Dr. Franz Alt Journalist und Autor im Gespräch mit Wolfgang Küpper

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Sendung vom 5.4.2016, 20.15 Uhr
Dr. Franz Alt
Journalist und Autor
im Gespräch mit Wolfgang Küpper
Küpper:
Mein heutiger Gast im alpha-Forum ist ein unermüdlich arbeitender
Journalist und Autor. Jahrzehntelang hat er das Fernsehen in
Deutschland mit politischen Sendungen geprägt und er arbeitet immer
noch, obwohl er die Altersgrenze vor geraumer Zeit schon überschritten
hat. Ich begrüße ganz herzlich Dr. Franz Alt. Schön, dass Sie bei uns im
alpha-Forum zu Gast sind.
Alt:
Hallo, Herr Küpper.
Küpper:
Was treibt Sie an, was ist Ihr Ziel? Ich denke mal, Sie haben mindestens
ein Ziel, nämlich eine friedlichere Welt, eine Welt, die sich nach
ökologischen Maßstäben orientiert, eine Welt, in der jeder Mensch in
Würde leben kann. Würde das so in etwa Ihr Motto umreißen?
Alt:
Ja, und wir wissen auch, dass das möglich ist. Die UNO hat schon vor
etwa 20 Jahren festgestellt, dass wir auf dieser Erde etwa 12, 13
Milliarden Menschen gut ernähren könnten, dass sie gut leben könnten,
ein gutes Leben führen könnten, wenn wir es denn ein bisschen
intelligenter machen würden als heute. Ich höre vor allem in der
Flüchtlingskrise immer wieder und wieder, dass wir doch die Ursachen
bekämpfen müssten. Aber das hätten wir doch schon früher machen
können – wenn wir es denn gewollt hätten. Aber wir haben das ja nicht
wirklich gewollt. Wir leben in einer Welt, das ist gerade in vielen
Untersuchungen deutlich geworden, in der 62 Milliardäre über mehr
Einkommen verfügen als die ärmere Hälfte der Menschheit. Das ist keine
Welt, mit der man sich halbwegs zufriedengeben könnte, d. h. da muss
eine Menge passieren. Solche Dinge treiben mich in der Tat an: als
Journalist im aufklärerischen Sinne an einer gerechteren Welt ein
bisschen mitzuarbeiten.
Küpper:
Ist man da erfolgreich?
Alt:
Ja, gelegentlich schon. Herr Küpper, ich muss ja nur einmal daran
denken, wie es war, als wir vor etwa 20 Jahren im Fernsehen die ersten
Sendungen zu den Themen "Ökologie", "Klimaschutz" und "erneuerbare
Energien" gemacht haben. Damals haben die großen Energiekonzerne
ganzseitige Anzeigen geschaltet, in denen es geheißen hat, dass der Alt
erstens spinnt, dass wir in Deutschland zweitens aus grundsätzlichen
physikalischen Gründen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts gerade mal
vier Prozent Ökostrom erzeugen könnten. Das war damals die Ansicht
dieser Fachleute. Das Problem sind immer die Fachleute, sagt mir meine
journalistische Lebenserfahrung, denn die halten immer das Alte fest.
Heute sind wir bei 32 Prozent Ökostrom angelangt. Angeblich sollten es
ja bis zum Ende des 21. Jahrhunderts nur höchstens vier Prozent sein
aus physikalischen Gründen. Nun haben wir aber schon 32 Prozent, also
achtmal so viel. An diesem Beispiel sieht man: Man kann, wenn man
journalistisch anständig aufklärt über andere Möglichkeiten gegenüber
dem Hergebrachten, doch einiges in Bewegung setzen. Es war gerade
der stellvertretende Ministerpräsident aus Bangladesch bei mir, denn er
wünschte, dass ich ihn durch Deutschland führe und ihm an positiven
Beispielen zeige, wie die Energiewende funktioniert. Er hat danach zu mir
gesagt: "Wenn ihr das in Deutschland hinbekommt, dann müsste das
doch bei uns auch gehen, denn wir haben in Bangladesch immerhin
doppelt so viele Sonnenstunden wie ihr." Solche Dinge erfahre ich also
ständig. Das heißt, man kann schon einiges bewegen. Die
Energiewende ist heute auch nicht mehr nur ein deutsches Thema.
Damals war sie noch gar kein Thema. Ein deutsches Thema ist sie
schon lange und inzwischen ist es das Weltthema überhaupt. Wir hatten
jetzt in Paris eine Klimakonferenz, bei der die Weltfamilie – zum ersten
Mal gab es so etwas wie die Weltfamilie auf internationaler Ebene, denn
da waren 195 Staaten vertreten – zum ersten Mal wirklich beschlossen
hat, den Klimaschutz ernster zu nehmen, als das bisher der Fall
gewesen ist.
Küpper:
Wobei die Umsetzung aber noch aussteht.
Alt:
So ist es, das ist immer so.
Küpper:
In Paris ist wieder mal ein schönes Theoriegebilde aufgestellt worden,
das allerdings durch Fakten untermauert wird, die durchaus tragfähig
sind. Aber das Handeln ist unser Problem. Sie selbst handeln ja als
Journalist: Sie haben vielleicht auch deswegen Erfolg, weil Sie eine
gewisse Durchsetzungsfähigkeit besitzen, einen langen Atem, aber auch
einen gewissen Optimismus. Ohne Optimismus und vorausschauende
Perspektive, die man sich selbst gibt, kann es ja nicht funktionieren.
Alt:
Herr Küpper, mein Optimismus ist in Wirklichkeit mein Realismus. Ich
zeige einfach reale Beispiele aus der ganzen Welt, die funktionieren. Ich
zeige z. B. bestimmte Kraftwerke. Wir haben jetzt gerade in Marokko mit
dem König ein großes Kraftwerk eingeweiht. Es macht Ökostrom für
250000 Menschen. Wenn man solche Beispiele hat, nicht nur in
Deutschland, sondern weltweit, dann kann keiner sagen: "Das geht
nicht!" Nein, das ist einfach alles real, man muss es nur vorzeigen. Ich
glaube, ein Grundproblem von uns Journalisten ist, dass wir uns zu sehr
auf das Negative stürzen. Das ist alles wichtig, das stimmt: Wir müssen
aufklären über die Dinge, die nicht funktionieren, über die Probleme, die
es gibt. Nach Tschernobyl musste man aufklären über die Probleme der
Atomenergie. Ich habe ja selbst auch lange geglaubt, dass die
Atomenergie die Lösung unseres Energieproblems für alle Zeit ist. Ich
war damals braves CDU-Mitglied und die Fachleute haben uns das
erzählt. Aber gerade da habe ich gelernt, dass das Hauptproblem oft die
Fachleute sind. Mir haben anschließend viele Atomfachleute und
Atomphysiker gesagt, sie hätten das, was sie dann in Tschernobyl sehen
mussten, nicht für möglich gehalten. Übrigens hat Angela Merkel nach
Fukushima dasselbe gesagt: Das hätte sie als Physikerin nicht für
möglich gehalten. Aber es war möglich. Viele Dinge, die wir für unmöglich
halten, weil wir sie verdrängen, finden dann doch irgendwann statt. Ich
glaube, gerade im Bereich der Technik müssen wir Journalisten immer
wieder darauf hinweisen, dass alles, was passieren kann, irgendwann
passiert. Es ist ja noch viel mehr passiert, bei dem es lediglich so war,
dass wir Glück hatten. Auch in Deutschland ist viel passiert, ich erwähne
nur einmal die Geschichte mit Biblis 1987: Damals hätte das AKW
genauso in die Luft gehen können und wir hätten denselben
Kladderadatsch gehabt – in einer Region, in der fünf Millionen Menschen
leben, die wir hätten evakuieren müssen. Ich kann nur sagen, "viel Spaß
dabei!" – wenn das eines Tages doch noch passiert.
Küpper:
Wir arbeiten ja daran, aus der Atomenergie auszusteigen, und vielleicht
gelingt es ja, die Atomkraftwerke im Zaum zu halten, bis wir sie
abschalten.
Alt:
Wir sind da in Deutschland auf einem guten Weg. Wir haben ja vorhin in
der Garderobe darüber gesprochen, wo Sie herkommen: Dort, wo Sie
geboren sind, gibt es gar nicht weit entfernt von Aachen auf der
belgischen Seite das Atomkraftwerke Tihange: Das sind mit die ältesten
und marodesten Atomkraftwerke in Europa. Wenn da etwas passiert,
wird uns das genauso treffen. Das für mich nächste Atomkraftwerk von
Baden-Baden aus ist dasjenige in Fessenheim, also ein französisches.
Wir sind also noch lange nicht über den Berg, aber wir haben doch
einiges erreicht durch permanente journalistische Aufklärung.
Küpper:
Die Energiepolitik bzw. das Energiewirtschaften hat sicherlich auch mit
dem Thema zu tun, das im Mittelpunkt dieser Sendung stehen soll,
nämlich mit Flucht und Migration. Vom Optimismus, den Sie versprühen,
habe ich schon gesprochen: Sie teilen diesen Optimismus mit anderen,
was ich prima finde. Sie sind ehrlich. Und Sie haben ein Buch
geschrieben, das den Titel trägt "Flüchtling. Jesus, der Dalai Lama und
andere Vertriebene. Wie Heimatlose unser Land bereichern." Wieso
bereichern Flüchtlinge unser Heimatland? Das wird den einen oder
anderen Zuschauer verwundern, denn wir haben gerade eine Stimmung
in unserem Land, die genau das Gegenteil aussagt: "Flüchtlinge nehmen
uns die Arbeitsplätze weg, Flüchtlinge bedrängen uns und machen unser
schönes Leben kaputt!" Wieso bereichern uns also Flüchtlinge?
Alt:
Auch hier möchte ich als Realist antworten und nicht als Optimist oder
Pessimist, denn das sind für mich so eine Art Geisteskrankheiten. Nein,
ich bin da ganz realistisch. Die Generation meiner Eltern hatte nach dem
Zweiten Weltkrieg zwölf Millionen Flüchtlinge zu integrieren. Was haben
sie mit denen zusammen gemacht? Sie haben mit ihnen zusammen in
Deutschland ein Wirtschaftswunder organisiert, um das uns die ganze
Welt beneidet hat. Eine Generation später hatten die Deutschen mehrere
Millionen Gastarbeiter zu integrieren. Das haben sie gemacht und das
Land so aufgebaut, dass es heute wirtschaftlich besser geht als vielen
anderen, die sich abgeschottet haben. Gerade vor einigen Wochen ist
der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Douglass North
gestorben. Professor North hat ein Leben lang untersucht, wie es den
Gesellschaften ökonomisch geht, die sich öffnen und Ausländer
aufnehmen, und wie es denen geht, die sich abschotten. Er hat z. B.
Ägypten, das sich als mohammedanisches Land abgeschottet hat,
verglichen mit Südkorea. Er hat gesagt, Südkorea hat sich in den letzten
50 Jahren ökonomisch zehnmal besser entwickelt als Ägypten. Es gibt
also sehr, sehr viele positive Beispiele auf diesem Gebiet. Richtig ist
natürlich das Argument: "Wir können doch nicht alle auf der ganzen Welt
hierher holen!" Ich kenne niemanden, der das will, das will auch die
Bundeskanzlerin nicht. Aber immerhin hat sie sich menschlich und auch
ökonomisch klug entschieden, denn das muss ja gar kein Gegensatz
sein, wenn man das intelligent macht. Bitte, also, weil ich hier von Jesus
rede: Der große Meister aus Nazareth hat uns doch mal etwas gesagt
diesbezüglich. Das ist übrigens ein Jesuswort, über das viel zu wenig
gepredigt wird: "Seid klug wie die Schlangen, aber ohne Falsch wie die
Tauben." Das heißt, es macht überhaupt nichts, wenn man den eigenen
Vorteil, die eigenen Chancen immer mit bedenkt. Wenn ich sein Wort von
der Nächstenliebe richtig verstanden habe: "Liebe deinen Nächsten wie
dich selbst", dann kann ich nur sagen: Den zweiten Satzteil vergessen
wir sehr oft. Wir denken immer, Nächstenliebe sei etwas rein
Theoretisches, Abstraktes, bei dem man nur an die anderen denken darf.
Nein, das Gegenteil ist der Fall: Wir dürfen und sollen dabei immer auch
an uns denken. Wenn ich also sage, Flüchtlinge sollten uns willkommen
sein, dann meine ich genau das damit. Wir sind doch eine alternde
Gesellschaft und wissen gar nicht, woher wir in bereits wenigen Jahren
all die benötigten Arbeitskräfte herbekommen sollen. Das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung hat in einer neuen Studie soeben wieder
festgestellt: Deutschland braucht über Jahrzehnte jedes Jahr 500000
zusätzliche Arbeitnehmer von außen. Ich kenne österreichische
Bürgermeister, die das, was ich gerade gesagt habe, sehr wohl im
Hinterkopf haben. Von diesen Bürgermeistern höre ich nämlich: "Es ist
schon blöd, dass diese Flüchtlinge jetzt alle nach Deutschland wollen.
Die Deutschen machen es wieder mal richtig, sie bereiten ihr nächstes
Wirtschaftswunder vor." Ich sehe die Schlagzeilen unserer Kollegen in
acht oder zehn Jahren schon vor mir: "Danke, Angela Merkel, dass du
uns das zweite Wirtschaftswunder beschert hast."
Küpper:
Momentan überwiegt ja die Angst, die Angst vor dem Fremden. Sie sorgt
dafür, dass eine Gesellschaft versucht, sich abzuschotten, weil sie meint,
als geschlossenes Gebilde hätte sie größere Überlebenschancen als
dann, wenn sie sich öffnen würde. Woher rührt diese Angst, wie kann
man den Menschen diese Angst nehmen? Was sind die Argumente, die
Sie hierbei vorbringen würden? Das mit dem Wirtschaftswunder ist ja
wunderbar, aber das glaubt Ihnen zunächst einmal niemand.
Alt:
Ich glaube, wir haben in Deutschland so eine Stimmung zwischen Angst
und Hoffnung. Ich sehe auch wirklich beides, d. h. das sehe ich ganz
ähnlich wie Sie. Woher kommt diese Angst? Das ist eine uralte Frage
und da könnten wir vielleicht mal Herrn Drewermann fragen, der weiß
das besser als ich. Aber wir wissen doch immerhin, dass diese Angst vor
dem Fremden grundsätzlich in uns drin ist. Wenn ich meinen eigenen
Lebensweg anschaue, dann stelle ich ja auch fest: Ich hatte oft Angst vor
Neuem. Ich hatte lange Angst, als konservativer Journalist gegen
Atomenergie zu sein. Ich hatte Angst, dass ich dann eventuell meinen
Job im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verlieren könnte. Denn da wird ja
etwas erwartet. Es ist kein Zufall, dass ich als CDU-Mitglied Chef von
"Report" wurde. Das muss man klar so sehen, das ist so. Man erwartet
also, dass dann, wenn Bundeskanzler Helmut Kohl für Atomenergie ist,
auch CDU-Moderatoren im Fernsehen für Atomenergie sind. Aber nach
Tschernobyl konnte ich das nicht mehr verantworten vor meinem
Gewissen und habe da umlernen müssen. Das heißt, ich kenne auch
Ängste beim Umlernen: "Behalte ich meinen Job?" Das kann einem
schon auch mal schlaflose Nächte bereiten. Und dann macht man
Sendungen und die Atomwirtschaft macht ein riesengroßes Bohei. Ich
musste dann acht Arbeitsgerichtsprozesse führen gegen meinen Sender.
Acht Arbeitsgerichtsprozesse, um so aufklären zu können, wie ich das
als Journalist für richtig hielt. Da hat man Angst, d. h. Angst ist mir nicht
fremd. Auch in privaten Krisen, die natürlich auch ich gehabt habe in
meinem Leben, hatte ich Angst.
Küpper:
Aber wie geht man mit der Angst vor den Fremden, die zu uns kommen,
um? Diese Angst vor der fremden Kultur, vor der fremden Religion, vor
dem fremden Aussehen, vor den Kopftüchern, vor den Moscheen, die
dann gebaut werden usw.; all das spielt da ja eine Rolle.
Alt:
Am besten ist es, diese Menschen kennenzulernen. Das beste Mittel, mit
der eigenen Angst umzugehen, ist immer, das, vor dem man Angst hat,
schlicht kennenzulernen. Es ist ja interessant, dass in Dresden, wo die
wenigsten Ausländer wohnen, die meisten Ängste vorhanden sind. Das
sieht man jeden Montagabend bei den Pegida-Demonstrationen. Das ist
doch interessant. Dort in Dresden, wo es die wenigsten Christen gibt,
muss angeblich das christliche Abendland am deutlichsten verteidigt
werden. Das ist doch alles recht merkwürdig, wenn man es von außen
betrachtet. Aber man kann auf psychologischem Gebiet schon auch
recht gut nachvollziehen, dass Menschen, die kaum ausländischen
Andersdenkenden begegnet sind, die kaum Menschen kennen, die eine
andere Religion haben, die so gut wie nichts von Multikulti mitbekommen
haben, Angst haben. Da muss man aufklären: Das ist eine Aufgabe für
uns Journalisten wie für die Politiker. Das Schlimmste ist, wenn man
diese Leute nur beschimpft. Ich habe ja auch schon einige
Politikeraussagen gehört, in denen vom "braunen Mob" usw. die Rede
war. Das hilft niemandem, das grenzt eher aus und hilft auch politisch
nicht. Das ist nichts als nur ein typisches parteipolitisches Hickhack, aber
das sollte man nicht machen. Das heißt, Formen des Anstands müssen
auch diejenigen wahren, die immer Anstand gegenüber Flüchtlingen
einfordern. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man immer fragt: Warum
haben Menschen Angst? Ob die politisch rechts oder links sind, spielt
eigentlich keine Rolle. Wenn man selbst helfen möchte – und wir als
Journalisten sollten eben hilfreich aufklären –, dann muss man fragen:
Warum haben Menschen Angst?
Küpper:
Sie haben die Kanzlerin bereits gelobt für ihre Entscheidung im
September 2015, die Grenzen nicht dichtzumachen, sondern zu sagen:
"Wer in Not ist, soll zu uns kommen. Wir prüfen dann selbstverständlich,
ob ein Asylgrund vorliegt. Aber zunächst einmal helfen wir denjenigen,
die in Not sind." Diese Haltung der Kanzlerin hat dazu geführt, dass
unsere Gesellschaft …
Alt:
Ihr ist dieses Buch gewidmet. Genau deswegen.
Küpper:
… momentan einen gespaltenen Eindruck macht. Es gibt die einen, die
sagen: "Mit dieser Position kann ich überhaupt nichts anfangen." Und es
gibt die anderen, die Verständnis zeigen und die auch bereit sind, selbst
zu helfen. Denn ohne die vielen freiwilligen Helfer, die es derzeit in
Deutschland gibt und die diese Flüchtlingsarbeit mittragen, wäre ja
manches überhaupt nicht möglich. Dennoch haben wir das Gefühl, dass
wir uns hier nicht aufeinander zu bewegen, sondern wir driften weiter
auseinander. Selbst die konservativen Parteien tun sich sehr, sehr
schwer, zueinanderzufinden, wie überhaupt unsere demokratischen
Politiker – so mein Eindruck – momentan nicht in der Lage sind, das so
zu handhaben, wie Sie und ich sich das vermutlich wünschen. Was läuft
da falsch?
Alt:
Es wird mir zu viel Parteipolitik gemacht und zu wenig Sachpolitik. Es ist
ja kein Zufall, dass das jetzt vor diesen drei Landtagswahlen in
Deutschland parteipolitisch aus dem Ruder läuft, dass Seehofer
permanent aufdreht und gegen Angela Merkel anstinkt usw. Ich habe
aus dem Mund von Herrn Seehofer Worte gehört wie: "Das
Flüchtlingschaos wächst uns über den Kopf." Ich war damals gerade an
der Grenze in Passau und habe mir das vor Ort angeschaut: Ich habe
dort das Gegenteil von Chaos erlebt! Das waren unglaublich geordnete
Verhältnisse, ruhige Helfer, ruhige Polizisten, ruhige Leute, die gespendet
haben usw. Die Politiker haben mir da zu wenig auf das tatsächliche
"Maul" des Volkes geschaut und haben ein Bohei gemacht, wo das
eigentlich gar nicht notwendig gewesen ist. Es war z. T. für mich zu viel
Populismus und zu wenig sachorientiert, was ich da aus Bayern
gegenüber Berlin gehört habe. Da hätte ich mir mehr Ruhe, mehr
Gelassenheit gewünscht. Das gab es dann aber auch. Ich weiß, dass z.
B. Vertreter von bayerischen Klöstern dem Herrn Seehofer einen
erbosten Brief geschrieben haben, dass er sich in seiner Wortwahl etwas
zügeln solle. Immerhin hat er diese Vertreter dann eingeladen und zwei
Stunden mit ihnen diskutiert. Das hat mich wieder gefreut. Solche
Geschichten gab es also auch. Über so etwas sollten wir Journalisten
berichten, denn das schien mir doch ein positiver Ansatz zu sein. Und
wenn ich in den letzten Wochen richtig hingehört habe, dann hat Herr
Seehofer einige Worte, die ich für unverantwortlich hielt, auch nicht mehr
in den Mund genommen.
Küpper:
Könnte es sein, dass sich die Kirchen stärker, noch stärker zu Wort
melden müssten, als sie da eh schon tun, um die Situation, die wir
angesichts der Migrations- und Fluchtbewegungen in Deutschland
haben, zu befrieden? Denn es herrscht ja momentan eine gewisse
Sprachlosigkeit bzw. es werden holzschnittartig Dinge hingestellt, die uns
nicht gefallen können und die auch nicht zur Problemlösung beitragen.
Man wünscht sich daher, dass mal so etwas wie ein gemeinsamer Tisch
zustande käme, bei dem sich alle vernünftig Denkenden in eine Richtung
orientieren und sich nicht gegenseitig das Leben schwer machen.
Alt:
Ich habe die Kirchen ja oft dafür kritisiert, dass sie sich nicht in der Spur
Jesu befinden und nicht mutig und deutlich und klartextredend genug
sind. Dieser Papst ist nun überhaupt eine große Ausnahme, aber in der
Flüchtlingsfrage haben auch beide großen Kirchen in Deutschland aus
meiner Sicht wirklich Klartext geredet. Ich erinnere mich da an ein
"Spiegel"-Interview mit Kardinal Marx, bei dem er gesagt hat: "Ausländer
gibt es für Christen eigentlich gar nicht. Es gibt nur Brüder und
Schwestern, denn wir sind alle Kinder Gottes." Und darum geht es: Das
muss man erkennen. Ich habe in meinem Buch ein Zitat einer
achtjährigen Schülerin an den Anfang gestellt. Im Religionsunterricht ist
gefragt worden, was Flüchtlinge sind; sie meldete sich und sagte:
"Menschen." Wenn wir das begreifen, dann haben wir einen normaleren,
vernünftigeren, menschlicheren, ethischeren Umgang mit denen, die in
Not sind. Und das ist das, was Jesus uns immer wieder empfohlen hat:
mehr Menschlichkeit, keine frommen Sprüche. Denn Jesus hat sich
heftig gewehrt gegen die, die nur fromme Sprüche gemacht haben.
Deswegen ist er dann ja auch beseitigt worden: weil er Konkretes
verlangt hat. In der Flüchtlingsfrage waren und sind beide Kirchen
konkret, was mich als engagierten Christen sehr gefreut hat. Nicht nur
Bischof Marx, auch die evangelischen Christen haben wirklich Klartext
geredet und ganz konkret und praktisch geholfen. Ich glaube, ohne
diesen christlichen Sauerteig in unserer Gesellschaft wären nicht so viele
Menschen aufgewacht und hätten geholfen. Nur deshalb sind wir bis jetzt
auch halbwegs human mit den Flüchtlingen zurechtgekommen.
Küpper:
Und dennoch ist eine gewisse Verrohung in diese Gesellschaft zu
beobachten.
Alt:
Ja, auch die gibt es, das stimmt.
Küpper:
Da werden Gewalttaten gegen Asylbewerberheime …
Alt:
Dutzende Heime haben schon gebrannt.
Küpper:
Es gab sogar einen Handgranatenwurf. Es gibt aber auch diese
Radikalisierung in der Sprache. Das beobachten viele, die sich im
Internet tummeln und die sozialen Netzwerke nutzen und dabei
beobachten, dass dort eine Entwicklung stattfindet, die mit Journalismus
und Aufklärung schon mal überhaupt nichts zu tun hat, die aber wie ein
journalistisches Produkt wahrgenommen wird. Sind wir da hilflos oder wie
würden Sie das einschätzen?
Alt:
An manchen Tagen bin ich auch beinahe verzweifelt, wenn ich sehe, wie
ein Teil unserer Gesellschaft mit diesem Problem, das einfach Hilfe
erfordert, umgeht. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir
diese Probleme politisch viel zu lange verdrängt haben. Ich erinnere mich
da z. B. an den Film "Der Marsch", den wir bereits in den 90er Jahren in
der ARD gezeigt haben und der in diesen Tagen Gott sei Dank
wiederholt worden ist. Da wurde gezeigt, dass die Menschen nicht ewig
zuschauen werden, dass die einen vor lauter Fett und Überfettung
beinahe platzen, während die anderen verhungern, weil sie nicht satt
werden. Dass das nicht gut gehen kann, ist doch klar. Die vier reichsten
amerikanischen Männer, die es zurzeit gibt, verfügen über mehr Geld als
die eine Milliarde Menschen der Ärmsten der Welt. Das ist eine weitere
Zahl, die in diesen Tagen publik wurde. Das kann langfristig nicht gut
gehen, aber das hat die Politik insgesamt verdrängt. Wir haben so getan,
als gäbe es halt einfach "die dort unten und wir hier im reichen Europa,
im reichen Japan und im reichen Amerika". Wir haben so getan, als seien
diese Probleme gar nicht unsere. Wir haben ein bisschen
Entwicklungspolitik geleistet – aber nicht wirklich ernsthaft. Schauen Sie,
Auch wir Deutschen bekommen über Zinsen und Kredite weit mehr
zurück, als wir je in die Dritte Welt gegeben haben. Das heißt, unser
Reichtum wird von den Ärmsten der Welt auch noch mitfinanziert. Das ist
doch eine unglaubliche Katastrophe! Aber darüber haben weder wir
Journalisten noch die Politik genug bzw. genügend aufgeklärt. Das
kommt nun aber zurück zu uns, denn jetzt sehen die Leute plötzlich, dass
in einem Jahr eine Million Flüchtlinge zu uns kommen. Und deswegen
sagen sie: "Aber das darf doch nicht sein! Denn darauf waren wir doch
gar nicht vorbereitet." Eigentlich hätten wir aber vorbereitet sein müssen:
Wir haben das zu lange verdrängt. Und alles, was wir verdrängen,
kommt irgendwann per Fuß zu uns nach Deutschland. Die Probleme
kommen heute per Fuß auf uns zu, die wir zu lange verdrängt haben.
Und das verstehen viele Menschen bei uns nicht. Aber es hilft nicht,
wenn wir das nicht verstehen: Wir werden uns anstrengen müssen, dass
wir diese eine Million – vielleicht werden es ja in diesem Jahr etwas
weniger, was anzunehmen ist – bei uns aufnehmen. Es werde jedenfalls
sicherlich wieder viele Hunderttausend werden und wir werden uns
anstrengen müssen, diese Menschen besser zu integrieren, als es im
Moment aussieht.
Küpper:
Und wir wissen, dass mittlerweile 60 Millionen Menschen auf dieser Erde
auf der Flucht sind. Es gibt Hochrechnungen, dass es 2050 – so wird
spekuliert – vielleicht sogar 200 Millionen Menschen sein könnten, und
zwar aufgrund der klimatischen Entwicklung, die wir auf diesem Erdball
bzw. um diesen Erdball herum derzeit haben. Damit sind wir bei den
Fluchtursachen angelangt. Wir können ja keine 60 Millionen Menschen
aufnehmen hier in Deutschland, 200 Millionen erst recht nicht.
Alt:
Richtig.
Küpper:
Was ist also zu tun, um die Fluchtursachen zu bekämpfen? Damit wären
wir möglicherweise wieder bei der Energiepolitik. Denn Fluchtursachen
für Menschen aus Afrika haben ja u. a. mit dem Kampf ums Öl zu tun,
denn deswegen gibt es dort Gewalt, deswegen fliehen von dort
Menschen, deswegen gibt es Auseinandersetzungen, weil die einen die
Besitzenden und die anderen die Darbenden sind. Wie kommen wir aus
diesem Dilemma heraus, wenn wir jetzt als vernünftige Menschen diese
Ursachen so klipp und klar erkennen?
Alt:
Ich berate ja die Regierung von Bangladesch in Sachen Energiewende.
Das ist ein Land, das etwas größer ist als Bayern und in dem ungefähr
164 Millionen Menschen leben. Dieses Land liegt im Durchschnitt gerade
mal drei Meter über dem Meeresspiegel. Das heißt, die Menschen dort
sind vom Klimawandel weit mehr betroffen als wir: Es wird ihnen nichts
anderes übrig bleiben, als zu fliehen, wenn wir den Klimawandel und
seine Folgen nicht ernster nehmen als bisher. Wir hatten 20
Weltklimakonferenzen mit so gut wie keinem Ergebnis. Doch, es gab ein
Ergebnis: Dem Klima ging es immer schlechter. Und es sind immer mehr
Menschen auf der Flucht. Zurzeit sind in Afrika bereits 18 Millionen
Klimaflüchtlinge unterwegs: Sie sind auf der Suche nach der nächsten
Wasserstelle. Jeder dritte Afrikaner lebt an der Küste. Und wir, die
Industriestaaten, die Verursacher des Klimawandels – denn das sind ja
nicht die Afrikaner –, sind eben auch schuld an den Millionen
Klimaflüchtlingen, die auf uns zukommen. Wir müssen also das Thema
"Klima" ernster nehmen als bisher. An diesem Punkt wird sehr gut
deutlich, wie heutzutage alles mit allem zusammenhängt: die Klimafrage
mit der Energiefrage, die Energiefrage mit der Armutsfrage, die
Armutsfrage mit der Flüchtlingsfrage. Auch die Frage von Krieg und
Frieden hängt damit zusammen, denn der Irakkrieg im Jahr 2003 von
George W. Bush war mit Sicherheit ein Krieg um Öl. Da ging es doch
nicht um Menschenrechte, wie er uns damals erzählt hat. Die Alternative
heißt hier: Frieden durch die Sonne. Es ist so, es gibt entweder Krieg
ums Öl oder Frieden durch die Sonne. Es gibt entweder mehr
Flüchtlingsströme oder mehr Klimaschutz. Das sind die Fragen, die wir
endlich zusammensehen müssen. Ich höre jetzt immer von so vielen
Politikern in Deutschland – u. a. von Angela Merkel –, dass wir uns um
die Fluchtursachen kümmern müssen. Eine Fluchtursache ist die Armut:
Das ist eine ganz zentrale Ursache. Wie kann man diese Armut
überwinden? Wir haben in Deutschland einen Mindestlohn eingeführt –
obwohl er heftig umstritten war. Und was ist heute? Ich sehe keinerlei
Probleme beim Mindestlohn. Wir haben ihn nun bald zwei Jahre und ich
sehe wirklich nur Vorteile. Wir haben auch bis heute Vollbeschäftigung,
obwohl doch gesagt worden ist, dass aufgrund des Mindestlohnes
Arbeitsplätze wegfallen werden. Wir brauchen, wenn wir die Armuts- und
Flüchtlingsproblematik lösen wollen, weltweit einen Mindestlohn, nicht nur
in Deutschland. Meine Idee ist – das haben einige Unternehmer bereits
vor vielen Jahren vorgeschlagen –, dass dieser Mindestlohn in der Dritten
Welt bei einem Dollar pro Stunde liegen sollte. In Bangladesch
bekommen heute die armen Näherinnen 20 bis 25 Cent in der Stunde.
Sie sollten einen Dollar pro Stunde bekommen! Das wäre die Basis für
ein Weltwirtschaftswunder, wenn wir das intelligent machen. Denn da
wäre doch plötzlich eine unglaubliche Kaufkraft vorhanden. Diese Sache
ist finanzierbar, es gibt auch viele Berechnungen dazu: Ich könnte hier
wirklich viele Studien dazu aufführen, aber wir haben nicht die Zeit dafür.
Das Ganze ist also finanzierbar und es wäre gerechter – und es würde
zu weniger Flüchtlingsströmen führen.
Küpper:
Aber wer legt das fest bzw. wer bringt das in Gang? Dafür bräuchte man
doch so etwas wie eine Weltregierung.
Alt:
Die UNO. Die UNO müsste das …
Küpper:
Aber die UNO hat ja bereits Probleme, die Flüchtlingslager im Libanon
und in Jordanien zu finanzieren.
Alt:
So ist es und wir wissen das alles. Wir brauchen also neue institutionelle
Voraussetzungen dafür. Die UNO ist dafür das richtige Gremium. Ich
weiß, dass es dort auch entsprechende Ansätze gibt, die aber noch nicht
weit genug gediehen sind. Es gibt diese Lösungsvorschläge bisher nur in
Ansätzen, weil die nationalen Regierungen nicht bereit sind, hier mal
richtig Geld in die Hand zu nehmen und die UNO entsprechend
institutionell auszustatten. Wenn wir das machen, dann haben wir eine
Grundvoraussetzung für weniger Flüchtlinge. Wir brauchen also weltweit
einen Mindestlohn. Ich selbst kann das nicht ausrechnen, denn ich bin ja
kein Ökonom, aber die Fachleute sagen, dass der bei ungefähr einem
Dollar liegen sollte. Zu diesen Fachleuten gehörten übrigens auch
führende Unternehmer; sie haben der UNO bereits vor Jahren diesen
Weltmindestlohn von einem Dollar pro Stunde vorgeschlagen, denn
damit wären wirklich viele Probleme auf einen Schlag gelöst.
Küpper:
Dennoch gibt es ja, wenn ich das mal so allgemein sagen darf, das Böse
und viel Gewalt in der Welt. Wir müssen ja z. B. nur einmal an den
"Islamischen Staat" denken oder an diesen Krieg, wie er in Syrien seit
Jahren geführt wird und bei dem es mittlerweile 250000 Tote gegeben
hat. Und es gab und gibt diese vielen Millionen von Vertriebenen, die jetzt
eben zu uns kommen. Wenn man daran denkt, wird doch der eine oder
andere sagen: "Mit dem Wirtschaftswunder, das wir uns aufgrund der
Flüchtlinge hier bei uns, durch einen weltweiten Mindestlohn usw.
erwarten, wird das alles nicht zu schaffen sein, denn es gibt die Gewalt in
der Welt einfach nach wie vor und dieses unmenschliche Vorgehen der
einen gegen die anderen." Wie schaffen wir es also, dieses Phänomen
"Krieg" einzudämmen? Wobei allerdings terroristische Taten keine
Kriegshandlungen sind und …
Alt:
Wir erklären denen dann aber den Krieg. "Krieg gegen den Terror" hat
Herr Bush gesagt, hat nun leider auch Herr Hollande gesagt – als könnte
man dadurch Frieden schaffen! Wer je irgendetwas von der Bergpredigt
begriffen hat und davon, was uns dieser wunderbare junge Mann aus
Nazareth schon vor 2000 Jahren nahegelegt hat, kann doch heute im
Jahr 2016 nicht mehr von einem "Krieg gegen den Terror" sprechen. Der
Krieg löst keine Probleme! Wir kommen nicht zu mehr Frieden durch
Krieg. Stattdessen müssen wir letztlich auch mit Typen wie denen vom IS
verhandeln. Das sind Typen, von denen ich selbstverständlich nie regiert
werden wollte, das ist klar. Ich kenne da freilich noch ein paar andere,
von denen ich auch nicht regiert werden wollte. Klar ist aber, dass wir nur
durch Verhandlungen zu Lösungen kommen. Nehmen Sie die ETA in
Spanien oder die IRA in Nordirland: Da wurde auch lange gesagt, mit
Terroristen könne man nicht verhandeln. Wie sind dann die Probleme
halbwegs gelöst worden? Am Schluss immer nur durch Verhandlungen.
Das, was wir heute vom IS als furchtbare Sachen sehen, diese
Hinrichtungen, dieses Halsabschneiden usw., haben wir doch lange,
lange Zeit selbst auch gemacht! Auch wir Christen haben das doch noch
vor 70 Jahren im Zweiten Weltkrieg genauso gemacht. Wenn man wie
ich 1938 geboren ist, dann sieht man doch noch deutsche Soldaten vor
sich, die mit Koppeln in den Zweiten Weltkrieg gezogen sind, auf denen
stand: "Gott mit uns." Die Franzosen hatten etwas Ähnliches auf ihren
Koppeln stehen und wir haben uns gegenseitig millionenfach
abgeschlachtet. Das macht jetzt der IS und dann wundern wir uns. Das
ist eine kleine Verspätung und nicht viel mehr. Mit Rache und Krieg
gegen Terror werden die Probleme jedenfalls nicht lösbar sein – aber das
wissen wir ja schon seit 2000 Jahren. Und seit 2000 Jahren haben wir es
dennoch anders gemacht und falsch gemacht und hatten immer
Millionen von Toten. Wann endlich verstehen wir etwas von dem, was
uns Buddha, was uns Jesus, was uns Mahatma Gandhi, was uns Albert
Schweitzer gesagt haben, was uns also die wirklich Großen der
Geschichte gesagt haben? Sie haben immer gesagt: "Wir können eine
bessere Welt schaffen, aber nur durch weniger Gewalt kann es mehr
Gerechtigkeit geben." Das ist in der Tat die Voraussetzung für eine
friedlichere Welt.
Küpper:
Wer Gewalt ausüben möchte, der braucht dazu natürlich auch Waffen.
Die Waffenexporteure sind ja auch bekannt …
Alt:
Ja, und zu denen gehören wir Deutsche eben auch.
Küpper:
Was können wir da machen?
Alt:
Das viel restriktiver handhaben. Ich bin ja Realist und weiß daher, dass
das alles nicht von heute auf morgen möglich ist. Auch der NATOAustritt, den man organisieren muss, wird Zeit in Anspruch nehmen.
Schauen Sie, Gorbatschow hat es damals geschafft, den Warschauer
Pakt aufzulösen. Warum haben wir in den 90er Jahren nicht auch gleich
die NATO mit aufgelöst? Die Welt wäre heute friedlicher, davon bin ich
überzeugt: Die Welt wäre friedlicher, denn wir hätten weniger Waffen.
Wie gesagt, das kann man nicht von heute auf morgen machen, d. h. wir
werden mit den anderen NATO-Staaten militärisch noch eine Weile
zusammenarbeiten müssen. Aber auch das müssen wir überwinden. In
Länder außerhalb NATO dürfte es doch nach allem, was wir heute
wissen, wo die Waffen am Schluss landen, nämlich beim IS,
vernünftigerweise keinen Waffenexport mehr geben. Dieses
Exportverbot immerhin wäre doch heute schon machbar. Es darf also z.
B. keine Waffenexporte nach Saudi-Arabien mehr geben und in andere
solche Länder. Wir beliefern doch den halben Nahen Osten immer noch
mit Waffen. Und dann wundern wir uns, dass der IS voll bewaffnet ist.
Daran sind wir doch selbst mit schuld.
Küpper:
Das wäre natürlich ein organisatorisches Problem, das man in der
Theorie so lösen könnte, wie Sie es andeuten. Aber löst das denn auch
das, was in den Menschen steckt? Ich sage es noch einmal: Das Böse
im Menschen ist doch nicht zu leugnen, es ist vorhanden und es kommt
auch zum Vorschein. Man kann natürlich versuchen, dem Menschen die
todbringenden Instrumente zu nehmen, denn dann wäre sicherlich schon
vieles gewonnen. Aber ist Ihre Haltung diesbezüglich wirklich realistisch –
oder in dem Fall doch eher utopistisch?
Alt:
Ich glaube, sie ist realistisch. Ich sehe das Böse auf dieser Welt genauso
wie Sie. Wenn man ehrlich ist, dann weiß man, dass das Böse in jedem
von uns steckt. Es ist also nicht so, dass nur diese Leute vom IS böse
sind, während wie hier die Guten sind. So kann man die Welt nicht
einteilen, und wenn man sie dennoch so einteilt, ist man ein Teil des
Problems. Denn manchmal tun wir doch wirklich so, als seien die
anderen, die wir nicht verstehen, automatisch immer die Bösen. Herr
Bush hat damals die Welt immer so eingeteilt: "Wir sind die Guten und
die anderen sind die Bösen." Nein, wir wissen ja auch als Christen, dass
das Böse in uns allen drin ist. Und Jesus hat uns auch hier wieder auf die
richtige Spur gesetzt, denn er war ein großer Realist und kein Utopist. Er
war ein ganz großer Realist, wenn er z. B. vom Teufel gesprochen hat.
Im Neuen Testament ist immer wieder vom Teufel die Rede, und
manchmal sehe ich diese Teufel auch heute noch – in der "Tagesschau".
Also, den Teufel gibt es. Das Böse in uns gibt es. Das heißt, das Böse
muss man gar nicht personalisieren, denn jeder weiß, dass es böse
Dinge gibt und dass man manchmal selbst in der Situation ist, etwas
Böses zu tun. Das ist einfach der Teufel in uns, das Satanische. Der IS
ist natürlich satanisch, das stimmt schon, aber es ist eben nicht nur der IS
satanisch. Insofern müssen wir also auch schauen, wie wir mit den
Teufeln in dieser Welt umgehen können. Es gibt ja auch das Sprichwort,
dass man in der Not manchmal auch mit dem Teufel reden muss. Wir
müssen also in der jetzigen Situation, daran wird kein Weg vorbeiführen,
auch mit denen reden, die wir "teuflisch" nennen. Das Teuflische gibt es,
ja.
Küpper:
Vielleicht hilft ja auch der Dreiklang. Jesus spricht nämlich von der
Nächstenliebe, von der Fernstenliebe und auch von der Feindesliebe, die
allerdings vielen, vielen Menschen größte Probleme bereitet.
Nächstenliebe versteht man ja noch: Sie betrifft dich und mich, also das
nahe Umfeld, die Frau und die Kinder usw. Mit denen kann man sich
verstehen und verständigen, d. h. da ist die Nächstenliebe leicht. Aber bei
der Feindesliebe wird es schwierig: Sie wird selbst von Christen, die
überzeugt davon sind, dass sie Christen sind, abgelehnt. Aber eigentlich
geht das nach dem Anspruch von Jesus nicht.
Alt:
Für mich ist das das eigentlich Revolutionäre an diesem wunderbaren
jungen Mann aus Nazareth: Das war neu. Wenn man das Alte
Testament liest, dann stellt man fest: Feindesliebe gab es darin
überhaupt nicht. Da hieß es: "Schlagt den Feinden die Köpfe ab,
vergewaltigt deren Frauen, schlachtet deren Kinder usw." Das sind alles
Dinge, die noch im Alten Testament stehen. Solche Gewaltexzess-Texte
findet man in fast allen Religionen, leider auch im Neuen Testament,
obwohl das Jesus nie gesagt hat. Auch im Neuen Testament ist vom
Schwert die Rede, obwohl Jesus nie vom Schwert, sondern vom Messer
geredet hat: Seine Jünger waren Wanderprediger und sie brauchten
daher, wenn sie nicht verhungern wollten, ein Messer. Im aramäischen
Text versteht man, was Jesus an dieser Stelle gemeint hat. Aber leider
steht an drei Stellen des Neuen Testamentes immer noch dieses
furchtbare Wort "Schwert". Und gleichzeitig werfen wir den Islamisten vor,
dass sie eine Schwert-Religion haben. Wir Christen müssen uns also an
dieser Stelle schon auch an die Brust klopfen. Ja, Feindesliebe ist
schwer. Ich erzähle Ihnen mal eine persönliche Erfahrung. Als ich damals
das Buch "Frieden ist möglich. Die Politik der Bergpredigt" geschrieben
habe, bin ich auch für verrückt erklärt worden. Und eines Tages habe ich
einen Militärberater von Michael Gorbatschow getroffen. Er hat mir
gesagt: "Wir haben im Kreml Ihr Buch gelesen." Ich hatte das aber doch
gar nicht für den Kreml geschrieben, sondern ich hatte das damals an
Helmut Kohl gerichtet, an Maggie Thatcher usw., also an die Christen im
Westen. Und dann sagte mir dieser Militärberater von Gorbatschow,
dass sie im Kreml mein Buch gelesen hätten: "Wir machen im Kreml
genau das." Es kommt ja immer darauf an, wie man das Wort
Feindesliebe übersetzt. Und er meinte zu mir: "Feindesliebe meint, so
wie Sie das übersetzen: Sei klüger als dein Feind!" Als Militär, als
General meinte er zu mir: "Es macht doch wenig Sinn, wenn ohnehin
bereits der Westen den Osten 25-mal und der Osten den Westen 20-mal
umbringen kann und wir jetzt trotzdem noch weiterrüsten. Es reicht doch,
wenn wir uns gegenseitig 25-mal oder 20-mal umbringen können. Also
hören wir damit auf." Das war für mich die Botschaft: Einer muss
anfangen, aufzuhören! Das habe ich selbst am See Genezareth gelernt.
Ich saß dort mal an einem Herbstabend und war völlig verzweifelt wegen
der atomaren Nachrüstung. Ich habe mir überlegt, was Jesus uns heute
in dieser furchtbaren Situation sagen würde. Denn wir standen ja in den
80er Jahren wirklich am Rand eines Atomkriegs: Wenn damals auch nur
ein kleiner technischer Fehler passiert wäre, dann würden wir beide
heute hier nicht sitzen. Mir ist dann klar geworden, dass uns Jesus als
Realist, der er war, nicht sagen würde: "Morgen früh müssen wir alle
Atomwaffen abschaffen." Er wüsste nämlich, dass das nicht geht. Aber
als ersten Schritt würde er vorschlagen, dass wir damit aufhören,
weiterzumachen mit diesem Wahnsinn: Einer muss anfangen damit,
aufzuhören. Und im Kreml haben sie das begriffen und Gorbatschow hat
das dann gemacht. Das war eine jesuanische Tat, das war praktizierte
Feindesliebe. Und das hat uns der Kommunist Gorbatschow
vorgemacht. Es geht also, wenn man das will.
Küpper:
Hat das Herr Putin auch verstanden?
Alt:
Das weiß ich nicht, aber nach dem, was er da in der Ukraine anstellt,
glaube ich nicht, dass er das verstanden hat. Gorbatschow war für mich
einer der bedeutendsten Menschen des 20. Jahrhunderts. Ich würde von
Putin gerne etwas Ähnliches sagen für das 21. Jahrhundert, aber das
kann ich nicht, leider noch nicht, denn vielleicht lernt er es ja noch. Man
soll die Hoffnung jedenfalls nicht aufgeben.
Küpper:
Es gibt da noch eine andere spirituelle Gestalt, die Sie Ihr Leben lang
geprägt hat: Das ist der Dalai Lama. Von ihm stammt ein Satz, den Sie
immer wieder zitieren, und dies machen Sie auch in Ihrem neuesten
Buch: "Es wäre besser, es gäbe mehr Ethik und weniger Religionen."
Das wird den einen oder anderen, der die Religion sehr schätzt, sehr
verstören. Wie darf man also den Dalai Lama verstehen? Wie muss man
ihn verstehen, damit man ihn nicht falsch interpretiert?
Alt:
Das ist ja auch der Titel dieses Buches, das ich gemeinsam mit ihm
gemacht habe: "Ethik ist wichtiger als Religion". Ja, das hat viele bzw.
einige verstört. Die meisten, die es gelesen haben – es ist ja ein
Bestseller geworden – stimmen dem zu, aber viele hat es auch verstört,
das stimmt. Man muss dafür den asiatisch-indischen Kontext des Dalai
Lama verstehen. In der gesamten asiatisch-indischen Kultur, in der
gesamten fernöstlichen Kultur heißt "Ethik" so viel wie praktizierte
Religion. Das heißt, man soll keine frommen Sprüche machen, sondern
etwas tun. Das ist es, was der Dalai Lama meint. Es ist nicht zufällig,
dass wir dieses Buch nach den Anschlägen letztes Jahr in Paris auf
"Charlie Hebdo" geschrieben haben. Er hat damals gesagt: "An
manchen Tagen denke ich, es wäre besser, es gäbe überhaupt keine
Religionen mehr." Denn diese IS-Leute, die diese Anschläge auf die
Redaktion von "Charlie Hebdo" und auch jetzt im November 2015 in
Paris verübt haben, beriefen sich ja auf ihre Religion. Der Dalai Lama hat
gemeint: "Es ist doch eine Schande, dass Religion in unserer angeblich
so aufgeklärten Zeit immer noch so missbraucht wird." Das hat ihn also
sehr aufgebracht und in dieser Situation haben wir gemeinsam dieses
Buch geschrieben. Ich muss es noch einmal sagen: Ethik heißt für ihn
praktizierte Religion. Und da hat er doch völlig recht: Wenn wir uns auf
das Göttliche, auf Gott, auf Allah oder wen auch immer berufen und
zugleich morden, dann haben wir von der Religion wirklich nicht viel
verstanden. Alle Religionen der Welt haben das Thema "Liebe" in sich.
Das geht, wie Sie das zitiert haben, so weit, dass es heißt: "Liebet eure
Feinde!" Das ist doch das Gegenteil dessen, was wir da zurzeit erleben.
Alle Religionen, auch die christliche, sind oft missbraucht worden. Hier
wollten wir ein Gegengewicht setzen, weil wir gemeint haben, dass wir
eine säkulare Ethik bräuchten, eine Ethik, der auch Atheisten zustimmen
könnten, der auch religionslose Menschen zustimmen könnten, der auch
Menschen am Rande aller Kirchen zustimmen könnten. Denn die
meisten Menschen stehen ja am Rande von Kirchen und sind sehr
kritisch. Eine solche Ethik ist unsere Chance in der heutigen Zeit: Für
viele Menschen in Deutschland ist es heute sehr attraktiv, solche
Positionen einzunehmen, denn sonst wäre das ja kein Bestseller
geworden.
Küpper:
Und zur Ehrenrettung der Religionen könnte man ja auch sagen: Es
wäre wichtig, dass sie das Gemeinsame entdecken, dass sie das
Gemeinsame zusammenführen und die Religion nicht als
Teilungsinstrument benutzen.
Alt:
Das ist das, was Hans Küng mit seinem "Weltethos" vorgeschlagen hat.
Aber der Dalai Lama geht da doch noch ein Stück weiter, denn er sagt:
Es reicht nicht, wenn wir in rein ethischer Hinsicht alle Religionen
zusammennehmen, sondern wir müssen darüber hinausgehen. Er
schlägt ja auch vor, in einer bestimmten Phase an den Schulen keinen
Religionsunterricht mehr zu erteilen, sondern nur Ethikunterricht. Er ist
nicht gegen den Religionsunterricht, aber er sagt, dass man etwa zwei
Jahre lang Ethik unterrichten sollte, und zwar in allen Schulen dieser
Welt. Dabei soll ein gemeinsames Ethos erarbeitet werden: Du sollst
nicht töten, du sollst nicht stehlen …! Das ist das, was Hans Küng auch
immer wieder sagt. Aber der Dalai Lama als charismatischer
Religionsführer – so habe ich ihn kennengelernt und so kenne ich ihn –
geht da immer noch einen Schritt weiter und schlägt diesen tollen Satz
vor. Ich finde ihn wirklich toll, gerade dann, wenn ich mich in asiatisches
Denken hineinversetze: Ethik ist wichtiger als Religion.
Küpper:
Das ist ein Satz, der nicht überall Gefallen finden wird. Was meinen Sie,
was Papst Franziskus dazu sagt oder sagen könnte?
Alt:
Wenn er diesen Satz richtig interpretiert, dann wird er ihm zustimmen.
Denn diesem Papst traue ich wirklich sehr viel zu. Wenn man das also
richtig mit ihm bespricht, dann wird er dieser These wohl schon
zustimmen. Seine Enzyklika "Laudato si'", also seine Öko-Enzyklika,
spricht ja auch Klartext. Ich schätze es sehr an diesem Papst, dass er
wirklich Klartext redet und nicht mehr nur darum herum schwafelt, dass
er die Dinge beim Namen nennt und keine Angst hat, anzuecken. Er ist
auch sehr humorvoll und hat keine Angst, auch über seine eigene
Religion Witze zu machen – ich könnte dazu viel erzählen, weil mir das
die Kollegen von "Radio Vatikan" immer wieder sagen. Ich kann mir also
vorstellen, dass der Papst diesem Satz zustimmt. Der Dalai Lama
wiederum hat mir gesagt, dass er der Öko-Enzyklika des Papstes voll
zustimmt. Vielleicht gibt es ja dieses Jahr ein Treffen zwischen den
beiden, das fände ich sehr spannend.
Küpper:
Wobei der Papst sich mit solchen Haltungen und Affinitäten eben auch
Feinde macht, denn manche in der Kurie …
Alt:
Ja, aber stört ihn nicht, wie man sieht.
Küpper:
Das sagen Sie. Aber es gibt viele, die ihn belächeln und sagen, dass das
alles viel zu simpel sei und dass die große Theologie fehle, dass das
Dogmatische fehle, dass das fehle, was man früher mit dem Begriff
"Wahrheit" bezeichnet hat.
Alt:
Kennen Sie folgende Geschichte? Es treffen sich zwei Monsignori im
Vatikan und der eine sagt zum anderen: "Hast du schon die Bücher des
Papstes gelesen?" Sagt der andere: "Ja, gestern, in einer halben
Stunde." So reden sie über den Papst, er wird "argentinischer Gaucho"
genannt, den man sich nach Rom geholt habe und der dann leider auch
noch zum Papst gewählt worden ist. Das ist das, was ich aus den
Mauern des Vatikans höre: Er hat mehr Feinde als Freunde im Vatikan.
Küpper:
Das ist keine angenehme Situation.
Alt:
Ich wünsche ihm ein langes Leben.
Küpper:
Wohin geht die Zukunft? Sie selbst sind Jahrgang 1938 und ein
Menschenleben ist begrenzt, aber Sie sind ein optimistischer, fröhlicher,
zielorientierter Mensch: Wohin sehen Sie unsere Entwicklung gehen?
Was empfinden Sie da im nun doch schon gesetzteren Alter?
Alt:
Ich sehe, wenn ich zurückblicke, viele Fortschritte während meiner
Lebenszeit. Ich bin geboren worden, als gerade der Zweite Weltkrieg
ausbrach. Welch ein Fortschritt, dass wir heute ein vereintes Europa
haben und uns nicht mehr gegenseitig umbringen, sondern in Brüssel
nur noch Nachtsitzungen machen, um die Gurkenkrümmung EU-weit
festzulegen. Das ist doch viel schöner. Es gab also große Fortschritte. Ich
hätte nie gedacht, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg so ein freies
Europa gibt, das halbwegs friedlich ist. Gut, es gab die Jugoslawienkrise,
aber auch die haben wir hinter uns gebracht. Dass wir heute in einem
halbwegs friedlichen Europa leben, ist also ein riesengroßer Fortschritt.
Daran denken wir zu wenig in einer Zeit wie der unseren, in der es wieder
Kriege gibt – auch in Europa. Aber ich glaube, die Krisen, die wir heute
haben, sind lösbar. Die Generation unserer Eltern hat ganz andere
Krisen gelöst. Es geht uns materiell gut. Wissen Sie, ein
durchschnittlicher Deutscher, also auch wir beide, hat heute einen
größeren Wohlstand als ein Kaiser im Mittelalter, denn der hatte keine
Flugzeuge, er konnte nicht einfach mal so nach Afrika oder nach Indien
oder nach Bangladesch fliegen und sich die Welt anschauen. Er hatte
nicht mal ein Auto. Wir haben das alles. Wenn ich heute in einen
Supermarkt gehe, dann liegt mir doch das Paradies des gesamten
Globus' zu Füßen. Das ist doch eine unglaubliche Entwicklung, wenn
man zurückschaut. Da gibt es also Fortschritte. Das ist für jeden
Menschen auf der Erde möglich, und daran sollten wir arbeiten. Das, was
wir in Deutschland uns erarbeitet haben in den letzten 70 Jahren, kann
jeder Mensch auf dieser Erde haben. Es gibt eine weitere UNOBerechnung, die sagt: Alle Menschen, die heute auf der Welt sind, und
die paar Milliarden, die noch hinzukommen werden, könnten etwa in
einem Wohlstand leben, wie ihn die Schweiz im Jahr 1960 hatte. Gandhi
hat gesagt: "Es reicht für jedermanns Bedürfnisse, wenn auch nicht für
jedermanns Habgier."
Küpper:
Die Würde jedes Menschen ist unantastbar, und das, was Sie
beschrieben haben, was in Deutschland zurzeit da ist an Wohlstand,
sollte übertragbar sein auf jeden, der auf dieser Welt lebt. Dass das
schwierig ist, wissen wir, aber wir arbeiten daran – Sie ganz gewiss …
Alt:
Nehmen Sie mal als Beispiel die erneuerbare Energie, die wir mit der
Kraft der Sonne produzieren können: Sie schickt uns 15000 Mal mehr
Energie, als wir je brauchen. Es ist also alles da.
Küpper:
Zapfen wir sie also an. Herzlichen Dank, das war Dr. Franz Alt bei uns im
alpha-Forum. Schön, dass Sie bei uns waren, Herr Dr. Alt.
Alt:
Aber gerne.
© Bayerischer Rundfunk
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