Vortrag – Dr. Michael Kögler

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Dr. med. Michael Kögler
Die
Wiederkehr
von
analytischen
Kinderund
Jugendlichenpsychotherapeuten in die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft ?
Vortrag bei der Jahrestagung der DPG 2008
Ich werde meinen Vortrag in 3 Teile aufgliedern:
Der erste Teil wird sich mit der Psychoanalyse vor 1933 beschäftigen . In
dieser Zeit war die Kinderanalyse ganz selbstverständlich integriert.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Zeit des Nationalsozialismus: Nach
dem Ausschluss der jüdischen Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen
wurde sie auf eine tiefenpsychologische Psychotherapie reduziert; die
Kontinuität in der professionellen Entwicklung wurde jedoch fortgesetzt.
Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Psychoanalyse von Kindern und
Jugendlichen nach 1945, dem Schwerpunkt meines Vortrages.
Ich stütze mich bei diesem Überblick auf die Arbeiten von Klaus
Oberborbeck: „Zur Geschichte der Psychagogik und „Erziehungshilfe“,
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie am Deutschen Institut Berlin
1933 – 1945 .
Die Kinderanalyse vor 1933
Fast alle Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen der ersten
Generation nach Freud experimentierten mit der Kinderanalyse und
veröffentlichten Arbeiten dazu, z.B. Karl Abraham (1909): „Zur
Psychogenese der Straßenangst im Kindesalter.“
Jung bildete ab 1909 Kinderanalytikerinnen aus und griff dabei auf
Pädagogen und Kindergärtnerinnen zurück: „Solche Analysen können am
besten von Frauen besorgt werden... ich lasse meine Kinderanalysen
durch eine Assistentin besorgen und bin durch vielfache Erfahrung zur
Ansicht
gekommen,
dass
Frauen
vermöge
ihrer
natürlichen
psychologischen Einfühlung gerade für diese Arbeit weit geeigneter sind
als Männer“ ( Seite 162). Damals als Lob gemeint, klingt es heute eher
abwertend.
Nach der Institutsgründung in Berlin 1920 bemühte sich Karl Abraham um
den Aufbau einer kinderanalytischen Abteilung. Anna Freud wurde zu
Kursen nach Berlin eingeladen. Melanie Klein übersiedelte nach Berlin,
konnte aber aufgrund von Kontroversen keine Lehrtätigkeit übernehmen.
Sie brachte aber mit ihren kontrovers diskutierten Ansichten zur
Kinderanalyse viel Bewegung in die Berliner Fachwelt.
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Carl Müller-Braunschweig führte selbst Kinderanalysen durch und hielt am
Berliner Institut Seminare zur Technik der Kinderanalyse.
Kinderanalyse zwischen 1933 bis 1945
Mit dem beginnenden Nationalsozialismus wurde die Kinderanalyse auf
Kinderpsychotherapie reduziert. Die konzeptionelle Grundlage war die
Vorstellung, dass die Neurosen der Kinder durch das Fehlverhalten der
Eltern erklärt werden. So wurde die Psychotherapie, in die ideologischen
Ziele des Nationalsozialistischen Staates einbezogen: „Es galt, den
zermürbenden
Einfluss
des
Neurotikers
in
der
Familie
und
Arbeitsgemeinschaft zu verhindern, wegen der Verringerung der
Arbeitsfreude und Leistung und wegen der damit verbundenen
unfruchtbaren Belastung des Volksvermögens“ (S. 351) Dieses Zitat
stammt von König-Fachsenfeld, der Leiterin der Abteilung Erziehungshilfe
des Reichsinstitutes von 1933-1945. Die theoretischen Grundlagen der
Psychotherapie des Reichsinstitutes mussten sich von der Psychoanalyse
als jüdischer Wissenschaft prinzipiell unterscheiden: Das Unbewusste ist
reduziert auf die verharmloste Rolle als große schöpferische Kraft, die
synoptischen Bestrebungen durch ihre Anhänger Jung, Adler und SchultzHencke hatten die Oberhand.
Für den Bereich der Kinderpsychotherapie waren die Schwerpunkte: Die
Umerziehung der Eltern, deren Fehlverhalten für die seelischen Störungen
ihrer Kinder verantwortlich gemacht wurden und die Spieltherapie für die
Kinder, die sich gesund spielen sollten: es geht um die Pflege ihrer Seelen
mit suggestiven und erzieherischen Interventionen.
Erstaunlich und alles andere als selbstverständlich ist die „professionelle
Kontinuität" wie Cocks es in seiner Arbeit: Psychoanalyse und
Psychotherapie im Dritten Reich ausdrückt.
Die ideelle und personelle Kontinuität des Berliner Psychoanalytischen
Institutes mit dem Reichsinstitut der Nationalsozialisten ist vielleicht am
deutlichsten durch die Person von Müller-Braunschweig verkörpert, einem
der Gründungsväter der DPV bei der Abspaltung von der DPG 1951. Er
führte die Verhandlungen mit Heinrich Matthias Göring, dem Vetter des
Reichsmarschall Göring. Sie führten zu dem Ergebnis, dass alle
psychotherapeutischen und tiefenpsychologischen Einrichtungen in
Deutschland dem Reichsinstitut als der Nachfolgeeinrichtung des Berliner
psychoanalytischen Institutes unterstellt waren. Ab 1939 gab es eine
Abteilung Erziehungshilfe im sogenannten Reichsinstitut: Neben der
Ausbildung zur Psychotherapie für Ärzte, Psychologen oder andere
Akademiker und poliklinischen Versorgung von Erwachsenen wurden im
Reichsinstitut als Zusatzstudium die Ausbildung zum Kinderanalytiker
angeboten;weiterhin die poliklinische Versorgung von Kindern und
Jugendlichen mit ihren Eltern, sowie die tiefenpsychologische Fortbildung
von Pädagogen, Lehrern, Fürsorgern und interessierten Eltern.
Psychoanalytiker der Schulen Freuds, Jung und Adler arbeiteten
zusammen. Die Frau von Matthias Göring machte zum Beispiel bei der
Freudianerin Ada Müller-Braunschweig eine Analyse und ließ sich auch zur
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Kindertherapeutin fortbilden. Als weiteres Detail sei genannt, dass jeden
Mittwochabend Vorlesungen und Übungen über Kinderpsychotherapie
stattfanden, deren Besuch auch für Ausbildungskandidaten obligatorisch
war. Der heute weit verbreitete und beliebte Sceno-Test wurde 1938 von
Gertrud von Staabs, einer Mitarbeiterin des Berliner Institutes, entwickelt.
Die professionelle Kontinuität während der nationalsozialistischen
Herrschaft kommt auch darin zum Ausdruck, dass etwa ab 1937/38 im
ganzen Reich ein flächendeckendes Netz von Erziehungsberatungsstellen
aufgebaut wurde. Im sogenannten Deutschen Institut wurde die
Erziehungsberatungsarbeit
von
Seif
mit
der
Ausbildung
von
Erziehungsberatern sowie Fortbildungsangeboten für Eltern und Lehrer
fortgeführt(Kadauke-List)
Zu erinnern ist auch an den Entwurf über die Tätigkeit von Psychagogen
von Adolf Weizsäcker aus dem Jahre 1935
Die Entwicklung nach 1945
Wir können also feststellen, dass das Deutsche Institut, das GöringInstitut, 1933 nach der Vertreibung der jüdischen Psychoanalytiker und
Psychoanalytikerinnen das Erbe des Berliner psychoanalytischen Institutes
angetreten und die Facharbeit fortgesetzt hat. Dabei grenzte sich die
deutsche
Seelenheilkunde
von
der
als
jüdische
Wissenschaft
gekennzeichneten Psychoanalyse wesentlich ab. Die nächste Frage ist
nun: Was geschah nach 1945? Dabei betrachten wir wieder besonders die
Kinderpsychotherapie, weil von Kinderanalyse keine Rede mehr sein
konnte.
Hier spielt Felix Boehm eine besondere Rolle: In ihrem Buch „Erinnern und
Durcharbeiten“ charakterisiert Regina Lockot Felix Boehm als einen Mann,
der während der Zeit der NS-Herrschaft äußerte ,er sei von Edith Jacobson
persönlich enttäuscht und habe unter dem Übergewicht der vielen Juden
im alten Institut immer gelitten.
Derselbe Felix Boehm schreibt 1952 in seiner Arbeit: „Zur Ausbildung und
Arbeitsweise der Psychagogen“: „Die von Freud in vielen Einzelheiten
entwickelte und in zahlreichen Schriften niedergelegte Auffassung wird
heut von der gebildeten Welt kaum mehr bestritten“.
Weiter schreibt Boehm in dieser Arbeit „angeregt durch viele aus dem
Auslande zu uns gedrungene Mitteilungen und veranlaßt durch die
katastrophale Situation der Jugend, welche unter den besonders
erschwerenden Bedingungen während des Hitler-Regimes, des Krieges
und der Nachkriegszeit gelitten hatten, wurden von verschiedenen
Mitgliedern des Berliner Institutes für Psychotherapie im Herbst 1947
eingehende Beratungen gepflogen, wie in Berlin Institutionen geschaffen
werden könnten, welche die Aufgabe der in England und den USA
entstandenen Child-Guidance-Clinics übernehmen konnten… Bereits im
Sommer 1948 konnte mit der ersten systematischen Ausbildung der
sogenannten Psychagogen begonnen werden. Diese Bezeichnung
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Psychagoge, die sich bereits in ganz Deutschland eingebürgert hat, ist von
Schultz-Hencke vorgeschlagen worden.“
Die Psychagogen sind also ein Kind der damaligen DPG, hervorgegangen
aus der kontinuierlichen Facharbeit des deutschen Institutes. Sie in den
Zusammenhang mit der Child-Guidance-Bewegung in England und den
USA zu stellen, suggeriert einen Neuanfang im Sinne einer Stunde Null,
den es nicht gegeben hat.
Das 1951 gegründete psychotherapeutische Institut in Hannover trug bis
1966 den Untertitel: Child-Guidance-Clinic. Diese nahm sich aber nicht nur
der psychotherapeutischen Versorgung der Nachkriegsbevölkerung im
Sinne eines multiprofessionellen Teams nach dem Muster einer ChildGuidance-Clinic an, sondern fokussierte sehr bald auf die Ausbildung von
Psychotherapie und Psychoanalyse, ein Umstand, der von einer
Besucherkommission der Child-Guidance-Clinic aus Bristol erstaunt zur
Kenntnis genommen und auch kritisiert wurde.
Im weiteren Verlauf entwickelten sich die Psychagogen zu analytischen
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die schließlich durch das
Psychotherapeutengesetzes auch rechtlich zu einer eigenständigen
Profession geworden sind
Im Folgenden lasse ich die aKJP-Institute, die nach der Spaltung von 1952
an DPV-Institute angeschlossen waren außer Acht und fokussiere auf die
Mehrzahl der aKJP, die an DPG-Instituten ausgebildet wurden.
Inhaltlich erfolgte eine Auseinandersetzung mit der Neopsychoanalyse
Schultz-Henckes und die allmähliche Distanzierung durch die Orientierung
am Mainstream der internationalen Psychoanalyse in der Kontinuität der
Psychoanalyse Sigmund Freuds.
Für die DPG war es die Rückgewinnung der psychoanalytischen Identität
nach dem Bruch von 1933, für die aKJP war es ein weiteres Vorankommen
zu
einer
psychoanalytischen
Identität
vom
Psychagogen
zur
Psychoanalytikerin und zum Psychoanalytiker für Kinder und Jugendliche.
Obwohl also beide, sowohl die DPG wie auch die VaKJP in ihrer
psychoanalytischen Identität vorankamen, entfernten sie sich weiter
voneinander.
Als Zwischenergebnis möchte ich folgendes Festhalten: Der Beruf des
Psychagogen ist keine Nachkriegserfindung, sondern hat seine Wurzeln in
der Zeit von 1933 bis 1945, in der das deutsche Institut in Berlin die
Federführung in der Weiterentwicklung der Profession hatte. Die DPG hat
die Kinderanalyse 1945 nicht als gleichberechtigten Teil der Psychoanalyse
wiederaufgenommen,
sondern
sie
auf
den
Psychagogen,
den
Heilhilfserzieher reduziert, sie damit zu einem zunächst abhängigen Kind
gemacht. Dass damit ein wesentlicher Beitrag zur psychotherapeutischen
Versorgung der Kinder und Jugendlichen im Nachkriegsdeutschland
geleistet wurde, muss anerkannt werden. Bis heute ist der Aspekt der
Versorgung
eine
Stärke
der
analytischen
Kinder
und
Jugendlichenpsychotherapie.
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In der Reduktion von Kinderanalyse auf Psychagogik drückt sich m.E. die
grundlegende Ambivalenz der Psychoanalyse gegenüber der Kinderanalyse
aus: Einerseits hat die Kindheit für die psychoanalytische Theorie,
insbesondere
die
Krankheitslehre,
einen
zentralen
Stellenwert,
andererseits existieren wesentliche Widerstände gegen die Kinderanalyse
insbesondere gegen ihre Ausübung. Hier möchte ich nennen:
- Die Scheu, sich der ausagierten Triebhaftigkeit von Kindern und
Jugendlichen direkt auszusetzen, zugunsten der Reflexion ihrer
Abwehr und kompromisshafter Verarbeitung in den Phantasien
Erwachsener oder einfacher ausgedrückt: die Analyse im
Couchsetting wird der unberechenbaren Spielsituation in der
Kinderanalyse vorgezogen.
- Die Unlust, sich in die konkrete unübersichtliche anstrengende und
unberechenbare Therapiesituation mit Kindern hineinzubegeben, die
häufig spontanes Eingreifen und Unsicherheit von seiten des
Behandlers oder der Behandlerin notwendig macht.
- Die Angst, sich der Macht der Mütter, bzw. der Eltern direkt
auszusetzen, wie in der aKJP, während die Wiederholung im
Nachhinein im Sinne der Übertragung und/oder der Rekonstruktion
weniger angstbesetzt sind.
- Die Konfrontation mit der Zukunft der Kinder und Jugendlichen, die
an den eigenen Tod erinnert.
- Die unbewusste Entwertung von Müttern und Kindern, wie sie sich
allenthalben in der Gesellschaft ausdrückt, z.B. im Stellenwert der
Erziehung.
Die DPG – das ist meine Hypothese – scheint sich nach der Zeit der
Verstrickung mit den nationalsozialistichen Machthabern unbewusst der
Kinderanalyse entledigt zu haben, indem sie sie auf ein quasi
pädagogisches Anhängsel reduzierte. Im Unterschied dazu hat die DPV,
wie die anderen IPV-Institute, die Kinderanalyse bewahrt als integrierten
Bestandteil der Ausbildung und als Zusatzqualifikation.
Diese Situation veranlasste schließlich 1991 den Vorstand der DPG auf
Initiative von Michael Ermann eine Kommission für Psychoanalyse und
psychoanalytische Therapie von Kindern und Jugendlichen unter Leitung
von Annette Streeck-Fischer ins Leben zu rufen. Dieser Kommission, die
bis 1997 arbeitete, gehörte ich auch an. Folgende Fragen sollten
beantwortet werden:
-
Welche Stellung soll die Kinderanalyse an den DPG-Instituten
haben?
Wie kann die Berufsgruppe der aKJP an die DPG herangeführt
werden?
Welchen Stellenwert soll die Säuglings- und Kinderbeobachtung an
DPG-Instituten haben?
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Eine Fragebogenuntersuchung an den 12 DPG-Instituten ergab u.a.
folgende Ergebnisse:
-
Einhellig
wird
befürwortet,
dass
der
Stellenwert
der
Kinderpsychoanalyse/Psychotherapie innerhalb der DPG steigen soll.
Eine außerordentliche Mitgliedschaft der aKJP in der DPG wurde
befürwortet.
Die Integration von Säuglingsbeobachtung in die Ausbildung zum
Psychoanalytiker wurde einhellig positiv bewertet.
An den 6 von 12 DPG-Instituten, an denen keine aKJP ausgebildet
wurden, waren Anamnesen von Kindern und Jugendlichen
selbstverständlicher in die Ausbildung integriert als an den Instituten
mit aKJP-Weiterbildung. Dieses auffallende Ergebnis scheint auf die
Konkurrenzsituation hinzuweisen.
Die KJP- Kommission setzte sich mit den Verantwortlichen für
Kinderanalyse in der DPV zusammen und stieß auf eine große Bereitschaft
zur Kooperation.
Der damalige Vorstand der VaKJP hingegen zeigte kein Interesse an
gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen. Auch gegenüber einer
vollwertigen Mitgliedschaft von aKJP in der DPG war ihr Berufsverband
eher ablehnend eingestellt. Die Befürchtung einer Selbstauflösung weist
wiederum auf das Konkurrenzverhältnis hin.
Die KJP-Kommission erarbeitete ein Curriculum für eine Zusatzausbildung
der Erwachsenen-Analytiker zum Analytiker für Kinder und Jugendliche
und
ein
Curriculum
für
eine
grundständige
Ausbildung
zum
Psychoanalytiker für Erwachsene sowie für Kinder und Jugendliche, also
eine Integration beider Bereiche.
Die Vorschläge wurden aber vom damaligen Weiterbildungsausschuss der
DPG nicht umgesetzt.
Damit ging auch nach 6 Jahren intensiver Arbeit die Tätigkeit der KJPKommission zu Ende.
Einzig greifbares Ergebnis bleibt die zeitliche Verschiebung der
wissenschaftlichen Jahrestagungen der DPG vom 01. Mai auf den
Fronleichnamstag, um eine Überschneidung mit der Jahrestagung der
VAKJP zu vermeiden.
Aussichten
Aber es besteht kein Grund zur Resignation. Im Gegenteil: Die
Entwicklung der psychoanalytischen Theorie und die Anstöße aus den
Nachbarwissenschaften in den letzten 20 Jahren geben Anlass zu großer
Hoffnung auf eine weitere Annäherung. Ich möchte das gerne
konkretisieren mit unseren Erfahrungen im aKJP-Instititut in Hannover
und unserem libidinösen Verhältnis zu Winnicott. Winnicott betont die
konkrete ausreichend gute Bemutterung, die fördernde Umwelt oder die
Holdingfunction als äußere Faktoren ebenso wie die unbewussten Prozesse
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z.B. bei der Illusionierung, bei der Bildung eines Übergangsobjektes, der
Objektverwendung, der Fähigkeit zur Besorgnis oder der unbewussten
Kommunikation in der Behandlung.
AKJP haben schon immer die Bedeutung äußerer, belastender,
überfordernder oder traumatisierender Faktoren in der frühen Beziehung
des Kindes für die Entstehung seelischer oder psychosomatischer
Erkrankungen anerkannt. Die Reflexion auf ihre unbewusste Bedeutung
eröffnet aber erst die psychoanalytische Dimension für ein ursächliches
Verständnis und die Heilungsmöglichkeiten durch die therapeutische
Beziehung. Melanie Klein, die die Pathogenese primär in intrapsychischen
Prozessen sieht, hat sich mit Winnicott heftig auseinandergesetzt. Er
schien verzweifelt, wenn er an seine Lehranalytikerin Joan Rivieŕe schrieb:
„Mit Melanie über die wirkliche Mutter zu reden ist wie, wenn man mit
einem Farbenblinden über Farben redet“ (S. 136). Zumal ihm auch
angedeutet wurde, dass seine Ansichten die Folgen unzureichender Tiefe
in seiner Lehranalyse wären. Winnicott hat seine konkreten Erfahrungen
und Beobachtungen bei der Untersuchung von Kindern mit ihren Müttern
bzw. ihren Eltern integriert in das bisherige psychoanalytische
Therapiegebäude und hat es ergänzt und bereichert. Er verkörpert damitwie
ich
meine
–
für
die
analytische
Kinderund
Jugendlichenpsychotherapie exemplarisch die Verbindung von konkreter
interaktioneller Erfahrung mit dem psychoanalytischen Theorieverständnis. Das lässt sich zum Beispiel zeigen für das Spiel mit seiner
konkreten und unbewussten Dimension, übrigens nicht nur bei Kindern
und Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen.
AKJP haben nach meiner Wahrnehmung die
Ergebnisse der
Säuglingsforschung, der Selbstpsychologie, des Intersubjektivismus oder
der Hirnforschung mit großer Bereitschaft aufgenommen und umgesetzt.
Psychoanalytiker für Erwachsene haben sich mit diesen Entwicklungen
ebenfalls auseinandergesetzt: Mentalisierung, intersubjektive Genese des
Selbst, Konzepte der Affektabstimmung, der Wirkmächtigkeit und des
Spiegelns sind selbstverständliche Bestandteile in der Ausbildung von
Erwachsenenpsychoanalytikern geworden. Konzepte der autistischen
Phase, des primären Narzissmus oder der symbiotischen Phase mussten
überarbeitet werden. Damit sind allein durch die Fortschritte der
wissenschaftlichen
Kenntnisse
kinderanalytische
Inhalte
in
die
Erwachsenenanalyse zurückgekehrt und haben zu einer Annäherung der
beiden Professionen geführt.
Wenn ich meine eigene Ausbildung zum Psychoanalytiker für Erwachsene
vergleiche mit dem, was wir heute unseren aKJP-KollegInnen in
Ausbildung in Hannover anbieten können – das sage ich stellvertretend für
die StäKo-Institute – so steht letztere der ersteren um nichts nach, eher
im Gegenteil.
Ich komme zum Schluss mit dieser Folgerung:
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Die DPG ist gut beraten, anzuerkennen, dass ihr ursprüngliches schlecht
ausgestattetes und vernachlässigtes Kind des Psychagogen inzwischen zu
einem gleichwertigen psychoanalytischen Kollegen bzw.einer Kollegin
herangewachsen ist. Das Angebot einer ordentlichen Mitgliedschaft in der
DPG halte ich auf diesem Hintergrund für selbstverständlich.
Die Möglichkeit für aKJP in der DPG eine Zusatzausbildung im Sinne der
Laienanalyse zu machen, ist zwingend, einschließlich des Status eines
Lehranalytikers oder einer Lehranalytikerin sowie es umgekehrt für
Analytiker und Analytikerinnen für Erwachsene die Zusatzqualifikation in
Kinderanalyse bzw. Kinderpsychotherapie gibt.
Man muss kein Hellseher sein, um sich darauf einzustellen, dass es in
nicht all zu ferner Zukunft, wahrscheinlich im Rahmen der Novellierung
des Psychotherapeutengesetzes, zu weitreichenden Änderungen kommen
wird. Zum Beispiel ist es nicht ausgeschlossen, dass ein grundständiges
Studium der Psychotherapie eingerichtet wird, welches mit der
Approbation endet, um dann Spezialisierungen zu ermöglichen wie z.B.
Psychotherapie von Erwachsenen, Kinder und Jugendlichen oder Gruppen.
Die Voraussetzungen zur Bündelung der psychoanalytischen Kräfte
können aber schon jetzt geschaffen werden, wie z.B. durch eine
wesentlich engere Kooperation zwischen DPG und VaKJP oder durch eine
Wiederkehr in die DPG. Die Rückkehr der DPG ihrerseits in die IPV könnte
dabei ein besonderer Anreiz sein.
Neben diesem berufspolitischen möchte ich aber mit einem inhaltlichen
Aspekt schließen: Für die Psychoanalyse von Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen bestehen die gleichen Gesetzesmäßigkeiten. Antonio Ferro
führt aus, dass es um die Entwicklung der seelischen Funktionen geht.
Damit ist gemeint, die zunehmende Fähigkeit primitive sensorische Reize
im Sinne von Bion denken zu können, sie also auszuhalten, zu bewahren
und auf ein Niveau von Symbolisierbarkeit heben zu können. Es geht also
um die zentrale Funktion im Seelenleben Emotionen steuern zu können
und sie zu einem sinnerfüllten Leben nutzen zu lernen.
„Daraus ergibt sich, dass es keine Unterschiede zwischen Kinder- und
Erwachsenenanalyse geben kann“. (S. 177)
Literatur:
Abraham, K. (1909) Zur Psychogenese der Straßenangst im Kindesalter.
In:
Cremerius,
I
(Hg):
Psychoanalyse
und
Erziehungspraxis,
Frankfurt/Main (1971) S. 164-165
Böhm, F.: Zur Ausbildung und Arbeitsweise der Psychagogen, Bd. 1, 1952
S. 65 - 71.
Cocks,, G.: „Psychoanalyse und Psychotherapie Dritten Reich". In: Rudolf,
G. (Hg) Psychoanalyse der Gegenwart, Göttingen, 1987
Ferro, A .: Folgt die Analyse von Kindern eigenen Gesetzmäßigkeiten?
8
A K J P, Heft 1 3 8, XXXIX. Jahrgang 2/20008
Jung,CG: Kongressbericht, Brüssel, 1912
König-Fachsenfeld, O ".: „Erziehungshilfe." In:
Psychotherapie und ihre Grenzgebiete, Leipzig, 1942.
Zentralblatt
für
Lockot, R.: Er Inneren und Durcharbeiten, Frankfurt/Main, 1985
Dr. Michael Kögler,
Geibelstraße 104
30 1 7 3 Hannover
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