Einige Überlegungen zum Beratungsprozess1 Grundsätzliches Die Beratung soll persönlichkeitsorientiert sein. Die Aktivierung von Veränderungskompetenz mit Bezug auf beschäftigungsbezogenes Verhalten nimmt ihren Ausgang in der Erörterung umfassend verstandener, jeweils individuell ausgeprägter Befähigungsprofile. Sie bezieht Biografie und Lebensumstände ein. Dabei ist die Selbstbegrenzung des Beratungsanspruchs zu beachten. Es geht nicht um Lebensberatung im Allgemeinen. Es geht um die Entwicklung von realistischen Optionen mit den und für die zu Beratenden im Kontext beruflicher Entscheidungen. Es geht um zielführende Veränderungsbereitschaft, Weiterbildungsbereitschaft, Aufmerksamkeitsfokussierung. Die jeweils Ratsuchenden stehen im Vordergrund. Bei aller objektiven Orientierung des Projekts auf den Faktor Humankapital gilt grundsätzlich: zu fördern sind individuelle Kompetenzen unter dem ethischregulativen Aspekt, dass diese zur Würde der Menschen gehören und sich zu greifbarer Verwertbarkeit widerspenstig verhalten. Da es auch um die Entwicklung realistischer Arbeitsmarktperspektiven geht, was auf Seiten der Beratenden umfangreiche und u. U. auch detaillierte Arbeitsmarktkenntnisse voraussetzt, wird es gegebenenfalls notwendig sein, weitere Expertinnen und Experten in die Beratung einzubinden. Diese Einbeziehung kann auf unterschiedliche Weisen erfolgen und erfolgt sowohl in Eigeninitiative der zu Beratenden als auch mit Unterstützung der Beratenden. Migrantinnen und Migranten werden in der Beratung mit ihren jeweils individuell und kulturell ausgeprägten Potenzialen wahrgenommen und nicht auf ihre Defizite (z.B. fehlende Kompetenz in der deutschen Sprache) begrenzt. Es gibt keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit. Deshalb sind die unterschiedlichen Lebensund Berufssituationen und Interessen der Rat suchenden Frauen und Männer von vornherein und regelmäßig zu reflektieren und zu berücksichtigen. Diese Vorgabe bezieht sich sowohl auf die Haltungen, Kompetenzen und Kenntnisse von Beratenden als auch auf die der zu Beratenden. Dies setzt u. U. voraus, dass die Beratenden über geschlechtssensible Informationen zur regionalen Arbeitsmarktsituation und zur Ausgangslage der Zielgruppe verfügen. Grundregeln Der Beratungsansatz zeichnet sich durch seinen tendenziellen Dialogcharakter und die Begrenzung der Reichweite der Beratung aus – Charakteristika, die bei den Beratenden voraussetzen, dass sie ihre Fähigkeiten und Einstellungen reflektieren können. Die Beratung gelingt am besten unter folgenden Voraussetzungen: Die Beratenden agieren nach bestem Wissen und Gewissen, sie sind ernsthaft und aufrichtig. Sie stellen sich die Umkehrbarkeit der Dialogsituation vor. Zugleich wissen sie, dass diese nur in Maßen gegeben ist, weil sie nicht in der Situation der zu Beratenden sind und sich allenfalls nur unverbindlich ausmalen können, in diese Situation zu kommen. Die Beratenden müssen für ihre Ratschläge in der Regel nicht „bezahlen“, d. h., für ihre Folgen nicht einstehen. Sie haben also in einer ungleichen, keineswegs von gleicher Augenhöhe geprägten und klar differenten Kommunikationssituation den besseren und vermutlich auch den leichteren Part. Deshalb brauchen die Beratenden das Beratungsethos der Ernsthaftigkeit, Aufrichtigkeit, Einlässlichkeit, Gründlichkeit, Würdigung des Gegenübers, Bescheidenheit. Zum Ethos gehören weiter Entschlossenheit, Entscheidungsfreude, Mut und Klarheit. Die Beratenden müssen Möglichkeitsräume eröffnen und dennoch zum Entscheidungspunkt hinführen können. Dabei dürfen Erfolgsgewissheit und Alternativlosigkeit keinesfalls vorgespiegelt werden. Bei den zu Beratenden handelt es sich um Frauen und Männer, die – trotz ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen und Erwartungen – vermutlich beratungswillig sind. D.h., sie begeben sich freiwillig in die Beratungssituation. Es ist davon auszugehen, dass sie, wenn der individuell vorhandene Veränderungsdruck einen gewissen Spielraum lässt, eine (gesunde) kritische Einstellung zur Beratungssituation mitbringen. Sie sind in der Lage, die situationsbedingte Differenz zwischen ihnen und den Beratenden zu erfassen und nähern sich der sie beratenden Frau bzw. dem sie beratenden Mann kritisch, vorsichtig und zugleich offen. Die Beratenden sollen ihrerseits Distanz zulassen oder gegebenenfalls auch bewusst herstellen. Eine Erfolg versprechende „Sprachhandlung Beratung“ ist die, in der die Beteiligten ihre Situationsdifferenz in der Interaktion wahrnehmen und einschätzen können. Profile der Beratenden Die Kompetenzen der Beratenden setzen sich idealer Weise aus folgenden, das Spektrum der individuellen beruflichen Biografien und Qualifikationen berücksichtigenden und nutzenden Bausteinen zusammen: breite Lebens- und Berufserfahrung, positive, lebensbejahende persönliche Ausstrahlung Veränderungs- und Verknüpfungskompetenzen Feldkompetenz, Erfahrung in der Gemeinwesen- und Netzwerkarbeit, Kulturkenntnis und interkulturelle Kompetenzen, Betriebliche Kenntnisse und Erfahrungen, Reflektiertes Verhältnis zum eigenen Geschlecht und zur Genderthematik sowie Vorstellungen von den Möglichkeiten einer Implementierung des Themas in die Beratungsarbeit. Die Beratenden verstehen sich als Prozessverantwortliche und -expert(inn)en für die Begleitung der Lernprozesse von Individuen (Gruppen, Organisationen) und die Förderung der „Selbstorganisation“ der Adressatinnen und Adressaten. Sie nehmen die Anfragenden an, spiegeln, konfrontieren, bestätigen, und irritieren wo nötig und möglich, eröffnen und erschließen Perspektiven und Gelegenheiten, orientieren und fassen zusammen, sie empfehlen, raten ab. Sie verknüpfen situationsspezifisch verschiedenartige Beratungsstile: personenzentrierte Beratung, kognitiv orientierte Methoden, systemische Beratung, lösungsorientierte Kurzberatung. Sie versuchen nach Möglichkeit, prärationale Gehalte/Inputs des Gesprächsprozesses zu erkennen, zu kritisieren oder produktiv zu nutzen. Die Beratenden wissen, wann sie ihrerseits Expertise benötigen und wann sie, weil „mit ihrem Latein“ am Ende, den Klienten raten müssen, sich anderswo beraten zu lassen. Zu bedenken ist, dass es im Verlauf des Beratungsprozesses immer auch zu Anteilen von Krisenmanagement (Konfrontation mit latenten oder manifesten Verunsicherungen, Ängsten oder Aggressionen zum Themenfeld) kommen kann. Hier sind die Ratsuchenden nach einer Erstklärung zu psychosozialen Beratungsdiensten zu vermitteln. Diese Hinweise sind im Rahmen des Projektes „Meine Region – Meine berufliche Chance“ entwickelt worden und sind Bestandteil des Dokumentes für Beratende: „ Beratung: Bausteine für Theorie und Praxis“ 1