Peter Geißler, Günter Heisterkamp (Hrsg.): Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie. Ein Lehrbuch. Springer, Wien, New York, 2007, 675 Seiten, gebunden, 89,95 Euro Diesem Opus magnum der analytischen Körperpsychotherapie – die Herausgeber würden wohl eher sagen: „der theoretischen Fundierung und praxeologischen Darstellung des körperlichen Geschehens in der psychoanalytischen Therapie“ – ist mit Respekt zu begegnen. So sind die Herausgeber selbst und viele der MitautorInnen Pioniere dessen, was einst mit Wilhelm Reich, Sándor Ferenczi u.a. in der Psychoanalyse begonnen hatte. Peter Geißler kommt ursprünglich eher von der Bioenergetischen Analyse (nach Alexander Lowen). Die konfliktträchtige Auseinandersetzung, die seinem verehrten Lehrer Jaques Berliner vormals von A. Lowen aufgezwungen (?) wurde, führte bei einem Teil der Österreichischen Bioenergetiker zu einer starken Hinwendung zur Psychoanalyse. Wer Böses denkt, könnte jetzt orakeln: „Die Orthodoxen und die Konvertiten sind die Schlimmsten ...“. Jedenfalls ist P. G. so zu einem der führenden und produktivsten Köpfe im deutschsprachigen Raum geworden, was die Entwicklung einer versuchten Integration von Körperpsychotherapie und Psychoanalyse betrifft. Anders Günter Heisterkamp: Ehemaliger Hochschullehrer, ein Psychoanalytiker „von echtem Schrot und Korn“ Adlerianischer Prägung, der zur Bioenergetischen Analyse kam und da ein CBT-Zertifikat nachweisen kann. Sitzt man heute in einem Workshop von G. H., glaubt man in einem lehrtherapeutischen Oberseminar für dialogische Empathie zu sein, hinter jedem szenischen Verstehen liegt noch ein weiteres, ein tieferes ... . Also, abgesehen von vermutlich persönlichen Gründen, die die beiden (P. G. und G. H.) zusammenführten, konnten sie sich „zeitgeistmäßig“ gar nicht ausweichen – jeder von einer anderen Position kommend: der eine nicht mehr nur Körperpsychotherapeut, der andere nicht mehr nur Psychoanalytiker. So kreuzen sich Wege. Oder „neudeutsch“: der Hybridisierung (von Körperpsychotherapie und Psychoanalyse) scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Aber das Stichwort „Hybrid“ ist ja vielleicht der Punkt, um in die kritische Würdigung des Buches einzusteigen. Wissenschaftshistorisch fristet die Psychoanalyse ein merkwürdiges Zwitterdasein. Sie ist zum einen wertkonservativ, was ihre eigenen Erkenntnisse anbelangt. Ich werde eine Tagung der deutschen psychoanalytischen Orthodoxie, wohl 1989 oder 1990 in Hamburg, nie vergessen. Tilmann Moser gab den „jungen, analytisch körperpsychotherapeutischen Ritter“ in seiner unnachahmlichen, masochistischen, latent aggressiven Art. Es klappte. Die Oligarchen der Orthodoxie stürzten sich auf ihn: „Schweinerei ... , Netzbeschmutzung ... , Inzest ... !“. Zum anderen ist die Psychoanalyse ein „Moloch“. Es gibt keine antithetische Strömung innerhalb der Psychoanalyse, die nicht selbst wieder von ihr vereinnahmt wurde. Mögen sie nun Kohut u. a. oder ja selbst (!) Kernberg heißen. Nur ein paar frühere Charismatiker, wie z.B. Perls, getrauten sich, eine eigene Richtung aufzumachen. An der Quittung knabbern sie noch heute, ob sie nun eine Zulassung nach den deutschen Psychotherapierichtlinien erfahren oder nicht. In dieser Molochfunktion ist die Psychoanalyse wiederum wissenschaftsinnovativ, wenn nicht gar wissenschaftsrevolutionär. Böse Zungen könnten das aber auch als „eklektisch“ bezeichnen. Aber wie singt der Feingeist Wolf Biermann: „Nur wer sich selbst verändert, bleibt sich treu.“. Und prompt passiert es. Der DGPT-Psychoanalytiker Michael B. Buchholz ist bereit zum „Hören“ („wau!“, A. H. K.), was P. G., G. H. u.a. zu verkünden haben (vgl. seine Rezension zum o. g. Buch in: DGPT-Newsletter 61). Das Historiendrama ist schon lange eröffnet. Was ist nun das spezielle dramatische Moment? Vorab dazu eine kurze visionäre Übermütigkeit: Wie sähe eine psychotherapeutische Landschaft aus, in der es eine eigenständig anerkannte, kassenrechtlich zugelassene tiefenpsychologisch fundierte und eine analytische Körperpsychotherapie gäbe? Wie sähe es aus, wenn die (Bewilligungs-) Gutachter für solche Therapien ausgewiesene tiefenpsychologisch fundierte oder analytische Körperpsychotherapeuten wären? Soweit zur Vision. Die Praxis sieht anders aus. In Deutschland würde man heute „einen Teufel tun“, wenn man als kassenzugelassener Psychotherapeut dem psychoanalytischen Gutachter von seiner Arbeit mittels tiefenpsychologisch fundierter oder analytischer Körperpsychotherapie berichten würde. Eine Ablehnung des für den Patienten gestellten Therapieantrages wäre die 100 % tige Folge. Einige durchgeknallte VertreterInnen dieser Gutachterspezies drehen ja jetzt schon rund, wenn man das Vokabular ihres psychoanalytischen Elfenbeinturmes um ein Jota verläßt – wie dann erst, wenn es um Körperpsychotherapeutisches ginge...?! Zurück zum dramatischen Moment: Nicht die Psychoanalyse schreit „Was können wir von der Körperpsychotherapie lernen? Her damit!“. Nein, zwei „Hybridanfällige“ tragen die analytische Körperpsychotherapie ZUR Psychoanalyse – und zwar „auf hohem wissenschaftlichen Niveau“ (so Tilmann Moser im Dt. Ärzteblatt 11 zum o. g. Buch). Die Dramatik generiert zur Tragödie. Da tragen hochpotente KollegInnen etwas zu etwas hin und die andere Seite sagt: „Na ja, wir können ja vielleicht ‘mal hören, was Ihr zu sagen habt.“. Wofür das alles, warum, weshalb – das frage ich mich. Um im Moloch „Psychoanalyse“ zu versinken, um gar eine „Heimstatt“ zu finden, um endlich „Annahme“ und „Dazugehöhrigkeit“ zu erfahren? Oh, frühes Defizit, ich hör‘ Dich sirenenhaft singen. Was sollen damit all die KollegInnen anfangen, die draußen in ihren Praxen rechtschaffend körperpsychotherapeutisch arbeiten? Sie werden leider ihre GutachterInnen weiter belügen müssen. Um nicht mißverstanden zu werden. Ich sehe die „hohen Mauern“, die Tilmann Moser immer noch zwischen Körperpsychotherapie und Psychoanalyse auszumachen glaubt (vgl. seine Rezension s. o.), nicht. Ich mache hier keine „Feindesfront“ auf. Viele psychoanalytische KollegInnen, die ich kenne, arbeiten in irgendeiner Form multimodal. Oft haben sie eine Zweitausbildung in „Körper“, in „Gestalt“, in „Psychodrama“ in „Trauma“ und, und, und... Aber, wenn Psychoanalyse als „strukturelle Gewalt“, als „strukturelle Macht“ daherkommt, dann ist sie sui generis nicht nur körperpsychotherapiefeindlich, sondern körperfeindlich und körpernegierend. Wenn man etwas zu etwas hinträgt, dann hat das auch seinen Preis. Der Kotau muß ja auch seinen Inhalt haben. Ein zentrales Verständnis der Körperpsychotherapie beruht auf dem, was wir mit dem Begriff der „Energie“ versuchen zu (er-) fassen. David Boadella ist bisher dieser Erfassung und dann der entsprechenden „Verschriftlichung“ vermutlich relativ nahe gekommen. Der am meisten von der „Psychoanalyse als strukturelle Macht“ unverstandene Begriff ist der der „Energie“, obwohl sich Freud immer wieder mit diesem Begriff auseinandersetzte (vgl.: Maaz, H.-J., Krüger, A. H., Integration des Körpers in die analytische Psychotherapie. Materialien zur analytischen Körperpsychotherapie. Pabst Science Publishers, Lengerich, 2001, S. 77). Der Kotau besteht dann darin, daß der Energiebegriff verschwiemelt, negiert oder pseudoverwissenschaftlicht werden muß. Oder wie ist so eine merkwürdige Wortkonstruktion zu verstehen, wie: „unmittelbare Affektinduktion“ (S. 316). P. G. polemisiert schon länger in seinen Vorträgen und Veröffentlichungen vehement gegen den Energiebegriff. Die wissenschaftshistorische Chance, als analytische Körperpsychotherapie mit einem fundierten Energiebegriff die Psychoanalyse herauszufordern, ist hier leider gründlichst vertan worden. Statt sich dem (sehr wohl !) wichtigen „Übertragungs – Gegenübertragungs – Dynamik“ – Theorem der Psychoanalyse anzubiedern, hätte man die ÜbertragungsGegenübertragungs-Dynamik konsequent als eine Gefühls- und Energiedynamik begreifen und darstellen können, die nicht nur (psychoanalytisch) zu verstehen, sondern auch (körperpsychotherapeutisch) zu FÜHLEN ist. „Am Wort sollst Du sie erkennen ...“ – oder eine wissenschaftlich fundierte Psychotherapie an ihrer Entwicklungstheorie. Deshalb ist P. G.s Darstellung „Entwicklungspsychologisch relevante Konzepte im Überblick“ (S. 99 ff.) sehr aufschlußreich. Ich vermisse dort eine Schwerpunktsetzung. Was wäre denn gerade für das körperliche Geschehen in Psychotherapien, nicht nur in Psychoanalysen, entwicklungspsychologisch relevant? Wenn man keine klare Antwort bei P. G. findet, dann kann vielleicht das „Autorenverzeichnis“ bei der Spurensuche behilflich sein. 86mal wird Daniel N. Stern im gesamten Buch von allen Autoren zitiert. Es wimmelt in dem Buch von „RIGs“ (representations of interactions that have been generalized), von „Now-moments“ und von vielen anderen wichtigen Sternschen Entwicklungsbegriffen. Sterns großes Werk, hier vor allem hervorzuheben „Die Lebenserfahrung des Säuglings“, richtet sich vor allem gegen die rekonstruktionistische Verknappung des frühkindlichen Seelenlebens in der psychoanalytischen Praxis. Stern dagegen versucht, die reale innere Welt des Säuglings zu erforschen. So gesehen, ist sein Werk theorieleitend für alle ernsthaften Psychotherapiemethoden, die sich einer stringenten Entwicklungstheorie verpflichtet fühlen. Nur, für eine spezielle Entwicklungtheorie „des körperlichen Geschehens in der psychoanalytischen Therapie“ kann man ihn wahrlich nicht mißbrauchen. Aber es funktioniert vielleicht. Wenn man den Kotau noch mixt mit „wissenschaftlicher Kameradschaftlichkeit“, denn selbst die knochentrockensten Psychoanalytiker konnten sich dem Sternschen Oeuvre nicht mehr verschließen, dann scheint dem Einzug ins psychoanalytische Walhalla nichts mehr im Wege zu stehen. Man hätte auch einen anderen Weg gehen können. 1993 erschien das Buch eines damals noch relativ unbekannten Wissenschaftlers, nicht ‘mal Arzt oder Psychologe von Haus aus, sondern Soziologe (!), mit dem Titel: „Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen.“. Sein Autor – Martin Dornes. Andere wichtige Bücher folgten. Da schrieb einer nach unkonventioneller und akribischer Auswertung neuster Ergebnisse der Säuglingsforschung (unbekümmert?) auf, wie eine „empirisch angeleitete, psychoanalytisch inspirierte Theorie der präverbalen Entwicklung“ aussehen könnte. Nicht nur, daß er diese Ergebnisse methodisch darstellte, er deutete sie auch, weil er konsequent methodologisch dachte. Methodologisch bezüglich dessen, was da in der Forschung geschah, und methodologisch bezüglich der Konsequenzen für die Entwicklungspsychologie im Speziellen und für die Psychotherapie / Psychoanalyse im Allgemeinen. Da aber sein ausgemachter Forschungsgegenstand das Präverbale war, stieß er mit voller Erkenntniswucht auf das Körperliche, oder psychologischer formuliert, auf DAS AFFEKTIVE ERLEBEN DES KÖRPERS. Hier hätte die deduktive Ausarbeitung einer psychotherapierelevanten Entwicklungstheorie des affektiven Erlebens des Körpers (wohl unterschieden vom Narrativen) beginnen können, geleistet von Körperpsychotherapeuten, Psychotherapeuten, Psychoanalytikern u.a. . Dornes‘ Begrifflichkeit des „unbewältigten sensorischen Affekts“ hätte zur zentralen Fragestellung geführt, wann in einer Psychotherapie / Psychoanalyse körperpsychotherapeutische Handlungsvollzüge zwingend notwendig und sinnhaft sind. Erst die Bewältigung des bisher unbewältigten sensorischen Affekts (auf körperlicher Ebene!) befreit den Patienten vom früh gestörten und neurotischen Wiederholungszwang. Ja, die KollegInnen unter uns, die es ernst nehmen mit der KÖRPERLICHEN DIMENSION in der Psychotherapie, egal ob (!) Verhaltenstherapeut oder Psychoanalytiker, werden an „Psychoanalyse der Lebensbewegungen. Zum körperlichen Geschehen in der psychoanalytischen Therapie. Ein Lehrbuch.“ nicht vorbeikommen. Für die Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist es sehr empfehlenswert. Die Herausgeber und AutorInnen des Buches werden sich allerdings auch Vergleiche gefallen lassen müssen. Ich denke da an George Downing „Körper und Wort in der Psychotherapie. Leitlinien für die Praxis.“ und Gustl Marlock und Halko Weiss (Hrsg.) „Handbuch der Körperpsychotherapie“. Wenn ich Rangplätze vergeben dürfte, dann wären Geißler / Heisterkamp – „3.“, Marlock / Weiss – „2.“ und Downing – „1.“. Der „dritte Platz“ ist doch auch nicht schlecht, oder...? Dr. Arnim H. Krüger, Berlin Psychoanalytiker (DGPT) Bioenergetische Analyse (CBT) Analytischer Körperpsychotherapeut (DGAPT) Mail: [email protected]