, sie legte ihren Kopf verträumt an seine Schulter und so schlenderten sie
der großen Lichtkugel entgegen.
„Einen wunderschönen guten Abend“, hielt der Wachmann sie nur ein kleines Stück weiter
an. Er musste diesen Job gerade erst angenommen haben zumal er nicht älter als ein
Teenager aussah, machte aber einen höflichen und netten Eindruck.
„Guten Abend“, erwiderte Mulder und zog sie noch näher an sich.
„Genießen Sie die warmen Temperaturen?“, begann der Wachmann auch sogleich ein
Gespräch.
„Ja so etwas in der Art. Bei uns zu Hause haben wir solche schönen Parks nicht und da
haben wir uns gedacht ein kleiner Nachtspaziergang wäre genau das richtige“, ging Mulder
darauf ein, vielleicht konnten sie ja irgendetwas aus diesem Grünschnabel
herausbekommen.
„Es tut mir leid, aber dafür werden Sie nicht mehr lange Zeit haben. Der Park schließt um
Mitternacht“, erklärte der junge Mann entschuldigend.
„Ich dachte, das wäre ein öffentlicher Park, die werden doch eigentlich nicht geschlossen,
oder?“, schaltete sich nun auch Scully in das Gespräch mit ein.
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„Das ist schon richtig, Ma’am. Aber es hat hier vor zwei Tagen ein Verbrechen
stattgefunden und deshalb hat der Stadtrat beschlossen den Park bewachen zu lassen und
um Mitternacht zu schließen“, erklärte er sachlich.
„Ein Verbrechen, das ist ja richtig aufregend. Was ist denn passiert?“, fragte Mulder
gespielt neugierig.
„Ich bin eigentlich nicht berechtigt darüber Auskunft zu geben“, begann der Wächter, sah
dann aber in ihre ehrlichen Mienen und entschied, dass es schön war, sein Wissen mal mit
jemandem teilen zu können, der augenscheinlich an seinen Lippen zu hängen schien und
nicht selber schon alle Einzelheiten kannte. „Es war ein Mord“, flüsterte er dann
verschwörerisch.
„Ein Mord? Du meine Güte“, stellte Scully fest.
„Ja, ein junges Pärchen nicht älter als Sie“, er stockte, als ihm sein Fehler bewusst wurde
und Mulder und Scully wechselten kurz einen vielsagenden Blick. „Womit ich nicht meine,
dass Sie etwas zu befürchten hätten“, verbesserte sich der junge Mann schnell und wurde
tatsächlich rot.
„Na ja, ich denke, es ist sowieso Zeit, dass wir nach Hause ins warme Bettchen kommen,
meinst du nicht auch, Schnucki?“, Mulder grinste ihr zu.
„Sicher, Pubsi“, grinste sie zurück und der Wächter sah sie kurz misstrauisch an, doch
dann gewann seine Naivität und er war einfach glücklich, dass sie seinen kleinen Fehler gar
nicht mitbekommen zu haben schienen.
„Dann wünsche ich Ihnen noch eine angenehme Nacht“, verabschiedete er sich und lief
gemächlich den Weg weiter. Sie blieben noch eng umschlungen stehen, bis er um die
nächste Ecke verschwunden war, bevor sie auseinander wichen. Sofort spürte Mulder ihren
Ellenbogen in seinen Rippen.
„Dass du aber auch immer so übertreiben musst“, sagte sie streng.
„Hmm, einen Oscar für überzeugendes Schauspiel bekommst du aber auch nicht. Pubsi?“,
fragte er schockiert.
„Ich habe dir damals in Arcadia gesagt, dass ich diese Kosenamen hasse, also reg dich jetzt
nicht auf“, rechtfertigte sie sich.
„Sie waren beide nicht sehr überzeugend“, stellte nun Reyes fest, die mit Doggett aus den
Büschen kam. „Wir hatten nur Glück, dass er noch ganz grün hinter den Ohren war, sonst
hätte er Sie sofort durchschaut.“
„Also ich weiß ja nicht, ich hatte meine Hand gerade in Brennnesseln und sehr nach Glück
sieht das für mich nicht aus“, meinte Doggett und kratzte sich abwesend an der Hand, was
den übrigen ein Lächeln entlockte.
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„Was machen wir, wenn er zurückkommt? Noch mal kauft er uns die Nummer mit
Sicherheit nicht ab“, warf Scully nachdenklich ein.
„Na ja, das nächste Mal können wir zwei ja in die Büsche hüpfen und es uns in den
Brennnesseln gemütlich machen, während Doggett und Reyes das naive Pärchen spielen“,
schlug Mulder vor und machte sich sogleich wieder in Richtung Tatort auf. Die anderen
drei sahen ihm verdutzt nach, bis auch sie sich in Bewegung setzten und ihm folgten.
Als Scully ihn eingeholt hatte schenkte sie ihm einen ermahnenden Blick und er lächelte
beschwichtigend, woraufhin sie ebenfalls lächelnd den Kopf schüttelte. Dieser Mann war
einfach zu kindisch! Und einfach zu verdammt liebenswert.
Sie waren kaum ein Stück weiter als sie leises Stimmengemurmel hören konnten. Zuerst
dachte Reyes, dass ein weiterer Wachmann ihren Weg kreuzen könnte, doch dann hörte sie
eine weibliche Stimme antworten und ihr kam ein anderer, weitaus erschreckenderer
Gedanke. Es würde sich doch nicht wirklich ein weiteres Pärchen hierher verirrt haben,
oder? Nicht nach allem, was in den Zeitungen gestanden hatte.
„Allan, mon cher, wir sollten uns beeilen, bevor noch jemand vorbeikommt“, flüsterte die
Frau hektisch, ihre Stimme hatte einen schweren französischen Akzent.
„Yve, mach dich nicht noch mehr nervös und vor allem hör‘ auf mich zu nerven“,
antwortete der Mann, Allan, wie ihn die Frau genannt hatte.
Die vier schlichen sich näher an die Stimmen heran und Doggett und Reyes zogen ihre
Waffen; John symbolisierte Mulder und Scully, dass sie warten sollten, woraufhin Mulder
ihm symbolisierte, dass das gar nicht in Frage kam. Der Agent nickte und im nächsten
Moment brachen alle vier durch das Gebüsch und auf den Tatort.
„FBI, keine Bewegung“, rief Reyes und die beiden Gestalten fuhren erschrocken in die
Höhe. Mit vorgehaltenen Waffen liefen die beiden Agenten auf die Personen zu, Scully und
Mulder direkt dahinter. „Wer sind Sie?“, fragte John.
„Je ne comprends pas“, versuchte die Frau es, sie war zierlich und ihre Augen zuckten
ängstlich in Richtung ihres Begleiters. Dieser blieb ganz gelassen und als Yve, wenn sie
denn so hieß, das sah wurden auch ihrer Züge ruhiger, obwohl ihre Hände nicht recht
wussten, was sie tun sollten. Kaum hatte sie sie in die Taschen ihrer Jeans gesteckt, waren
sie schon wieder draußen und fuhren ihr durch die Haare.
„Wir haben Sie reden gehört Ma’am und wir wissen sehr gut, dass sie unserer Sprache
mächtig sind“, erwiderte John trocken und der gehetzte Ausdruck kehrte in Yves Augen
zurück. „Also, was machen Sie hier?“
„Mein Name ist Dr. Allan Lennox-Boyd und das ist meine Verlobte/Sekretärin Yvette de la
Beckwith.“ Er sprach es tatsächlich Verlobte Schrägstrich Sekretärin aus, doch war es
nicht allein das, was Scully diesen Mann auf Anhieb unsympathisch machte, sondern die
Art wie er es aussprach. Er war unüberhörbar Engländer und zog Schrägstrich in die
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Länge, dass es wie Schrääägstrich klang und deutlich zeigte, dass Verlobte – Schrääägstrich
– Sekretärin nicht unbedingt in dieser Reihenfolge stehen musste.
„Okay, Dr. Lennox-Boyd können Sie uns sagen, was Sie hier machen?“, fragte Reyes, die
allem Anschein nach genauso wenig von Mr. Engländer begeistert war.
„Sicher, Miss-“
„Agent Reyes.”
„Sicher, Miss Reyes“, er ließ das Agent so lässig weg, als würde es dort sowieso nichts zu
suchen haben. „Wie man wohl unschwer übersehen kann, arbeite ich“, er deutete auf den
Boden auf dem einer der Hufabdrücke zu sehen war.
„Es ist Agent Reyes, Mr. Lennox-Boyd, Sie hören Ihr Doktor doch sicher auch gerne und
das einzige, was ich hier unübersehbar finde ist, dass Sie unbefugt einen Tatort betreten
haben“, konterte Monica gelassen.
„Wäre mein Beruf so angesehen wie das hohe FBI, dann wären wir nicht unbefugt hier.
Eigentlich müsste man uns die Füße küssen, dass wir hier sind“, seine Stimme tropfte von
verletztem Stolz.
„So ungerecht kann die Welt sein“, Monica ließ abwesend die Waffe sinken, während John
seine noch immer auf die beiden Verdächtigen gerichtet hatte. „Und was, wenn ich fragen
darf, ist Ihr Beruf?“
„Nun Mr-“
„Agent Doggett und ich lege auf das Agent genau so viel wert wie meine Partnerin“,
antwortete Doggett.
„Sicher Agent Doggett“, er sprach es beinahe so schlimm wie Schrääägstrich aus, etwa
Ägend. „Ich bin Kaliophrag“, seine Augen leuchteten auf, als er das sagte.
„Was ist das?“, fragte Mulder und zog einen missbilligenden Blick auf sich.
„Ein selbsternannter Teufelsjäger“, antwortete Scully bevor Allan es konnte und er
schenkte ihr ein Lächeln, bei dem sich ihre Eingeweide einen gewaltvollen Weg nach
draußen kämpfen wollten.
„Wie ich sehe, ist wenigstens eine Person unter Ihnen, die ein wenig Allgemeinbildung
besitzt. Wie heißen Sie?“, sein Lächeln wurde noch breiter und einen kurzen Moment
fürchtete Scully, dass sie sich tatsächlich übergeben würde. Doch so schnell wie der
Gedanke gekommen war, verbannte sie ihn auch wieder und alles was blieb war ihre
professionelle Maske.
„Agent Scully.“ Er musste nicht wissen, dass sie im Mutterschaftsurlaub war.
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„So, so Agent Scully“, er sprach es beinah respektvoll aus, zumindest so respektvoll, wie
man es wohl von ihm erwarten konnte. „Sie liegen nicht ganz richtig, wir sind keinesfalls
selbsternannt. Meinen Beruf gibt es seit der Entstehung der Erde und er ist genauso
gegründet worden wie jeder andere auch, beispielsweise das FBI.“
„Und was machen Sie?“, fragte Mulder erneut.
„Nun Mr-“
„Mulder.“
„Was denn. Kein lebenswichtiges Agent, was ich davor setzen muss?“, fragte Allan abfällig.
„Vielleicht möchte die gute Agent Scully die Frage beantworten“, er schenkte ihr erneut ein
Lächeln und Mulder überkam der Drang ihn zu schlagen, aber dieser hatte hier nichts zu
suchen.
„Kaliophragen versuchen den Teufel zu fangen; wann immer rituelle Morde in die
Schlagzeilen geraten, machen sie sich auf den Weg, um einen Blick auf die Tatorte zu
werfen, immer in der Hoffnung Satan zu finden“, erklärte Scully.
„Wieder nur beinah richtig, Agent Scully. Wir versuchen nicht den Leibhaftigen zu fangen,
wir versuchen lediglich seine Existenz zu beweisen“, verbesserte er sie.
„Und wo ist der Unterschied?“, fragte John trocken.
„Der Unterschied, Ägend Doggett, ist der, dass man Satan nicht einfach einfangen kann wie
ein Tier, oder in Ihrem Fall einen Mörder. Wer den Teufel unterschätzt… stirbt“, Allan
hatte seine Stimme gesenkt, doch die einzige Person auf die das einen Effekt hatte war Yve,
die jetzt noch ängstlicher aussah.
„Warum versuchen Sie dann ihn zu finden?“, wollte Mulder wissen.
„Um der Welt das Böse in Person zu zeigen und natürlich den damit verbundenen Ruhm zu
erhalten“, er grinste verschlagen.
„Ich denke, Sie sollten sich einen anderen Beruf suchen und jetzt diesen Tatort verlassen“,
meinte Reyes und Yve atmete erleichtert durch. Allan war nicht begeistert machte sich aber
dennoch auf den Weg den Tatort zu verlassen, Yve dicht auf seinen Fersen.
„Ich glaube nicht, dass wir die das letzte Mal gesehen haben“, stellte John fest.
„Ich fürchte, da haben Sie recht“, stimmte Monica zu.
Dann knieten sie alle vier nieder und Mulder zog seine altbewährte Taschenlampe aus
seiner Tasche. Gemeinsam betrachteten sie den Abdruck. Augenscheinlich hielt Dr.
Lennox-Boyd nicht besonders viel von Vorsicht am Arbeitsplatz, er hatte mit seinem
Daumen im Abdruck herumgestochert, so dass nur noch ein Teil der äußeren Ränder
sichtbar war.
48
„Vielleicht haben wir bei den anderen mehr Glück“, meinte Mulder und sie sahen sich nach
weiteren Abdrücken um, nur um festzustellen, dass ihnen die nächtlichen Besucher und
Polizisten zuvorgekommen waren. Es gab keinen Abdruck mehr, der noch brauchbar war.
Nach einer halbstündigen Suche gaben sie schließlich frustriert auf.
„Wir sollten nach Hause fahren, hier gibt es ja doch keine anständigen Beweise mehr“,
sprach Scully schließlich das aus, was alle dachten und sie trennten sich. Doggett und Reyes
fuhren zurück ins Hotel und Mulder und Scully machten sich auf den Weg zum Haus der
Van Bolts.
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Kapitel 8
Scully stand am Gitterbettchen und sah auf ihren schlafenden Sohn hinab. Ihre Hände
strichen abwesend über das glatte Holz. Er hatte seine Händchen zu kleinen Fäustchen
geballt, die Augen geschlossen und den Mund zu einer Art Schmollmund verzogen.
Leise betrat Mulder hinter ihr das Zimmer, er trug eine einfache Pyjamahose und ein
ausgewaschenes T-Shirt, ihrer Schlafbekleidung nicht ganz unähnlich. Sie waren
tatsächlich schon wie ein richtiges Ehepaar, bis hin zum Kleidungsstil, zumindest, was die
Schlafbekleidung anging.
„Meinst du, wir werden irgendwann genug davon haben, ihn einfach nur anzusehen?“,
fragte sie, als er sich hinter sie stellte und seine Arme um ihre Taille schlang.
„Klar, spätestens, wenn wir die erste Collegerechnung bekommen“, antwortete er und sie
lächelte leicht.
„Ich meine es ernst. Im Moment kann ich es immer noch nicht glauben.“
„Mit der Zeit werden wir uns daran gewöhnen. Ich denke, dass geht allen Eltern so, wenn
sie ihre Kinder ansehen und man nicht glauben kann, dass es sie wirklich gibt und sie
gesund sind, aber nach und nach lernt man zu akzeptieren, dass es immer wieder ein
kleines Wunder ist, man kann es in ihren Augen sehen“, stellte er ernst fest.
„Mir ist das früher nie aufgefallen“, sagte sie.
„Hmm, ich denke, dass ist ein Blick, den man sich verdienen muss und den man nur
erkennt, wenn man ihn selbst besitzt und den kriegt man nur, wenn man nachts um drei
aufsteht um sein Neugeborenes zu wickeln, füttern oder einfach zu beruhigen. Nenn es den
Ich-hab-seit-Frühjahr-nicht-mehr-geschlafen-Clubblick“, witzelte er und sie verpasste ihm
einen Hieb mit dem Ellenbogen.
„Du bist ein Spinner“, lachte sie.
„Yap und der Spinner würde jetzt gerne mit dir da drüben in das nette, einladende Bett
springen“, er begann bereits sie mit sich zu ziehen, während er das sagte.
„Schade, dass wir die Abdrücke nicht untersuchen konnten“, sie legte sich langsam auf das
Bett.
„Du weißt wirklich, wie man die Stimmung versaut“, grinste er und gesellte sich zu ihr. Das
Bett gab angenehm unter ihm nach und er rutschte nah an sie heran.
„Nicht versaut, hinauszögert“, verbesserte sie ihn und küsste seinen rechten Mundwinkel,
während sich seine Arme um ihren Körper schlossen und sie nah an ihn zogen. Sie küsste
seinen linken Mundwinkel und schenkte ihm ein kleines Lächeln.
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„Wie ich sehe, scheinst du mir wohl besser gesinnt zu sein als unserem lieben Dr. LennoxBoyd“, stellte er fest und sie verzog angewidert das Gesicht.
„Jetzt versaust du die Stimmung“, er küsste ihre Nase als Wiedergutmachung. „Ich
verstehe einfach nicht, wie man mit so einem Mann verlobt sein kann.“
„Nun ich denke, die meisten Menschen die uns kennen, können auch nicht verstehen, wie
du mit so jemandem wie mir zusammen sein kannst, ich eingeschlossen. Jeder hat eben
seinen eigenen Geschmack.“
„Ja, aber solltest du jemals anfangen mich als deine Partnerin Schrääägstrich Verlobte
vorzustellen, werde ich dich einen Kopf kürzer machen“, drohte sie und er grinste.
Langsam küsste er sich seinen Weg über ihre Wange bis zu ihrem Ohr.
„Ich hoffe, ich werde dich irgendwann nur als meine Verlobte vorstellen oder noch besser
als meine Frau“, flüsterte er und küsste ihr Ohrläppchen.
„Ist das jetzt ein Mulderheiratsantrag?“, sie küsste seine Schläfe.
„Vielleicht“, seine Lippen suchten sich ihren Weg zu ihren und sie verschmolzen
miteinander. Ihr Mund öffnete sich unter seinem und ihre Zunge traf auf seine, mit einer
elektrisierenden Wirkung.
Sachte schob er seinen Körper über ihren und drehte sie dabei auf den Rücken. Ihre Beine
spreizten sich aus eigenem Ermessen und sein Körper glitt dazwischen. Den Großteil seines
Gewichts stützte er mit seinen Armen und Beinen, so dass sie ihn real fühlen konnte, jedoch
nicht von ihm zerquetscht wurde. Ihre Hände fuhren seinen Rücken hinunter auf das
Körperteil zu, dem sie so viele Tagträume verdankte wie keinem anderen, wenn er in diesen
verflucht engen Jeans herumlief, die seinen Hintern wie eine Geliebte umschlossen.
Seine rechte Hand verirrte sich auf ihre linke Brust und er spielte abwesend mit dem
Nippel durch den Stoff ihres T-Shirts. Sehr vorsichtig, er wusste, dass das Stillen sie
überempfindlich gemacht hatte.
„Ich glaube, ich werde die hier vermissen“, grinste er und umschloss ihre Brust mit seiner
gesamten Hand, obwohl umschloss nicht mehr wirklich passte. Vor ihrer Schwangerschaft
hatte er das tun können, doch nun hatte sie zwei Körbchengrößen zugelegt.
„Nicht halb so sehr wie ich“, antwortete sie ebenfalls grinsend.
„Wollen wir wetten“, sie konnte das Grinsen nicht mehr sehen, da er sich entschlossen hatte
ihren Verstand weg zu küssen, aber sie konnte es deutlich fühlen.
Beide genossen das Gefühl sich nach so langer Zeit endlich wieder auf dieses Weise zu
spüren und die Tatsache, dass sie tatsächlich noch immer so locker mit ihrer Sexualität
umgehen konnten und...
Und William schrie!
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Nein, also er schrie nicht wirklich, zumindest nicht so, als würde jemand versuchen ihn zu
schlachten, doch immer noch drängend genug, um seine Mutter dazu zu bringen seinen
Vater erschrocken aus dem Bett zu befördern. Mit einem unüberhörbaren Aufprall landete
dieser auf seinem Hinterteil, sprang aber sofort wieder auf und hielt die Hände abwehrend
vor seinen Körper.
„Das war jetzt das zweite Mal und ich hoffe ehrlich gesagt, dass das nicht zur Gewohnheit
wird. Du“, er legte eine kurze Pause ein, in der er seinem Atem zwang sich zu
normalisieren. „Du bewegst dich kein Stück, ich werde ihn beruhigen und bis dahin
versuchst du bitte deinen letzten Gedanken zu halten“, kommentierte er und lief bereits
zum Bettchen seines Sohnes hinüber, bevor sie überhaupt einen Muskel bewegen konnte.
„Meinen letzten Gedanken?“, ihre Augenbraue war amüsiert nach oben gezogen. Sie
konnte sich an keinen letzten Gedanken erinnern, abgesehen von dem, sich in seinem Mund
zu vergraben.
„Na ja, du weißt schon“, schweifte er ab und hob das schreiende Bündel aus seinem Bett
„deine Hände an meinem Hintern und so weiter...“, er ließ den Satz ausklingen, als ihm ein
aufdringlicher Geruch in die Nase stieg.
„Also ich glaube, hier braucht jemand eine frische Windel“, er sah auf William hinunter,
der, jetzt wo er die Aufmerksamkeit seines Vater hatte, aufgehört hatte zu schreien. Dann
setzte er sich, das Baby auf seinem Arm, schaukelnd Richtung Tür in Bewegung. Kurz
bevor er aus dem Zimmer war drehte er sich noch einmal zu ihr um und hob drohend
seinen Zeigefinger. „Nicht bewegen und ganz wichtig - nicht denken“, stellte er streng fest
und sie nickte grinsend.
Im Badezimmer angekommen, platzierte er das Baby sachte auf der behelfsmäßig
umdekorierten Kommode und machte sich daran die Windel zu wechseln. Doch William
war komplett anderer Meinung, er zappelte und begann erneut zu schreien und machte es
Mulder alles andere als einfach.
„Hey Babyboy, das haben wir doch schon so oft gemacht, hmm? Wir sind doch kleine
Profis und du willst doch sicher nicht, dass Mami hier reingestürmt kommt, oder?“,
versuchte er ihn irgendwie zur Kooperation zu bewegen, völlig umsonst.
Er hatte gerade die Verschlüsse geöffnete und sich angesichts der warmen Überraschung
darin kurz abgewendet, als Will einen besonders kräftigen Tritt austeilte und die
übelriechende Windel verkehrt herum auf den Boden beförderte.
„William“, stellte Mulder entrüstet fest und sein Sohn hörte tatsächlich auf zu weinen und
begann stattdessen glücklich zu lachen. Er wackelte mit seinem kleinen, schmutzigen
Hinterteil auf der Kommode herum und hielt seinem Papa seinen rechten Fuß vors Gesicht,
der Dank dem kleinen Trittausflug in die Windel ebenfalls braun befleckt war.
„Oh Mama, da geht die Stimmung flöten“, ergab sich Mulder seinem Schicksal, nahm die
Reinigungstücher und begann damit sowohl den Fuß als auch den Po seines Sprösslings zu
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säubern. „So haben wir nicht gewettet junger Mann“, daraufhin gluckste William fröhlich
vor sich hin und auch der große Mann konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Wenn
Scully ihn jetzt sehen könnte.
Dabei fiel ihm ein, dass er es ja eigentlich eilig hatte, denn immerhin wartete im anderen
Zimmer eine bezaubernde Frau und ein unverschämt gemütliches Bett auf ihn.
Als alles sauber war, nahm er eine neue Windel, nur um dann herauszufinden, dass
Williams Geduld nun endgültig aufgebraucht war. Er schrie, trat und schlug um sich und
bekam einen knallroten Kopf. Tränen liefen seine Wangen hinunter und er hatte seine
Augen fest zusammengekniffen. Manchmal waren die Stimmungsschwankungen seines
Sohnes schlimmer, als die seiner Mutter, stellte Mulder grinsend fest. Gut, dass sie seine
Gedanken nicht hören konnte.
Mulder hob Wills hintern hoch, schob die Windel drunter, kämpfte mit den
Klettverschlüssen und umherfliegenden Beinchen und siegte schließlich doch. Nachdem er
den Body wieder geschlossen hatte nahm er das kleine erschöpfte Bündel auf den Arm. Ihm
mit einem Arm festhaltend hob er die schmutzige Windel vom Boden auf und beförderte sie
in den Mülleimer, dann wischte er mit einem Lappen das Linoleum ab.
Tja und dann war es geschafft.
Letztendlich war William wieder sauber und auch so erschöpft, dass er prompt auf dem
Arm seines Vaters einschlief. Leise betrat Mulder das Schlafzimmer, lief schnell hindurch
und legte das schlafende Baby zurück auf die weichen Kissen, dann wandte er sich
strahlend Richtung Bett und Scully – und erstarrte.
Auf dem Bett, selig wie eine Göttin, lag ausgestreckt seine Geliebte, fest eingeschlafen.
Er wollte zu ihr gehen, sie wecken, so dass sie ihn wieder so berühren konnte wie sie es
getan hatte, bevor Will ihren intimen Moment so plötzlich unterbrochen hatte. Aber er
konnte es nicht über sich bringen. Es war so schwer gesunden Schlaf zu bekommen, wenn
man ein Baby im Haus hatte. Außerdem verrieten ihre entspannten Züge, dass sie seinem
Rat tatsächlich einmal gefolgt war und an nichts gedacht hatte. Und wer war er, ihr diesen
Segen zu nehmen?
Resignierend schob er die Decke auf seiner Seite des Bettes zurück und platzierte seinen
überhitzten Körper neben ihrem. Es dauerte eine lange Zeit, bis auch er sich den Luxus des
Nichtdenkens erlauben konnte und ebenfalls in den Schlaf driftete.
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Kapitel 9
Am anderen Ende der Stadt war Myrlie stinksauer und das war noch gelinde ausgedrückt.
Im Grunde genommen war sie kurz davor in die Luft zu gehen und dem Erstbesten, der ihr
über den Weg lief, mit einem schadenfrohen Grinsen das Herz rauszureißen und ihn ins
Jenseits zu befördern. Aber das war nicht fair, immerhin war sie nicht auf irgendjemanden
wütend, sondern auf Robert.
Als wäre es nicht schon schlimm genug gewesen, dass er ihren Geburtstag vergessen hatte,
nein, ihr Herr Gemahl musste natürlich auf die Idee kommen ihr als Wiedergutmachung
ein Picknick zu schenken und natürlich nicht irgendein Picknick, es musste logischerweise
ein Mitternachtspicknick sein (die Tatsache, dass es um elf stattfand war nebensächlich).
Die Idee war vielleicht romantisch gewesen als sie Anfang zwanzig und immer noch über
beide Ohren verliebt war. Jetzt war sie von dem Gedanken, ihren über dreißigjährigen,
zugegeben schon etwas abgeschlafften Hintern in irgendwelchen Matsch zu pflanzen, so
überhaupt nicht begeistert.
Und zu allem Überfluss war Robert auch noch zu spät. Wiedermal. Es reichte nicht, sie an
einem verdammten Wochentag aus ihrer gemütlichen Wohnung zu scheuchen, er musste
auch wieder in seine Schwäche zurückfallen. Zu spät kommen war eine Angewohnheit, die
er sich zugelegt hatte als sie gerade mal knapp zwei Monate verheiratet waren. Und die
damals frisch gebackene Mrs. Erver-Williams war zu der Zeit schon nicht gerade erfreut
darüber gewesen, aber auch noch zu verliebt, um es ihm Übel zu nehmen. Das war jetzt
neunzehn lange Jahre her und wenn sie damals schon alles andere als begeistert davon
gewesen war, so war sie jetzt vielleicht dran gewöhnt, aber auch stinksauer.
„Ich werde ihn umbringen müssen“, flüsterte sie verschwörerisch zu einer kräftigen Eiche,
in dem Gewissen, dass der alte Baum es für sich behalten würde.
Sie war gerade dabei, wütend die kleine Lichtung des Bettino Craxi Parks neu zu glätten
und sich die befriedigensten Wege zu überlegen, wie sie Robert langsam und grausam
würde ausbluten lassen können, als sie es hörte.
Zuerst war sie überrascht, so plötzlich tauchte das Geräusch auf, dann kehrte ihre Wut
zurück und als sie dem Geräusch endlich einen Ursprung zuordnen konnte, breitete sich ein
warmes Gefühl in ihrer Brust aus.
„Happy Birthday to you“, ertönte Roberts dumpfer Bass, er kam aus dem Gebüsch hinter
ihr und obwohl sie immer noch verdammt sauer auf ihn war, konnte sie sich nicht der
gewaltigen Flutwelle erwehren, die sie bei seinem Anblick überrollte.
Selbst jetzt noch, nach beinahe zwei Jahrzehnten Ehe, machte ihr Herz einen Sprung wenn
sie ihn sah und in diesen Momenten war sie sich immer sicher, dass sie ihren Seelenpartner
gefunden hatte. Den einzigen Mann auf dieser Welt, den sie gleichzeitig wirklich und
aufrichtig lieben und hassen konnte.
„Du bist zu spät“, ihr Lächeln betrog den scharfen Unterton ihrer Stimme und er wusste es.
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„Bin ich es nicht wert, dass man auf mich wartet?“, konterte er und schenkte ihr ein
Grinsen, das zu einem Teil aus der Schadenfreude bestand, dass er genau wusste, dass sie
ihm nie lange böse sein konnte. Aber zu zwei Teilen aus der Liebe und Vergötterung die er
für sie empfand. Sie war noch immer genau die Frau, in die er sich damals in der
Highschool verliebt hatte.
„Nicht immer“, antwortete sie trocken und nahm seine ganze Gestalt in sich auf. Er sah gut
aus. Sogar unverschämt gut. Ein Anblick, den sie nur selten zu Gesicht bekam, nicht, dass
er nicht immer gut aussah, aber es gab zu wenig Anlässe für die er sich wirklich erstaunlich
gut anzog. Anscheinend schien sein schlechtes Gewissen einer dieser Anlässe zu sein, denn
er sah vom Fleck weg einfach fabelhaft aus.
Er trug die dunkelblaue Stoffhose, die sie ihm zum letzten Hochzeitstag geschenkt hatte,
dazu ein schlichtes Sweatshirt, obwohl sie die Farbe im Lichte der Dämmerung nicht
wirklich ausmachen konnte, glaubte sie, das es das beigefarbene war, welches er sich vor
zwei Wochen gekauft hatte, sehr zu ihrem Erstaunen. Eigentlich war er nicht der Typ für
Sweatshirts, T-Shirts waren schon eher sein Ding, aber sie liebte die langen Ärmel, liebte es,
sie langsam und sinnlich über seine Arme nach oben zu krempeln.
Das Bild wurde komplettiert durch einen großen Picknickkorb über seinem rechten Arm,
den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Über dem linken hatte er die alte Decke, die für
gewöhnlich in den Abgründen ihres Kleiderschrankes hauste. An den Stellen, die schon
lange kein lebendiges Wesen mehr gesehen hatte.
„Ich glaube einfach nicht, dass du dieses alte Ding mitgebracht hast“, fing sie wieder an zu
zetern.
„Wenn du nicht meckern kannst, bist du auch nicht glücklich, oder?“, antwortete er
gelassen und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Lippen, das taten sie immer zur Begrüßung
und zum Abschied: nicht schlecht für neunzehn Jahre Ehe, wie sie fand. Immerhin konnten
sie sich noch gut genug leiden, um sich kleine Küsschen zu geben.
„Ich meine ja nur, dass du eine wesentlich schönere Decke hättest auswählen können, zum
Beispiel die, die über der Couchlehne liegt oder die aus dem Schlafzimmer“, erklärte sie,
während sie ihm dabei zusah, wie er den Korb abstellte und langsam die Decke ausbreitete.
Es war wirklich eine verflucht hässliche Decke, wenn sie sich bloß noch erinnern könnte,
wo sie das entsetzliche Ding her hatten.
„Nun stell dir mal vor, ich hätte es gewagt eine von denen mitzubringen, dann wäre deine
erste Reaktion doch gewesen, dass sie viel zu fein sind um sie auf den Boden zu legen und
seinen Hintern drauf zu parken“, er war dabei, die Ecken glatt zu ziehen, hörte aber kurz
auf, als er das sagte und schenkte ihr ein wissendes Lächeln, was sie bissig erwiderte. Sie
hasste es, wenn er recht hatte.
„Schön und was hast du zu essen mitgebracht und ich hoffe für dich, dass da irgendwo ein
dicker, runder Schokoladenkuchen mit unglaublich viel Glasur dabei ist, sonst werde ich
dich verlassen müssen“, stellte sie fest und versuchte einen Blick in den Korb zu erhaschen.
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„Hetz mich nicht“, konterte er ruhig und stand auf, vergewisserte sich noch mal, dass die
Decke auch gut lag und reichte ihr dann seine Hand. Etwas verwundert nahm sie sie und
ließ sich von ihm auf die Decke setzen. Wer hätte gedacht, dass er sogar seine verstaubten
Manieren aus eben dem Kleiderschrank holen würde, aus dem er die abgrundtief hässliche
Decke hatte. Die ein Geschenk zu Verlobung von seinen Eltern gewesen war, wenn sie sich
jetzt richtig erinnerte.
Nachdem sie zu seiner Zufriedenheit platziert war, öffnete er den Korb und holte
nacheinander fünf Windlichter heraus, stellte eine an jede Ecke der Decke und die fünfte
direkt in die Mitte, lief dann herum und zündete jede einzelne sorgsam an. Dann begann er
nach und nach die Köstlichkeiten aus dem Korb ins Kerzenlicht zu befördern und sie war
erstaunt und bereit, für ihn dahin zu schmelzen.
Zuerst erschienen zwei kleine Schüsseln mit Salat – ihrem Lieblingssalat und er hatte sogar
an Dressing gedacht. Dann folgten verschiedene Früchte, wie Ananas, Erdbeeren und
Melonenstücke und als Hauptgericht erkannte sie sofort, dass er gegrillten Lachs gewählt
hatte. Dazu gab es für jeden eine Folienkartoffel von der Größe eines Fußballs und er war
noch immer nicht fertig. Allmählich begann sie, sein Organisationstalent zu würdigen, weil
er es geschafft hatte, all das unversehrt in diesem kleinen Korb hierher zu transportieren.
Nachdem er kleine Käsehäppchen auf einem Pieker – nicht etwa einem Zahnstocher –
komplett mit Olive herausgeholt hatte, folgte ein kleines Baguette und schließlich eine
Flasche Chianti und zwei kleine Flaschen mit Orangensaft. Gerade als sie anfangen wollte
sich darüber aufzuregen, dass es keinen Nachtisch gab, zauberte er einen riesigen
Schokoladenkuchen hervor, mit scheinender Glasur, Streuseln und einer Aufschrift, die sie
auch trotz des Kerzenlichts und ihren Kontaktlinsen erkennen konnte „Für meinen
Sweety“ stand in großen roten, zuckrigen Buchstaben oben drauf.
Vielleicht war er nie pünktlich und vielleicht mochte er keine Sweatshirts, vielleicht hatte er
auch einen furchtbaren Sinn für Humor (die Kuchenaufschrift als Beweisstück A) und
definitiv war er der pingeligste Mensch den sie kannte (wenn man von der Uhrzeit und
Geburtsdaten absah, die er einfach immer vergaß), aber tief in diesem Mann schlummerte
ein hoffnungsloser Romantiker, der sich nur ganz selten zeigte und sie liebte ihn.
„Oh Robert“, sagte sie gerührt.
„Ich wusste, dass du mir nicht widerstehen kannst“, antwortete er lächelnd und gesellte
sich zu ihr auf die Decke. Er presste seine Lippen kurz an ihr Ohrläppchen und hauchte
dann sanft „Happy Birthday“ in ihr Ohr, dass ihr Körper von einer Gänsehaut überzogen
wurde.
Sie aßen in ruhiger, gemütlicher Zweisamkeit und wiederbelebten all ihre romantischen
Erinnerungen neu, als sie sich gegenseitig mit Obst und Kuchen fütterten. Robert ging
sogar so weit versehentlich etwas Kuchen neben ihrem Mund zu verteilen und zuerst hatte
Myrlie nur gedacht, wie entsetzlich schlecht er ohne seine Brille zielen konnte, doch
verscheuchte den Gedanken sofort, als seine Lippen seinen ungeschickten Fingern folgten
um den angerichteten Schaden zu reparieren.
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Die Zeit verflog geradezu und ehe es einer von ihnen mitbekam war es bereits Mitternacht.
„Rob, wir sollten vielleicht nach Hause gehen“, sie versuchte ihre Stimme so
verheißungsvoll wie möglich klingen zu lassen, denn sie wollte nicht, dass der Abend jetzt
schon endete. So furchtbar der Gedanke an ein Picknick im Freien zu Anfang auch gewesen
war, war es dennoch ein wundervolles Geburtstagsgeschenk und sie wollte Robert zeigen,
wie besonders sie seine Idee fand. Definitiv etwas, was sie aus dem Trott ihres ehelichen,
wöchentlichen Samstagabend Schäferstündchens reißen konnte.
„Lie, ich weiß doch, wie sehr du den Mond und die Sterne liebst und hier sind wir völlig
ungestört“, erklärte er und begann verspielt ihre Wangen und dann ihren Hals zu küssen.
„Das ist eine Straftat... ah“, brach sie ab, als seine Zunge über ihre Halsschlagader schnellte
und die feuchte Stelle von einem Windhauch gestreift wurde, der ihren Körper mit einer
Gänsehaut spickte und ihr ein kleines Zittern entlockte.
„Ja, aber das ist doch Teil meines Geschenks“, er verzog seine Lippen zu einem
Schmollmund. Sie wollte gerade fragen, ob eine Nacht im Gefängnis wegen Erregung
öffentlichen Ärgernisses zu verbringen auch Teil davon war, als er sie ansah. Sie hatte
diesem Anblick noch nie widerstehen können, er sah aus wie ein kleiner Junge, dem man
sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte und wie sollte sie ihm dabei etwas verwehren?
Einfache Antwort: gar nicht. Dafür liebte sie ihn einfach zu sehr und vermutlich trieb sich
um diese Zeit sowieso kein rechtschaffender Polizist in dieser Gegend herum und wenn
doch? Was solls, es war immerhin ihr Geburtstag und sie war bereit, ihn gebührend mit
ihrem Mann zu feiern.
Statt einer Antwort zog sie seinen Kopf zu sich hinunter und küsste ihn, so
unmissverständlich, dass er ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Sie lächelte innerlich
als sie erkannte, dass sie noch immer in der Lage war ihren Mann zu verführen, oder
schlicht und ergreifend in den Wahnsinn zu treiben. Ein betörend gutes Gefühl.
„Das fühlt sich genauso gut an wie damals, als wir uns kennen gelernt haben“, murmelte er.
„Heirate mich, Lie.“
„Wir sind schon verheiratet“, grinste sie.
„Gott sei Dank“, stöhnte er. Sie machte sich bereits daran ihn von seinem Sweatshirt zu
befreien während seine Hände gemächlich und dennoch bestimmt über ihren Körper
wanderten. Es war so völlig anders wie sie sich jetzt liebten, im Gegensatz zu damals, als sie
sich kennen gelernt hatten. Wie wild oder besessen waren sie manchmal übereinander
hergefallen, ohne Rücksicht auf Verluste. Jetzt waren sie älter, liebten einander noch
immer wie am ersten Tag, gönnten sich aber den Luxus ineinander aufzugehen und sich
Zeit zu nehmen. So anders.
Und so anders von der Art wie Greg und Susan ihren Abend hatten enden lassen wollen in
ihrer jugendlichen Eile und dennoch war ihnen nicht bewusst, dass sie dem gleichen
Schicksal zum Opfer fallen sollten. Denn der Tod war bereits unterwegs und nicht mehr
weit von ihnen entfernt.
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Natürlich wussten sie es nicht, sie genossen das Gefühl sich gegenseitig zu spüren, während
sie versuchten aus ihren Klamotten zu kommen ohne die Finger voneinander nehmen zu
müssen. Sie hörten es auch nicht, als der erste Ast, ein Stück weiter die Lichtung herunter,
knackte und dann der zweite.
Schwer atmend lag Myrlie nur in einem einfachen BH (sie hatte ja keine Ahnung gehabt in
welche Richtung der Abend gehen würde und als sie sich angezogen hatte war sie immerhin
noch sauer auf Robert gewesen) und ihren Jeans unter ihm, während er mit freiem
Oberkörper über ihr posierte. Sie liebte es, wenn sie seine Muskeln unter der Haut zucken
sehen konnte. Plötzlich hielt sie inne und er sah sie fragend an.
„Hast du das gehört?“
„Was?“
„Ich glaube, da hat ein Ast geknackt“, erklärte sie und konnte gar nicht glauben, wie
bescheuert sich das anhörte.
„Und ich glaube, du bist einfach nur nervös, ist schon ne ziemlich lange Zeit her, seit wir es
das letzte Mal im Freien gemacht haben“, stellte Robert fest und schenkte ihr ein
beruhigendes Lächeln, das sie mit einem zustimmenden Nicken erwiderte. Sie führte sich ja
auf wie ein Mädchen, das Angst vor seinem ersten Mal hatte.
Schnell fing sie seine Lippen wieder mit ihren ein und schloss die Augen, um sie im
nächsten Moment wieder aufzureißen, als seine Lippen mit unglaublicher Brutalität von
ihren gerissen wurden und mit ihnen sein gesamter Körper. Nicht mal zehn Sekunden
später war Robert Erver-Williams tot.
Myrlie schrie.
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Kapitel 10
Scully erwachte in totaler Finsternis. Irgendetwas hatte ihren traumlosen Schlaf
unterbrochen, sie setzte sich langsam auf und sah sich um. Nach kurzer Zeit hatten sich
ihre Augen an die Nacht gewöhnt und sie konnte die schattigen Umrisse des Zimmers
ausmachen. Sie lauschte angestrengt, ob es vielleicht ein Geräusch gewesen sein könnte, das
wiederkehren würde, aber die Nacht blieb ruhig.
Das war das ganze Problem an der Sache. Die Mutterschaft hatte ihren, durch das FBITraining ohnehin schon geschärften, Gehörsinn so stark gemacht, dass jedes noch so kleine
ungewohnte Geräusch sie aus dem Schlaf reißen konnte. Mutter zu sein war super, FBI
Agentin zu sein war toll, aber beides zugleich konnte einem wirklich den letzten Rest geben.
Zumindest war sie jetzt wach und sah sich einem ganz neuen Problem gegenüber gestellt.
Wie sollte sie jetzt am besten wieder einschlafen?
Mulders leises Schnarchen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und obwohl es ihr ein kleines
Lächeln entlockte, kam sie nicht umhin ihn zu beneiden. Dieser Mann konnte einfach
immer und überall schlafen. Sein Körper brauchte zwar wenig Schlaf, konnte diesen aber
zu jeder Zeit einfordern.
Die Bilder des vergangenen Abends schossen ihr durch den Kopf, mit solcher Intensität,
dass sie ein Keuchen nicht unterdrücken konnte. Mulder über ihr, seine Hände auf ihrem
Körper, ihre auf seinem Hintern, die sanfte Berührung seiner Lippen, Williams Schreien,
die weichen Daunen unter ihr, das einladende Kissen und der Gedanke sich nur für zwei
Sekunden auszuruhen und dann... gar nichts mehr.
Sie stöhnte kurz frustriert, sie war tatsächlich eingeschlafen. Seit langem war das ihre erste
Chance gewesen, Mulder nicht nur schlafend und kuschelnd in ihrem Bett zu haben und
natürlich musste sie es versauen.
Jetzt lag er friedlich neben ihr und es wäre verdammt unfair von ihr, wenn sie ihn
tatsächlich wecken würde, nur damit sie da weitermachen konnten wo sie so nonchalant
ausgestiegen war. Nein, sie hatte gar nicht das Recht dazu, ihn in seinem Schlaf zu stören,
er wäre sicher nicht begeistert. Und nun wo sie den Schlaf selber brauchen konnte und
bereit war, ihn willig in ihre Arme zu schließen, wollte er nicht kommen.
Also lag körperliche Ertüchtigung als Einschlaftherapie wohl außer Reichweite. Sie
überlegte, was sie sonst tat wenn sie nicht schlafen konnte. Nun, für gewöhnlich nahm sie
einfach eine leichte Schlaftablette, aber durch das Stillen fiel auch diese Möglichkeit weg.
Ihre Gedanken gingen weiter zurück. Früher als Kind hatte ihre Mutter ihr immer warme
Milch mit Honig gemacht und da das die einzige realisierbare Idee war, die sie hatte,
krabbelte sie vorsichtig aus dem Bett heraus. Einen kurzen Blick auf den Wecker auf dem
kleinen Nachttisch erhaschend: kurz nach 3 Uhr morgens, super. Sie sah noch einmal kurz
nach William, der, ruhig an seinem Daumen nuckelnd, schlief.
„Das müssen wir dir wohl auch bald abgewöhnen“, flüsterte sie leise. Als
verantwortungsvolle Mutter wollte sie nicht, dass er durch ständiges Daumennuckeln
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schiefe Zähne bekam, aber noch hatte er ja keine Zähne und damit hatten sie noch
genügend Zeit. Liebevoll streichelte sie ihm durch seinen dünnen Babyflaum.
Dann machte sie sich auf die Suche nach ihrem Schlaftrunk. Gähnend lief sie die große
Treppe hinunter und wäre beinahe am Salon vorbeigelaufen, als ihr der Lichtstrahl unter
der großen Schiebetür auffiel. Anscheinend hatte noch jemand in diesem Haus
Schlafprobleme.
Eigentlich wollte sie denjenigen, wer auch immer da noch wach war, nicht stören, aber ihre
Neugier gewann die Oberhand und sie schob leise die Tür zurück.
In einem großen, gemütlichen Ohrensessel, der sicherlich schon einige Jahre auf dem
Buckel hatte, saß Albert, der noch einige Jahre mehr auf dem Buckel hatte, und sah
abwesend aus dem großen Fenster, welches beinahe die gesamte Außenseite des Salons
einnahm. In der linken Hand hielt er eine Pfeife und neben ihm auf einem kleinen Tisch
stand ein Glas das aussah, als wäre sein Inhalt alkoholischer Natur, sein ganz eigenes
Schlafmittel. Als er die Tür hörte, er hörte für sein Alter noch erstaunlich gut, jedenfalls
besser als er sah, drehte er sich in ihre Richtung.
„Sie können wohl auch nicht schlafen oder Kindchen?“, fragte er gelassen. Kindchen? Seit
ihr Großvater gestorben war, hatte sie niemand mehr so genannt und eigentlich war sie
darüber auch sehr glücklich gewesen, denn über die Jahre hinweg war es schlicht und
ergreifend peinlich gewesen, wenn er sie sogar vor ihren Freunden so nannte. Doch jetzt
konnte sie Albert nicht im Geringsten böse sein, eher das Gegenteil, irgendwie erinnerte er
sie sogar an ihren Grandpa.
„Ich dachte ich hätte etwas gehört“, verriet sie und trat näher. Das Zimmer war angenehm
erleuchtet. In der Ecke, die die Wand des Speisezimmers mit dem Stück Außenwand des
Salons verband, welches das Panoramafenster übrig gelassen hatte, stand ein großer
Steinkamin, in dem ein kleines Feuer brannte, welches den ganzen Raum in ein ruhiges,
warmes Licht tauchte.
„Ja, ja, der Mutterinstinkt. Segen und Fluch zugleich“, sprach der alte Mann weise und sie
lächelte kurz. Er deutete auf einen anderen Sessel neben seinem und sie nahm dankend
Platz.
„Damals als Marien, meine zweite Frau, und ich Karen bekamen, ging es ihr genauso. Man
konnte nichtmal eine Stecknadel fallen lassen, ohne dass sie aufwachte, etwas, dass sie
leider auch sehr mitgenommen hat. Aber so ist es immer, alles hat eine gute und eine
schlechte Seite“, er sah traurig auf seine Hände und schob sich die Pfeife in den Mund.
„Mr. Van Bolt-“
„Bitte Kindchen, du kannst mich Albert nennen, immerhin sind wir eine Familie, im
weitesten Sinne.“
„Okay, ich bin Dana“, stimmte sie langsam zu, es war schon etwas merkwürdig, aber
Albert war ein Mann, dem man nichts ausreden konnte, so viel hatte sie bereits
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mitbekommen und wenn dieser Mann sie als Teil seiner Familie betrachtete, dann konnte
sie sich wohl geehrt fühlen.
„Ich weiß nicht, ob ich überhaupt das Recht habe Sie – ich meine dich – danach zu fragen,
aber was ist mit Marien und Karen passiert?“, sie klang beinahe schüchtern.
„Fox hat es dir nicht erzählt?“, fragte Albert und klang nur bedingt überrascht.
„Nein, das hat er nicht, aber wir sind auch noch nicht so lange zusammen“, war alles, was
sie darauf antwortete, er musste ja nicht unbedingt erfahren, dass sie bis vor zwei Tagen
noch nicht einmal etwas von seiner Existenz gewusst hatte, geschweige denn, von seiner
Frau und seiner Tochter. Albert schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln.
„Ich bin nicht so alt Kindchen, ich weiß, dass man in der Anfangszeit einer Beziehung nicht
unbedingt darauf aus ist, alles über die Verwandtschaft des anderen herauszufinden.“
Dann wurde sein Lächeln trauriger und sein Blick schien irgendwo in die Ferne zu rücken,
an einen Ort, an dem seine Familie vielleicht noch lebte.
„Meine Tochter war mein ein und alles, Marien und ich wir hatten uns solange ein Kind
gewünscht, dass es uns benahe wie ein Wunder vorkam. Ich hatte ziemlich früh das erste
Mal geheiratet, Fox‘ Tante Ariel. Na ja, wahrscheinlich waren wir einfach zu jung. Die Ehe
hat nicht lange gehalten und ein wesentlicher Trennungsgrund war, dass sie keine Kinder
wollte. Für mich gab es nichts schöneres, immerhin hatte ich die Aussicht auf eine geregelte
Zukunft, mein Großvater hatte das Champagnerunternehmen gegründet und mein Vater
hatte es aufgebaut, alles was ich machen musste, war das Erbe anzutreten.“
„Als ich Marien traf wusste ich, dass ich die Frau meines Lebens gefunden hatte. Wir
waren zwar nicht immer einer Meinung, aber was die wirklich wichtigen Dinge des Lebens
anging, hätte ich niemand anderen finden können, der eine bessere Ehefrau abgegeben
hätte. Sie war ein Traum. Jung, hübsch und entsetzlich temperamentvoll, wenn sie einen
Raum betrat, schien er automatisch heller und wärmer zu werden. Unser größter Wunsch
war ein gemeinsames Kind großzuziehen. Nachdem wir es zwei Jahre erfolglos versucht
hatten ging sie schließlich zum Arzt und der erklärte uns ziemlich detailliert, dass die
Chance ein Kind zu bekommen für uns beide so ziemlich bei null lag. Irgendwie haben sich
unsere“, er stockte kurz, „Körperflüssigkeiten, ich will es mal so ausdrücken, nicht
verstanden. Das schien unserem Glück ein frühes Ende zu setzen, irgendwie fanden wir uns
damit ab und kurz darauf war sie schwanger.“ Seine Augen leuchteten auf, als er sich
daran erinnerte, obwohl Scully auch ein paar Tränen in ihnen glitzern sehen konnte.
Im Grunde genommen hätte sie die Geschichte erschrecken müssen, da sich doch einige,
auffällige Parallelen zu ihrem eigenen Leben finden ließen, aber aus irgendeinem Grund
machte ihr das keine Angst.
„Nun“, fuhr Albert fort, „als Karen zu Welt kam schien einfach alles perfekt zu sein und
das war es auch. Sie wuchs auf und war unser Sonnenschein, auch wenn sie später ein
ziemlich dickköpfiger Teenager war, aber das machen wohl alle durch. Das einzige Mal, als
wir wirklich in einen kräftigen Streit gerieten war, als sie zu mir kam und mir erklärte,
dass sie ein Baby erwarte und heiraten wollte. Ich wollte, dass sie zu Ende studierte und
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meine Firma übernahm. Ich sah überhaupt nicht ein, warum ich einem dahergelaufenem
Bauerntrampel, der seine Finger nicht von meiner Tochter lassen konnte, diesen Posten
überlassen sollte. Aber sie war fest entschlossen und letztendlich war sie doch mein kleiner
Engel, dem ich nichts abschlagen konnte. Es hatte sie nicht viel Zeit gekostet, bis sie und
Marien mich wieder friedlich gestimmt hatten und als ich dann meine süße Enkelin das
erste Mal auf dem Arm hielt, war mir schon fast alles egal. Peter, der unbeholfene
Bauerntrampel, war gar nicht so unbeholfen wie ich angenommen hatte und fand sich
ziemlich schnell in das Geschäft ein“, er machte ein kurze Pause, nahm einen Schluck aus
seinem Glas und einen anständigen Zug aus seiner Pfeife und in diesem Moment wusste
Scully, dass die Geschichte jetzt ihr trauriges, unausweichliches Ende nehmen würde.
„Es war ziemlich genau ein Jahr nach Susans Geburt, an einem Freitag. Karen und Peter
wollten ein Wochenende ohne Baby genießen, wie es alle Eltern einmal wollen. So lieb man
die Kleinen auch hat, wenn man nicht wenigstens mal 24 Stunden am Stück für sich selbst
hat wird man irre.“ Er lächelte sie wissend an und sie nickte zustimmend. Obwohl sie noch
nicht an dem Punkt war, an dem sie irre wurde, war sie ihrer Muter jedes Mal dankbar,
wenn sie sich ein paar Stunden um ihren Enkel kümmerte.
„Am frühen Nachmittag, Peter hatte extra früher mit der Arbeit Schluss gemacht, brachten
sie Susan vorbei. Sie hatten einen Flug nach Florida gebucht, um volle zwei Tage ich zitiere
»Dumm und entspannt, am Strand zu liegen«. Doch schon als sie im Flugzeug saßen, erhielt
ich den ersten Anruf einer besorgten Mutter. So entspannen wie sie eigentlich wollte,
konnte sie dann doch nicht. Sie fragte mich allerhand nutzlose Dinge, ob sie auch wirklich
genug Windeln mitgebracht hätten und so weiter; ich beruhigte sie, sagte ihr, sie solle einen
wunderschönen Urlaub haben und hab aufgelegt. Hätte ich gewusst, dass es das letzte Mal
sein würde, dass ich die fröhliche Stimme meiner Tochter hören würde, hätte ich es nicht
getan.
Nicht mal zehn Minuten nach unserem Gespräch setzten die Triebwerke der Maschine aus
und sie stürzte ab. Es gab keine Überlebenden. Der Aufprall hatte das Flugzeug
auseinandergerissen und es war in Millionen Teile zersprungen, sie hatten nicht einmal den
Hauch einer Chance“, seine Stimme versagte und diesmal war sich Scully sicher, Tränen in
den Augen des älteren Mannes zu sehen. Verdammt, sie selbst konnte Tränen in ihren
Augen spüren.
„Das ist ja furchtbar“, ihre Stimme krächzte und er legte ihre eine Hand auf den Arm.
„Es ist schon in Ordnung, Kindchen. Das ist schon so lange her und es tut nicht mehr ganz
so sehr weh, wenn ich es erzähle“, erklärte Albert leise. „Marien ging es leider nie so. Sie
hat den Tod von Karen nicht überstanden. Alles, was sie fühlte, fühlte sie mit ganzen
Herzen. Sei es Freude oder Schmerz gewesen und in diesen Fall war es furchtbarer
Schmerz. Was auch immer ich tat, ich konnte sie nicht trösten. Es war nicht einmal ein
Trost für sie, als wir das Sorgerecht für Susan bekamen. Sie war so sehr wie ihre Mutter,
dass es sie immer wieder an den Tod ihrer einzigen Tochter erinnert hat. Sechs Monate,
nachdem ich mein Kind und meinen Schwiegersohn begraben hatte, begrub ich nun auch
ihre Mutter. Die Ärzte sagen, ihr Herz hätte ihr sowieso Probleme gemacht, aber ich
glaube, es war einfach zerbrochen und sie ist vor Gram über den Verlust gestorben“, er
endete und steckte sich die Pfeife wieder in den Mund.
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Jetzt konnte sie die Tränen auf ihren Wangen fühlen. Verdammte Schwangerschaft. Die
Hormone hatten sie so schnell über eine Schwelle geschoben: in der einen Sekunde war sie
wütend, in der nächsten traurig, dann glücklich und dann wieder deprimiert. Sie hoffte
einfach, dass sich das geben würde, sobald sie vollkommen mit dem Stillen aufgehört hatte.
Sie musste unbedingt wieder lernen ihre Gefühle in den Griff zu bekommen.
„Obwohl“, er zog die Pfeife aus seinem Mund und pustete eine große Wolke Rauch aus,
„ich sie so früh verlor, bin ich dennoch glücklich über die Zeit, die ich mit diesen geliebten
Menschen verbringen durfte. So versuche ich nun auch noch den Verlust von Susan zu
überwinden.“ Er stockte kurz und wendete seinen Blick dann zu ihr. „Ich hoffe, ihr drei
werdet auch dieses Glück erfahren.“
„Ich meine, das tun wir schon“, ertönte Mulders Stimme von der Tür und sie sah sich nach
ihm um, er schenkte ihr ein kleines Lächeln und trat dann näher.
„Anscheinend ist Vollmond oder sowas, wenn du auch nicht schlafen kannst“, stellte Albert
fest und betrachtete seinen Neffen.
„Bei mir war es wohl nicht der Vollmond. William hat ein Wimmern von sich gegeben und
ich dachte er würde aufwachen, ist er aber nicht. Na ja und als mein Arm dann ins Leere
neben mir griff war ich wach“, erklärte Mulder gelassen und seine Hand legte sich sanft auf
ihre Schulter, diese Haltung hatte etwas unheimlich Vertrautes und Eheliches an sich und
Alberts Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln.
„Ich glaube, es ist ohnehin spät genug, wir sollten ins Bett gehen und versuchen noch etwas
Schlaf zu bekommen“, stellte der ältere Mann fest und die beiden nickten. Scully fühlte sich
auch bereits wieder leicht schläfrig. Sie wünschten sich gegenseitig eine gute Nacht und
Scully und Mulder machten sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer.
Sie liefen langsam die Treppe hinauf, ihre Finger mit seinen verknotet.
„Es tut mir leid“, sie erkannte ihr schüchterne Stimme gar nicht als ihre eigene wieder, als
sie das sagte. Sie hatten gerade den oberen Absatz der Treppe erreicht und sie sah
ablenkend auf die letzte Stufe, nicht bereit ihn anzusehen. Seine Hand schloss sich fester um
ihre und er zog sie in seine Arme.
„Muss es nicht, wir haben alle Zeit der Welt“, beruhigte er sie langsam und sie schüttelte
widerwillig den Kopf.
„Mag sein, aber ich finde nicht, dass das eine Entschuldigung ist“, ihre Stimme war durch
sein T-Shirt gedämpft. Er löste seine Arme um sie, trat einen Schritt zurück und zwang sie
mit seiner Hand unter ihrem Kinn ihn anzusehen.
„Es gibt nichts, wofür eine Entschuldigung nötig wäre. Ein Baby ist nun mal eine große
Umstellung. Ich hab mich auch schon einige Male dabei ertappt, wie mir während einer
Unterhaltung plötzlich die Augen zugefallen sind und ich ins Traumland abgesegelt bin.
Das ist kein Weltuntergang“, erklärte er und schenkte ihr ein kleines Lächeln. Erleichtert
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erwiderte sie es und er kam nicht umhin festzustellen, wie viel mehr sie lächelte, seit
William auf der Welt war und er liebte es sie so glücklich zu sehen.
„Wie wäre es, wenn wir einen neuen Versuch starten?“ Sie trat näher an ihn heran und
schlang ihre Arme um seine Hüften, den Blick neugierig auf sein Gesicht geheftet.
„Sicher, solange du mir nicht wieder einschläfst“, witzelte er und sie verdrehte die Augen
und löste sich von ihm.
„Und eben habe ich gedacht, du hättest mit verziehen“, stellte sie gespielt gekränkt fest.
„Das habe ich, aber ich wäre nicht ich, wenn ich dich nicht wenigstens ein bisschen damit
aufziehen würde“, konterte er und folgte ihr in Richtung ihres gemeinsamen
Schlafzimmers.
„Zu verzeihen heißt aber eigentlich, dass man die Sache auf sich beruhen lässt“, erklärte sie
wissenschaftlich und wollte gerade die Tür öffnen, als seine Hand nach vorne schoss und
ihre umschloss. Mit einem schnellen Schwung zog er sie an seinen Körper.
„Ich verzeihe dir“, flüsterte er und nahm ihre Lippen in Beschlag. Zuerst war sie etwas
überrascht von der schnellen Reaktion, doch dann registrierten ihre Lippen, dass sie von
Mulder geküsst wurden und begannen ihm hungrig zu antworten, bevor ihr Gehirn
überhaupt alles verarbeitet hatte, was gerade passiert war.
Doch schnell verschwand die hungrige Eile und machte einer langsamen, zärtlichen
Sinnlichkeit den Weg frei und der Kuss wurde zu einem von diesen lockeren, sanften
Küssen, die kaum zu spüren waren. Sie nannte sie Federküsse, weil sie beinahe wie eine
Feder über ihre Lippen kitzelten.
Seine Finger verfingen sich im Saum ihres Shirts und er schob es ein Stück nach oben,
damit seine Hände über die weiche Haut an ihren Hüften streicheln konnten. Sofort legten
sich ihre Hände auf seine und schoben sie sanft weg, sie mochte es noch immer nicht, wenn
er sie dort berührte. Sie wusste nur allzu gut, dass auf ihren Hüften noch immer der
Babyspeck von der Schwangerschaft ruhte. Natürlich war sie weit davon entfernt dick zu
sein oder überhaupt füllig, aber sie war auch noch nicht einmal ansatzweise in die Nähe
ihrer alten Figur gerückt, trotz regelmäßigem Workout mit ihrem Sohn. Ein Baby war ein
fabelhaftes Fitnessgerät für Arme, Beine und Rücken und Situps mit Baby auf dem Bauch
verbrannten Tausende von Kalorien, aber eben nicht alle in der kurzen Zeit von zwei
Monaten.
„Schon gut, du bist wunderschön und das weißt du“, beruhigte er sie und verteilte weitere
kleine Küsse (diesmal hauchzarte Schmetterlingsküsschen) auf ihrem Gesicht. „Jedes
einzelne Gramm, das dich stört, hat unserem Sohn ein warmes Zuhause für neun gesunde
Monate beschert, wie könnte ich sie da nicht genauso lieben, wie ich dich liebe?“
„Wo hast du bloß gelernt immer genau das Richtige zu sagen?“, fragte sie lächelnd und ließ
seine Hände gewähren, als sie einen zweiten Angriff unter ihr Shirt tätigten.
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„Oxford“, antwortete er schlicht und schenkte ihr ein schelmisches Grinsen.
Ihre Arme verschränkten sich hinter seinem Kopf und zogen ihn für einen weiteren Kuss
zu sich hinunter. Gerade als sie befand, dass es allmählich Zeit wurde, dass sie den Flur
gegen die bequemere Atmosphäre ihres Zimmers, speziell ihres Bettes, eintauschen sollten,
riss sie ein vertrautes, jedoch Unheil verkündendes Geräusch aus ihrer trauten
Zweisamkeit.
Das Telefon unten im Salon klingelte.
Sie waren nicht in der Lage viel von der Unterhaltung von Alberts Seite aus
mitzubekommen, aber das mussten sie auch nicht. Als Albert knapp fünf Minuten später
an ihre Zimmertür klopfte, waren sie schon fast vollständig angezogen und bereit, sich in
die Nacht hinaus zu schlagen. Die Gedanken an eine ruhige, gemeinsame Nacht weit weg
verbannt.
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Kapitel 11
Doggett war der erste der sie sah. Irgendwie sahen beide mehr zerwühlt aus, als er es
jemals zuvor gesehen hatte. Nicht einmal als Mulder im Krankenhaus mehr tot als lebendig
gelegen hatte, hatte er so dermaßen mitgenommen ausgesehen. Obwohl sie eine
professionelle Art hatten den Tatort zu betreten, die absolut und einfach nur beneidenswert
war.
Sie kamen, betrachteten das Absperrband mit kühlem Blick, wollten passieren und...
wurden aufgehalten. Anscheinend hatte Mulder wohl einen stärkeren Eindruck bei
Hilfssheriff Luka hinterlassen, denn dieser machte ihm mit einem ausgestreckten Arm
durchaus verständlich, dass er den Tatort nicht betreten dürfte.
Scully schien davon gar nicht begeistert zu sein und als Doggett näher kam, konnte er sie
bereits argumentieren hören.
„Hören Sie, ich bin FBI-Agentin und-“, sie zeigte ihre Marke.
„Deshalb dürfen Sie ja auch durch die Absperrung gehen, aber er nicht“, unterbrach Luka
gelassen und deutete auf Mulder. Scully schenkte ihm einen wütenden Blick und begann
bereits wieder auf den Hilfssheriff einzureden.
„Passen Sie auf-“, sie stoppte kurz, als ihr klar wurde, dass sie seinen Namen gar nicht
kannte.
„Hilfssheriff Luka“, half Mulder ihr aus und erntete einen weiteren giftigen Blick.
„Gut, Hilfssheriff Luka, Mr. Mulder hier ist zufälligerweise ein ehemaliger FBI-Agent und
zudem noch ein brillanter Profiler, weshalb er bei diesem Fall für alle von Nutzen sein
kann“, schloss sie, doch Luka blieb relativ ruhig.
„Ich habe nicht gehört, dass das FBI oder der Sheriff einen Profiler angefordert hätten“,
konterte er.
„Das können Sie auch nicht, weil sich das FBI gerade erst dazu entschieden hat“, mischte
sich nun Doggett ein und erwartete fast ebenfalls einen bösen Blick von der kleinen
rothaarigen Furie zu ernten, doch im Gegenteil sie sah sogar ziemlich dankbar in seine
Richtung.
„Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist Agent Doggett“, begann der Hilfssheriff, der
sich nun plötzlich auf der anderen Seite des Spielbrettes wiederfand und sich da
offensichtlich alles andere als wohl zu fühlen schien.
„Glauben Sie mir, das ist es Daniel, das FBI weiß schon, was es tut“, beruhigte ihn Doggett
und bekam ein Schulterzucken als Antwort.
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„Wenn Sie meinen“, damit trat er beiseite und ließ eine geladene Scully und einen verhalten
grinsenden Mulder vorbei, jedoch verkniff sich dieser das schnell, als er den Ellenbogen
seiner Partnerin in unmittelbarer Nähe seiner Rippen spürte.
„Okay, also wer, was, wann und wieso?“, kam sie gleich zu Sache, während sie sich mit
Mulder auf den Fersen der hellen Plastikplane näherte.
„Myrlie und Robert Erver-Williams, sie sind vermutlich genau wie die anderen
umgekommen, was wir aber erst mit Sicherheit sagen können, wenn sie obduziert worden
sind. Der Gerichtsmediziner Dr. Seth Talbot schätzt den Todeszeitpunkt so ungefähr kurz
nach Mitternacht ein“, erklärte Doggett schnell und blieb dann vor der Leiche stehen. „Tja
und an dem ‚Wieso‘ arbeiten wir noch.“
„Wo ist der zweite Körper?“, fragte Mulder.
„Das hier ist Mr. Erver-Williams, seine Frau liegt etwa zweihundert Meter in die
Richtung“, Doggett deutete mit seinem Finger in die Richtung und als sie seinem
ausgestrecktem Arm folgten, sahen sie, wie Agent Reyes von dort auf sie zukam. Sie sah
nicht glücklich aus.
„Es scheint genau wie bei den anderen zu sein“, stellte sie frustriert fest. „So wie es aussieht,
haben die beiden Opfer wohl ein mitternächtliches Picknick gehabt, um den Geburtstag
von Myrlie Erver-Williams zu feiern und sind dabei überrascht worden. Laut Dr. Talbot ist
Robert zu erst gestorben und seine Frau ist vor wem auch immer geflüchtet, ohne Erfolg.
Wie bei den anderen.“
„Irgendwelche Spuren?“, fragte Scully nicht weniger frustriert, da sie sich die Antwort
eigentlich schon vorstellen konnte.
„Wir sind noch nicht völlig mit der Sicherung fertig“, begann Monica, ließ dann aber den
Kopf hängen. „Aber außer den üblichen Fuß- und Hufabdrücken ist nichts zu finden und
ich würde auch nicht darauf wetten, dass wir etwas finden.“
„Fehlt etwas bei den Opfern?“, grübelte Mulder laut.
„Es ist schwer das herauszufinden, da wir nicht wissen, wonach wir suchen sollen.
Nachdem sie Susans Fußkettchen gefunden haben, haben wir die anderen Opfer überprüft,
aber nichts entdeckt, was auffällig gewesen wäre. Es ist nicht bekannt, ob sie Ketten oder
Armbänder oder irgendwelchen anderen Schmuck trugen, der jetzt verschwunden ist“,
erklärte Doggett und sah dann etwas überrascht zu, als Mulder niederkniete und die
Plastikplane über dem Opfer zurückschlug.
„Wonach suchst du?“, fragte Scully, während sie ihn beobachtete wie er methodisch die
Leiche betrachtete und dann die nähere Umgebung wo sie lag. Schließlich kehrte er zur
Leiche zurück, kniete erneut nieder und nahm Roberts linken Arm.
„Kein Ehering, ich bin mir hundertprozentig sicher, dass seine Frau auch keinen mehr
trägt“, schloss er und ließ den Arm wieder sinken.
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„Warum den Ehering?“, Scully sah ihn fragend an.
„Ich denke, der Täter nimmt Zeichen ihrer Liebe mit“, begann Mulder zu erklären und
hob schnell seine rechte Hand, um ihrem Einwand zuvor zu kommen. „Ich weiß, das
Fußkettchen passt nicht in dieses Bild, aber wenn wir einen Weg finden würden, Susan zu
fragen, dann würden wir mit Sicherheit erfahren, dass Greg ihr dieses kleine Geschenk
gemacht hat. Und ich möchte wetten, dass den anderen Opfern auch die Eheringe fehlen,
sowie kleinere Gegenstände, die sie als Liebesbekundungen mit sich trugen.“
„Schön. Selbst wenn es so wäre, warum sollte er das tun. Ich meine, es ist nicht selten, dass
Täter eine Art Trophäe von ihren Opfern mitnehmen, aber warum ein Zeichen ihrer
Liebe?“, fragte Monica noch nicht überzeugt.
„Das müssen wir noch herausfinden“, lächelte Mulder um sich dann ein Stück von ihnen zu
entfernen und erneut hinzuknien. „Scully“, rief er leise und sie folgte ihm und sah ihm über
die Schulter. „Sieht das nicht verdammt nach Hufabdrücken aus?“, er schenkte ihr ein
zufriedenes Grinsen.
„Ja, ich gebe zu, das tun sie, aber das heißt noch absolut gar nichts Mulder“, begann sie
und ging neben ihm in die Knie, um die Abdrücke genauer zu betrachten.
„Doch, sieh hier. Hier ist es ein normaler menschlicher Fußabdruck und nur einen Schritt
weiter ist es ein Hufabdruck und du willst mir erzählen, dass es nichts zu bedeuten hat?“,
er sah sie triumphierend an.
„Sie könnten gefälscht sein“, bot sie an.
„Und wie?“
„In jedem besseren oder schlechteren Kostümverleih kann man sich ein Teufelskostüm
komplett mit Pferdefußstiefeln ausleihen, es dürfte ein leichtes sein, sich diese Dinger zu
besorgen“, argumentierte sie.
„Mag sein, aber ich habe so ein Kostüm auch mal getragen“, dafür erntete er einen
amüsierten Blick von ihr. „Damals war ich neun und durchlebte meine erste störrische
Phase, ich wollte eigentlich als Alien gehen“, dafür bekam er ein breites Lächeln komplett
mit Zähnen. „Aber meine Mom war davon nicht sehr begeistert und meinte, der Teufel
würde im Moment wohl besser meiner Persönlichkeit entsprechen. Jedenfalls trug ich so
einen hässlichen roten Anzug, der eigentlich mehr eine Strumpfhose mit angenähtem
Schwanz und ein T-Shirt war und hatte auch die passenden Stiefel dazu. Worauf ich
eigentlich hinaus will ist, dass es sich wie auf rohen Eiern gelaufen hat, dadurch, dass die
Auftrittsfläche wesentlich kleiner ist als bei einem normalen Fuß. Ich weiß nicht genau
welche Schuhgröße ich damals hatte, aber die Hufe unter dem Stiefel waren nicht größer
als diese Abdrücke und da wir, denke ich, ein Kind als Täter ausschließen können, ist die
Idee mit den Stiefeln wohl ad acta zu legen. Mal abgesehen davon, dass der Täter gerannt
sein muss, soweit wie die Abdrücke auseinander liegen und wenn ich sage, mit den Stiefeln
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liefe es sich schlecht, meine ich damit, dass es völlig unmöglich ist damit zu rennen“,
beendete er seine Erläuterungen.
„Okay, also fallen die Stiefel weg, aber hast du nie Mission Impossible gesehen?“, fragte sie
und bekam diesmal einen amüsierten Blick von ihm.
„Den Film?“
„Die Serie. Jedenfalls gab es eine Folge in der sie Elektronen an Schuhen befestigt haben,
die, wenn sie sich erhitzten Hufabdrücke zurückließen“, erklärte sie.
„Also, wenn ich jetzt auch lieber auf die Tatsache eingehen möchte, dass du mir immer
vorhältst, dass die Serien, die ich sehe nicht im entferntesten der Realität entsprechen,
während du dich mit solch realen Sachen wie Mission Impossible bei Laune hältst, sieht
dieser Rasen für mich zwar platt gedrückt, aber nicht verbrannt aus.“
„Ich wollte damit ja auch lediglich verdeutlichen, dass es möglich ist Hufabdrücke zu
fälschen“, schob sie ein.
„Schön und ich will damit nur verdeutlichen, dass sie vielleicht auch echt sein könnten“,
antwortete er.
„Nehmen wir an, sie wären echt, was würde das denn bedeuten?“, fragte sie wieder etwas
frustriert, sie schienen nicht wirklich weiter zu kommen. Sie sah ihn an und er lächelte
verschmitzt und sie konnte es nicht fassen. Schnell stand sie auf und ignorierte das
Knacken in ihren Knien, die ihr verkündeten, dass sie allmählich zu alt dafür wurde,
irgendwo im Dreck zu knien.
„Mulder das ist nicht dein Ernst, oder? Sag nicht, dass der Spitzname, den sich dieser Fall
eingehandelt hat, tatsächlich zutrifft. Ich meine, du willst mir doch nicht wirklich weiß
machen, dass der Teufel an die Erdoberfläche gekrochen ist und nun Liebespärchen tötet.
Bitte sag, dass ich mit dieser Theorie falsch liege“, bettelte sie, doch sein stummer,
blitzender Gesichtsausdruck belehrte sie eines besseren, er war definitiv der Ansicht, dass
sie es hier mit dem Fürsten der Finsternis zu tun hatten, und dabei handelte es nicht um
Ozzy Osbourne.
„Ich muss dir doch wohl nicht erklären, wie absolut unmöglich das ist, oder?“ Es gab
Menschen, die offen für extreme Möglichkeiten waren und dann gab es Mulder.
„Ich wundere mich, dass gerade du diese Theorie nicht für möglich hältst“, konterte er und
auf ihren fragenden Blick führte er seine Ausführungen fort. „Wie kannst du jeden
Sonntag in die Kirche gehen oder unseren Sohn taufen lassen in dem Wissen ihn Gott zu
überantworten und dann nicht auch das andere Extrem in Betracht ziehen?“
„Das tue ich, glaube mir. Ich streite nicht ab, dass es den Teufel geben mag und dass er
Einfluss auf das Leben nimmt, es gibt zu viel Böses auf der Welt, um das zu tun. Aber was
ich abstreite, ist die Tatsache, dass er persönlich auf Erden wandeln soll. Gib mir
Besessenheit oder meinetwegen auch eine fanatische Sekte, aber Satan?“, sie schüttelte den
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Kopf. Er wollte gerade anfangen, seine Theorie weiter zu erklären als eine laute
Unterhaltung seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Offensichtlich war Hilfssheriff Daniel Luka heute überhaupt nicht in der Stimmung, noch
irgendjemanden den Tatort betreten zu lassen, der nicht so eine hübsche Marke wie er
besaß. Allerdings war er diesmal wohl auch im Recht, denn vor dem Absperrband stand
niemand anderes als Dr. Lennox-Boyd und einen Schritt hinter ihm seine Sekretärin –
Schrääägstrich – Verlobte.
Schnell liefen sie hinüber um zu erfahren, was sie wollten.
„Jetzt hören Sie mir mal zu Hilfssheriff Luka“, hörten sie Allan schon von weitem wettern
und seine Betonung lag auf Hilfssheriff.
„Nein, Sie hören mir zu, also ich weiß ja nicht, aus welcher Anstalt man Sie entlassen hat,
aber ich schlage vor, dass Sie sich schnellst möglichst wieder dorthin zurückverkriechen,
bevor ich mir einfallen lasse, Sie wegen Beamtenbeleidigung einbuchten zu lassen bis Sie
schwarz werden“, konterte Luka ernst.
„Das darf ja wohl nicht wahr sein. Hey Sie da“, er deutete auf Doggett, Reyes, Mulder und
Scully und winkte sie zu sich herüber. „Würden Sie diesem Gorilla hier bitte sagen, wer ich
bin?“
„So jetzt reicht es Freundchen“, begann Luka, doch Doggett legte ihm beschwichtigend eine
Hand auf die Schulter.
„Schon gut Daniel, nehmen Sie ihn nicht so ernst“, beruhigt er ihn und der Hilfssheriff gab
ein böses Schnaufen von sich, trollte sich dann aber davon und kam neben Sheriff Wally
zum Stehen, die einen kritischen Blick in ihre Richtung warf. Alle meine Freunde, dachte
Mulder trocken.
„Was wollen Sie?“, fragte er dann an den Doc gewandt.
„Was glauben Sie denn Mr. – nicht Agent – Mulder, ich möchte mir den schönen
Sternenhimmel ansehen“, konterte Allan.
„Sie wissen, dass Sie den Tatort nicht betreten dürfen“, meinte Monica gelassen.
„Ja, das weiß ich, Agent Reyes. Der Gorilla ohne Hirn hat das schon vor Ihnen
klargestellt“, giftete er.
„Dr. Lennox-Boyd, falls Sie nur hergekommen sind um uns zu beleidigen, dann schlage ich
vor, dass Sie wieder in Ihr Hotel oder wo auch immer Sie gerade wohnen, zurückkehren“,
schaltete sich Scully ein und die vier wandten sich ab. Sie waren noch nicht weit gekommen,
als sie ihn hörten.
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„Ich kann Ihnen helfen. Niemand kennt diese Fälle besser als ich, aber ich werde meine
Informationen nur tauschen. Ihr Wissen gegen meins“, bot er an und sie kehrten zum Band
zurück.
„Woher wissen wir, dass Sie nicht bluffen?“, fragte Doggett.
„Nun Ägend Doggett, was haben Sie schon zu verlieren. Soweit ich weiß, hängen Sie bei
Ihren Ermittlungen noch immer am Anfang fest und ich kann Ihnen sagen, dass Ihnen die
Zeit ausgeht. Das waren Opfer Nummer 17 und 18. Es wird nur noch einen weiteren Mord
geben und dann ist Ruhe. Wenn sie den Täter, wie Sie es nennen, also fangen wollen, schlage
ich vor, dass Sie auf meinen Deal eingehen“, erklärte er kalt.
„Also schön, Ihr Wissen gegen unseres“, ging Mulder ein.
„Okay“, stellte Dr. Lennox-Boyd auf einmal höflich und erfreut fest. „Kann man hier
irgendwo um diese Zeit einen Kaffee bekommen?“
71
Kapitel 12
Sie saßen alle gemeinsam im Salon des alten Herrenhauses. Alle zusammen? Nun nicht
ganz. Albert war oben in seinem Schlafzimmer und tat, was die meisten Menschen zu so
später Stunde taten: er schlief. Dottie war in der Küche und damit beschäftigt, Kaffee zu
kochen, um sich dann ebenfalls wieder in ihr Zimmer zurückzuziehen und wenigstens noch
eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Und Scully blieb der kleinen Versammlung fern, um
ihren Sohn zu stillen.
Der Rest, bestehend aus Mulder, Doggett, Reyes, Dr. Lennox-Boyd und Yvette de la
Beckwith waren im Salon verteilt. Mulder saß in dem alten Ohrensessel seines Onkels und
Yvette ihm gegenüber in dem Sessel, den Scully vor knapp zwei Stunden benutzt hatte.
Allan stand in einer strengen Pose (die ihn wichtiger aussehen ließ, als er eigentlich war und
er wusste es) vor dem großen Fenster und sah in die Nacht hinaus. Doggett und Reyes
saßen auf einem kleinen Sofa, das schräg hinter den beiden Sesseln stand.
Es herrschte eine unangenehme Stille, die nur ab und zu vom Knistern des Feuers
unterbrochen wurde, das träge vor sich hin brannte und versprach, bald in völlige Asche zu
zerfallen, sollte es nicht jemand wieder anheizen.
Schließlich kam Dottie zur Tür herein und balancierte ein Tablett auf ihren Händen,
welches sie auf einem kleinen Tisch vor dem Sofa abstellte. Sie kam schnell zu Mulder
hinüber, strich ihm in einer fast schon mütterlichen Geste über die Wange und meinte, „Ich
werde ins Bett gehen. Falls ihr noch irgendetwas braucht, ruf mich einfach.“ Dann fügte sie
an die Runde gewandt, „Ich wünsche eine angenehme Nacht“, hinzu und verschwand.
Jeder nahm eine Tasse vom Tablett, füllte sie mit Kaffee und kehrte dann auf seinen
vorherigen Platz zurück und die unangenehme Ruhe kehrte zurück, bis Mulder sich
räusperte.
„Also gut, Dr. Lennox-Boyd, Sie sagten, dass es noch einen Mord geben würde, woher
wissen Sie das?“ Allan drehte sich nicht zu ihnen um, sondern sah noch immer abgewandt
durch das große Fenster.
„Eine Gegenfrage, Mr. Mulder: Womit glauben Sie, haben Sie es hier zu tun?“, fragte er
gelassen.
„Nun Ihrer Meinung nach mit dem Teufel, so wie es aussieht“, antwortete er.
„Nicht nur meiner Meinung nach... Es ist der Teufel, der Leibhaftige, Luzifer oder wie auch
immer Sie ihn nennen mögen.“
„Mag sein, aber woher wissen Sie das?“, hakte Mulder nach und fühlte sich um Jahre in
der Zeit zurückversetzt. Wie lange war es her, seit er das letzte Mal ein Verhör geführt
hatte? Es musste eine Ewigkeit sein und dennoch konnte er sich an alles erinnern, was er zu
tun hatte.
72
„Mein Beruf, oder besser gesagt meine Berufung“, begann Allan und nahm einen Schluck
aus seiner Tasse. „Ich denke nicht, dass außer der netten Agent Scully, deren Fehlen ich
hier aufrichtig bedaure, jemand von Ihnen eine Ahnung hat, was genau ich eigentlich tue“,
er wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern fuhr einfach fort in der Annahme, dass seine
Behauptung der Wahrheit entspräche.
„Kaliophrag ist ein sehr alter Beruf. Es gibt Unterlagen darüber, dass er das erste Mal 500
v. Chr. aufgeführt wird und warum auch nicht, immerhin könnte es ihn seit Entstehung des
Menschengeschlechts geben. Wir, und damit meine ich die Menschen, waren schon immer
ein neugieriges Völkchen und wollten unsere Umwelt um jeden Preis erforschen. Dieser
Prozess dauert noch immer an, wenn wir uns nur einmal die Unsummen ansehen, die die
Regierungen der Welt jährlich ausgeben, um die Raumfahrt voranzutreiben.“
„Höre ich da eine Spur von Verbitterung?“, fragte Mulder trocken und Allan drehte sich
schnell zu ihm um und warf ihm einen bösen Blick zu.
„Sie scheinen nicht zu verstehen, Mr. Mulder“, erklärte er missbilligend. „Die Menschen
versuchen um alles in der Welt jedes noch so kleine Geheimnis herauszufinden, ohne an die
Folgen zu denken. Nehmen wir einmal an, in zwanzig Jahren würden wir auf eine
außerirdische Lebensform stoßen, was ich ehrlich bezweifle, aber nur für den Fall. Was
wäre, wenn wir dann bemerken würden, dass sie uns alles andere als freundlich gesonnen
sind, ja, dass sie uns sogar vernichten wollen?“ Während Allan sprach, spürte Mulder ein
unangenehmes Gefühl in seiner Magengegend. Vermutlich hatte der andere Mann nicht
einmal eine Ahnung, dass seine Theorie gar nicht so weit hergeholt war, wie er glaubte.
„Worauf ich eigentlich hinaus will ist, dass wir vielleicht lernen sollten, unsere Neugier auf
das Nötigste zu beschränken, bevor wir etwas finden, was uns vielleicht nicht gefallen
wird“, endete er.
„Wäre Ihr Beruf das Nötigste? Immerhin können Sie nicht abstreiten, dass Sie auch nach
einem Geheimnis suchen“, mischte sich Monica ein.
„Nun, im gewissen Sinne haben Sie recht. Aber ich versuche lediglich einen handfesten
Beweis zu finden, um die Neugier der Menschen zu stillen, damit sie aufhören können zu
suchen. Etwas was auch dringend nötig ist. Denken Sie nur an all diese dummen
selbstgegründeten Sekten, die dem Herrn der Finsternis dienen wollen, ohne überhaupt
eine Ahnung zu haben worauf sie sich da einlassen. Wenn ich ihnen zeigen könnte, was es
bedeutet Satan anzubeten, hätten wir vielleicht ein paar Spinner weniger auf der Welt.“
„Und das wäre ganz allein Ihnen zu verdanken“, stellte Mulder lächelnd fest.
„Sicher, der Ruhm wäre ein angenehmer Nebeneffekt, aber hauptsächlich geht es darum,
die Menschen aufzuklären.“
„Dann beginnen Sie am besten damit uns aufzuklären, indem Sie uns erzählen, was Sie
wissen“, kam Doggett schließlich auf den Punkt und Dr. Lennox-Boyd wollte gerade
anfangen als die Salontür aufging und Scully erschien. Sie warf Mulder einen Blick zu,
woraufhin er sich kurz entschuldigte.
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„Wir werden warten, Mr. Mulder“, kommentierte Allan sein Verschwinden.
„Was ist denn“, Mulder schloss die Tür hinter sich und sah sie dann fragend an.
„Ich habe gerade mit dem Gerichtsmediziner Dr. Talbot gesprochen und er bat mich, bei
der Autopsie der beiden letzten Opfer dabei zu sein, deshalb werde ich jetzt gleich rüber
fahren. William schläft tief und fest und ich hab mein Handy dabei falls irgendetwas sein
sollte“, erklärte sie schnell.
„Okay, sonst noch was?“, er drehte sich bereits wieder zur Tür um.
„Ja das“, sie drückte ihm eine kleines Plastikteil in die Hand, das sich als Babyfon
entpuppte. „Und das“, sie gab ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen.
„Was war das?“, fragte er lächelnd.
„Sieh es als Versprechen an“, antwortete sie und machte sich bereits auf den Weg zur
Eingangstür. Er sah ihr zu wie sie ging und kehrte dann in den Salon zurück, mit den
Fingern abwesend über seine Lippen streichend.
Im Salon nahm er wieder in seinem Sessel platz und stellte das Babyfon neben sich auf die
Lehne, wo er auch das kleinste Geräusch mitbekommen würde. Dann signalisierte er Allan,
dass er bereit war zuzuhören.
„Schön, also der erste Fall, wie Sie es nennen, ich nenne es Auftreten dieser Morde, ist im
Jahr 1849 dokumentiert worden, allerdings gibt es bruchstückhafte Überlieferungen, die
bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Aber wie gesagt, seit 1849 gibt es die ersten Beweise,
Notizen eines Polizisten aus Japan, der von Toten berichtete, die aussahen als würden sie
schlafen und denen kein Haar gekrümmt worden war. Nun, man könnte jetzt sicher sagen,
dass sie vielleicht einen natürlichen Tod gestorben sind, was jedoch unglaubwürdig
erscheint, wenn man das Alter der Opfer betrachtet. Aber sie könnten durchaus wegen
eines Herzversagens oder eines Hirnschlags das Zeitliche gesegnet haben. Die Medizin war
damals noch nicht weit genug fortgeschritten um das zu erforschen. Was jedoch gegen diese
Theorie spricht, ist die Tatsache, dass es zwanzig dieser Opfer gab und danach hörte es auf.
So war es seitdem immer, alle acht Jahre geschehen irgendwo auf der Welt zwanzig Morde
mit ungeklärter Todesursache, keine Zusammenhänge zwischen den Opfern, kein direkter
Modus Operandi, der auf jeden Mord passt, aber die Opfer fallen um wie die Fliegen“, er
räusperte sich kurz. „Tja und bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, den Täter
festzunehmen. Abgesehen davon, dass die meisten ermittelnden Gesetzeshüter keine
Ahnung davon haben, dass sie nicht die ersten sind, die sich mit diesem Problem
auseinander setzen müssen, kann sich der Großteil von ihnen auch nicht glauben, dass sie
es mit einem Täter zu tun haben, der älter ist als die Menschheit selbst.“
„Alle acht Jahre? Ich denke, ich hätte bereits etwas davon gehört“, stellte Mulder fest.
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„So glauben Sie das? Lassen Sie mich Ihnen erklären, wo die letzten Todesfälle gewesen
sind“, Allan lief in den Raum hinein und verpasste dem großen Globus einen Schwung,
wartete jedoch nicht, bis dieser zum Stillstand gekommen war. „Frankreich“, sprach er
langsam und Yvette zuckte kurz kaum merklich zusammen, doch den wachsamen Augen
der Zuhörer war es nicht entgangen. „Denken Sie wirklich, dass die Franzosen das FBI der
USA auf den Plan rufen würden, um ungeklärte Morde aufzudecken?“, fragte er ungläubig
und Mulder schüttelte zustimmend mit dem Kopf.
„Sehen Sie, man kann etwas darüber herausfinden. Wie man es eigentlich über alles kann,
man muss nur wissen, wonach man sucht.“
„Und wonach suchen wir nun genau? Was passiert mit den Opfern?“, fragte Reyes
ungeduldig.
„Ihnen werden die Seelen gestohlen“, kam die lockere Antwort. Aus dem Babyfon klang ein
leises Wimmern und das Gespräch verstummte, während alle auf das kleine Plastikgehäuse
sahen. Doch es blieb bei dem einen Wimmern und nachdem zwei Minuten lang kein
weiteres Geräusch übertragen worden war sahen sie Allan wieder an, mit den
unterschiedlichsten Emotionen. Unglaube, Überraschung, Erstaunen war auf ihren
Gesichtern zu lesen.
„Die Seelen gestohlen?“, hakte Mulder nach und wünschte, dass Scully jetzt neben ihm
sitzen würde, er hätte ihren Gesichtsausdruck nur zu gern gesehen.
„Ganz recht.“ Allan schenkte ihnen ein wissendes Lächeln, als hätte er keine andere
Reaktion erwartet. Er sah sogar so aus, als hätte er diese kleine Ansprache schon einige
Male gehalten und jedes Mal dieselbe Reaktion erhalten.
„Aber wie?“, fragte Doggett trotzig, er war nicht bereit auf so einen Blödsinn einzusteigen.
„Tja, dass kann ich Ihnen nicht erklären, ich bin schließlich kein Mediziner, obwohl ich
auch bezweifeln möchte, das es ein Mediziner erklären könnte. Ich meine, wie kann man
etwas stehlen, was zwar spirituell gesehen da ist, aber medizinisch keinen festen Platz hat.
Alles was ich weiß ist, dass einige indianische Stämme und ein paar Amish glauben, dass
man ihnen durch eine Fotografie die Seele raubt, aber inwiefern man diese Theorie
verwenden kann, bin ich nicht sicher.“
„Okay, nehmen wir einmal an, den Opfern würden wirklich die Seelen gestohlen werden“,
Monica legte eine kurze Pause ein, um ihre Gedanken zu ordnen. „Ich habe noch nie
gehört, dass der Verlust der Seele tödlich endet.“
„Da haben Sie sogar recht. Ich persönlich bin der Ansicht, dass die Konfrontation mit dem
absoluten Bösen der Todesfaktor bei diesem Aufeinandertreffen ist. Einfacher ausgedrückt,
ich denke, die Opfer erschrecken sich einfach zu Tode, wenn ihnen die Seele genommen
wird“, erklärte Allan ruhig.
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„Kommen wir noch mal auf die Zahl zurück“, schaltete sich Mulder wieder ein, der im
Gegensatz zu den Agenten keine Probleme damit hatte an den Seelenraub zu glauben.
„Warum müssen es immer zwanzig Seelen sein?“
„Sie sind gut“, gestand Allan ein. „Sie wissen, wann Sie die richtigen Fragen zu stellen
haben. Was ich Ihnen jetzt erzählen werde, werden Sie vermutlich noch weniger glauben,
als das, was ich Ihnen bisher erzählt habe.“
„Na das wird ja lustig“, meinte Doggett sarkastisch und erntete einen bösen Blick von Dr.
Lennox-Boyd.
„Das ist jetzt natürlich nur reine Spekulation“, er lachte kurz und humorlos auf, was
deutlich machte, dass er die Spekulationen für die Wahrheit hielt. „Angeblich hat nicht
Gott allein die Erde geschaffen, der Teufel soll ihm dabei geholfen haben. Sehen Sie, der
Teufel war nicht von Anfang an schlecht, so wie ein Säugling niemals böse auf die Welt
kommt. Sagen wir einfach, Satan ist Gottes schizophrener Zwillingsbruder. Sie erschufen
Himmel, Erde, Pflanzen, Tiere und schließlich den Menschen, doch dann entdeckte Satan
das Böse für sich und von da an hatte er mehr Spaß daran die Menschen zu quälen, als zu
fördern. Angeblich soll er die Schlange gewesen sein, die Eva den Apfel gab, aber das ist
nebensächlich.
Jedenfalls laut einem Mythos sollen zwanzig Seelen die Summe sein, die Gott dem Teufel
gemacht hat, damit dieser die Erde verlässt und sich von den Menschen fernhält“, Allan
lächelte verschmitzt.
„Sie meinen, Gott hat dem Teufel ein Angebot gemacht?“, fragte Mulder und konnte ein
Grinsen nicht unterdrücken.
„Ich weiß, das klingt ziemlich spektakulär, dass gerade der Schöpfer mit dem Urvater des
Bösen Geschäfte macht, aber das Überraschendste ist wohl, dass er sich dabei hat übers
Ohr hauen lassen, wie man so schön sagt“, sein Lächeln wurde ein Stück breiter.
„Sie meinen, er hat ihn reingelegt?“, fragte Monica, die sich plötzlich königlich amüsierte.
„Ganz genau, denn nachdem er seine Beute hatte, ist er von der Erde in die Unterwelt
verschwunden, aber unter der Vorraussetzung alle acht Jahre zwanzig Seelen als
Auffrischung zu bekommen.“
„Und Sie hatten vorher nicht abgemacht, dass es eine einmalige Sache wäre?“, kam
Mulders Einwand.
„Anscheinend war Gott wohl ein bisschen zu vertrauensselig“, kommentierte Allan und
zuckte mit den Achseln. „Allerdings ist es dem Teufel nicht möglich in seiner Gestalt die
Erde zu betreten, soviel hat Gott wenigstens erreicht. Er muss sich einen Körper suchen,
jemand, der bereit ist, sein gehorsamer Diener zu sein. Lediglich wenn er tötet nimmt er
seine ursprüngliche Gestalt an, weshalb ich mir auch ziemlich sicher bin, dass Sie
Hufabdrücke an den Tatorten gefunden haben, nicht wahr?“, er erntete ein
zufriedenstellendes Nicken. „Nachdem der Teufel den Körper wieder verlassen hat, kann
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sich der Körpersteller nur noch bedingt daran erinnern, was passiert ist, er weiß, dass
Menschen sterben, aber nicht wie oder warum.“
„Was passiert mit dem Körpersteller nachdem die zwanzig Seelen eingelöst sind?“, fragte
Doggett jetzt schon interessierter.
„Was glauben Sie Ägend Doggett? Er stirbt. Im gewissen Sinne ist Satan wie eine Sucht.
Wenn er deinen Körper besitzt, dann hast du das Gefühl der mächtigste Mensch der Welt
zu sein, die Gewalt über alle Naturgewalten zu besitzen. Nachdem er deinen Körper
verlässt bist du schwach. Er erhält die Verbindung und ein kleinen Teil des Machtgefühls
solange aufrecht, wie er den Körper braucht, wodurch der Körpersteller einer starken
Persönlichkeitsveränderung unterliegt. Schließlich wenn er ihn nicht mehr braucht, dann
bricht er die Verbindung einfach ab und der Körpersteller stirbt an Entzugserscheinungen,
gegen die die eines lebenslänglichen Drogenabhängigen wie Kinderzuckungen aussehen
würden“, schloss er seine Erklärung.
„Warum gerade alle acht Jahre?“, fragte Mulder, dessen Denken im gewaltigen
Überholmodus lief.
„Wenn man die 8 auf die Seite kippt, dann bekommt man das Unendlichzeichen,
vermutlich ein Hinweis darauf, wie lange der Teufel vor hat, dieses Spielchen mit uns zu
treiben.“ Ein erneutes Geräusch unterbrach ihn. Das Babyfon. Und diesmal schrie William,
ein überraschtes und frustriertes Schreien und Mulder war in zwei Sekunden aus dem
Salon und oben im Schlafzimmer, die Gedanken an das eben Gehörte zurückstellend.
77
Kapitel 13
Oben hob er seinen Sohn aus dem Bettchen heraus und begann damit ihn zu beruhigen.
„Schon okay, Buddy“, er drückte ihn sachte gegen seine Brust und das Baby wurde ein
wenig ruhiger, hörte aber nicht auf zu weinen. Mit geschickten Fingern tastete Mulder nach
der Windel, um den Übeltäter zu finden, der seinem Engel das Leben schwer machte.
„Gut, dann versuchen wir das gleiche wie vorhin, aber bitte versprich mir, mich nicht
wieder mit deiner Windel zu beschmeißen“, er schenkte dem kleinen Mann ein bittendes
Lächeln, das dieser jedoch völlig ignorierte.
Er wollte gerade im Badezimmer verschwinden, als Monica das Zimmer betrat. Er sah sie
fragend an.
„Dana ist am Telefon“, erklärte sie kurz und reichte ihm das schnurlose Telefon, dann
deutete sie auf das Baby in seinem Arm. „Soll ich ihn vielleicht windeln?“
„Ich würde jetzt wirklich gern ja sagen, aber er hasst es von anderen gewickelt zu werden.
Ich meine, ich bin sogar der Überzeugung, dass er es hasst von mir gewickelt zu werden,
aber da seine Mami ja nicht da ist, wird er wohl mit mir vorlieb nehmen müssen, aber
danke“, erklärte er schnell, nahm das Baby auf seinen rechten Arm und mit der linken
Hand das Telefon. Er schenkte ihr ein dankendes Lächeln und verschwand dann ins
Badezimmer. Zuerst platzierte er William auf der Kommode und dann das Telefon an sein
Ohr.
„Ja“, er klemmte das Telefon zwischen Schulter und Wange um beide Hände zum Kampf
frei zu haben.
„Wer wird mit dir vorlieb nehmen müssen?“, ertönte Scullys amüsierte Stimme.
„Claudia Schiffer hoffe ich“, antwortete er trocken und sie lachte kurz. „Hast du was
herausgefunden?“, er begann den Strampler auszuziehen.
„In der Tat“, sagte sie triumphierend. „Ich habe mich mal ein wenig über unseren Dr.
Lennox-Boyd und seine Sekretärin/Verlobte informiert und wie ich es mir dachte, darf er
sich überhaupt nicht Doktor nennen. Es gibt keine Unterlagen über irgendeinen Doktortitel.
Soweit ich herausfinden konnte, ist er nicht mal ein richtiger Kaliophrag, soweit man in
dieser freien Berufsbranche überhaupt echt oder unecht sein kann. Aber die meisten
Kaliophragen besitzen ein Religionsstudium oder wenigstens gewisse Grundkenntnisse was
die Bibel angeht. Mr. Lennox-Boyd hingegen besitzt nicht mal eine ordentliche
Ausbildung.“
„Was willst du damit sagen?“, fragte Mulder, der den Strampler inzwischen ausgezogen
hatte, wobei Will es ihm nichtmal besonders schwer gemacht hatte. Irgendwie schien der
kleine Mann zu wissen, dass seine Mom am anderen Ende des Telefons war und dass sie
etwas wirklich Wichtiges besprechen mussten. Er öffnete die Klettverschlüsse der Windel
und schickte ein kurzes Stoßgebet gen Himmel, dass ihn diesmal nicht wieder so eine
warme Überraschung erwartete. Er hatte Glück.
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„Ich will damit sagen, dass unser selbst ernannter Kaliophrag in England in eine reiche
Familie geboren wurde, ein miserabler Schüler war und seitdem das Vermögen seiner
Familie durchbringt indem er wie wild in der Weltgeschichte rumreist. Er ist ein
Scharlatan, Mulder“, schloss sie.
„Kann ja sein, aber ich glaube, dass er trotzdem die Wahrheit erzählt, Scully.“ Er erklärte
ihr in der Kurzfassung, was Allan ihnen mitgeteilt hatte und ignorierte dabei wissentlich
ihr skeptisches mmhmm, das immer kam, wenn er eine besonders heikle Stelle anschnitt.
„Es wird nur noch einen Mord geben und wenn wir nicht in 8 Jahren wieder in eine Stadt
wollen um den Teufel zu jagen, dann müssen wir ihm trauen“, beendete er seine
Ausführungen.
„Das ist doch Wahnsinn, selbst wenn es wahr wäre, was er erzählt hat, was ich bezweifeln
möchte. Wer sollte der Täter sein? Wir haben keinen Verdächtigen und wir können wohl
auch schwer einen Steckbrief ausstellen auf eine Person, die völlig unscheinbar ist, sich
aber in Satan verwandelt bevor er seine Opfer tötet“, merkte sie an.
„Nun, Mr. Lennox-Boyd meinte, dass die besessene Person eine
Persönlichkeitsveränderung durchlebt, eine ziemlich starke sogar. Ich bin der Meinung,
dass das doch ziemlich auffällig sein dürfte“, konterte er.
„Aber nur weil sich jemand auffällig verhält, wird das noch lange nicht der Polizei
gemeldet und Beaumont ist weiß Gott zu groß, um an jeder Tür nach merkwürdigem
Verhalten zu fragen.“
„Ich denke, es ist trotzdem keine schlechte Idee mal mit dem Sheriff zu sprechen“, beendete
er die Diskussion und in dem Moment auch das Windeln wechseln bei seinem Sohn.
„Meinetwegen, aber bitte schick Monica oder John hin“, willigte sie ein.
„Warum?“, fragte er verblüfft. Könnte es sein, dass sie vielleicht eifersüchtig auf sein
letztes Zusammentreffen mit dem Sheriff war?
„Weil ich nicht glaube, dass Sheriff Wally allzu erfreut sein würde, dich wieder beim
Rumschnüffeln zu erwischen. Und dass sie dir dabei auch noch behilflich sein wird, liegt
wohl völlig außerhalb des Bereichs des Möglichen“, stellte sie trocken fest.
„Werde ich machen“, er nahm William auf den Arm und das Telefon wieder in die Hand.
„Hast du bei deinen Untersuchungen etwas herausgefunden?“
„Nicht wirklich. Abgesehen davon, dass wir drei Pärchen haben, bei denen
Familienmitglieder ausgesagt haben, dass sie sich am Tag ihres Todes verloben wollten, bei
den Opfern aber keine Ringe gefunden wurden. Das ist zwar eine Abweichung der Norm
und könnte auf den Geisteszustand des Täters hinweisen, vielleicht möchte er die Menschen
davor bewahren, Ehen zu schließen oder Ähnliches. Allerdings ist Beaumont wie gesagt
eine große Stadt und es könnte sich auch einfach nur um einen Zufall handeln. Naja und
was die Todesursache angeht, bis auf den hohen Adrenalinwert, den alle weiblichen Opfer
79
aufwiesen, gibt es keine weiteren Indizien wie sie gestorben sind.“ Er wusste nicht warum,
aber er war sich vollkommen sicher, dass sie sich gerade frustriert durch die Haare
gefahren war. Er konnte sie sich richtig vorstellen, wie sie in einem dieser hässlich grünen
OP Kittel stand, vermutlich lässig eine Hand auf dem Tisch abgestützt, die andere mit dem
Handy am Ohr. Die schönen Haare straff nach hinten gebunden, die Medizinerbrille auf,
mit der sie immer ein bisschen wie eine Formel-1-Pilotin aussah.
Hätte jemand gewusst, wie sehr er mit seiner Vorstellung recht hatte, wäre dieser jemand
bestimmt erstaunt gewesen und ein wenig zurückgewichen. Denn Dana Scully sah
tatsächlich so aus, exakt dieselbe Haltung und Aussehen.
„Allerdings werde ich noch auf die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung warten“,
riss sie ihn aus seinen Träumereien.
„Bei deiner toxikologischen Untersuchung hast du nicht zufällig nach Schwefel gesucht,
oder?“, fragte er langsam.
„Nein, wieso auch; Schwefel ist nur in den seltensten Fällen tödlich“, erklärte sie, konnte
aber bereits absehen, in welche Richtung diese Unterhaltung jetzt gehen würde. Allerdings
war sie weit davon entfernt sich wieder von ihm überreden zu lassen, einen völlig
überflüssigen Test zu machen, um eine Theorie von ihm zu unterstützen, die absolut an den
Haaren herbei gezogen war.
„Dann schränkt das den Kreis ja bereits ein“, antwortete er und sie beschwor sich nicht auf
ihn reinzufallen.
„Du scheinst nicht zu verstehen, Mulder. Wenn ich in den seltensten Fällen sage, dann
meine ich so gut wie nie und schon gar nicht unter diesen Umständen“, konterte sie und
gratulierte sich, bis jetzt konnte sie ihm gut die Stirn bieten, aber noch war das Gespräch
auch nicht zu Ende.
„Wie meinst du das?“ Sie konnte William ihm Hintergrund leise Wimmern hören und
überlegte, was sie wohl gerade taten.
„Es gibt schon bestimmte Schwefelverbindungen, die tödlich sein können, aber dann
könnte man das bereits vor der Autopsie erkennen, da die Körper fürchterlich stinken.
Anders ist das bei Schwefelwasserstoff, der Geruch verflüchtigt sich nach zwei bis drei
Stunden, aber es muss in wirklich großen Mengen eingeatmet werden und das in einem
kleinen Raum über längere Zeit damit es zum Tode führt. Und keines der Opfer wurde
drinnen getötet und dann auf die Lichtung transportiert. Insofern fällt mir nichts ein, was
diese Untersuchung rechtfertigen würde“, endete sie und grinste, es gab keine Möglichkeit,
wie er an diesen bewiesenen Fakten vorbeikommen konnte.
„Mach es einfach“, bat er und sie stieß einen ungeduldigen Seufzer aus, er wäre nicht
Mulder, wenn er nicht wenigstens versuchen würde über den Kopf der Wissenschaft
hinweg zu entscheiden. Dass er aber auch immer so stur sein musste, ganz zu schweigen
davon, dass er es nach neun Jahren immer noch nicht gelernt hatte bitte zu sagen, wenn er
etwas von ihr wollte. „Bitte, Dana“, fügte er hinzu, anscheinend war er wenigstens ein
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bisschen lernfähig. Mal abgesehen, dass es ihm überhaupt nicht schwer viel ihren
Vornamen zu benutzen, wenn er etwas von ihr wollte.
„Mulder, ich weiß, wie gern du diesen Fall mit dem Teufel und der Hölle in Verbindung
bringen willst, besonders nachdem, was dieser Lennox-Boyd dir erzählt hat, aber das ist
unmöglich“, versuchte sie es sanft. Noch war sie nicht am Ende.
„Lass es uns wenigstens versuchen“, flehte er.
„Ich möchte einfach nicht, dass du dich zu sehr darauf verlässt und dann enttäuscht wirst.“
Sie musste ihn einfach von dieser wahnwitzigen Idee abbringen.
„Es wäre nicht das erste Mal und wenn der Test ohne Ergebnis bleibt, können wir uns
anderen Theorien widmen, aber dann können wir wenigstens sagen, dass wir alles versucht
haben um Susans Mörder zu finden“, argumentierte er und sie wusste bevor er überhaupt
zu Ende gesprochen hatte, dass sie verloren hatte. Wie eigentlich immer. Wenn es um seine
Theorien ging war ihm kein Argument billig genug diese durchzusetzen.
„Okay, aber schraub deine Hoffnungen nicht zu hoch“, willigte sie schließlich geschlagen
ein.
„Ach, du bist einfach die Beste.“ Sie konnte sein Grinsen hören.
„Ja sicher, gib Will einen Kuss von mir“, antwortete sie bissig, konnte sich aber ein kleines
Lächeln nicht verkneifen. Dann legte sie auf um einige neue Proben für einen Test zu
nehmen, der sie in ihren Augen kein Stück weiter bringen würde, aber was tat man nicht
alles, um den Mann, den man liebte, ruhig zu stellen.
81
Kapitel 14
Er hatte William ins Bett gelegt, hätte am liebsten einen Freudentanz aufgeführt, dass er sie
überzeugt hatte, den Test für ihn zu machen, verkniff es sich aber, aus Angst, seinen Sohn
wieder aufzuwecken.
Als er das Zimmer verließ, öffnete sich schräg gegenüber eine weitere Tür (die er eigentlich
für Dotties Tür gehalten hatte) und sein Onkel kam heraus, sah ihn und schloss die Tür
hinter sich.
„Gibt es wieder neue Opfer?“, fragte er und klang noch älter, als er eigentlich war. Mulder
nickte lediglich stumm. „Irgendwelche neuen Spuren?“
„Nicht wirklich, aber wir haben jetzt eine Theorie, der wir nachgehen werden und
hoffentlich haben wir Erfolg“, antwortete er, machte sich aber nicht die Mühe die Theorie
zu erklären, da er seinen Onkel gut genug kannte, um seine Reaktion darauf einzuschätzen.
Welche sicher alles andere als aufgeschlossen gewesen wäre, denn so gern er Susans Tod
auch aufgeklärt sehen wollte, so konservativ war er auch gegenüber außergewöhnlichen
Phänomenen. Und ihm zu erklären, dass sie glaubten, dass Satan höstpersönlich seine
Enkelin getötet hatte stand ganz unten auf Mulders Wunschliste.
„Ich habe vollstes Vertrauen in dich. Ich werde meinen alten Knochen jetzt noch etwas
Schlaf gönnen“, meinte Albert und lief Richtung Treppe, öffnete jedoch eine andere Tür
(hinter welcher Mulder von Anfang an sein Schlafzimmer vermutet hatte) und verließ mit
einem letzten Nicken in seine Richtung den Flur.
Mulder fragte sich kurz, was sein Onkel wohl in Dotties Zimmer gesucht hatte, befand
dann aber, dass es ihn nichts anging und ging zur Treppe. Schließlich kehrte er nach unten
in den Salon zu den anderen zurück, um noch ein wenig Klarheit zu erlangen. Fragende
Blicke sahen ihn an, als er das Zimmer betrat.
„So, er schläft wieder“, fühlte er sich lächerlicherweise genötigt zu sagen. „Ähm, Dr.
Lennox-Boyd“, er achtete sorgsam darauf das Doktor nicht zu vergessen, immerhin wusste
der Mann ja nicht, dass er wusste, dass dieser gar keinen Doktortitel besaß und er wollte
ihn nicht verärgern, immerhin fehlten ihm noch einige Informationen.
„Warum werden immer Paare getötet?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon zu kennen
glaubte.
„Nun immer Mr. Mulder, ist nicht ganz richtig. Tatsächlich handelt es sich erst seit einiger
Zeit um Paare, etwa solange wie sie und ich auf dieser Welt sein dürften. Davor hat es
einfach zufällig irgendwelche Opfer getroffen. Es ist ein alter Mythos, dass die Seele am
kräftigsten ist, wenn man verliebt ist, tja und wie es aussieht, scheint an diesem Mythos
auch etwas dran zu sein.“ Allan lächelte kurz in Yvettes Richtung, die es unsicher
erwiderte.
„Und warum nimmt er Trophäen mit sich?“ Jetzt horchte Allan interessiert auf.
82
„Er nimmt Trophäen mit sich?“, fragte er neugierig. „Das ist bis jetzt noch nicht passiert,
jedenfalls nicht so weit ich weiß. Was sind das für Trophäen?“
„Ringe, Armbänder, hauptsächlich Dinge, von denen ich annehme, dass es Liebesgeschenke
gewesen sind. Beweise dafür sozusagen“, erklärte Mulder und erntete einen misstrauischen
Blick von Doggett und Reyes, aber er zuckte nur abwesend mit den Schultern. Warum
sollte er es ihm nicht erzählen? Er war vielleicht ein Scharlatan, aber er war sicherlich
niemand, der diese Informationen an die Presse weitergeben würde. Außerdem hatten sie
eine Abmachung, die sein Wissen gegen ihres tauschte und Mulder war selbst schon zu oft
die Person gewesen, die Informationen preisgab und dann nichts zurückerhielt, um das
jetzt genauso zu machen.
„Hmm, das könnte vielleicht auf den Täter deuten, oder genauer gesagt auf den
Körpersteller. Es soll vorgekommen sein, dass der Körpersteller einen gewissen Einfluss auf
den Teufel hat, obwohl Einfluss nicht das richtige Wort ist. Der Teufel sieht auch in die
Seele seines Dieners hinein und wenn diese Seele besagt, dass sie diese Trophäen möchte,
wird er sie vermutlich unterschwellig mitgenommen haben. Aber warum gerade Ringe oder
Liebesbeweise, wie sie es nennen“, grübelte Allan und schritt unruhig im Salon auf und ab.
„Vielleicht hat er selbst seine Liebe verloren“, meinte Reyes und alle Augen richteten sich
auf sie. „Nun ich meine, das könnte doch sein. Wenn dieser Körpersteller verliebt gewesen
ist, diese Liebe ihn verlassen hat und er sich darum an den Teufel gewendet hat, dann
würde das die Trophäen erklären.“
„Das ist gut.“ Allan klang fast hysterisch vor Freude.
„Ich möchte, dass Sie beide ins Büro des Sheriffs fahren“, kommentierte Mulder und
deutete auf Reyes und Doggett. „Versuchen Sie Personen zu finden, die auffällig geworden
sind in irgendeinem Sinn, der zu diesem Fall passen könnte.“
„Mulder, das ist wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen“,
widersprach John.
„Ich weiß, aber es ist die einzige Möglichkeit und der einzige Anhaltspunkt den wir im
Moment besitzen. Falls Sie eine bessere Idee haben, dann bin ich dafür auch offen“, bot er
an und John ließ den Kopf hängen.
„Suchen Sie nach einem Mann“, fügte Allan hinzu.
„Wieso?“, fragte Monica und hoffte inständig, dass jetzt kein Machokommentar kommen
würde. Nach der Geschichte glaubte sie nicht, dass sie den wirklich vertragen konnte.
„Statistik“, antwortete er gelassen.
„Und Sie, Dr. Lennox-Boyd könnten vielleicht versuchen herauszufinden, wie man dem
Teufel eine Falle stellen kann, sofern das möglich sein sollte, natürlich“, meinte Mulder nun
an den Engländer gewandt.
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„Ich habe mal kurzfristig einen Artikel überflogen, in dem es jemanden vor ungefähr
achtzig Jahren gelungen sein soll, das zu tun. Ich werde sehen, ob ich diesen Artikel
irgendwo auftreiben kann“, antwortete Allan sofort und schien begeistert davon zu sein,
dass er auch eine Rolle abbekommen hatte.
Sie begaben sich alle zur Tür und zogen sich an, obwohl es für September noch
ungewöhnlich warm war, wurde es in den Nächten schnell ziemlich kühl und morgens um
fünf war es sogar schon verflucht kalt.
„Sobald jemand von Ihnen etwas herausgefunden hat, melden Sie sich“, meinte Mulder.
„Agent Doggett wird Ihnen seine Karte geben, dann können Sie sich über ihn mit uns in
Verbindung setzen“, erklärte er Allan. Dieser nickte und nahm das kleine weiße Kärtchen,
das John ihm gab.
„Was werden Sie tun?“, fragte Monica.
„Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung“, gestand Mulder. „Ich werde auf William
achtgeben und auf Scully warten, tja und nebenbei werde ich mir Gedanken darüber
machen, wie wir die Begegnung mit dem Allmächtigen des Bösen überleben werden, sollte
es uns denn wirklich gelingen ihn anzulocken“, witzelte er trocken und sah zu, wie die vier
in unterschiedliche Autos stiegen und davon fuhren.
Als er die Tür schloss, breitete sich wieder das unangenehme Gefühl in seinem Magen aus,
das er schon seit sie den Fall angenommen hatten spürte. Nur dieses Mal konnte er ihm
einen Ursprung zuordnen. Er fürchtete, dass sich sein trockener Witz in die Realität
verwandeln konnte, bevor ihm etwas eingefallen war.
Zwei Stunden später war Scully bereit, einfach tot umzufallen, sollte sie nicht wenigstens
fünf volle Stunden am Stück schlafen können. Sicherlich war sie wenig Schlaf gewöhnt, mit
Baby blieb einem gar nichts anderes übrig, als sich daran zu gewöhnen, aber der
Unterschied zwischen wenig und fast gar nicht, war doch größer, als sie erwartet hatte.
Zumindest fühlte sie sich, als hätte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen.
Erschöpft hievte sie sich hinter dem Lenkrad hervor und lief in langsamen Schritten zur
großen Holztür hinüber. Gerade als sie vor der Tür stand und überlegte, wie sie am besten
klopfen sollte, ohne gleich den gesamten Hausrat aufzuwecken wurde das schwere Holz
geöffnet und Dottie lächelte ihr warmherzig entgegen.
„Hab ich also doch richtig gehört. Ich kam gerade die Treppe hinunter und da dachte ich,
ich hätte ein Auto kommen gehört und nun sieh‘ einer an, anscheinend ist mein Gehör doch
noch nicht so verkalkt“, plapperte diese auch sofort drauflos.
„Hey“, grüßte Dana lächelnd und fragte dann etwas besorgt „Warum sind Sie so früh
schon auf?“
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„Seit Susans Tod schlafe ich nicht mehr besonders gut“, war alles, was die ältere Frau als
Erklärung gab und Scully nickte zustimmend. Sie wusste wie schwer es war über den Tod
eines Familiemitgliedes hinweg zu kommen und Susan war offensichtlich für Dottie ein Teil
ihrer Familie gewesen. Jede ihrer Bewegungen und jedes Wort, das sie über Susan verlor,
gab Aufschluss darüber.
„Wo ist Mulder?“, fragte Scully sanft und daraufhin schenkte Dottie ihr wieder ein
Lächeln.
„Nun, als ich das letzte Mal nach ihm gesehen habe, das dürfte so etwas über eine Stunde
her sein, da saß er fest eingeschlafen auf dem Sofa im Salon und wie der Vater so der Sohn:
William schläft ebenfalls friedlich“, verkündete sie immer noch lächelnd und Scully
erwiderte es müde. Also schliefen ihre Männer allesamt ruhig, während sie sich die Beine in
den Bauch arbeitete.
„Ich denke, Sie sollten auch etwas Schlaf bekommen, Sie sehen furchtbar aus Kindchen“,
stellte Dottie dann nach einem prüfenden Blick auf sie fest. Wieder Kindchen, dachte
Scully, anscheinend war das hier so gängig.
„Genau das habe ich vor“, erwiderte sie und lief bereits zum Salon hinüber. Leise öffnete
sie die Tür, schenkte Dottie ein kleines Abschiedslächeln bevor sie sie wieder schloss und
drehte sich dann zu dem schlafenden Mann auf dem Sofa um.
Oh ja, er war fest eingeschlafen und er sah einfach atemberaubend aus. Sein Haar war
völlig zersaust, weil er vermutlich wie immer beim Nachdenken mit den Fingern hindurch
gefahren war und das mehr als nur ein Mal. Er hatte die ersten beiden Knöpfe seines Shirts
geöffnet und der Kopf war nach hinten auf die Lehne gerollt, wodurch sie einen guten Blick
auf seinen Hals werfen konnte. Sein Mund war leicht geöffnet, die Augen bewegungslos
geschlossen, er träumte nicht. Die Arme lagen schlaff an seiner Seite und die Beine waren
ein Stück gespreizt, damit er nicht vom Sofa rutschte. Es war der sinnlichste und zugleich
friedlichste Anblick, den sie jemals gesehen hatte.
Es war nur verdammt schade, dass sie damit im Moment gar nichts anfangen konnte, so
gern sie auch über ihn hergefallen wäre, schafften es ihre müden Knochen gerade mal, sie
zu ihm zu bringen und sich nebenbei gerade noch ihrer Jacke zu entledigen. Geschlagen
ließ sie sich neben ihm auf das Sofa gleiten, legte die Beine hoch und ihren Kopf in seinen
Schoß. Dann nahm sie seine linke Hand und legte sie schützend wie eine Decke unter ihrem
Arm hindurch, so dass sie zwischen ihren Brüsten zum Liegen kam und behielt sie mit ihrer
umschlossen. Er regte sich währenddessen nicht ein einziges Mal.
Kurz darauf war sie eingeschlafen, doch fünf Stunden Schlaf sollte sie keinesfalls
bekommen.
85
Kapitel 15
Das Geräusch des Telefons war einfach nur grausam, wenn man dadurch aus einem
traumlosen jedoch in der kurzen Zeit von drei Stunden kaum erholsamen Schlaf gerissen
wurde und Scully war bereit, das Ding einfach an die Wand zu schmeißen, es zu ignorieren
und später die Konsequenzen dafür zu tragen.
Mulder hingegen fuhr erschrocken auf und sie war sich sicher, dass er im ersten Moment
nicht mal genau wusste, wo er sich befand. Doch sofort schnellte seine Hand in Richtung
Telefon, welches auf dem Tisch lag, der vor dem Sofa stand. Doch schnell wurde ihm
bewusst, dass er mit dem Gewicht in seinem Schoß weder das Telefon erreichen konnte,
noch dass er es musste. Denn das Klingeln kam aus ihrer Jackentasche. Besiegt stand sie
auf und nahm das Handy aus ihrer Tasche.
„Scully?“, fragte sie und konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. „Wirklich? Okay, wir
sind gleich da.“ Sie legte auf und gähnte dann noch einmal ausgiebig, wobei sie ihre
Knochen streckte, die mit lautem Knacken protestierten, dann wendete sie sich ihrem
immer noch verwirrten Partner zu, der sie fragend ansah.
„Ich bin eingeschlafen“, stellte dieser schockiert fest.
„Sieht ganz so aus“, stimmte sie zu und kehrte zu ihm auf die Couch zurück, sich auf seinen
Schoß setzend. „Aber mir wurde erklärt, dass einschlafen nichts Schlimmes ist und dass
man sich dafür nicht entschuldigen oder ein schlechtes Gewissen haben muss“, meinte sie
lächelnd und küsste seine Nase, dann legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Er erwiderte
das Lächeln, legte seine Arme um ihren Körper und vermied die offensichtliche Frage
solange, wie er nur konnte. Doch schließlich konnte er es nicht mehr hinauszögern.
„Wer war am Telefon?“
„Doggett. Sie haben drei Verdächtige, die aufgrund einer vermutlichen
Persönlichkeitsänderung aufgefallen sind“, erklärte sie seufzend und erhob sich wieder von
seinen Beinen. „Das wird ein langer Tag.“
„Ich befürchte fast, du hast recht“, stimmte er zu und erhob sich ebenfalls vom Sofa, seine
Knochen der gleichen Tortur unterziehend, wie sie vor ihm. Dann warf er einen Blick auf
seine Armbanduhr und stellte schockiert fest, dass es bereits 12 Uhr war und er somit mehr
als 4 Stunden in seiner ungesunden Haltung auf dem Sofa verbracht hatte, was die
Schmerzen in seinem Nacken weitestgehend erklärte.
„Ich werde Dottie Bescheid geben, damit sie ein Auge auf Will hat“, meinte sie und
verschwand aus dem Salon auf der Suche nach der netten älteren Frau, während Mulder
die Treppen hinauf stieg, um schnell noch einen Blick auf seinen Sohn zu werfen, nur zu
seiner Sicherheit.
Leise öffnete er die Tür und blieb dann lächelnd stehen. Das Baby lag munter und ruhig in
seinem Bett und sah ihn mit großen blauen Augen durch die Gitterstäbe hindurch an. Als
Mulder näher herantrat, schien er seinen Dad zu erkennen und begann fröhlich zu lachen.
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„Hey Buddy, schon wach?“ Schon wach war allerdings eine Untertreibung, der kleine
Mann hatte drei Stunden länger geschlafen als er es für gewöhnlich tat. Vermutlich waren
das noch immer die Nachwirkungen des Jetlags. Sachte hob er ihn aus seinem Bett und
hielt ihn über seinen Kopf, woraufhin der kleine Junge glücklich jauchzte. Mulder wackelte
ein wenig mit seinen Armen hin und her, so dass sein Sohn wie ein Flugzeug schaukelte;
natürlich würde es noch einige Zeit dauern, bis Will es als Flugzeug spielen verstehen
würde, was ihm aber nicht den Spaß nahm. Seinem Vater übrigens auch nicht.
„Wenn du nicht aufpasst, wird er dir auf den Kopf spucken“, stellte Dana amüsiert fest und
er sah über seine Schulter zur Tür, während er die Arme langsam sinken ließ.
„Ich denke sowieso, dass Haargel überschätzt wird, es geht doch nichts über retrogefrühstückte Muttermilch um den Glanz im Haar zu erneuern“, witzelte er und sie
verdrehte die Augen.
„Du klingst wie ein Werbespot“, tadelte sie und kam zu ihren beiden Männern hinüber.
William war hoch erfreut seine Mami zu sehen und hielt in kindlicher Wackelei seine Arme
nach ihr ausgestreckt, seine Hände zu Fäusten ballend und sie wieder öffnend, als würde er
nach ihr greifen.
Lächelnd nahm sie ihren Sohn aus den Armen seines Vaters, setzte ihn so, dass sein
Gewicht auf ihrer Hüfte ruhte, ein Bein hinter und ein Bein vor ihrem Körper und
vollführte das allmorgendliche Ritual. Zuerst roch sie an seinen paar Haaren, etwas, das sie
liebte, weil er einfach zu gut nach Eau de Baby roch, wovon sie nie genug bekommen
konnte. Danach folgte ein gekonnter Griff an seine Windel, um festzustellen, ob er bald
quengelig werden würde, doch die Watte gab weich unter dem Druck ihrer Finger nach.
Schließlich steckte sie ihren Zeigefinger in seinen Mund und als er ernsthaft daran zu
saugen begann wusste sie, dass es Frühstückszeit war. Sie gab ihm noch schnell einen Kuss
auf die Stirn und reichte ihn dann zurück zu dem großen Mann, der sie beide fasziniert
beobachtet hatte.
„Ich vermute es ist Stillzeit“, meinte sie und wollte zum Bett gehe gehen, als er seine Finger
mit ihren verschlang und sie zu sich zog.
„Bekomm ich kein Gutenmorgen-Küsschen?“, fragte er und verzog seine Lippen zu einem
Schmollmund.
„Rein Theoretisch ist es schon Mittag“, erklärte sie, sah aber an seinem Blick, dass ihn das
wenig interessierte. „Und wenn ich mich recht erinnere, hast du schon eins bekommen“, sie
tippte zur Erinnerung mit dem Zeigefinger auf seine Nase.
„Das war doch kein Gutenmorgen-Küsschen“, stellte er kritisch fest und sie schenkte ihm
einen fragenden Blick. „Das war ein Hast-du-gut-geschlafen-die-Nacht-war-viel-zu-kurzKüsschen“, erklärte er ernst.
„Okay, also Guten Morgen“, meinte sie und ließ einen flüchtigen Kuss über seine Lippen
gleiten.
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„Das war auch noch nicht so ganz, was ich meinte“, er sah sie immer noch unzufrieden an.
„Und was hast du gemeint?“, fragte sie.
„Na das“, er zog sie kräftig an seinen Körper, passte auf, dass er Will dabei nicht
zerquetschte, schlang den Arm, der nicht damit beschäftigt war seinen Sohn zu halten, um
ihre Taille und presste seine Lippen auf ihre in einem stürmischen, leidenschaftlichen Kuss,
der ihre Knie weich werden ließ.
„Das nenn‘ ich einen guten Morgen“, stellte er fest, als sich ihre Lippen wieder von
einander lösten.
Frisch geduscht und in neue Kleidung gehüllt, kamen sie eine Stunde später im
Polizeipräsidium an, das sich Scullys Meinung nach kein Stück zum Besseren verändert
hatte. Eher das Gegenteil: das Gebäude machte einen noch zerfalleneren Eindruck als sie es
in Erinnerung hatte. Anscheinend hatten die Bauarbeiter beschlossen, eine Woche Pause
einzulegen, allerdings waren seit ihrem letzten Besuch auch erst knapp 24 Stunden
vergangen und außerdem hatte sie sich zu diesem Zeitpunkt auch um ganz andere Dinge
gesorgt als um das Aussehen eines alten Gebäudes.
Nun, nachdem ihr Sohn gefüttert und in den sicheren Armen von Dottie ruhte und vor
allem, nachdem Mulder sich direkt neben ihr befand und nicht hinter Gittern, hatte sie
Zeit, sich mit dem Fall auseinander zu setzen und nebenbei auch noch mit den
vernachlässigten Bauten, die ihn begleiteten.
Es dauerte danach nicht mal zwei Minuten, bevor sie das Büro von Sheriff Wally betraten,
das kleine Männchen am Empfang wissentlich ignorierend.
Donna Wally saß in ihrem Bürosessel über ihren Schreibtisch gebeugt, neben ihr thronte
ihr ergebener Hilfssheriff Luka und ihnen gegenüber auf den beiden Stühlen, die vor zwei
Tagen noch Mulder und Scully eingenommen hatten, saßen jetzt Doggett und Reyes.
Als sie das Büro betraten, richteten sich alle Augen auf sie, jedoch mit unterschiedlichen
Reaktionen. Sheriff Wally warf einen beinahe schon gierigen Blick auf Mulder und einen
missbilligenden auf Scully, Hilfssheriff Luka tat es genau andersherum und die beiden
Agenten schienen einfach nur glücklich zu sein, endlich mit ihren Erklärungen anfangen zu
können. Mulder und Scully gesellten sich neben sie.
„Schön, dass Sie da sind“, begrüßte Doggett sie kurz und kam dann zur Sache, „also wie
schon gesagt haben wir drei Verdächtige. Nummer eins heißt Gregor McTollin“, er zeigte
ihnen ein Foto von einem Mann in mittleren Jahren, mit leicht angegrauten Schläfen,
weichen Gesichtszügen und einem schwarzen Vollbart, der in der Mitte ebenfalls zu
ergrauen begann. „Mr. McTollin arbeitete im hiesigen Kernkraftwerk. Er hatte vor 2 ½
Monaten einen Arbeitsunfall und hat vor vier Tagen versucht, seinen Chef mit einem
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Fleischmesser zu erstechen“, er zeigte ihnen das Foto auf dem die Tatwaffe abgebildet war.
„Es ist ihm nicht gelungen und zurzeit ist er bis zu seinem Prozess auf freiem Fuß.“
„Ich denke, das ist er nicht“, meinte Mulder nachdenklich.
„Und wieso nicht?“, fragte Sheriff Wally.
„Warum sollte ein Mörder, der in der Lage ist, Menschen ohne jegliche Hilfsmittel,
jedenfalls soweit wir wissen, zu töten, zu einem Fleischmesser greifen um einen Mann zu
ermorden, der nicht in das Profil der Opfer fällt?“, erklärte Scully für ihn und er schenkte
ihr ein zufriedenes Lächeln.
„Ich wusste nicht, dass es ein Profil der Opfer gibt“, stellte Wally missmutig fest.
„Nun ja, bis jetzt waren es immer Pärchen, oder?“, gab ihr Doggett einen Wink und sie
nickte ergeben. „Allerdings denke ich trotzdem, dass es nicht schaden kann, den Mann zu
überprüfen“, meinte er dann in Mulders Richtung gewandt und dieser zuckte nur mit den
Schultern.
„Nummer zwei“, fuhr Reyes nun fort „heißt Ivan Kruchovitch, ist gebürtiger Russe und
lebt seit zwei Jahren ohne Aufenthaltsgenehmigung in den USA, was jedoch niemals
aufgefallen wäre, wenn der gute Ivan“, sie zeigte ihnen eine Foto eines jungen, etwa
zwanzigjährigen Mannes mit braunen Haaren und kalten Augen, „nicht vor drei Wochen
beschlossen hätte, sich nackt und mit einem großen Schild um den Hals auf die I 10 zu
stellen. Er sah sich nämlich als Gottes Bote dazu auserkoren uns darüber aufzuklären, dass
ER uns, ich zitiere „holen“ wird. Obwohl nicht aus ihm rauszukriegen war, wen er mit ER
gemeint hat. Jetzt droht ihm auf jeden Fall die Abschiebung. Also, meiner Meinung nach
klingt das schon ziemlich nach unserem Mann“, schloss sie ihre Ausführungen.
„Tja und dann wäre da noch Nummer drei“, schaltete sich Doggett wieder ein und zeigte
ihnen ein Foto auf dem ein junger unscheinbarer Mann mit kurzen braunen Haaren, die zu
einem Seitenscheitel gekämmt waren, und einer Brille zu sehen war. Überhaupt besaß er
ein sehr gepflegtes Äußeres. „Mit dem Namen Giles... einen Moment“, er blätterte eine
Seite weiter „Dellanoy. Giles Dellanoy. Scheint eher der ruhige Typ zu sein, war mit seiner
Freundin in einem Café und sie scheinen sich wohl über irgendetwas gestritten zu haben,
jedenfalls dachte die Bedienung, dass er wohl jeden Moment handgreiflich werden würde
und hat die Polizei gerufen. Seit diesem Tag ist er nicht mehr zur Arbeit erschienen und
sein Chef meinte, sollten wir ihn finden, könnten wir ihm gleich mitteilen, dass er sich einen
neuen Job suchen kann. Außerdem ist er laut seiner Vermieterin auch nicht mehr zu Hause
gewesen“, endete er.
„Wünsche?“, fragte Reyes sarkastisch.
„Ich denke, dass es das Beste wäre, wenn Scully und ich uns den ruhigen Typen
vornehmen, während Sie beide sich um Mr. McTollin kümmern und ich wäre Ihnen sehr
dankbar, Sheriff Wally“, er schenkte ihr ein warmes Lächeln „wenn Sie und Hilfssheriff
Luka unseren aufdringlichen Russen übernehmen würden.“
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Die Runde stimmte zu und trennte sich. Scully blieb überrascht im Flur stehen, als sie
bemerkte, dass er ihr nicht folgte. Sich suchend nach ihm umsehend, sah sie ihn etwas mit
Doggett bereden, dann kam er zu ihr.
„Schön, also wie wollen wir anfangen? Ich meine, haben wir die Adressen von
irgendwelchen Verwandten, bei denen er sein könnte?“, fragte sie.
„Besser. Wir haben die Adresse seiner Freundin“, antwortete Mulder triumphierend und
lief bereits zum Wagen.
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Kapitel 16
„Aran Fuller?“, fragte Scully, als eine junge, auf eine anspruchslose Art, hübsche Frau die
Tür öffnete.
„Ja, das bin ich“, antwortete die Frau und in ihren Augen glitzerte Neugier, aber auch eine
Spur Unsicherheit.
„Ich bin Agent Dana Scully und das ist Fox Mulder, wir würden Ihnen gerne ein paar
Fragen über Giles Dellanoy stellen, wenn es Ihnen recht ist.“ Ihr Ton machte
unmissverständlich, jedoch höflich klar, dass Miss Fuller mit Sicherheit Zeit haben würde
ihre Fragen zu beantworten, während sie ihren Ausweis vorzeigte.
„Okay, kommen Sie rein“, jetzt wirkte Aran kein Stück mehr unsicher, stattdessen sah sie
eher genervt aus. Sie betraten das Haus und Aran geleitete sie ins Wohnzimmer, wo sie alle
zusammen Platz nahmen. Mulder und Scully auf der Couch, Aran ihnen gegenüber auf
einem Sessel. „Was kann ich für Sie tun?“
„Sie sind die Freundin von Mr. Dellanoy, richtig?“, fragte Mulder sanft.
„Ex-Freundin“, korrigierte ihn Aran.
„Gut, Ex-Freundin. Wann haben Sie sich getrennt?“
„Vor knapp 2 Monaten, nach einer ziemlich üblen Beziehung, wenn ich das mal so sagen
darf.“ Während sie in ihren Erinnerungen kramte, entging ihr der Blick, den ihre
Gegenüber bei ihrer Zeitangabe austauschten.
„War das nach dem Streit, den Sie im Vito Schifani Café hatten?“, schaltete sich Scully ein.
„Ja, aber es war ohnehin nur eine Frage der Zeit. Im Café hat er mir einen Antrag
gemacht, aber zu dem Zeitpunkt haben wir beide schon gewusst, dass es nichts bringen
würde. Zumindest habe ich es gewusst und seinen Antrag abgelehnt. Das was der Grund,
warum wir uns gestritten haben. Wissen Sie, Giles ist nicht gerade jemand, mit dem man
den Rest seines Lebens verbringen möchte. Er ist langweilig, überhaupt nicht spontan und
kein bisschen kreativ. Was nicht bedeutet, dass er ein schlechter Mensch ist, oder so. Ich
meine, am Anfang lief es ja ganz gut, die Schmetterlinge im Bauch und das alles“, erzählte
sie.
„Und was passierte dann?“
„Sagen wir mal, er hat den Schmetterlingen schnell die Flügel gebrochen und sie dazu
gebracht sich in meinen Bauch zu übergeben“, eine nähere Erklärung gab sie nicht.
„Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?“, fragte Scully weiter.
„Vor vier Tagen“, Aran schauderte leicht, als sie daran dachte und Mulder und Scully
tauschten wieder einen Blick aus.
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„Was ist passiert?“, mischte er sich nun wieder in die Befragung ein.
„Na ja, wissen Sie ich bin keines Falls eine von denen, die um der alten Zeiten willen wieder
mit ihrem Ex-Freund ins Bett hüpft und sicherlich wäre Giles der Letzte von meinen ExFreunden, den ich dafür auswählen würde, ums zu versuchen. Aber an diesem Tag war
irgendwie alles anders.“ Sie stockte und errötete leicht. „Ich weiß gar nicht, wie ich das
erklären soll, aber er war so völlig verändert. Wissen Sie, wir hatten niemals ein besonders
aufregendes Sexleben. Giles war gegen alles Neue, wenn Sie verstehen, was ich meine“,
beide nickten verständnisvoll. „Außerdem hat er nie die Initiative ergriffen, er war einfach
nur langweilig. Aber als er an diesem Tag zu mir kam war er wie... verwandelt. Ich kann es
nicht erklären, aber ich denke, dass ich nie wieder mit einem anderen Mann ins Bett gehen
kann ohne daran zu denken. Ich meine, hatten Sie schon mal das Gefühl, dass Ihr
Liebhaber jeden ihrer geheimsten Wünsche kennt und ihn erfüllt?“ Sie wandte sich speziell
an Scully, die erst mal kräftig rot anlief. Aran fuhr unbeirrt fort „Giles tauchte hier so
gegen neun auf und als er ging, knappe zwölf Stunden später, konnte ich mich kaum noch
bewegen. Ich laufe heute noch ein bisschen komisch.“ Diesmal errötete sie nicht.
„Sie meinen, er war nur hier, um mit Ihnen zu schlafen?“, Scullys Stimme klang aufrichtig
schockiert.
„Hmm, eigentlich habe ich darüber noch nicht so genau nachgedacht, aber jetzt, wo Sie es
ansprechen, glaube ich, dass es so war.“ Aran schien im Gegenzug kein bisschen darüber
schockiert zu sein.
„Sie klingen nicht gerade besorgt angesichts dieser Tatsache“, stellte Mulder kritisch fest.
„Na ja, wenn Sie mal so ein markerschütterndes Erlebnis hatten, dann werden Ihnen die
näheren Umstände, die dazu geführt haben, auch egal sein, glauben Sie mir“, ihr Blick
schweifte gedankenversunken durch den Raum.
„Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wo sich Ihr Ex-Freund jetzt aufhalten könnte?“, fragte
Scully, erhielt jedoch keine Antwort.
„Miss Fuller?“, fragte Mulder und die abwesenden Augen hefteten sich auf ihn und wurden
langsam wieder klarer.
„Ich denke, Sie sollten jetzt gehen. Ich habe alles gesagt, was man sagen kann und um
ehrlich zu sein, ich habe noch andere Dinge zu tun“, ihre Stimme klang um dreißig Grad
kälter als noch einige Minuten vorher, als sie sie in ihr Haus gebeten hatte.
„Darf man fragen was Sie so wichtiges zu tun haben?“, hakte Scully nach.
„Das ist nichts, was das FBI etwas anginge“, wies Aran ab und erhob sich bereits, um dann
in schnellem Schritt zur Tür zu gehen. Mulder und Scully waren noch nicht ganz draußen,
als sie die Tür ebenso schnell wieder schloss.
„Was war das denn?“, fragte sie irritiert und erhielt nur ein unwissendes Schulterzucken.
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Sie liefen den kleinen Weg hinunter zu ihrem Wagen und Scully wollte gerade die Tür
öffnen, als sie ihn hinter sich spürte. Gefährlich nah sogar, er drang ohne zu zögern in
ihren Freiraum ein, lehnte sich ein Stück vor und presste seinen Oberkörper gegen ihren
Rücken. Sie war zwischen ihm und dem Auto gefangen.
„Na Scully“, hauchte er mit einer Stimme die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
„Hast du schon mal so ein markerschütterndes Erlebnis mit einem Liebhaber gehabt? So
leidenschaftlich, dass du danach nicht mehr gehen konntest?“ Seine Hüfte rieb sich so
unauffällig wie in der Öffentlichkeit möglich gegen ihre und erzeugte trotz allem ein
warmes Gefühl in ihrem Unterleib, so warm in der Tat, dass sie einige Sekunden brauchte,
um seine Frage zu verarbeiten.
„Hmm, vor ziemlich langer Zeit schon“, konterte sie und schob ihre Hüfte zurück gegen
seine.
„Hmm, so gut?“ Seine Hände legten sich auf das Auto jeweils neben ihren Schultern und sie
konnte ein Zittern nicht unterdrücken, als seine Lippen zärtlich ihren Hals berührten.
„Ich weiß nicht, es war eine ziemlich... oh“, sie musste ihren Gedanken erst wiederfinden,
da er diesen mit seiner Zunge, die unaufhörlich an ihrer Haut hinaufrieb verscheucht hatte.
„Es war etwas einmaliges, am nächsten Morgen trennten wir uns und das war es für eine
verdammt lange Zeit. Er könnte also einfach nur Glück gehabt haben.“ Sie begann, ihre
Hüften langsam und erotisch gegen seine zu kreisen und er stöhnte sanft.
„Glück? Ich denke, das war Können“, protestierte er und bewies seine These mit einem
kräftigen Rucken seiner unteren Körperregion gegen ihre und sie hätte beinahe
aufgeschrien.
So schnell wie er gekommen war, verschwand er auch wieder aus ihrem Bereich. Ließ die
Arme vom Auto gleiten, nahm seine Lippen von ihrem Hals und trennte ihre Hüften. Dann
ging er locker, als wäre nichts passiert, um das Auto herum. Nur die kräftige Beule in
seiner Hose betrog seine Lässigkeit.
„Wir sollten vielleicht etwas tiefer in dieser Sache nachforschen, aber nicht hier draußen“,
erklärte er und setzte sich ins Auto.
Für einen kurzen Moment war sie wie erstarrt. Konnte sich nicht bewegen. Doch nach
einigen Sekunden befahl sie ihrem Körper sich zu beruhigen, es war schließlich nicht das
erste und auch sicher nicht das letzte Mal, dass er sie so verrückt machte. Schließlich
gehorchten ihr ihre Arme und Beine wieder und sie öffnete die Beifahrertür und ließ sich
schwerfällig in den Sitz fallen. Mulder schenkte ihr ein kleines Lächeln.
„Also, ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber für mich deuten die Beschreibungen von Miss
Fuller schon auf eine ziemliche Persönlichkeitsänderung hin, oder nicht?“
„Das tun sie, aber wir wissen nicht inwieweit ihre Beschreibungen stimmen.“ Sie sah seinen
fragenden Blick und seufzte. „Ich meine damit, dass sie auf mich nicht gerade einen
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vertrauenswürdigen Eindruck gemacht hat und solange wie Giles Dellanoy nicht persönlich
gesehen haben, können wir auch nicht feststellen, ob sie nicht maßgeblich übertrieben hat.“
„Warum sollte sie das tun?“
„Das weiß ich auch nicht, aber vielleicht nimmt sie irgendwelche Drogen. Die könnten
zumindest den Höhenflug erklären, auf dem sie gerade drauf zu sein scheint und das
könnte vielleicht auch die vermeintlichen Veränderungen erklären, von denen sie glaubt,
dass sie sie an ihrem Ex-Freund entdeckt hat“, erklärte sie sachlich, während Mulder den
Wagen anließ und ihr ein schelmisches Grinsen zeigte.
„Ich denke, die einzige Droge, die Miss Fuller in letzter Zeit konsumiert hat, war
atemberaubender Sex, Scully.“
94
Kapitel 17
Kaum hatten sie sich in Bewegung gesetzt, da klingelte ihr Handy.
„Scully?“ fragte sie.
„Agent Reyes hier. Ich wollte lediglich nachfragen, wie weit Sie mit dem Interview
gekommen sind.“ Sie klang ziemlich frustriert, was Scully nicht gerade ein positives Gefühl
über den Ausgang der Untersuchung gab. Mulder bog in eine Seitenstraße, wendete und
fuhr wieder in Richtung Aran Fullers Haus, sie warf ihm einen fragenden Blick zu, den er
aber vorerst ignorierte.
„Nun ja, wir sind gerade fertig geworden, allerdings war Aran Fuller keine besonders
große Hilfe. Sie scheint keine Ahnung zu haben, wo sich Giles Dellanoy zurzeit aufhalten
könnte“, gab sie zu. Mulder hielt am Straßenrand ein Stück von Arans Haus entfernt, so
dass sie es zwar noch sehen konnten, von innen aber nicht gesehen werden konnten.
„Wir haben leider auch keine besseren Neuigkeiten. McTollin hatte zwar einen
Arbeitsunfall, allerdings hat jemand wohl vergessen zu erwähnen, dass er dabei sein
Augenlicht verloren hat. Was der eigentliche Grund dafür war, warum er den Angriff auf
seinen Chef nicht ausführen konnte. Des Weiteren haben wir gerade mit Sheriff Wally
geredet und so wie es aussieht, ist Ivan Kruchovitch seit heute Morgen wieder auf
russischem Boden und in einer psychiatrischen Anstalt“, schloss sie ihre Erklärung und
nun konnte Dana ihre Frustration beinahe spüren. „Sind Sie auf dem Weg zurück?“
„Einen Moment bitte“, Scully legte eine Hand über die Sprechmuschel und sah ihren
Beifahrer mit hochgezogener Augenbraue an. „Fahren wir nicht zurück zum Revier?“
„Nein“, antwortete er kurz.
„Und hättest du auch die Güte mir zu erklären, warum nicht?“
„Ist das Agent Reyes?“, stellte er die Gegenfrage und sie nickte ein wenig genervt, es gab
nichts Schlimmeres und nicht Verdächtigeres, wenn Mulder die Klappe nicht aufbekam. Er
war schließlich nicht dafür bekannt mit seinen Theorien oder Taten hinter dem Berg zu
halten. „Sag ihr, sie und Agent Doggett sollen herkommen.“
„Warum sollte ich das tun?“
„Ich möchte einfach deinen Verdacht ausschließen und wenn Aran Fuller tatsächlich lügen
sollte, dann wird die furchtbar wichtige Angelegenheit, die das FBI nichts angeht, todsicher
etwas mit Giles Dellanoy zu tun haben. Und falls das der Fall ist, hätte ich gern jemanden
hier, der zu einer Überwachung berechtigt ist“, erklärte er schließlich.
„Okay, aber wenn das in eine Sackgasse führt, dann…“, sie beendete die Drohung nicht
und hob stattdessen das Telefon wieder ans Ohr. „Monica?“
„Ja?“
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„Können Sie beide zum Haus von Aran Fuller kommen?“
„Sicher, haben Sie doch etwas gefunden?“
„Nun sagen wir mal, wir folgen einer Ahnung“, gab Scully widerwillig zu und rollte mit den
Augen angesichts dieser Formulierung. Dabei entging ihr zu seinem Glück das kleine
Grinsen, das über Mulders Gesicht huschte.
„Wir machen uns sofort auf den Weg“, antwortete Monica und beendete das Gespräch.
„Okay, also sie sind unterwegs.“ Sie schaltete das Telefon aus und verstaute es in ihrer
Jackentasche. „Woher der plötzliche Sinneswandel?“ Er schenkte ihr einen leicht
gekränkten Blick.
„Nun entgegen aller und vermutlich auch deiner Vermutung bin ich durchaus lernfähig, es
dauert zwar manchmal ziemlich lange, aber es passiert. Es ist viel zu oft vorgekommen,
dass ich deine Anmerkungen ignoriert oder zu spät beachtet habe und das ist mehr als ein
Mal zu meinem Schaden geworden, deshalb habe ich beschlossen deinem weiblichen
Instinkt zu vertrauen“, erklärte er und sie sah ihn ungläubig an.
„Ich bin geschmeichelt.“ Die Skepsis hatte sich wie eine alte Bekannte zurück in ihre
Stimme geschlichen.
„Möchtest du mir unterstellen, dass ich nicht in der Lage bin mich zu ändern?“, fragte er.
„Nein, es wäre nur das erste Mal“, stellte sie grinsend fest und er sah gespielt beleidigt aus
dem Fenster. Sie öffnete ihren Sicherheitsgurt, rutschte ein Stück näher zu ihm, legte eine
Hand behutsam auf seinen Arm und brachte ihren Mund nah an sein Ohr. „Versteh‘ mich
nicht falsch, ich bin dir sehr dankbar, dass du meinem Instinkt vertraust“, sie schenkte
seinem Ohr einen kleinen Kuss. „Wirklich sehr dankbar.“
Er drehte seinen Kopf in ihre Richtung und verzog seine Lippen zu einem Schmollmund,
seine Augen jedoch verrieten etwas ganz anderes. Er freute sich auf eine Demonstration
ihrer Dankbarkeit. Langsam und zärtlich verwandelte sie seinen Schmollmund in einen
sinnlichen Kuss, als ihr aus den Augenwinkeln heraus etwas auffiel.
Aran Fuller verließ gerade zügig ihr Haus.
Sofort löste sie ihren Mund von seinem, zog sich auf ihren Sitz zurück und deutete mit dem
Finger in Arans Richtung. Er folgte ihrem Hinweis und sah, wie die junge Frau gerade in
ihren alten, roten Golf einstieg.
„Meine Güte, dein weiblicher Instinkt ist nicht nur treffsicher er ist auch noch verdammt
schnell“, murmelte er, während er das Auto anließ.
„Vergiss das nie“, lächelte sie und schnallte sich wieder an.
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Mulder fädelte sich in den Verkehr ein und nahm die Verfolgung des Fahrzeugs auf.
Glücklicherweise schien die junge Frau nicht sehr misstrauisch zu sein und bemerkte gar
nicht, dass sie verfolgt wurde. Als sie bereits einige Minuten gefahren war, fiel Scully
wieder ein, dass sie ja die beiden Agenten zum Haus gebeten hatten. Schnell zog sie ihr
Telefon aus der Tasche und rief Agent Reyes an.
„Reyes?“, meldete sie sich bereits nach dem ersten Klingeln.
„Aran Fuller hat gerade ihr Haus verlassen und fährt in einem roten Golf. Wir haben uns
hinten dran gehängt. Es kann unter Umständen möglich sein, dass sie doch den
Aufenthaltsort von Giles Dellanoy kennt und wenn das der Fall ist, wird sie uns vielleicht zu
ihm führen“, erklärte Scully schnell.
„Wo sind Sie gerade?“
„Einen Augenblick“, sie wartete auf die nächste Kreuzung und sah auf die Straßenschilder.
„Wir befinden uns momentan auf der Denverstreet in Richtung Stadtzentrum.“ Sie konnte
hören wie ein Handy im Hintergrund klingelte und erkannte es sofort als das FBI–
Standard-Klingeln, also konnte es sich nur um Doggetts Telefon handeln.
„Wir sind gerade losgefahren und müssten in zehn Minuten dort sein“, bestätigte Monica.
„Sie sind in zehn Minuten hier“, gab sie an Mulder weiter, doch der schüttelte den Kopf.
„Sag ihnen, sie sollen noch warten bis wir eine direkte Adresse haben, ansonsten ist das nur
ein hirnloses hin- und herjagen.“
„Monica, es wäre besser, wenn Sie und Doggett noch solange warten würden, bis wir uns
sicher sein können, dass es sich wirklich um Giles Dellanoy handelt“, erklärte sie.
„Okay. Dr. Lennox-Boyd hat gerade angerufen und wir sollen Mulder ausrichten, dass er
einen Weg gefunden hat und im Haus von Albert van Bolt wartet. Melden Sie sich, wenn
Sie Näheres wissen“, und damit hatte Monica aufgelegt.
Scully warf ihrem Sitznachbarn einen irritierten Blick zu, sie hatte gar kein gutes Gefühl.
Auch wenn sie nicht wusste, was Dr. Lennox-Boyd herausgefunden hatte, so konnte allein
die Tatsache, dass er etwas herausgefunden hatte, wovon Mulder ihr nichtmal erzählt hatte,
dass er es suchen würde, nichts Gutes bedeuten. Ihr Magen vollführte ein altbekanntes,
nervöses Zucken.
„Mulder“, sie ließ ihn bereits an ihrer Stimme erkennen, dass er vermutlich in
Schwierigkeiten war und er erkannte den Ton auf der Stelle, nahm seine Augen kurz von
der Straße und sah sie prüfend an, definitiv abschätzend, wie tief er sich wieder reingeritten
hatte.
„Dr. Lennox-Boyd, ich meine Mr. Lennox-Boyd hat anscheinend einen Weg gefunden.
Wofür, weiß ich nicht, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du es weißt?“ Entgegen
ihren Erwartungen sah er sogar erfreut aus.
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„Wo ist er?“, fragte er hastig.
„Ähm“, seine unerwartete Reaktion warf sie kurzzeitig aus der Bahn. „Er wartet im Haus
deines Großonkels.“ Sie biss sich auf die Lippe, eigentlich wollte sie die Frage nicht stellen.
Vermutlich würde ihr die Antwort sowieso nicht gefallen. Ach verdammt! Ihre Neugier war
manchmal wirklich hinderlich. „Mulder, obwohl ich weiß, dass ich es wahrscheinlich nicht
wissen will, aber von was für einem Weg sprechen wir hier?“
„Welches ist die einzige Möglichkeit dem Morden ein Ende zu setzen?“, fragte er und bog
rechts ab, noch immer dem roten Golf folgend.
„Den Täter zu schnappen“, gab sie überrascht zurück. Wenn er jetzt wieder anfing, sie wie
eine Mutter statt eine Agentin, die so etwas natürlich im Schlaf wusste, zu behandeln,
würde sie ihn kastrieren. Liebe hin oder her.
„Ganz genau und wie macht man das am geschicktesten?“, führte er seine lächerliche
Fragerei fort.
„Mit einer Falle“, antwortete sie trocken und ganz plötzlich wurde das Zucken in ihrer
Magengegend stärker.
„Die Kandidatin erhält 100 Punkte. Ich habe Dr. Lennox-Boyd-“
„Er ist kein Doktor“, sie wusste nicht, warum sie das immer wieder erwähnte, aber
irgendwie fühlte sie sich danach besser. Immerhin würde kein echter Verfechter der
Wissenschaft solche wilden Theorien aufstellen, oder? Obwohl sie wusste, dass das gelogen
war. In den letzten Jahren hatte sie wahrlich genug von solchen kennengelernt, doch
ausgerechnet dieser bereitete ihr Sorgen.
„Okay, also ich habe Mr. Lennox-Boyd gebeten, wenn möglich, einen Weg zu finden, mit
dem man diesem Wesen eine Falle stellen kann“, erklärte Mulder und bog nun wiederum
links in eine Straße ein, immer in einiger Entfernung zu Aran Fullers Wagen.
„Wir reden hier immer noch von einem Menschen, oder?“
„Meinetwegen, auf alle Fälle scheinen wir nun einen Schritt weiter gekommen zu sein,
diesen Menschen zu fangen“, ging er auf ihren Kompromiss ein.
„Ich dachte, dass wären wir auch ohne-“, weiter kam sie nicht.
Der kleine rote Golf hatte angehalten.
98
Kapitel 18
Aran hatte ihren Wagen vor einem kleinen Geschäft neben einer winzigen Gasse geparkt
und stieg gerade aus, als Mulder das Auto in einiger Entfernung an den Straßenrand
lenkte. Sie stiegen nicht sofort aus, mit begründetem Verdacht, denn mochte Aran während
der Fahrt noch nicht besonders misstrauisch gewesen sein, so drehte sie sich nun hastig
zwei Mal um, um zu sehen, ob ihr jemand folgte. Im geschulten Auge ihrer Verfolger ein
ziemlich deutliches Eingeständnis, dass sie nicht ganz so unwissend war, wie sie vorgab.
Dann betrat sie ein kleines Geschäft, das jegliche Art von Ramsch zu verkaufen schien, laut
Ladenschild auch Antiquitäten genannt, aber das lag wohl im Auge des Betrachters.
Nachdem sie inmitten der prachtvoll alternden Gegenstände verschwunden war, verließen
Mulder und Scully ihren Wagen. Sie griff augenblicklich nach ihrem Handy und wählte die
Nummer, die ihr allmählich zu vertraut wurde.
„Reyes“, kam die prompte Antwort.
„Wir sind in der Dellewarestreet. Aran Fuller hat gerade ein Geschäft betreten, dass sich
PosAntiques nennt“, gab sie die kurze Beschreibung. Sie wollte eigentlich so wenig Zeit wie
möglich vergeuden, obwohl sie nicht mal genau wusste, warum. Sie konnte hören, wie
Monica kurz den Hörer von ihrem Ohr weg hielt und „Dellewarestreet“ weitergab,
vermutlich an Doggett. Dann war sie wieder klar vernehmlich.
„Wir müssten in ungefähr fünfzehn Minuten dort sein“, war alles was sie sagte, bevor sie
auflegte. Scully ließ ihr Handy zurück in ihre Jackentasche gleiten und warf einen Blick auf
ihren Partner, der sie gespannt anschaute.
„Sie sind in fünfzehn Minuten hier“, stellte sie fest und strich sich geistesabwesend eine
Strähne hinter ihr Ohr, eine Geste, die sie immer dann vollführte, wenn etwas sie aufregte
und langsam begann an ihren Nerven zu zehren.
„Eigentlich sollten wir warten, oder?“ Sein Gesichtsausdruck besagte, dass er eigentlich das
genaue Gegenteil dieser Aussage tun wollte.
„Mein rationaler Verstand schreit JA. Ich meine, es ist immer vernünftig auf
Rückendeckung zu warten, wenn man sich einem potentiellen Mörder nähert, außerdem
besitzen sie Waffen und die Erlaubnis sie zu benutzen. Wir sind noch nicht einmal
berechtigt ihn festzunehmen, wenn - falls - wir ihn sehen“, sie stoppte.
„Und was sagt dein Gefühl?“ Er sah sie prüfend an und sie seufzte ergeben.
„Mein Gefühl sagt mir, dass wir höchstwahrscheinlich keine fünfzehn Minuten haben.
Wenn sich Giles Dellanoy tatsächlich in diesem Laden aufhalten sollte, dann wird Aran
Fuller ihn vermutlich gerade in diesem Moment warnen. Und wir wissen nicht, ob dieses
Gebäude nicht vielleicht ein Hinterfenster oder eine Hintertür besitzt-“
„Mit anderen Worten, in fünfzehn Minuten kann er bereits auf Nimmerwiedersehen
verschwunden sein“, fiel Mulder ihr ins Wort und sie nickte. „Ich denke, dann ist unsere
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Entscheidung bereits gefallen“, er lief bereits auf das kleine Geschäft zu, als er ihre Hand
an seinem Arm spürte.
„Wir haben aber keinen Durchsuchungsbefehl“, brachte sie kurz an, folgte ihm aber
bereits zur Tür.
„Nein haben wir nicht, aber es spricht doch nichts dagegen, wenn wir uns ganz privat mal
in diesem Laden umsehen, ich war schon immer ein großer Fan von Antiquitäten“, grinste
er und öffnete die Tür, ein kleines Glöckchen begleitete ihren Eintritt.
„Oh ja und Gott sei Dank befindet sich das meiste dieser Liebschaft gerade in einer
Lagereinheit“, konterte sie und er schenkte ihr einen verwundeten Schmollmund.
Das Ladeninnere bediente so ziemlich jedes Klischee, das man sich von solcher Art
Geschäft vorstellen konnte. Obwohl es recht ordentlich war und der Besitzer tatsächlich
einmal versucht haben musste, die verschiedenen Gegenstände übersichtlich anzuordnen,
haftete dem großen muffigen Raum dennoch eine verbrauchte Aura an. Auf den ersten
Blick waren zwar keine Spinnweben zu entdecken, doch ihre Existenz war unumstritten,
genau wie die frische Staubschicht die sich gerade auf ihren Artgenossinnen zur ewigen
Ruhe bettete.
„Kann ich Ihnen helfen?“, ertönte eine aufdringlich freundliche Stimme kaum das sie die
Tür hinter sich geschlossen hatten und wie aus dem Nichts tauchte dazu das blasse,
zerzauste Gesicht des Besitzers hinter einem Regal auf. Der ältere Mann, der nicht mal mit
halb so viel Würde zu altern schien wie die Gegenstände, die er verkaufte, war tatsächlich
noch kleiner als Scully und Mulder spürte den vertrauten Ellenbogen in seiner
Rippengegend, als er ihr dies mit einem leichten Kopfnicken gepaart mit einem Grinsen
verdeutlichte.
„Vermutlich können Sie das. Mein Mann interessiert sich für altertümliche Gegenstände
aus dem späten 15. Jahrhundert und ist der Meinung, dass dieses einmalige Stück dieser
Zeit entspricht“, sie deutete auf eine alte, verkrumpelte Kommode, die in ihrem Leben
sicher schon bessere Zeiten gesehen hatte und lächelte. „Ich hingegen denke, dass es sich
eher um das frühere 16. Jahrhundert handelt, vielleicht könnten Sie ihm erklären, wo
genau sich der Unterschied befindet“, das Lächeln wurde breiter und wuchs zu einem
kleinen Grinsen heran, „während ich mich mal umsehe“, und damit ließ sie einen
verblüfften Mulder stehen, dessen gequältes Gesicht in sich zerfiel, als der Besitzer auch
sogleich übereifrig zu erzählen begann.
„Tatsächlich hat ihre Frau recht, es handelt sich um ein Stück aus der Zeit Heinrichs des
VIII. und soll 1536 an seinem Hof angefertigt worden sein, als Geschenk zum dritten
Hochzeitstag mit seiner Frau Anna Boleyn, drei Monate bevor er sie des Ehebruchs
bezichtigte und...“, bevor Scully um ein Regal bog blickte sie kurz zurück und sah wie der
kleine, untersetzte Mann mit seinem Zeigefinger eine Linie von rechts nach links an seinem
Hals zog, in typischer Imitierungsgeste einer Köpfung. Dabei stieß er ein heiseres Röcheln
aus, das vermutlich ein Kichern sein sollte und diesmal konnte sie sich ein breites Grinsen
nicht vermeiden, als ihr Partner entsetzlich gelangweilt in ihre Richtung blickte, während
er in Gedanken mit ihr vermutlich dasselbe tat, was Heinrich der VIII. mit seiner Frau
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getan und der Besitzer gerade so charmant anschaulich erklärt hatte. Dann trat sie hinter
das Regal, um sich nach Aran Fuller umzusehen.
Obwohl der Laden von außen einen eher kleinen und unscheinbaren Eindruck gemacht
hatte, besaß er doch eine beachtliche Größe, wie sie zu ihrem Leidwesen schnell feststellen
musste. Zu viele Gänge, überfüllt mit zu vielen Gegenständen, als das man hätte die
Übersicht behalten können. Ein Verdächtiger hatte also tausend verschiedene
Möglichkeiten zwischen all den Schränken, Regalen und anderen Möbelstücken
unterzutauchen. Und sie hatte keine Chance, ihn so einfach zu finden. Zumindest dachte sie
das, bis überraschend laute Stimmen an ihr Ohr drangen. Lauter als es Kunden sein
würden.
Rasch folgte sie den Stimmen, bis sie deutlich jedes Wort vernehmen konnte. Eine Stimme
war definitiv die von Aran Fuller und die andere männliche war allem Anschein nach die
von Giles Dellanoy. Scully blieb in sicherer Entfernung hinter einem Kleiderschrank
verborgen und warf einen kurzen Blick um die Ecke. Die Tür, die vermutlich zum Büro des
Besitzers führte, war einen Spalt breit geöffnet, der es ihr allerdings nicht ermöglichte in
den Raum hineinzusehen.
„Ich hab dir doch gesagt, ich würde dich anrufen“, die männliche Stimme klang verärgert.
„Darum geht es doch gar nicht. Das FBI war heute bei mir, verstehst du: F-B-I. Ich weiß
nicht, was du getan hast, aber du solltest schleunigst sehen, dass du das wieder in Ordnung
bringst“, versuchte Aran ihm zu erklären.
„Und was hast du denen gesagt“, jetzt nahm die Stimme einen schon beinahe bedrohlichen
Tonfall an und Scully bereute, dass sie nicht doch auf die Verstärkung gewartet hatten. Sie
hatte weder Waffe noch Handschellen und auch wenn Giles Dellanoy nicht Satan
persönlich war, was sie noch immer stark bezweifelte, war er dennoch kein friedlicher
Zeitgenosse. Was hatten sie sich denn gedacht? Einfach „FBI, keine Bewegung“ und das
wäre es dann? Wann hatte das denn jemals funktioniert?
„Nichts, ich hab gar nichts gesagt“, Aran klang ängstlich, verschwunden war die
emanzipierte Frau, die noch vor ein paar Minuten so vehement von ihnen verlangt hatte,
ihr Haus zu verlassen.
„Warum nur glaube ich das nicht?“ Dieser Mann klang keinesfalls wie die unkreative,
eingeschüchterte Person, die Aran ihnen beschrieben hatte.
„Ich schwöre es“, ihre Stimme zitterte. „Was sollte ich ihnen denn sagen, ich weiß doch von
nichts.“
„Du weißt das ich hier bin, oder? Vielleicht hast du deine neuen Freunde vom FBI einfach
mit hierher genommen und die warten jetzt nur darauf, dass ich raus komme.“ Ein
schepperndes Geräusch begleitete diese Anschuldigung und Scully fragte sich, ob die
fünfzehn Minuten, die Doggett und Reyes hierher bringen würden nicht bald um wären.
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„Nein“, ein Schluchzen. „Ich habe aufgepasst, dass mir niemand gefolgt ist.“ Ja, das hatte
sie, aber nicht sehr erfolgreich.
„Dann mach dass du hier wegkommst und wage es nicht noch einmal herzukommen.“ Es
entstand eine Pause, in der Dana dachte, dass Aran vielleicht noch etwas sagen wollte.
Vielleicht, warum sie gekommen war; um ihn zu warnen, einen Mann, den sie anscheinend
gerade neu zu lieben gelernt hatte. Warum, war ihr auch nicht klar, da sie sich selbst als
emanzipierte Frau betrachtete, war es ihr unmöglich zu verstehen, wie eine Frau sich zu so
einem Mann hingezogen fühlen konnte.
„Ach und Aran“, riss Giles Stimme sie aus ihren Gedanken. „Rede nicht mehr mit dem
FBI, das würde uns beiden nicht gut bekommen“, der warnende Unterton war
unüberhörbar. Gleich darauf öffnete sich die Tür und Aran flüchtete mit verweinten
Augen, nicht einen Blick in die Richtung werfend in der Scully hinter ihrem Versteck stand.
Diese sah sich nun einem völlig neuen Problem gegenüber. Jetzt ging es nicht mehr darum
Aran vor einem möglichen Angriff zu schützen, sondern vielmehr darum, Giles Dellanoy
daran zu hindern, ebenfalls die Flucht zu ergreifen. Ohne Waffe, ohne Verstärkung und
ohne Mulder.
Langsam ging sie auf die Tür zu, griff sich geistesabwesend den erstbesten Gegenstand, den
sie zu fassen bekam, eine alte vergoldete Kiste, bei welcher das Blattgold bereits stark zu
bröckeln begann, ohne den Blick auch nur ein einziges Mal von ihrem Ziel zu nehmen.
Sie hatte es noch nicht ganz erreicht, als er auf den Gang hinaus trat. Giles Dellanoy.
Allerdings hätte sie ihn niemals in einer großen Menge erkannt. Es gab praktisch keine
Ähnlichkeit mit dem Foto, das sie auf dem Revier gesehen hatten. Die Brille war
verschwunden, ebenso der Seitenscheitel, an seiner Stelle standen die Haare hoch und
waren durch zu viel Gel in diese Haltungen gezwungen worden. Seine Augen blitzten sie an.
„Entschuldigung, vielleicht können Sie mir helfen“, sprach sie schnell und bekam eine
Gänsehaut als er sie einem tuchfühlenden Check-up unterzog, der keinen Fleck an ihrem
Körper unberührt ließ. „Ich interessiere mich für dieses Stück“, sie warf zum ersten Mal
einen Blick auf die Kiste. „Allerdings, ist sie nicht sehr gut erhalten, deshalb wollte ich Sie
fragen, ob Sie vielleicht auch Restaurierungsarbeiten leisten.“
„Leider nicht Ms...“
„Dana Scully“, antwortete sie schnell, über seine Schulter konnte sie Mulder im Gang
entdecken und hoffte inständig, dass das bedeutete, dass Doggett und Reyes endlich
angekommen waren.
„Was für ein schöner Name, aber ich muss Sie enttäuschen Dana. Wir führen solche
Arbeiten nicht selber durch, aber ich könnte Ihnen einige Adressen mitgeben. Wohnen Sie
hier in der Nähe?“, fragte er charmant.
„Nein, ich bin nur auf Urlaub hier“, sie sah Doggett mit gezogener Waffe auf sie
zukommen, aber sie wusste, dass sie zu nah bei Giles stand, er konnte sie noch immer
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greifen und als Geisel nehmen. Sie trat einen Schritt zurück „Dabei fällt mir ein, ich wollte
diesen schönen Schrank ebenfalls kaufen, könnte man ihn verschicken, ohne dass er zu
großen Schaden nimmt?“ Sie stand neben dem Schrank in sicherer Entfernung.
„Sicherlich, ich bräuchte nur Ihre Anschrift und dann ist das so gut wie erle-“, er konnte
den Satz nicht beenden.
„FBI, keine Bewegung“, unterbrach ihn Doggetts Stimme. „Hände auf Kopfhöhe, aber
langsam.“ Währenddessen schloss Reyes, die von der anderen Seite gekommen war, zu
Scully auf und zeigte Giles mit ihrer gezogenen Waffe, dass jeder Fluchtversuch unmöglich
war.
Dellanoy tat wie ihm befohlen, schien wenig überrascht zu sein und ließ seinen Blick nicht
von Dana. „Sind Sie auch vom FBI?“
„Ja“, antwortete sie gelassen, obwohl die Gänsehaut einfach nicht verschwinden wollte.
„Hätte ich ehrlich nicht gedacht“, grinste er.
„Tja, so kann man sich irren“, antwortete John, während er ihm die Handschellen anlegte.
Als sie ihn abführten, gesellte sich Mulder zu ihnen, der dem Besitzer die Situation erklärt
hatte. Scully warf ihm einen wissenden Blick zu und blieb vor dem Laden stehen. „Was?“,
fragte er.
„So viel zu der Satanstheorie“, griente sie.
„Wir haben keinen Beweis, dass er nicht der Teufel ist“, verteidigte er sich.
„Mulder, glaubst du wirklich, dass diese ganze Verhaftung so einfach abgelaufen wäre,
wenn er tatsächlich der Fürst der Finsternis wäre?“
„Ich denke nicht, dass er im Augenblick Satan ist. Dr. Lennox-Boyd meinte ja, dass er seine
ursprüngliche Gestalt nur annimmt, wenn er tötet und vermutlich hat er auch dann nur die
Macht. Im Moment würde ich nicht soweit gehen, ihn als harmlos zu bezeichnen, aber er ist
nicht übernatürlich.“ Er warf einen Blick zum Rücksitz des Mietwagens, wo Giles
selenruhig neben Doggett saß.
„Und warum verwandelt er sich nicht einfach und tötet uns?“, fragte Scully ebenfalls einen
Blick in den Mietwagen werfend.
„Ich denke er kann es nicht.“
„Warum nicht.“
„Weil wir die Voraussetzungen nicht erfüllen.“ Sie sah ihn fragend an. „Er tötet
Liebespaare, Scully. Es muss einen Auslöser geben, der ihm die Möglichkeit gibt sich zu
verwandeln und seine Opfer zu töten.“
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„Und was ist das für ein Auslöser?“
„Ich hoffe, dass Dr. Lennox-Boyd uns genau das sagen kann. Denn eine andere Möglichkeit
haben wir nicht. Wir haben keinen Haftbefehl und selbst wenn wir einen bekommen
könnten, müssten wir ihn beim Sheriff abliefern und warten, dass er aufgrund der
schlechten Beweislage freigesprochen wird. Was entweder bedeutet, dass er sofort sterben
würde und sich der Teufel einfach einen neuen Körpersteller sucht, oder dass er einen Weg
finden würde, das Morden trotzdem zu beenden, immerhin reden wir hier von dem Bösen
in seiner reinsten Gestalt. Ansonsten müssen wir ihn ins Haus meines Onkels schaffen, uns
den Plan anhören und versuchen, ihm selbst das Handwerk zu legen, sofern das möglich ist
natürlich“, beendete er seine Ausführungen und sie musste aufgrund der Fakten
zugestehen, dass er recht hatte.
„Ich glaube noch immer nicht, dass Giles Dellanoy auch nur im Entferntesten
übernatürlich ist, aber deshalb kann es, denke ich, auch nichts schaden, wenn wir uns den
Plan anhören. Danach können wir uns immer noch entscheiden.“ Sie ignorierte sein
Grinsen und lief zu Monica, die am Mietwagen wartete, um ihr ihre weitere
Vorgehensweise zu erklären. Dabei hoffte sie, dass die weitere Vorgehensweise auch eine
gute Idee war und dass vielleicht nur ein einziges Mal nichts an Mulders Vorahnung dran
war. Sie hatte ja keine Ahnung, wie falsch sie mit dieser Hoffnung lag.
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Kapitel 19
Kurz vor fünf Uhr kehrten sie ins alte Herrenhaus von Albert von Bolt zurück. Dieses Mal
um eine Person reicher. Eine gefährliche Person. Mulder und Scully in Susans Wagen,
dicht gefolgt vom Mietwagen mit Doggett und Dellanoy auf dem Rücksitz und Reyes
hinterm Steuer.
Sie stiegen aus und gingen zum Haus, alle Augenpaare wachsam auf den ehemals
unscheinbaren Mann gerichtet, der nun mit Handschellen gefesselt alles andere als
unscheinbar oder gar schüchtern war. Er versuchte gar nicht erst, sein Interesse an Scully
und Reyes zu verbergen, sondern stellte es offen zur Schau.
Als sie das Haus betraten kam ihnen Dottie mit einem munteren Baby auf dem Arm
entgegen, sie musterte den Neuankömmling kurz und musste zu ihrem Erstaunen
feststellen, dass sie ihn nicht mochte, obwohl sie ihn noch nicht einmal kennen gelernt hatte.
Dabei sah es ihr gar nicht ähnlich, sich so schnell eine Meinung über jemanden zu bilden.
Natürlich hinterließ jeder Mensch einen Eindruck, aber diesem Mann schien das Böse
praktisch aus den Poren zu sickern. In einer unbewussten Schutzgeste drückte sie William
enger an ihren Körper.
„Dottie, wo sind der Doktor und seine Sekretärin?“, fragte Reyes, sie flankierte mit Doggett
zusammen Giles, damit dieser nicht auf dumme Gedanken kam. Dabei dirigierte sie seinen
Körper so, dass er ihre Waffe noch spüren konnte, aber diese auch gleichzeitig verdeckte,
um der älteren Frau keinen Schock einzujagen. John tat es ihr gleich.
„Die Herrschaften sind im Salon. Kann ich euch irgendetwas bringen?“ Die Frage war
zwar an Mulder gestellt, doch sie konnte ihren Blick nicht von dem jungen Mann nehmen,
der ihr kalt grinsend entgegen starrte.
„Nein, Danke“, antwortete Mulder und trat einen Schritt näher an Dottie und seinen Sohn,
Scully direkt neben ihm, während die zwei Agenten den Verdächtigen in den Salon führten.
„Wo ist Albert?“
„Er ist oben in seinem Arbeitszimmer. Ich kann ihn holen, wenn ich-“
„Nein“, unterbrach er sie sanft. „Hör zu, Dottie. Wir haben einige wichtige Dinge zu klären
und wir möchten dabei auf keinen Fall gestört werden.“ Sie nickte, um zu zeigen, dass sie
auch die unterschwellige Botschaft verstanden hatte. Sie sollte sich, Albert und vor allem
das Baby nicht in Gefahr bringen. Was sie am besten tat, indem sie oben im Zimmer
wartete, bis sie etwas Positives hörte.
„Ich werde deinem Onkel Bescheid geben. Wir werden oben bleiben, bis ich etwas von euch
höre“, erklärte sie schnell, wartete, bis beide Elternteile ihrem Sprössling ein paar
Zärtlichkeiten hatten zukommen lassen und lief dann die Treppen hinauf. Scully sah ihr
nach. Ihr war auf einmal gar nicht mehr so wohl bei dem Gedanken, einen potentiellen
Mörder im selben Haus wie ihren Sohn zu haben, aber er würde nicht einmal in seine Nähe
kommen, dafür würde sie schon sorgen und Mulder sicherlich auch. Ihr Handy riss sie aus
ihren Gedanken.
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„Scully“, sprach sie, nachdem sie das Gerät aus ihrer Tasche gefischt hatte.
„Hier spricht Dr. Talbot, der Gerichtsmediziner“, stellte sich der Anrufer vor. „Haben Sie
einen toxikologischen Bericht zum Nachweis von Schwefelrückständen bei allen Opfern
dieses Falls angefordert?“
„Ja, das habe ich. Sind die Ergebnisse schon da?“ Mulder sah sie fragend an, doch sie
symbolisierte ihm, dass er sich noch zwei Minuten gedulden sollte.
„Ich muss Ihnen doch wohl nicht erklären, dass Schwefel nur äußerst selten tödlich ist und
noch schwerer nachzuweisen ist, wenn es sich erst einmal abgebaut hat“, er klang wie ein
Lehrer und sie fuhr sich nervös durch die Haare, hoffend, dass er die Lehrstunde bald
beenden und zum Hauptteil übergehen würde.
„Das weiß ich, aber sind die Ergebnisse fertig?“, fragte sie ungeduldig.
„Ja, das sind sie in der Tat und sie sind alle negativ. Ich weiß nicht, was sie gehofft hatten
zu finden, aber es ist nicht da“, endete er.
„Okay, Danke“, sie wartete keine Antwort ab, sondern legte gleich auf. Es war lächerlich.
Für zwei Sekunden hatte sie wirklich damit gerechnet, dass er ihr sagen würde, dass es
zwar verwunderlich und eigentlich fast unmöglich war, Schwefel nachzuweisen, die Tests
aber dennoch positiv gewesen wären. Aber das waren sie nicht, was eines sicher bewies:
Giles Dellanoy war keinesfalls der Teufel, auch wenn er dessen beängstigende Ausstrahlung
besaß.
„Also was?“, fragte Mulder nicht weniger ungeduldig, als sie es gewesen war.
„Es konnten keine Schwefelrückstände oder schwefelhaltige Substanzen nachgewiesen
werden“, erklärte sie. „Tut mir leid, aber dieser Mann ist allenfalls unheimlich, aber nicht
überirdisch.“
„Einen Versuch war es wert. Dann sollten wir sehen, was uns Giles Dellanoy zu sagen hat
und natürlich welchen Plan Dr.“, sie zog die Augenbraue hoch, „ich meine, Mr. LennoxBoyd ausgegraben hat.“ Sie nickte und gemeinsam betraten sie den Salon.
Giles saß flankiert von Doggett rechts und Reyes links auf der Couch. Yvette saß,
verängstigt wie immer, auf dem uralten Ohrensessel des Hausherrn und neben ihr stand ihr
Chef/Verlobter, welcher den Verdächtigen abschätzend musterte. Die beiden
Neuankömmlinge setzten sich gegenüber der Couch auf den Couchtisch.
„Sie wissen, warum Sie hier sind, Mr. Dellanoy?“, fragte Mulder.
„Natürlich nicht.“ Seine Tonlage betrog die Aussage und ließ erkennen, dass er sehr wohl
zu wissen schien worum es ging, aber mehr Spaß daran hatte es zu leugnen.
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„Dafür waren Sie aber wenig überrascht als wir Sie festgenommen haben“, stellte Reyes
fest.
„Ich dachte mir, man wird schließlich nicht jeden Tag von zwei so hinreißenden Frauen
verhaftet, wer weiß, was sich daraus noch ergeben könnte“, entgegnete er kühl und
schenkte ihr ein schleimiges Grinsen.
„Was haben Sie die letzten zwei Monate gemacht? Wenn Sie die Frage verzeihen mögen,
aber nachdem wir herausgefunden haben, dass Sie weder zu Ihrer Arbeit noch in Ihrer
Wohnung erschienen sind, können Sie unsere Neugier sicherlich verstehen“, fragte Doggett,
den sexistischen Kommentar ignorierend.
„Och, ich tat so dies und das, Sie wissen wie das ist“, antwortete der andere Mann gelassen
und lehnte sich in einer gemütlichen Pose nach hinten. Er machte nicht den Eindruck, als
würde ihn diese gesamte Versammlung auch nur irgendetwas angehen.
„Nehmen wir an, ich wüsste nicht wie das ist, könnten Sie Ihre Aussage dann eventuell
spezifizieren?“
„Hören Sie zu.“ Er lehnte sich wieder nach vorn, ein wenig genervt. „Sie haben doch mit
Aran gesprochen, oder?“ Die Frage war direkt an Scully gerichtet. „Ich denke, dass Ihnen
das kleine Flittchen alles erzählt hat, was Sie weiß, was sicherlich nicht genug ist, um eine
Verhaftung zu rechtfertigen. Dabei fällt mir auch ein, dass ich nie einen Haftbefehl gesehen
habe und nach Untersuchungshaft sieht das für mich hier auch nicht aus, sonst wäre ich
doch schon längst auf dem Polizeirevier. Das sagt mir, dass Sie nichts gegen mich in der
Hand haben und ich werde Ihnen mit Sicherheit nicht dabei helfen, diese Informationen zu
bekommen.“ Er lehnte sich erneut zurück, wieder die Gelassenheit in Person.
„Allan, könnten wir Sie kurz sprechen?“, fragte Mulder an Dr. Lennox-Boyd gewand, der
die gesamte Zeit eher neutral zugesehen hatte. Dieser nickte und Mulder und Scully
erhoben sich und liefen mit ihm zur gegenüberliegenden Seite des Raumes.
„Also was sagen Sie?“
„Ich bin mir nicht sicher. Er ist ein Arschloch so viel ist klar, aber ob er Satan ist, kann ich
nicht sagen“, entgegnete der kleinere Mann.
„Und ich hätte gedacht, gerade Sie müssten ihn erkennen“, meinte Scully nicht völlig ohne
Sarkasmus.
„Miss Scully, der Teufel ist ein Meister der Tarnung. Warum, glauben Sie wohl, bleibt er
immer unerkannt?“, rechtfertigte Allan sich und obwohl sie eher dachte, dass es daran
liegen würde, dass es den Teufel nicht gab, nickte sie. Es ging jetzt schließlich nicht darum,
theologische Diskussionen zu führen.
„Schön und was können wir nun tun, um ihn zu überführen?“, fragte sie stattdessen.
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„Ich habe mich mit meinen Kollegen in Verbindung gesetzt und es ist vor 56 Jahren einem
Kaliophragen gelungen, ihn zu enttarnen. Bedauerlicherweise hat er diese Begegnung nicht
überlebt, seine Notizen jedoch schon. Er meinte, dass man dem Fürsten der Finsternis
genau das anbieten sollte, worauf er sich spezialisiert hat. Damals handelte es sich fast
ausschließlich um jugendliche Jungen und Mädchen. In unserem Fall müsste es sich also
um Liebespärchen handeln“, erklärte Allan.
„Das allein kann aber nicht der Auslöser sein“, stellte Dana fest und erntete einen
fragenden Blick von dem Engländer. „Nun, Sie und Yvette sind ein Liebespaar, oder?“ Er
nickte. „Sehen Sie, dann hätte er sich längst verwandelt und Sie getötet haben müssen.“
„Sie hat recht. Hat der Körpersteller so viel Einfluss auf seinen Meister, dass er ihn
unterdrücken kann?“, fügte Mulder hinzu.
„Nein, so viel Macht besitzt er nicht.“ Allan schüttelte den Kopf. „Es muss eine
Gemeinsamkeit geben, die uns noch nicht aufgefallen ist und die der Initiator für die Morde
ist.“ Bei dem Wort Gemeinsamkeit schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, Mulder sah es
sofort.
„Was?“
„Die Ringe, Mulder. Drei Verlobungen an den Tagen an denen die Pärchen umgebracht
wurden. Die Anträge, das ist der Schlüssel.“ Allan sah sie fragend an, doch Mulder hatte sie
verstanden und führte ihre Erklärung fort. „Familienmitglieder von drei der Opfer haben
ausgesagt, dass sie sich an diesem Abend verloben wollten. Das ist auch ganz plausibel,
wenn man genauer darüber nachdenkt. Die Ehe ist der größte Liebesbeweis, den Paare
einander erbringen können.“
„Ja, aber Sie scheinen eine Kleinigkeit zu übersehen“, wandte Allan ein und sah seine
Begleiter durchdringend an. „Yve und ich, wir sind verlobt.“
„Ich denke, der Antrag ist entscheidend, nicht die Tatsache“, erklärte Scully. „Wenn der
Antrag gemacht wird, verwandelt er sich.“ Sie konnte nicht glauben, dass sie das gerade
gesagt hatte. Jetzt verhielt sie sich doch tatsächlich so, als würde sie nicht nur Mulders
Theorie glauben, sondern auch dem Plan des Scharlatans folgen. Aber sie konnte nicht
abstreiten, dass das alles einen gewissen Sinn ergab.
Yvette war inzwischen aufgestanden und lief zu ihnen. In der Gesellschaft dieses perversen
Lüstlings, der dort auf der Couch saß, konnte sie es keine Minute länger mehr aushalten.
Noch ein weiterer Kommentar über Französinnen und die Kunst der Liebe und sie würde
ihm persönlich zeigen, dass sie sich auch sehr gut in der Kunst des Tötens auskannte. Auch
wenn er nicht le diable war, wie sie inständig hoffte, da sie keine große Lust verspürte,
ihrem Bruder Byron in den Tod zu folgen, auch wenn Al das anders sah, so war dieser Kerl
einfach abscheulich.
„Okay, nun wissen wir zwar wie wir ihn anlocken können, die Frage ist nur, wer es tut“,
hörte sie Allan gerade sagen, als sie bei ihnen ankam.
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„Wer tut was, mon chéri?“ Er sah sie überrascht an, er konnte es nicht leiden, wenn sie sich
zu sehr in seine Arbeit einmischte. Auch wenn sie eigentlich seine Sekretärin war, so bezog
sich dieser Titel doch meistens darauf, ihm Kaffee zu bringen und seine Papiere in
Ordnung zu halten. „Ich halte es keine Sekunde länger in der Gegenwart dieses Lüstlings
aus, en aucun cas“, erklärte sie ihr Auftauchen und warf einen abschätzigen Blick in Giles
Richtung.
„Wir überlegen lediglich, wer meinen Plan in die Tat umsetzen soll“, erklärte er schließlich
und riss die Augen auf als ihm eine Idee durch den Kopf schoss. „Sie meinen wirklich, die
Frage ist entscheidend?“ fragte er an Mulder und Scully gewandt und erntete ein
zufriedenstellendes Nicken. „Nicht die Antwort?“
„Ich denke, die Antwort dürfte ziemlich egal sein“, grübelte Scully. „Da ich mir ziemlich
sicher bin, dass ihn bereits die Möglichkeit einer Hochzeit rufen wird, damit er sie in jedem
Fall verhindern kann-“, sie konnte ihren Gedanken nicht weiter ausführen, als sie
schockiert beobachtete, wie Allan vor Yvette auf die Knie fiel und pragmatisch ihre rechte
Hand ergriff.
„Willst du mich heiraten, Yvie?“, fragte er, bevor ihn jemand aufhalten konnte und Scullys
Augen flogen zu dem jungen Mann auf die Couch, bereit, den dummen Doktor, ach was
hieß hier Doktor, den dummen Mann, zu beschützen. Doch zu ihrem Erstaunen saß Giles
Dellanoy noch immer genauso gelangweilt auf der Couch, es passierte nichts. Naja, bis auf,
dass Yvette ihren Verlobten überrascht ansah.
„Mais, Allan, mon cœur, wir sind doch schon-“, auch ihr war es nicht vergönnt den Satz zu
beenden, da ihr Zukünftiger so plötzlich auf die Beine sprang und sich von ihr abwandte,
dass sie erschrocken einen Schritt zurückweichen musste und verstummte.
„Nichts, es ist absolut nichts passiert“, wetterte der Engländer auch sofort los und sah
wütend auf die beiden Urheber der Theorie. „Sie haben gesagt, dass der Antrag reichen
würde, ihn hervorzulocken.“ Er sah nicht, wie das Gesicht seiner Verlobten in sich
zusammenfiel, als ihr bewusst wurde, was er gerade getan hat.
„Tu cul, alles woran du denkst ist deine Arbeit, et moi, ich bin dir vollkommen egal“,
beschuldigte sie ihn und verließ dann aufgebracht den Salon. Allan sah ihr fragend
hinterher, zuckte die Achseln und lief ihr nach.
Doggett und Reyes, die den Tumult kaum mitbekommen hatten, sahen in die Richtung
ihrer Kollegen und schließlich stand Monica auf und kam zu ihnen, während John
weiterhin Giles im Auge hatte.
„Was war denn das gerade?“
„Wir haben die vage Theorie aufgestellt, dass es eventuell möglich wäre, den Teufel zu
ködern, indem wir ihm ein Liebespärchen als Anreiz bieten“, begann Mulder.
„Naja und wir waren gerade am Überlegen, wer das sein soll, da fiel Mr. Lennox-Boyd
bereits vor Yvette auf die Knie und machte ihr einen Antrag“, endete Scully.
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„Aber es ist doch nichts passiert?“, stellte Monica fest, die sicher war, dass es ihr
aufgefallen wäre, wenn sich der Mann neben ihr in den Leibhaftigen verwandelt hätte.
Solche Dinge entgingen einem schließlich nicht.
„Genau das ist das Problem. Der gute Doktor hat sich so sehr darüber aufgeregt, dass sein
kleiner Stunt nicht den Satan in Mr. Dellanoy geweckt hat, dass er dabei die Gefühle seiner
Verlobten verletzt hat“, erklärte Mulder.
„Dabei können wir eigentlich glücklich sein, dass nichts passiert ist. Ich meine, wir sind
doch vollkommen unvorbereitet und wer weiß, was alles hätte passieren können, wenn die
Theorie wirklich gestimmt hätte.“ Dana bekam eine Gänsehaut als sie die möglichen Folgen
in Betracht zog, die das unbedachte Handeln dieses Irren hätte haben können.
„Ich denke, die Theorie stimmt schon“, warf Mulder ein und beide Frauen sahen ihn
wartend an. „Das Problem in diesem Fall liegt eher beim Motiv.“ Das änderte die Miene
seiner Gesprächspartnerinnen nicht. „Wir können, wie ich annehme, davon ausgehen, dass
unser werter Luzifer die Gefühle der Menschen wahrnehmen kann und auch, wenn Allan
Yvette wirklich lieben sollte, war sein Hauptgrund, ihr den Antrag noch ein weiteres Mal
zu machen doch eher auf seine Arbeit bezogen, als auf seine Gefühle ihr gegenüber.“
„Mag ja sein, aber ich glaube kaum, dass es uns möglich sein wird, einen Antrag zu
inszenieren, der tatsächlich so gemacht wird, dass er die wahren Emotionen hervorruft, die
ein Hochzeitsantrag eben hervorrufen soll“, warf Reyes ein. „Zumindest nicht von den
beiden“, fügte sie dann hinzu, als sich die Türen des Salons öffneten und ein betretener
Allan und eine noch niedergeschlagenere Yvette den Raum betraten.
„Und damit können wir diesen Plan wohl abhaken“, seufzte Dana und blickte kurz zu
Giles, der ihr wissend entgegen grinste.
„Nicht notwendigerweise“, meinte Mulder und sie drehte sich überrascht zu ihm um. „Ich
meine, wenn man weiß, worauf man sich einlässt...“, er ließ den Satz einfach ausklingen
und sah sie hoffend an.
„Mulder, du willst doch damit nicht das andeuten, wovon ich denke, dass du es gerade
andeutest?“ Ihre Stimme klang nicht annähernd so schockiert, wie sie sich angesichts der
veränderten Lage fühlte.
„Wir sind uns doch einig darüber, dass das unsere einzige Chance ist, oder?“, fragte er und
sie musste widerwillig nicken. „Wenn du eine andere Idee haben solltest, bin ich gerne
bereit sie zu hören.“ Ihr vernichtender Blick machte deutlich, dass sie beide genau wussten,
dass sie keinesfalls mit einer anderen Theorie dienen konnte.
„Also selbst wenn ich mich darauf einlassen würde“, sie betonte absichtlich den Konjunktiv
um ihm die Absurdität des Ganzen vor Augen zu führen. Erfolglos. „…was ich nicht tue.
Was würden wir denn machen, wenn wir tatsächlich Erfolg hätten? Ich meine, hast du dir
darüber schon Gedanken gemacht? Wir können schließlich nicht erst anfangen uns einen
Plan zurechtzulegen, wenn der Urvater des Bösen vor uns steht.“
110
„Ja, ich habe darüber nachgedacht, aber das sind natürlich alles nur Vermutungen.“ Der
Blick, den er dafür erntete, fragte ihn, worauf er denn sonst seine Pläne aufbaute. „Aber
dazu hätte ich gerne die Meinung von jemandem, der sich besser damit auskennt.“ Er sah
zur Tür, wo der Doktor noch immer ein wenig ratlos stand. „Allan?“, rief er ihn und der
Engländer kam zu ihnen.
„Ist mit ihr alles in Ordnung?“, fragte Reyes und deutete mit einem Nicken auf die zierliche
Französin, die am großen Fenster stand, soweit weg von Allan und Giles wie sie konnte,
solange sie sich noch im gleichen Raum aufhielt.
„Ja, ja“, winkte er hastig und anscheinend auch etwas peinlich berührt ab. „Dass ihr
Frauen aber auch immer alles falsch verstehen müsst“, stellte er trocken fest und Scully
verdrehte innerlich die Augen. Konnte dieser Mann noch arroganter sein?
„Allan“, zog Mulder die Aufmerksamkeit des Doktors auf sich. „Wenn sich der
Körpersteller verwandelt, behält er dann seine Sterblichkeit?“ Der ältere Mann sah ihn
überrascht an, dann grübelte er kurz aber angestrengt nach.
„Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung. Ich meine, ich kann es mir schwerlich
vorstellen.“ Er überlegte wieder kurz und fuhr dann energischer fort. „Nein, das kann ich
mir wirklich nicht vorstellen oder glauben sie wirklich der Teufel würde noch sein Unwesen
treiben, wenn er sterblich wäre? Nein, nein auf keinen Fall.“ Er sah Mulder abwartend an.
„Das wollte ich damit nicht andeuten. Meine eigentliche Frage zielte vielmehr darauf aus,
dass der Körpersteller seine Sterblichkeit behält, nicht ob der Teufel sterblich ist“, erklärte
er.
„Hmm“, brummte der Engländer kurz und verfiel erneut ins Grübeln. „Soweit ich weiß,
bleibt der Körpersteller durch und durch ein Mensch, auch während der
Verwandlungszeit, und dürfte somit auch die Schwäche behalten, zu sterben, um ihre Frage
zu beantworten.“ Er sah den jüngeren Mann zustimmend nicken, als habe dieser gar nichts
anderes erwartet und beeilte sich hinzuzufügen, „Aber ich weiß nicht, inwieweit der Teufel
seinen Schützling schützt. Will sagen, es dürfte doch angemessen schwer werden, dem
Körpersteller auch nur ein Haar zu krümmen.“ Er lachte kurz und humorlos. „Und für
den Fall, dass Sie tatsächlich planen sollten, ihn jetzt gleich zu töten, kann ich Ihnen bereits
sagen, dass Satan sich dann lediglich einen neuen Komplizen sucht und seine Taten zu Ende
führt. Allerdings dachte ich, Sie wüssten das bereits“, schloss er anklagend, dass man ihm
augenscheinlich nicht richtig zugehört hatte.
„Ich habe nicht vor, ihn jetzt zu töten. Im Grunde genommen sollte er gar nicht getötet
werden, da er ja streng gesehen besessen und somit nicht für seine Taten verantwortlich ist.
Jedoch scheint das die einzige Möglichkeit zu sein.“
„Ich weiß immer noch nicht, worauf du eigentlich hinaus willst“, Scully sah ihn mit
hochgezogener Augenbraue an und er konnte nicht anders als sie anzulächeln, trotz des
Ernstes der Lage. Sie war schlicht und ergreifend hinreißend, wenn ihre Stimme diesen
fordernden Ton annahm
111
„Nun, wie ich hoffe wird sich Giles vollkommen auf uns konzentrieren, wenn wir als Köder
fungieren, da wir ja das haben, was er will und das sollte Ihnen beiden“, er sah Reyes an
und nickte anschließend in die Richtung von Doggett, der sie aufmerksam von der Couch
aus beobachtete „die Zeit geben, ihn zu erschießen.“
„Moment mal, selbst wenn das klappen sollte, Mulder“, es war nicht Scully die ihm
widersprach sondern Reyes, doch nur zwei Sekunden bevor Scully es getan hätte. „Hätten
wir dann nicht das gleiche Ergebnis? Einen toten Körpersteller und den Fürsten der
Finsternis, der sich einen neuen Gehilfen sucht.“
„Ganz genau und das ist der Punkt, an dem Sie ins Spiel kommen.“ Er sah den Doktor
durchdringend an. „Sie können mir nicht weismachen, dass Sie den Teufel jagen, nur um
sich dann mit einem Bild von ihm zu begnügen. Die Menschen, die in Schottland nach Nessi
suchen, versuchen auch nicht nur ein Foto zu schießen. Sie wollen es fangen, genau wie Sie
Satan fangen wollen.“ Er gab seinem Gesprächspartner gar nicht erst die Chance seine
Verteidigung zu äußern. „Wir wollen keinen Ruhm! Meinetwegen können Sie erzählen, Sie
hätten ihn allein gefangen, aber wir alle wissen, dass Sie allein nicht dazu in der Lage sein
werden.“ Er ließ die Worte erst einsinken, bevor er dann sanfter fragte „Wie kriegen wir
ihn, Allan?“
Die beiden Männer starrten einander an. Keiner bereit aufzugeben. Keiner bereit den
anderen siegen zu lassen. Beide in dem Bewusstsein, dass ihre Ansicht die richtige war.
Allan im Hinblick auf seine Zukunft. Mulder im Hinblick auf die Zukunft der Menschheit
an sich, obwohl seine Motive auch eher in die eigene Richtung gingen.
Schließlich seufzte Dr. Lennox-Boyd ergeben. „Also schön“, lenkte er ein, es war besser eine
kleine Niederlage einzustecken und den Krieg zu gewinnen, als mit leeren Händen nach
Hause zu fahren. Schon wieder. „Als ich Ihnen bei unserem ersten Treffen erklärte, dass
Kaliophragen den Teufel nicht fangen wollen... nun sagen wir, es war nicht ganz die
Wahrheit.“ Er lächelte verschmitzt und Scully bekam das Gefühl nicht los, dass er genauso
vor Gericht agieren würde, um sich aus seiner Schuld zu winden, vielleicht hatte er es sogar
schon getan. „Natürlich würden wir uns mit einem Bild zufrieden geben, immerhin würde
es große Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber auch ebenso viele Skeptiker auf die
Bildfläche rufen. Aber wenn sich die Chance bieten würde, den Leibhaftigen zu fangen“, er
legte eine bedeutungsvolle Pause ein, „wer würde das ablehnen können? Schließlich könnte
kein Skeptiker der Welt Mephisto persönlich als Beweis widerlegen.“ Wieder das kleine
Lächeln.
„Und wie soll es nun möglich sein ihn zu fangen?“, drängte Scully ungeduldig. Sie wollte
ihre Zeit weder damit verschwenden zuzuhören, wie Mr. Lennox-Boyd Dinge preisgab, die
sie schon wussten, noch mit der Diskussion darüber, was genau Skeptiker alles von
Angesicht zu Angesicht leugnen konnten.
„Entgegen der landläufigen Meinung“, fuhr der ältere Mann unberührt fort, „besitzt der
Stand der Kaliophragen Mitglieder aus allen Teilen der Welt und allen
Bevölkerungsschichten. So war es auch möglich, dass ein angesehener Archäologe in
Jerusalem eine kleine Schatulle und eine Schriftrolle fand. Mithilfe von modernster
112
Technik und dem Wissen von Restauratoren und Schriftgelehrten ist es gelungen, beide
wieder für den Gebrauch herzustellen“, es war ihm unmöglich, den Stolz aus seiner Stimme
zu halten.
„Und was genau steht in dieser Schrift?“, Reyes Neugier war geweckt.
„Ein Bannspruch, der es dem Teufel schlichtweg unmöglich macht, seine Taten zu
vollenden. Er ist gezwungen wieder in die Hölle zurückzukehren.“
„Für immer?“ Hoffnung war die überwiegende Emotion in Scullys Frage.
„Nun um ehrlich zu sein, ist es noch niemandem gelungen, den Spruch anzuwenden. Der
Kaliophrag, der vor 56 Jahren bei dem Versuch ums Leben kam war der erste, dem es
überhaupt gelungen war, den Teufel zu enttarnen. Wir sind also gewissermaßen auf uns
selbst gestellt und es könnte gut sein, dass der Spruch nur eine zeitweilige Lösung ist und
Luzifer in acht Jahren wieder irgendwo auftauchen wird, um seinen Teil der Abmachung
erneut einzufordern.“ Er zuckte mit den Schultern, als ginge ihn das alles nichts an und
Scully überkam der Drang, ihn persönlich zu strangulieren, allerdings war er der einzige,
der den Bannspruch kannte und damit leider auch wichtig für den weiteren Ausgang des
Tages. Das machte den Drang aber kaum kleiner.
„Und was hat es mit der Schatulle auf sich?“, fragte Mulder und Allan sah ihn irritiert an.
„Sie war Trägerin der Schriftrolle“, gab er verständnislos als Antwort.
„Könnte es nicht sein, dass sie als Käfig dienen soll?“, griff Scully seinen Gedanken auf und
auch sie erntete einen missbilligenden Blick.
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass eine einfache Holzkiste, die noch nicht einmal
großartig verziert ist, dazu gedacht ist, das mächtigste Böse der Welt zu bändigen.“ Es war
mehr eine Feststellung als eine Frage. Sie wollte gerade zu der Frage ansetzen, wieso das in
seinen Augen unwahrscheinlicher war als zu glauben, dass ein paar einfache Worte die
Macht besaßen, den Teufel zu verbannen, besann sich dann aber doch eines besseren. Was
sollte es schon bringen, sich mit ihm zu streiten? Außerdem, wann hatte sie überhaupt
angefangen ernst zu nehmen, dass Giles Dellanoy tatsächlich der Teufel war?
„Wo befindet sich die Kiste und die Schriftrolle?“, fragte Mulder weiter, ohne auf die
Miene des Doktors zu achten, die sich deutlich verfinsterte.
„Ich bin nicht befugt, Ihnen das zu sagen“, blockte er kalt ab und auf die umstehenden
Personen machte diese Abweisung eher den Eindruck als wisse er es nicht, was
wahrscheinlich sogar der Fall war. „Nun, lassen Sie uns doch endlich zu den wichtigen
Dingen zurückkommen“, endete er ungeduldig.
„Und die wären in ihren Augen?“, giftete Scully zurück, die den Ort der Schatulle und der
Schriftrolle in der Tat für äußerst wichtig erachtete.
113
„Na zum Beispiel, wie Sie ihn“, er deutete auf Giles, „nun eigentlich dazu bringen wollen
sich zu verwandeln. Ich meine, wir haben doch alle gerade gesehen, dass ein Antrag
anscheinend nicht der Schlüssel dazu ist.“
„Sie haben Ihre Geheimnisse und wir haben unsere“, war alles, was Mulder dazu sagte und
erntete einen finsteren Blick von dem älteren Mann, bevor dieser davonstiefelte, jedoch
nicht ohne ein, „Ich werde mich bereithalten“, zu grummeln.
„Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Sie es ihm gesagt hätten“, zweifelte Reyes.
„Er hätte es nicht verstanden. Er glaubt, dass seine Motive rein waren und es ist beinahe
unmöglich gegen die Überzeugung eines Engländers anzukommen“, erklärte er kurz und
grinste.
„Schön, ich werde John in das Nötigste einweisen, während sie sich vielleicht Gedanken
über den Antrag und Ihre Gefühle machen sollten.“ Schon wandte sie sich mit einem
unguten Gefühl ab. Obwohl sie kein besonders romantische Mensch war, konnte sie nichts
dagegen tun, dass ihre weibliche Seite beim Gedanken daran, warum er Scully diesen
Antrag machte, verletzt aufschrie. Es war schließlich unübersehbar, dass sie einander
liebten und Scully hatte bei weitem etwas Besseres verdient. Zumindest einen Antrag, der
Kerzen, Mondschein oder zumindest Blumen und natürlich einen Ring beinhaltete. Nicht
ein kurzes, unromantisches „Willst du?“ und dann womöglich auch noch den Teufel auf
ihren Fersen.
„Mulder, ich glaube nicht, dass ich das kann“, begann Scully, deren Gedanken und Gefühle
denen von Monica nicht ganz unähnlich waren. „Ich werde immer den eigentlichen Grund
im Hinterkopf haben und das könnte die Wirkung ebenso zerstören wie bei Allan und
Yvette.“ Er sah keineswegs besorgt darüber aus, dass sie gerade Zweifel an seinem Antrag
gehegt hatte.
„Dann lassen wir uns eben etwas anderes einfallen. Um ehrlich zu sein, ist das auch nur ein
Vorwand. Ich wollte dir schon seit wir hier sind einen Antrag machen, hab aber nie den
richtigen Zeitpunkt gefunden“, gestand er.
„Und du hältst jetzt für geeignet?“, fragte sie ungläubig.
„Als ich Allan gerade beobachtet habe, ist mir klar geworden, dass jeder Zeitpunkt perfekt
ist, solange die Gründe stimmen.“ Sie sah kurz in die Richtung des anderen Paares, doch
seine Hand an ihrem Kinn brachte sie sachte dazu, wieder ihn anzusehen. „Es geht nur um
uns beide“, sprach er sanft und zu ihrem Erstaunen glaubte sie ihm, während er vor ihr auf
die Knie sank.
Er räusperte sich kurz, was eigentlich nur dazu diente seine Gedanken zu ordnen. Diesmal
wollte er es richtig machen, er hatte schon einmal überhastet gehandelt und dafür auch die
passende Antwort erhalten. Noch einmal würde ihm dieser Fehler nicht passieren. Zeit war
das ausschlaggebende Wort.
114
Ihre Hand fühlte sich zart und kalt an und versank beinahe in seiner größeren und in ihm
machte sich das brennende Verlangen bemerkbar jeden einzelnen Finger zu küssen, dann
ihre Handfläche ihren Handrücken, ihr Gelenk, den Unterarm... Nein, er durfte sich jetzt
nicht ablenken lassen. Schließlich ging es um ihre Zukunft. Dass diese Zukunft gerade mit
seinem Antrag in ernstliche Gefahr geriet, wusste er in diesem Augenblick noch nicht.
„Dana“, ihr Name rollte wie eine Geliebte über seine Zunge. „Das Gefühl jeden Abend
neben dir einzuschlafen und jeden Morgen meine Augen zu öffnen in dem Wissen, dass du
da sein wirst, dieses Gefühl möchte ich für den Rest meines Lebens genießen. Mit dir
zusammen möchte ich unseren Sohn großziehen und dabei älter und gemütlicher werden.
Ich hätte niemals gedacht, dass es mir so leicht fallen würde mein altes, ich-bezogenes
Dasein aufzugeben – auch wenn es nicht ohne Rückfälle geschieht – aber das konnte ich. In
dem Wissen, dass du der Grund dafür bist und dass ich die Kontrolle über mein Leben
nicht verlieren, sondern deine Stärke dazu gewinnen würde. Ich kann mir nicht vorstellen
auch nur noch einen weiteren Tag länger nicht rechtmäßig der Deine zu sein, darum frage
ich dich hier und vor Zeugen“, er grinste kurz, „Würdest du mir die Ehre erweisen und mit
mir zusammen den heiligen Bund der Ehe eingehen?“ Er spürte ihr sanftes Ziehen an
seiner Hand und ihrer stummen Bitte folgend stand er auf. Nervosität durchspülte seine
Adern.
Eine einzelne Träne lief ihre Wange hinab, aber ihre Lippen waren zu einem Lächeln
geformt. „Ja, ich will deine Frau werden“, sprach sie leise, aber kräftig und nun endlich
musste er seinem Verlangen nachgeben. Er beugte sich zu ihr herunter und bedeckte ihren
Mund mit seinem.
Beide würden das Gefühl dieses Kusses nie mehr vergessen. Zum Teil, weil es ihr erster
Kuss als einander Versprochene war, doch zum wesentlich größeren Teil deswegen, weil es
ihr letzter Kuss war bevor die Hölle losbrach.
Buchstäblich!
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Kapitel 20
Das Erste, woran sie sich erinnerte, war das unglaubliche Geräusch, das Giles Dellanoy von
sich gab und das seine Verwandlung einleitete.
Sie und ihr frisch Verlobter wichen erschrocken auseinander und konnten so noch einen
Blick auf das Sofa erhaschen, welches mit unmenschlicher Gewalt gegen die Wand, die an
die Bibliothek anschloss, geschleudert wurde, als Giles aufsprang. Sie sahen auch, wie es die
beiden überraschten Agenten, die dahinter standen, gleich mitnahm. Scully sah, wie beide
besinnungslos zu Boden glitten und hoffte, dass sie nicht zu schwer verletzt waren. Denn
auch wenn ihr erster Impuls darin bestand, zu ihnen zu laufen um ihnen zu helfen,
erkannte sie in der gleichen Sekunde, dass das völlig unmöglich war.
Sie waren getrennt durch eines der grausamsten Wesen, das sie je gesehen hatte. Und das
waren verdammt viele gewesen. Wie sie dabei feststellen musste, neigte man nach
jahrelanger Arbeit an den X-Akten dazu, zu glauben, man hätte bereits alles gesehen, was
die Welt so an Monstern hervorbringen konnte. Obwohl man es eigentlich gerade deshalb
besser wissen sollte. So lernte sie es auf die harte Tour.
Und dann passierte etwas, das Dana Scully beinahe hätte hysterisch auflachen lassen, wenn
die Situation nicht so furchtbar gewesen wäre. Allan Lennox-Boyd, Kaliophrag aus
Leidenschaft, wurde ohnmächtig. Der Einzige, der sie vielleicht vor diesem Ding hätte
retten können, wurde beim Anblick dessen, was eigentlich sein heiliger Gral hätte sein
sollen, leichenblass, bekam große Augen wie ein verschrecktes Kind und verabschiedete
sich ins Land der Dunkelheit.
Damit blieben nur noch Mulder, sie selbst und Yvette im Spiel, obwohl die kleine Französin
nicht den Eindruck machte, als könnte sie von großer Hilfe sein. Tränen liefen ihre Wangen
hinunter. Die Augen geschlossen sank sie auf ihre Knie hinunter, der Pose nicht ganz
unähnlich, die vor kurzen noch Mulder und Allan eingenommen hatten. Eine Sekunde
glaubte Dana, dass sie ebenfalls das Bewusstsein verlieren würde, doch dann sah sie, dass
die zierliche Frau ihre Hände gefaltet hatte und sich ihre Lippen bewegten und sie
erkannte, dass Yvette betete. Das war angesichts der Situation und dem Gegner, dem sie
sich gegenüber sahen, gar nicht so eine schlechte Idee, allerdings in diesem speziellen Fall
wohl auch völlig nutzlos. Giles Dellanoy schenkte ihr nicht einen Moment seine
Aufmerksamkeit.
Scully konnte ihren Blick nicht von dem Punkt der eigentlichen Gefahr abhalten, von dem,
was früher einmal Giles Dellanoy gewesen und irgendwie immer noch war. Seine
Gesichtzüge waren auf grausamste Weise entstellt, seine Beine verkrüppelt und hatten
Ähnlichkeit mit dem eines Tieres, eines Pferdes oder Stieres vielleicht, wie ihr
absurderweise durch den Kopf ging. Natürlich hatten sie damit Ähnlichkeit, jedes Kind
konnte einem das erzählen. Sie selbst hatte oft Geschichten über den Urvater des Bösen
gehört als sie noch klein gewesen war.
Doch das war noch nicht die gesamte Veränderung. Er war gewachsen, mehr als einen
halben Meter, und er war breiter geworden. Sein Kreuz war so breit, wie das eines
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Bodybuilders zu seinen besten Zeiten und seine Arme waren muskelbepackt, sein Hemd
zerrissen, die Handschellen wie Spielzeug zerplatzt, lagen auf dem Boden.
Aber tief in diesem geifernden, sabbernden Gesicht saß ein Paar unschuldiger Augen. Die
Kälte war aus ihnen verschwunden. Vermutlich war das der einzige Teil von Giles Dellanoy
den Satan nun nicht mehr unter Kontrolle hatte und diese Augen nahmen ängstlich all das
auf, was um sie herum geschah.
Jedoch konnten diesen Augen nicht über das offensichtliche hinwegtäuschen. Giles
Dellanoy war tot. Wer wusste schon wie lange, aber sobald der Teufel ihn aus seinem Besitz
entlassen würde, war er so tot wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Dann folgte die nächste Stufe. Die Hitze, die Dana aus sämtlichen Gedanken riss. Eine
gewaltige Welle durchflutete den Raum und sie konnte die Härchen an ihren Armen
knistern fühlen, als sie verbrannten. Ihr Kopf begann auf der Stelle zu schmerzen und sie
hatte das Gefühl, einen brennenden Bienenstock auf ihrem Schultern zu balancieren,
während ihre Drüsen kaum mit der Schweißproduktion nachkamen.
Der Drang, einfach schreiend davon zu laufen war beinahe übermenschlich, aber sie musste
ihm widerstehen. Sie hatte soviel überstanden und sie wusste, wenn sie Schwäche zeigen
würde, wäre sie genauso tot wie die anderen Opfer. Ihr Herz vollführte gefährliche Sprünge
aufgrund der plötzlich erschreckenden Situation. Aber nein, sie musste kämpfen und ihr
Körper durfte sie jetzt nicht im Stich lassen.
Doch dann folgten eine Beobachtung und die damit verbundene Erkenntnis, die ihr rapide
pochendes Herz beinahe zum Stillstand gebracht hätten. Giles, oder was auch immer er
jetzt war, schaute nicht sie an. Nein, sein Interesse galt Mulder und ihr Gehirn erkannte
sofort, dass ihr eigenes Leben noch nicht in Gefahr war. Es waren immer die männlichen
Opfer zuerst gestorben und nun endlich verstand sie auch den unnatürlich hohen
Adrenalinspiegel der weiblichen Opfer. Sie konnte es durch ihren Körper rasen fühlen und
konnte auch die Veränderungen ausmachen, die es in ihrem Körper auslöste. Sie hörte
besser, glaubte, ein leises Stöhnen von John zu vernehmen. Auch ihr Tastsinn hatte sich
verstärkt, was angesichts der brennenden Hitze um sie herum nicht sehr vorteilhaft war
und sie konnte das leichte Schwindelgefühl in ihrem Kopf nur schwer unter Kontrolle
halten.
Und sie roch besser.
Der Geruch war zweifelsohne die gesamte Zeit über da gewesen, doch da sie ihn nicht
erwartet hatte, hatten ihre Geruchsnerven sie nicht darauf aufmerksam gemacht. Doch
jetzt roch sie es und sie kannte den Geruch. War sie doch während ihrer Studienzeit so oft
mit ihm in Verbindung gekommen.
Schwefel. Es gab keinen Zweifel daran, dass der Salon des alten Herrenhauses der van
Bolts nach Schwefel roch. Aber wie konnte das sein? In keinem der Opfer hatte der
toxikologische Test eine Übereinstimmung mit Schwefel gezeigt. Oder hatte sich Dr. Talbot
geirrt? Hatte er die überraschenden Ergebnisse nicht für voll genommen und den Test als
fehlerhaft abgehakt? Wie auch immer, jetzt gab es keinen Zweifel mehr daran.
117
Sie kam nicht dazu, weiter über den Geruch und dessen Ursprung nachzudenken, als
Giles/Satan den Couchtisch vor seinen Beinen mit einer Hand quer durch den Raum und
durch das große Panoramafenster warf, das mit einem gewaltigen Donnern zu Bruch ging.
Schockiert spürte sie, wie sich die Angst enger um ihren Brustkorb zu schlingen begann,
auch wenn der Schwefel sicher seinen Teil dazu beitrug. Aber sie durfte jetzt nicht
aufgeben.
Aber vielleicht ging es gar nicht so sehr ums Aufgeben, stellte sie erschrocken fest, als sich
das personifizierte Böse, Mulder näherte. Vielleicht war alles, was sie taten, nur eine
Verzögerung, die letztendlich trotzdem auf das unausweichliche Ende, ihren Tod,
hinauslief. Aber sie wollte noch nicht sterben, obwohl der Ausdruck falsch war. Nur die
wenigsten Menschen wollten schließlich sterben.
Sie konnte vielmehr noch nicht sterben und Mulder genauso wenig. Nicht, wenn es noch so
viel gab, für das sie leben mussten. Sie wollte wenigstens einmal in ihrem Leben ein
Hochzeitskleid anhaben und nicht nur das, welches sie einmal scherzhaft anprobiert hatte,
als sie noch mit Daniel zusammen gewesen war, bevor sie erfuhr, dass er schon verheiratet
war. Nein, sie wollte ein richtiges Brautkleid und sie wollte Fox Mulder die Worte „Ja, ich
will“ sagen hören, während er zärtlich ihre Hand hielt und lächelte, obwohl ihnen beide
kleine Tränen in den Augen glitzerten.
Sie wollte ihn mit heiserer Stimme wieder und wieder flüstern hören, dass er sie liebte,
während er hart und schnell und inbrünstig ihren Körper liebte. Wollte vom Einkaufen
nach Hause kommen in dem Wissen, dass er auf der Couch sitzen würde, ihr Baby in
seinem Armen. Ja, und sie wollte mit ihm teilen, wie William seinen ersten Geburtstag
feierte und später seinen ersten Schultag. Wollte sehen, wie ihr Sohn sich das erste Mal
verliebte und das Mädchen bis auf die Knochen hassen, wie es nur eine Mutter konnte.
Wollte ihn schließlich doch gehen lassen und sehen, wie er heiratete und ihnen ihr erstes
Enkelkind schenkte...
Es war völlig ausgeschlossen, dass sie jetzt schon sterben würde. Doch Giles/Satan sah die
Sache anders und ihre Argumente waren absolut nutzlos. Alles was ihn interessierte war
seine Quote. Es galt noch zwei Opfer zu finden, oder besser gesagt sich anzueignen.
Genauer: ihre Seelen. Gefunden hatte er sie bereits und sie waren vortrefflich. Er konnte
die Liebe spüren, konnte das Leuchten ihrer Seelen sehen und er wusste, dass diese beiden
mit Abstand die stärksten waren.
Aber auch wenn Giles/Satan durch ihren neuen Lebenswillen nicht im Geringsten
beeindruckt war, so gab er ihr die Kraft sich zwischen ihn und ihren Lebensinhalt zu
stellen. Niemand würde ihr Mulder entreißen, sie hoffte allerdings, dass Doggett sich
schnell fangen würde, sie hatte gesehen, wie sich seine Augen geöffnet hatten, bevor sie ihre
neue Position eingenommen hatte.
Doch er war nicht schnell genug. Ein einziger Schwung von Giles/Satans Arm schickte sie
auf einen Flug durch das Zimmer und sie landete hart und schwerfällig in einer Pfütze
neben Yvettes in sich gekehrter Form.
118
„Scully!“, seine Stimme überschlug sich vor Angst und das war der Moment in dem John
Doggett hinter dem Sofa aufsprang und seine Waffe auf das Monster richtete. Eine
Sekunde sah er verwirrt aus, doch dann machte sich eine tiefe Entschlossenheit in seinem
Gesicht breit und Scully hoffte, dass die Waffe in seinen Händen wirklich die Erlösung
hielt, die sie versprach.
„Notre Père qui es aux cieux, que ton nom soit sanctifié“, sie konnte Yvettes leise Worte
vernehmen, konnte aber nicht ausmachen, was sie bedeuteten. „Que ton règne vienne, que
ta volonté soit faite sur la terre comme au ciel. Donne-nous aujourd'hui notre pain de ce
jour. Pardonne-nous nos offenses, comme nous pardonnons aussi à ceux qui nous ont
offensés. Et ne nous soumets pas à la tentation, mais délivre-nous du mal.“ Und dann
sanken die Worte ein, die sie einst so gut gekannt hatte, dass sie sie im Schlaf hätte aufsagen
können. Die kleine Französin betete wieder und wieder das Vaterunser. Die zierliche
Gestalt zuckte kurz zusammen und Scullys Kopf flog herum, als ein lauter Knall ertönte.
Ein Schuss.
Überhastet nahm sie ihre Umgebung auf, die Waffe in Agent Doggetts Hand rauchte, was
den Ursprung des Schusses deutlich machte, jedenfalls besser als das Ziel. Es war
zweifelsohne klar, auf wen er geschossen hatte, doch er hätte es genauso gut lassen können.
Denn Giles/Satan war weder verletzt noch irgendwie besonders von seinem erhofften Ziel
abgebracht.
Scully wollte aufspringen, wollte irgendetwas tun, konnte aber nicht verhindern, dass ihr
schwarz vor Augen wurde, als sie es versuchte. Schwefel und Panik hatten allmählich einen
schwächenden Effekt auf ihren Körper und sie musste für ein paar Sekunden ruhig atmen,
um ihr Sehvermögen wieder herzustellen. Währenddessen änderten sich Yvettes Worte und
sie sprach nun nicht mehr in ihrer Muttersprache, obwohl ihre Worte so fehlerfrei waren,
als täte sie es noch immer.
„Die Macht die genommen,
Schwebst du in meiner Gewalt.
So dass kein Opfer mehr sei,
Gewähr ich diesen Seelen halt.“
Scully schaute überrascht zu, als Giles/Satan inne hielt und sich in ihre Richtung umdrehte.
Doch seine Aufmerksamkeit galt nicht ihr, sondern der zierlichen Frau neben ihr. Sie sah
auf Yvette, die nun die Augen geöffnet hatte und ihren Gegner mit starren, kalten Augen
fixierte, der sich sofort auf sie zu bewegte. Doch bevor er einen Schritt getan hatte, begann
sie weiter zu sprechen.
„Dein Werk unvollendet,
Kehr zurück in deine Welt.
Da ohne Macht und Opfer nichts verbleibt,
Was dich in dieser hier hält.“
Giles/Satan stand nun direkt vor ihr, hob seine gewaltigen Hände und... konnte sie nicht
berühren. Ein schmerzverzerrter Ausdruck bildete sich auf seinem Gesicht, oder auf dem,
119
was mal eines gewesen war. Er konnte nichts tun, als Yvette immer wieder die Zeilen
aufsagte, ohne ein einziges Zittern in ihrer Stimme.
Ein kehliger Laut, der ein Schreien gewesen sein könnte, schoss aus dem Monster und es
war unübersehbar, dass die Worte einen Effekt auf ihn ausübten. Doch dann hielt er
plötzlich inne, legte den Kopf schräg, als würde er nachdenken und dann kam das wirklich
beängstigende... sein Lächeln.
Scully bereitete sich innerlich schon auf einen erneuten Angriff vor, doch der blieb aus.
Stattdessen bewegte sich Giles/Satan von ihnen weg in einer für den großen Körper
überraschenden Geschwindigkeit schob dabei Doggett aus seinem Weg, so dass dieser
wieder gegen die Wand prallte und benommen liegen blieb. Mit einem lauten Knall
zerbarsten die Salontüren und Mulder und seine Verlobte erkannten mit Schrecken wohin
genau sich der Leibhaftige aufmachte.
Mit schnellen Schritten erklomm dieser die Treppen und eine nie zuvor gefühlte Angst
ergriff ihr Herz. Sie konnte nicht atmen. Konnte nicht schnell genug auf die Beine und zu
Mulder kommen, während sich ihrer beider einzige Gedanke in einem heiseren Schrei
seinen Weg aus ihrer Kehle bahnte: „William!“
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Kapitel 21
Stufen hatten noch nie ein so unüberwindbares Hindernis dargestellt. Aber die Panik in
ihrem Körper und die Schwefeldämpfe in ihren Lungen, mal abgesehen von den
Hämatomen, die von ihrem kleinen Flug durch den Salon herrührten, sorgten nun dafür,
dass ihr Körper sich am Rande seiner Kräfte befand.
Aber der Mutterinstinkt war eine starke Kraft, stärker als jede andere zwischen Himmel
und Hölle. Er ließ sie ihren Schwindel vergessen, das brennende Gefühl in ihrer Brust und
das langsame Ertauben ihrer Beine. Alles was ihr Denken umfassen konnte, war ihr kleiner
Junge. Sie konnte Mulder hinter sich fühlen, der ebenfalls benommen, aber fest
entschlossen war, seinen Sohn mit seinem Leben zu schützen.
Sie hatten gerade den oberen Absatz der Treppe erreicht, als laute Schreie das Haus
erfüllten, so verzerrt, dass sie nicht menschlich wirkten. Noch einmal beschleunigte sie
ihren Schritt, glitt dabei mit ihrem Fuß an der letzten Kante ab und schlug der Länge nach
hin. Bei dem Versuch sich abzufangen, kam sie falsch auf und konnte die Knochen in ihrem
Handgelenk wegen der unbändigen Kraft bersten fühlen. Doch selbst dieser plötzliche,
kurzzeitig alles überdeckende Schmerz konnte sie nicht aufhalten. Mulder war mit zwei
großen Schritten an ihr vorbei, doch sie rappelte sich sofort auf, ihm dicht auf den Fersen,
als die Schreie noch mal an Intensität zunahmen, bis sie plötzlich verstummten.
Beide standen in der Tür von Alberts Zimmer, zitternd vor Adrenalin und Angst und
gelähmt vor Schock über den Anblick der sich ihnen bot.
Dottie und Albert lagen in bekannter Weise, mit vor Überraschung und Schock geweiteten
Augen auf dem Boden, die Arme in beinahe abwährender Haltung gebannt. Es war sofort
ersichtlich, dass sie tot waren. Nicht weit von ihnen lag ein weiterer Körper. Ein kleines,
schmächtiges, in sich zusammengefallenes Gehäuse, das nicht einmal ansatzweise mehr zu
Erkennen gab, was sich vor kurzer Zeit noch für eine immense Macht in ihm verborgen
hatte. Auch Giles Dellanoy war endlich seinem Fluch entkommen.
Doch das wirklich wichtige versuchte Dana verzweifelt mit ihren Augen und Ohren zu
erfassen, doch kein Laut war zu hören.
Bis sich schließlich ein unverkennbares Geräusch in ihr Herz grub, das sie immer und
überall erkannt hätte. Das leise Wimmern ihres Kindes. Sie folgte seinen Rufen hinter das
große Bett, wo William in einem Nest von Decken eingekuschelt lag und leise vor sich hin
weinte, vermutlich mehr, um sich zu unterhalten und seiner Unruhe Ausdruck zu
verleihen, solange nicht beachten worden zu sein, als tatsächlich aus Angst.
Dana beugte sich zu ihm hinunter und nahm ihn behutsam in ihre Arme, das Pochen in
ihrem Handgelenk ignorierend. Sie drückte ihn fest an ihre Brust, zu fest, aber sie konnte
nicht anders. William quengelte fing aber nicht an zu schreien, gerade so, als wüsste er, wie
wichtig diese Umarmung für seine Mutter war. Mulder trat zärtlich an seine beiden
liebsten Menschen heran und umschlang sie in einer schützenden Geste, als wäre es ihm
damit möglich, jegliches Unheil dieser Welt von ihnen abschirmen zu können.
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Sie legte ihren Kopf an seine Brust und jetzt endlich kamen die Tränen. Ein Schluchzer
nach dem anderen entrang sich ihrer Kehle, während sie sich in seinem Shirt vergrub und
ihren Sohn noch immer fest im Arm hielt, der auch seinem Drang nachgab und mit lautem
Schreien seinem Unmut Luft machte.
„Ist schon gut, Buddy. Es ist alles vorbei“, hauchte Mulder William ins Ohr, nicht fähig,
lauter zu sprechen aus Angst, ihm könne die Stimme völlig versagen. Es gingen so viele
Emotionen in ihm vor, dass er nicht glaubte, den Tränen Einhalt gebieten zu können sollte
er ihnen nachgeben. Also stand er einfach nur da, sein Leben in seinen Armen und
versuchte, ihnen beiden Trost und Schutz zu spenden.
Erst nachdem die Krankenwagen und die Polizei mitsamt Leichenwagen angerückt waren,
kam allmählich Klarheit in das Geschehene und das ganze Ausmaß des Schlachtfeldes
wurde übersichtlich. Drei der zehn Personen, die im Haus der van Bolts gewesen waren,
verließen es in schwarzen Säcken. Vier Personen würden einen mehr oder weniger langen
Krankenhausaufenthalt antreten. Darunter Doggett, der sich bei seinem Kampf mit dem
Teufel ein Bein und mehrere Rippen gebrochen hatte, Reyes die eine schwere
Gehirnerschütterung davontrug, die es ihr unmöglich machte alleine zu stehen oder gar zu
gehen. Allan, der sich bei seinem Abschied ins Traumland eine Platzwunde am Hinterkopf
zugezogen hatte als er gegen eine Ecke des Kamins geknallt war und Scully, die ein
gebrochenes Handgelenk, einige geprellte Rippen und eine schwere Schwefelvergiftung als
Trophäen mitnahm.
Mulder wurde lediglich auf Verdacht einer Schwefelvergiftung mit untersucht, die aber
nichts ergeben sollte.
Yvette war unverletzt und kümmerte sich liebevoll um ihren Verlobten, und dabei mehr
um sein ramponiertes Ego als seine Kopfwunde.
William hatte das ganze Drama ohne einen einzigen Kratzer überstanden.
In einem Auszug des ein Jahr später erscheinenden Buches von Yvette de la Beckwith ließ
sich folgende, gekürzte Version des Geschehens erfahren:
Am Abend des 29. Septembers 2001, planten sechs mutige Menschen sich dem Teufel
entgegenzustellen. In einem alten Herrenhaus ersannen sie ein Komplott, den Herrn des
Bösen hervorzulocken und ihn zu vernichten, ohne Erfolg.
Die Autorin wurde von ihrem Verlobten unwissend als Köder benutzt, der jedoch keine
Wirkung zeigte. Als ihr dieses Vorhaben bekannt wurde, verließ sie den Raum und versuchte
das Haus zu verlassen, doch in der Halle traf sie auf den Hausherren, der sie misstrauisch
beobachtete. Sie blieb erstaunt stehen und sah den alten Mann an, der ihre Wut sofort zu
erkennen schien, doch schon war ihr Verlobter ihr gefolgt. Versuchte, ihr zu erklären wie
wichtig sie in seinem Leben wäre, im Gegensatz zu seiner Arbeit, versuchte ihr nahezubringen,
wie einmalig ihre Chance wäre, etwas unvorstellbar Großes zu vollbringen. Unwillig ließ sie
122
sich von ihm überzeugen wieder in den Salon zurückzukehren, jedoch abseits von ihm und
dem Mann, den sie als den Teufel entlarven wollten. Sie wusste, dass der alte Mann noch
immer in der Halle war und vermutlich jedes Wort hörte, welches gesprochen wurde, aber ihr
verletzter Stolz wollte darauf keine Rücksicht nehmen. Im Endeffekt war es vermutlich dieser
Stolz, der den alten Mann und seine Geliebte in einem letzten verzweifelten Akt in den Tod
trieb und ihnen allen das Leben rettete.
Denn als der Plan schließlich doch glückte und sich Satan präsentierte, gab es keine
Möglichkeit ihn zu bändigen. Keine vorher so sorgfältig überlegte Lösung fruchtete und jeder
einzelne, der sich im gleichen Raum befand, schwebte augenblicklich in Lebensgefahr, am
meisten jedoch die Liebenden die sich so willig als Opfer angeboten hatten. Doch ihr Leben
wurde gerettet, durch das Auftauchen eines leichteren Zieles. Denn während unten alle
kämpften, entschlossen sich oben zwei Seelen, ihren Kampf aufzugeben. Der ältere Mann, der
jedes Wort gehört hatte machte seiner Geliebten einen Antrag und ebnete so den Weg des
Höllenfürsten.
Dieser kam, nahm sich seine letzten zwei Seelen und verschwand. Drei Tote hinterlassend.
Offiziell starben die Opfer an einer Schwefelfluoridvergiftung, eine Schwefelverbindung, die
nur bei großer Hitze gasförmig ist und sich bei Abkühlung erst verflüssigt und schließlich
verflüchtigt. In keinem Opfer konnte diese Verbindung nachgewiesen werden, wohl aber in
einer Überlebenden des Abends.
Inwieweit der Bannspruch tatsächlich eine vernichtende Wirkung auf den Teufel hat, ist sich
die Autorin nur so sicher, dass er den schützt der ihn aufsagt, doch kein anderer Aspekt war
ersichtlich. Doch sollte jeder Mensch diesen Bannspruch kennen, dürfte es dem Teufel schwer
fallen ein neues Opfer zu finden.
Das Buch wurde ein Science-Fiction-Bestseller, der in zwölf Sprachen übersetzt wurde.
123
Epilog
Zwei Monate nach diesen entsetzlichen, markerschütternden Ereignissen und zehn Monate
vor Veröffentlichung des Buches, das dies alles wieder aufrollen würde, begann sich
Mulders und Scullys Leben allmählich wieder zu normalisieren. Obwohl von normal in
ihren Leben sowieso selten die Rede war und beide hatten sich auch sehr gut damit
abgefunden. Aber wenigstens war wieder so weit Ruhe eingekehrt, dass es nach außen hin
einen ganz gewöhnlichen Eindruck machte.
Die Zeiger der Uhr näherten sich der Zwölf und der Tageswechsel stand bevor. Im
Fernseher lief die 200. Wiederholung von Dallas und auf dem Sofa davor lag Dana Scully,
in ihren weichen Bademantel gehüllt, mit halb geschlossenen Augen. Auf ihrer Brust lag
William, den Kopf an ihre Schulter gelehnt, die Augen geschlossen, die Lippen leicht
gekräuselt, während sich seine Brust stetig und ruhig hob und senkte. Er war der einzige,
den die Ereignisse nicht beeinflusst hatten, er schlief ohne Alpträume, nicht wie seine
Eltern.
Müde kam Fox Mulder aus dem Badezimmer, mit einfachen Shorts bekleidet und nacktem
Oberkörper, ein Handtuch um die Schulter, mit dem er seine nassen Haare frottierte. Als er
Dana und seinen Sohn auf der Couch erblickte, blieb er im Türrahmen stehen, ließ die
Arme sinken und wurde augenblicklich von einer gewaltigen Welle überrollt.
Auf diesem einfachen Möbelstück waren die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben.
Menschen, die er jede Nacht sterben sah, die jede Nacht um Hilfe schrieen, die er ihnen
nicht geben konnte. Er schloss kurz die Augen und atmete einmal tief durch. Als er sie
wieder öffnete, lagen sie noch immer dort, genauso friedlich, genauso ruhig und genauso
lebendig.
Unter seinen Augen hatten sich tiefe Ringe gebildet, die in etwa denen glichen, die vor 20
Jahren das Verschwinden seiner Schwester hervorgerufen hatten. Sicher, er war es
gewöhnt gewesen wenig zu schlafen, aber seit er sich damit abgefunden hatte, dass sie jetzt
an einem besseren Ort war – und er musste sich einfach vorstellen, dass es ein besserer Ort
war, da er sonst längst an dem Gedanken zerbrochen wäre – schlief er sehr viel mehr und
auch regelmäßiger. Ein wichtiger Bestandteil darin war natürlich auch, dass er neben der
Frau liegen konnte, die er am meisten liebte, in dem Bewusstsein, dass sie noch immer da
sein würde, wenn er am nächsten Morgen die Augen öffnete. Die ihn warm anlächelte, ihm
Halt und Geborgenheit gab und sein Leben lebenswert machte.
Die Vorstellung, in seine alte Furcht zurück zu verfallen – sie zu verlieren – war alles
andere als angenehm. Aber wie sollte er sich dieser Macht entziehen, da er schon wieder so
knapp davor gewesen war. Zwei Monate konnten diese Erfahrung nicht einfach austilgen,
das würde vermutlich Jahre brauchen, die er nicht haben würde, würde er nicht bald
wieder richtig schlafen.
Er schüttelte kurz seinen Kopf, als würde er versuchen, alle unangenehmen Gedanken zu
verbannen und für diesen Moment gelang ihm das sogar. Mit leisen Schritten schlich er
hinüber. Kaum, dass er neben dem Sofa stand, öffneten sich ihre Augen und trafen seine.
124
Einen kurzen Augenblick hielt die Welt den Atem an, dann lächelte sie leicht und die Erde
begann sich ruhig und gelangweilt weiter auf ihrer Achse zu drehen. Ihre Augen leuchteten
und zeugten von ihrer Liebe zu ihm, ein Gefühl in dem er seine verwundete Seele badete.
Doch in ihren Augen lag auch ein Versprechen, das Versprechen, dass sie auch dies
gemeinsam überstehen würden, wie immer.
Sanft schlang sie ihre Arme um William, der kurz aber hörbar ausatmete und erhob sich
langsam. Ehe er sich auch nur einen Zentimeter bewegt hatte, gab sie ihm einen zärtlichen
Kuss auf die Lippen und lief dann Richtung Kinderzimmer, während er ins Schlafzimmer
lief, in dem Wissen, dass sie gleich bei ihm sein würde.
Sich körperlich zu lieben, war etwas, das sie zu einem Abendritual gemacht hatten. Es
schien der einzige Weg zu sein, ohne quälende Ängste und Gedanken einzuschlafen und es
hatte in keinster Weise an Schönheit verloren. Im Gegenteil, es war jedes Mal so vertraut
und doch etwas Neues, langsam und zärtlich, bis beide vor Erschöpfung einschliefen.
Er stand im Schlafzimmer, mit dem Rücken zum Bett, das Gesicht der Tür zugewandt und
wartete. Er musste nicht lange warten, bis sie zu ihm stieß und sich in seine Arme begab.
Erleichterung durchflutete seinen Körper, wie jeden Abend, dass er sie noch immer
umarmen konnte. Doch unter dieser Erleichterung spürte er auch noch etwas anderes, eine
Emotion, der er sich seit Williams Geburt solange verweigert hatte und die ihn nun jede
Nacht von neuem völlig überraschend zu treffen schien. Erregung.
Ihre Umarmung löste sich und er wich einen kleinen Schritt zurück. Traumgleich sah er
seine Hände den Knoten lösen, der ihren Bademantel zusammenhielt, er hatte kaum Gefühl
in seinen Fingern und sie schienen sehr weit weg zu sein, als hätte er sie in kaltes Wasser
getaucht und die Kälte würde seine Hände betäuben. Es dauerte einige Sekunden, bevor er
den kleinen Knoten geöffnet hatte und die langen Enden nach unten fielen und in ihren
Schlaufen hin und her schlenkerten. Ein kleiner Spalt tat sich auf und er hob seine tauben
Hände, die trotz allem sehr warm waren und zog die beiden Hälften der Baumwolle weiter
auseinander. Sie gaben ohne Zögern nach und glitten von ihren Schultern herunter, als er
sie weit genug geöffnet hatte. In einem beigefarbenen Haufen landete der Bademantel zu
ihren Füßen, unbeachtet.
Wie von selbst waren seine Hände auf ihren Hüften zur Ruhe gekommen, als er ihre
Bekleidung abgestreift hatte und nun begann das Gefühl in sie zurückzufließen. Er konnte
die weiche Haut unter seinen Fingerspitzen fühlen und sah fasziniert auf seine Finger.
Versuchte, das Optische mit dem Physischen zu vereinen.
Dann blickte er langsam auf und sah in ihr Gesicht. Mit einem sanften Lächeln auf den
Lippen, den Kopf verträumt ein wenig zur Seite geneigt, betrachtete sie ihn, aber es schien
viel mehr zu sein. Es war beinahe so, als konnte sie durch den Spiegel in seinen Augen alles
sehen, was er sah, während er seine Hände betrachtete.
Ihre Hände fanden den Weg zu seinen Shorts und mit Leichtigkeit löste sie sie von seiner
Haut und auch sie gaben der Schwerkraft nach und landeten auf dem Boden. Darauf griff
sie seine Hände, die noch immer auf ihren Hüften lagen und löste sie von ihrem Körper,
125
umschloss seine Finger mit ihren und begann ihn an die Seite ihres gemeinsamen Bettes zu
führen.
Langsam ließ sie ihre Finger wieder aus seinen gleiten, beugte sich herunter und warf die
Tagesdecke ans Fußende und zog die Bettdecke zurück, dann richtete sie sich wieder auf
und schenkte ihm ein warmes Lächeln bevor sie unter die Decke krabbelte. Er folgte ihr
sofort und zog die Decke über sie beide, bevor er sich eng an ihren Körper schmiegte.
In dem Wissen, dass er diese Nacht keine Rücksicht mehr auf den Gips an ihrer Hand und
ihre geprellten Rippen nehmen müsste. Sie hatte am Vormittag ein komplettes
Gesundheitszeugnis von ihrem Arzt erhalten, dass sie so gut wie neu war. Aber
Kleinigkeiten erinnert ihn doch daran, dass „so gut wie neu“ eine Umschreibung war, die
sie noch nicht ganz ausfüllen konnte. Die Ringe unter ihren Augen, die Art wie sie bei
jedem tieferen Atemzug das Gesicht leicht verzog, immer in Erwartung eines Schmerzes,
der nicht mehr kam und natürlich die schüchternen, fast schon scheuen Berührungen, die
sie ihm schenkte, als wäre sie ängstlich, dass jeder stärkere Kontakt ihn zu Staub zerfallen
lassen würde.
Aber er wollte ihr zeigen, dass er immer da sein würde, jeden Augenblick, den sie ihn an
ihrer Seite haben wollte. Dass er jede Berührung willkommen hieß, willig sie zu erwidern
und neue hervorzulocken.
Ihre Körper schmiegten sich eng aneinander, Wärme suchend, obwohl im Zimmer die
Temperaturen auch nachts nicht unter eine 20°-Grenze fielen. In ihren Inneren jedoch gab
es eine Kälte, die angesichts der Erinnerungen, die sie hervorrief, schon paradox wirkte.
Sanft fanden sich ihre Lippen, verschmolzen miteinander in einem so vertrauten und doch
so fremden Ritual. Seine Hände strichen über jeden Zentimeter Haut, den er erreichen
konnte und blieben schließlich in ihren Haaren haften, durchkämmten sie und strichen sie
aus ihrem Gesicht. Wann immer sie sich küssten, war das Gefühl, die Augen zu schließen
beinahe überwältigend, aber er widerstand dem Drang, wohlwissend, dass ihr Anblick ihn
dafür entschädigen würde. Sie schloss ihre Augen immer, aber die friedlichen Konturen,
die ihr Antlitz umfingen, erwärmten sein Herz und seine Lenden beinahe so stark wie ein
Blick von ihr es getan hätte.
Vorsichtig, darauf bedacht, ihre Münder nicht zu trennen, drehte er sie auf den Rücken
und drapierte seinen Körper über ihren. Verspielt tanzten ihre Zungen umeinander, als
hätten sie sich ewig nicht gesehen und doch wiedererkannt. Und letztendlich trennte er
seine Lippen dennoch von ihren, da ihr Körper noch mehr Stellen bot, die es zu erforschen
galt. Die kleine Stelle unterhalb ihres linken Ohres, die ihr jedes Mal eine Gänsehaut
verpasste, wenn er auch nur in ihre Gegend kam. Ihr Schlüsselbein bei dem sie sich nie
entscheiden konnte, ob sie das nun erregte oder kitzelte, eigentlich egal, da beides die
gleichen Folgen hatten und zwar, dass ihre Brustwarzen sich sehnsüchtig erhoben und sich
ihm entgegenstreckten. Ihre Brüste waren nach all der Zeit noch immer ein Rätsel für ihn.
Wie konnte er sie betrachten, wenn sie ihren Sohn stillte und dabei nichts weiter als Wärme
und Zuneigung empfinden, wohingegen er in Momenten wie diesen bei ihrem Anblick allein
schon hätte aus der Haut springen können. Nicht, dass er sich darüber ernstlich Sorgen
126
machte, gefährlich wurde es schließlich erst, wenn er die beiden Dinge nicht mehr
auseinander halten konnte.
Sein Mund umschloss gierig einen Nippel, aufpassend, dass er nicht mit den Zähnen in
Berührung kam, da ihr das doch mehr Schmerz als Vergnügen zu bereiten schien. Ihr
gehauchtes Stöhnen war der Beweis, dass er sich im grünen Bereich befand. Seine Zunge
umkreiste feucht ihren Busen, wanderte zwischen ihren Brüsten hin und her bis er glaubte
vor Seligkeit ohnmächtig zu werden. Aber schon seine Mutter hatte ihm beigebracht
aufzuhören wenn’s am Schönsten war, also trennte er sich widerwillig von seinen zwei
Freunden und ließ seinen nimmersatten Mund tiefer an ihrem Körper hinuntergleiten. Hin
zu dem weichen, blassen Fleisch ihres Bauches. Er spürte, wie sich die Muskeln unter
seinen Lippen verhärteten und musste kurz Lächeln. Wie konnte eine so selbstsichere Frau
wie Scully nur so besessen von ihrem Bauch sein? Ja er war nicht mehr so flach wie vor der
Schwangerschaft, na und? Klar hatte er ihn damals geliebt, dafür hatte sie jetzt größere
Brüste, was ihm definitiv besser gefiel.
„Mulder“, ihre Stimme dunkel und rau vor Erregung. Sein Blick fand ihren. „Komm her“,
befahl sie und er gehorchte sofort, widmete seinen Mund wieder ihrem, damit sie
hemmungslos das Leben aus ihm rausküssen konnte.
Eine bestimmender Druck ihrer Hand an seiner Schulter und er ließ sich willig zurück auf
seinen Rücken fallen. Nur Sekundenbruchteile später war sie über ihm, gewillt ihre neu
gewonnene, schmerzfreie Rippengegend gewinnbringend einzusetzen.
Sie hätte jetzt die Zeit gehabt, jeden Zentimeter seines Körpers erkunden zu können, aber
sie war bei weitem nicht so geduldig wie ihr Partner. Ihr Verlobter! Wie jedes Mal wenn sie
daran dachte, machte ihr Herz einen kleinen Freudensprung und sie sah schnell auf ihre
rechte Hand an der ein wunderschöner neuer Ring sein Zuhause gefunden hatte, um sich
zu vergewissern, dass es real war.
Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um über ihre Verlobung nachzudenken oder über die
Hochzeit für die sie noch nicht mal einen Termin hatten. Ihr Körper bebte fast vor
Verlangen nach ihm, schrie förmlich nach Erlösung.
Ihre Muskeln anspannend richtete sie sich auf, testend ob sich nicht doch ein kleiner
pieksender Schmerz in ihrem Thorax breitmachen würde, der ihr zeigte, dass es für die
Position noch zu früh war, aber das Gefühl blieb aus. Ungeduldiger als zuvor half sie ihm in
die richtige Stellung und ließ sich hinab gleiten. Sein entzücktes Brummen ein
willkommener Begleiter zu ihrem genüsslichen Stöhnen.
Doch jetzt, da sie vereint waren, gab es für ihre Lust kein Halten mehr und obwohl sie
gerne einige Augenblicke in dieser Pose verharrt wäre, trieb sie das warme, wollüstige Blut
in ihren Adern sofort dazu, einen langen, tiefen Rhythmus aufzubauen. Sich mit den
Händen auf seiner Brust abstützend richtete sie sich wieder auf und ließ sich erneut nieder
sinken.
Seit nunmehr sieben Wochen war das ihr Abendritual und dennoch war die Schönheit, die
sie gemeinsam schufen noch immer atemberaubend und sie hoffte, dass dieses Gefühl sich
127
niemals legen würde. Es gab schließlich noch so viel Neues zu entdecken und jetzt wo sie
körperlich endlich geheilt war, war sie gierig darauf, alles auszuprobieren. Aber nicht heute
Nacht.
Auch sein Körper schien jetzt nur noch sein egoistisches Ziel vor Augen zu haben und er
schob ihr bei jeder Abwärtsbewegung sein Becken entgegen. Das Ergebnis war Knochen
erschütternde Ekstase. Ihre Antwort darauf war kein verhaltenes Stöhnen sondern ein
lautes Keuchen.
Der sorgsam aufgebaute Rhythmus erlag letztendlich der Macht der Gefühle und wenn sie
nicht so panische Angst davor gehabt hätte, ihren Sohn aufzuwecken, hätte sie geschrien.
Ihr Atem kam in kleinen Wellen und sie fühlte die Hyperventilation ihr Nötigstes tun, so
dass ihr beinahe schwarz vor Augen wurde. Aber sie war jetzt so nah und sie musste ihn
sehen. Ihre Augen suchten seine und sie verschmolzen wie es ihre Münder vor kurzer Zeit
getan hatte.
Und dann spürte sie es. Die unglaubliche Macht, die ihren Körper schweben ließ, jeden
einzelnen Knochen und Muskel dahinschmelzen ließ und jetzt wurde ihr wirklich schwarz
vor Augen. Ihre Finger krallten sich in seine Brust, um wenigstens noch etwas Halt zu
haben. Schließlich ebbte das Gefühl ab. Sie musste überrascht bemerken, dass ihr Wangen
feucht waren und ihr Augen so fest zusammen gepresst, dass kaum eine Träne noch ihren
Weg herausfand. Dann spürte sie seine Gestalt sich aufsetzen und seine Arme um sie
schlingen. Seine Lippen an ihrer Wange, um die verräterischen Tropfen aufzufangen, dann
auf ihrem Mund und die Ablenkung funktionierte. Noch während er sie küsste entspannten
sich ihre Lider und sie konnte ihre Augen wieder öffnen. Sie blickte direkt in seine und
lächelte beruhigend gegen seinen Mund. Er war noch immer hier, war ihr nicht genommen
worden, von einem Dämon ohne Herz.
Langsam setzte sie ihre Hüften wieder in Bewegung ließ sie erst ruhig, dann kräftiger gegen
sein Becken kreisen. Und als er seinen Höhepunkt erreichte gab es keinen Schrei, kein
Stöhnen und auch keinen Seufzer, nur eine kleine Lippenbewegung, die ihr Name war.
Er lehnte sich zurück auf die Kissen und zog sie mit sich, seine Arme fest um ihren Körper
geschlungen, ihr Kopf auf seiner Brust.
Nachdem sie einander nun mit ihren Körper versprochen hatten, was ihre Lippen nicht
willig waren zu so später Stunde zu sagen, schliefen sie fest in einander verschlungen ein.
Der neue Verlobungsring glitzerte unschuldig an ihrem Finger.
In jedem Jahrhundert gab es eine Liebe, die stark genug war alles zu überdauern. Stark
genug, der Hölle zu entkommen, doch nur für eine gewisse Zeit. Denn die acht Jahre
würden ins Land ziehen und es würde wiederkehren, um sich zu holen, was ihm rechtmäßig
gehörte.
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Niemand war bereit auf Ewig zu kämpfen. Niemand war in der Lage, jedes Mal den Kampf
zu gewinnen. Letztendlich wurden sie alle schwach, wurden alt und verletzlich. Es war nur
eine Frage der Zeit.
Und es hatte Zeit. Er hatte Zeit.
Ende
Okay, nur zur Erinnerung. Das war mein erster Versuch einer X-Akte. Ich bin nicht gut in so
was und das weiß ich auch, aber immer nur Gefühlsduseleien halte selbst ich nicht aus und
deshalb hoffe ich einfach, dass es euch gefallen hat.
In dieser schier unglaublich langen Zeit, seit ich die Story begonnen habe, hat sie natürlich
auch viele Veränderungen durchlebt, Szenen wurden neu geschrieben (da sie aufgrund
beschissener – entschuldigt das Wort- Computerprobleme ins Nirvana verschwanden) oder
völlig herausgenommen, da sie nicht charaktertreu genug waren (selbst für mich) oder einfach
den reibungslosen Ablauf der Storyline verhinderten (meine NC-Teile, erwähnte ja schon, dass
sich das nicht gut vertragen hat). Allerdings sind wirklich niedliche Szenen darunter gewesen
und auch welche in denen einfach nur eine Heidenarbeit steckt und deshalb hab ich mich
entschieden euch meine Outtakes als kleines Schmankel hinten dran zu hängen. Die müsst ihr
natürlich nicht lesen, aber euch würde echt was entgehen und als kleinen Ansporn: es ist auch
ein NC-Teil dabei, der es nicht geschafft hat und der eigentlich eine eigene Story sein könnte.
(Für Ungeduldige und NC-Freaks unter euch, es ist Outtake 3). Viel Spaß.
Outtake 1
3. Kapitel nachdem Doggett das Gästezimmer verlassen hat. Wie alle Outtakes flog dieses
Stück wegen seines ooc-Anteils raus.
„Hmm, ich werde mich dem wohl anschließen“, verkündete nun auch Reyes und war
ebenfalls auf dem Weg zur Tür, als ihr ein dunkles Päckchen nahe des Bettes ins Auge fiel.
Musste wohl aus einer der Taschen gefallen sein, als sie sie hereingetragen hatten. Sie lief
zurück und hob es auf und musste sich ein Lächeln verkneifen.
„Ich glaube die gehören wohl ihnen“ stellte sie amüsiert fest. Dana sah von ihrem Sohn auf
und entdeckte das Päckchen und wurde augenblicklich rot. Schnell nahm sie die Kondome
und verstaute sie wieder in ihrer Tasche.
„Okay, ich weiß, das ist privat, aber wozu brauchen Sie die denn?“ Sie musste die Frage
einfach stellen, ihre Neugier war viel zu groß. Scully erkannte die eigentliche Frage und
lächelte.
„Nun ja, was die Unfruchtbarkeit angeht, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob wir uns
wirklich darauf verlassen sollten. Immerhin hätte ich ja nicht schwanger werden können
und der Beweis dass es doch geht liegt hier neben mir“, sie deutete auf den schlafenden
Körper ihres Sohnes. „Und ich wollte eigentlich kein Zweites.“
129
„Warum nicht?“
„Eins ist schon anstrengend genug, glauben Sie mir“, antwortete sie.
„Was sagt Mulder denn dazu? Ich meine, soweit ich bis jetzt sehen konnte geht er völlig in
seiner Vaterrolle auf und vielleicht hätte er gerne noch ein Dutzend Kinder“, grinste
Monica, Dana rollte nur gespielt schockiert mit den Augen.
„Er sagt dazu gar nichts, immerhin muss er sie nicht neun Monate im Bauch mit sich
rumtragen und danach noch sechs Monate stillen. Mal ganz abgesehen von der Geburt, das
muss ich mir wirklich nicht noch ein zweites Mal antun.“ Monica nickte verstehend,
immerhin hatte sie es aus nächster Nähe miterlebt und sie wollte das auch kein zweites Mal
durchstehen.
„Ich denke, wir sollten uns jetzt zu den anderen gesellen“, meinte Dana und erhob sich vom
Bett, ordnete die Decken so an, dass William nicht herunterrollen konnte und folgte dann
Reyes in den Flur und die Treppen hinunter.
Outtake 2
Der erste Versuch des 5. Kapitels, aufgrund des wirklich überragenden ooc-Anteils hat es diese
Version auch nicht in die Endfassung geschafft.
Erschöpft lief er die Treppe hinauf. Es galt jetzt zunächst einmal, Dana zu beruhigen.
Wahrscheinlich würde sie oben schon auf ihn warten. Danach sollte er vielleicht sehen, dass
er noch etwas Schlaf bekam, denn er war jetzt schon alles andere als munter und wenn er
heute Nacht wirklich noch einmal zum Tatort wollte, konnte er wenigstens ein bisschen
Schlaf gebrauchen.
Oben öffnete er leise die Tür, er war sich ziemlich sicher, dass Dana ihren Sohn gerade
stillen würde und dabei hatte weder sie noch William es besonders gern, von ihm gestört zu
werden. Das Bett war leer, bis auf ein kleines Bündel. Er lief näher heran und betrachtete
das kleine, schlafende Wesen. Er sah so friedlich aus, aber nirgendwo eine Spur von seiner
Mutter.
Ein Blick auf ihre Koffer verriet ihm, dass ihre Waschtasche verschwunden war, was
vermutlich bedeutete, dass sie im Badezimmer war. Der Gedanke war anziehend und
grausam zugleich. Immerhin hatte er vor, sich bei ihr zu entschuldigen und wie
überzeugend würde das schon klingen, wenn er ihr dabei die gesamte Zeit auf den Busen
starren würde? Auf der anderen Seite würde er sie nackt sehen, etwas, was er seit Williams
Zeugung nicht mehr getan hatte. Tatsächlich war das die einzige Gelegenheit, bei der er sie
nackt, gesund und erregt gesehen hatte.
Vor dem Badezimmer versuchte er sich die gesamte Zeit über einzureden, dass er ein
erwachsener Mann war, der seine Hormone durchaus im Griff hatte. Vor der Tür – seine
Hand lag bereits auf der Klinke – war er schließlich zu der Erkenntnis gekommen, dass es
am sichersten wäre, wenn er ihr nur in die Augen sehen würde.
130
Einmal tief durchatmend öffnete er die Badezimmertür. Dana lag entspannt in der Wanne,
schreckte jedoch hoch, als er hineinkam. Ihr Oberkörper hüpfte aus dem Wasser, und
Mulder sah noch ganz andere Teile hüpfen, ungefähr zu diesem Zeitpunkt wurde ihm klar,
dass er seine Erkenntnis vergessen konnte.
„Mulder, könntest du bitte die Tür schließen“, obwohl sie streng klang, verriet ihr Lächeln,
dass sie über seine Reaktion – mit offenem Mund auf ihren Busen starrend – keinesfalls
verärgert war.
Übereilig leistete er ihrer Bitte folge. Während er sich umdrehte, um die Tür zu schließen,
erinnerte er sich daran, weswegen er eigentlich gekommen war.
„Dana, es tut mir leid. Dass ich dich abgehängt habe, du mich aus dem Knast holen
musstest und der Streit im Wagen, ich habe Agent Doggett bereits das Fusskettchen
gegeben, ich denke, dass du recht hattest. Mit seiner Hilfe kommen wir wahrscheinlich
weiter als allein.“ Er holte das erste Mal wieder Luft und drehte sich zu ihr um. Sie saß
noch immer aufrecht in der Wanne und musterte ihn mit diesem merkwürdigen Lächeln.
„Mir tut es auch leid, ich war einfach nur müde und gereizt, das hatte aber nichts mit dir
zu tun.“ Er schenkte ihr einen wissenden Blick. „Schön, es hatte nicht nur mit dir zu tun“,
fügte sie hinzu.
„Gut“, er stockte. „Dann werde ich mal gehen, genieß dein Bad.“ Er öffnete die Tür.
„Mulder?“ Er drehte sich zu ihr um. „Reich mir doch bitte den Rasierer, ja?“ Sie wurde
doch glatt rot, als sie das sagte. Ein Anblick der ihn fast zu ihr in die Wanne trieb, aber er
konnte sich gerade noch so zurückhalten.
„Wo ist der denn?“, fragte er und konnte nicht fassen, dass er sich wie ein vierzehnjähriger
Junge im Stimmenbruch anhörte.
„In der Waschtasche“, erklärte sie hilfreich. Er suchte sich seinen Weg durch das
verschiedene Zeug, das sie als notwendig genug erachtet hatte, mit hierher zu nehmen. Zwei
Badeöle, Shampoo, Duschgel und eine Menge anderes Zeug, das sein Vater immer
Weiberkram genannt hatte, als er noch klein war. Schließlich fand er sowohl den Rasierer
als auch den Schaum und reichte ihr beides. Dabei achtete er sorgfältig darauf sie nicht zu
viel zu berühren. Sowohl zu ihrem, aber hauptsächlich zu seinem Schutz, er hatte
entschieden, dass er seinen Hormonen nicht wirklich vertrauen konnte, obwohl er seit den
letzten vier Monaten Nacht für Nacht neben ihr schlief.
Plötzlich schoss ihm eine völlig neue Erkenntnis durch den Kopf, die mit seiner alten so
überhaupt nichts gemeinsam hatte, ihm wurde klar, wie sehr sie sich tatsächlich schon wie
ein Ehepaar benahmen.
„Danke“, lächelte sie und begann bereits, sich die Beine mit dem Schaum einzuschmieren.
Er räusperte sich kurz und verließ dann den Raum. Seine Jeans war im Begriff, mächtig
eng zu werden. Seine Hand wollte gerade die Tür schließen, als ihn irgendetwas aufhielt, es
131
war nur noch ein winziger Spalt offen, aber dieser verlockte ihn einfach zu sehr. Vorsichtig
linste er durch die Ritze und der Anblick nahm ihm sofort den Atem.
Mit gewissenhafter Sorgfalt zog sie die scharfe Klinge über die zarte Haut ihres Beines und
sah dabei so anmutig aus, dass es ihn fast automatisch zu ihr zog. Er wollte nichts
sehnlicher als sich zu ihr in die Wanne zu gesellen, seine Arme um ihren Körper zu
schlingen und sie hier und jetzt für sich zu beanspruchen.
„Störe ich Sie gerade bei irgendetwas, Mulder?“, ertönte eine dezente Stimme hinter ihm,
die seine Erektion ernüchterte. Erschrocken fuhr er herum, obwohl erschrocken nicht das
richtige Wort war. Erwischt, ertappt und überführt konnten es wohl besser ausdrücken.
Sie hatte ihn beim Ausleben seines kindischen Voyeurismus offen an die Wand genagelt,
was sollte er jetzt tun.
Er vergewisserte sich, dass Dana immer noch ruhig in der Wanne lag und ihrer reizvollen
Beschäftigung nachging, dann zog er die Tür leise ins Schloss und räusperte sich. Er hatte
jetzt zwei Möglichkeiten, entweder er würde die gesamte Sache mit einem Scherz abtun
oder er würde versuchen es zu erklären. Ein Blick in Reyes Augen verriet, dass die erste
Möglichkeit nicht in seiner Reichweite lag.
„Ähm“, das war ein perfekter Anfang, die Frage war nur, wie er weitermachen sollte.
„Ich nehme an, dass es auf eine gewisse Art gerechtfertigt ist“, begann Monica für ihn zu
sprechen.
„Na ja, nicht wirklich“, er errötete tatsächlich und sah beschämt zum Boden. Natürlich
könnte sie es als gerechtfertigt ansehen, nach außen hin musste das auf jede Person so
wirken. Aber das war es ganz und gar nicht, er hatte Dana beobachtet, wie sie etwas
Intimes tat und ein gewisser Teil fühlte sich schuldig. Ein wesentlich größerer Teil war
verärgert, dass er dabei ertappt worden war, wie er seiner Lust frönte.
„Sie hat keine Ahnung?“ Ihre Augen durchbohrten seinen Blick und hielten ihn im Zaum,
so dass er ihn kein weiteres Mal senken konnte. Sie wollte eine Antwort, eine Erklärung.
„Glücklicherweise nicht. Ich meine, sie würde mir höchstwahrscheinlich den Kopf
abreißen, wenn sie es wüsste“, scherzte er und sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, das
jedoch auch besagte, dass sie noch nicht zufrieden war und dass sie es nicht sein würde, bis
sie es verstand.
„Warum sollte sie das tun? Ich nehme an, Sie haben sie schon bei weitaus intimeren
Gelegenheiten gesehen“, er errötete erneut, während sie völlig cool blieb und ihn immer
noch wartend ansah.
„Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich sie gerade zu etwas degradiert habe, dass sie
niemals sein wollte“, erklärte er und als er ihren fragenden Blick sah fügte er schnell, „Zu
einem Lustobjekt“, hinzu. Es ging sie ja nichts an, dass er sie nur ein einziges Mal wirklich
gesehen hatte, wie sie kam und sich ihm hingab.
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„Nun Mulder, um ganz ehrlich zu sein, kann ich mir gut vorstellen, dass Sie das niemals für
einen Agenten – besonders nicht für Ihren Partner – sein wollte, aber inzwischen haben Sie
dieses Stadium hinter sich gelassen. Was mich irritiert ist, dass Sie es heimlich tun.“ Ihre
Augen drückten klares Missverstehen aus und er wusste gar nicht, wo er anfangen sollte zu
erklären.
„Scully – Dana – hat einen ausgeprägten Stolz und das ist auch gut so, aber es liegt ein
beträchtlicher Unterschied darin, ob sie mich sie sehen lässt oder ob ich es mir erschleiche.
Und momentan sollte ich sie als Mutter sehen, als liebvolle, hingebungsvolle Frau und nicht
als Ventil für meine Wünsche. Es ist nur so, dass es mich manchmal einfach überkommt
und dann kann ich nichts anderes tun als sie heimlich zu beobachten. Sie würde mich töten,
wenn sie es wüsste.“ Er stoppte. Reyes sah ihn fasziniert an, als wäre er ein unglaubliches
Tier, das sie gefangen und in einen Käfig zur Untersuchung gesperrt hatte.
„Ich glaube, sie würde sich attraktiv fühlen, ich würde es-“
„Sie weiß, dass sie attraktiv ist. Das kann sie in jedem männlichem Gesicht sehen, sobald sie
einen Raum betritt. Sie fangen an zu sabbern und sie mit den Augen auszuziehen, während
sie kühl und distanziert bleibt. Ich weiß das, ich war selbst einige Male einer dieser Männer
und das einzige, was ich tun konnte, war mir vorzustellen, wie leidenschaftlich sie unter
dieser Maske sein würde. Jetzt wo ich es weiß, macht es mich verrückt. Doch sie geht voll
und ganz in ihrem neuen Leben auf und ich genieße es, diese Seite an ihr zu sehen, aber
dabei braucht sie niemanden, der ihr heute wie früher hinterher jagt.“ Sein Blick hatte sich
zur Tür gestohlen. Er konnte sich genau vorstellen, wie Scully dahinter gerade ihre Rasur
beendete und zur Dusche griff, um sich die Haare zu waschen und schon der bloße
Gedanke daran schien ihn näher zu ziehen.
„Soweit es mich betrifft, denke ich, dass sie sehr wohl so jemanden braucht. Frauen neigen
nach einer Schwangerschaft, die ihren Körper völlig aus der gewohnten Form bringt – was
Dana, wie ich neidisch zugeben muss, erstaunlich gut wieder im Griff hat – dazu, sich
unattraktiv zu fühlen. Jemand, der sie vom Gegenteil überzeugt, kann da von großem
Nutzen sein.“
„Ich dachte, ich hätte Psychologie studiert.“ Ein breites Lächeln erhellte ihr Gesicht und er
erwiderte es leicht. Wenigstens war dieses schuldige Gefühl in ihm verschwunden.
„Sicher haben Sie das, aber ich bin eine Frau und kein Professor wird Ihnen erklären
können, was ich Ihnen sagen kann und das ist, dass Dana jetzt mehr denn je als“, sie stockte
kurz und suchte nach den richtigen Worten, „als sexuelles Wesen angesehen werden
möchte.“
Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da öffnete sich die Badezimmertür und der
Mittelpunkt des Gespräches kam mit einem Handtuch bekleidet herausgeschlendert.
Überrascht sah sie zwischen Mulder und Reyes hin und her.
„Würde mir vielleicht jemand erklären, warum ihr mich so merkwürdig anseht?“, fragte
sie unbehaglich.
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„Ach nichts, ich glaube William weint“, wich Mulder aus und verschwand in ihrem und
Williams Zimmer. Jetzt war Dana wirklich verwirrt und sah irritiert zu Monica, die sie
entwaffnend anlächelte.
„Es ist nichts, ich glaube, John hat mich gerufen.“ Und schon war sie die Stufen hinunter
und ließ eine völlig verdutzte Dana stehen. Nach einigen Sekunden schlenderte sie
nachdenklich in ihr Gästezimmer, wo Mulder einen verschlafend brabbelnden William auf
dem Arm durchs Zimmer balancierte.
„Worüber habt ihr denn gesprochen, dass es mir keiner sagen will?“ Sie ging zum
Kleiderschrank hinüber und suchte einige bequeme Sachen heraus, die sie aufs Bett warf.
Dann löste sie ihr Handtuch und lief zum Bett hinüber. Seine Augen suchten sich ihren Weg
auf ihren Körper und obwohl er William immer noch mehr Aufmerksamkeit schenkte als
seiner Mutter, entging ihm keine Bewegung.
„Über nichts Besonderes...“ Dann ohne Vorwarnung: „Du siehst atemberaubend aus“,
schoss es plötzlich aus ihm heraus und sie hielt in ihrer Bewegung inne. Ein kleines Lächeln
erschien auf ihren Lippen.
„Danke“, sie war unsicher, was sie anderes darauf erwidern sollte, doch dann verschwand
das Lächeln. „Herrgott Mulder, was hat sie dir bloß erzählt“, aber sie konnte sich ihren
Teil bereits denken.
Outtake 3
Ursprünglich war geplant, dass Giles sich der Festnahme entzieht und eine Verfolgungsjagd
entsteht, dabei sollte unsere Liebe Agent Scully seine Spur verlieren und sich dabei auch noch
unglaublich dreckig machen. Was kann ich sagen, ich liebe es einfach, wenn einer von beiden
in die Wanne muss, obwohl ich’s ja am liebsten hab, wenn beide drin sind. Jedenfalls wurde
dieser Teil gestrichen zum einen schon wieder wegen des großen ooc-Anteils (schon allein
wegen dem, was Doggett macht) und zum anderen, weil mich das sicherlich noch 3 weitere
Kapitel gekostet hätte und ich glaube, die Story ist auch so schon lang genug. Hat mich ja
schließlich nur 5 Jahre gekostet sie zu schreiben.
Ein wohliger Seufzer entkam ihren Lippen, als ihr verspannter Körper ins Wasser glitt.
Der Fall, der eigentlich noch nicht mal ihrer war, zerrte an ihren Nerven und obwohl sie
William über alles liebte und ihn um nichts auf der Welt wieder hergeben würde, waren die
letzten Monate schon verdammt anstrengend gewesen. Natürlich hatte sie es sich nicht
leicht vorgestellt, aber sich nur vorzustellen Mutter zu sein und die reale Welt lagen
meilenweit auseinander.
Sanft umschmeichelte das warme Wasser ihren Körper und löste einige ihrer verkrampften
Muskeln, die anderen würde Mulder wohl mit einer patentierten Muldermassage lockern
müssen. Sie grinste kurz als sie an seine geschickten Hände auf ihren Schultern dachte.
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Hörbar ausatmend und die Augen genießerisch schließend, ließ sie sich noch ein Stückchen
tiefer gleiten, bis ihr das Wasser bis zum Kinn reichte. Glücklicherweise war die
Badewanne so groß, dass sie über und über mit der warmen Flüssigkeit bedeckt war. Sicher
hätten auch bequem zwei Leute in ihr Platz gehabt.
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür und als sie erschrocken die Augen aufschlug, sah sie
wie er das Badezimmer betrat und hinter sich die Tür schloss. Dann drehte er sich zu ihr
um und lächelte sie an.
„Hey, du siehst ja entspannt aus“, er schob seinen Körper näher an die Wanne heran und
kniete neben ihr nieder.
„Hmm“, nickte sie zustimmend. „Ich fühle mich auch sehr wohl hier. Tatsächlich könnte
ich jetzt die Augen schließen und einschlafen und erst wieder aufwachen, wenn das Wasser
eiskalt geworden ist.“
„Du bist ganz schön geschafft, was?“ Seine Hand verirrte sich auf ihren Arm und strich
hinauf zu ihrer Schulter, wo er leicht begann ihre harten Muskeln zu massieren. Erneut
seufzte sie aus Wohlbefinden. Er musste ihre Gedanken gelesen haben oder er war einfach
nur gut, wahrscheinlich von beidem ein bisschen.
„Es geht. Nichts, was man mit ein bisschen Schlaf und einer guten Massage – oh genau dort
– nicht wieder hinbekommen würde“, jetzt stöhnte sie wegen des wunderbaren Gefühls
ihrer sich lösenden Verspannung. Plötzlich verschwand seine raue Handfläche von ihrer
Schulter und sie blitzte ihn böse an, nicht bereit, ihn jetzt schon enden zu lassen, allerdings
hatte er das gar nicht vor.
Er war aufgestanden und war bereits dabei sich seiner Sachen zu entledigen, als sie ihn
zurückhielt.
„Wer passt auf Will auf?“, sie konnte den besorgten Unterton, der so typisch für alle
Mütter war, nicht aus ihrer Stimme verbergen. Erst als er ihr ein neues Lächeln schenkte,
legte sich dieser.
„Er schläft. Und um deinem Einwand zuvor zu kommen, du hast ihn gerade gefüttert, ich
habe ihn gewindelt und ihn ins Bettchen gebracht, wo ich ihm eine Gute-Nacht-Geschichte
erzählt habe. Wir haben also gut eine Stunde, bis ihm wieder etwas einfällt, was wir
vergessen haben. Außerdem haben wir das da“, er deutete auf das Babyfon, das er auf ein
Regal gestellt hatte und mit diesen Worten ließ er seine Unterhosen zu Boden gleiten und
kletterte hinter ihr in die Wanne.
Obwohl sie eigentlich protestieren wollte, erlosch jeder Gedanke daran, als er sie in seine
Arme zog und seine Haut auf ihre traf. Sie konnte spüren, wie sich auch die letzten Knoten
und Verspannungen in ihr lösten und sie schloss genießerisch ihre Augen, um sich ganz auf
dieses Gefühl zu konzentrieren.
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„Was hast du ihm denn für eine Geschichte erzählt“, fragte sie neugierig und zugegeben
auch ein wenig ungläubig, was konnte man einem vier Monate alten Baby für Geschichten
erzählen?
„Och lediglich, wie schön es erst sein wird, wenn er alt genug ist, um Baseball zu spielen
und sich an Mädchen ran macht und natürlich, wie schön es dann erst sein wird, wenn
Mami und Daddy wieder viel Zeit für sich haben werden.“ Sie wusste mit absoluter
Sicherheit, dass er unwiderstehlich grinste.
„Die Rechnung für den Psychologen ziehe ich dir vom Taschengeld ab“, drohte sie. Nur
Mulder konnte über Sex mit seinem Sohn sprechen. Zumindest wusste sie jetzt, wer später
die Aufklärung übernehmen würde, der Gedanke entlockte ihr ein kleines Grinsen.
Ihre Überlegungen fanden ein rasches Ende, als sich seine geöffneten Lippen auf das zarte
Fleisch an ihrem Halsansatz legten. Sie konnte die Spitze seiner Zunge unsichtbare Pfade
auf ihrer Haut zeichnen fühlen und sie seufzte zustimmend. Er hatte seine ganz eigenen
Methoden ihre Verspannungen zu lösen, aber diese war ihr von allen die allerliebste.
Ein Geräusch zog Agent Doggetts Aufmerksamkeit auf sich, als er an der Tür zu Mulders
und Scully Zimmer vorbeiging. Er blieb stehen und klopfte leise an das harte Holz, erhielt
aber keine Antwort. Vorsichtig öffnete er die Tür und spähte hinein, er konnte den kleinen,
schlafenden Körper des Babys auf dem Bett ausmachen, aber niemanden sonst.
Als er sich gerade entschlossen hatte, dass ihm sein Geist wohl einen Streich gespielt hatte –
was bei diesem Fall auch nicht besonders verwunderlich war – da hörte er leise Stimmen,
sie klangen leise, aber dennoch verständlich. Auf leisen Sohlen trat er ins Zimmer und hatte
schon bald sein Ziel gefunden. Neben dem Bett auf dem kleinen Nachttisch stand das
Babyphone und er konnte deutlich die Stimmen von Williams Eltern ausmachen.
Anscheinend hatten sie das falsche mitgenommen, etwas was ihm früher bei seinem eigenen
Kind auch zu oft passiert war.
Für einige kurze Augenblicke war er in seinen Gedanken gefangen. Gedanken an eine Zeit,
die er als die glücklichste in seinem Leben einstufte. Gedanken daran, wie es war, eine
Familie zu besitzen, die immer für einen da war, die einem Halt und Geborgenheit gab und
die Stärke, um jeden morgen aufzustehen. Gedanken daran, wie er all das verloren hatte.
Dann streifte ihn plötzlich das auffallende Stöhnen, welches aus dem Babyphone
emporstieg. Ein Stöhnen – eigentlich mehr ein Seufzen – das unverkennbar aus Dana
Scullys Mund gekommen war.
Er war gefangen, er wusste, dass er gehen sollte oder zumindest diesen verdammten
Überträger ausschalten sollte, aber er konnte sich keinen Zentimeter bewegen. Es war, als
wäre sein gesamter Körper zu einem einzigen Haufen unbeweglicher Masse geworden,
wegen einem einzigen Stöhnen, das aber nicht einzeln bleiben sollte.
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Sie stöhnte und das nur seinetwegen. Ihre Knie waren an den Außenseiten seiner Schenkel
und sie saß rittlings auf seinem Schoß, während er sich genüsslich über ihren Körper
hermachte. Seine Hände streichelten ihren Rücken hinauf und hinunter und hinterließen
dabei ein angenehmes Prickeln, das quer durch ihren ganzen Organismus schoss.
Der Beweis seines Verlangens pulsierte angenehm zwischen ihren Schenkel an ihrem
geheimsten Versteck. Alles war sie tun müsste, wäre ihre Muskeln anzuspannen, sich zu
erheben, sich auf ihm niederzulassen und ihrer Qual ein Ende zu bereiten. Aber wie sollte
sie irgendwelche Kraft dafür aufbringen, wenn er sich gerade in diesem Moment so zärtlich
dazu entschloss sich ihren Brüsten zu widmen, so vorsichtig, dass sie zu Pudding in seinen
Armen wurde.
Sein Mund und seine Zungen vollführten kleine Kunststücke, die angenehm, jedoch
niemals schmerzhaft waren. Ihre Arme lagen als Stütze auf seinen Schultern, damit sie
nicht völlig gegen ihn sank.
„Scully“, keuchte er tatsächlich oder bildete sie sich das nur ein?
„Ich weiß, ich auch Mulder“, antwortete sie nicht weniger keuchend. Mit sämtlicher Kraft
die sie aufbringen konnte, stützte sie sich noch ein bisschen mehr auf seine Schultern und
hob ihre Hüften an. Er beschwor sich, nicht in sie zu stoßen, als sie über ihm war und sie
begann sanft ihre Hüften zu senken, seine Spitze war schon fast in ihr, als sie stoppte.
Überrascht schlug er die Augen auf, von denen er gar nicht mitbekommen hatte, dass er sie
geschlossen hatte und sah sie irritiert an. Es konnte doch nicht wehtun, oder? Sie konnte
auch jetzt nicht einfach Angst bekommen, oder?
Dann hörte er es, die leise Stimme seines Sohnes drang durch die Tür. In einer
Millisekunde war Scully aus der Wanne, hatte sich ein Handtuch um ihren entblößten,
geröteten Körper geschlungen und war aus dem Badezimmer verschwunden, jedoch nicht,
ohne ihn zuvor darauf hinzuweisen, „Mulder, wenn du das Babyphone mitbringst, solltest
du es auch einschalten.“ Er war sich nicht ganz sicher, aber sie klang ein wenig anklagend.
Er griff nach dem Plastikteil und sah die grüne Lampe leuchten, die bedeutete, dass das
Gerät durchaus eingeschaltet war. Da er nicht wirklich wusste, was er davon halten sollte,
verpasste er dem Ding einen kleinen Klaps und hörte ein kurzes Rauschen. Überzeugt, dass
es jetzt wieder funktionieren würde, stellte er es wieder auf seinen alten Platz zurück.
Agent Doggett erwachte mit einem Schock aus seinem tranceähnlichen Zustand, als der
Kleine sich mit einem protestierenden Schreien meldete. Schweiß brach auf seiner Stirn
aus, als er seine Möglichkeiten überlegte. Aus dem Zimmer stürmen? Das würde bedeuten,
dass er direkt in Williams Mutter rennen würde, keine brauchbare Lösung. Das Baby auf
den Arm nehmen und hoffen, dass es niemand gehört hatte? Unmöglich. So tun, als hätte
ihn das Schreien hereingelockt? An sich war die Idee nicht schlecht, aber was wäre, wenn
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Scully die Sache mit dem Babyfon herausfand – was sie mit Sicherheit tat – dann wäre er
aufgeflogen.
In einer einzigen, unüberlegten Handlung riss er die Tür des alten Kleiderschranks auf und
sprang hinein. Er zog die Tür zu, deren verrostete Scharniere aber nicht griffen und wieder
aufging, seine Hand wollte sie gerade mit mehr Kraft heranziehen, da stürmte die äußerst
leicht bekleidete Mutter auch schon ins Zimmer und direkt aufs Bett zu, also hielt er die
Tür nur so gut es ging geschlossen, bis auf einen kleinen Spalt gelang ihm das auch recht
gut.
„Shhh, shhh William, Mami ist ja da“, beruhigte sie das Baby bereits von der Tür aus. Mit
geübter Bewegung schlug sie die Decken zurück und schloss das kleine Bündel in die Arme.
„Okay, Buddy, es ist alles okay“, redete sie leise auf ihrem Sohn ein, der auch sofort ruhiger
wurde.
„Hast du schon wieder Durst?“ Sie löste bereits das Handtuch und Doggett wandte den
Blick ab. Sie zu belauschen war die eine Sache, ihr zuzusehen eine ganz andere,
andererseits hatte er das schon öfter gesehen, wenn auch nicht bei ihr. Anscheinend hatte
William aber gar nicht die Absicht zu trinken, denn er wandte den Kopf ebenfalls zur Seite.
„Schön, also keinen Durst“, stimmte Dana zu und zog das Handtuch wieder über ihre
Brust. Sie legte ihren Sohn an ihre Schulter und überprüfte durch einen leichten Druck auf
seinen Windel, ob sie gewechselt werden müsste. Die Watte gab weich und leicht unter
ihren Fingern nach, was bedeutete, dass er trocken war.
„Hmm, eine neue Windel brauchst du auch nicht.“ Sie betrachtete besorgt den Hinterkopf
ihres Schützlings. „Hast du dich einfach allein gefühlt? Das musst du nicht, nur weil Mami
und Daddy sich lieb haben, heißt das nicht, dass sie dich nicht auch noch mehr als alles
andere auf der Welt lieben, sie müssen sich nur lieb haben, denn so bist du entstanden.
Oder zumindest wärst du das, wenn du normale Eltern hättest“, sie stockte plötzlich, um
dann kopfschüttelnd zu grinsen. „Hör mich einer an, ich rede mit meinem Sohn darüber,
dass er ein unglaublich gutes Radar dafür hat, seine Eltern bei dem zu unterbrechen, was
vor einem Jahr zu seiner Zeugung geführt hat.“ Nachdem ihr klar wurde, dass sie noch
immer mit ihm sprach schloss sie ihren Mund und küsste ihn stattdessen zärtlich auf den
Hinterkopf.
Tatsächlich war William aber bereits schon wieder eingeschlafen und so legte sie ihn nach
ein paar weiteren Minuten wieder auf das große Bett, deckte ihn zu und sortierte die Kissen
um ihn herum so, dass er nicht wegrollen konnte. Dann stand sie vor dem Bett, sah ihn ein
letztes Mal lächelnd an, bevor sie aus dem Zimmer lief, nun eigentlich rannte sie schon fast.
Gleich einer Nymphe glitt ihr Körper zurück zu seinem ins Wasser und drapierte sich fast
automatisch wieder nah an ihn heran. Erneut schlossen sich seine Arme um ihren
Oberkörper und zogen sie eng an sich.
„Er schläft wieder, also würde ich sagen, wir haben noch ungefähr zwanzig Minuten, bevor
er vollständig wach ist.“ Sie verteilte kleine Küsschen über seine Brust, während sie ihm
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das mitteilte. Zärtlich streichelte sie seine Arme hinauf und hinunter, über seine Schultern
bis zu seinem Hals.
„Dann werden wir uns wohl beeilen müssen“, grinste er und sie schenkte ihm ein kleines
Lächeln.
Seine Hände legten sich auf ihre Hüften und zogen sie nah an sich heran, sie kamen erneut
an die gefährliche Stelle, an der sie nur noch Millimeter von einander getrennt waren. Doch
auch dieses Mal stockte sie, kurz bevor sie auf ihm nieder sank, seine Augen rissen auf und
er horchte konzentriert, ob sein Sohn sich entschieden hatte doch schon aufzuwachen, aber
er konnte nichts hören.
„Was? Was hast du?“ Was konnte sie jetzt noch davon abhalten. Sein Herz raste und er
konnte jeden einzelnen Muskel spüren, wie er sich langsam unter der Anstrengung
verkrampfte, aber er wollte auch auf gar keinen Fall etwas tun, wozu sie nicht bereit war.
Aber sie konnte doch jetzt unmöglich Bedenken bekommen, oder? Immerhin hatten sie
bereits ein Kind zusammen und vor zwei Tagen hatte sie doch bereits gesagt, dass sie es
liebte mit ihm zu schlafen.
„Verdammt, wir können das nicht tun“, schoss es aus ihr heraus und sie schenkte ihm einen
mitleidigen Blick.
„Warum nicht?“ Er war jetzt vollends verwirrt.
„Ich habe die Kondome vergessen“, sie war schon fast wieder aus der Wanne, doch seine
Hände an ihrer Hüfte hielten sie zurück.
„Kondome? Versteh mich nicht falsch, aber wozu brauchen wir denn Kondome?“ Er
schenkte ihr ein fragendes Lächeln.
„Okay, ich hatte zwar nicht geplant, dass wir diese Unterhaltung so führen würden, aber so
wie es jetzt aussieht, ist dieser Moment wohl genauso gut wie alle anderen auch“, begann sie
und sein Lächeln verschwand, er konnte sich nur bedingt vorstellen was jetzt kommen
würde. „Ich denke, dass wir anfangen sollten Kondome zu benutzen“, sie errötete leicht.
„Aber“, er stoppte, er hatte tatsächlich keine Ahnung, wie er die Frage beenden sollte,
etwas, was ihm nicht sehr oft passiere.
„Nun siehst du, als wir das erste Mal miteinander geschlafen haben, haben wir beide
geglaubt, ich wäre unfruchtbar und William war ein absolutes Wunschkind. Jetzt, bin ich
mir wegen der Unfruchtbarkeit gar nicht mehr so sicher und ich möchte eigentlich – im
Moment – kein zweites Kind“, schloss sie.
„Ich wusste nicht, dass du so darüber denkst. Obwohl ich der gleichen Meinung bin,
momentan sind wir beide mit ihm wohl mehr als ausgelastet“, nickte Mulder verstehend.
Doch er hielt sie wieder zurück, als sie erneut versuchte sich von ihm zu lösen und dieses
Mal war es an ihr, ihn fragend anzusehen.
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„Wenn du diese Wanne jetzt verlässt, wirst du nicht wiederkommen. Sobald du das
Schlafzimmer betrittst, wird William merken, dass du da bist und anfangen zu schreien“,
erklärte er und obwohl sie es nicht wollte, musste sie ihm in diesem Punkt zustimmen. Ihr
Sohn hatte eine merkwürdige Veranlagung, immer dann aufzuwachen, wenn seine Mutter
oder sein Vater den Raum betraten.
„Ich will eigentlich auch gar nicht gehen, ich würde lieber“, weiter kam sie nicht, als er sie
stark an sich zog und sie überrascht aufstöhnte. „Mulder, wir sollten das nicht tun, wenn
wir uns gerade einig geworden sind“, ein Keuchen entkam ihren Lippen.
„Hmm, wir machen doch noch gar nichts.“ Sein Mund legte sich auf ihren Hals und begann
sanft daran zu saugen.
„Das bezeichnest du als nichts?“, keuchte sie. Und er brummte zustimmend, seine Hände
glitten von ihren Hüften ihren Rücken hinauf, so hauchzart, dass es beinahe kitzelte. Die
explosive Mischung die daraus entstand, war, dass eine riesige Hitzewelle durch ihren
Körper schoss und jeglichen Protest zerstörte.
„Ach vergiss es, solange ich stille, soll ich sowieso nicht empfänglich sein.“ Sie riss seinen
Mund von ihrem Hals und verschloss ihn stürmisch mit ihrem, während sie ihre Hüfte
erregend gegen seine rieb, ein Jahr war eine verdammt lange Zeit um keusch zu bleiben,
wenn man solch einen verführerischen Mann in Reichweite hatte.
Seine eine Hand legte sich zwischen ihre Schulterblätter und drückte sie fest gegen seine
Brust, so dass es keine Lücke mehr zwischen ihnen gab. Ihre Lippen trennten sich immer
nur kurz, bevor sie keuchend und schmatzend wieder aufeinander landeten, während ihr
Körper an seinem hinaufglitt, um dann mit fast schon grausamer Gemächlichkeit an seinen
gottgegebenen Platz auf seinem Schoss zurückzukehren.
Er war schon fast aus der Tür, verdammt er stand schon auf der Schwelle mit der Klinke in
der Hand, als es ihn erneut packte. Eigentlich hatte er sich nur einmal umsehen wollen, ob
es dem Baby gut ging – eine alte Angewohnheit aus der Zeit, als sein Sohn noch klein
gewesen war. Da hatte es erneut zugeschlagen, hatte sich ganz leise von hinten an ihn
herangeschlichen. Die Stimmen, leise, aber verständlich, sogar bis zu seinem Platz an der
Tür.
Fast so, als hätten sie eine hypnotische Wirkung auf ihn, war er wieder zu seiner alten Stelle
neben dem Bett zurückgekehrt und lauschte. Eine kleine, nagende Stimme – die sich
verdächtig nach seiner Mutter anhörte – erinnerte ihn erneut daran, dass ihn das zu einem
Perversling machte, zu einem dieser schlechten Jungs, über die immer im Fernsehen
berichtet würde. Er brachte sie mit einem einzelnen Kopfschütteln zum Schweigen, zu der
Zeit, als Dana ihrerseits ihre Stimme zum Stillhalten zwang.
Sie waren sich nicht bewusst, dass sie einen Zuhörer hatten, obwohl man nicht sagen
konnte, ob sie wirklich aufgehört hätten, wenn sie es gewusst hätten. Es war zu viel Zeit
vergangen, wie zwei Besessene fielen sie gierig übereinander her. Es war roh, schnell und
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einfach atemberaubend. Die Welt fiel auseinander, um sich wieder zusammenzusetzen und
nur Sekunden später erneut zu zerplatzen, um sich noch einmal zusammenzufügen und so
lief es in einer Tour fort.
Ihre Knie schmerzten bereits, von der harten Konditionsprobe auf die sie gestellt wurden,
doch der Schmerz konnte niemals all die anderen Gefühle überwältigen. Die Gedanken
schossen aus ihrem Geist, um dann mit gewalttätiger Kraft wieder in sie hineinzutauchen,
ihr Rücken krümmte sich, sämtliche Muskeln waren angespannt und seine Hand presste sie
so fest an sich, als würde es um ihr Leben gehen und in gewisser Weise tat es das auch.
Doch genauso berauschend wie diese Gefühle, kam auch das Ende. Schwindlig und
erschöpft sank sie auf ihm zusammen, er schloss seine Arme um sie, legte den Kopf zurück
und schnappte nach Luft. Durch seine Adern raste das Leben, aus seinem in ihren Körper
an der Stelle, an der sie noch immer vereint waren.
Er musste hier raus, so schnell es ging. Noch waren sie erschöpft, doch in kurzer Zeit
würden sie aus diesem Badezimmer kommen und ihn neben dem Bett stehen sehen. Mit
rotem Kopf und nicht fähig sich zu bewegen. Er hatte niemals eine Schwäche dafür gehabt,
andere Pärchen zu belauschen, bei Gott er hatte sich nur ein Mal in seinem verdammten
Leben einen Porno ausgeliehen und das war im zarten Alter von 16 Jahren gewesen, kurz
bevor er die kleine, pummelige Nachbarin flachgelegt hatte.
Aber das...? Was zur Hölle war das gewesen, die gesamte Show hatte nicht mehr als eine
Viertelstunde in Anspruch genommen und es war trotzdem.... Was war es gewesen?
Leidenschaftlich, heißblütig, wild, stürmisch, heftig? Oh ja, da gab es keinen Zweifel und
trotzdem war sogar für ihn zu erkennen gewesen, dass es auch gleichzeitig liebevoll,
zärtlich, aufopfernd und gefühlvoll war.
Kurz gesagt, es war so überladen gewesen, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass sie
beide je wieder würden stehen, geschweige denn gehen können. Aber darauf konnte er sich
nicht verlassen und das bedeutete, dass er hier raus musste.
Allerdings gab es da noch ein ganz anderes Problem, wie sollte er ihnen je wieder in die
Augen sehen können? Ohne an diesen Moment zu denken, ohne sich neidisch
einzugestehen, dass er so eifersüchtig auf sie war, ohne zu verraten, dass er alle wusste?
Darauf gab es keine Antworten, nur weitere Fragen.
Tja, das war also mein Comeback. Ich hoffe bis demnächst. Netty!
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