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MINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES
PRESSESTELLE
PRESSEMITTEILUNG
24. April 2009
Nr. 126/2009
Rede von
Herrn Ministerialdirektor Thomas Halder
anlässlich der Tagung „REGIO 2009“
zum Thema „Prävention im Alltag –
Strategien zum Erhalt seelischer Gesundheit“
am 25.04.2009
in Schwäbisch Gmünd, Franziskaner
Sperrfrist: Beginn der Rede
Es gilt das gesprochene Wort
Schellingstraße 15 · 70174 Stuttgart · Telefon 0711 123-3552 · Fax 0711 123-3996
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Es ist inzwischen beinahe Tradition, dass das Ministerium für Arbeit und Soziales auf
der Regio-Tagung mit einem Grußwort vertreten ist. Als Amtschef des Ministeriums für
Arbeit und Soziales und Stellvertreter der Ministerin bin ich deshalb heute gerne gekommen, um zu Ihnen zu sprechen.
Ich überbringe Ihnen die Grüße und besten Wünsche von Frau Ministerin Dr. Monika
Stolz MdL und der gesamten Landesregierung.
Bei dieser Gelegenheit gratuliere ich auch dem „Verein für seelische Gesundheit Ostalbkreis“ zu seinem 25-jährigen Jubiläum. Was der Verein an Hilfeangeboten für psychisch kranke Menschen aufgebaut hat, kann sich sehen lassen. Ich wünsche ihm für
die Zukunft weiterhin viel Erfolg.
„Prävention“ ist das Thema der diesjährigen Regio-Tagung. Prävention und Gesundheitsförderung gewinnen nicht nur in der interessierten Fachöffentlichkeit an Bedeutung,
sondern auch in der Politik.
Mein Referat habe ich in drei Abschnitte gegliedert:
- Zunächst geht es um Prävention als Thema der Politik.
- Dann werde ich auf den leistungsrechtlichen Rahmen der Präventionsleistungen eingehen.
- Schließlich möchte ich einige Aspekte der Prävention im Alltag nennen und dabei
Strategien zum Erhalt seelischer Gesundheit anregen.
Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg
Die globalisierte Wirtschaft und der demografische Wandel stellen große Herausforderungen für unsere Gesellschaft dar. Bildung und Gesundheit sind vor diesem Hintergrund unsere wichtigsten Ressourcen. Sie sind eine Voraussetzung für Lebensqualität,
Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum in unserem Land. Sie wirken sich auf die materielle Lebenssicherung und die Lebenszufriedenheit auch des einzelnen Menschen
aus.
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Die „Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg“ greift diese Zusammenhänge auf.
Es handelt sich dabei um eine Konzeption des Ministeriums für Arbeit und Soziales, die
sich derzeit in der Anhörungsphase befindet und die dann dem Ministerrat zur Beschlussfassung vorgelegt werden wird.
Die „Gesundheitsstrategie“ zielt darauf ab, in allen Lebensphasen und Lebenswelten die
Gesundheit der Menschen im Land zu fördern und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit
Baden-Württembergs zu sichern. Damit wird der Rahmen einer gesundheitsfördernden
Gesamtpolitik des Landes beschrieben.
In die Umsetzung der Gesundheitsstrategie sollen alle Ressorts, alle Akteure des Gesundheitswesens und auch die anderen relevanten Partner einbezogen werden. Bereits
vorhandene Erfahrungen sollen eingesetzt und die vorhandenen Strukturen - natürlich
auch die Möglichkeiten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes - genutzt werden.
Der sogenannte „Präventionspakt“, den das Land im Mai 2006 mit den Sozialversicherungsträgern geschlossen hat, wird in die „Gesundheitsstrategie“ integriert. Schon im
Präventionspakt ist eine Neuakzentuierung der Prävention in Baden-Württemberg vereinbart worden. Gesundheitsförderung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben ist seit damals einer der Handlungsschwerpunkte, auf die man sich geeinigt hat.
Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen sind
dabei ausdrücklich genannt.
Dies nimmt die „Gesundheitsstrategie“ auf. Es wird festgestellt, dass neben den klassischen medizinischen Risikofaktoren (wie Rauchen, Bewegungsmangel, Bluthochdruck
oder ungünstige Ernährung und Übergewicht) vermehrt auch psychosoziale Faktoren zu
beachten sind. Seelische Belastungen - etwa aus der Arbeitswelt - sowie soziale Unterschiede gewinnen immer stärker an Bedeutung für die Gesundheit.
Nach einer weltweiten Untersuchung trägt psychischer Stress bereits in ebenso großem
Maße zur Krankheitslast bei wie Bluthochdruck. Die WHO erwartet, dass in den nächsten Jahrzehnten Depressionen zur bedeutsamsten Ursache für den Verlust an gesunden Lebensjahren werden. Hier ergeben sich Folgerungen insbesondere auch für die
betriebliche Gesundheitsförderung.
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Unter den Schlüsselbotschaften, auf die die Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg
setzt, steht an vorderster Stelle:
„Gesunde Umgebungen schaffen!“
Dazu gehört nicht nur eine gesunde physikalische Umwelt, sondern auch eine gesunde
psychosoziale Umwelt.
Ganz wichtig ist auch die Botschaft:
„Früh und ganzheitlich ansetzen!“
Erfolgreiche Prävention und Gesundheitsförderung muss möglichst früh im Lebenslauf
beginnen. Das ist entscheidend für den Erfolg. Insbesondere in den ersten Monaten und
Jahren erfolgen die grundlegenden Prägungen, die die spätere körperliche, seelischemotionale und soziale Entwicklung mitbestimmen.
Ich will nun nicht den ganzen Katalog von Handlungszielen und
-bereichen der Gesundheitsstrategie aufzählen. Das würde den Rahmen sprengen. Für
unser heutiges Thema will ich aber festhalten, dass die Gesundheitsstrategie BadenWürttemberg auch den psychosozialen Aspekten von Prävention und Gesundheitsförderung Rechnung trägt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung, wie sie im Rahmen der Gesundheitsstrategie vorgesehen ist, kann nur gemeinsam bewältigt werden. Ich will Ihnen
exemplarisch zwei konkrete Vorhaben nennen, um die geplante Umsetzung zu illustrieren.
Ein gutes Beispiel für kooperative Umsetzung ist das Projekt „Gesund aufwachsen in
Baden-Württemberg - Kommunale Netzwerke für Ernährung und Bewegung“.
Kommunales Engagement ist notwendig, um ein gesundes Aufwachsen von Kindern
und Jugendlichen zu unterstützen. Die Stressbewältigung bei Kindern und Jugendlichen
ist dabei ein wichtiges Thema. Das Projekt wird von der Robert-Bosch-Stiftung und vielen Kooperationspartnern gefördert. Fünf Pilotkommunen erproben derzeit ein Handbuch, das Wege für eine umfassende kommunale Präventionsarbeit in den Themenfel-
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dern Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung aufzeigt. Nach Abschluss der Erprobung sollen zahlreiche weitere Kommunen dafür gewonnen werden, insbesondere an
Schulen und Kindertageseinrichtungen in die Gesundheit zu investieren.
Für die Zielgruppe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betrieben wird demnächst
das Projekt „Konfliktmanagement in Betrieben und Verwaltungen in BadenWürttemberg“ anlaufen. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat eine Förderung
zugesagt. Das Projekt wird u.a. einen Baustein gegen Mobbing enthalten. Eine spezielle
Fortbildung zum Thema Mobbing ist für die Betriebs- und Werksärzte, Fachkräfte für
Arbeitssicherheit, Betriebs- und Personalräte, aber auch für Psychotherapeuten,
Psychologen, Psychiater und andere niedergelassene Ärzte sowie Rechtsanwälte geplant - natürlich stets für Männer wie für Frauen. Es sollen Ehrenamtliche als Mobbingberater ausgebildet, eingesetzt und fortlaufend supervidiert werden. Die Beratung bei
Konflikten am Arbeitsplatz ist mit regionalen Mobbingtelefonstellen verbunden. Dieses
Projekt wird modellhaft im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald mit landesweiter Vernetzung durchgeführt. Es erfolgt auch eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation.
Leistungsrechtlicher Rahmen der Prävention
Was leisten die Krankenkassen zur Prävention? Ehe wir dazu einen Blick auf das Sozialleistungsrecht werfen, müssen wir zunächst den Begriff Prävention näher betrachten.
Es ist zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention zu differenzieren.
Von Primärprävention spricht man bei Maßnahmen zur Vorbeugung gegen Krankheiten. Die primäre Prävention muss also ansetzen, bevor eine Krankheit in Sicht ist.
Die Sekundärprävention ist eine Intervention bei Erkrankungen im frühen Stadium. Sie
beginnt möglichst schon, bevor deutliche Symptome auftreten. Indem die Krankheit bereits in ihrem Entstehungsprozess behandelt wird, soll sie aufgehalten werden, bevor sie
sich verschlimmert.
Die Tertiärprävention will die Verschlimmerung einer Krankheit verhüten sowie Folgeoder Begleiterkrankungen verhindern. Es sollen Rückfälle vermieden und insbesondere
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die Lebensqualität des betroffenen Menschen wiederhergestellt werden. Die tertiäre
Prävention unterstützt die ärztliche Behandlung und die Rehabilitation.
Der Übergang von der Primär- zur Sekundär- und Tertiärprävention ist natürlich fließend. Dennoch ist die Unterscheidung im Sozialleistungsrecht grundsätzlich wichtig.
Bei der derzeitigen Situation der sozialen Sicherungssysteme wird verstärkt die Frage
diskutiert: Werden dem Gesundheitswesen und den Sozialversicherungssystemen
durch mehr Prävention Kosten erspart?
Prävention und Gesundheitsförderung können, wenn sie dem heutigen Stand der Erkenntnisse entsprechend durchgeführt werden, das Entstehen von Krankheiten wirksam
verhindern. Dies erspart dem Gesundheitswesen diejenigen Kosten, die zur Behandlung
der konkret vermiedenen Krankheiten aufgebracht werden müssten. Aber auch unabhängig von einer Kostenersparnis ist die Stabilisierung der Gesundheit ein Wert.
Die gesetzlichen Krankenkassen werden jedenfalls weiterhin einen erfolgversprechenden Beitrag zu Prävention und Gesundheitsförderung leisten. Gerade durch die letzten
Gesundheitsreformen haben die Krankenkassen im Bereich Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung einen erweiterten Handlungsspielraum erhalten.
Nach dem Gesetz soll jede Kasse für ihre Mitglieder pro Jahr einen bestimmten Betrag
für Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung ausgeben. Dieser Betrag
lag im Jahr 2008 bei 2,78 Euro je Versicherten. Wie alle anderen Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen auch die Präventionsleistungen ausreichend,
zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Wir befinden uns hier auch auf einem Wettbewerbsfeld der gesetzlichen Krankenkassen. Durch ansprechende, gute Präventionsangebote können die Kassen auch neue
Mitglieder gewinnen. Die Krankenkassen organisieren diese Maßnahmen selbst. Aber
es gibt Rahmenvorgaben, auf die sie sich gemeinsam verpflichtet haben.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben unter Beteiligung unabhängiger Sachverständiger prioritäre Handlungsfelder, Kriterien und Qualitätsanforderungen in einem
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Leitfaden festgelegt. Dieser „Leitfaden Prävention“ regelt die Primärprävention nach
§ 20 und die betriebliche Gesundheitsförderung nach § 20a Sozialgesetzbuch V verbindlich. Auf diesen Feldern dürfen die Krankenkassen keine Maßnahmen außerhalb
des Leitfadens durchführen oder fördern.
Zu den Handlungsfeldern nach dem Leitfaden gehören unter anderem die Reduktion
von psychischen und psychosomatischen Krankheiten sowie Verhaltensstörungen. Insbesondere wird empfohlen, individuelle Kompetenzen der Belastungsverarbeitung zur
Vermeidung stressbedingter Gesundheitsrisiken zu fördern. Dazu zählt auch die Bewältigung psychosozialer Belastungen am Arbeitsplatz. Ebenso soll der Suchtmittelkonsum
im erwünschten Sinne beeinflusst werden.
Voraussetzung für den Einsatz individueller präventiver Interventionen ist, dass die
Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist. Da eine ganzheitlich angelegte Prävention erfolgversprechend ist, sollen Maßnahmen aus verschiedenen Handlungsfeldern miteinander verknüpft werden. Das bedeutet, dass der allgemeine Gesundheitszustand mit
im Blick ist.
Ziel bei der Prävention und betrieblichen Gesundheitsförderung ist, dass
- richtiges Gesundheitsverhalten und Handlungskompetenzen erlernt,
- Verhaltensweisen geändert und
- Eigenverantwortung, Motivation und Problemlösungsverhalten
gestärkt werden.
Soviel zur Primärprävention.
Wenn eine Krankheit sich bereits mit ersten Vorzeichen ankündigt oder vollends in Erscheinung tritt, geht es - wie gesagt - um Sekundär- und Tertiärprävention.
Am besten ist eine Erkrankung - auch eine psychische Erkrankung - in den Griff zu bekommen, wenn sie rechtzeitig angegangen wird. Deshalb sollten die ersten Warnzeichen für eine seelische Erkrankung allgemein bekannt sein: Wenn Schlafstörungen,
Antriebsschwäche oder Rückzugsverhalten länger als zwei, drei Wochen anhalten, ist
es angebracht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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Depression oder Schizophrenie können wirksam therapiert werden, wenn der Arzt
rechtzeitig, schon bei den ersten Anzeichen konsultiert wird. Es besteht die Chance,
eine Chronifizierung zu verhindern.
Bei der Sekundär- und Tertiärprävention greifen die „Leistungen bei Krankheit“ nach
dem Sozialgesetzbuch (SGB) V.
Da ist vor allem die Krankenbehandlung nach § 27 SGB V zu nennen. Sie umfasst insbesondere ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Die Krankenhausbehandlung gehört dazu.
Auch in anderen Kassenleistungen sind präventive Ansätze mit enthalten. In unserem
Zusammenhang nenne ich zum Beispiel die Soziotherapie nach § 37a SGB V oder die
Psychiatrische Institutsambulanz.
Die Leistungen nach dem SGB V werden erbracht von
- Psychiatrischen Fachkrankenhäusern und psychiatrischen Abteilungen der Allgemeinkrankenhäuser,
- von Psychiatrischen Tageskliniken,
- von Psychiatrischen Institutsambulanzen,
- und vor allem von niedergelassenen Ärzten, Fachärzten und Psychotherapeuten.
Ihr Beitrag zur Sekundär- und Tertiärprävention bei psychischen Erkrankungen besteht
in Diagnose und Therapie nach den Regeln der Kunst. Meist gehört eine individuell abgestimmte Medikation dazu. Wenn eine eingehende Gesprächstherapie nötig ist, wird
eine Psychotherapie verordnet.
Bei einer erstmaligen Krise mit Anzeichen einer psychischen Erkrankung ist grundsätzlich ein Arzt bzw. eine Ärztin zu konsultieren. Unser System der Krisen- und Notfallversorgung ist darauf eingerichtet. Der Landesarbeitskreis Psychiatrie hat letztes Jahr die
Konzeption „Krisen- und Notfallversorgung in der Psychiatrie und Suchtkrankenhilfe“
verabschiedet, die dieses System beschreibt.
Organisiert werden die Hilfen von der Selbstverwaltung. Lassen Sie mich kurz auf aktuelle „Baustellen“ der Selbstverwaltung eingehen.
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Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat die Vereinbarung über Psychiatrische Institutsambulanzen gemäß § 118 Abs. 2 SGB V zum 31. Dezember 2008 gekündigt. Sie möchte in Neuverhandlungen die Zugangsregelungen präzisieren und eine
Begrenzung auf schwere Fälle erreichen. Ihre Verhandlungspartner sind die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Sie müssen nun
eine Vertragsänderung prüfen und dabei dem gesetzlichen Versorgungsauftrag wie dem
Patienteninteresse gerecht werden. Bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung gilt
die bisherige Vereinbarung weiter.
Ein Wort zu den „Nichtärztlichen sozialpädiatrischen Leistungen“ (nach § 43a in Verbindung mit § 85 Abs. 2 Satz 4 SGB V) für Kinder - Stichwort „SozialpsychiatrieVereinbarung“:
Die Primärkassen (AOK, IKK, BKK) beschränken den Anspruch - eng am geltenden
Gesetzestext orientiert - auf die Frühdiagnostik und die Erstellung des Behandlungsplans. Demgegenüber umfasst die Sozialpsychiatrie-Vereinbarung der Ersatzkassen
auch die nichtärztlichen sozialpädiatrischen und psychosozialen Therapieleistungen.
Dabei geht es um Leistungen, die in der Praxis eines Kinder- und Jugendpsychiaters
durch andere Berufsgruppen, z.B. Sozialarbeiter, erbracht werden.
Für das Land Baden-Württemberg konnten wir erreichen, dass die Ersatzkassen ihre
Vereinbarung bis 30. Juni 2009 weitergelten lassen. Zum gleichen Datum hat die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg die Vereinbarung mit den Primärkassen
gekündigt mit dem Ziel, eine kassenartenübergreifende Regelung zu erreichen. Die
Verhandlungen darüber waren ins Stocken geraten, sind aber wieder aufgenommen
worden.
Eine geplante Gesetzesänderung auf Bundesebene (Änderung des § 85 II 4 SGB V im
Rahmen der AMG-Novelle) sieht nunmehr vor, dass die Kassen Vergütungsvereinbarungen für die nichtärztlichen Leistungen im Rahmen sozialpädiatrischer und psychiatrischer Tätigkeit verpflichtend abschließen müssen. Baden-Württemberg unterstützt diesen Entwurf.
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Die Arzthonorarreform ist noch nicht ausgestanden. Frau Ministerin Dr. Monika Stolz hat
früh und anhaltend auf die zu erwartenden Probleme hingewiesen. Durch eine Bundesratsinitiative versuchten wir außerdem zu erreichen, dass die Ärzte im Land mit mindestens so viel Honorar rechnen können wie im Jahr 2008. Unser Vorstoß hat im Bundesrat
leider keine Unterstützung gefunden. Jetzt liegt es an der Kassenärztlichen Vereinigung,
sachgerechte Lösungen zu finden.
In den Sozialgesetzbüchern IX, XI und XII sind Hilfen vorgegeben, die dafür sorgen,
dass psychisch erkrankte Menschen - nach und neben der medizinischen Versorgung auch komplementäre Unterstützung bekommen. Mit der Teilhabe am Arbeitsleben und
an der Gemeinschaft wird Stabilisierung, Prävention und Rehabilitation geleistet.
Ich nenne
- die Werkstätten für psychisch behinderte Menschen,
- die Wohn- und Pflegeheime,
- das Ambulant betreutes Wohnen in all seinen Formen,
- den Integrationsfachdienst
- und die psychiatrischen Tagesstätten.
Die „Sozialpsychiatrischen Dienste“ haben auch die Vorsorge in ihrem Aufgabenkatalog,
der in der „Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Arbeit und Soziales über die Förderung sozialpsychiatrischer Dienste“ niedergelegt ist. Zielgruppe dieser Vorsorge sind
in erster Linie die chronisch psychisch erkrankten Menschen. Die Förderung der Sozialpsychiatrischen Dienste ist seit über 20 Jahren eine Freiwilligkeitsleistung des Landes
und der Kommunen. Wir stehen zu dieser Förderung.
Jede Prävention ist stark davon abhängig, wie der betroffene Mensch selbst mitmacht.
Sie basiert auf der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung des Betroffenen.
Wenn wir von „Versorgung“ sprechen, dann heißt das nicht, dass der einzelne Mensch
sich um seine Gesundheit nicht kümmern müsste. Vielmehr ist es so, dass das eigenverantwortliche Handeln Voraussetzung für die Leistungen des Solidargemeinschaft ist natürlich in dem Maße, wie dies die Erkrankung zulässt.
„Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mit verantwortlich“, heißt es in § 1 SGB V.
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Prävention im Alltag - Strategien zum Erhalt seelischer Gesundheit
Die heutige Tagung soll deshalb auch persönliche Strategien zum Erhalt seelischer Gesundheit thematisieren. Ich will daher einige Aspekte ansprechen, die im Alltag des einzelnen Menschen hilfreich sein können; gerade für Menschen, die sich mit einer psychischen Erkrankung auseinanderzusetzen haben. Die Unterscheidung zwischen Primär-,
Sekundär- und Tertiärprävention können wir bei den folgenden Ausführungen getrost
außer Acht lassen.
Grundfaktoren jeder Prävention sind Ernährung und Bewegung.
Ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse, mit maßvollem Fleischgenuss das wird generell empfohlen. Bei psychisch erkrankten Menschen kommt der Gewichtsbeobachtung eine besondere Bedeutung zu. Viele Psychopharmaka haben offenbar die
Nebenwirkung, dass sie das natürliche Sättigungsgefühl gleichsam ausschalten. Umso
bewusster muss auf die Mengen beim Essen geachtet. Da kann auch helfen, zwischen
den Mahlzeiten oder auch vor den Mahlzeiten ein Glas Wasser, Saft oder Kräutertee zu
trinken, um einen Heißhunger erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Bewegung ist wichtig. Als Regel gilt, wer täglich mindestens eine halbe Stunde spazieren geht, tut etwas für seine Gesundheit. Das stimmt. Im Fall einer psychischen Erkrankung kommt noch ein Faktor hinzu: das Tageslicht. Die Forschung hat erwiesen, dass
es als Prävention gegen Depressionen wirkt, sich täglich mindestens eine dreiviertel
Stunde bei Tageslicht im Freien zu bewegen.
Ordnung im Leben ist gut für die Gesundheit. Eine regelmäßige Lebensführung beugt
Stress vor und ist eine gute Rüstung gegen krankmachende Zwischenfälle. Das gilt für
die körperliche wie für die seelische Gesundheit gleichermaßen. Ein geordneter Alltag
hilft. Eine gute Tagesstruktur hilft.
Dazu gehören
- regelmäßige Schlaf- und Wachzeiten,
- regelmäßige Mahlzeiten,
- die regelmäßige Wiederkehr von Anspannung und Entspannung,
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- die Abwechslung zwischen stiller Einkehr und Gesellschaft,
- die Balance von Muße und Anregung.
Zur Prävention gehört natürlich auch, Drogen zu meiden und mit Alkohol verantwortlich
umzugehen. So manche Psychose hat ihren Auslöser in der Alkohol- oder Drogensucht.
Auch hier gilt naturgemäß, dass die Menschen verschieden reagieren und auf Grund
ihrer Erbanlagen unterschiedlich für eine Suchterkrankung disponiert sind.
Oberstes Ziel der Suchtprävention ist es, den Einstieg in den Konsum psychoaktiver
Stoffe zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Jugendliche Gehirne sind noch
nicht ausgereift und sehr empfänglich für neue Inhalte, vor allem dann, wenn sie positiv
unterlegt sind. Diese Lernphase sollten wir nutzen. Wir müssen Jugendliche integrieren
und sie ernstnehmen und ihnen damit die Möglichkeit schaffen, ihre Werte innerhalb der
Gesellschaft zu entwickeln. Dabei muss klar sein, dass Drogen keine Probleme lösen,
sondern stets neue Probleme verursachen. Dies gilt nicht nur für die illegalen Drogen,
sondern auch für den Gebrauch von legalen Drogen wie Alkohol und Tabak. Deshalb
freue ich mich auch darüber, dass wesentlich weniger junge Menschen als noch vor vier
Jahren diese Suchtmittel konsumieren. Auch der Trend zum immer jüngeren Einstiegsalter scheint nunmehr gebrochen. Ich denke, dies ist auch ein Zeichen dafür, dass Prävention wirkt.
Damit komme ich zu dem weiten Feld der Emotionen. Gemüt und Körper hängen eng
zusammen. Anhaltende Konfliktspannungen sind Krankmacher. Um gesund zu bleiben,
braucht der Mensch spannungsfreie soziale Kontakte.
Beziehungen - die sind ganz wichtig.
Man benötigt nicht viele Bekannte oder viele gesellschaftliche Kontakte. Freizeitgestaltung ist etwas anderes. Gemeint ist vielmehr eine persönliche Beziehung: das Verhältnis
zu einem anderen Menschen, der sich für mich interessiert, der auf mich reagiert, der
mir Wertschätzung entgegenbringt – und umgekehrt. Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit. Eine echte Beziehung ist wertvoll. Man muss sie erkennen, aufbauen und bewusst pflegen. (Ich spreche noch nicht von Partnerschaft. Nicht jeder hat das Glück,
einen Lebenspartner, eine Lebenspartnerin zu finden.) Ich rede hier von Beziehung.
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Eine Beziehung zu einem Menschen, der einem vertraut ist und der verlässlich ist - wie
Familie.
Für die psychische wie für die körperliche Gesundheit ist es ein unschätzbares Kapital,
wenn schon das kleine Kind in der Geborgenheit einer familiären Beziehung aufwächst,
in der es Anerkennung, Austausch und Bestätigung erfährt.
Nicht jedem Menschen fällt dieses Kapital schon als Kind zu. Das therapeutische Verhältnis in der Behandlung einer psychischen Erkrankung kann die Voraussetzung schaffen, dass der betroffene Mensch in die Lage versetzt wird, sich auf persönliche Beziehungen einzulassen. Das ist hervorragende Prävention. Nichts ist hilfreicher in einer
Krisensituation, als einen Freund, eine Freundin um sich zu wissen und reden oder
schweigen zu können.
Hochgradiger emotionaler Stress oder Konfliktspannung, beruflich oder privat, kann eine
psychische Erkrankung oder einen psychotischen Schub auslösen.
Anhaltende „Double-bind“-Situationen können kritisch sein. Das englische Wort „Double-bind“ - auf deutsch wörtlich: Doppelbindung - bedeutet eine in sich widersprüchliche
Doppelbotschaft, ein Dilemma.
Ich gebe Ihnen zwei Beispiele:
- Erstes Beispiel: Eine Mutter ruft ihrem Kind mit drohendem Unterton in der Stimme
zu: „Komm sofort her!“ Was macht jetzt das Kind? Wenn es zur Mutter kommt, hat es
bestimmt etwas zu befürchten, und wenn es nicht kommt, hat es auch nichts Gutes
zu erwarten. Ein Dilemma. Das bedeutet Stress.
- Zweites Beispiel: Ein Beschäftigter hört vom Vorgesetzten stets lobende Anerkennung, erlebt aber zugleich, dass er bei Beförderungen nie berücksichtigt wird. Was
soll er glauben: Ist er gut oder ist er nicht gut in seiner Arbeit? Dieser Konflikt kann
auf Dauer krank machen.
Prävention heißt: Auf klare Botschaften im Umgang miteinander achten!
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Für den Betroffenen hieße das: Nachfragen und auf klare, verlässliche Aussagen dringen. Lieber die Dilemma-Situation verlassen, als darin krank werden!
Die Menschen reagieren unterschiedlich auf Stresssituationen. Der eine bekommt Magenschmerzen, der andere erkrankt psychisch. Warum werden längst nicht alle Menschen psychisch krank? Offenbar ist eine gewisse Verwundbarkeit - eine Dünnhäutigkeit
oder Anfälligkeit - eine der Bedingungen für eine psychische Erkrankung. Man bezeichnet diese Verletzlichkeit mit dem Fachwort „Vulnerabilität“. Dabei spielt es keine Rolle,
ob diese Vulnerabilität anlagebedingt (also ererbt) ist oder lebensgeschichtlich erworben
wurde.
Wenn die Vulnerabilität eine bestimmte Schwelle übersteigt und hochgradiger Stress
dazu kommt, entsteht ein Krankheitsrisiko. Mit Stress ist dabei allgemein eine psychosoziale Belastung gemeint. Ob die Beanspruchung emotional positiv oder negativ ist, ist
dabei zweitrangig. Auch ein an sich erfreuliches großes Fest, kann Stress bedeuten.
Die ausgelöste Erkrankung kann wiederum individuell sehr unterschiedlich sein. Der
eine Mensch reagiert mit Ängsten, der andere mit Depressionen und der dritte mit psychotischem Erleben.
Das eben beschriebene Vulnerabilitäts-Stress-Modell wurde ursprünglich für den Bereich der Schizophrenie entwickelt, ist aber ebenso für psychische Erkrankungen allgemein anwendbar. Es erweist sich auch in der Prävention als brauchbar. Deshalb erwähne ich es hier.
Nach diesem Vulnerabilitäts-Stress-Modell kann die Prävention an beiden Seiten ansetzen:
- Einerseits kann man die Vulnerabilität herabsetzen, z. B. durch Training und durch
geeignete Medikamente.
- Andererseits kann man die Stressoren (also die den Stress verursachenden Faktoren) beeinflussen. Wenn z.B. Menschenmengen der Stressor sind – dann versucht
man eben, Menschenmengen zu meiden oder sich von vornherein vorzunehmen,
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sich diesem Stressor nur eine überschaubar kurze Zeit auszusetzen, oder nur in Begleitung eines verlässlichen Menschen hinzugehen.
Von ausschlaggebender Bedeutung ist, ob der betroffene Mensch emotionale Unterstützung durch ein soziales Netz hat, ob er die typischen Krankheitssymptome erkennt und
ob er über individuelle Bewältigungsmöglichkeiten verfügt.
Deshalb gehört ein persönlicher Krisenplan zur individuellen Prävention. Dieser Krisenplan sollte schriftlich erstellt werden, und zwar von der behandelnden ärztlichen oder
sozialpsychiatrischen Fachperson zusammen mit dem Patienten. Die wichtigsten Punkte des Krisenplans sind die Fragen:
- Wie sind Frühwarnzeichen einer Krankheitsverschlimmerung zu erkennen?
- Was ist im Krisenfall zu tun?
Aber auch die anderen Strategien können in den Krisenplan aufgenommen werden (und
damit fasse ich die genannten Präventionsstrategien für den individuellen Alltag nochmals kurz zusammen):
- das Alltagsleben ordnen,
- Beziehungen pflegen,
- Stressoren verringern.
Schluss
Wer Bescheid weiß, kann sich und anderen besser helfen. Damit komme ich zum
Schluss.
Es ist wichtig, dass man in der Bevölkerung um die Möglichkeit einer psychischen Erkrankung weiß. Es muss allgemein bewusst sein, dass eine psychische Erkrankung jeden treffen kann und dass es Hilfe gibt.
Die Entstigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen ist ein wichtiger Teil der
Prävention. Denn wer nicht Ausgrenzung befürchten muss, stellt sich eher der Diagnose
und ist eher zu einer Behandlung bereit.
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Der Information der Öffentlichkeit über psychische Erkrankungen dienen Veranstaltungen insbesondere rund um den „Welttag für seelische Gesundheit“. Das Ministerium für
Arbeit und Soziales weist alljährlich in einem Rundschreiben an die Akteure der psychiatrischen Versorgung darauf hin. Dem Landesverband Gemeindepsychiatrie möchte ich
an dieser Stelle für sein besonderes Engagement auf diesem Gebiet besonders danken.
Ein besonderes Highlight war der „Landespsychiatrietag“ am 28. März 2009. Auch davon geht das Signal aus, dass eine seelische Erkrankung nichts Ungewöhnliches ist und
bewältigt werden kann. An dieser Stelle vielen Dank für Ihre gute Vorbereitung der Veranstaltung!
Es gibt bewährte Modelle der Psychoedukation und „Psychose-Seminare“, in denen
psychisch erkrankte Menschen, ihre Angehörigen und sonstige interessierte Bürger und
Bürgerinnen wichtige Informationen über die Krankheit und die Bewältigungsmöglichkeiten bekommen. Gerade auch von Seiten des Landesverbands der PsychiatrieErfahrenen Baden-Württemberg wird hier viel geleistet, und ich danke Ihnen dafür.
Ich begrüße es sehr, dass der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener sich so engagiert
für die Einführung von „EX-IN“-Kursen (Experienced Involvement) in unserem Land
einsetzt. In dem Kurs sollen Psychiatrie-Erfahrene ihre persönlichen Krankheits- und
insbesondere Gesundungserfahrungen reflektieren und allgemein verständlich weitergeben lernen.
EX-IN heißt das Modell, weil sich „Experten aus Erfahrung“ mit ihrer Erfahrung in die
Versorgung involvieren sollen. Das Ziel ist, dass diese Erfahrungs-Experten - „peer to
peer“ - als Gesundheitshelfer und -helferinnen in psychiatrischen Einrichtungen mitarbeiten und auch in der Aus- und Fortbildung von Fachkräften mitwirken. Ich halte das für
ein gutes Modell. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat auch eine Empfehlung
dafür ausgesprochen.
Ein Anliegen ist mir, dass bei dem Kursmodell nicht Ausbildung und Beschäftigung direkt miteinander verbunden werden. Vielmehr sollte die Ausbildung als Qualifizierung
der Selbsthilfe verstanden werden. Wenn die EX-IN-Absolventen später eine Tätigkeit
gegen Bezahlung finden, umso besser. Je mehr EX-IN-Absolventen zur Verfügung stehen, desto eher werden die Einrichtungen und Dienste zu Hilfemix-Modellen bereit sein.
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Bei einer Entkoppelung des Kurses von dem Beschäftigungswunsch könnte EX-IN breiter und nachhaltiger im Land eingeführt werden. Und auch das wäre ein Beitrag zur
Prävention.
Schließlich möchte ich auf den Bereich der Selbsthilfegruppenarbeit, der Kontaktklubs
und der Patiententreffs hinweisen. Hier wird etwas aufgebaut, was die professionelle
Versorgung allein gar nicht zu leisten vermag: Integration, Zugehörigkeit und ein Gefühl
von Normalität des Lebens. Dies verdient unser aller Dank und Anerkennung!
Die verschiedenen Aspekte der Prävention werden in der Podiumsdiskussion und heute
Nachmittag in den Arbeitsgruppen noch näher beleuchtet werden. Meine Verpflichtungen lassen es leider nicht zu, dass ich selbst daran teilnehme, obwohl ich persönlich
großes Interesse daran hätte. Ich wünsche Ihnen allen einen fruchtbaren und erfolgreichen Verlauf der „Regio 2009“.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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