H.-Hugo Kremer / Peter F. E. Sloane Lernfelder – Motor didaktischer Innovationen? Thema 1 Einführung Die Diskussion um die Modernisierung berufsbildender Schulen wird vermehrt durch das 'neue' Schlagwort 'Lernfelder' bestimmt. Vielfach werden sie als Motor zur Weiterentwicklung berufsbildender Schulen auf didaktisch-methodischer Ebene angesehen. Gespräche mit Lehrern und Ausbildern zeigen, daß zwar ein anderer Motor in den Schulen verwendet wird, die Tauglichkeit dieses Motors wird für das Gelände der Berufsschule jedoch sehr verschieden eingeschätzt. Dementsprechend finden sich auch sehr unterschiedliche Stimmen zur Lernfeldkonzeption, die anhand einiger ausgewählter Beispiele aus der Praxis 1 verdeutlicht werden sollen: 'Lernfelder sind in der Schule schon lange bekannt – eine Änderung bzw. eine neue Konzeption ist kaum feststellbar.' 'Lernfelder sollten zwar vom Grundansatz verfolgt werden, eine Realisierung ist in unserer Schule aber nur mit erheblichen Aufwand möglich.' 'Lernfelder verlangen viele neue Aktivitäten und eine systematische Abstimmung mit den Betrieben.' 'Lernfelder bieten die Chance einer grundlegenden Revision berufsbildender Schulen.' 'Die Lernfeldkonzeption erfordert eine umfassende Qualifizierung der Lehrenden.' Die hier nur angedeuteten Diskussionen und Gespräche führen an vielen Stellen zur Frage, welche Neuerungen mit der Lernfeldkonzeption verbunden sind und wie diese in der Praxis umzusetzen sind. Zwei Perspektiven sind aufzunehmen: Einerseits ist der Bezugsrahmen zur Lernfeldkonzeption systematisch nachzuzeichnen und andererseits ist der Umgang mit der Lernfeldkonzeption in der Praxis in den Blick zu nehmen. Über diese zwei Zugänge können dann Thesen zur Implementation von Lernfeldern gewonnen werden. Als erstes geht es um die Verortung der Lernfeldkonzeption. Bezugspunkte können dabei sowohl auf didaktischer, organisatorischer als auch curricularer Ebene festgestellt werden. Systematisch wäre insbesondere ein Bezug zu Konzepten der Handlungsorientierung, des fächerübergreifenden Unterrichts oder Schulentwicklung herzustellen. Im Rahmen eines Zeitschriftenbeitrages muß hierauf verzichtet werden, dennoch versuchen wir an einigen Stellen Verbindungslinien einzustreuen. Dieser Teil schließt mit Thesen zur Lernfeldkonzeption als Rahmen didaktischer Innovationen. Als zweites richten wir den Blick auf das Problem der Implementation von Lernfeldern. In diesem Abschnitt werden unterschiedliche Ansätze zum Umgang mit diesen curricularen Vorgaben herausgestellt und Probleme der Implementation auf organisatorischer und didaktischer Ebene aufgearbeitet. Eine hochwertige Implementation kann nur erreicht werden, wenn bestimmte Anforderungen beachtet werden. Abschließend werden wir Thesen zur Implementation der Lernfeldkonzeption formulieren. 1 Wir beziehen uns hierbei auf Aussagen, die im Rahmen von Praxiskontakten gemacht worden sind. Vgl. auch die Befragung von Buschfeld (1999) zur Einschätzung des Lernfeldkonzeptes durch Berufsschullehrerinnen und –lehrer. Implementation Konzeption Perspektive 1: Konzeptioneller Hintergrund des Lernfeldkonzep ts Handlungs- Perspektive 2: Implementation des Lernfeldkonzepts Implementationsebenen : orientierung fächerübergreifender Unterricht Schulentwicklung Frage 1: Lernfelder als didaktische Innovation Lernfeldkonzeption * Lehrplanentwicklung * Schulorganisation * Frage Unterrichtsarbeit 2: Innovationen in der Praxis durch Lernfeldkonzept Konzeptrevision Implementationshinweise Abb. 1: Überblick Die Abbildung macht deutlich, daß die Lernfeldidee Ausdruck bestimmter berufspädagogischer Vorstellungen ist: Wenn über Lernfelder in Theorie und Praxis diskutiert wird, so sind damit weitreichende konzeptionelle Vorstellungen verbunden, die sich aus einer jeweiligen Interpretation dieser Hintergründe ergeben. Die Folge sind sehr vage, erste Vorgaben und Umsetzungen, das bedeutet, daß eine konzeptionelle Präzisierung des Lernfeldansatzes, der bisher in keiner Weise wissenschaftlich reflektiert wurde2, noch der praktischen Unterlegung durch Modellversuche u. ä. bedarf, um so zu einer praxisnahen Konzeption zu kommen.3 In den nachfolgenden Ausführungen werden wir einerseits die konzeptionellen Hintergründe ausleuchten und andererseits auf der Basis von Erfahrungen im Modellversuch NELE 4 konkrete Implementationsfragen aufarbeiten, die für die Lernfeldkonzeption u. E. von Bedeutung sind. 2 Konzeptionelle Hintergründe des Lernfeldansatzes Mit der Lernfeldkonzeption findet ein bekannter Begriff ein weiteres Mal Eingang in die didaktische Diskussion. "Mit der vielfältigen Verwendung und teils beabsichtigten Unschärfe des Feldbegriffs 2 3 4 Ausnahmen sind: Bader 1998; Bader und Schäfer 1998; Buschfeld und Twardy 1997; Schäfer 1999; Middendorf 1997. Hierbei handelt es sich um einzelne Beiträge in Fachzeitschriften und Sammelbänden. Eine umfassende Aufarbeitung fehlt jedoch noch. Hierzu werden momentan KMK-Modellversuche durchgeführt. Zu verweisen wäre u. a. auf den Modellversuch NELE, der als Verbundmodellversuch der Länder Bayern und Hessen, federführend von Bayern betreut, und von SLOANE wissenschaftlich begleitet wird, sowie auf den Modellversuch SELUBA, der als Verbundmodellversuch der Länder Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen, federführend von Nordrhein-Westfalen betreut und von BADER wissenschaftlich begleitet wird. Beide Verbundvorhaben sind aufeinander abgestimmt und kooperieren miteinander, was sich in gemeinsamen Arbeitssitzungen u. ä. niederschlägt. Informationen hierzu können über das bayerische Landesinstitut (ISB) unter der home-page http://www.isb.bayern.de eingeholt werden. Wir nehmen hier Bezug auf bisher vier eintägige Zukunftswerkstätten und acht halb- resp. ganztägige Workshops mit berufsbildenden Schulen in Hessen und Bayern, die wir im Modellversuchsverbund NELE durchgeführt haben. Eine Liste der Modellversuchsschulen ist über die Internetquelle in Fußnote 3 einholbar. Weitere Praxiserfahrungen stehen im Kontext des DFG-Projekts 'Fächer- und lernortübergreifender Unterricht – Maßnahmen zur Förderung beruflicher Handlungskompetenz (FäLoU), Az Sl 39 1-1'. korrespondiert die Tendenz, neue beziehungsweise vernachlässigte Lernmöglichkeiten in schulischen und außerschulischen Bereichen zu erschließen. Das ist etwa der Fall, wenn durch Curriculumrevision traditionelle Fächerstrukturen aufgebrochen und fächerübergreifende Lernbereiche eingeführt werden sollen. In diesem Zusammenhang signalisiert der Ausdruck 'Lernfeld' Veränderungsabsichten in dreierlei Hinsicht: Abkehr vom Fächerprinzip als historisch überliefertem 'Vermittlungsrahmen' für die Verschulung des gesellschaftlichen Wissensvorrats, die Neubestimmung des Verhältnisses von institutionalisierten Lerninhalten und institutionell vernachlässigtem Alltagswissen sowie schließlich – damit verbunden – die Vermeidung starrer Grenzziehung zwischen den im Unterricht vermittelten Wissensbeständen."5 Unter der Lernfeldkonzeption werden aktuelle Veränderungsbemühungen in der beruflichen Bildung zusammengeführt. 6 Schwachstellen im Berufsschulunterricht bzw. Dualen System können so als Ausgangspunkte für die Lernfeldkonzeption angesehen werden. Günter Pätzold hebt in einer Analyse der 'Schwachstellen' der bisherigen schulischen Lernsituation dabei folgende Aspekte hervor:7 Vorherrschaft der Vermittlung von Faktenwissen, welches – in elementarisierter Form – aus den Fachwissenschaften gewonnen wird. Orientierung an einer fachlichen Spezialisierung, sowie an Problem- und Strukturprinzipien der Fachwissenschaften. Auf Wissenswiedergabe gerichtetes Lehren und kognitive Ausrichtung des Lernens. Bevorzugung sprachlich orientierter, lehrerzentrierter Vermittlungsformen. Diese Aspekte sind eingebunden in eine grundlegende Diskussion zur Krise berufsbildender Schulen bzw. des Dualen Systems, die aber an dieser Stelle ausgeblendet werden soll. 8 Nachfolgend soll der Lernfeldansatz vorgestellt (2.1) und Aspekte des Wissenserwerbs und der Wissensanwendung (2.2) diskutiert werden. 2.1 Der Lernfeldansatz Gemäß einer Handreichung der KMK9 zur Gestaltung von Ordnungsunterlagen für den berufsschulischen Bereich sollen Lernfelder didakisch aufbereitete Handlungsfelder sein 10. Hiermit sind konzeptionell (mindestens) drei Gesichtspunkte verbunden: 1. Nicht mehr Fächer fungieren als Ordnungssystem des Lehrplans sondern Handlungssituationen. Zu klären wäre dabei u. a.: - Wie bestimmt man relevante Handlungssituationen? Was sind die typischen, relevanten, exemplarischen Handlungsmuster, die man dem Lehrplan zugrunde legt? Welche Kriterien legt man hierbei an? Es handelt sich hierbei zwar um klassische Fragen der Curriculumentwicklung, was jedoch herausgestellt werden muß ist, daß wenn man das Fächerprinzip aufgibt, an die Stelle der fachlogischen Strukturierung eine handlungslogische Struktur tritt, die als Ordnungsprinzp zumindest nicht einheitlich und verbindlich geklärt ist. - Bei der Frage der Systematik von Handlungsfeldern stellt sich dann die weitergehende Frage, ob man hierbei von Situationsmodellen oder Prozeßmodellen ausgeht. Beschreibt man beispielsweise Fallsituationen oder Abläufe? Für beide Modelle gibt es in der didaktischen 5 6 7 8 9 10 Kutscha 1995, S. 531f. Daß eine Abgrenzung zur bisherigen Strukturierung in Fächern kaum in einer Schwarz-Weiß-Sichtweise erfolgen kann soll an dieser Stelle lediglich mit folgendem Zitat angedeutet werden: "Die in Fächern organisierte Wissenstradierung hat es in mehrfacher Hinsicht mit Differenzen zu tun: mit der Differenz zwischen der 'Einheit' des Wissens und seiner Gliederung in Disziplinen, Gegenstände und Methoden; mit der Differenz zwischen dem in Disziplinen gefächerten Wissen insgesamt und dem Substrat derselben in Schulfächern, die weder alle Wissenschaften im Schulfächerspektrum repräsentieren noch deren Inhalte, falls sie repräsentiert sind, vollständig und im Sinne der Fachdisziplin für die Vermittlungsprozesse bereitstellen. Es gilt also zu beachten, daß einerseits keineswegs alle Schulfächer ihre Entsprechung in einer wissenschaftlichen Disziplin finden (so die Heimatkunde oder Sachunterricht) und daß andererseits Schulfächer (wie Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen oder Geographie) auf die Etablierung und Entwicklung der Fachwissenschaften an Hochschulen und Universitäten einen entscheidenden Einfluß genommen haben." (Bracht 1995, S. 420) Gerade für traditionelle kaufmännische Fächer ist festzustellen, daß ihre Entstehung aus praktischen kaufmännischen Problemen zu sehen ist und sie einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der Fachwissenschaften hatten. Zur Zeit ist eine Tradierung dieser Fachstrukturen an kaufmännischen Schulen festzustellen, was mit einer Abkoppelung von kaufmännischen Feldern einhergeht. Vgl. vertiefend Pätzold 1998, S. 8ff. Vgl. weiterführend Sloane 1999a. KMK 1999. ... inzwischen spricht man in der KMK-Richtlinie (Ausgabe vom 05.02.1999) von Tätigkeitsfeldern. Nachfolgende wird aber weiterhin von Handlungsfeld gesprochen werden. Literatur Vorbilder. So könnte man für Situationsmodelle Anleihen bei den berufspädagogischen Modellen nehmen, die auf eine Strukturierung des beruflichen Wirkungsraums ausgehen11; bei Prozeßmodellen finden sich Hinweise in berufspädagogischen Ansätzen zur Geschäftsprozeßorientierung, zur auftragsorientierten Ausbildung usw.12 2. Es wäre zu fragen, was den qualitativen Unterschied zwischen dem, wie auch immer gewonnenen Handlungsfeld auf der einen und dem Lernfeld auf der anderen Seite ausmacht. Hierbei geht es v. a. um die Klärung dessen, was unter didaktischer Aufbereitung verstanden werden soll. Ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, erscheinen uns folgende Aspekte wichtig: - Die Differenz zwischen Handlungsfeld und Lernfeld ergibt sich über den Bildungsauftrag der berufsbildenden Schule. Hierfür ist es notwendig, eine bildungstheoretische Diskussion über Ziel und Anliegen von schulischen Bildungsanteilen in der dualen Ausbildung zu führen. - Diese Diskussion muß schulintern geführt werden. Lernfelder sind beabsichtigt vage Vorgaben, deren Präzisierung in den jeweiligen Schulen durch die Lehrgangskommissionen vorgenommen werden muß.13 Hierfür bedarf es einer schulinternen Diskussion um das Schulprofil, das Leitbild der schulischen Arbeit, was u. E. zwingend wiederum eine Auseinandersetzung über das Bildungsziel und den Bildungsauftrag der jeweiligen Schule impliziert. Dies verweist nachhaltig auf die organisatorische Dimension des Lernfeldansatzes. 3. Handlungsfelder suggerieren u. E. vordergründig eine Deckungsgleich-heit mit betrieblichen Anwendungsfeldern. Spätestens auf der Ebene der Lernfelder muß aber gefragt werden, worauf sich der Aspekt '-feld' bezieht. Empfehlenswert erscheint uns eine Orientierung am Lebensraum der Schülerinnen und Schüler und eine Ausrichtung auf die Bewältigung dieses Lebensraums und nicht eine Verengung auf betriebliche Anwendungsfelder und der funktionalen Bewältigung dieser Felder. In ähnlicher Form präzisiert Bettina Schäfer den Lernfeldbegriff: "Ein Lernfeld ist eine fächerübergreifende, didaktisch-curriculare Einheit, die ausgehend vom 'Lebensraum' der Lernenden strukturiert wird. Der 'Lebensraum' ist in seiner Einbindung in Umweltbedingungen und unter Berücksichtigung der Wahrnehmung der Lernenden ganzheitlich zu analysieren." 14 Lernfelder sind somit didaktisch-curriculare Organisationseinheiten, die an Handlungsfelder ausgerichtet sind, diese jedoch nicht deckungsgleich abbilden. Handlungsfelder sollten u. E. als komplexe Aufgabenbereiche formuliert werden, die Aufgabenbündel zusammenfassen und berufliche sowie außerberufliche Lebensbezüge aufzeigen. Zentrale Aufgabe für die Curriculumentwicklung ist die Bestimmung und Abgrenzung von Handlungsfeldern, die zur Kompetenzentwicklung beitragen. Handlungsfelder dienen aus Sicht der Lehrenden und Curriculumentwickler als Reflexionsgegenstand zur Gewinnung von Lernfeldern – aber auch aus Sicht der Lernenden als Anwendungsfeld der schulischen Lerngegenstände. Lernfelder abstrahieren von den Spezifika und Unterschiedlichkeiten potentieller Handlungsfelder in einem Ausbildungsbetrieb. Die Gestaltung der Lernsituationen resp. von Unterricht hat genau den Bezug zu den 'individuellen' Handlungsfeldern der Lernenden wieder herzustellen. Aus Lernerperspektive steht die Theorie in einem Anwendungszusammenhang. Das erworbene Wissen bezieht sich nicht abstrakt auf die Wirklichkeit, sondern kann auf konkrete Handlungsfelder und deren Problemstellungen bezogen werden. Eine Grundidee ist somit, Lerntransfer durch den Erwerb situierter Theorie zu unterstützen.15 Aufgabe der Schule bzw. der Lehrerinnen und Lehrer ist es daher, aus Lernfeldern Lernsituationen zu entwickeln. Hierbei handelt es sich u. E. um komplexe Lehr-/Lernarrangements. Ziel ist es schließlich den Transfer des in Lernsituationen von Lernenden erarbeiteten Wissens in die Lebenssituation (Handlungsfelder) der Lernenden zu unterstützen. Somit löst sich auch ein vermeintlicher Widerspruch zwischen Fachwissen auf der einen und Lernfeld auf der anderen Seite auf. Genaugenommen wird im Lernfeldansatz das Fachwissen re-organisiert (siehe hierzu auch weiter unten die Unterscheidung in systematisches und kasuistisches Wissen). Hier findet eine 11 12 13 14 15 Zu verweisen wäre hier bspw. auf die Fallstudiendidaktik von Reetz 1988. Vgl. bspw. Stratenwerth 1992. ... wobei gleichzeitig gefordert werden muß, daß auch auf bildungspolitischer Ebene eine entsprechende Diskussion geführt werden muß. Parallel zur schulischen Revision muß eine entsprechende Revision auf Seiten der Kultusbürokratie, einschließlich der Landesinstitute, erfolgen. Schäfer 1999. Vgl. Sloane / Twardy / Buschfeld 1998, S. 320. Weiterführung der Überlegungen zum fächerübergreifenden und handlungsorientierten Unterricht statt.16 In der folgenden Abbildung wird der Zusammenhang nochmals zusammenfassend dargelegt:17 Traditionelle Fächer ... ... ... ... Fachmuste ... ... r Fächerübergreifendes Curriculum Lernfe ld Entwicklung von Lehr-/Lernarrangements Lernsituation Handlungsmuster Transfereffekt Handlungsfe ld Abb. 2: Vom Handlungsfeld zur Lernsituation Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: 1. Handlungsfelder werden didaktisch aufbereitet. Auf diese Weise entstehen Lernfelder. Lernfelder wiederum rekonstruieren Lebenssituationen von Lernsubjekten. Sie sind nicht betriebsspezifisch zu entwickeln, sondern sollten Generalisierungen von betrieblichen und außerbetrieblichen Lebensräumen, in der Perspektive des Lernenden, darstellen. 2. Die Überführung von Handlungsfelder in Lernfelder ist dabei zum Teil Bestandteil der Curriculumentwicklung. Hier sind unterschiedliche Differenzierungsstrategien auszumachen: Einerseits werden die Lernfelder von Rahmenlehrplankommissionen (RLP-Kommissionen) aufgearbeitet; Andererseits sind solche Aufarbeitungen oft so vage, daß eine weitere Präzisierung durch die Schulen erfolgen muß. Zwar kann man die allgemeine Formel aufbauen, daß von Seiten der RLP-Kommissionen ein verbindlicher curricularer Rahmen vorgegeben wird, doch kommt es u. E. in praxi dazu, daß Teile der bisher extern vorgenommenen curricularen Präzisierungsarbeiten – vormals von den RLPKommissionen übernommen – nun in den Schulen von den Lehrkräften ausgeführt werden müssen. Es bedarf deshalb zum einen einer entsprechenden curricularen Kompetenz der Lehrenden und zum anderen auch einer bildungstheoretischen Position des Kollegiums einer Schule. Diese sollte als gemeinsame Position über Schulentwicklungsmaßnahmen u. ä. herausgearbeitet werden. 3. Auf der Grundlage der Lernfelder werden Lernsituationen entwickelt. Ziel ist die Ausarbeitung komplexer Lehr-/Lernarrangements. In solchen Arrangements werden die kasuistischen 16 17 KMK 1999, S. 10: "Handlungsorientierter Unterricht ist ein didaktisches Konzept, das fach- und handlungssystematische Strukturen miteinander verschränkt. Es lässt sich durch unterschiedliche Unterrichtsmethoden verwirklichen." Im Abschlußbericht zum Modellversuch 'Fächerübergreifender Unterricht in der Berufsschule' (FügrU) wird von Heimerer / Schelten / Schießl die Position vertreten, daß berufliches Lernen in thematisch zusammengehörenden Lernfeldern organisiert werden soll. (vgl. Heimerer / Schelten / Schießl 1996, S. 199) Vgl. Sloane 1999c. 4. Strukturen des Handlungsfeldes rekonstruiert, jedoch mit einer Bildungsabsicht und nicht als funktionale Vorbereitung auf Betriebsarbeit. Ziel dieser Arrangements ist die Förderung transferfähigen Wissens, welches das Handeln der Lernsubjekte in den Handlungsfeldern der Praxis verbessert. 2.2 Kasuistisches versus oder und systematisches Wissen Wichtig ist, daß in diesem Modell Handlungsfelder einmal Abstraktionen sind, auf deren Basis Unterricht gleichsam kasuistisch ausgerichtet wird, zum anderen verweist dies auf die konkreten Lebensräume der Subjekte. Ein didaktisches Problem ist der Zusammenhang zwischen generalisierten Handlungsstrukturen auf der einen Seite und den konkreten Handlungssituationen auf der anderen Seite. In traditionellen Ausbildungsmodellen besteht das Transferproblem in der Anwendung von Fachwissen auf Handlungssituationen. Die traditionelle Denkfigur dualer Ausbildung, nämlich die Bezugnahme von Fachwissen (Schule) auf Fachpraxis (Betrieb), erfuhr seine Begrenzung in der Schwierigkeit der Überführung von Wissen in Handeln. Obzwar diese formale Trennung von Schule als Ort der Wissensvermittlung und Betrieb als Ort der Wissensanwendung immer eine idealtypische Fiktion war, zumal die didaktische Ausgestaltung dualer Ausbildung jeweils an beiden Lernorten Wissensanwendung und –vermittlung aufeinander bezog, ist die Lernfelddiskussion genaugenommen ein Versuch, diese Differenz auszugleichen. Es besteht aber weiterhin ein Transferproblem, nämlich ob die Verallgemeinerung kasuistischen Wissens möglich ist. Genaugenommen sind es zwei interdependente Übertragungsprobleme, die zu betrachten sind: 1. Die Übertragung von in Lernsituationen erworbenen Wissens auf Anwendungssituationen. Hiermit ist angesprochen, ob das generalisierte Handlungsfeld, welches sich in Lernsituationen manifestiert, zu einem Wissen führt, welches in singulären betrieblichen und außerbetrieblichen Feldern angewandt werden kann. Eine Gefahr, die bestehen könnte, ist das Schaffen partikularer Situationserfahrungen. 2. Die Verallgemeinerung von singulären kasuistischen Lernerfahrungen i. S. eines generellen Wissensaufbaus. Dies meint den Aufbau von generalisierten Fähigkeiten i. S. einer Dekontextualisierung des Wissens. U. E. muß in diesem Kontext nach dem Zusammenhang von Fachwissen (systematischem Wissen) und singulären Erfahrungen in Lernsituationen (kasuistischem Wissen) gefragt werden. Eine Ausrichtung beruflicher Bildung an Lernfeldern resp. Handlungsfeldern steht nun nicht grundsätzlich im Gegensatz zu einer wissenschaftsorientierten oder fachlich ausgerichteten Systematik. Dies läßt sich über drei Argumentionsketten begründen: Berufsausbildung ist Vorbereitung auf eine wissensstrukturierte Praxis: 18 Mit dem Merkmal 'wissenstrukturierte Praxis' wird herausgestellt, daß die Praxis selbst als Raum anzusehen ist, der von Theorien verstärkt angeleitet wird und in dem Theoriebeherrschung i. S. von Theorieanwendung handlungsbestimmend ist. Theoriesicherheit und –beherrschung sind bestimmende Merkmale von beruflichem Handeln. Eine derartige Tendenz wird vielfach auch als Verwissenschaftlichung der Gesellschaft gekennzeichnet. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind zwar nicht Ausgangspunkt der Strukturierung beruflicher Bildungsprozesse, sie können jedoch entscheidenden Anteil an der Lösung beruflicher Probleme gewinnen: Eine Ausrichtung an Handlungsfeldern führt so nicht zu einem Weniger an Theorie in der beruflichen Bildung, sie verlangt vielmehr eine Situierung von Theorien in einem Anwendungszusammenhang für den Lerner. Fachwissenschaften orientieren sich auch an (beruflicher und/oder betrieblicher) Praxis: 19 Eine Orientierung von Fachwissenschaften an betrieblicher Wirklichkeit bedeutet, daß Wissenschaften einen wichtigen Reflexionsgegenstand zur Gewinnung von Handlungsfeldern bieten können. 18 19 Vgl. Sloane 1998. Was wiederum impliziert, daß es keiner Berufswissenschaft oder Berufsfeldwissenschaft bedarf, sondern der Applikation von Fachwissen auf Anwendungsfelder, was – wie hier für die Berufsbildung gezeigt wird – ein genuin didaktisches Anliegen ist. Veränderungen in den wissenschaftlichen Disziplinen sind beispielsweise an den aktuellen Instituts- und Lehrstuhlbezeichnungen zu erkennen. An einigen Bezeichnungen der betriebswirtschaftlichen Fakultät der LMU-München soll dies hier veranschaulicht werden: Institut für Marketing; Seminar für Betriebswirtschaftliche Informations- und Kommunikationsforschung; Seminar für Kapitalmarktforschung und Finanzierung; Seminar für Strategische Unternehmensführung; Institut für Produktionswirtschaft und Controlling. 2.3 Lernfeldkonzeption als didaktische Innovation? - ein Zwischenruf Die Lernfeldkonzeption steht in einem Entwicklungszusammenhang zu didaktischen Innovationen der vergangenen Jahre. Das Konzept kann so als Weiterentwicklung innovativer Konzepte angesehen werden,20 aber nicht als eine grundsätzlich neuartige Innovation. Lernfelder bieten so eine Reformoption für die berufliche Bildung, allerdings ist eine curriculare Ausrichtung an beruflichen Handlungsfeldern wohl kaum als 'objektive' Neuerung anzusehen. Zieht man die Praxis beruflicher Ausbildung als Bezugsebene heran, sind Lernfelder hingegen durchaus als Neuheit zu betrachten und können einen Ausgangspunkt für einen Erneuerungsprozeß bieten. Dies bedeutet jedoch auch, daß nicht ein 'objektives' Verständnis von Lernfeldern als Innovation gegeben ist, sondern das Ergebnis des Erneuerungsprozesses ist im jeweiligen didaktischen Feld zu suchen und nicht als ein allgemeiner Gegenstand.21 Der Innovationsgegenstand entsteht somit erst im Prozeß der Implementation von Lernfeldern. Die Komplexität des didaktischen Feldes berücksichtigend, ist eine differenzierte Evaluation der Lernfeldkonzeption notwendig. Dieses Wissen kann wiederum als Grundlage zur Entwicklung von Innovationen in sozialen Feldern dienen. Die Lernfeldkonzeption kann somit einen neuen Rahmen zur Implementation von didaktischen Neuerungen in den Alltag beruflicher Ausbildung bieten. Entwicklung und Evaluation beruflicher Bildung stehen somit in einem engen Zusammenhang – spezifische Lösungsansätze zur Implementation der Lernfeldkonzeption in sozialen Feldern können in einem Ausbildungsgang bzw. Ausbildungsort als Verbesserung erfaßt werden – ausgehend von einer anderen Ausgangslage oder anderen Bedingungen in der Schule kann derselbe Lösungsansatz als ein Rückschritt bewertet werden. Lernfeldkonzeption kann so nicht generell als Neuerung angesehen werden, sondern ist bezogen auf einen spezifischen Ausgangspunkt in der Praxis beruflicher Bildung als Innovation zu interpretieren. Darüberhinaus ist die Innovation darin zu sehen, daß Bemühungen auf der didaktischen Ebene nun begleitet werden durch umfassende Veränderungsaktivitäten auf der makrodidaktischen Ebene. Die Innovation wird gewissermaßen durch einen Zugriff von zwei Seiten ermöglicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Konzepte auf der mikro- und schulorganisatorischen Ebene haben entscheidend zur Veränderung der Ordnungsgrundlagen entsprechend der Lernfeldkonzeption beigetragen. Die Lernfeldkonzeption bietet nun einen Rahmen, um (bekannte) didaktische Neuerungen flächendeckend und dennoch unter Berücksichtigung der regionalspezifischen Bedingungen einzuführen. Die Implementation wird nun entscheiden, ob mit der Lernfeldkonzeption tatsächlich ein Motor didaktischer Innovationen verbunden ist, oder ob alte Konzepte unter einem neuen Mantel ein weiteres Mal den Alltag der dualen Ausbildung bestimmen werden. Die Implementation verlangt damit nicht eine Lösung von bekannten didaktischen Fragen, sondern sie verpflichtet dazu didaktische Problemstellungen aktiv aufzunehmen und Lösungsansätze zu erarbeiten. 'Lernfelder implementieren' führt somit zu didaktischen Fragen, die in der Vergangenheit zwar vielfach gestellt wurden, die aber nur punktuell zu Veränderungen in der beruflichen Ausbildung geführt haben. Die Lernfeldkonzeption bietet den Rahmen zur Implementation didaktischer Innovationen. Lernfelder als Ordnungsmittel beruflicher Ausbildungsprozesse können einerseits als Folge didaktischer Innovationen interpretiert werden, sind gleichermaßen aktuell aber auch Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der beruflichen Ausbildung. Auch wenn unter dem Kennzeichen Lernfeldkonzeption eine Form der Neuheit suggeriert wird, ist die Innovation jeweils aus der Sicht und Bezugsebene der beteiligten Individuen bzw. Organisationen definiert. Ohne eine qualitative Wertung ist zunächst festzustellen, daß mit der Lernfeldkonzeption eine veränderte und, bezogen auf die vorhandene Praxis, auch neuartige Ordnungsgrundlage eingeführt wird. Die Realisierung dieser Neuerung wird darüber entscheiden, ob mit der Lernfeldkonzeption eine Verbesserung verbunden ist. Möglichkeiten und Grenzen des Lernfeldansatzes sind in einem konkreten Anwendungsfeld einzuschätzen. Trotz der notwendigen Fokussierung auf einzelne Felder der Implementation versuchen wir grundlegende Aspekte zur Implementation im folgenden Kapitel aufzunehmen. Bezogen auf die einzelnen Felder können diese Aspekte dann einen Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen bieten. 20 21 Achtenhagen bezeichnet beispielsweise Situationsorientierung als Beitrag zur fachdidaktischen Innovation (vgl. Achtenhagen 1996). Stickling kennzeichnet Ergebnisse aus dem Modellversuch RABBIT als didaktische Innovation. Im Modellversuch RABBIT stand die Entwicklung von didaktischen Materialien und die Förderung der Kooperation zwischen den Ausbildungsakteuren im Zentrum (vgl. Stickling 1998). Seyd zeigt ein Bündel didaktischer Innovationen im Zuge der Handlungsorientierung auf (vgl. Seyd 1996). Vgl. zur Abgrenzung verschiedener Formen der Innovation Meißner 1989, S. 16ff. 3 Lernfelder implementieren 3.1 Ebenen Die Implementation des Lernfeldansatzes führt zu einem Handlungs- und Entwicklungsbedarf auf drei organisatorischen Ebenen: Auf der Ebene der Lehrplanentwicklung und –gestaltung (Makroebene) – Hierbei geht es insbesondere um Fragen der Gestaltung von curricularen Vorgaben, z. B. ob und in welchem Umfang inhaltliche Präzisierungen gemacht werden, wie man eine handlungslogische Struktur herstellt usw. Auf der Ebene der Schulorganisation (Mesoebene) - Die Implementation von lernfeldstrukturierten Lehrplänen verlagert verstärkt curriculare Entwicklungsarbeit an die berufsbildenden Schulen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, welche organisatorischen Rahmenbedingungen in den Schulen hergestellt werden müssen, bis hin zur Frage, wie die zukünftige Abstimmung zwischen schulischem und betrieblichem sowie überbetrieblichem Lernort auszusehen habe. Auf der Ebene der Unterrichtsführung (Mikroebene) – Schließlich führt der Lernfeldansatz nicht nur zu einer veränderten thematischen Strukturierung von Unterricht, wie sie schon im fächerübergreifenden Unterricht angedeutet ist. Es geht vielmehr konkret auch darum, wie Unterrichts- bzw. Lernsituationen von Lehrkräften in Zukunft gestaltet werden müssen. Die Simulation von Arbeitsprozessen (z. B. bei geschäftsprozeßorientierten Projekten), die Schaffung von didaktischer Parallelität zwischen Lern- und Arbeitssituation sind zentrale Fragen der zukünftigen Unterrichtsführung. Diese drei Ebenen stehen in einem wechselseitigem Zusammenhang und müssen bei einer Konkretisierung des Lernfeldansatzes in ihrer Interdependenz berücksichtigt werden. Im folgenden Kapitel werden Gestaltungsoptionen auf den einzelnen Ebenen und Kritik an aktuellen Realisierungsformen der Lernfeldkonzeption aufgezeigt. Implementation Makroebene: Curriculumentwicklu ng Mesoebene: Schulentwicklun g Mikroebene: Lehr/Lerngestaltung Abb. 3: Handlungsebenen der Lernfeldimplementation 3.2 Ausgewählte Gestaltungsoptionen zur Realisierung der Lernfeldkonzeption 3.2.1 Makroebene: Lehrplanentwicklung und -gestaltung Die Lernfeldkonzeption steht zunächst entsprechend dem in Kapitel 2.1 entwickelten Grundansatz vor dem Problem der Auswahl und Erschließung von Handlungsfeldern. Welche Handlungsfelder können als konkrete berufliche Aufgabenstellungen bzw. Handlungsabläufe angesehen werden? Hinweise finden sich in den Berufsbildern, der Ausbildungs- und Arbeitsrealität der Betriebe. Aus feldtheoretischer Sicht stellen sich sowohl für die Auswahl und Erschließung der Handlungsfelder als auch für die Transformation resp. Konstruktion von Lernfeldern vielfältige komplexe Fragestellungen. Schon die Frage nach den Grenzen von Handlungsfeldern läßt a priori keine Antwort zu, sondern wird immer im bzw. mit dem Feld zu beantworten sein. 22 Bemühungen um Zugehörigkeitskriterien bzw. der Anerkennung können mit mehr oder weniger Erfolg gekrönt sein. Erschwerend kommt hinzu, daß viele Handlungsfelder nicht durch klare Vereinbarungen eindeutig über einen bestimmten Zeitpunkt abgegrenzt sind, sondern einem stetigen Wandel unterliegen. Ganz pragmatisch ist die Frage zu stellen, wer Lernfelder konstruiert und Handlungsfelder als maßgebliche Bezugsgrößen bestimmt. Lernfelder sollten mehrdimensionale Perspektiven eröffnen. Reinhard Bader und Bettina Schäfer entwickeln unter Bezugnahme auf bildungs- und lerntheoretische Arbeiten23 sowie auf handlungstheoretische24 Ansätze Leitfragen zur Erschließung von Handlungsfeldern und der Transformation von Handlungsfeldern in didaktisch begründete Lernfelder. "Erst eine didaktische Analyse sowohl der Gegenwarts-, Zukunfts- und exemplarischen Bedeutung als auch der thematischen Handlungsfelder (in Anlehnung an Kriterien Klafkis vgl. 1975, 1996) führt zu didaktisch begründeten Lernfeldern."25 Hier stellen sich dann wiederum bekannte didaktische Fragen, wie: 1. Stehen die Lernfelder in Bezug zu Spezifika des Berufs? 2. Können Alltagserfahrungen der Lernenden in der Realisierung der Lernfelder berücksichtigt werden? 3. Wie verhalten sich einzelne Lernfelder zueinander – wird eine Reihung vorgeben? 4. Können die Lernfelder auf Spezifika einzelner Ausbildungsgänge angepaßt werden? ... Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß es zu kurz greift, wenn die Transformation von Handlungsfeldern in didaktisch begründete Lernfelder als Abbildung der Handlungsfelder verstanden wird. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen Konstruktionsvorgang, der auf eine Generierung von Handlungsfeldern unter Einbeziehung didaktischer Kriterien abzielt. Hierbei stellen sich u. E. folgende Fragen: 1. Welchen bildungstheoretisch-intentionalen Anspruch verfolgt ein Lernfeld im Gegensatz und/oder in der Weiterführung zum Handlungsfeld (Intentionalität)? 2. Welchen Besonderheiten der Zielgruppe hinsichtlich Lebensnähe, subjektiver Erfahrungen, Anschaulichkeit, Faßlichkeit etc. muß das Lernfeld entsprechen (Zielgruppengemäßheit)? 3. Welche thematischen Unterfütterungen muß das Lernfeld erhalten bzw. welche fachlichen Bezüge sollen im Lernfeld verankert und vom Lernenden erarbeitet werden (Thematik)? 4. Welche Situationen sollen mit dem Lernfeld wie rekonstruiert werden? Bietet sich beispielsweise die Möglichkeit der (exemplarischen) Simulation von Lebensräumen? (Situationsähnlichkeit zwischen Lernfeld und Handlungsfeld) 5. Welche Prozesse sollen mit dem Lernfeld rekonstruiert werden? Können z. B. (generalisierte) Prozesse des Handlungsfeldes im Lernfeld (exemplarisch) rekonstruiert werden? (Prozeßähnlichkeit von Lernen und Arbeiten) Somit bieten sich eine Anzahl von Ordnungsmuster für Lernfelder an, die wiederum in einem systematischen Zusammenhang stehen: 22 23 24 25 Vgl. Bourdieu / Wacquant 1996, S. 130ff. Die Abgrenzung wird folgendermaßen gekennzeichnet (S. 131): "Es mag gefährlich nach einer Tautologie klingen, aber ich kann nur sagen, daß man ein Feld als einen Raum verstehen kann, in dem ein Feldeffekt wirksam ist, so daß sich das, was einem Objekt widerfährt, das durch diesen Raum hindurchgeht, nicht vollständig durch seine intrinsischen Eigenschaften erklären läßt. Die Grenzen des Feldes liegen dort, wo die Feldeffekte aufhören. Folglich muß man in jedem einzelnen Fall und mit wechselnden Mitteln versuchen, den Punkt zu vermessen, an dem diese statistisch faßbaren Effekte nachlassen oder ganz aufhören." Z. B. Klafki 1975 und Heimann / Otto / Schulz 1975 Z. B. Bader 1990. Vgl. Bader / Schäfer 1998, S. 230. Die Bezugnahme auf 'klassische' didaktische Ansätze stützt nochmals, daß es sich nicht um eine 'objektive' Neuerung handelt, sondern Türen für eine didaktische Innovation geöffnet werden sollen. Bildungsauftrag der Berufsschule Gestaltung von Situationen Fachliche Hinweise Situation Lernsituation Proze ß Lernfeld Transf er Arbeitssituation Gestaltung von Prozessen Lernprozeß Transf er (generalisiertes) Handlungsfeld Arbeitsprozeß Abb. 4: Ordnungsmuster von Lernfeldern Eine Problemstellung, die bisher ausgeklammert bzw. nur indirekt angeprochen wurde und die auf makrodidaktischer Ebene von Bedeutung ist, betrifft das Verhältnis von Ausbildungsordnung resp. Berufsbild zu schulischem Lehrplan. 26 Hierbei stellen sich zum einen konkrete Fragen der Abstimmung, die zwar über das Institut des Gemeinsamen Ergebnis-protokolls formalisiert ist, die aber in praxi schon durch eine Abkopplung der schulischen Entwicklungsarbeit von der betrieblichen gekennzeichnet ist. So werden die Länder bzw. die Landesinstitute viel zu spät in die Entwicklungsarbeit einbezogen, was diese in die Situation bringt, auf weitgehend schon festgelegte Vorgaben seitens des Bundes und der Sozialpartner nur noch reagieren, nicht jedoch aktiv gestalten zu können. Dies impliziert im übrigen auch, daß die Lernfeldkonzeption nicht systematisch mit der Entwicklungsarbeit für die Ausbildungsordnungen abgestimmt sind. Zum anderen stellen sich aber auch Fragen der systematischen didaktischen Verschränkung der beiden Ordnungsunterlagen. So wäre es begrüßenswert, wenn die Vorstellungen über Handlungs- und Lernfelder, die auf schulischer und betrieblicher Seite bestehen, auf der Ebene der Ordnungsunterlagen abgestimmt würden. Generell sind Lernfeld-Curricula Vorgaben für die schulische Arbeit. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie bewußt offen formuliert sind. Die Schulen müssen vor Ort eine curriculare Präzisierung vornehmen. Wie bereits erwähnt bedeutet dies v. a., daß eine bildungstheoretische Position eingenommen wird und daß Schulen sich nicht mehr als Umsetzer, sondern als Gestalter und Entwickler von Lehrplänen begreifen. Gefordert ist also eine Verlagerung der curricularen Kompetenz von der Ebene der Landesinstitute in die Schulen. Die Landesinstitute selbst bekommen eine eher beratende und moderierende Rolle zugewiesen. Diese Offenheit der Ordnungsunterlagen gibt den Schulen, konstruktiv gewendet, die Möglichkeit, bei der dynamischen Veränderung sozialer, ökonomischer, technischer und kultureller Strukturen viel flexibler reagieren und gestalten zu können. Lehrpläne veralten demgemäß nicht mehr so schnell, es sei denn Schulen veralten, weil sie die Möglichkeit der Gestaltung nicht nutzen. 26 Dies ist auch eine zentrale Fragestellung in den erwähnten Verbundmodellversuchen NELE und SELUBA. In einer gemeinsamen Arbeitssitzung der beiden Modellversuchsverbünde und ihren wissenschaftlichen Begleitungen wurde diese Frage am 15. April 1999 in Wiesbaden bearbeitet. Wir wollen der Ergebnisveröffentlichung dieser Arbeitsgruppe nicht vorweggreifen und kommentieren diese Problematik an dieser Stelle nur sehr knapp. Schließlich intendiert das Lernfeldkonzept einen Perspektivenwechsel von fachsystematischer Profilierung hin zu einer anwendungsorientierten. Dies hat unmittelbar Konsequenzen für die Arbeit auf der Meso- und auf der Mikroebene. Fach 1 Fach 2 Fach 3 ... Lernfeld 1 Lernfeld 2 Lernfeld 3 .. .. .. .. . ... Verbindlich Fach n -keit der Fachsystematik Lernfeld i Verbindlichkeit der Lernfelder Abb. 5: Perspektivenwechsel im Lernfeldkonzept Diese Matrix erklärt auch, warum Lehrerinnen und Lehrer in Bezug auf Lernfeldkonzepte relativ oft die Innovation des Ansatzes anzweifeln. Vielfach wird festgestellt, man würde bereits i. S. eines solchen Konzeptes unterrichten.27 Projekte, Fallmethoden u. ä. sind ja immer schon in Schulen angewandt worden. Ziel solcher Unterrichtskonzepte war und ist die Integration von Wissen, welches in Teilfächern isoliert ist. Hier zeigt sich die Nähe zum fächerübergreifenden Unterricht. In der obigen Abbildung ist dies durch den senkrechten Pfeil ausgedrückt: ausgehend von fachlich-systematischen Vorgaben werden Projekte u. ä. entwickelt. Es wird also ein Anwendungsbezug für das Fachwissen gesucht. Auf der Grundlage früherer Konzepte war es erforderlich aufzuzeigen, in welchen Projekten (analog: Lernfeldern) die Fachinhalte vermittelt werden sollten. Insgesamt stellt aber die Fachsystematik (das fachorientierte Curriculum) die Vorgabe dar und die Projekte (analog: Lernfelder) waren Umsetzungsinitiativen der Lehrenden, die sie entwickeln konnten, aber nicht entwickeln mußten. Im Lernfeldansatz wird nun die Verbindlichkeit umgedreht. Diese Konzeption zeigt sich im horizontalen Pfeil. Lernfelder sind allgemeine Vorgaben – wie oben dargelegt – und zum Teil von einem Lehrerkollegium (einer Lehrgangskommmision) didaktisch aufbereitete Handlungsfelder. Diese sind verbindlich und der Lehrer muß nun von diesen Handlungsfeldern ausgehend die fachlichen Anteile erschließen, d. h. entscheiden, welche weitergehende inhaltliche Unterfütterung er vornimmt und wie er die Relevanz hierfür einschätzt. Die Matrix zeigt u. E. schließlich auch, daß der Lernfeldansatz auch auf der Grundlage alter fachorientierter Curricula installiert werden kann. 3.2.2 Mesoebene: Schulorganisation Dieser Perspektivenwechsel führt zu neuen Aufgabenstellungen auf der Ebene der Schulorganisation. So wird erforderlich: 1. Verstärkte Bildungsgangarbeit: Die Verlagerung von Teilen der Curriculumentwicklung in die Schulen erfordert eine Verstärkung der Bildungsgangarbeit. Hierbei muß auch überlegt werden, welche Kompetenzen in die Teams, welche den Bildungsgang betreuen resp. durchführen, verlagert werden. Dies zielt auf Fragen des Stundendeputats von Lehrenden Es wäre zu fragen, ob es möglich ist, solche Deputate nicht Einzelpersonen, sondern Gruppen zuzuordnen. 27 Wobei uns unabhängig hiervon aus vielen Praxiskontakten heraus bekannt ist, daß genau dieses Phänomen des ‚Wir machen dies bereits so!‘ durchaus bekannt ist. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 28 29 Öffnung des Unterrichts: Dies bezieht sich auf zwei Aspekte: Einerseits ist der Unterricht von Lehrenden in einzelnen Lernfeldern bzw. zwischen den Lernfeldern abzustimmen. Hier ergeben sich auch Fragen der Makrosequenzierung in Lehrgängen. Eine offene Frage im Lernfeldkonzept ist die der Abstimmung zwischen Lernfeldern. So ist wohl im Einzelfall zu prüfen, ob Lernfelder eines Lehrgangs aufeinander aufbauen, ob sie sich im Sinne eines Spiralcurriculums erweitern oder ob sie voneinander so getrennt sind, daß sie parallel implementiert werden können. Daneben steht Berufsschule in einem engen Zusammenhang zu betrieblichen Problemstellungen resp. Handlungsfeldern. Erfahrungen der Lernenden aus dem betrieblichen Lebensbereich sind systematisch zu nutzen und gleichermaßen sind Möglichkeiten zur Gestaltung betrieblicher Handlungsfelder anzubieten. Lernfeldkonzeption führt so in vielen Fällen zu einer Kooperation zwischen Lehrenden an einer berufsbildenden Schule (Team-Teaching) und der Kooperation mit Ausbildern. Intensivierung der Lernortkooperation: Mit der Lernfeldkonzeption ist die berufliche Bildung auf aktuelle Anforderungen, aber auch Spezifika der Arbeitswelt und Lebenswelt der Lernenden abzustimmen. Darüberhinaus sind zur Lösung beruflicher Problemstellungen Lösungsalgorithmen sowohl aus den Alltagstheorien der Praktiker als auch aus wissenschaftlichen Theorien zu gewinnen bzw. den Lernenden zur Problembearbeitung zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Aspekt heraus ist ein permanentes Lernen der Lehrenden in thematischer Sichtweise erforderlich. Verändertes Lehrerbild: Lernen in Lernfeldern soll Lernen im Sinne einer vollständigen Handlung ermöglichen28 und Aktivitätsgrade von Lehrerseite auf Lernerseite verschieben. Vereinfachend kann gesagt werden, daß handlungsorientierte Lehr-Lernverfahren vermittelt werden müssen. Damit einher geht ein verändertes Lehrerbild, welches in der Literatur mit Kurzformeln wie 'Vom Vermittler zum Lernberater' oder 'Vom Einzelkämpfer zum Teamarbeiter' ... beschrieben wird. Hiermit ist verbunden, daß der Lehrende fundierte Kenntnisse über Lehr-Lernverfahren benötigt und insbesondere über ein breites Methodenrepertoire verfügt. Nach unserer Auffassung steigen die Anforderungen an den Lehrberuf in der Praxis. Systematische Personalentwicklung: Vor allem die beiden vorgenannten Aspekte zeigen auf, daß eine systematische Personalentwicklung an beruflichen Schulen entscheidend für eine qualitativ hochwertige Umsetzung der Lernfeldkonzeption ist. 29 Insbesondere wäre hier das Verhältnis zwischen der institutionalisierten Lehrerweiterbildung und einer möglichen schulinternen Weiterbildung zu betrachten. Zu denken wäre an Verfahren wie subjektive Tätigkeitsanalyse, bei denen das Lehrerteam seinen Bildungsbedarf lokalisiert; notwendig wäre dann die Verlagerung der Finanzierungsentscheidungen in die Schule, was konkret durch Budgetzuweisungen erfolgen könnte. Verstärkte Zeitautonomie im Lehrgangsverlauf: Dieser Aspekt hängt unmittelbar an der Frage der curricularen Gestaltung von Lehrgängen und deutet sich in der oben unter 1. erwähnten Bildungsgangarbeit an. Die Präzisierung von Lernfeldern und die Entwicklung von Lernsituationen (i. S. von Lehr-/Lernarrangements) eröffnet der Schule auch die Möglichkeit, über neue Zeitmodelle nachzudenken. Dies geht über eine veränderte Deputatsrechnung (Zuordnung zur Gruppe statt zur Einzelperson) hinaus und könnte sich in Modellen wie Zeitkonten u. ä. niederschlagen, deren Sinn darin bestehen könnte, Zeiten für Freistellungen (Weiterbildung, Sabbatical years u. ä.) herauszuarbeiten, aber auch die prinzipielle Möglichkeit eröffnen würde, die Arbeitszeit in einer neuen Art und Weise auf die Lebenszeit eines Lehrers zu verteilen. In solchen Modellen könnte man beispielsweise aktive und weniger aktive Berufsjahre ermöglichen, was der Belastbarkeit eines Lehrers in seiner Gesamtbiographie (Stichwort: Burnout-Syndrom) entgegenkäme. Neugestaltung 'scheinbar' unveränderbarer Rahmenbedingungen durch die Schulen: Die Lernfeldkonzeption führt dazu, daß immer wieder kritisierte Rahmenbedingungen neu in den Blick genommen werden. Dieser nach unserer Auffassung bedeutsame Aspekt soll hier nur anhand einiger Fragestellungen angerissen werden: Entspricht die (fast ausschließliche) Taktung des Unterrichts in 45- bzw. 90-Minuten- Sequenzen den Anforderungen einer zeitgemäßen Bildung? Unterstützt der 'Pausengong' die didaktische Arbeit? Können Fachräume, Medien etc. durch die Schule zur Verfügung gestellt werden? Evaluation des Lernerfolgs durch zeitgemäße Prüfungsverfahren: Der Erfolg der Lernfeldkonzeption steht in einem engen Zusammenhang zu den verwendeten Prüfungsverfahren an berufsbildenden ... was u. a. in der handlungsorientierten Fundierung des Lernfeldkonzepts begründet ist. Vgl. Bader 1998. Schulen, aber auch in der Abschlußprüfung. Einerseits ist hier die Entwicklung und Erprobung von Prüfungsverfahren innerhalb der einzelnen Lernfelder notwendig – aber auch Hinweise zur Veränderung der Prüfungspraxis in den Abschlußprüfungen. Klärungsbedürftig sind prüfungsdidaktische Aspekte, wie z. B. die Frage, wie Teamkompetenz geprüft werden kann, aber auch prüfungsorganisatorische Aspekte, wie z. B. die Frage, was ein Zeugnis zukünftig enthalten sollte. Die konkrete Ausprägung der Makroebene sollte vor dem Hintergrund der Entscheidungen auf der Mikroebene formuliert werden. Die Makroebene stellt damit einerseits Bedingungen für die Arbeit auf der Mikroebene, sie sollte jedoch mittel- und langfristig durch die Akteure als gestaltbar angesehen werden. Die Implementation von Lernfeldern kann so nicht ausschließlich als Prozeß von oben nach unten intepretiert werden, sondern als eine gemeinsame Aktion auf allen drei Ebenen. 3.2.3 Mikroebene: Unterrichtsführung Bevor auf die Gestaltung auf der Mikroebene eingegangen wird, möchten wir – wiederum in Bezug auf den Perspektivenwechsel, der im Lernfeld-konzept angelegt ist (vgl. obige Abbildung) – zwei Schwierigkeiten eben dieses Perspektivenwechsels, die für die Unterrichtsarbeit relevant sind, thematisieren: 1. Sozialisiation und Selbstverständnis: Lehrerinnen und Lehrer sind vielfach als Fachleute sozialisiert und begreifen sich in ihren Selbstverständnis als Spezialisten. Dies wird genau dann verstärkt, wenn in Schulen ein verstärktes Fachlehrerprinzip eingeführt ist, bei dem die Lehrkräfte für kleine abgeschottete Inhaltseinheiten zuständig sind. Der im Lernfeldansatz geforderte, eher generalisierende Zugriff zu Fachwissen und dessen Re-Organisation in Handlungsfeldern stellt dann schon ein angstbesetztes Vorgehen dar, das mit einem Modell von Spezialistentum konfligiert. Bezeichnenderweise erfordert daher das Lernfeldmodell einen höheren Grad an fachlicher Sicherheit, von der aus der Lehrende die geforderte inhaltliche Reorganisation realisieren kann. 2. Schaffung von Verbindlichkeit: Im Modellversuchsverbund NELE zeigte sich, daß für die Lehrenden die Fachinhalte häufig eine größere Verbindlichkeit und Transparenz besitzen als die Lernfelder. Diese Verbindlichkeit wird vielfach im Hinblick auf die Prüfungen interpretiert. Mit anderen Worten: die fachliche Systematik wird als prüfungsadäquater bewertet als die kasuistische. Dabei wird dann vielfach nicht in Erwägung gezogen, ob nicht durch ein entsprechendes Vorgehen Lerner so gefördert werden, ausgehend von solchen Lernfeldern bzw. Lernsituationen systematischs Wissen und Handlungskompetenz zu entwickeln bzw. diese zu verbessern. Insgesamt stellt sich für die Lehrenden auf der Ebene der Unterrichtsführung das Problem der Transformation von Lernfeldern in Lernsituationen. Es geht mithin um die Entwicklung, Erprobung und Bewertung von Lehr-/Lernarrangements, also eigentlich um didaktische Kernkompetenzen des Lehrerberufs. Die Konkretisierung von Lernfeldern durch Lernsituationen möchten wir durch einige grundlegende Aspekte zur Gestaltung von Lernsituationen aufzeigen: 30 1. Problemorientiertes Lernen in Fallstrukturen: Lernen sollte sich am Handlungsfeld ausrichten. Hierzu sollte ein Problem aus dem Wirkungsraum thematisiert werden. Im Sinne eines vollständigen Lernprozesses sollte die Problemstellung durch die Lerner nicht nur bearbeitet werden, sondern auch in ihrem Problemgehalt erschlossen werden. Eine Thematisierung der Handlungs- resp. Problemfelder kann über Fallstrukturen erreicht werden, die zu einer höheren Lebensnähe und Anknüpfung an subjektive Erfahrungsstrukturen beitragen können. 2. Exemplarität von etwas ... : Lernsituationen müssen exemplarisch sein für Handlungsfelder. Genaugenommen handelt es sich hier um eine doppelte Exemplarität, denn Handlungsfelder selbst sind schon generalisierte Vorgaben. 3. Exemplarität für jemanden ...: Lernsituationen müssen für Lerner exemplarisch sein. Daher ist zu prüfen, ob sie Relevanz für die Zielgruppe haben und ob sie den Lebensraum der Schüler adäquat und für ihn typisch erfassen. 4. Individualisierung des Lernprozesses: Dieser Aspekt wurde an vielen Stellen bereits vorausgesetzt. Der Lerner ist Hauptakteur des Lernprozesses. Es kann damit nicht von einheitlichen Vorwissensstrukturen und Lebensbedingungen ausgegangen werden. Der Lerner muß die Möglichkeit erhalten, Lernangebote im Rahmen eines individuellen Erkundungs- und Suchprozesses zu nutzen. Dies bedeutet u. a., daß multiple Wissensangebote gemacht werden. 30 Vgl. vertiefend Sloane 1999b. 5. 6. 7. 8. Narrative Einbindung: Die Lernsituation ist in den sprachlichen und Erlebenskontext der Lernenden einzubauen. Mit anderen Worten: es sind narrative Elemente vorzusehen, die einen Anschluß an die Sichtweisen und Vorstellungsbilder der Schülerinnen und Schüler ermöglichen. Anwendung (Applikation) wissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Lernsituationen: Lernsituationen sind so zu konstruieren, daß fachliche Inhalte resp. wissenschaftliche Erkenntnisse umgesetzt werden. Genaugenommen muß die Lernsituation als Anwendungsfall einer Theorie begriffen werden. Dies wendet sich explizit gegen die häufig geäußerten Vorbehalte, fachlich-systematische und wissenschaftliche Inhalte würden gleichsam im Lernfeldkonzept negiert werden. Wichtig ist aber, daß solche fachlichen Inhalte nicht abstrakte Vorgaben sind, sondern gleichsam eingebettet sind in die Lernsituation und dort entdeckt und erschlossen werden können. Induktionsmöglichkeit in der Lernsituation: Dies entpricht gleichsam der gewünschten Reaktion des Lernenden auf eine Lernsituation, auf die Fachinhalte appliziert sind. Der Lernende soll diese Inhalte in der Situation entdecken und sie erarbeiten. So gesehen führt der Weg von der Lernsituation zu einer, wenn auch nicht ausschließlich, fachlich ausgelegten Kompetenz. Auslösung und Förderung meta-kognitiver Prozesse: Lernen als Handlung des Lernenden verlangt die meta-kognitive Durchdringung des eigenen Lerngeschehens. Dieser Prozeß bietet eine bedeutsame Grundlage für den Erwerb von übergreifenden Kompetenzen bzw. Einsichten in die eigenen Fähigkeiten. Lernen bzw. Lernfähigkeit ist gleichsam Ziel und Weg des Lerners. Der Blick auf die zurückgelegte Wegstrecke soll so dazu beitragen, neue Lernwege erfolgreich zu bewältigen. 4 Abschließende Bemerkungen: Lernfelder als Motor didaktischer Innovationen? Lernfelder zu implementieren verlangt, daß Änderungen auf den drei Ebenen in einem positiven Verhältnis zueinander stehen. Die drei Ebenen müssen sich wie ein wohlklingendes Konzert zusammenfügen. Lernfelder bieten so sicherlich ein Potential, welches didaktische Innovationen vorantragen kann – sie als Motor didaktischer Innovationen zu bezeichnen hängt jedoch entscheidend davon ab, in welchem Zustand sich die weiteren Elemente jeweils befinden bzw. welche Veränderungen dort vorgenommen werden können. Anders könnte auch gefragt werden, gelingt es, das Gestaltungspotential der Lernfeldkonzeption in der beruflichen Ausbildung zu nutzen? Konstruktiv gewendet ist zu untersuchen, in welchem 'Gelände' funktioniert die Lernfeldkonzeption als Motor und anders gewendet kann auch gefragt werden, welche Ausprägungsform der Lernfeldkonzeption ist für welches Gelände geeignet? 5 Literatur Achtenhagen, F. (1996): Situationsorientierung als Beitrag zur fachdidaktischen Innovation. In: Fortmüller, R. / Aff, J. (1996): Wissenschaftsorientierung und Praxisbezug in der Didaktik der Ökonomie, Wien 1996, S. 24 – 42. Bader, R. (1990): Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz in der Berufsschule. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1990. Bader, R. (1998): Lernfelder. Erweiterter Handlungsraum für die didaktische Kompetenz der Lehrenden. In: Die berufsbildende Schule, Heft 3, 1998, S. 73 – 74. Bader, R. / Schäfer, B. (1998): Lernfelder gestalten. Vom komplexen Handlungsfeld zur didaktisch strukturierten Lernsituation. In: Die berufsbildende Schule, Heft 7/8, 1998, S. 229 – 234. Becker, R. 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