Die Entwicklung der Kinderzeichnung 2003-01

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Die Entwicklung der Kinderzeichnung
2003-01-30, von Stephanie Hauser
Allgemeines über die frühkindliche Entwicklung
Wie wir wissen, kann ein Kind von Geburt an sehen, es erkennt Formen, Farben etc. Noch ist
allerdings der Sehsinn kombiniert mit anderen Sinnen und spezialisiert sich erst allmählich. In
den ersten Wochen und Monaten kann das kleine Gehirn optische Reize noch nicht richtig
verarbeiten. Die Blicke werden langsam gezielter, und selbst ein Erwachsener sieht nur jene
Dinge scharf und deutlich, auf die er sich konzentriert.
Besonders intensiv sind beim Baby Seh- und Tastsinn gekoppelt. Es sieht und erkennt nur das
richtig, was es betastet, d.h. „ begriffen“ hat.
Über die frühe Entwicklung der Kinderzeichnung erfährt man relativ wenig, weil sie sich
quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit im Familienverband abspielt. Aber gerade diese
Phase ist entscheidend für die weitere Entwicklung des Kindes.
Die Kinderzeichnung
Die Vorstufe der Kinderzeichnung beginnt, sobald das Kind zum erstenmal einen Stift in die
Hand nimmt und ihn ansetzt. Diese Darstellungen sind nichts Gegenständliches, sondern
Ausdruck der inneren Motorik. Das etwas einjährige Kind zeichnet vorsichtig
Schlängellinien.
Im Laufe des zweiten Jahres beginnt die Materialerfahrung. Jetzt kann man von Kritzeln
sprechen. Es entsteht aus einem Spieltrieb heraus, aus einem Überschuß an motorischen
Kräften. Die Dauer der Kritzelstufe hängt vom Einfluß der Umwelt und von den
verschiedenen Materialien ab.
Das Kritzeln ist für das Kind ein rhythmisches Erlebnis. Urphänomene des Kritzelns sind
kreisende Bewegungen, Spiralen, Knäuel. Diese Bewegungen sind bedingt durch das
rotierende Raumgefühl im Mutterleib. Durch das Kritzeln versucht es, aus dieser „ Kugel“
herauszukommen. Im Laufe der Zeit kristallisieren sich drei Figuren heraus, die verschiedene
Aussagekraft haben:
1. Die Spirale
In ihr sieht man das Schwebende, Rotierende
2. Das Urkreuz
Es drückt das Stehvermögen des Kindes aus, ein Auskosten der Horizontalen und der
Vertikalen.
3. Der Zickzack
Das Kind „ geht“ sozusagen über das Papier und überwindet damit die Schwerkraft.
Zu diesen Elementen kommt noch die Kastenform, die sich allmählich aus
der Spirale entwickelt. Sie ist für das Kind eine Festigung des Raumgefühls
im Kampf gegen die Schwerkraft.
Die Zickzacklinie ist bereits ein Ornament, nämlich eine Reihung gleicher Elemente.
Erste Störung der Zeichenwelt Die erste Störung der Zeichenwelt des Kindes ist die Frage
des Erwachsenen: „Was ist das?“ Das Kind antwortet darauf mit dem, was ihm gerade
einfällt. Dadurch wird eine Verbindung von der Zeichenwelt zur Sprachwelt hergestellt. Die
Bildentwicklung wird beschleunigt und verkürzt, es kann zu keiner organischen Reifung
kommen.
Wie verhalten sich Erwachsene beim Anblick einer Kinderzeichnung? Man kann sie in vier
Gruppen einteilen:
1. Diejenigen, die immer belehren wollen und im Kind einen kleinen Erwachsenen sehen.
2. Diejenigen, die im Kind ein kleines Genie sehen und beim Anblick jeder Zeichnung in
Begeisterungsstürme ausbrechen.
3. Diejenigen, die Kinder sich selbst überlassen.
4. Diejenigen, die der Kinderzeichnung sachlich gegenüberstehen.
Der richtige Weg des Erwachsenen zur Kinderzeichnung ist nicht:
„ Was gefällt uns?“,
sondern „ Welche Phänomene sind beim normalen Kind zu beobachten? Was nützt, was
schadet seiner Entwicklung?“
Wolfgang Grözinger, ein Entwicklungspsychologe, schreibt dazu:
„Das Ziel der scheinbar künstlerischen Entwicklung des Kindes ist nicht die Kunst, sondern
die Wirklichkeit. Auf jeder Stufe seines Zeichnens und Malens, die Kritzelstufe ausgenommen,
ist das Kind Realist und meint, die Welt zu treffen, eine Welt freilich, in der ihm zunächst auch
die Gestalten seiner Phantasie Wirklichkeit bedeuten. Das Kind weiß nichts davon, dass es
anfangs mehr von sich selbst aussagt als von den Dingen. Je mehr jedoch das Gefälle
zwischen Innenbild und Aussenwelt, das für die frühen Entwicklungsstufen charakteristisch
ist, abnimmt, ... desto mehr verlieren sich die typischen Merkmale der Kinderzeichnung,
verliert sich aber auch meist die Lust am Malen und Zeichnen.“
Was interessant ist:
Kind und Künstler haben dennoch etwas gemeinsam, obwohl sie unterschiedliche Wege
gehen:
„Das Kind strebt vom Wirren und Chaotischen seiner Anfänge zum Geordneten und von da
zum Gegenstand - die moderne Kunst des Erwachsenen bewegte sich dagegen wider den
Strom der persönlichen Entwicklung, um zum Ursprung selbst zurückzufinden.“ ( Grözinger )
siehe Cézanne, Braque, Picasso
Wie kommt es zu einem Fehleffekt, wenn Erwachsene von den Kindern Aussagen zu ihren
Zeichnungen verlangen?
Auge und Tastsinn arbeiten zusammen, um in dieser Phase die Umwelt zu erkunden. Erst
wenn die Hände etwas gefühlt haben, weiß das Auge Bescheid. Wenn das Kind reif genug ist,
können die Hände ruhen, dann kommt als wichtigstes Sinnesorgan das Ohr hinzu. Das Kind
lernt, Dinge zu benennen.
Wenn diese sog. „haptische“ Phase
übersprungen wird oder zu kurz kommt, kann
sich die Kinderzeichnung nicht mehr normal
weiterentwickeln.
Kopffüßler
Der sog. „ Kopffüßler“ leitet ein neues Kapitel in der Entwicklung der
Kinderzeichnung ein. Kopffüßler entstehen, indem das Kind irgend etwas zeichnet und daraus
plötzlich ein Kreis mit ein paar Strichen entsteht. Es spricht dann von Händen und Beinen,
weil die nach seiner Ansicht am wichtigsten sind. Der Kreis ist eigentlich das ganze Kind.
In diesem Stadium drückt das Kind zum erstenmal Beobachtetes aus. Zeichnet es gerade
Linien, gibt es damit Bewegungsrichtungen an, zeichnet es dagegen Winkel, deutet es auf ein
Hindernis, z.B. den Boden, hin.
Sehr schnell entwickelt sich aus den Formen Kasten und Kreis die Darstellung Haus –
Mensch. Diese beiden Begriffe sind für das Kind das Wichtigste, sie gehören zu seiner
kleinen, bergenden Welt.
Aus dem Kopffüßler wird nur langsam eine realistische Menschendarstellung. Gegen Ende
des fünften Lebensjahres erhält er einen langen Hals und einen kugeligen Leib, riesige Augen
und Zähne. Das Kind sieht aber den Kopf nicht als solchen, denn es zeichnet zwei kurze,
harkenförmige Arme daran. Die Zähne sind häufig ebenfalls harkenförmig und vor allem
übergroß dargestellt. Sie sind für das Kind wichtigste Tastorgane feinster Empfindungen.
In diesem Alter werden auch schon Gruppen von Menschen, vor allem die Familie
gezeichnet. Die Menschen stehen nun fest am Boden, sie schweben nicht, wie noch ein Jahr
vorher, im Raum. Es kommt aber durchaus vor, dass ein Kind am Beginn des 5. Lj. in das
rotierende Raumgefühl zurückfällt und in alle Himmelsrichtungen schwebende Gestalten
zeichnet. Dieses Gefühl kann z.B. durch Musik hervorgerufen werden.
© Stephanie Hauser
Die Zeichnungen der 5 bis 10jährigen
2003-02-15, von Stephanie Hauser
Die Zeichnungen der 5 - 8 Jährigen
Zwischen fünf und acht Jahren ist die Zeichnung das wichtigste Ausdrucksmittel des Kindes.
Sie ist ein Spiegel der Seele, Spiegel kognitiver Prozesse, der Wahrnehmung, des Denkens
und der Intelligenzentwicklung. Sie drückt die emotionale Reife und das innere
Gleichgewicht, geistige Aktivität, Beobachtungsvermögen und Erlebnisfähigkeit aus.
In den ersten sechs Jahren kann man im Hinblick auf die Darstellung nicht oder nur selten von
einer Sonderbegabung sprechen. Da die Zeichnung aus dem Inneren des Kindes kommt, zeigt
sie nicht das, was es sieht, sondern das, was es fühlt. Daher läuft diese Phase in jedem
Kulturraum gleich ab. Erst wenn sich das Kind vermehrt seiner Umwelt zuwendet und
realistischer sieht, also etwa mit dem Eintritt in die Schule, entwickelt sich die
Kinderzeichnung kulturspezifisch weiter.
Die Zeit, in der die Zeichnung wichtigstes Ausdrucksmittel des Kindes ist, läuft nicht bei
jedem gleich ab. Es hängt nicht von der organischen Reife ab, sondern es spielen
verschiedene Faktoren mit. Nur selten laufen beim Kind zwei verschiedenartige
Entwicklungsschritte zeitlich parallel ab.
Vom 5. Lj an kann man vom Zeichnen im eigentlichen Sinn sprechen. Nun wird
Gegenständliches geplant und im Nachhinein plötzlich erkannt, dass in dem Wirrwarr Formen
entstanden sind, die durch Vervollkommnung gedeutet werden können. Nicht die
Sehqualitäten beeinflussen die Darstellungen, sondern zunächst die Erlebnisse. Die Kinder
erfassen das Wesentliche und stellen das für sie Wichtigste am größten dar.
Im Kind sind sämtliche Formen, die es jemals in der Geschichte gab und die bei
verschiedenen Völkern sogar besonders entwickelt und spezialisiert worden sind, bereits
vorhanden.
Jede Erziehung im Hinblick auf die Zeichnung bedeutet für das Kind, dass es mehr aus
der Natur mit ihrer Vielfalt herausgenommen wird.
Oft durchläuft das Kind in wenigen Minuten, wenn es einen ganzen Satz Bilder
hintereinander zeichnet, Phasen, für die die Kunstgeschichte Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte
gebraucht hat!
Bis zum sechsten Jahr zeichnen die Kinder oft lange Sätze von Bildern in erstaunlich kurzer
Zeit. Diese Bilder werden beeinflußt vom Pulsschlag und von der Atmung. Das rotierende
Raumgefühl der ersten zwei Jahre kommt immer wieder durch. Die Bilder sind mehr auf die
Linie als auf die Fläche konzentriert. Im Laufe des 6. Lj verlangsamt sich die enorme
Bewegung. Die Kinder gehen immer mehr zur Fläche über. Gebilde werden kompakter und
greifbarer, ganze Flächen werden ausgemalt, jedoch oft nicht gedeutet.
Das, was dargestellt werden soll, ist nun dem Kind untertan. Das birgt
aber die Gefahr, dass die Zeichnung nur noch ein Schema wird, das
mechanisch gemalt wird. Das Kind hat in dieser Phase das Bedürfnis,
durch Übung Routine in der Darstellung zu bekommen.
Das Kind darf diese Phase auf keinen Fall überspringen, soll aber auf einer farbarmen,
graphischen Ausdrucksweise auch nicht stehenbleiben. Um das zu vermeiden, darf man von
der Zeichnung nicht die gleiche Exaktheit verlangen wie vom Schreiben und Rechnen. Das
Zeichnen ist für das Kind noch Spiel, und die Freude ist die treibende Kraft. Das Schreiben (
Kreuzung ) und das Rechnen ( Reihung ) hemmen die Motorik und verdrängen die
Streuformen. Diese Übergangsphase nennt man „ Phasenverklemmung“. Um diese zu
überbrücken, müssen Lehrer und Eltern sensorische und motorische Anregungen geben, ein
gutes Klima schaffen und Materialien verschiedenster Art bereitstellen. Auch durch Literatur
kann das Kind zum Zeichnen angeregt werden.
Während die Zeichnungen zunächst Einzeldarstellungen von meist nebengeordneten, nicht
zusammengehörenden Objekten enthalten, nimmt im 6. Und 7. Lj die Zentralisation zu.
Zusammengehöriges, z.B. Haus, Wiese, Baum und Blumen wird in einem Bild vereinigt.
Schließlich werden ganze Szenen dargestellt.
Das Haus ist das Hauptmotiv aller 5-8 Jährigen. Um die Dreidimensionalität ( neben-, in- und
übereinander ) zu bewältigen, benutzt das Kind nun eine Kombination aus Auf- und
Umklappen, Hintereinanderliegendes wird in die Ebene umgeklappt oder
übereinandergelagert. Im Aufriß werden meist die Dinge gezeichnet, mit deren vertikaler
Fläche das Kind in Berührung kommt: Straßen, Stühle, ...
Die Aufrißzeichnung ist die wahrheitsgetreue Darstellung in Augenhöhe. Die zweite Richtung
ist die Weiterentwicklung zur Vogelperspektive, die Grundlage der technischen Zeichnung.
Mit dieser Entwicklung ist ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Kinderzeichnung
abgeschlossen.
Entwicklung ab dem 10. Lebensjahr
Etwa im 10. Lj beginnt die realistische Darstellung mit räumlichem Denken. Sind die
Zeichnungen so weit, sind auch die Kinder in ihrem Denken und im Sozialverhalten weit
fortgeschritten. Allerdings nimmt in diesem Alter die Malfreudigkeit und – bereitschaft abrupt
ab.
Christa Meves dazu: „ Spontan – schöpferische Ausdrucksweisen gehen durch die immer
stärker werdende Dominanz eines kritschen Realismus stark zurück.
Die Themen der freien Zeichnungen tragen häufig auch einen betont aggressiven Akzent und
lassen die kommende Krisenzeit vorausahnen.“ Die Zeit der Vorpubertät und Pubertät ist
nach dem ersten Eingriff durch die Erwachsenen in die Kritzelwelt
die zweite große Krise in der Entwicklung der Kinderzeichnung. Sie
ist die sog. „ metrische“ Phase. Das Schulkind ist von seiner
Innenwelt immer mehr zur Aussenwelt gekommen. Es hat viel
gesehen und erfahren. In der Pubertät kommt wieder die Zeit, dass
ein In-sich-Kehren möglich und auch nötig wird.
Die Jugendlichen sehen immer mehr die Realität und werden im
Rahmen des Zeichenunterrichtes darauf hingewiesen. Sie versuchen
das Gesehene darzustellen. Aber ihre technischen Möglichkeiten
halten oft dem kritisch-realistischen Denken nicht stand. Nur ein echtes Zeichentalent
übersteht diese Phase. Dazu gehört ein spontan-schöpferischer Gestaltungswille.
Stephanie Hauser
www.webfamilie.com/artikel219.html
Entwicklung der Kinderzeichnung
Die Veränderung des Kinderbildes bis zur späten Kindheit
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Entwicklung > Kinderzeichnung
»Die Kraft, mit der ein Kind wird und wächst, ist es auch, die ihm die Hand führt bei
seinem Kritzeln und Malen.«
( Lebéus: Kinderbilder und was sie uns sagen )
Dieses Zitat sagt uns, dass man keinem Kind das Malen und Zeichnen beibringen muss, weil
die bildnerische Gestaltung ebenso einem Entwicklungsprozess unterliegt wie andere
Entwicklugsbereiche des Kindes auch. So, wie das Kind brabbelt und lallt, bevor es die ersten
Wörter sprechen kann, so, wie es krabbeln muss, bevor es sicher auf zwei Beinen läuft, so
differenziert sich auch die Bildsprache des Kindes nach eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Jeder Entwicklungsabschnitt wird dabei von jedem Kind auf individuelle Weise durchlebt,
wobei sowohl ein längeres Verweilen in einer Phase als auch das Überspringen von Phasen
völlig normal sind. Zeit- und Leistungsdruck führen zu keinerlei Verbesserungen, sondern
behindern im Gegenteil das Kind bei der Entfaltung seiner
Fähigkeiten.
Die folgende Zusammenfassung der verschiedenen
Entwicklungsphasen, die in einer Kinderzeichnung sichtbar werden,
enthalten zwar Altersangaben, diese sind aber als ermittelte
Durchschnittswerte zu verstehen, an denen Kinder keinesfalls
gemessen werden sollten.
Wer Kindern Anweisungen oder Ratschläge gibt, was und wie sie zu
malen haben, erfährt nichts über das Kind, denn die Bildersprache ist
eine Ausdrucksweise wie die Verbalsprache. Wie man auch das
Plappern und Brabbeln von Kleinkindern nicht einschränken darf, um
ihre Sprachentwicklung nicht zu gefährden, sollte man auch das
Kritzeln und Malen des Kindes nicht unnötig beeinflussen, wenn man
nicht riskieren möchte, dass seine Phantasie und seine Freude am
Malen womöglich für immer eingeschränkt werden. Das experimentierende Malen ist
wichtig, damit das Kind seine ganz eigene Bildersprache entwickeln kann und damit eine
ausdrucksstarke Kommunikationsform erwirbt. Das Kritisieren und Verbessern des
zeichnerischen Ausdrucks von Kindern hingegen führt dazu, dass die Kinder eine negative
Einstellung hinsichtlich ihrer Malfähigkeiten entwickeln und somit bald keinen Spaß mehr am
Malen haben. Offenbar passiert das sowieso früh genug bei den meisten Menschen, sei es
durch Einflüsse der sogenannten Kunsterziehung in der Schule oder durch die psychischen
Veränderungen während der Pubertät. Vermutlich sind aus diesem Grund die
Kinderzeichnungen für uns, die wir nicht mehr malen, derart interessant:
„Wenn Kinderzeichnungen Gegenstand unserer Neugierde sind, dann deshalb, weil es
keine Erwachsenenzeichnungen gibt. Der Erwachsene zeichnet nicht, wenn er kein
Künstler ist.“
(Widlöcher: Was eine Kinderzeichnung verrät)
Das einzig richtige Verhalten einem Kind in der Malentwicklung gegenüber ist also, ihm
geeignete Malwerkzeuge zur Verfügung zu stellen, zu denen es immer freien Zugang hat.
Kinder malen gerne in Gesellschaft, also kann man sich dazusetzen, auch etwas malen oder,
wenn das Kind möchte, sich unterhalten. Nach Fertigstellung des Bildes ergibt sich ein
interessanter Gesprächsanlass, denn die meisten Kinder sprechen gerne über ihre Werke. Es
sollte selbstverständlich sein, dass jedes Bild ohne jegliche Kritik angenommen und bestaunt
wird! Bei diesem Vorgehen ist sichergestellt, dass Kinder so lange wie möglich Freude am
Gestalten haben und ihre Fähigkeiten sich voll entfalten können.
Spurschmieren | ca. 0,7-1,6 Jahre
Als früheste Art des bildnerischen Ausdrucks von Kindern lässt sich das sogenannte
"Spurschmieren" bezeichnen: lange bevor das Kleinkind motorisch zum Halten
eines Stiftes in der Lage ist, produziert es Spuren, die bereits die Freude an der
Bewegung erahnen lassen, die einige Monate später auch Antrieb für die ersten
Versuche mit Stiften und Papier sein wird. Kleinkinder hantieren in dieser Phase
gerne mit allen flüssigen und teigigen Materialien (Wasser, Brei, Sand, Schnee, aber
auch Kot), was aber von Seiten der Erwachsenen aufgrund des hohen Schmutz- und
Fleckenfaktors meistens stark eingeschränkt wird und mit wenig positiven
Reaktionen bedacht wird.
Kritzeln | ca. 1,0-3,0 Jahre
An das Schmieren schließt sich eine für Erwachsene tolerierbarere Form des
Spurenhinterlassens an: sobald das Kleinkind fähig wird, einen Stift zu ergreifen,
produziert es auf verschiedenen Flächen (wenn man viel Glück hat, auch mal
tatsächlich auf einem dafür vorgesehenen Papier ;)) verschiedenartige Kritzel,
die aus den rhythmischen und schwungvollen Arm- bzw. Handbewegungen des
Kindes entstehen. Die Spur, die diese motorische Tätigkeit hinterlässt, ist dabei
zunächst noch bedeutungslos für das Kind; sie wird nicht bemerkt und hat keinerlei
regulierenden Einfluss auf die Tätigkeit des Kritzelns, das vom Kind noch völlig
unkontrolliert ausgeführt wird. Daher sind Kritzelbilder noch Zeichnungen ohne
Inhalte. Zunächst kann das Kind auch weder vor noch nach dem Kritzeln angeben,
was sein Bild darstellen sol, denn es malt ja nur aus Freude an der rhythmischen
Bewegung. Irgendwann jedoch entdeckt das Kind den Zusammenhang zwischen
seiner Aktivität und der entstehenden Spur auf der Unterlage. Von jetzt an ist die
Sichtbarkeit des Gekritzelten für das Kind wichtig. Es hat erkannt, dass es mit dem
Stift etwas bewirken kann, der Umwelt etwas von sich "aufdrücken" und eine "IchSpur" hinterlassen kann.
Da das Zeichnen eng an die motorische Entwicklung gebunden ist, drücken sich im
Kritzeln die Rhythmen der motorischen Entwicklung aus und in der folgenden Zeit
entstehen unterschiedliche Kritzelereignisse durch die Verlagerung der
Zeichenbewegung vom Schulter- in die Fingergelenke. Die folgenden
"Kritzelphasen" stellen Durchschnittsalter dar, in dem ein Kind sein
Kritzelrepertoire um charakteristische Formen erweitert. Es kommen aber immer
mehrere dieser Gebilde gleichzeitig vor und es existieren auch weitere zufällige
Formen wie lange Linien oder Ecken:
Hiebkritzeln, ab ca. 1,0-1,3 Jahre:
Die Arme werden mit dem Stift in der Hand vom Schultergelenk
aus bewegt. Das Kind erkennt den Zusammenhang zwischen seiner
Bewegung und den geschaffenen Zeichen noch nicht.
Schwingkritzeln, ab ca. 1,3-1,8 Jahre:
Das Schwingkritzeln ist die am längsten vorherrschende Form des
Kritzelns. Aus dem Ellbogengelenk heraus entstehen
gleichgerichtete, dichte Strichlagen in der Mitte des Blattes.
Kreiskritzeln, ab ca. 1,9-1,11 Jahre:
Das Kritzeln erfolgt jetzt bereits aus dem Handgelenk heraus, so
dass das Kind zu einer differenzierteren, gelenkteren Bewegung
fähig ist. Es entstehen kreis- und spiralförmige Gebilde ("Urknäuel"
genannt).
Bezüglich der Farbgebung steht in der Kritzelphase eine wahllose Verwendung
aller gegebenen Stifte und Farben im Vordergrund. Malt das Kind mit Wasserfarben,
streicht es unbekümmert mehrere Farbschichten übereinander und stört sich nicht an
dem entstehenden unansehnlichen Braunton.
Die Verteilung der Elemente auf der Zeichenfläche verändert sich von einer
massierten Häufung über eine verstreute Verteilung zu einer bewussten Isolierung in
Einzelformen, sobald das Kind in der Lage ist, den Stift willentlich abzuheben und
neu anzusetzen.
Von diesem Zeitpunkt an kann das Kind auch wiederholbare
Zeichen und Überschneidungen produzieren wie das "Urkreuz",
welches in der folgenden Zeit auf vielen Bildern des Kindes einen
Niederschlag findet und auch einen Übergang zu differenzierteren
Darstellungen herstellt (siehe "Kopffüßler"). Auch die Fähigkeit, ein kreisartiges
Gebilde zu einem geschlossenen Kreis zusammenzuführen, weist auf das Ende der
Kritzelphase hin (um das dritte Lebensjahr herum).
Die letzte Etappe der Kritzelphase wird
eingeleitet, wenn das Kind mit frühestens 2,5
Jahren beginnt, seine Zeichnungen zu
kommentieren. Der Zeitpunkt der Benennung
des Gemalten verlagert sich dabei zunehmend
nach vorne; zunächst gibt das Kind seinen
Zeichnungen erst nachträglich eine Bedeutung
(weil die Erwachsenen ja immer nachfragen ;))
und erzählt etwas über sein Bild, dann äußert es
sich bereits während des Zeichenvorgangs und
schließlich vor Beginn des Malens. Insgesamt
ist diese Bedeutungsgebung aber noch ziemlich Kritzeln mit nachträglicher
instabil - ein und dasselbe Bild kann innerhalb Bedeutungsgebung: "Krokodil mit
Zunge, das einen Fisch frisst und
von kurzer Zeit verschiedene Bezeichnungen
und Beschreibungen erhalten. Es besteht auch meine Unterschrift".
noch eine sehr große Diskrepanz zwischen der (Joyce, 3,7 Jahre)
vom Kind verbal vermittelten Bedeutung und dem Liniengefüge auf dem Papier, das
meistens alles mögliche darstellen könnte. Daran ist erkennbar, dass das Malen
gegen Ende der Kritzelphase noch immer sehr stark bewegungsdeterminiert ist und
weniger eine darstellerische Wiedergabe bezweckt. Sobald aber die motorische Lust
als Motiv hinter die Darstellungsabsicht zurücktritt, tritt das Kind in die nächste
Phase seiner Malentwicklung ein, die durch die sogenannten "Kopffüßler"
charakterisiert ist.
Kopffüßler | ca. 3/4-5 Jahre
Der Kopffüßler gehört zu den ersten Mensch- oder
Lebewesendarstellungen des kleinen Kindes. Er entsteht nach und
nach aus den sogenannten Tastkörpern, bei denen viele Fühler und
Taster von einem kreisartigen Gebilde in alle Richtungen
ausgehen. Von den Erwachsenen werden diese Strahlengebilde oft
Tastkörper
als "Sonne" betitelt. In der Forschung zur Kinderzeichnung wird
hingegen nicht davon ausgegangen, dass das Kind eine Sonne zeichnen will, sondern
dass es unbewusst in der Gestalt seinen eigenen Entwicklungsstand ausdrückt, der in
diesem Alter durch eine deutliche Hinwendung zur Außenwelt (weg vom
egozentrischen Selbst) gekennzeichnet ist. Es meint also mit den Tastkörpern mehr
ein Tasten, Strahlen, Fühlen und Aufnehmen als ein bestimmtes Objekt aus seiner
Umgebung.
In der Zeit zwischen dem dritten und vierten
Lebensjahr reduziert das Kind schließlich die
Anzahl der Fühler des Tastkörpers, bis nur noch
zwei bis vier übrig bleiben: die erste
Menschdarstellung wird, häufig zusätzlich mit
Teilen des Gesichts versehen, erschaffen. Diese
Kopffüßler zeichnen sich - wie ihr Name schon sagt
- also dadurch aus, dass sich die Beine des
Lebewesens direkt an den Kopf anschließen,
Kopffüßler mit
während der Rumpf fehlt. Oft werden zusätzlich
Gesichtsandeutung.
Arme vom Kopf ab gezeichnet.
(Melanie, 3,10 Jahre)
Für diese interessante Abweichung von der
Menschenform, die ja fast alle Kinder für gewisse Zeit produzieren, werden
verschiedene mehr oder weniger plausible Erklärungsansätze diskutiert:
Das Kind weiß nicht, dass es einen Bauch gibt und vergisst, ihn
einzuzeichnen, weil er ihm nicht bedeutsam ist.
Diese Möglichkeit halte ich für eher unwahrscheinlich, weil gerade der Bauch dem
Kind von Geburt an unangenehme Signale vermittelt wie Hunger oder Bauchweh.
Zudem wurde in Studien herausgefunden, dass bereits Kinder, die noch keine
Kopffüßler zeichnen (also noch jünger sind), auf Nachfrage den Bauch als
Bestandteil des menschlichen Körpers nennen können.
Der Bauch der Figur liegt zwischen den Beinen, ohne dass seine untere
Grenze markiert wird.
Für diese Annahme spricht, dass die meisten Kinder, die in Studien aufgefordert
wurden, einem Kopffüßler einen Nabel hinzuzufügen, diesen in den Leerraum
zwischen den Beinen platzierten. Einige wenige Kinder setzten den Nabel auch in
den Kopfkreis der Figur, was bedeuten würde, dass sie den gesamten Körper
abgesehen von den Extremitäten einfach als ein "Ganzes" zeichnen. Am besten, man
probiert selber mal, von einem Kopffüßler-zeichnenden Kind Hinweise über die
Lage des Bauches zu bekommen, indem man es Bauchnabel oder Knöpfe
einzeichnen lässt! Bitte lasst mich in diesem Fall an den Ergebnissen des kleinen
Experiments teilhaben und schickt mir eine Mail mit dem Ergebnis!
Danke an Susanne für den ersten
Bauchnabeltest, durchgeführt mit Leonie, 2,1
Jahre. Der Bauchnabel wurde von ihr nach
einigem Überlegen im "Gesicht" lokalisiert.
Eine weitere Hypothese geht davon aus, dass sich der Kopffüßler deshalb solange
in den Zeichnungen der Kinder halte, weil er wahrnehmungsmäßig plausibel
erscheint: obwohl jeder Erwachsene weiß, dass der Mensch objektiv falsch
gezeichnet wurde, kann er doch sofort erkennen, dass es sich überhaupt um einen
Menschen handelt. Für das Kind selber mag die Plausibilität zusätzlich daher rühren,
dass es Erwachsene, die sich zu ihm herunterbeugen, genau wie einen Kopffüßler
wahrnimmt: ein großer Kopf mit an der Seite baumelnden Armen auf zwei Beinen.
Da das Kind ja aber nicht nur Erwachsene um sich hat, finde ich diese Ansicht
ebenfalls etwas fragwürdig.
Es ist auch denkbar, dass der Rumpf einfach aus sozusagen ökonomischen
Gründen fehlt: das ungeübte Kind fängt seine Zeichnung mit einem viel zu großen
Kopfkreis an, was dazu führt, dass für den Rumpf, der ja proportional noch viel
größer sein müsste, nicht mehr auf das Papier passt. Ungeklärt bliebe dabei
allerdings, warum das Kind es nicht innerhalb der nächsten Versuche besser
hinbekommt oder einfach sofort mit besserem Wissen ein neues Blatt anfängt?!
Neben der Menschdarstellung werden die Elemente
des Kopfkreises und der Taster oder Strahlen auch
zur Darstellung von Tieren genutzt. Deshalb wird in
diesem Zusammenhang auch von einem "ersten
Lebewesenschema" gesprochen. Am Ende der
Kopffüßler-Phase wird allerdings eine
Umstrukturierung der Schemata notwendig, um die
Mitteilungsinhalte der Zeichnungen - die ja für das
Kind eine wachsende Rolle zu spielen beginnen varrieren zu können; das Kind fängt an, neben
Exakt ein Jahr nach der obigen
Kreisen und Strichen andere Formen wie etwa
Kopffüßler-Menschdarstellung
Quadrate zu produzieren und für seine
malt dasselbe Kind einen
Darstellungsabsicht zu nutzen. Es bilden sich aus
Menschen mit Bauch.
den beherrschten Grundformen neben Lebewesen
auch Häuser mit Fenstern, Autos und Bäume. Das (Melanie, 4,10 Jahre)
Kind tritt zeichnerisch in die Vorschemaphase ein. Der Kopffüßler verschwindet
zugunsten einer realistischeren Menschdarstellung.
Vorschemaphase und Werkreife | ca. ab 4 Jahre
Gegen Ende des vierten Lebensjahres lernt das Kind, die Figuren auf seinem Bild zu
organisieren. Man spricht in dieser Phase von der "Geburt des Bildes", weil die
Kinderzeichnung nun zunehmend wie eine bestimmte Szene aufgebaut ist und etwas
erzählen kann. Auf dem Weg zur Werkreife weist die Zeichnung eines Kindes
besondere Merkmale auf:
Die einzelnen Elemente werden an den
Koordinaten oben und unten sowie rechts und links
des Blattes ausgerichtet, es entsteht das sogenannte
Streifen- oder Linienbild, indem das Kind,
meistens zu Beginn seines Kunstwerks, die
typischen Himmels- und Grundlinien einzeichnet.
Manchmal werden auch mehrere Standlinien
benutzt, um einen Sachverhalt darzustellen
Deutliche Himmels- und
(Mehrstreifenbild).
Graslinien, sowie
Eine Binnendifferenzierung der einzelnen
Binnendifferenzierungen an
Elemente findet statt, d.h. in den gezeichneten
vielen Objekten.
Objekten sind immer mehr Details enthalten, die
( Melanie, ca. 6 Jahre)
eine wirkliche Ähnlichkeitsbeziehung zwischen
realem und gezeichnetem Objekt sicherstellen. Hierzu gehören z.B. die
Ausdifferenzierung des menschlichen Gesichts durch Wimpern, Augenbrauen und
Haare, das Hinzufügen von Schornsteinen zu Häusern oder von Früchten und Ästen
zu Bäumen.
Das Kind weitet sein Repertoire an dargestellten
Objekten aus. Am Ende dieser Phase kann es neben
Menschen auch Kleider, Häuser, Bäume, Wege, Wolken,
Autos, Fahrräder, Schiffe, Flugzeuge und viele Tiere (v.a.
Vögel, Hunde, Katzen, Pferde, Fische) in seine Bilder
einbauen.
Die Bilder des Kindes erhalten eine nachweisbare
Handlungs- und Erzählstruktur. Dies bedeutet, dass das
Kind die dargestellten Objekte in Beziehung zueinander setzt
- das Bild stellt eine ganze kleine Szene dar!
Auch die Farbgebung erhält im Laufe des vierten
Lebensjahres eine immer größere Bedeutung für die Inhalte Ein Bild, das zur
Vorschema-Phase
der Zeichnung, denn Farben werden emotional
gerechnet werden
wahrgenommen und vermitteln Stimmungen. Sobald das
könnte.
Kind diese Entdeckung gemacht hat, nutzt es Farbe gezielt
(Lara, 4,10 Jahre)
für Gefühlsdarstellungen oder Bewertungen.
Nach dem 5. Lebensjahr spricht man von der "Werkreife" der Kinderzeichnung: die
Entwicklung von Motiven und die Bildorganisation sind zu einem vorläufigen
Abschluss gekommen, das Kind hat die grundlegenden graphischen Merkmale von
Personen und Gegenständen erarbeitet. Danach wird das Bild zwar noch
detailreicher und weist mehr Verknüpfungen auf, aber es treten keine prinzipiell
neuen zeichnerischen Ereignisse mehr ein.
Trotzdem macht die Kinderzeichnung auf dem Weg zur nächsten
Entwicklungsphase noch einige Veränderungen durch:
Um den Schuleintritt des Kindes herum gewinnt die Kinderzeichnung an
Unverwechselbarkeit. Jedes Kind bildet jetzt seine ganz spezifischen, auf seinem
individuellen Erfahrungsschatz beruhenden Formvarianten und Bildkonzepte. In den
vorhergehenden Phasen fand noch keine dahingehende intellektuelle Überarbeitung
von Erfahrungen statt, die nun beginnen, die Darstellungsweise des Kindes zu
beeinflussen. Die Kinderzeichnung gewinnt jetzt auch an Ausdruck und
Mitteilungsgehalten, weil das Kind die Motive und die Organisationsstruktur seines
Bildes je nach emotionaler oder motivationaler Aussage anpasst.
Auch das Kind selber wird sich der Kommunikationskraft einer Zeichnungen
stärker bewusst und registriert die Verstehensabsicht und -Bereitschaft des
Betrachters. Es versucht daher, die Inhalte seiner Zeichnung so zu verändern, dass
(oder bis) sie von seinem Gegenüber verstanden werden.
Schemaphase I | ca. 5 bis 8 Jahre
Merkmale dieser Phase der Kinderzeichnung in der mittleren Kindheit sind unter
anderem:
Als besonderes Stilmerkmal der
Kinderzeichnung tritt jetzt das "Röntgenbild" auf:
das Kind stellt optisch erkennbare und aktuell nicht
sichtbare Bildebenen gleichzeitig dar, indem es
Objekte transparent erscheinen lässt. Z.B. werden
die Umrisse eines Hauses gezeichnet, während
gleichzeitig Vorgänge im Haus eingezeichnet
werden. Die Wand des Hauses ist also transparent.
So gewährt das Kind Einblick in das Innenleben von Röcke als Röntgendarstellung;
dennoch vermutlich kein
Koffern, Häusern, Körpern usw..
Die Größe und Anordnung von Motiven im Bild "echtes" Röntgenbild (Klick
auf Bild für weitere
folgt oft nicht der äußeren, sondern der inneren
Erklärung).
Realität des Kindes: so werden jene Anteile der
(Melanie, 5,6 Jahre)
Zeichnung, die dem Kind besonders bedeutsam
erscheinen (bewusst oder unbewusst) auffallend groß, detailreich oder mittig
angeordnet gezeichnet.
Schemaphase II | ca. 8 bis 12 Jahre
In der späten Kindheit verändert sich das zeichnerische Verhalten des Kindes
nocheinmal. Nach dieser Phase hören leider viele Kinder für immer auf, freiwillig zu
malen, so dass die allgemeine Entwicklung der Kinderzeichnung hier als
abgeschlossen betrachtet werden muss. Tendenzen und Merkmale dieser letzten
Phase sind:
Verschiedene
Die Bilder der Kinder werden detailreicher, so
Häuserdarstellungen.
dass die Ähnlichkeit zwischen dem gezeichneten (Melanie, 4,3 - 7 Jahre)
und dem realen Objekt noch einmal beträchtlich zunimmt. So werden z.B.
Menschen, Tiere und Häuser um viele individuelle Einzelheiten ergänzt, so dass
nicht mehr jedes Haus, das das Kind malt, gleich aussieht, sondern vielmehr die
reale Unterschiedlichkeit von Häusern (Menschen, Tieren...) zu berücksichtigen
vermag.
Zunehmend beachtet das Kind die Größenrelationen in seinem Bild. Weiter
vom Betrachter entfernt liegende Objekte werden entsprechend kleiner im oberen
Berich des Bildes dargestellt. Das sogenannte "Steilbild" oder "Horizontbild"
entsteht.
Außerdem versucht das Kind ab etwa 10 Jahren, die dritte Dimension in seine
Darstellungen einzubeziehen. Tische z.B. erhalten eine von der Seite sichtbare
Tiefendimension, indem die Tischoberfläche perspektivisch eingezeichnet wird.
Ein recht typisches Steil- oder Objekte mit dritter Dimension
Horizontbild.
(Tische, Schrankfächer)
(Melanie, ca. 9 Jahre)
(Melanie, 11 Jahre)
Gegen Ende der zweiten Schemaphase treten
hochformale Zeichnungen auf, z.B. Grundrisse von
Gebäuden oder Querschnitte von Schiffen.
Des weiteren neigen manche Kinder in ihren Zeichnungen
nun zu Karikierungen, Übertreibungen und
Ironisierungen, die mit einer Vergröberung des
Einzelobjekts einher gehen. Möglicherweise steht hinter
dieser Darstellungsform die Angst vor unzulänglicher
realistischer Wiedergabe, letztlich also eine Unsicherheit
bezüglich der eigenen künstlerischen Fähigkeiten. Dies kann
sogar so weit gehen, dass Kinder in ihre Bilder lieber
Sprachelemente einfügen, anstatt das gemeinte Objekt zu
zeichnen. Hiermit deutet sich bereits das Ende des
"Malalters" an.
Ausschnitt einer
sogenannten
"hochformalen"
Zeichnung
(Grundriss), die
allerdings nach der
Schemaphase II, im
Jugendalter,
entstanden ist.
(Melanie, ca.14
Jahre)
Bildergalerie |
Literatur:
Lebéus, A.: Kinderbilder und was sie uns sagen. Weinheim 2001.
Richter, H.-G.: Die Kinderzeichnung. Berlin 1995.
www.knetfeder.de/kkp/malen.html
Zusätzlich Informationen für Interessierte:
Kindergartenpädagogik
- Online-Handbuch Herausgeber: Martin R. Textor
Startseite
Aus: Handbuch für ErzieherInnen. Mit freundlicher Genehmigung des mvg-verlages,
Landsberg am Lech
Was eine Kinderzeichnung verrät
Margarete Blank-Mathieu
1. Kinderzeichnungen unter entwicklungspsychologischen und persönlichen Aspekten
Wer Kinderzeichnungen beurteilen will, muß sich zunächst mit den entwicklungsbedingten
Möglichkeiten auseinandersetzen, die Kinder in die Lage versetzen, sich durch Bilder
ausdrücken zu können.
Die Darstellung von Menschen, Tieren und Gegenständen unterscheidet sich so zum einen
durch entwicklungsbedingte Reifungsprozesse, und zum anderen durch die zur Verfügung
stehenden Strukturen, z.B., ab wann Kinder die Möglichkeit bekommen, sich durch Stifte und
Papier zeichnerisch auszudrücken, wie die Entwicklung von grob- und feinmotorischen
Bewegungsabläufen dazu in Zusammenhang steht und welche Rahmenbedingungen wir
Kindern zum freien Malen zur Verfügung stellen.
Kinder, die sehr früh Stifte und Papiere unterschiedlichster Größe und Farbe zur Verfügung
haben, werden bald zu malen beginnen, ihre Handgeschicklichkeit wird deshalb früher
trainiert, ihre Bewegungen werden sicherer und großzügiger, sie experimentieren mit Farben
und Formen und bilden bald einen eigenen Malstil aus. Dagegen haben Kinder, denen nur
einzelne Farben und kleine Blätter zur Verfügung stehen es schwerer, großflächig zu malen,
grob- und feinmotorische Fähigkeiten gleichermaßen auszubilden.
So sind schon die strukturellen Voraussetzungen zum Malen kritisch zu beurteilen, wenn
Kinder keine altersgemäßen Malstil haben. Es darf also nicht nur nach
entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten vorgegangen werden, wenn wir
Kinderzeichnungen vor uns haben, sondern es muß auch das persönliche Umfeld des Kindes
in die Beurteilung einbezogen werden.
In unseren Tageseinrichtungen stehen den Kindern in der Regel vielerlei zeichnerische
Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Sie können sowohl mit Pinsel und Farbe, als auch
mit unterschiedlichen Stiften malen. Es gibt in den Einrichtungen Wachsmalkreiden,
Buntstifte, Filzstifte und Fingermalfarben. Wir stellen verschieden große und von der Form
und Farbe unterschiedlich strukturierte Papiere zur Verfügung. Sie können damit selbständig
umgehen und entwickeln dann im Lauf der Zeit eine altersgemäße und persönlich geprägte
"Zeichensprache".
2. Entwicklung der Kinderzeichnung nach Piaget
In der 18. Lieferung des Handbuches befindet sich eine ausführlichere Darstellung der
Malentwicklung. Ich will deshalb hier nur noch einen kurzen Überblick anfügen.
Es gibt eine Reihe von Testverfahren, nach denen die Zeichenentwicklung Auskunft über die
intellektuelle Reife geben soll. Andere "Zeichentests" sollen Auskunft über psychische
Probleme von Kindern vermitteln oder Psychologen über die Familienproblematik
unterrichten. Solche Testverfahren sind zum Teil umstritten, gehören aber in jedem Fall in die
Hand von Fachleuten und sollten von Laien nicht dazu benützt werden, um schnelle
Interpretationsmuster an die Hand zu bekommen. Deshalb will ich hier auch nicht näher auf
diese eingehen.
Da jeder Vergleich und jede Beurteilung sich mit vielerlei Elementen auseinandersetzen muß
und nicht einlinear auf bestimmte Merkmale festgelegt werden darf, sollten wir im
pädagogischen Bereich auf solche Testverfahren verzichten und die Kinderzeichnung eher vor
dem Hintergrund der Ausdrucksförderung und Förderung der individuellen Fähigkeiten des
Kindes betrachten. Dennoch ist ein Grundwissen über die Malentwicklungsstufen wichtig.
Die Entwicklung des Zeichnens bezogen auf die kognitiven Entwicklungsphasen nach Piaget
(aus: Di Leo, Joseph: Die Deutung der Kinderzeichnung, 1992, S. 43)
Alter
Zeichnung
Kognition
0-1
Reflexreaktion
auf visuelle Stimuli. Stift wird an
den Mund geführt; Kind zeichnet
nicht
Sensorisch-motorische
Phase
Kind handelt reflexhaft.
Denkt motorisch. Bewegung
wird mit der Errichtung
kortikaler Kontrolle
allmählich zielgerichtet.
1-2
Im Alter von 13 Monaten: erstes
Kritzeln: Zick-Zack-Linie. Kind
beobachtet die Markierungen auf
der Oberfläche zurücklassende
Bewegung. Kinästhetische
Zeichnung.
2-4
Kreise werden vorherrschend, dann
einzeln gezeichnet. In einem
zufällig gezeichneten Kreis sieht
das Kind einen Gegenstand. Das
erste graphische Symbol wird
gewöhnlich im Alter von drei bis
Das Kind beginnt,
symbolisch zu denken.
Sprache und andere Formen
symbolischer
Kommunikation spielen
eine wichtige Rolle. Die
vier Jahren gezeichnet
Sicht des Kindes ist stark
egozentristisch. So-tun-alsob-Spiele.
4-7
Intellektueller Realismus
Zeichnet ein inneres Modell, nicht
was tatsächlich gesehen wird.
Zeichnet Teile, von denen es weiß,
dass sie da sind. Zeigt Menschen
durch Schiffsrümpfe hindurch.
Transparenzen. Expressionistisch.
Subjektiv.
Präoperationale Phase
(intuitive Phase)
Egozentristisch. Sieht die
Welt subjektiv. Lebhaftes
Vorstellungsvermögen.
Phantasie. Neugier.
Kreativität. Konzentriert
sich auf jeweils nur ein
Merkmal. Arbeitet intuitiv,
nicht logisch.
7-12
Visueller Realismus
Subjektivität nimmt ab. Zeichnet,
was tatsächlich da ist. Keine
Röntgen-Technik (Transparenzen)
mehr. Menschliche Figuren sind
realistischer, proportionierter.
Realistischere Farben.
Unterscheidet rechte von linker
Seite der gezeichneten Figur.
Phase konkreter
Operationen
Denkt logisch. Nicht mehr
von unmittelbaren
Wahrnehmungen
beherrscht. Konzept der
Umkehrbarkeit: Gleiche
Dinge bleiben gleich, auch
wenn sich ihre Erscheinung
verändert haben mag.
12+
Mit der Entwicklung kritischen
Urteilsvermögens verlieren die
meisten das Interesse am Zeichnen.
Die Begabten behalten es
tendenziell bei.
Phase formaler Operationen
Betrachtet seine Produkte
kritisch. ist fähig,
Hypothesen zu erwägen.
Kann über Ideen, nicht nur
über konkrete Aspekte einer
Situation nachdenken.
3. Kinderzeichnungen sind "Briefe" von Kindern
Kinder bringen in ihren Bildern immer bestimmte Vorstellungen, die sie von ihrer Welt haben
zum Ausdruck. Sie haben Freude an der Bewegung, die mit der Erfahrung, dass ein Produkt
entsteht, einhergeht. Dies wird vor allem bei der Kritzelphase deutlich. Der Stift, der über das
Papier fährt, hinterläßt Linien, Striche und Punkte. Das Kind ist dabei Schaffer und Gestalter.
Das erfüllt es mit Freude und Stolz. Der geliebten Mutter oder einer anderen anwesenden
Person wird dieses Produkt mit Begeisterung vorgeführt und als Geschenk übergeben. Wenn
Erwachsene in seiner Gegenwart schreiben, will es das auch tun. Es verbindet damit die
Botschaft: Ich kann etwas schaffen, ich kann mich mitteilen.
Später wird das Bild als Geschenk bewußt eingesetzt. Das Kind malt einen Brief. Es "erzählt"
Geschichten, zeigt, was es gerade tut, stellt dar, was es sich wünscht und vermittelt damit ein
Bild seiner Wahrnehmung und Vorstellung. Jede Kinderzeichnung beinhaltet Selbstaussagen
des Kindes. Eine vorschnelle Deutung wäre jedoch nicht wünschenswert, reduzieren wir so
doch das Bild leicht auf eine eigene Interpretation. Deshalb müssen wir neben der einmaligen
Kinderzeichnung auch einige weitere Informationsquellen haben.
3.1 Sprechen und Malen
Beim Malen werden Kinder in der Regel auch alles kommentieren, was sie gerade tun. Sie
erzählen, was sie vorhaben, überlegen laut, wo noch etwas fehlt, welche Farbe sie gerade
suchen und ob das, was sie gezeichnet haben, ihren Vorstellungen entspricht. Wir erfahren
dabei viel mehr, als auf der Zeichnung später zu sehen ist, vorausgesetzt, das Kind fühlt sich
unbeobachtet und ist im sprachlichen Ausdruck so sicher, dass wir es verstehen können. Oft
murmeln Kinder vor sich hin und ein Zuhörer kann diese undeutlichen Worte wieder nur
interpretieren.
In unseren Einrichtungen malen Kinder oft gemeinsam. Sie erzählen sich gegenseitig, was sie
tun, übernehmen Motive von anderen Kindern, experimentieren mit Farben und Formen,
versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen und kommunizieren, indem sie Bilder anfertigen.
Auch solche Bilder haben einen Mitteilungscharakter. Wir müssen jedoch bedenken, dass sie
im Dialog entstanden sind und neben "eigenen" Bildern auch fremde Motive enthalten
können.
Und zum dritten können wir Kinder auch nach ihren Bildern fragen. Dies sollte jedoch sehr
vorsichtig und nicht interpretativ passieren. Zunächst fragen wir das Kind, was es für eine
Geschichte auf dem Bild aufgeschrieben hat. Diese Frage zeigt, dass wir interessiert sind,
etwas von der Entstehungsgeschichte und der Botschaft, die das Kind durch die Zeichnung
ausdrückt zu erfahren. Es verhindert auch, dass wir zum Ausdruck bringen, wir könnten die
dargestellten Dinge und Menschen nicht erkennen.
Kinder wissen manchmal allerdings selbst nicht, was sie darstellen wollten. Wir sollten sie
nicht drängen, etwas über ihre Bilder zu erzählen, sondern sie ermutigen, indem wir zeigen,
dass wir an dem Bild interessiert sind, z. B.: "oh, sind das aber schöne Farben", oder: "ich
sehe ganz viele Kreise und Zacken auf deinem Bild". Das Kind kann uns dann weitere
Auskünfte dazu geben, wenn es dies möchte.
Wenn Kinder uns etwas erzählen, können wir sie auch ermuntern, dies noch zu malen.
"Kannst du mir ein Bild von euerem Ausflug malen?" oder: "wie sieht dein großer Freund zu
Hause eigentlich aus? Kannst du ihn malen?"
3.2 Reihen von Kinderzeichnungen
Kinder malen oft lange Zeit immer wieder die gleichen Bilder. Auch dies hat eine Bedeutung
für das Kind. Wir sollten es dabei nicht korrigieren. Allerdings ist es wichtig, das Kind zu
beobachten und eine Malentwicklung aufzuzeigen. Gibt es neue Elemente, die hinzugefügt
werden, verwendet es andere Farben oder ergänzt es Gegenstände? Wenn wir eine Reihe von
Bildern (mit Datum versehen) aufheben, erfahren wir auch etwas über die kognitive und
kreative Entwicklung. Ein Kind, das über lange Zeit keine neuen Elemente in seinen Bildern
einfügt, ist vielleicht auch in seiner kognitiven Entwicklung an einem Punkt stehen geblieben.
Oder es hat momentan völlig andere Interessen, die es vom Malen abhalten. Um die
Malentwicklung über einen längeren Zeitraum verfolgen zu können, müssen wir versuchen,
Bilder eines Kindes zu sammeln und nach Datum zu ordnen. Vor allem bei Kindern, über die
wir uns Gedanken machen, weil sie problematisch erscheinen geben solche Bilderreihen
eventuell Aufschluß über die Entwicklung eines Problems.
Dafür müssen wir aber wieder die "normale" Malentwicklung kennen. Wie werden Menschen
und Bäume oder Häuser in den verschiedenen Entwicklungsstufen dargestellt? Ist die neue
Entwicklung einfach eine altersgemäße Fortentwicklung oder hat der Rückfall in eine frühere
Phase etwas Bedrohliches?
Wenn wir die Malentwicklung vom Kopffüßler zum Profilmenschen oder die Entwicklung
der Darstellung von Bäumen etc. näher kennenlernen wollen, so sollten wir uns in dem
beiliegenden Literaturverzeichnis nach weiterführender Literatur umsehen (vor allem Bareis,
Alfred: Vom Kritzeln zum Zeichnen und Malen, Donauwörth 1989). In Bibliotheken oder
Buchhandlungen finden sich ebenfalls solche Bücher.
3.3 Wahrnehmung und Symbole
Kinder haben eine individuell unterschiedliche Wahrnehmung. Ihre Bilder sind, vor allem in
der Kindergartenzeit keine realistische Abbildung der Wirklichkeit. Jedes Kind hat seine
eigene Wirklichkeit, die es darstellt. Und die Bedeutung einzelner Gegenstände oder
Gliedmaßen wird durch besondere Farbgebung oder Größe unterstrichen. Auch die
Reihenfolge der Zeichnung und die Plazierung haben eine unterschiedliche Bedeutung.
Das Kind zeichnet nicht die Wirklichkeit, sondern bildet ein "inneres Modell" ab. Eben die
Wirklichkeit, wie sie ihm persönlich erscheint. Wenn zum Beispiel eine Kuh gemalt wird, so
ist für das eine Kind der Schwanz das Wichtigste (es hat die Kuh beobachtet, wie es die
Fliegen mit seinem Schwanz vertrieb), ein anderes Kind hält das Euter für wichtiger, wieder
ein anderes betont die Hörner der Kuh oder zeichnet das Kalb in den Kuhkörper. Meist hängt
das mit seinen eigenen Erfahrungen oder seinem Wissen, das es über die Kuh hat zusammen.
Dasselbe gilt bei allen Darstellungen, seien es nun Menschen, Tiere oder Gegenstände. Erst
ab dem Schulalter wird dem Kind eine möglichst realistisch Darstellung wichtig. Der
individuelle Malstil wird dann aber auch deutlicher, die Farbgebung realistischer, eine
besondere Malbegabung sichtbar.
Dass Kinder im Kindergartenalter vor allem Häuser, Bäume, Blumen und Menschen malen ist
ein Ausdruck der Symbolkraft der Zeichnungen. Häuser stehen für Geborgenheit, Bäume und
Blumen für die lebendige Kreatur, Menschen für soziale Beziehungen. Wie Kinder diese
Symbole darstellen sagt etwas über ihre Gefühle aus. Wie und mit welchen Farben malen sie
Häuser, Natur und Menschen? Regnet es oder scheint die Sonne? Wird das Bild
ausgeschmückt oder erscheint es leer?
Es gibt eine Vielzahl von Symbolen in Zeichnungen, die vor allem für die Therapie kranker
Menschen bedeutungsvoll sind. Bei Kinderzeichnungen ist auch immer eine Entwicklung zu
beobachten und der kreative Umgang und experimentelle Phasen mit Stiften, Papier und
Darstellung spielen ebenfalls eine Rolle. Gmelin, Otto F.: "Mama ist ein Elefant", die
Symbolwelt der Kinderzeichnung, Stuttgart 1978 gibt über die Bedeutung der Farben und
Symbole weitere Auskünfte.
Auch der Bildraum (Mitte, oben, unten, rechts, links) enthält eine Symbolik besonderer Art.
(Teegen, Frauke: Die Bildersprache des Körpers, Reinbek 1992 , S. 59-64 über die
Bedeutung des Bildraumes) Je gesünder ein Mensch ist, desto ausgewogener erscheint das
Bild, um so reicher ist die Darstellung der Farben. Ein normales, gesundes Kind nutzt fast alle
Farben, die ihm angeboten werden. Gerade bei der Beurteilung eines Bildes in Bezug auf die
verwendeten Farben sollte man jedoch vorsichtig sein. Warum hat das Kind das Gesicht des
Vaters wohl grün gemalt? Ist das nicht ein Alarmzeichen? Es könnte sein, dass grün seine
Lieblingsfarbe ist oder, dass die anderen Kinder alle Farben mit Beschlag belegt hatten und es
zu schüchtern war, um um eine andere Farbe zu bitten. Warum malt ein anderes Kind alles
lila? Vielleicht ist es eine Farbe, die es sonst nicht zur Verfügung hat und es freut sich an der
neuen Farbe?
Bei gesunden Kindern sollte man sowohl die Verwendung von Farben als auch die
Einbeziehung von Symbolen nicht sofort interpretieren. Zum ersten kann uns das Kind
vielleicht eine "einfache" Erklärung dafür bieten, zum anderen sollten wir die kindlichen
Zeichnungen über einen längeren Zeitraum beobachten.
Die Deutung von Zeichnungen ist eine Wissenschaft für sich und kann von Laien nur als
Interpretationshilfe verwendet werden, jedoch keine tiefenhermeneutischen
Interpretationsmöglichkeiten bieten. Das sollten wir Fachleuten überlassen.
4. Was steht in den Briefen von Kindern?
Einige Mitteilungen in Kinderzeichnungen sind bereits angesprochen worden. Kinder malen
in der Regel zunächst aus reinem Vergnügen. Dies ist die wichtigste Aufgabe der
Kinderzeichnung. Wenn Kinder nicht gerne malen, so müssen wir uns Gedanken machen,
weshalb dies so ist oder ab welchem Zeitraum wir dies beobachten. Vor allem Jungen malen
weniger als Mädchen. Das könnte damit zusammenhängen, dass Jungen sich lieber
grobmotorisch bewegen oder in diese Richtung sozialisiert werden. Es gibt Einrichtungen, in
denen alle Jungen mit Begeisterung malen und andere, wo Jungen sich geradezu gegen das
Malen wehren. Welche Ursache dies möglicherweise hat ist schwer zu erklären. Wenn wir
allen Kindern jedoch Maluntensilien verschiedenster Art zur Verfügung stellen und ihnen
Lust am Malen dabei vermitteln, z. B. durch große Blätter auf dem Fußboden, die mit Pinseln
bemalt werden dürfen oder durch das Ausprobieren neuer Stifte (Filzstifte, die besonders gut
leuchten), so werden vielleicht auch Kinder, die vorher nicht gerne gemalt haben wieder zu
diesem Ausdrucksmittel greifen.
Im Malvorgang können innere Spannungen abgebaut, Phantasien entwickelt, kognitive
Prozesse in Gang gesetzt werden. Wenn Kinder nicht (mehr) malen, verarmen ihre
Ausdrucksmöglichkeiten.
4.1 Ich-Darstellung
Die vielleicht wichtigste Frage, die wir an eine Kinderzeichnung stellen ist die, wie das Kind
sich selbst darstellt. Ist es im Mittelpunkt oder am Rande, malt es sich genauso groß wie
andere Personen auf dem Bild, kleiner oder größer? Welche Farben verwendet es für die
eigene Darstellung, wie steht es in Beziehung zu anderen Personen oder Gegenständen?
Schüchterne Kinder malen sich anders als selbstbewußte Kinder, die sich in ihrer Familie
wohl fühlen werden in den Mittelpunkt gemalt, Kinder, die keine Freunde haben malen sich
eventuell mit bestimmten Gegenständen oder Pflanzen, bzw. Tieren, die ihnen "nahestehen".
Kinder, die sich bedroht fühlen zeigen das auch in ihren Bildern. Blitz und Donner gehen auf
die eigene Person herab, sie wird in bedrohlichen Farben dargestellt oder zeigt einen
ängstlichen Gesichtsausdruck. Oft bekommt sie auch gar kein Gesicht.
Die Darstellung der eigenen Person kann nur in Zusammenhang mit anderen gemalten
Personen interpretiert werden. Malt das Kind noch Kopffüßler, erhält die eigene Gestalt
ebenso diese Form. Malt es aber andere Personen bereits mit Armen und Rumpf und die
eigene Person noch als Kopffüßler, so ist das ein alarmierendes Zeichen.
Kinder im Kindergartenalter sind noch sehr auf die eigene Person zentriert. In der Regel wird
sie deshalb besonders beachtet, liebevoll ausgeschmückt, mit wichtigen Utensilien versehen
und erscheint im Mittelpunkt des Bildes.
Von der Ich-Darstellung kann man auf die Wertung der eigenen Person schließen. Wenn
bestimmte Körperteile besonders groß dargestellt werden oder fehlen, so ist das ebenfalls
bedeutsam. Welche Teile werden besonders liebevoll dargestellt? Sind das die Haare oder die
neuen Schuhe? Die Darstellung des Nabels ist für viele Kinder eine wichtige Sache. Aber
auch wichtige Gegenstände befinden sich meist in der Nähe der eigenen Person, so zum
Beispiel wichtige Menschen oder Spielzeuge. Kinder, die sich gerne als Erwachsene
zeichnen, bringen zum Ausdruck, dass sie gerne groß (und mächtig) wären. Kinder ohne
Hände fühlen sich eventuell handlungsunfähig, Kinder ohne Beine bewegungsunfähig. Ein
Kind ohne Gesicht sagte von sich selbst: "ich bin niemand."
Es gibt auch Kinder, die sich selbst als Symbol zeichnen. Ein Junge zeichnete sich selbst als
Blume. Eine Biene war gekommen und hatte sich auf ihr niedergelassen. Als ich ihn fragte,
ob die Biene die Blume besucht hätte, sagte er: nein, die sticht die Blume. Alles war ganz
klein in eine Ecke des Blattes gemalt. Blitz und Regen gingen auf die Blume nieder, das
ganze Bild machte einen beängstigenden Eindruck.
Jungen versehen ihr Bild gerne mit Machtsymbolen, z.B. Pistolen, großen Schwertern oder
mit Autos und Maschinen als Ausschmückungsgegenständen. Mädchen dagegen malen sich
häufig in einer Blumenwiese, einer lachenden Sonne und hübschen Schäfchenwolken. Das
Haus (Symbol der Geborgenheit) ist ganz in der Nähe, ebenfalls bis auf die Vorhänge
liebevoll und mit vielen Farben ausgemalt.
Einen ersten Hinweis auf die Wahrnehmung der eigenen Person können so Kinderbilder
liefern. Wenn wir Kinder anregen, über das Bild zu erzählen, erfahren wir möglicherweise
sehr viel mehr über das Kind als uns seine Eltern erzählen können und wir selbst durch lange
Zeit beobachten können.
4.2 Darstellung des Geschlechts
Wie bereits angeklungen, malen Jungen und Mädchen unterschiedliche Bilder. Dies hat mit
der geschlechtsbezogenen Sozialisation und der eigenen Wahrnehmung als Junge oder
Mädchen zu tun.
Männliche und weibliche Personen werden nach stereotypen Vorstellungen gemalt. Männer
bekommen Stoppelhaare und Frauen lange, eventuell lockige Haare. Männer bekommen
Hosen, Frauen Röcke oder wunderschön ausgestaltete Kleider.
Nach einer Geschichte durften Kinder Männer und Frauen malen. Der mächtige Mann in der
Geschichte bekam einen Vollbart und eine dicke Zigarre, der "normale" Mann sah einem
Kind nicht unähnlich. Die mächtige Frau wurde mit Stöckelschuhen und langen Wimpern
gezeichnet und hatte ein buntes Gewand an. Die "normale" Frau bekam lange Haare und
einen Blumenstrauß in die Hand.
Bei Gesprächen mit den Kindern zeigte sich, dass Kinder lebende Männer und Frauen nicht in
diesen Stereotypen sehen, sondern durchaus wissen, dass ihre Mutter Hosen trägt und kurze
Haare hat. Über die Vaterfigur wissen sie in der Regel wenig Bescheid.
Die Darstellung von Frauen ist oft mit weiblichen Tätigkeiten verbunden. Frauen werden als
pflegende Personen bei Krankenhausszenen gemalt, sie kochen oder putzen, pflücken Blumen
oder schmücken etwas. Männer werden in Verbindung zu Maschinen und Autos gebracht, sie
werden oft in Berufszusammenhängen gemalt, z. B. als Feuerwehrmann. Deutlicher werden
die Rollenbilder, die in der Gesellschaft herrschen in den Zeichnungen älterer Kinder. Sie
bilden die Wirklichkeit ab und stellen somit die in der Realität gelebten Geschlechtsrollen
auch in ihren Bildern realistisch dar.
Geschlechtsmerkmale werden von kleinen Kindern selten gezeichnet. Im Vorschulalter, in
dem Jungen und Mädchen sich zunehmend mit Zeugung, Geburt und dem anderen Geschlecht
auseinandersetzen, werden weiblichen Personen Brüste gemalt, männliche Personen
bekommen teilweise übergroße Penisse. Der Geschlechtsakt ist für die meisten Kinder
verborgen und wird auch nicht gemalt. Jedoch erscheint das Baby im Mutterleib. Jungen, die
in ein Mädchen verliebt sind, malen dieses auf ihrem Bild, obwohl sie sich nicht getrauen, im
Kindergarten mit diesem Mädchen zu spielen. Auch die Auseinandersetzung mit Vater und
Mutter und den Geschwistern findet in den Bildern von Kindern statt.
4.3 Familiendarstellungen
Sehr interessant sind "Familienbilder". Kinder malen sich gerne mit ihrer Familie. Wir
bekommen sehr unterschiedliche Aussagen über die gemalten Familien. Oft fehlen einige
Familienmitglieder oder Freunde wurden hinzugezeichnet. Manchmal sind Oma und Opa mit
auf dem Bild oder der Dackel ist besonders groß in den Mittelpunkt gerückt. In den
Familienbildern kommen die sozialen Beziehungen, wie das Kind sie erlebt, deutlich zum
Ausdruck.
Malt das Kind sich selbst in den Mittelpunkt? Dann hat es ein gesundes Selbstbewußtsein
entwickelt und fühlt sich in der Familie geborgen. Malt es sich selbst besonders klein und an
den Rand, so fühlt es sich wahrscheinlich auch "an den Rand gedrückt" und unbedeutend. In
welcher Beziehung steht es zu Vater und Mutter? Malt es sich zwischen Vater und Mutter,
sind beide für es bedeutsam. Malt es sich größer oder ebenso groß wie Erwachsene, so fühlt
es sich ebenso wichtig. Wo sind Geschwister plaziert? Wie ausdifferenziert werden die
einzelnen Personen gemalt, mit vielen Farben oder einfarbig? Gehört das ungeborene
Geschwisterchen im Bauch der Mutter auch schon dazu? Oft ist gerade diese Situation
dargestellt, da Kinder sich mit der zukünftigen Geburt eines Geschwisterchens stark
beschäftigen.
Kinder malen auch ihre Freunde gerne ins Familienbild. Sie sind oft Geschwisterersatz oder
gleichgeschlechtliche "Geschwister", wenn solche fehlen. Wenn Verwandte auf
Familienbildern auftauchen, so spielen sie für das Kind wahrscheinlich eine ebenso wichtige
Rolle wie die eigenen Familienangehörigen.
Auf dem Familienbild erscheint auch manchmal das eigene Haus, das Auto, die Haustiere, je
nachdem, welche Bedeutung sie für die Familie und damit auch das Kind haben. Wenn wir es
mit problematischen Verhaltensweisen eines Kindes zu tun haben, so ist ein "Familienbild"
aufschlußreich. Welche Person steht dem Kind am nächsten, wer kann uns am besten
aufklären, was das Kind momentan beschäftigt und wer wird den meisten Einfluß auf das
Kind haben?
Welche Person übt auf das Kind einen bedrohlichen Eindruck aus? Ist eine Person besonders
groß und übermächtig gezeichnet, kann es eventuell vor dieser Person Angst haben oder sich
unterdrückt fühlen. Ebenso kann aber auch diese Person es vielleicht vor einer anderen
Person, die ihm "zu nahe kommt" schützen. Wir müssen etwas vorsichtig mit der
Interpretation der Bilder sein, können auf ihnen aber zunächst Hypothesen erkennen, die wir
dann weiter verfolgen können.
Auch hier gilt es mehrere Familienbilder miteinander zu vergleichen. Wenn die Mutter ein
Kind bestrafen mußte, so erscheint sie an diesem Tag vielleicht auch auf dem Kinderbild als
"böse Hexe", ein andermal wird sie aber sehr liebevoll mit vielen Farben und schmückenden
Elementen gemalt und in die Nähe des Kindes gerückt.
Kinder sprechen gerne über die Familienbilder. Wir können im Rahmen eines Projektes, in
dem es um Familie, Geschwister, Geburt und Tod geht solche Familienbilder
unterschiedlichster Art anfertigen lassen und die Kinder darüber erzählen lassen.
Wenn Kinder Familienprobleme dabei erwähnen, so ist das schwierig, da die anderen Kinder
prompt alles zu Hause weitererzählen. Dennoch gehört das Thema Scheidung, Trennung und
Wiederverheiratung nicht ausgegrenzt. Wir müssen versuchen, diese Themen neutral über
Bilderbücher usw. mit der ganzen Gruppe zu bearbeiten. Dennoch hilft es einzelnen Kindern,
mit solchen Problemen in der eigenen Familie zurechtzukommen und diese ein Stück weit zu
bearbeiten, wenn es viel malen kann. In Einzelgesprächen können wir dann auch mit dem
Kind über solche momentanen Probleme sprechen.
Für Familiendarstellungen im allgemeinen gilt, dass sie das Kind anregen, über ihre Familie
nachzudenken, sich selbst einmal im Rahmen der Familie darzustellen und uns gewisse
Interpretationsmöglichkeiten an die Hand zu geben, wie das Kind sich in der Familie fühlt
und wo es eventuell Probleme hat.
Die Beurteilung von Familienbildern könnte nach folgenden Aspekten erfolgen:











Welche Person (Geschlecht) wird zuerst gezeichnet?
Wie werden Mutter und Vater dargestellt?
Wie malt sich das Kind selbst?
Sind die Personen offen aufeinander bezogen oder wird ein Mitglied in einen Kasten
oder an den Rand gemalt?
Wie sind die Größenverhältnisse der einzelnen Personen zueinander?
Gibt es Dinge, Tiere oder Personen, die außer den Familienmitgliedern noch auf den
Bildern auftauchen?
Welche Farben wurden verwendet? Welche Personen wurden in den gleichen Farben,
welche mit einer anderen Farbe gemalt?
Welche Person steht der eigenen am nächsten und wie wird diese dargestellt?
Welchen Eindruck macht das Gesamtbild auf Sie?
Wer wurde vergessen?
Was erzählt das Kind über sein Bild?
Aufschlußreich könnte eine Familiendarstellung auch unter dem Auftrag: "Male Deine
Familie als Tiere", sein. Allerdings ist dies erst mit zunehmendem Alter sinnvoll, da Kinder
unterschiedliche Tierdarstellungen erst etwa ab dem Schulalter beherrschen.
4.4 Naturdarstellung
Vielfach wird die Darstellung von Natur sich in der Zeichnung von Bäumen, Blumen, einer
Sonne, Wolken und eventuell noch von Regentropfen oder Blitzen erschöpfen. Kinder, die zu
Naturbeobachtungen angeregt werden, werden auch andere Dinge malen. Die Bilder werden
dann mit Insekten, Käfern und anderen Tieren, aber auch mit Bergen und Flüssen, Tälern und
Seen ausgeschmückt.
Je älter die Kinder sind, desto wichtiger wird die naturgetreue Nachbildung. So werden
Säugetiere oft deshalb nicht gemalt, weil es so schwer ist, sie realistisch darzustellen. Kleinere
Kinder tun sich da noch leichter. Ein Rumpf, ein Kopf und ein Schwanz kann fast jedes
beliebige Tier darstellen. Wenn es dann noch ein typisches Merkmal, wie z.B. einen Rüssel
erhält, so wird es schnell zum Elefanten.
In Testverfahren ist der sogenannte "Baumtest" beliebt. Anhand von Baumdarstellungen
werden psychische Zustände interpretiert. Bei kleinen Kindern ist die Darstellung von
Bäumen, Pflanzen und Tieren noch weitgehend unstrukturiert, entweder beeinflußt durch
Erwachsene, die z. B. einmal einen Baum vorgemalt haben oder auch durch die
Baumdarstellung eines anderen Kindes einfach übernommen.
Je wichtiger für das Kind Dinge in der Natur sind, desto eher erscheinen diese auch auf den
Bildern. Allgemein gilt, was wichtig ist, wird besonders differenziert und liebevoll, auch
farbiger als das übrige gemalt. Es ist auch nicht von Bedeutung, welche Farben die Dinge in
der Natur wirklich haben. Ein blauer Baum oder lila Äpfel haben in der Regel keine
besondere Bedeutung, außer, dass dem Kind diese Farben eben gefallen.
4.5 Besondere Themen
Alles, was einem Kind wichtig ist, wird auch in seinen "Gemälden" auftauchen. So wird der
bevorstehende Urlaub am Meer schon lange vorher in den Kinderbildern auftauchen, der
Besuch der Oma wird gemalt, ebenso der Sonntagsausflug oder die Kutschfahrt. Kinder, die
täglich malen "schreiben" damit ein Tagebuch. Alles, was sie erleben, was ihnen Angst
macht, was sie freut, wird in den Bildern festgehalten. Da sich Kinderbilder oft lange Zeit
sehr ähnlich sind, entdecken wir nur bei genauem Hinsehen, was sich vielleicht Besonderes
ereignet haben mag. Dabei gibt es Bilder, die typisch für bestimmte Kinder sind.
4.5.1 Individuelle Vorlieben
Kinder haben einen eigenen Malstil. Jedes Kind bevorzugt bestimmte Farben, bestimmte
Darstellungsformen, eine bestimmte Blattaufteilung. Ob es nun eine bestimmte Hausform
malt, die eigene Person immer auf eine bestimmte Weise darstellt, dem Baum Früchte aufmalt
oder eine besonders lachende Sonne in den Mittelpunkt des Bildes malt, wir können bei
längerem Studium der Kinderbilder auch immer eine persönliche Note ausmachen.
Auch da fällt uns, etwa ab dem vierten Lebensjahr, wenn die Bildersprache für uns
eindeutiger wird, immer wieder auf, dass Mädchenbilder sich deutlich von Jungenbildern
unterscheiden. Mädchen schmücken ihre Bilder mit vielen Farben, kleinen Formen, Blumen
und bunten Kleidern aus, Jungen wählen lieber Dinge, die Macht ausdrücken, wie Fahrzeuge
und Waffen zur Ausschmückung ihrer Bilder. Und was das einzelne Kind besonders
interessiert, seien es die Kaninchen zu Hause oder die Feuerwehr, die regelmäßig am Wohnort
vorbeifährt, das erscheint natürlich auch bevorzugt auf den Bildern.
4.5.2 Augenblickliche Interessen
Im Kindergarten wird ein Projekt durchgeführt. Es beschäftigt sich mit Wald, Natur, Flüssen
und Blumen. Überall auf den Kinderbildern tauchen jetzt Bäume, Pflanzen, Gewässer und
Blumen auf. Dasselbe gilt, wenn ein Zirkus in die Stadt kommt und alle von den
Zirkusdarstellungen reden, die Kinder auch den Zirkus oder die Tierschau besucht haben. Ob
es sich um kollektive Interessen handelt, die sich auf die Darstellung in den Kinderbildern
auswirken oder eigene Erlebnisse, sie werden in den Zeichnungen "festgehalten."
Kinder produzieren so eine Menge von Bildern, dass wir uns oft gar nicht die Mühe machen,
das einzelne Bild genügend zu würdigen. Wir legen Zeichenmappen an, in die die Kinder ihre
Bilder ablegen dürfen oder geben sie am Schluss des Tages mit nach Hause, ohne sie auch nur
einmal richtig angesehen zu haben.
Wir nehmen uns damit eine wichtige Informationsmöglichkeit, die uns das Kind selbst
anbietet und die uns über viele Gedanken, Gefühle und Befindlichkeiten jedes Kindes
Aufschluß geben könnte.
4.5.3 Besondere Probleme
Zeichentests werden oft eingesetzt, wenn man Problemen auf die Spur kommen möchte. Je
jünger die Kinder sind, desto schwieriger ist es, in den Zeichnungen momentane Probleme zu
erkennen. Da helfen dann die "Reihen" der Zeichnungen, die wir mit der Zeit sammeln. Aber
wie alles, was das Kind beschäftigt, werden natürlich auch Probleme gemalt. Oft geschieht
dies in verschlüsselter Form, da auch Kinder Probleme oft mit Schuldgefühlen verbinden und
diese nicht offen darstellen wollen.
Relativ einfach ist es, ein anerkanntes Problem zu zeichnen. So kann es sein, dass die
Müllverbrennungsanlage, von der wir im Kindergarten gesprochen haben in allen möglichen
Formen in den Kinderbildern auftaucht. Umweltprobleme, Verkehrssituationen, Unfälle, von
denen das Kind Kenntnis erhalten hat und Umweltkatastrophen werden in Kinderbildern offen
zum Ausdruck gebracht.
Anders ist dies mit persönlichen Problemen des Kindes. Wenn ein Geschwisterchen geboren
wird, so erscheint dies entweder gar nicht auf dem Bild, wenn das Kind auf es eifersüchtig ist
oder es wird in engem Kontakt zur Mutter gemalt, die eigene Figur jedoch am Rand. Denkbar
sind auch viele andere Variationen. Scheidungs- und Trennungssituationen werden häufig
dargestellt. Der weggezogene Vater wird vielleicht in einem anderen Haus gemalt, das Kind
malt sich selbst zwischen die Häuser, in denen Vater und Mutter jetzt leben.
Bei allen ungewöhnlich erscheinenden Bildern können wir das Kind fragen, was es gemalt hat
und uns eine Geschichte zu dem Bild erzählen lassen. Wenn das Kind uns nicht sagen will,
dass die Geschichte "seine" Geschichte ist, so erfahren wir aus der Erzählung dennoch, was
das Kind gerade beschäftigt. Es könnte sich ja wirklich um eine Geschichte handeln, von der
es gehört hat oder ein Märchen so mit der Wirklichkeit zusammenbringen, dass wir meinen,
es handele sich um ein eigenes Problem des Kindes.
4.5.3.1 Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod
Der Tod ist für das Kind ebenso ein Thema, das auch in den Bildern auftaucht. Der Opa ist
gestorben, das Kind malt den Opa in jedes Bild, aber in einen Rahmen. Es hat ihn im Sarg
gesehen und dies symbolisiert der Rahmen. Oder die Sonne wird als der Opa bezeichnet, der
auf das Kind herabsieht.
Bilder, auf denen sich das Kind selbst als krank darstellt sind relativ häufig. Krankheit ist eine
Erfahrung, die fast jedes Kind erlebt und die sich dann auch in den Bildern wiederfindet.
Wenn es sich um einen Krankenhausaufenthalt gehandelt hat, so werden in den Bildern
Erfahrungen von Schmerzen, Trennung, neues Wissen über das Leben im Krankenhaus und
die Hilfe und besondere Zuwendung von Krankenhauspersonal und Besuchern aufgezeigt. Je
nachdem, was das Kind dort erlebt hat können wir dann auf Grund der Bilder auf die
gemachten Erfahrungen eingehen und das Kind über sein Bild im Stuhlkreis berichten lassen,
wenn es dies möchte.
Kinder erfahren heute auch von Krankheiten, die zum Tode führen. Wenn es auf den Friedhof
geht, sieht es dort Kindergräber und fragt nach, weshalb diese Kinder gestorben sind. Wenn es
schon schlimm ist, dass alte Menschen, die dem Kind nahegestanden haben sterben, so ist es
für Kinder fast unbegreiflich, dass Kinder sterben müssen und die "mächtigen" Ärzte nicht
helfen können.
Kinder benötigen unsere Hilfe, wenn sie mit solchen Erfahrungen konfrontiert werden. Das
Malen hilft Kindern aber auch, diese Erfahrungen mitzuteilen und damit einen inneren Druck
loszuwerden. Nicht umsonst helfen Maltherapien auch Erwachsenen mit schweren
Erfahrungen fertigzuwerden.
Wie können wir Probleme in Kinderbildern wahrnehmen?



Wichtige, konflikthafte Erfahrungen kommen überdeutlich oder an zentraler Stelle
(Mittelpunkt) zum Ausdruck.
Erlebnisse, die das Kind als zu belastend empfindet werden ausgegrenzt oder es
versucht, sie zu löschen (übermalt das Gezeichnete nachträglich).
Angst, erlebte Bedrohung oder Verbote werden durch Einkreisungen, Übermalungen
oder Durchstreichungen sichtbar.
"Durchsichtige" Bilder sind bei Kindergartenkindern noch normal. Sie malen alles, was sie
wissen, auch wenn man es in der Regel nicht sehen kann (Organe im Bauchraum, den Nabel,
Geschlechtsorgane, Menschen im Schiffsrumpf oder Haus etc.). Erst bei größeren Kindern
oder Erwachsenen ist damit eine Botschaft verbunden, dass etwas durchsichtig werden sollte,
etwas Verborgenes ans Licht gelangen muß etc.
4.5.3.2 Sexueller Mißbrauch
Wenn die Erfahrung von sexuellem Mißbrauch alleine aus Kinderzeichnungen abgeleitet
werden soll, so ist das eine heikle Angelegenheit. Allerdings wird sexueller Mißbrauch in
Kinderbildern oft sehr deutlich und kann von Experten relativ früh erkannt werden. So
müssen wir, wenn sexueller Mißbrauch vermutet wird oder Kinderbilder anscheinend deutlich
darauf hinweisen sehr sorgfältig vorgehen.
Immer gilt beides und muß sorgfältig gegeneinander abgewogen werden:
1. Kinder müssen sobald als möglich vor sexuellem Mißbrauch geschützt werden.
2. Eine falsche Verdächtigung kann für das Kind ebenso schädlich sein wie ein
tatsächlich vorliegender Mißbrauch.
Die Darstellung von Genitalien ist in der Regel kein Grund auf sexuellen Mißbrauch zu
schließen. Sobald Kinder sich mit ihren Geschlechtsmerkmalen auseinandersetzen, werden
diese, je nach der momentanen Interessenslage auch deutlich auf den Bildern auftauchen. Dies
geschieht vor allem bei Jungen, die sich mit überlangen Penissen darstellen oder allen
Männern solche verpassen, wenn sie z. B. Männer nackt gesehen haben. Frauen werden
dagegen häufig mit Brüsten gemalt, weniger mit den unsichtbaren Geschlechtsorganen. Wenn
in einer bestimmten Phase der Entwicklung immer wieder Penisse oder Brüste auf den
Bildern auftauchen, so ist das vorübergehend und zeigt oft nur, dass Kinder ihr Wissen über
anatomische Unterschiede zwischen Männern und Frauen ausdrücken. Kinder im Vorschulund frühen Schulalter, die beginnen, Menschen realistisch malen zu wollen, versuchen auch
die Unterschiede zwischen Männern und Frauen deutlich in ihren Bildern auszudrücken.
"Nackte" Menschen werden oft nur heimlich und mit viel Kichern und verschämten Blicken
gemalt. Solange dies in der Kindergruppe gemeinsam geschieht, kann man davon ausgehen,
dass es sich nicht um sexuellen Mißbrauch handelt.
Dieser geschieht in der Regel im Verborgenen und es wird den Kindern meistens verboten
von den Geschehnissen zu berichten. So werden Kinder sich entweder in symbolhaften
Zeichnungen ausdrücken oder über ihre Bilder nicht sprechen wollen. Wenn Betten ohne
Zusammenhang mit Krankheit auftauchen, dazu ein bedrohlicher Mann (die meisten
Mißbrauchserfahrungen gehen mit männlichen Personen einher) auf dem Bild zu sehen ist,
der eventuell einen langen Gegenstand (Penisersatz) mit sich trägt, so ist dies schon ein
möglicher Hinweis.
Weitere Hinweise müssen jedoch auch im Verhalten des Kindes gefunden werden. Ist das
Kind besonders ängstlich? Ist seine Sprache mit "sexuellen" Worten durchsetzt? Trägt es
Schuldgefühle mit sich herum, schreckt es vor Berührungen zurück?
Das Malen von Familienbildern gibt eventuell Aufschluß über sexuellen Mißbrauch in der
Familie, aber auch Gespräche, in denen Kinder "komische" Situationen malen sollen, können
Hinweise auf sexuellen Mißbrauch erhärten.
Um Kinderzeichnungen besser verstehen und im Zusammenhang interpretieren zu können
müssen wir eine Vielzahl von Elementen in den Zeichnungen beachten. Es genügt nicht, von
einem Element ausgehend das ganze Kinderbild zu beurteilen. Die Zeichnung ist nie eine
isolierte Tätigkeit. Wie jede Kommunikation gehört sie in einen Kontext, den "des Bezugs des
zeichnenden Kindes zu seinem Publikum" (Wildlöcher 1995, S. 227). So kann es durchaus
auch sein, dass uns das Kind etwas verschweigen will und deshalb die Deutung schwierig
wird. Eine brauchbare Interpretation kann von dem Kontext nicht absehen. Das Kind muß
immer in seinen Gesamtzusammenhängen gesehen werden (familiäre Bezüge, soziale
Beziehung zur Erzieherin); aber auch die kognitive Entwicklung und die sonstigen
Erfahrungen mit dem Kind sind für die Gesamtauswertung wichtig. Das gilt in besonderem
Maß für den Verdacht über sexuelle Mißbrauchserfahrungen von Kindern.
5. Kriterien zur Bildbeurteilung
Die hier angeführten Kriterien gelten sowohl für Kinder- als auch für Erwachsenenbilder. Im
therapeutischen Bereich werden Bilder auch für Therapien mit Erwachsenen eingesetzt.
Vielen Menschen, die ein schweres Schicksal erleiden, ist eine Maltherapie hilfreich. Sie
können dann Probleme, die sich mit Worten nicht ausdrücken lassen "loswerden" oder
bearbeiten, indem sie mit Farben und Formen ihre innersten Gefühle "ausdrücken".
Menschen, die mit unheilbar Kranken und Sterbenden, aber auch in Familienberatungsstellen
arbeiten, wissen um die Möglichkeiten des Einsatzes von Zeichnungen. So können
Zeichnungen auf ein Problem aufmerksam machen oder einen Verdacht erhärten. Sie sollten
aber immer nur ergänzend zu anderen Beobachtungen eingesetzt werden.
Die Vorgehensweise für eine Bildinterpretation könnte nach folgenden Fragen erfolgen:
(Bei Kinderzeichnungen ist es immer sinnvoll, das Kind zusätzlich selbst über sein Bild
erzählen zu lassen, dass unsere Deutung nicht ein simples Motiv übersieht oder etwas
überbewertet. Auch können Bilder von Kindern, die noch nicht realistisch malen (erst ab dem
5. Lebensjahr möglich) von uns leicht fehlinterpretiert werden. Dennoch ist es hilfreich,
folgende Kriterien an ein Bild anzulegen, um die eigene Wahrnehmung zu schärfen.)
1. Welches Gefühl übermittelt das Bild?
Wie fühlt sich der Betrachter, der ein Bild vor sich hat? Fühlt er sich frei und erleichtert, fühlt
er sich amüsiert oder angeregt oder macht ihm die Bildbetrachtung Kopfzerbrechen oder gar
Angst?
Wenn wir vor allem bei Problemkindern ein Bild erst einmal völlig unvoreingenommen auf
uns wirken lassen, so wir der erste Eindruck bereits ein "Bild" in uns entstehen lassen.
Jeder Mensch wird jedoch durch anderes angesprochen oder abgestoßen. Wir müssen
aufpassen, dass unser Empfinden wirklich aus dem Bild hervorgeht und nicht durch eigene
Assoziationen verfälscht ist. Bilder, die in uns Spannung, Angst oder Besorgnis auslösen,
sollten wir auch anderen BetrachterInnen vorlegen und um deren Meinung bitten.
Wahrnehmung ist immer subjektiv und Gefühle werden bei Menschen durch
Unterschiedliches ausgelöst, dass auch hier Wahrnehmungsverzerrungen uns in eine falsche
Richtung weisen können.
2. Was ist auffällig?
Bei manchen Bildern "springt" uns ein Element ins Auge. Ist es ein roter Punkt zwischen
lauter matten Farben oder ein übergroß gemalter Gegenstand. Oft beeinflußt solch eine
Auffälligkeit den Gesamteindruck. Wird dieser Gegenstand dann auch noch als erstes vom
Kind gemalt, hat er sicher eine besondere Bedeutung.
Besser wäre es von einem Sinn, statt einer Bedeutung zu sprechen. In Bildern haben Symbole
eine Bedeutung, aber das Malen selbst hat einen eigenen Sinn. Wenn dieses auffällige
Element ein Symbol darstellt hat es vielleicht eine bestimmte Bedeutung, z. B. steht ein Haus
für Geborgenheit, das Schiff als Herkunftszeichen (Mutterleib), das Auto als Möglichkeit der
Mobilität, Menschen stehen für soziale Bezüge, Natur symbolisiert Lebendigkeit,
Naturverbundenheit.
Bei Kindern sind diese Symboldeutungen oft falsch, da sie spontan malen, d. h. sich an einem
Bild orientieren, das sie gerade gesehen haben (im Bilderbuch, beim Nachbarn am Maltisch)
oder gerade Erlebtes zeichnen (auf dem Weg zum Kindergarten etc.), aber auch Dinge, die sie
erwarten als Bilder "vorerfahren" (Zirkusbesuch etc.).
3. Hindernisse
Es gibt Hindernisse aller Art in Bildern. Eine Person kann ein Hindernis darstellen, ein Baum
oder ein Gegenstand. Menschen, die auf einem Bild durch Hindernisse getrennt sind (zwei
Menschen stehen auf einer Seite, ein anderer auf der anderen) haben vielleicht Probleme
miteinander. Aber auch Beziehungslosigkeit zwischen einzelnen Dingen auf den Bildern sind
Hindernisse, dass diese im Zusammenhang gesehen werden können.
4. Was fehlt?
Wenn etwas Wichtiges fehlt, so hat das entweder eine einfache Erklärung oder eine tiefere
Bedeutung. Fehlt beim Familienbild der Vater, so kann das bedeuten, dass er gerade auf
Geschäftsreise ist, nicht zu Hause wohnt oder der Vater gestorben ist. Ebenso wäre es freilich
möglich, dass der Vater Angstgefühle auslöst (z.B. bei sexuellem Mißbrauch) und es deshalb
ängstlich vermieden wird, ihn zu malen.
Fehlen einem Menschen Gliedmaßen, obwohl das Kind bereits gegenständlich malen kann,
hat das Kind entweder vergessen, diese zu zeichnen, da sie für die Person nicht typisch sind
(ein Gelähmter kann durchaus ohne Beine gemalt sein) oder es muß etwas verheimlicht
werden (er darf nicht gehen können, weil er sonst etwas erzählen könnte). Menschen ohne
Arme sind handlungsunfähig, Menschen ohne Gesicht unbedeutend. Fehlen bei einem Haus
Fenster und Türen sind die Menschen darinnen abgeschlossen und von der Außenwelt
abgeschnitten.
Ein Auto ohne Reifen kann nicht fahren, ein Vogel ohne Flügel nicht fliegen, eine Blume muß
mit dem Untergrund verwurzelt sein (kann also nicht in der Luft schweben). Unsere Frage
muß dann immer lauten: Was bedeutet das fehlende Element und was bedeutet es eventuell
für die malende Person?
5. Was ist im Mittelpunkt?
Dinge und Menschen, die in den Mittelpunkt gezeichnet werden, sind wichtig. Kinder malen
sich gerne selbst in die Bildmitte. Neben der eigenen Person werden dann alle wichtigen
Dinge aufgereiht, unwichtige Menschen und Gegenstände fehlen entweder völlig oder werden
an den Rand gezeichnet.
Psychoanalytische Deutungen geben der oberen Bildhälfte eine positivere Bedeutung wie der
unteren, dem rechten Bildraum die Symbolik des "männlichen", des verstandesmäßigen, dem
linken Bildraum ordnen sie eher dem Gefühl zu. Bei Kinderzeichnungen kann dies vielleicht
nicht so extrem gesehen werden. Es kommt auf die entwickelte Geschicklichkeit genauso an
als auch experimentelles Ausprobieren. Mal malt das Kind die Sonne auf die rechte Seite, ein
andermal will es lieber Regen darstellen und entscheidet sich dann doch für die Sonne, die
dann in den linken Bildraum abwandert. Ob man das immer tiefenpsychologisch deuten kann,
ist mir bei Kinderbildern oft suspekt.
Sicher stellt der mittlere Bildraum aber eine Hauptbedeutung dar. Wenn Kinder sich selbst
klein und unbedeutend in eine Ecke malen, so können wir daraus schon bestimmte Schlüsse
ziehen. Unsere Sprache gibt uns im übrigen viele Hinweise, die für die Deutung von Bildern
eingesetzt werden kann. Ist etwas an den Rand gedrängt oder rückt es in den Mittelpunkt,
hängt es zu hoch oder ist es tief in uns verwurzelt? Wenn wir diese sprachlichen Ausdrücke
auf den Bildraum übertragen, so bekommen wir eine Ahnung von der uns gezeigten
Symbolik.
Wenn etwas gerade "in den Mittelpunkt" rückt (welche Bildersprache haben wir doch!), so
wird dies groß gemalt. Die Mutter mit dem Baby im Bauch ist gerade besonders wichtig, das
Baby kann man zwar fühlen, weiß aber noch nicht recht, wie es aussieht, es wird oft nicht als
Mensch, sondern nur als Kopf gemalt.
Bei einer Bilderreihe kann man dann beobachten, dass zunächst Wichtiges immer weiter aus
dem Mittelpunkt gedrängt wird, an den Rand wandert und schließlich aus dem Bild auch
wieder verschwindet. Die "Busenfreundin" wandert so vielleicht nach und nach an den Rand,
ein Hindernis zwischen ihr und der malenden Person wird eingefügt (Baum, Haus) und
schließlich hat das Kind keinen Platz mehr für sie auf dem Bild (wie es zur Erklärung angibt).
Aber auch Bedrohliches kann so "abwandern". Der Sinn von der Herstellung von Bildern im
therapeutischen Bereich kann darin bestehen, dass Bedrohliches und Angstmachendes mit der
Zeit aus dem Mittelpunkt nach außen wandert und schließlich "bewältigt" wird und aus dem
Bild verschwindet.
6. Größenverhältnisse
Kinder malen Wichtiges groß und Unwichtiges klein, egal, wie es in der Realität tatsächlich
ist. Kinder sind auf den Bildern meist ebenso groß wie Erwachsene, Häuser sind nicht größer
als Menschen und Bäume gehen vielleicht bis an den Himmel. Wenn etwas groß gemalt ist
hat es eine große Bedeutung. Dies gilt auch für angstmachende Motive. Mächtige Personen,
die mit angstmachenden Erlebnissen verbunden sind werden in den Mittelpunkt und übergroß
gezeichnet. Hat dieser Mensch dann noch besonders große Hände, so ist auch seine Tätigkeit
groß und wichtig oder besonders angstauslösend. Jungen malen sich selbst mit übergroßen
Pistolen oder Messern. Mädchen statten ihre wichtigen Personen mit überlangen Kleidern,
wallenden Haaren oder übergroßen Hüten aus.
Unwichtiges, aber auch Heimliches wird klein und an den Rand gemalt. Kinder, die
schlimmer Erlebnisse erfahren haben malen diese zunächst überhaupt nicht, später erscheinen
sie nur am Bildrand und ziemlich klein, in der Phase der aktiven und akzeptierten
Auseinandersetzung werden die Dinge dann immer größer und schließlich mit der
Bewältigung der Problematik werden sie wieder kleiner.
Wenn Kinder sich mit den Geschlechtsorganen beschäftigen, werden große Penisse und
Brüste gemalt. Dies kann für uns bedeuten, dass Kinder Auskunft über die damit verbundenen
Aufgaben benötigen oder Erlebnisse hatten, die sie zu solchen Zeichnungen führten. Der
Besuch des Kinderarztes kann auslösen, dass plötzlich Organe in den Körper eingezeichnet
werden, die größenmäßig nicht passen. Die Lunge (wir haben davon gesprochen, dass
Rauchen ungesund ist und die Lunge schädigt) wird im halben Bauchraum und völlig schwarz
dargestellt.
So kann man zusammenfassend sagen, dass Wichtiges und Angstmachendes groß und
Unbedeutendes oder Verdrängtes klein gemalt wird.
7. Verzerrte Formen
Bei Kinderzeichnungen können solche verzerrten Formen nur im Vergleich erkannt werden.
Kinderbilder weisen oft ungenaue Formen auf, was auf die Malentwicklung oder die
augenblicklichen Befindlichkeit zurückzuführen sein könnte. Wenn Kinder gerade keine Lust
am Malen haben, so zeichnen sie irgendetwas schlampig und verzerrt aufs Papier, was letzten
Endes nur ihre Unlust ausdrückt.
Haben sie aber alles sorgfältig gemalt und erscheint nur ein einzelnes Haus oder ein
Gegenstand besonders verzerrt (perspektivisches Malen ist damit nicht gemeint, das kann von
Kindergartenkindern nicht geleistet werden), so hat das sicherlich eine besondere Bedeutung.
Es könnte sich dabei um ein kaputtes Haus oder einen kranken Menschen handeln, könnte
aber auch Probleme zu Hause oder in einer Beziehung aufzeigen.
8. Wiederholungen
Wiederholungen in Kinderbildern sind eher die Regel als die Ausnahme. Kinder malen über
lange Zeit hinweg ähnlich strukturierte Bilder, wobei sie diese zunehmend ausschmücken
oder die Einzelelemente verbessern. Wir können sie mit neuen Erlebnissen und anderen
Materialien dazu bringen, Neues auszuprobieren, neue Themen zu bearbeiten. Auf keinen Fall
sollten wir kritisieren, wenn sie lange Zeit hinweg immer dasselbe malen. Für das Kind liegt
der Sinn der Wiederholung auch in der Übung, der Verbesserung der Stiftführung, der
Farbgebung, der Strichführung. Kinder lieben Wiederholungen, was uns der Wunsch nach
immer derselben Geschichte zeigt. Kinder brauchen zu ihrer Sicherheit Wiederholungen,
Rituale und gewohnte Strukturen. Dies gilt auch für ihre Bilder.
Wenn Kinder über ein halbes Jahr jedoch auf einem Bildmotiv und denselben Malmustern
stehen bleibt, liegt entweder eine Entwicklungsverzögerung vor oder wir geben zu wenig
Anregungen. Es kann auch sein, dass ein unbewältigtes Problem verborgen ist und solange
gemalt wird, bis es "ans Licht" kommt. Hier ist das Bild ein Brief an uns, den wir lesen
müssen um die entsprechende Antwort geben zu können.
9. Perspektive
Kinderbilder werden meist von vorne gemalt und alles auf dem Bild ist fein säuberlich
aufgereiht. Aber manchmal wird innerhalb des Bildes die Perspektive gewechselt, das Kind
malt das Haus von der Rückseite aus, den Menschen, der vor dem Haus steht aber so, dass er
uns ansieht. Irgendetwas scheint uns dann auf dem Bild zu stören und wir bemerken zunächst
gar nicht, dass dies mit der unterschiedlich gemalten Perspektive zu tun hat. Dies zeigt auf
einen inneren oder äußeren Konflikt hin. Entweder will das Kind sich von etwas abwenden
oder auf etwas anderes zu entwickeln oder es probiert einfach einmal eine neue Sichtweise
aus, die es bei dem Bild des Freundes bemerkt hat. Wenn z.B. Menschen im Profil noch mit
zwei Augen gezeichnet werden ist das lediglich der Übergang von einer Malphase in die
andere und hat mit einem wirklichen Perspektivwechsel nichts zu tun.
10. Sich selbst in das Bild versetzen
Hilfreich für die Interpretation eines Bildes ist es auch, sich selbst in das Bild
hineinzuversetzen, in ihm sozusagen spazieren zu gehen. Welche Empfindungen löst dies in
mir aus, welche Geräusche und Gerüche nehme ich wahr, wo fühle ich mich wohl, welche
Stellen im Bild möchte ich lieber meiden? Mit dem Kind zusammen einen Spaziergang in
seinem Bild zu machen, dies wäre eine gute Gelegenheit sich mit einem einzelnen Kind
intensiv auseinanderzusetzen. Und wir könnten vielleicht einiges aus seinem Leben erfahren
und seine Wünsche, Bedürfnisse, Ängste und Zweifel nachfühlen.
11. Schattierungen
Kinder, die in ihren Bildern Gegenstände oder Menschen schwarz ausmalen, drücken damit
aus, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung ist. Menschen, die Angst haben oder depressiv
sind werden entweder leicht schattiert gemalt oder schwarz ausgefüllt. Aber auch Menschen
und Dinge, die bedrohlich sind.
Vorsicht, wenn Kinder Menschen ausmalen. Es könnte sein, dass sie entweder einfach einen
Farbigen malen wollen oder ihm einen dunkelblauen Pullover anziehen.
12. Das Objekt reicht über den Rand hinaus
Selten malen Kinder ihre Bilder über den Rand hinaus. Kleinere Kinder im Kritzelstadium tun
dies regelmäßig und es ist gut, ihnen eine reichliche Unterlage zum Schutz des Maltisches
anzubieten. Aber, wenn Kinder sich im Alter von 5 - 6 Jahren und älter auf ein Bild
konzentrieren wird höchstens die Wiese (Erde) oder der Himmel vom einen Blattrand bis zum
anderen und darüber hinaus gemalt. Wenn Gegenstände aber am Rand unvollständig gemalt
sind und eigentlich Platz für das ganze Objekt gewesen wäre ist dies ein Zeichen, dass etwas
unbefriedigend oder am Rande passiert.
Kinder malen in der Regel von der Blattmitte beginnend nach rechts und links. Wenn ein
Kind aber einen großen Teil des Blattes unbemalt lässt und fast am Ende des rechten oder
linken Bildrandes mit dem Malen beginnt, so kann auf Unsicherheit geschlossen werden. Und
diese Unsicherheit hängt mit dem Gemalten zusammen.
13. Unzeitgemäße Darstellung
Malt ein Kind den Weihnachtsbaum im Juli oder den Badestrand im Dezember, so hat dies
eine besondere Bedeutung. Vielleicht erwartet es etwas Besonderes, auf das es sich freut oder
vor dem es sich fürchtet? Das Kind in der Krebsklinik, das im Juli den Weihnachtsbaum
gezeichnet hat, befürchtet das Weihnachtsfest nicht mehr erleben zu dürfen. Es will sich selbst
Mut machen oder damit zum Ausdruck bringen, dass es gerne noch solange leben möchte.
Der Nikolaus im März? Da ist schon die Frage erlaubt, ob es sich tatsächlich bei der gezeigten
Gestalt um den Nikolaus handelt. Ist diese nikolausähnliche Person nicht der Junge aus dem
Nachbarhaus, der im letzten Jahr Nikolaus gespielt hat und dessen große Nikolausmütze für
das Phallussymbol steht, weil er den kleinen Jungen von nebenan zu sexuellen Handlungen
zwingt?
Es gibt meistens zwei Erklärungen: eine harmlose, der momentanen Wunschvorstellung
entspringenden und eine problematisierende. Eine Deutung ohne Befragung des Kindes
könnte uns auf die falsche Spur locken.
14. Einschlüsse und Einzäunungen
Einschlüsse und Einzäunungen können zunächst auch ganz harmlose Erklärungen haben.
Müssen Schafe nicht eingezäunt werden, dass sie nicht weglaufen, haben Kinder nicht schon
Babys im Laufstall gesehen? Wenn solch eine Erklärung jedoch unwahrscheinlich ist, so
können solche Zeichenelemente Aussagen über momentane Probleme geben oder als
Hilfeschrei des Kindes verstanden werden.
Eingeschlossensein kann Geborgensein symbolisieren, aber auch Ausgrenzung. Fühlt das
Kind sich bei uns ausgegrenzt, hat es Angst vor den vielen Kindern um es herum und möchte
sich deshalb mit einer Grenze umgeben? Oder ist die Person auf dem Bild ein
Familienmitglied, das sich selbst ausgrenzt oder von den anderen zum "schwarzen Schaf"
abgestempelt wird?
14. Verlängerung
Wie schon erwähnt, malen vor allem Jungen sich häufig mit langen Gegenständen (Messern,
Schwertern, Gewehren). Sie bringen dadurch zum Ausdruck, daß sie die Kontrolle über
andere haben möchten. Ihnen fehlt es an Macht und Durchsetzungsvermögen. Aber auch bei
Mädchenbildern ist dies zu beobachten. Eine Blume mit einem besonders langen Blütenstil,
die das Kind in der Hand hält oder ein Stock, auch ein Besen oder Rechen könnte dasselbe
bedeuten.
Kinder fühlen sich unsicher und oft hilflos. Sie versehen sich selbst mit Symbolen der Macht
und der Durchsetzungsfähigkeit, auch auf ihren Bildern. Dasselbe was für besonders lange
Gegenstände gilt, gilt auch für Gegenstände, die Macht symbolisieren, entweder sind dies
Maschinen, Autos oder auch Personen, denen man sich überlegen fühlt. Mädchen malen sich
gerne mit Puppen oder kleinen Geschwistern. Könnte dies nicht dieselbe Bedeutung von
Machtausübung haben wie die Gewehre der Jungen?
15. Rückseite
Kinder schreiben ihren Namen in der Regel vorne auf das Bild. Kinder, die noch nicht
schreiben können, geben der Erzieherin den Auftrag, ihren Namen auf der Rückseite zu
vermerken. Die Schrift der Erzieherin hat vorne auf dem Bild nichts verloren.
Wenn etwas auf die Rückseite gezeichnet ist, so bedeutet dies häufig, dass die Dinge auf der
Rückseite nicht mit dem Bild auf der Vorderseite harmonisieren. Ist die Mutter auf die
Rückseite verbannt, so ist sie vielleicht emotional für das Kind zu weit entfernt. Bei
Familienbildern habe ich häufig die Erfahrung gemacht, dass Familienmitglieder angeblich
auf der Vorderseite keinen Platz mehr fanden und dann auf die Rückseite gemalt wurden.
Wenn etwas vergessen wird und dann noch auf die Rückseite gezeichnet wird, ist auch dies
bedeutsam, da "Vergessenwerden" ein unbewußter, aber oft mit Problemen behafteter
Vorgang ist.
Kinder malen selten auf die Rückseite eines Blattes. Sie verwenden lieber zwei verschiedene
Blätter. Eine harmlose Erklärung für Bilder auf der Rückseite könnten mangelnde Malblätter
sein. Also müssen wir auch auf solche Dinge achten, bevor wir ein Bild interpretieren.
16. Unterstreichungen
Unterstreichungen sind relativ selten im Kindergarten zu beobachten. Die Dinge und
Menschen stehen meist auf einem festen Fundament (Wiese oder Erdboden) und sind dadurch
natürlicherweise "unterstrichen". Wenn bei Zeichnungen eine einzelne Person unterstrichen
ist, so fehlt dieser das Fundament. Wenn alle Personen unterstrichen sind und nur eine
einzelne Person nicht, so ist diese Einzelperson besonders "standfest" (sie benötigt kein
zusätzliches Fundament). Kinder stellen sich selten in den "freien Raum". Sie fühlen sich
noch zu unsicher, um auf ein zusätzliches Fundament verzichten zu können.
17. Farben
Farbe ist Licht, ist Musik. Die Farben aller Substanzen werden vom Licht erzeugt.
Strahlungen bestimmter Wellenlänge zu sehen ist eine physiologische Voraussetzung. Sehr
kurzes Licht ist für das menschliche Auge unsichtbar.
Die Verwendung der verschiedenen Farben ist gekoppelt mit dem Charakter des Kindes,
seinen sonstigen Vorlieben, seinem Temperament und seinen momentanen Stimmungen. Die
hier angedeutete Farbsymbolik muß deshalb noch einmal auf den ganz individuellen Aspekt
zugeschnitten werden.
Blau ist das Meer. Blau gilt als kühl, zurückgezogen, transparent. Es wird mit Treue, Reinheit
und Wahrheit in Verbindung gebracht. Die Farbe weicht vor uns zurück, ist unveränderbar, ist
geduldig und leise.
Braun ist die Farbe des Erdbodens. Braun ist Melancholie, Verfall, Beschmutzung. Oft
entsteht diese Farbe aber auch aus ungeordneten Farbtöpfen als Mischfarbe und hat somit
keine besondere Bedeutung.
Gelb ist die Sonne, das Feuer und das Licht. Vordringlich, laut, grell, unbescheiden, erregend
und alarmierend. Der Gelbsektor des Auges ist der weiteste, unter den Objekten, die ins
Sehfeld kommen, wird die Farbe Gelb zuerst erkannt. Deshalb wird sie auch als Warnfarbe
verwendet. Wer Gelb bevorzugt, hat etwas Abenteuerliches, Gefährliches an sich. Gelb/Gold
das blendet.
Grau ist die Mitte zwischen schwarz und weiß. Es gilt sowohl als vornehm als auch als
unscheinbar. Gleichgültig, lähmend, blaß wird damit in Verbindung gebracht. Man spricht
von der "Grauen Eminenz".
Orange hat die strahlende Glut des Gelb und die Aktivität des Rot. Eine Farbe, die einen
glücklichen, entspannten Geisteszustand vermuten lässt.
Grün ist die Hoffnung. Eine Farbe des Frühlings, der ruhigen, stillen Fruchtbarkeit, der Ruhe
des Waldes. Zum Gelb hin wird grün giftig, zum Blau hin morbide. Grün ist der Frosch, grün
ist die Mischung zwischen gelb und blau und doch aktiver als blau und dabei im Gegensatz zu
gelb ruhig und ausgeglichen.
Rot ist die Farbe des Blutes, des Lebens, der Liebe. Keine Revolution, keine Kinderzeichnung
die auf diese Farbe verzichten möchte. Sowohl Aktivität als auch Mordlust werden mit ihr in
Verbindung gebracht. Leben und Zerstörung. Kraft, Entschlossenheit, Sieg und Freude
werden durch diese Farbe zum Ausdruck gebracht.
Schwarz als Gegenfarbe von Weiß ist Abwesenheit, Dunkel. Symbol für Trauer,
Hoffnungslosigkeit, Weltverneinung, Anfang. Auch als Durchgangsphase wird die Farbe
Schwarz bezeichnet.
Violett hat die Motorik des Rot und das verinnerlichte Blau in sich. Es gilt als die Farbe der
Kirche und der Märtyrer. Himmel und Erde, Bewußtsein und Traum verbindet diese Farbe. Es
zeigt und löst Konflikte.
Weiß gilt im Orient als Farbe des Todes. Es ist entleert, steht für die Unschuld des
ungebrochenen Lichtes. Taucht auf Kinderbildern selten auf, weil meist nur weiße Malblätter
zur Verfügung stehen. Für die Darstellung von Schnee ist es jedoch unentbehrlich.
Kinder probieren verschiedene Farben aus, malen in der Regel bunte Bilder und verwenden
viele verschiedene Farben. Sie versuchen, je älter sie werden, möglichst naturgenau zu malen
und benötigen dazu viele Zwischentöne und Farbabstufungen.
18. Ausradierungen/ Neuzeichnung
Da Kinderbilder meist von Anfang an farbig gemalt werden, geschieht es selten, dass etwas
ausradiert wird. Sie nehmen lieber ein anderes Papier vor und beginnen von neuem. Es
passiert häufig, dass Kinder mit ihren Bildern unzufrieden sind und immer wieder von vorne
beginnen, vor allem, wenn sie sich an einem neuen Motiv versuchen. Dies hat nichts zu
bedeuten, es zeigt lediglich eine Erprobungsphase.
Wenn ein Kind jedoch einen Gegenstand oder eine Person, den es schon mehrmals gemalt hat
ausstreicht, übermalt oder das Bild zerreißt und dies öfter passiert ist es an der Zeit sich darum
zu kümmern. Welches Bild gerät immer unzufriedenstellend? An welcher Person auf dem
Bild liegt das? Welche Ursache wird vom Kind selbst genannt? Unsicherheiten im
Zusammenhang mit dem übermalten Gegenstand oder der geschwärzten Person können die
Ursache sein. Wenn das übermalte durch Neues ersetzt wird und dies besser gelingt, so ist
dies als positives Zeichen zu werten. Oft werden solche Erneuerungen auch vorgenommen,
weil der eigene Anspruch höher ist als die Fähigkeit, dies auf das Bild zu bringen.
19. Schrift in Bildern
In Kinderbildern befinden sich Sprechblasen oder der eigene Namenszug. Es ist wichtig, dass
andere wissen, von wem dieses Bild stammt und dass es dem Träger dieses Namens gehört.
Der Stolz auf das eigene Werk hängt damit zusammen. Bilder, die nicht gut gelingen, werden
selten mit Namen versehen und namenlos verschenkt oder weggeworfen. Kinder malen
Geschichten und erklären diese auch, sobald sie schreiben können mit zusätzlichen Worten,
die sie einfügen. Sie sollen die Bedeutung, die das Kind dem Bild gibt unterstreichen und vor
Fehlinterpretationen schützen.
20. Linie am oberen Rand
Am oberen Rand wird zumeist ein blauer Streifen für den Himmel gemalt. Er ist Symbol für
das Unabänderliche, kann aber auch, je nachdem wie dunkel diese Linie ausfällt als
bedrohlich gelten. Eingesperrtsein, aber auch Geborgenheit können damit zum Ausdruck
gebracht werden.
21. Durchsichtigkeit
In einer bestimmten Phase der Malentwicklung ist es normal, dass man durch Dinge hindurch
auf Dahinterliegendes sehen kann. Alles, was man weiß, wird gemalt, auch, wenn es sich
hinter einer Wand befindet. Wenn ältere Kinder oder Erwachsene Wände oder Körper
durchsichtig malen, so drücken sie damit aus, dass sie ungeschützt sind oder sich kontrolliert
fühlen.
22. Reihenfolge
Für jede Zeichnung gilt, dass die Reihenfolge der Zeichnung auch für die Wichtigkeit der
gezeichneten Personen und Dinge steht. Das Wichtigste wird in der Regel zuerst gemalt
(anders ist das bei "versteckten" Botschaften). Bei Kinderbildern ist dies meist die eigene
Person, die nicht nur in den Mittelpunkt gerückt wird, sondern auch zuerst gemalt wird. Wenn
wir beobachten, was Kinder zuerst auf ihr Blatt malen, so haben wir einen Hinweis auf die
Bedeutung, die das Kind dem Bild geben will. Die erste Malphase bringt dann die Bezüge, die
sich mit dem ersten Motiv verbinden, die weitere Zeit verbringt das Kind mit
Ausschmückungen und Ergänzungen.
Kinder malen Bilder auch auf mehrere Etappen. Da sie sich emotional mit dem Gemalten
auseinandersetzen und auch ihre Hand bald müde wird, entschließen sie sich manchmal dazu,
später weiterzumalen. Wenn wir Kinder beim Malvorgang beobachten und die Reihenfolge
genau festhalten, so können wir auf wichtige Botschaften, die das Kind uns damit vermittelt
stoßen.
6. Pädagogische Aspekte
Kinderbilder sind unter dem Aspekt der Tätigkeit zu betrachten. Die Entwicklung der
Handgeschicklichkeit, die Entstehung eines Produktes ist zunächst dabei wichtig. Bilder
entstehen auch in unseren Träumen, Menschen "erschaffen" sie jede Nacht. Und wie in
Träumen versteckte Informationen, Ängste, Befürchtungen aber auch freudige Erwartungen
verborgen sind, so kommen solche in Kinderbildern täglich zum Ausdruck. So wie Träume
oft für den Schläfer überraschend auftauchen, entstehen auch Bilder oft aus dem Unbewußten
und können vom Malenden selbst nur erahnt und nicht beschrieben werden. Kinder erklären
uns zwar ihr Bild, aber sie können Dinge darin, die in ihrem Unbewußten entstanden sind
nicht beschreiben.
Kinderbilder sind Briefe. Aber an wen? Kinder malen sich die Botschaften, die sie an uns
weitergeben wollen. Sie schreiben sich aber auch selbst Briefe, indem sie ein Bild malen und
etwas ausdrücken, was ihnen noch unbewußt ist oder unter der Oberfläche vor sich
hinschwelt.
Welche pädagogischen Konsequenzen müssen wir nun aus den vorangegangenen Aussagen
ziehen?


Gebt Kinder vielfältige Materialien zur bildhaften Gestaltung an die Hand. Malstifte,
Farben, Pinsel, Papiere, Pappe, Stoffe, Leder, Klebstoffe, aber auch Ton, Speckstein
usw. Sie erleben damit nicht nur, dass sie etwas schaffen können, sondern sie
bearbeiten gleichzeitig innere Konflikte und Spannungen. Für die körperliche
Ertüchtigung, die emotionale und kreative Entwicklung, sowie die kognitive
Auseinandersetzung ist Malen unverzichtbar.
Laßt Kinder frei und ungezwungen mit diesen Materialien experimentieren. Es geht
nicht in erster Linie um die Interpretation der Kinderbilder, sondern um den
Malvorgang selbst.






Kinderbilder nicht abwerten, daraus Bilderbücher gestalten, Wandbilder aufhängen,
Geschichten malen lassen etc. Achtung: alle Bilder müssen aufgehängt werden, nicht
nur die Bilder von besonders malbegabten Kindern!
Beobachtet genau und macht euch Notizen zu den Kinderbildern. Diese können dann
dazu dienen, Fehlentwicklungen und Probleme zu erkennen, aber auch die
Anerkennung der Leistung für das Kind selbst bringen. Kinderbilder sind immer
"schön". Es gibt nur nachlässige und schlampig gemalte Bilder, aber keine häßlichen.
Ermutigt die Kinder, für ihre Bilder viel Sorgfalt zu verwenden. Sie werden dann auch
andere Dinge sorgfältig erledigen.
Wenn ein Problem auftaucht, zur Interpretation auf jeden Fall die Aussage des Kindes
einbeziehen.
Familiäre Probleme, die in den Bildern zum Ausdruck kommen, nach Möglichkeit mit
den Eltern besprechen.
Bei Verdacht auf sexuellen Mißbrauch sorgfältig abwägen, was wichtiger ist, der
Schutz des Kindes oder die rasche Aufklärung. Scheint sich ein Verdacht zu erhärten
(Rat bei einer Beratungsstelle einholen), zusammen mit den Fachleuten, evtl. der
Mutter einen Hilfeplan entwickeln. Auch Frauenhäuser haben dafür ExpertInnen.
Die Interpretationshilfen für das bessere Verständnis einsetzen, nicht, um Vorurteile
zu bestätigen, Probleme in Kinderbilder zu interpretieren oder Kinder zu
therapeutisieren. Dazu gibt es genügend Fachleute!
Malen ist eine Ausdrucksweise kindlicher Lebensfreude. Kinder malen, matschen und
arbeiten gerne mit allerlei Materialien. Dabei bilden sie viele Fähigkeiten spielerisch aus.
In Tageseinrichtungen für Kinder ist Malen so an der Tagesordnung, dass es oft versäumt
wird, die Botschaften, die Kinder in ihren Bildern an uns richten wahrzunehmen.
Erzieherinnen sollten sich deshalb einmal intensiv mit der Wahrnehmung und Interpretation
von Kinderbildern beschäftigen, um diesen den ihnen gebührenden Respekt zu zollen.
Kinderbilder bieten neben Beobachtungsstudien die Möglichkeit, frühzeitig Störungen im
kindlichen Wohlbefinden zu bemerken und frühzeitig Hilfen anzubieten. Außerdem können
Erzieherinnen in Elternabenden die Möglichkeit nutzen, Eltern über die Entwicklung der
Malfähigkeiten von Kindern und den Ausdrucksmöglichkeiten in Kinderbildern zu
informieren. Örtliche MaltherapeutInnen können ihnen dabei zur Seite stehen,
PsychologInnen die unbewußt bleibenden Anteile referieren oder über besondere Symbole der
Kinderzeichnung berichten.
www.kindergartenpaedagogik.de/429.html
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