Myko bei Ratten

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Einleitung
Farbratten erfreuen sich als Heimtiere immer größerer Beliebtheit, schätzungsweise 10.000 Tiere leben mittlerweile
in Deutschland. Doch abgesehen von ihrer ohnehin recht kurzen Lebenserwartung von ca. zwei bis drei Jahren leiden
Ratten häufig an einer chronischen, meist nicht erfolgreich therapierbaren bronchopulmonalen Erkrankung. Diese
Lungenerkrankung wird schon beschrieben, seit Ratten als Labortiere erstmals Verwendung fanden (Hektoen,
1915-16). Bei einer Obduktion wird, unabhängig von der Todesursache, häufig das Bakterium Mycoplasma pulmonis
(M. pulmonis) in den Lungen der Tiere nachgewiesen.
Einerseits ist nur M. pulmonis in der Lage, die spezifischen Symptome hervorzurufen, die bei der Chronic Respiratory
Disease (CRD) beobachtet werden (Kohn und Kirk, 1969; Lindsey et al, 1971). Andererseits können Mykoplasmen bis
zu 715 Tage in der Lunge parasitieren (Whittlestone et al., 1972), ohne dass die Ratte Krankheitsanzeichen zeigt. Viele
Tierärzte sind deshalb der Meinung, dass nahezu alle Ratten von Mykoplasmen besiedelt sind, ohne dass
zwangsläufig Symptome auftreten müssen.
Die genannten Untersuchungen wurden an Laborratten durchgeführt, die unter standardisierten Bedingungen
gehalten werden. Dies trifft jedoch nicht auf als Haustiere gehaltene Ratten zu. Deshalb sollte in der vorliegenden
Studie die Frage beantwortet werden, ob eine Mykoplasmenbesiedlung bei Heimratten so weit verbreitet ist wie
angenommen.
Die Übertragung von M. pulmonis kann entweder vertikal vom Muttertier an den Nachwuchs, oder horizontal
zwischen Käfiggenossen über Tröpfcheninfektion erfolgen, wobei direkter Kontakt zwischen den Tieren notwendig ist
(Hill, 1972). Zusätzlich konnte festgestellt werden, dass Ratten mit klinischen Symptomen den Erreger eher an
andere Käfiginsassen weitergeben als Ratten mit einer subklinischen Infektion. Ist eine Ratte einmal infiziert,
beginnt eine langsam voranschreitende Lungeninfektion, die ein Leben lang bestehen kann (Cassell, 1982).
Der erste Schritt der Infektion mit M. pulmonis besteht in einer Umgehung der Abwehrmechanismen des Respirationstraktes und einer Anheftung an die Oberfläche der Epithelzellen. Obwohl schon das Anheften zu Veränderungen der Zelloberfläche führt, ist es unwahrscheinlich, dass dadurch die Vielzahl an Zellveränderungen erklärt
werden kann, die in der Murinen Respiratorischen Mykoplasmose (MRM) beobachtet werden. Vermutlich werden sie
eher durch den Verbrauch von Wirtszellkomponenten und/oder Freisetzung von toxischen Stoffwechselprodukten
verursacht (Cassell et al., 1978).
Die generelle Ausprägung der MRM beim einzelnen Tier scheint neben der genetischen Disposition des Wirtes
auch von äußeren Einflüssen abzuhängen. Dazu gehört die Umgebung, in der die Tiere leben, mikrobielle CoInfektionen, sowie das Alter des Wirtes sowie der Stresslevel, dem die Tiere ausgesetzt sind (Jersey et al., 1973;
Cassell, 1982).
Die ersten Symptome, wie gesträubtes Fell, Appetitlosigkeit und rotbraune, krustige Auflagerungen um Nase und
Augen, können frühestens sieben Tage nach einer Infektion beobachtet werden (Jersey et al., 1973). Während die
Krankheit fortschreitet, kommt es zu rasselnden Atem -geräuschen und Dyspnoe, histologisch treten Lungenabszesse
und flüssigkeitsgefüllte Bronchien in Erscheinung. Häufig wird eine Ausdehnung der Infektion bis ins Mittelohr
beobachtet, die sich durch Kopfschiefhaltung und in schlimmsten Fällen durch Rotation um die Längsachse
bemerkbar macht.
Material und Methoden
Als Heimtiere gehaltenen Ratten aus ganz Deutschland wurden für die Studie untersucht. Die Tiere sollten zwischen acht Wochen und drei Jahren alt sein und keine Anzeichen einer akuten Atemwegsinfektion zeigen.
Obwohl fünf der untersuchten Ratten zum Zeitpunkt der Probenahme Anzeichen einer Atemwegsinfektion aufwiesen,
wurden diese Tiere in die Studie aufgenommen.
Mindestens 100 Ratten wurden für eine aussagekräftige Studie benötigt. Diese Zahl stellt etwa l % der geschätzten
momentanen Anzahl an Heimratten in Deutschland dar. Über ein Internetforum konnten Rattenbesitzer aus ganz
Deutschland für die Teilnahme an der Studie gewonnen werden. Vor der Teilnahme mussten alle Rattenbesitzer
einen Fragebogen bezüglich der Herkunft, Anamnese und Haltungsbedingungen ihrer Ratten ausfüllen.
Nasenspülproben wurden von den jeweiligen Tierärzten der Halter entnommen, um den Stress für die Tiere zu
minimieren. Allen Tierärzten wurde eine genaue Entnahmeanleitung zugesandt, um eine möglichst einheitliche
Gewinnung der Proben sicherzustellen.
Die Nasenspülungen wurden mit Mycoplasma Liquid (ML) Medium (Fa. Mycoplasma Experience, UK) durchgeführt. Dieses Medium konnte gleichzeitig als Transportmedium genutzt werden. ML Medium wurde mittels einer
Spritze direkt in die Nase der Ratte injiziert und wieder abgesaugt, was bei den meisten Ratten problemlos ohne
Narkose möglich war. Nach der Entnahme wurden diese Proben direkt an das Institut für Mikrobiologie, Zentrum für
Infektionsmedizin der Tierärztlichen Hochschule Hannover verschickt, wo sie auf das Vorkommen von Mykoplasmen
untersucht wurden.
Für die kulturelle Untersuchung wurde eine Mycoplasma Solid (MS) Agarplatte (Fa. Mycoplasma Experience, UK)
direkt mit der Probe beimpft. Zusätzlich wurde eine dreistufige logarithmische Verdünnungsreihe angelegt, um die
bakterielle Begleitflora auszudünnen. Alle Verdünnungsröhrchen und die MS Agarplatte wurden
mikroaerophil bei 37°C bebrütet. Nach zwei bis drei Tagen wurden 50 µL jeder Verdünnungsstufe auf eine
MS Agarplatte isoliert und wiederum zwei bis drei Tage bebrütet. Bei maximal 750-facher Vergrößerung wurden die
Platten dann auf das Vorhandensein der typischen Mykoplasmenkolonien untersucht. Falls kein Wachstum
feststellbar war, wurden die Platten bis zu zehn Tage weiter bebrütet, und dann als negativ beurteilt. Wurden
Mykoplasmen nachgewiesen, wurde zur Differenzierung ein Immunobinding Assay (IBA) durchgeführt (Kotani
und McGarrity, 1985 a, b).
Ergebnisse
Insgesamt 113 Ratten aus ganz Deutschland wurden im Laufe der Studie getestet. Davon waren 71 (63 %)
weiblich, und je 21 (18 %) männliche bzw. männliche kastrierte Tiere.
Das Alter der Ratten betrug zwischen fünf Monaten bis zu 41 Monaten mit einem Mittelwert von 15 ± 3 Monaten.
Fünf der 113 Ratten zeigten Anzeichen einer Atemwegsinfektion, alle anderen Tiere waren zum Zeitpunkt der
Probenahme gesund.
Testergebnisse
Bei insgesamt 99 der 113 Ratten (87,6 %) wurden Mykoplasmen der Spezies Mycoplasma pulmonis in den
Nasenspülproben nachgewiesen. Bei einer weiteren Ratte (0,9 %) wurden Mykoplasmen gefunden, die mittels
Immunobinding Assay nicht differenziert werden konnten. Von den 99 positiv getesteten Ratten wiesen 31 (27,4 %)
einen geringgradigen Gehalt, 39 (34,5 %) eine mittelgradigen und 29 (25,7 %) einen hochgradigen Gehalt von M.
pulmonis in ihren Nasenspülproben auf. In 13 Spülproben (12,4 %) konnten Mykoplasmen nicht nachgewiesen
werden.
Diskussion
Seit Jahren wird von Tierärzten und Rattenhaltern vermutet, dass alle Farbratten M. pulmonis in ihren Lungen
tragen. In der vorliegenden Studie konnte gezeigt werden, dass zumindest der obere Respirationstrakt bei einem
hohen Prozentsatz der Ratten durch Mykoplasmen besiedelt ist. Das Bakterium konnte aus den Nasenspülproben von
99 Ratten isoliert werden.
Bei zehn der verbleibenden 13 negativen Proben lag die Transportzeit über fünf Tagen. Innerhalb dieser Zeit
kann ein Absterben der Mykoplasmen im Transportmedium nicht ausgeschlossen werden. Das bedeutet, dass der
Prozentsatz der Ratten, die eine Mykoplasmenbesiedlung aufweisen, wahrscheinlich über 88,5 % liegt. Ein Vergleich
von Ergebnissen aus der wissenschaftlichen Literatur ist nicht immer möglich: So finden sich in den vorhandenen
Publikationen Studien mit Ratten aus konventionellen Zuchtbetrieben mit einheitlichen Haltungsbedingungen
und aus Betrieben mit isoliert gehaltenen, meist spezifisch pathogen freien (SPF) Tieren. In Anbetracht der sehr
unterschiedlichen Herkunft und Haltungsbedingungen der Heimratten kann diese Literatur nur bedingt herangezogen werden.
Zum Zeitpunkt der Probenahme zeigten nur fünf Ratten Anzeichen einer Atemwegsinfektion, während ein hoher
Anteil der untersuchten Ratten von dem Bakterium besiedelt war. Es müssen daher andere Faktoren bei der Ausprägung der Symptomatik eine Rolle spielen.
Zu diesen Faktoren gehören vermutlich der Ammoniakgehalt innerhalb des Käfigs, das Alter und die genetische
Disposition des Wirtes. Stress scheint eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Krankheit zu spielen. Stress für
das Tier können z. B. laute Geräusche, dauernde Störung der Schlafphasen, Einsamkeit oder Überbevölkerung des
Käfigs oder die Integration neuer Tiere in ein bestehendes Rattenrudel sein. Schon die Veränderung des HellDunkel-Zyklus kann bei Ratten mit einer latenten Mykoplasmose den Ausbruch der Erkrankung auslösen
(Timenetsky und de Luca, 1998).
Abgesehen von den erwähnten Faktoren spielen mikrobielle Interaktionen eine große Rolle bei der Entwicklung
und dem Voranschreiten der Mykoplasmeninfektion. Auch wenn M. pulmonis allein in der Lage ist, alle charakteristischen Läsionen hervorzurufen, die in der MRM gefunden werden, ist es wahrscheinlicher, dass multiple
Infektionen für die hohe Todesrate in Folge von Atemwegsproblemen verantwortlich sind. Zu den Erregern, die in
der Lage sind, vorhandene Mykoplasmeninfektionen zu verstärken, gehören das Sendai Virus, der Cilia-Associated
Respiratory (CAR) Bazillus, Streptococcus pneumoniae und das Ratten Korona Virus. Besonders das Sendai Virus und
der CAR Bazillus sind in der Kombination mit Mykoplasmen bekannt dafür, schwere Ausbrüche von Atemwegserkrankungen zu verursachen (National Research Council, 1991).
Gerade das Sendai Virus ist hochansteckend, es kann über eine Distanz von etwa 1,5 Metern von Käfig zu Käfig
übertragen werden, seine Prävalenz bei Labormäusen und -ratten wird weltweit auf etwa 70 % geschätzt. (Parker
und Richter, 1982; van derVeen, 1970). Sogar bei isoliert gehaltenen Ratten treten immer wieder virale Infektionen
auf, z.B. durch das Ratten Corona Virus (RCV), das Ratten Parvovirus (RPV) oder das Pneumonie-Virus der Mäuse
(PVM) (Schoondermark-van de Ven et. al., 2006). Untersuchungen zur Prävalenz von Virusinfektionen bei
Heimratten fehlen bisher völlig.
Neuere Untersuchungen legen außerdem den Schluss nahe, dass auch eine Co-Infektion mit Chlamydophila (Chl.)
pneumoniae bei der Ausprägung der Läsionen eine Rolle spielt. In Kombination mit Chl. pneumoniae kommt es zu
mikroskopisch sichtbaren Schädigungen von Lunge, Leber, Herz, Nieren und Milz mit Anzeichen einer chronischen
Entzündung (Damy et. al., 2003).
Auch im Uterus augenscheinlich gesunder Ratten kann M. pulmonis nachgewiesen werden (Busch und Naglic,
1995).
Auch wenn gezeigt werden konnte, dass die Besiedlung der oberen Atemwege durch Mykoplasmen bei den als
Haustiere gehaltenen Ratten weit verbreitet ist, sind sicher weitere Untersuchungen nötig, um das Problem der
therapieresistenten Atemwegserkrankungen zu klären.
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