Wernstedt - Evangelische Akademie Tutzing

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Thela Wernstedt M. A.
Zentrum für Anästhesiologie,
Rettungs- und Intensivmedizin
Universität Göttingen
Aktiv – Passiv – Indirekt ,
Tun oder Unterlassen
Hilfreiche oder eher verwirrende Unterscheidungen ?
1. Einleitung
2. Beobachterperspektive und praktische Erfahrungen
3. Definitionen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe
4. Die allgemeinere Unterscheidung: Tun und Unterlassen
5. Schlußfolgerung
1. Einleitung
In der Philosophie gehört es zur guten Tradition bei der Beschäftigung mit einem
Problem zunächst die Ausgangsbedingungen zu skizzieren und dann die
verwendeten Begriffe zu definieren, um einen möglichst hohen Grad an Klarheit in
der Argumentation und Gedankenführung zu erreichen.
Die Begriffsdefinition ist Hauptthema dieses Vortrages, die Einbettung dieser
Definitionen geschieht jedoch unter dem speziellen Blickwinkel meiner ärztlichen
Erfahrung in der Chirurgie und der Anästhesie. Dieses Erfahrungsspektrum schließt
Arbeit und Verantwortungsübernahme auf Normal- und Intensivstationen, im
Operationssaal auf beiden Seiten des grünen Tuches, bei Notfalleinsätzen, in der
stationären und ambulanten Schmerztherapie, der stationären und inzwischen auch
ambulanten Palliativmedizin mit ein. Es ist kein internistischer, onkologischer,
neurologischer oder allgemeinmedizinischer Blickwinkel.
Probleme der Sterbehilfe, sei sie aktiv, passiv oder indirekt, kommen in den
genannten Fachrichtungen in unterschiedlicher Intensität vor und werden auch
anders behandelt. Es gibt in der Praxis keinen allgemeingültigen guten Weg.
Im folgenden Vortrag wird nach Darstellung meiner Beobachterperspektive und
Erfahrung im Umgang mit den Begriffen die Definition der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesie und Intensivmedizin von 1999 vorgestellt. Anhand zweier Fallbeispiele
werden sie erläutert.
Ein kurzer Blick in europäische Nachbarländer wird zeigen, dass eine
allgemeingültige Definition nicht existiert und obwohl vieles ähnlich erscheint, jedoch
jedes Land seine Besonderheiten kultiviert. Dies gilt es bei internationalen
Vergleichen und Diskussionen zu beachten.
In der philosophischen Diskussion hat vor einigen Jahren noch die allgemeinere
Unterscheidung Tun und Unterlassen eine große Rolle gespielt. Sie wird kurz
erläutert und um einen praktischen Blickwinkel ergänzt.
Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass im praktischen Umgang mit Problemen der
Sterbehilfe die klassischen Begriffe teilweise hilfreich sind, teilweise aber auch zu
Verwirrung führen und zumindest durch Begriffe wie Sterbebegleitung,
Therapieverzicht, Therapieabbruch und Tötung auf Verlangen ergänzt werden
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müssen. In der Diskussion mit Angehörigen eignen sich zur Einordnung die
klassischen Begriffe aktive, passive und indirekte Sterbehilfe, in der Diskussion mit
Kollegen und Pflegenden eher die Begriffe Therapieverzicht, Therapieabbruch,
Sterbebegleitung und Tötung auf Verlangen.
In diesem Sinne und in diesem Zusammenhang enthalten nicht die Begriffe selber
Wahrheit, sondern sie können Ärzten, Pflegenden, Patienten, Juristen, Theologen
und Angehörigen dazu dienen, eine Situation zu strukturieren, sich darüber
auseinanderzusetzen und zu einer Entscheidung zu kommen.
Der Streit um Sterbehilfe und ihre Begriffe ist m. E. Ausdruck eines tiefsitzenden
Unbehagens angesichts der Grenzen eines überzogenen Autonomieideals des
neuzeitlichen Menschen in Krankheits- und Sterbesituationen, und er bildet die
unterschiedlichen Auffassungen zu Grenzen menschlichen Handelns ab.
2. Beobachterperspektive und praktische Erfahrungen
Der Titel dieses Vortrages enthält implizit die Hoffnung, dass es feststehende
Definitionen für die Sterbehilfeformen gibt und es nur eine Frage der
Systematisierung und guten Erklärung ist, diese auch zu verstehen. Es gibt diese
Definitionen auch, nur sind in verschiedenen Texten zur Sterbehilfe dennoch
unterschiedliche Auffassungen vorhanden, die es außerordentlich schwer machen,
den Argumentationen und Zielsetzungen einzelner Autoren zu folgen.
Blickt man dann über Deutschland hinaus ins europäische Ausland wird die ganze
Sache noch verwirrender.
Mein Blickwinkel auf Sterbehilfe ist durch die Tätigkeit als philosophisch denkende
Chirurgin und Anästhesistin geprägt worden. Abgesehen davon, dass alle ärztlichen
Kollegen natürlich um das Leben und die Gesundheit ihrer Patienten bemüht sind, ist
es speziell Aufgabe der Anästhesie die lebenserhaltenden Funktionen eines
Menschen sicherzustellen oder wiederherzustellen. Grundfunktionen, ohne die
Leben sofort erlischt, sind Atmung und Kreislauf. Aber auch die Bewahrung oder
Sicherstellung von Nieren-, Leber und Verdauungsfunktion, um noch einige wichtige
zu nennen, zählt zu unseren Aufgaben.
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Dies geschieht perioperativ, auf Intensivstationen oder im Rahmen des
Rettungsdienstes. Sehr viele Operationen bei vielen sehr alten oder eben schwer
kranken Menschen könnten heute nicht durchgeführt werden ohne eine sorgfältige
anästhesiologische Betreuung vor, während und nach der Operation. Ein großer Teil
von Patienten würde intraoperativ oder unmittelbar postoperativ an den
Komplikationen sterben.
Inzwischen zählt auch Schmerztherapie und in dem Zusammenhang Palliativmedizin
zum anästhesiologischen Aufgabenfeld.
Es ist wohl nach dieser kurzen Darstellung deutlich geworden, dass sich dieses für
die meisten Laien und leider auch Kollegen so unscheinbare Fach Anästhesie
tagtäglich mit Situationen beschäftigt, in denen ein Mensch in Lebensgefahr schwebt
und dementsprechend wie man ihn vor dem Tode bewahren kann. Jede Narkose, so
routiniert alles sein mag, bringt Menschen durch die Ausschaltung des Bewusstseins
und der Atmung in eine lebensgefährliche Situation, die nur deswegen keine
negativen Folgen hat, weil alles kontrolliert abläuft.
Aus eigener Erfahrung auf insgesamt vier Intensivstationen weiß ich, dass der Begriff
Sterbehilfe oder Euthanasie grundsätzlich bekannt ist, aber etwas Schlechtes damit
verbunden wird. Die weiteren Differenzierungen in aktiv, passiv und indirekt werden,
wenn sie denn als Begriffe in den Köpfen vorhanden sind, für eine
Auseinandersetzung im Team und die Erarbeitung eines eigenen begründeten
Standpunktes selten genutzt. Wenn die vorgesetzten Oberärzte offen über die
Möglichkeit von Therapieabbruch auf einer Intensivstation sprechen und auch die
Begründung ihrer Haltung darslegen, tun es die Assistenzärzte auch. Wenn nicht,
dann nicht.
Wenn bei den Visiten am Intensivbett über die Fortführung der Therapie diskutiert
wird, sind natürlich medizinische Fakten, der Beobachtungszeitraum und die ärztliche
Erfahrung mit solchen Krankheitsbildern Hauptthema. Dabei kann eine Entscheidung
für oder gegen Therapieabbruch erarbeitet werden.
Dies scheint das Wichtigste, die Durchführung des Abbruches ist solange
Nebensache, bis sich der Assistenzarzt erschreckt die Frage stellt: wer macht denn
das eigentlich und wie geht das? Dann stehen aber schon wieder technische Fragen
im Vordergrund: Abstellen des Respirators, Abstellen von Perfusoren, keine
Steigerung der Katecholamintherapie mehr, aussetzen der Dialyse.
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Die Legitimation des Therapieabbruches hat sich durch die Entscheidung des Teams
bzw. durch die Haltung des Vorgesetzten ergeben, die Differenzierung in aktiv,
passiv oder indirekt wird selten bis gar nicht ausdiskutiert.
Es bleibt auf diese Weise oft ein Unbehagen bei den Beteiligten, selbst wenn im
Team relativ offen gesprochen wird, weil die moralischen Grundlagen und Konflikte
nicht thematisiert worden sind.
Moralische Topoi sind: Du sollst nicht töten, Du sollst Deinem Patienten nicht
schaden, Du bist für das Wohlergehen des Patienten umfassend verantwortlich.
Schlimm wird es, wenn nicht mehr klar ist, was dem Patienten eigentlich schadet:
Therapie oder nicht Therapie, wie weit Verantwortung wirklich reichen kann, was
dem Patienten in dieser Situation wohl tut und was es mit dem Töten so auf sich hat.
Es kommt sehr auf den Vorgesetzten, den Chef und gewisse Traditionen in der
Abteilung an, ob eine Diskussion während des Entscheidungsprozesses stattfindet
oder ob therapiert wird, bis der Patient trotzdem stirbt. In den zuletzt genannten
Fällen lastet eine schwere und undifferenzierte Entscheidung auf dem Gewissen des
Vorgesetzten.
Die Begriffe aktive, passive und indirekte Sterbehilfe spielen in solchen Diskussionen
kaum je eine Rolle. Das Unwissen über die Definitionen und den rechtlichen
Spielraum der Ärzte scheint groß.
Eher wird noch davon gesprochen, auf eine weitere Therapie zu verzichten,
überhaupt auf eine intensivmedizinische Therapie zu verzichten.
Aber auch der Begriff Sterbebegleitung wird nicht benutzt. Wenn es zu einem
Abbruch der Intensivtherapie kommt und eine Sterbebegleitung im Sinne einer
ruhigen Umgebung, vermehrten Angehörigengesprächen und schmerz- und
luftnotlindernder Medikation durchgeführt wird, geistert schnell scheinbar
professionell der „Mo-Perfusor“ durch die Gespräche. Alle nicken wissend und der
Themenkomplex scheint erschöpfend besprochen.
Ein „Morphin-Perfusor“ ist eine Spritzenpumpe, die kontinuierlich eine bestimmte
Menge Medikament in einen Patienten befördern kann. Wenn man die 50 ml Spritze
mit Morphin und Kochsalzlösung füllt, ist es medizinisch-umgangssprachlich ein
Morphin-Perfusor, wenn man sie zum Ausgleich von Elektrolyten mit Kalium und
Kochsalzlösung befüllt, ist es ein „Kaliumperfusor“. Die in der Spritze befindliche
Menge Medikament und die Förderrate pro Minute bzw. Stunde müssen der
Indikation angemessen sein. Indikation und Anordnung sind ärztliche Aufgaben.
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Die Indikation für einen Morphinperfusor wäre bei einem Therapieabbruch, dass der
Patient Schmerzen hat oder, in der Intensivmedizin sehr häufig, Luftnot oder auch
Angstzustände, die man durch Gespräche bei nur bedingter Ansprechbarkeit nicht
mehr auflösen kann.
Ganz im Gegenteil zu der meist stillschweigenden Annahme der jüngeren Kollegen
und v. a. der Pflegenden, dass hiermit alles gesagt sei, ist nichts außer einer
technischen Anordnung damit gesagt. Die wichtigen Fragen, ob ein Therapieabbruch
gerechtfertigt ist und wenn ja, wie er für alle tragbar begründet wird, sind bestenfalls
vorher besprochen worden.
Ich möchte anhand von zwei Fallbeispielen Arten der Entscheidungsfindung und
zugleich die Komplexität intensivmedizinischer Krankheitsbilder vorstellen, die eine
Fülle von Abwägungen notwendig machen. Gleichzeitig sind sie aber mit den
klassischen Begriffen aktive, passive und indirekte Sterbehilfe fassbar bzw.
gegeneinander abgrenzbar.
Fall 1
Eine 89jährige Patientin stellte sich wegen starker Rückenschmerzen in der
orthopädischen Ambulanz vor. Es konnte zunächst ein Kniegelenkserguß rechts,
sowie eine Druckschmerzhaftigkeit über der Lendenwirbelsäule festgestellt werden.
Wegen des Alters der Patientin und des Schweregrades der Beschwerden wurde sie
stationär aufgenommen. Im Verlaufe des nächsten Vormittages zeigte sich eine
deutliche Vigilanzverschlechterung, nachfolgend auch Kreislaufprobleme, so dass
die Patientin auf die Intensivstation verlegt wurde. Bis auf den Kniegelenkserguß
konnte bis dahin noch keine weitere Diagnose ermittelt werden.
Die über den bisherigen Verlauf gut informierte Tochter war erschrocken über die
rasche Verschlechterung des Befindens ihrer Mutter, sagte jedoch, dass ihre Mutter
nicht gewünscht habe, in so hohem Alter bei einer schweren Erkrankung und
womöglich schlechten Prognose sich noch einer Intensivtherapie zu unterziehen.
Bei dekompensierter Niereninsuffizienz, bekannter Herzinsuffizienz mit
Klappenvitium, und deutlich erhöhten Entzündungsparametern, einem unauffälligen
CCT, aber zunehmendem Meningismus, wurde zunächst eine niedrigdosierte
Katecholamintherapie durchgeführt und eine empirische Antibiotikatherapie
angesetzt . Von einer Respiratortherapie wurde abgesehen und weiter zugewartet.
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Es trat eine deutliche Verschlechterung von Vigilanz, Kreislauf und Atmung im
Verlaufe des Nachmittags ein.
Die Tochter bekräftigte noch einmal den Wunsch der Mutter, keine invasive
Intensivtherapie haben zu wollen. Die Antibiotikatherapie wurde nicht durchgeführt,
wohl aber eine Lumbalpunktion zur Diagnosesicherung. Der Kollege von der
Neurologie brachte in der Nacht den positiven Nachweis einer bakteriellen Meningitis
und empfahl eine differenzierte Antibiotikatherapie unter Hinzuziehung der Abteilung
für Hygiene.
Nach Rücksprache mit dem zuständigen Oberarzt der Intensivstation wurde von
einer weiteren Therapie abgesehen.
Die Dyspnoe und Stressreaktion der Patientin ließen sich zunächst mit Morphin-Boli
lindern, später wurde ein Morphin-Perfusor mit 4mg/h angesetzt.
Die Tochter erkundigte sich in der Nacht nach dem Befinden der Mutter . Sie wurde
über die gesicherte Diagnose und die schlechte Prognose informiert. Noch einmal
wurde von ihr die Entscheidung zur Therapiebegrenzung bekräftigt.
Am nächsten Morgen kam die Tochter und blieb bis zum Tod der Mutter am späten
Vormittag am Bett.
Begrifflich gesehen handelt es sich um eine Kombination aus passiver und indirekter
Sterbehilfe. Man kann es synonym auch als Therapieverzicht mit Sterbebegleitung
bezeichnen. Der Morphinperfusor ist dabei nur eine technische Erleichterung für die
Ärzte und Pflegenden gewesen.
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3. Definitionen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe
Die DGAI hat diese Definitionen für die Intensivmedizin 1999 formuliert, um präziser
als die Grundsätze zur Sterbebegleitung der Bundesärztekammer von 1998 die
intensivmedizinischen Probleme und Schwerpunkte herauszuarbeiten.
Aktive Sterbehilfe: Tötung eines unheilbar Kranken aufgrund seines ernstlichen
Willens durch eine aktive Handlung.
Passive Sterbehilfe: Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen,
insbesondere auf die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung vitaler Funktionen
durch intensivmedizinische Verfahren, bei progredienten Erkrankungen mit infauster
Prognose.
Indirekte Sterbehilfe: Palliative Behandlung eines Schwerkranken, insbesondere
potente Schmerztherapie, unter inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung als
unbeabsichtigte Nebenwirkung.
Hier noch ein weiteres Fallbeispiel von der Intensivstation:
Fall 2:
Herr F. wurde primär wegen Ruhe und Bewegungsschmerz im linken Bein bei
bekannter peripherer arterieller Verschlusskrankheit in einem peripheren
Krankenhaus behandelt. Unter dem Verdacht auf eine Embolisation der A. iliaca
externa links wurde zunächst eine Lyse geplant, von der aber abgesehen wurde,
nachdem ein infrarenales Bauchaortenaneurysma (BAA) mit mehr als 5 cm
Durchmesser sonographisch festgestellt wurde. Es erfolgte nach entsprechender
Vorbereitung die operative Versorgung des BAA. Der postoperative Verlauf war
zunächst unauffällig, jedoch kam es dann zu einer Zunahme des Bauchumfangs.
Nach Punktion des Ascites wurde ein Chylaskos diagnostiziert. Es erfolgte zunächst
eine Punktion zur Verringerung der Flüssigkeitsmenge und eine konservative
Therapie mit Nahrungskarenz und parenteraler Ernährung. Über eine Bauchdrainage
wurden täglich zwei Liter Chylaskos entleert. Bei gleichbleibender Klinik wurde ca. 8
8
Wochen nach der ersten Operation eine Revision durchgeführt. Postoperativ kam es
zu einer respiratorischen Insuffizienz und einem akuten Nierenversagen.
Drei Tage nach der Revision wurde Herr F. auf unsere Intensivstation verlegt. Bei
Aufnahme des Patienten zeigte sich eine septisch hypodyname Kreislaufsituation mit
low-cardiac-output-syndrome. Selbst unter kontinuierlicher Katecholamintherapie
gelang es zunächst nicht, einen suffizienten Kreislauf herzustellen, so dass
Suprareningaben als Bolus im Sinne einer protrahierten Reanimation notwendig
wurden. Nach Negativbilanziereung durch CVVHD gelang es, die septische
Kardiomyopathie positiv zu beeinflussen, so dass unter hohen Katecholamindosen
zumindest eine Stabilisierung zu erreichen war.
Insgesamt bot sich das Bild eines Multiorganversagens bei Sepsis. Bereits im
auswärtigen Krankenhaus hatte der Patient Thrombosen der Vv. Subclavia, axillaris
und anonyma rechts entwickelt, die eine Katheterisierung der Gefäße für die
Intensivtherapie erschwerten. Im Verlauf thrombosierten auch noch die V. jug. interna
rechts und links zu. Eine breite Antibiotikatherapie führte nicht zu der angestrebten
Besserung der Sepsis. Bei Nachweis von Candida in der Blutkultur wurden zusätzlich
Antimykotika verabreicht, die aber ebenso am Verlauf nichts änderten. Der Patient
blieb weiter hoch katecholaminpflichtig und entwickelte schließlich ein Leberversagen
mit metabolisch-toxischer Encephalopathie.
Nach ausführlichen Gesprächen mit der Familie wurde die Therapie bei erneuter
Verschlechterung der Kreislaufsituation nicht mehr erweitert, so dass der Patient
wenige Tage später im Herzkreislaufversagen starb.
In diesem Fall wurde bei einem schwerkranken, schon reanimationsbedürftigen
Patienten eine Therapie auf einem hohen technischen Niveau weitergeführt. Es
wurde die Lungenfunktion unterstützt, ebenso die Herzfunktion, die Nierenfunktion
und die Verdauungsfunktion ersetzt. Mit all diesen Maßnahmen war eine
„Stabilisierung“ zu erreichen: unter hohen Katecholamindosen, einer differenzierten
Respiratoreinstellung, einer Antibiotikatherapie zeigte sich auf den Monitoren
meistens eine konstante mittelmäßige Blutdruckkurve, die im Verlaufe auch nur zu
halten war, indem die Katecholamindosen weiter erhöht wurden.
De facto ist es kein stabiler Zustand, sondern es ist ein sterbender Patient, an dem
eine Dauerreanimation vollzogen wird. Intensivmedizin ist dann sinnvoll, wenn ein
Mensch vorübergehend in solch einen lebensbedrohlichen, sterbenden Zustand
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gerät und durch die Therapie der temporäre Ausfall von Organfunktionen ersetzt wird
und der Körper des Patienten danach wieder selbst die lebenswichtigen Funktionen
übernehmen kann.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Definition passiver Sterbehilfe der DGAI:
Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen, insbesondere auf die
Wiederherstellung und Aufrechterhaltung vitaler Funktionen durch
intensivmedizinische Verfahren, bei progredienten Erkrankungen mit infauster
Prognose,
so haben wir in dem geschilderten Fall durch die Entscheidung, bei weiterer
Verschlechterung der Kreislaufsituation die Katecholamine nicht mehr zu erhöhen,
sicher eine Entscheidung zu „passiver Sterbehilfe“ getroffen. Als Leitlinie zur
Anwendung intensivmedizinischer Therapie schreibt die DGAI: Die Anwendung
lebensverlängernder intensivmedizinischer Verfahren setzt voraus:...Ihre
medizinische Indikation in Abhängigkeit von der konkreten Situation des Einzelfalles.
Lebensverlängernde Maßnahmen sind nicht mehr indiziert und sollten unterbleiben,
wenn sie bei aussichtsloser Grunderkrankung für den Patienten keine Hilfe mehr
bedeuten, sondern nur noch ... den unvermeidlichen Sterbevorgang verlängern.“
Im Kommentar zu dieser Leitlinie heißt es: „Aufgrund seiner Garantenstellung ist der
behandelnde Arzt verpflichtet, seinem Patienten die bestmögliche , die wirksamste
Hilfe zu leisten. „Bestmögliche Hilfe“ bedeutet in der Regel die Anwendung aller zur
Verfügung stehender Mittel zur Heilung oder Besserung der Erkrankung und auch
zur Verlängerung des Lebens. Beim Sterbenden und beim Schwerstkranken mit
infauster Prognose kann „bestmögliche Hilfe“ hingegen die Beschränkung auf
Schmerzlinderung und Anxiolyse bedeuten, wenn durch die künstliche
Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen nur noch eine Verlängerung eines
schweren Leidens und des Sterbens zu erreichen wäre ... Die Wiederherstellung und
Aufrechterhaltung ihrer vitalen Funktionen bedeutet für sie keine Hilfe mehr. Die
Lebensverlängerung ist dann medizinisch nicht oder nicht mehr indiziert.“
Auf die genannten Fallbeispiele lassen sich die Überlegungen der DGAI gut
anwenden.
Wirft man noch einen Blick auf die Definition der indirekten Sterbehilfe als palliative
Behandlung eines Schwerkranken, insbesondere potente Schmerztherapie, unter
Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung als unbeabsichtigte Nebenwirkung,
so trifft dies für das Fallbeispiel 1 ebenfalls zu. Die Gabe von Morphin an die alte
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Dame, damit sie Luftnot und Rückenschmerzen nicht spürt ist eine palliative
Behandlung einer Schwerkranken. Wenn sie denn durch die Medikamentengaben
Minuten oder sogar Stunden vor dem Zeitpunkt starb, an dem sie ohne Medikamente
gestorben wäre, so haben wir dies in Kauf genommen.
Insgesamt stellen sich Fälle von passiver Sterbehilfe fast immer als eine Kombination
aus beiden Sterbehilfeformen dar. Denn wenn man die Entscheidung zu einem
Therapieverzicht oder einem Therapieabbruch trifft, heißt das nicht, gar nicht mehr
für den Patienten zu sorgen, sondern die Heilungsoption aufzugeben, dem Sterben
Raum zu geben und stattdessen „Symptomkontrolle“ durchzuführen. In
Sterbesituationen ist übrigens die Linderung von Luftnot mindestens ebenso wichtig
und tritt sehr häufig auf wie die in der ethischen und palliativmedizinischen Literatur
gebetsmühlenartig zitierte Schmerztherapie. Praktischerweise ist für beide
Symptome Morphin ein sehr geeignetes Mittel der Therapie.
Aus meinem Blickwinkel heraus sind Situationen passiver und indirekter Sterbehilfe
im Klinikalltag mit Kollegen und Pflegenden besser durch Therapieverzicht bzw. –
abbruch und Sterbebegleitung zu bezeichnen. In den täglich wiederkehrenden
Situationen der undifferenzierten Gemengelage aus dem Machtgefühl über Leben
und Tod, dem schlechten Gewissen, der Frage, ob man genug getan hat, dem
latenten Gefühl etwas gesetzlich und moralisch verbotenes zu tun, lässt sich mit den
Kollegen und Mitarbeitern freier reden, wenn man nicht über Sterbehilfe spricht. In
den wenigen stillen Stunden vielleicht einmal am Wochenende oder nachts ist der
Zugang zum Gewissensdurcheinander einfacher ohne diese Etiketten.
Dennoch sind die Begriffe passive und indirekte Sterbehilfe hinreichend genau
definiert, um Sterbesituationen im Krankenhaus zu beschreiben und sie einzuordnen.
Sterbesituationen von Menschen sind schier unendlich komplex. Alle Beteiligten sind
bis ins Innerste aufgewühlt, versuchen dies vielleicht noch mühsam zu verbergen.
Ein Leben geht zuende, das verflochten ist mit dem Leben anderer, gelöste und
ungelöste Konflikte, Zuneigungen, Abneigungen, Unausgesprochenes, Liebe und
Verlust stehen im Raum. Auch die für Menschen kaum beantwortbaren Fragen.
Warum? Warum er oder sie? Warum jetzt? Welchen Sinn hat das Ganze? Warum
kann die Medizin nicht helfen, dass der Abschied nicht stattfinden muß?
Ärzte und Krankenschwestern, mehr noch die Ärzte haben in solchen Situationen die
Aufgabe, Antworten zu geben, ein Halt zu sein und den Überblick zu behalten und zu
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verstehen. Die Begriffe aktive, passive und indirekte Sterbehilfe können wichtige
Stützen sein Kollegen, Angehörigen und im Vorfeld auch den Patienten zu erklären,
was man macht: z. B. bei einem erstickenden Patienten, der eine schwere
Pneumonie zusätzlich zum Bronchialkarzinom bekommen hat und dessen Frau die
Geschwindigkeit des Krankheitsprozesses und die Tatsache des Sterbens schier
noch nicht fassen kann. Wenn man zur Linderung der Erstickungsangst Morphin und
Dormicum vorsichtig titriert, kann man gut erklären, dass es sich hierbei um eine
allgemein akzeptierte Form der Sterbehilfe nämlich die indirekte handelt. Man kann
erklären, dass es um die Linderung von Leid geht und dass dabei durch Reduktion
der Atemfrequenz und des Tidalvolumens und durch die Sedierung der Tod
möglicherweise etwas früher eintritt. Auch die Unterscheidung zur Tötung auf
Verlangen, zur aktiven Sterbehilfe kann sehr deutlich herausgestrichen werden.
Damit wird oft die Akzeptanz der Angehörigen im Sterbeprozeß in dieser emotional
hoch aufgeladenen Situation ermöglicht, ohne dass es zu Schuldgefühlen oder
Schuldzuweisungen kommen muß.
Auch die Begriffe Therapieverzicht, Therapieabbruch und Sterbebegleitung sind
hilfreich in den Gesprächen mit Patienten und Angehörigen. Gerade auf einer
Palliativstation kann man vielen Ängsten der Patienten im Gespräch begegnen, die
fragen, wie denn der Tod bei ihnen eintreten werde, ob sie ersticken würden, ob es
wehtun würde. Mithilfe dieser Begriffe kann man dann gemeinsam eine Einordnung
der möglichen Geschehnisse vornehmen und sehr viel Angst abbauen, ob Sterben
sehr leidvoll sein müsse und ob man vielleicht selbst dabei etwas Verbotenes tut
oder anderes etwas Verbotenes zumutet. Das Wissen um die medizinische,
juristische und moralische Einordnung dieser Handlungsweisen kann Druck und
schlechtes Gewissen mindern und damit auch Leid vermindern.
Ich möchte sie noch einen Blick weiter über Deutschland hinaus ins europäische
Ausland machen lassen, denn auch dort sind die Begriffe wichtig, zumindest in der
Literatur.
Aufgeführt sind die Länder Deutschland, Österreich, Niederlande, Belgien und
Großbritannien. Einige Beobachtungen sind herauszuheben:

Die Österreicher empfinden, dass nur Sterbebegleitung auch eine „Sterbehilfe“
ist. Dementsprechend wird die in unserem Sinne aktive Sterbehilfe als
„unechte direkte Sterbehilfe“ bezeichnet. Die bei uns als indirekte (aktive)
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Sterbehilfe bezeichnete Handlung heißt in Österreich „unechte indirekte
Sterbehilfe“.

In den Niederlanden wird die bei uns gebräuchliche genaue Differenzierung
der Sterbehilfe in aktiv, passiv und indirekt nicht nachvollzogen. Es gibt nur
eine Form der Sterbehilfe, die aktive. Sie wird als Euthanasie bezeichnet.
Nach einer Empfehlung der KNMG von 1984 wird die Differenzierung in aktiv
und passiv für unerwünscht gehalten.
Bei internationalen Vergleichen ist somit Vorsicht im Umgang mit den Begriffen
geboten.
4. Die allgemeinere Unterscheidung: Tun und Unterlassen
Seit Mitte der 70er Jahre ist in philosophischen Kreisen viel um die Unterscheidung
zwischen Tun und Unterlassen diskutiert worden. Ausgangspunkt war ein Aufsatz
des Philosophen James Rachels im New England Journal of Medicine 1975, in dem
er sich auf eine Erklärung der American Medical Association von 1973 bezog. In
dieser Erklärung formulierten die amerikanischen Ärzte eine klare Absage an die
aktive Sterbehilfe, die Tötung auf Verlangen und wagten gleichzeitig eine sehr
vorsichtige Formulierung, dass es bei einem im Sterbeprozeß befindlichen Patienten
geboten sein könne, sofern er selbst und die Angehörigen es wollten, nicht jede
lebensverlängernde Maßnahme zu ergreifen. Man kann auch formulieren, dass bei
Zustimmung des Kranken dem Sterben Raum gegeben werden darf.
Rachels versucht nun meist auf der Grundlage von Analogieschlüssen zu beweisen,
dass aktive Sterbehilfe (=Tun) im Grunde nicht von der passiven Sterbehilfe
(=Unterlassen) zu unterscheiden ist, da die Konsequenz die gleiche ist. Am Ende ist
ein Mensch tot. Ob durch Tun oder Unterlassen, spiele keine Rolle. Am Schluß
seines Aufsatzes gesteht er den Ärzten noch zu, dass sie, um den Schein vor dem
Gesetz zu wahren, vielleicht diese Unterscheidung machen müssten, sich aber nicht
erdreisten sollten, dieser Unterscheidung durch offizielle Erklärungen auch noch
größeres Gewicht zu verleihen.
Inhalt und Art der Argumentation Rachels sind nicht unwidersprochen geblieben.
Tom L. Beauchamp, Philippa Foot, Bruce Reichenbach und in jüngerer Zeit in
Deutschland Birnbacher haben diese These diskutiert und teilweise entschärft. Die
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Einzelheiten dieser Diskussion widerzugeben wäre Thema eines Universätsseminars
für ein Semester und übersteigt die Möglichkeiten dieses Vortrages. Sie sind aus
heutiger Sicht m. E. nicht in jedem Detail interessant. Man hat aus medizinischer
Perspektive auch eher den Eindruck, dass die Diskussion weit hinter der Entwicklung
der Medizin und damit auch der moralischen Problemstellungen bleibt.
Es ist durchaus so, dass auch von etlichen Kollegen intuitiv gesagt wird, dass man
aktiv und passiv, tun und unterlassen nicht unterscheiden könne. Dementsprechend
schwer tun sich viele Kollegen mit Entscheidungen am Lebensende.
Ich wage eine Interpretation, was als Grundmotiv hinter dieser Vorstellung steht.
Unter der Vorstellung, dass uns Ärzten in unserem Handeln Grenzen gesetzt sind,
von Gott, der Natur oder dem Schicksal, Grenzen jenseits derer unser Handeln
gleichgültig ist, hat die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe,
zwischen Tun und Unterlassen sehr wohl einen Sinn. Bei der Tötung auf Verlangen,
der aktiven Sterbehilfe, habe ich als Handelnder die Tatherrschaft. Durch mein
Handeln stirbt ein Mensch. Weil ich ihm eine bestimmte Kombination aus
Medikamenten gegeben habe, stirbt er.
Hat hingegen ein von mir unabhängiger Sterbeprozeß eingesetzt wie im Fallbeispiel
2, den ich durch maximale intensivmedizinische Therapie bremsen, aber nicht
umkehren kann, lasse ich durch meine Entscheidung zum Therapieabbruch dem von
mir unabhängigen Geschehen Raum. So gesehen verbirgt sich hinter „passiver
Sterbehilfe“ die Erkenntnis über die Grenze der Tatherrschaft hinausgekommen zu
sein. Es ist gleichzeitig eine Anerkennung, dass es biologisches Geschehen auf
dieser Welt gibt, das sich unserem Wollen entzieht. Und es ist eine moralische
Grenze.
Unter der Vorstellung, dass es eine ärztliche Macht über Leben und Tod gibt, wird die
Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen tatsächlich schwierig. Dies verbirgt
sich m. E. hinter der konsequentialistischen Auffassung zu dieser Frage. Ob ich
etwas tue oder etwas unterlasse, am Ende ist ein Mensch tot. Ich kann das
Unterlassen in diesem Fall aber nur als aktiv auffassen und , sei es das Abstellen
eines Beatmungsgerätes, das Abstellen eines Katecholaminperfusors oder gar nur
die Entscheidung dazu, wenn ich glaube, das biologische Geschehen mit
medizinischen Mitteln im Grund noch beeinflussen zu können. Dann würde ich
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tatsächlich einen Menschen töten, wenn ich ein Gerät abstelle, es gäbe keinen
moralischen Unterschied.
Zugegeben werden muß, dass das Wissen um die Unumkehrbarkeit des
Krankheitsgeschehens nie vollkommen sicher sein kann. So gesehen ruht die
aktiv/passiv Unterscheidung auf einer prinzipiellen Unsicherheit.
Die inzwischen in gesellschaftlichen, juristischen und ärztlichen Kreisen anerkannte
Unterscheidung und die breite Diskussion um Patientenverfügungen und
Vorsorgevollmachten mahnt allerdings an, dass wir Ärzte uns nicht auf die prinzipielle
Unvorhersagbarkeit zurückziehen können und lieber alles an Krankheiten so lange
und intensiv therapieren bis die Menschen es trotzdem schaffen zu sterben. Ein Arzt,
der nach Abwägung mit seinen Kollegen und den Mitarbeitern, nach Gesprächen mit
Angehörigen und bestenfalls auch mit dem Patienten, dem Sterben Raum lässt und
eine Sterbebegleitung in den Vordergrund stellt, zieht sich nicht unärztlich aus der
Verantwortung zurück und tut gar „nichts“. Ärztliche Verantwortung und ärztliches
Handeln ist nicht gleichzusetzen mit Aktionismus.
Abgesehen davon, dass die Grundvoraussetzung der aktiv/passiv-Unterscheidung
die Anerkennung einer Grenze menschlichen Einflusses ist, hat sie eine weitere
Schwäche, die ihren Stand in der akademischen Diskussion erschweren: sie ist aus
der Praxis gewonnen. Pragmatisches Wissen um Grenzen hat es im traditionellen
akademischen Lehrbetrieb schwer, Annerkennung zu finden. Wo selbst praktische
Medizinethik noch von Menschen gedacht wird, die nie mit Kollegen am Krankenbett
gestanden haben oder allein als Notarzt vor der Frage standen, den kachektischen
metastastierten Tumorpatienten zu reanimieren oder es zu lassen, hat es Erfahrung
mit Kranken, Sterbenden und den Angehörigen schwer.
5. Schlussfolgerung
Sind die Begriffe aktive, passive und indirekte Sterbehilfe eine Hilfe im Umgang mit
Sterben und Tod? Gibt es bessere Begriffe, präzisere? Ist die Unterscheidung Tun
und Unterlassen hilfreich?
Einerseits sind sie eine Hilfe, andererseits können sie auch erschwerend wirken.
Vor meinem Erfahrungshintergrund als philosophisch denkende Chirurgin und
Anästhesistin sind zumindest die Begriffe aktive, passive und indirekte Sterbehilfe
hilfreich, um Situationen am Lebensende im Wortsinn zu begreifen.
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Die Beschäftigung mit der Unterscheidung „Tun und Unterlassen“ ist, wie oben
ausgeführt insofern wichtig, dass sich der Handelnde darüber klar wird, ob er
biologische Geschehnisse wie das Sterben als nicht mehr vom Menschen änderbar
ansieht und damit ein passives Verhalten möglich wird oder ob die prinzipielle
Unvorhersagbarkeit, ob ein Sterbeprozeß eingesetzt hat, einerseits ein argumentativ
bequemer Rückzug ist, der gleichzeitig die neuzeitliche Vorstellung von der
technischen Naturbeherrschung unangefochten lässt.
Beides ist eine Haltung, die ein Mensch einnehmen kann. Davon hängt es ab, ob die
Unterscheidung Tun/Unterlassen und damit aktive und passive Sterbehilfe sinnvoll
ist.
Probleme mit dem Sterbenlassen bei Nicht-Sterbenden wie missgebildeten
Neugeborenen oder im Schlucken und Abhusten behinderter alter Menschen können
allerdings mit der Begriffstrias aktiv, passiv und indirekt nur unzureichend erfasst
werden, denn hier kann man den zumindest sehr stark vermuteten begonnenen
Sterbeprozeß wie in den oben geschilderten Fällen nicht als „moralische Grenze“
heranziehen. Hier eher von „Entscheidungen am Lebensende“ zu sprechen erscheint
sinnvoller.
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