BAUPANORAMA 22 Montag, 26. April 2010 Bestes Beispiel – der Stephansdom G A S T K O M M E N TA R NACHHALTIGKEIT. Alle reden davon, aber wenige setzen es um, sagen Experten – dabei wären die Potenziale für Unternehmen wie für die Politik riesig. [ L. Schedl ] VON PETER MARTENS Bauen für die Zukunft VON MICHAEL LUDWIG N achhaltigkeit bedeutet für mich, vorausschauend und langfristig zu planen und diese Planungen gewissenhaft und qualitätsvoll umzusetzen – in sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und architektonischer Hinsicht. Die ökologische Nachhaltigkeit hat bereits einen großen Stellenwert eingenommen und damit zum – auch international anerkannten – Erfolg der Wiener Wohnbaupolitik beigetragen. Um diesen erfolgreichen Weg weiter auszubauen, geht der geförderte Wiener Wohnbau noch stärker auf die individuellen Wohnbedürfnisse der Zukunft ein. So werden künftig alle an den Bauträgerwettbewerben teilnehmenden Projekte – neben den bisher gültigen Kriterien Planung, Ökonomie und Ökologie – auch nach ihrer sozia- Nachhaltiges Bauen bedeutet, vorausschauend und langfristig zu planen. len Nachhaltigkeit bewertet. Damit wird, entsprechend den gesellschaftlichen Veränderungen, den sozialen Aspekten in der Architektur noch mehr Gewicht verliehen. Bei den Bauträgerwettbewerben zum Sonnwendviertel beim neuen Hauptbahnhof, „Holzbau in der Stadt“ und der Gerasdorfer Straße kam das vierte Beurteilungskriterium bereits zur Anwendung. Nachhaltigkeit spielt jedoch auch bei der Sanierung eine zentrale Rolle. Mit der 2009 in Kraft getretenen neuen Sanierungsverordnung hat die Stadt die Fördermittel für Sanierungsprojekte deutlich erhöht und an strengere Grenzwerte gekoppelt. Die Spielregeln sind einfach: Je geringer der Heizwärmebedarf eines Gebäudes nach der Sanierung ausfällt, desto höher sind die Förderungen dafür. Die Bewohnerinnen und Bewohner profitieren davon gleich in mehrfacher Hinsicht: Im Durchschnitt reduziert sich der Heizwärmebedarf eines Gebäudes nach einer thermisch-energetischen Sanierung um 50 Prozent. Das spart Energiekosten, trägt zum Klimaschutz bei und macht die Stadt noch lebenswerter. Der Autor ist Vizebürgermeister und Wohnbaustadtrat in Wien. D ie Verwendung des Begriffs „nachhaltiges Bauen“ ist in den vergangenen Jahren fast inflationär gestiegen – es gibt mittlerweile kaum ein Unternehmen, das es sich nicht auf die Fahnen schreibt. Was genau sich hinter diesem Phänomen verbirgt, bleibt dabei oft seltsam diffus. Zunächst also die klassische Definition: Nachhaltiges Bauen umfasst Lösungen im ökonomischen, ökologischen und sozialen Bereich. Einige Hersteller und Wissenschaftler beschäftigen sich schon lange mit Bautechniken, die alle drei Bereiche integrieren. Eine von ihnen ist Françoise-Hélène Jourda. Die international renommierte Architektin lehrt seit 1999 an der TU Wien. Sie beschreibt Nachhaltigkeit so: „Beim Bauen werden fünf Ressourcen genutzt: Energie, Material, Luft, Wasser und Grund. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie können wir Ressourcen so einsparen, dass Umwelt und Menschen davon profitieren?“ Bei Wasser, (Raum-)Luft und Grund geht es um intelligente Nutzung und darum, wie die rasant zunehmende Zersiedelung der Landschaft gebremst werden kann. Bei der Energie ist vor allem für Neubauten der Verbrauch von „grauer Energie“ relevant. Damit ist der Energieverbrauch von Baustoffen in der Herstellung und Anlieferung zur Baustelle gemeint. Jourda nennt ein Beispiel: „Ein Kilo Holz benötigt hundertmal weniger Energie als ein Kilo Stahl und tausendmal weniger als ein Kilo Aluminium.“ In der Energiebilanz eines Hauses, das 80 Jahre bestehen soll, mache diese „graue Energie“ rund ein Drittel aus. Doch wesentlich wichtiger ist der Energieverbrauch beim existierenden Gebäudebestand. „Es ist nicht genug, nur neue Bauten zu verbessern“, sagt Jourda. „Das Ziel muss sein, den Energieverbrauch von Gebäuden bis 2050 auf ein Viertel des heutigen Werts zu senken. Dazu müssen wir dringend unsere Gebäude und Städte verbessern. Ich sage, dass wir sie heilen müssen.“ Das größte Passivbürohaus hierzulande ist das Büro- und Seminarzentrum Eichkogel in Mödling: ein Beispiel dafür, dass [ Foto: Thomas Kirschner ] Unternehmen auch mit ihrem Firmensitz Nachhaltigkeit nach außen kommunizieren können. Als Beleg nennt die Architektin einige Daten aus dem Verbrauch von „primärer Energie“: also der gesamte Energieverbrauch, der anfällt, bis Strom oder Gas in der Wohnung nutzbar sind. Bei einem Kilowatt Strom ist der tatsächliche Energieverbrauch etwa 2,6-mal so hoch, bei einem Kilowatt Holz dagegen nur 0,7-mal. In einer üblichen Wohnung fallen laut Jourda in einem Jahr im Durchschnitt 200 bis 300 Kilowatt primärer Energie pro Stunde und pro Quadratmeter an. Skepsis in der Euphorie Das Ziel sei, den Verbrauch auf ein Viertel zu senken, sagt Jourda und nennt ein von ihr entwickeltes Beispiel: eine 20 Zentimeter dicke mit Holzwolle gefüllte Fassadenverkleidung aus Holz, die sich selbsttragend auf das Fundament stützt und am Gebäude nur fixiert ist. „Damit reduzieren Sie den Verbrauch von 250 auf 80 Kilowatt.“ Trotz der Euphorie um den Begriff bleibt Jourda realistisch. „Alle sprechen davon, aber nur sehr wenige machen es auch. Hier wird sehr viel ,Greenwashing‘ betrieben. Was wir brauchen, sind Prüfungsinstanzen.“ Auch Roland Gnaiger zeigt sich skeptisch. Er ist Professor für Architektur an der Kunstuniversität Linz und Initiator AUF EINEN BLICK. Q Vielfältiges Thema. Nachhaltigkeit am Bau vereint üblicherweise ökonomische, ökologische und soziale Aspekte. In Europa liegt Österreich beim Know-how „sehr weit vorne“, sagen Experten. Trotzdem bleiben die Potenziale oft ungenutzt – während kulturelle Aspekte beim Bauen oft ganz ausgeklammert werden. PREISVERLEIHUNG Von der Jurte bis zum Stadtviertel TU Wien zeichnet mit dem „Blue Award“ die besten Ideen von Studierenden aus – ihre Vielfalt beeindruckt. Nachhaltiges Bauen ist inzwischen in aller Munde. Trotzdem braucht es Impulse, um außergewöhnliche Ideen zu fördern und ihre Besonderheit zu kommunizieren. Genau dieses Ziel verfolgt der Preis „Blue Award“, dessen Gewinner am vergangenen Donnerstag vorgestellt wurden. Der Blue Award richtet sich an Studierende der Architektur und Raumplanung in der ganzen Welt. Veranstalter ist das Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien in Kooperation mit der International Union of Architects und dem Verein für Architektur und Raumgestaltung. „Shap!“ – eines der Siegerprojekte kommt aus Kärnten. [ Jürgen Philipp Wirnsberger ] Einreichungen aus 50 Ländern Das nächste Baupanorama erscheint am 3. 5. 2010. BAUPANORAMA Seite mit finanzieller Unterstützung der Landesinnung Bau Wien. des Österreichischen Staatspreises für Architektur und Nachhaltigkeit. „Das Thema wird zu oft total einseitig unter dem Aspekt der Energieoptimierung gesehen“, sagt Gnaiger. Es gebe zweifellos ein riesiges Potenzial für die Wirtschaft, das zum Teil mit dem Boom der Nachkriegszeit vergleichbar sei. Beim Know-how im Bereich der Haustechnik sei „Österreich auf europäischer Ebene ganz weit vorne“, sagt Gnaiger. „Aber wer Nachhaltigkeit ohne den kulturellen Aspekt betrachtet, der macht einen entscheidenden Fehler.“ So spricht Gnaiger auch manchem gefeierten Glanzstück moderner Architektur jede Nachhaltigkeit ab – weil sehr zu bezweifeln sei, ob es in 50 oder 100 Jahren noch gern genutzt werde. Dann führt Gnaiger ein Gegenbeispiel an: „So gesehen ist der Stephansdom wahrscheinlich das nachhaltigste Gebäude Österreichs.“ Die Initiatorin des Preises ist Françoise-Hélène Jourda. Die international renommierte Architektin lehrt seit 1999 am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien. Von Anfang an war ihr das Thema Nachhaltigkeit und seine Integration in die Lehre ein besonderes Anliegen. Im Gespräch zeigt sich Jourda erfreut über das Interesse am Blue Award: Mit 160 Einreichungen aus 50 Staaten seien die Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen worden. Ein Fünftel der Konzepte kommt aus Österreich. Die nominierten Projekte stellt das Institut auf seiner Homepage vor. Ihre Bandbreite ist sehr vielfältig: Sie reicht von einem Gebäude bis zur Planung eines ganzen Stadtgebiets. Hier zeige sich auch, wie vielfältig das Thema Nachhaltigkeit ist, erzählt Franz Karner, der am Blue Award beteiligt war: „Das beginnt bereits bei der Planung. Welche Faktoren kann man umsetzen; welche Materialien gibt es vor Ort, sodass man auf lange Transportwege verzichten kann; wie ist das Grundstück beschaffen; wie sieht die Besonnung aus?“ Ein bereits umgesetztes Siegerprojekt der FH Architektur Kärnten verbindet diese Faktoren auf beeindruckende Weise, obwohl es auf den ersten Blick denkbar einfach ist. Es geht um ein Schulgebäude in der Nähe von Johannesburg in Südafrika. In einer trockenen, hei- ßen Gegend leben 5000 Menschen, die Mehrheit von ihnen jünger als zwölf Jahre. Der studentische Entwurf unter Leitung von Peter Nigst sieht mit Stroh bewehrte Lehmziegel vor. Die Mauern werden mit Metallstäben fixiert und mit wieder verwendeten Holzlatten eingekleidet. Ein Schrägdach schafft schattige Flächen, gleichzeitig sorgen Aussparungen in den Wänden für Querlüftung und machen so eine Klimaanlage entbehrlich. Alle Materialien sind in der Nähe reichlich vorhanden; und weil das Konzept auch das Mitmachen der Gemeinschaft beim Bauen vorsieht, hat der Entwurf eine starke soziale Komponente. Wie groß der Bedarf an nachhaltigem Bauen ist, zeigt auch das Konzept von Christian Grabner und Sebastian Brandner von der TU Wien: Wegen ihrer Weiterentwicklung der traditionellen mongolischen Jurte hin zu einem kostengünstigen, stabilen, energieeffizienten Bau, der trotzdem transportierbar ist, hat schon eine NGO aus der Mongolei angeklopft. Noch diesen Sommer soll das Projekt in die Realität umgesetzt werden. mar