Folie - bei DI Gerhard Lang

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Analytische Körperpsychotherapie: Eine neue Methode oder ein
eklektischer Ansatz?
Peter Geißler
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit etwa fünfzehn Jahren zeichnet sich in der deutschsprachigen
Psychotherapielandschaft folgende Tendenz ab: körperpsychotherapeutische
Verfahren beschäftigen sich zunehmend mehr mit der therapeutischen
Beziehung und nicht mehr so sehr in einseitiger Weise mit Aspekten des
Körperselbst, also Haltung, Bewegung, körperlichen Blockaden, Energieflüssen
und dergleichen. Umgekehrt lässt sich innerhalb der Psychoanalyse eine
zunehmende Beschäftigung mit der Dimension „Handlung“ feststellen: Handeln
als „Agieren“ in der Psychoanalyse hatte einst eine negative Bedeutung, denn
Freud war der Meinung gewesen, zwischen Handeln und Verstehen bestehe ein
grundsätzlicher Widerspruch. Darin lag auch einer der Gründe, das CouchSetting zu erfinden, in dem der Handlungsspielraum sehr eingeschränkt ist.
Dieser Widerspruch von Handlung und Verstehen wird so krass innerhalb der
Psychoanalyse heute nicht mehr gesehen: das Handeln hat eine andere
Bedeutung bekommen, es wird neu bewertet. Unter dem Einfluss der
Säuglingsforschung, der Bindungsforschung und der Traumaforschung ist heute
unter Psychoanalytikern allgemein anerkannt, dass sich manche seelische
Bereiche nicht anders als durch körperliche Handlungen artikulieren können.
Der Begriff „Enactment“ drückt diesen Bedeutungswechsel aus, er hat heute
vielfach den Begriff des Agierens abgelöst. Als Folge davon werden bestimmte
spontane Handlungen in psychoanalytischen Therapien durchaus zugelassen,
wenn auch nicht aktiv von Seiten des Therapeuten begünstigt.
Psychoanalyse ist so gesehen also nicht mehr handlungs- und körperfern.
Allerdings gibt es, wie Gisela Worm klarstellt (Sie wird Ihnen dazu ihn ihrem
Vortrag noch mehr darüber sagen) eine scharfe Grenze: Sie beginnt dort, wo der
Analytiker nicht nur mit verbalen Interventionen auf körperliche Handlungen
reagiert, sondern aktiv körperliche Handlungen initiiert oder beantwortet. D. h.
wenn er das Setting in Richtung konkreter Handlungen öffnet. Man könnte es so
formulieren: Moderne Psychoanalytiker sind heute so weit, dass sie bestimmte
Handlungen des Patienten zulassen und diese Handlungen nicht sofort als
Widerstand oder Agieren deuten; sie fordern den Patienten aber nicht aktiv zum
Handeln auf. Das Setting grundlegend im Hinblick auf die Ermutigung
körperlicher Handlungen zu öffnen, das tun bisher nur ganz wenige
Psychoanalytiker.
An der Schnittstelle zwischen beziehungsorientierter Körperpsychotherapie
einerseits und dem Handeln gegenüber aufgeschlossener Psychoanalyse
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andererseits hat sich eine eigene therapeutische Strömung entwickelt, die derzeit
unter der Bezeichnung „analytische Körperpsychotherapie“ läuft und auch
bereits Eingang in das eine oder andere Lehrbuch oder Lexikon gefunden hat. Es
gibt diese Strömung seit etwa 15 Jahren, und sie wurde seitens der
Psychoanalyse dadurch begünstigt, dass man sich wieder mehr mit den Werken
von Sandor Ferenczi beschäftigte, einem Freud-Schüler, der recht revolutionäre
Gedanken eingebracht hatte.
Wie gesagt: diese Strömung wurde von zwei Seiten her begünstigt. HansJoachim Maaz ist einer der Begründer dieser Strömung von der Seite der
Körperpsychotherapie her. Er definiert sie folgendermaßen:
"Analytische Körperpsychotherapie ist analytische Psychotherapie /
Psychoanalyse, die den Körper theoretisch und praktisch integriert."
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Drückt diese Definition wirklich das aus, was mit diesem Ansatz gemeint ist? Es
handelt sich ja hier um eine sehr allgemeine Definition.
Der Schrägstrich: Handelt es sich um eine Form von Psychoanalyse? Oder um
„analytische Psychotherapie“? Sind die beiden in Wirklichkeit das gleiche, oder
verschieden voneinander? Und was heißt dann „analytisch“? Psychoanalytisch –
oder etwas anderes?
Handelt es sich um eine „Körperpsychotherapie“, mit analytischen Elementen?
Das Wort „Integration“ lässt vermuten, dass es sich um einen eigenständigen
methodischen Ansatz handelt. Dies wollen wir aber in Frage stellen. Ist es ein
methodischer Ansatz, oder ist es ein eklektisches Verfahren? Wie gelungen ist
diese Integration?
Oder sind vielleicht sogar zwei oder mehrere unterschiedliche Ansätze gemeint,
bisher in einem gemeinsamen Oberbegriff vereint, und schafft dies eher
Verwirrung als Klarheit?
Ich stelle der Definition von Maaz einmal eine Definition von Gisela Worm zur
Seite, wo sie folgendes sagt:
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(oben nochmals Maaz)
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Ihr Ansatz ist die Anwendung der Widerstands- und Übertragungsanalyse
auf den interaktionellen Umgang.
Das ist auch eine eher allgemeine Definition. Ich bitte zu beachten:
1. Es kommen die Begriffe Widerstand und Übertragung klar zum Ausdruck
– also zwei genuin psychoanalytische Begriffe.
2. Es hier die Rede von „interaktionellem Umgang“ – d. h. vom beidseitigen
Handeln; das schließt körperliches Handeln mit ein, jedoch ist in dieser
Definition – im Gegensatz zu der von Maaz – der Fokus nicht so sehr auf
den Körper gerichtet – sondern auf die Interaktion; und das ist
wahrscheinlich kein Zufall.
Mit diesen ersten Assoziationen habe ich das Thema umrissen, um das es mir
heute geht. Lassen Sie mich gleich jetzt dazu sagen, dass diese Diskussion noch
sehr in Fluss ist, dass sie auch spannungsgeladen ist – immerhin geht es dabei
um methodische Identitäten – das sind heiße Fragen. Auch wenn es dabei oft
mehr um Schwerpunktsetzungen als um Widersprüche geht, so sind die
angesprochenen Themen doch wichtig und führen nicht selten zu Konflikten, die
in Spaltungen oder Ausschlüssen münden können. Die Methodengeschichte der
Psychotherapie ist voll von alledem. Denken Sie nur an den Ausschluss Wilhelm
Reichs aus der psychoanalytischen Gemeinschaft und auch die Ächtung, die
Ferenczi erfahren musste (er wurde damals von Freud für paranoid erklärt).
Wir sind also in Diskussion, und das ist wichtig, diese Diskussion braucht Zeit.
Meinen Beitrag heute möchte ich als Teil der Diskussion verstanden wissen, es
geht nicht um definitive Schlussfolgerungen.
Meine Anstöße sind insgesamt assoziativ, ich habe sie – eher willkürlich – in
folgender Weise zu systematisieren versucht:
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Die Gedankenkomplexe
Gedankenkomplex 1: Allgemeine Gedanken zur Methodik
Gedankenkomplex 2: Wer braucht methodische Überlegungen?
Gedankenkomplex 3: Sind unsere Schwierigkeiten sind gegenstandsangemessen?
Gedankenkomplex 4: Psychotherapie als erlernbare Methode
Gedankenkomplex 5: Handeln vs. reflektierendes Verstehen
Gedankenkomplex 6: Klinisches Vorgehen und diagnostische Überlegungen
Gedankenkomplex 1: Allgemeine Gedanken zur Methodik
Hier stehen sich zwei Positionen gegenüber: die Forderung nach einer
„integrierten“ Methode auf der einen Seite; sie kommt mehr aus der Theorie;
und die Notwendigkeit eklektisch vorzugehen, sie ergibt sich eher im praktisch3
klinischen Umgang mit Patienten. Beide Positionen bergen Chancen und
Gefahren.
Die Chance eine integrierte Methode anzustreben besteht darin, in ihrer Theorie
und Theorie der Praxis so widerspruchsfrei wie nur möglich zu sein.
Widerspruchsfreiheit oder zumindest ein klares Benennen von
Widersprüchlichkeiten ist eine Anforderung an die Wissenschaftlichkeit einer
Theorie bzw. Methode. In Österreich z. B. muss man dies Art von
Wissenschaftsbeweis antreten, damit eine Methode vor dem Gesetzgeber
anerkannt ist – hier in Deutschland wird es wohl nicht viel anders sein.
Die Gefahr besteht darin, dass nicht nur Widersprüche reflektiert werden,
sondern zur Wahrung der „Reinheit“ der Methode bestimmte neue Gedanken,
die nicht dazupassen, einfach nicht berücksichtigt werden; dass also
gewissermaßen ein Denkverbot entsteht und dadurch die Methode eng bleibt,
damit sie ihre „Reinheit“ wahren kann. Und dass dadurch ein gewisses SichVerschließen gegenüber Anderem die Folge ist – eine Art hermetischer
Methodik, die im Extremfall in sektenhafte Entwicklungen münden kann.
Beispiele dafür gibt es im psychoanalytischen ebenso wie im
körperpsychotherapeutischen Bereich, aber auch in humanistischen Verfahren –
überall dort, wo wir es mit Fundamentalisten zu tun haben. In bestimmten
psychoanalytischen Richtungen z. B. dort, wo die Erkenntnisse der modernen
Säuglingsforschung weitgehend ignoriert werden, weil sie zum eigenen
Säuglingsbild nicht dazupassen. Im körpertherapeutischen Bereich z. B. das
„Back-to-Basics“-Programm von Alexander Lowen, der Begründer der
Bioenergetischen Analyse, das er in den späten 80er Jahren ausgeschrieben hat.
Lowen hat damals, um die Reinheit der BA gegenüber zu starken
psychoanalytischen Einflüssen zu bewahren, alle Lehrtherapeuten zu Seminaren
einberufen, um sie auf die von ihm begründete Methode einzuschwören. Sie
müssen sich vorstellen: diese etwa 30 Lehrtherapeuten hatten allesamt lange
klinische Erfahrung. In Lowens Programm war vorgesehen, dass jeder
Lehrtherapeuten – neben der Seminararbeit im Gruppen – nochmals
Einzelstunden mit ihm, Lowen, dem Begründer, nahm. Aus
beziehungsdynamischer Sicht ist dies doch recht merkwürdig – aber ich wollte
es absichtlich als Extrembeispiel bringen. Ich glaube nicht, dass es eine
Ausnahme darstellt.
Es scheint sich beim Versuch des Bewahrens einer Methode eher um eine
allgemeine, methodenübergreifende Reaktionsweise zu handeln – besser gesagt:
um eine menschlich Reaktionsweise in Gruppenzusammenhängen, wo es um die
Bestimmung und Verteidigung von Gruppenidentitäten geht. Von politischen
Gruppierungen wissen wir ja, dass der Ausschluss des Anderen eine wichtige
identitätsbildende Maßnahme ist. Die Erfahrung zeigt, dass es im
psychotherapeutischen Feld in Gruppenzusammenhängen nicht viel anders ist.
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Das hat mich lange Jahre sehr irritiert, ich beginne es mehr und mehr als
menschliche Conditio zu akzeptieren, und kenne ich diese Tendenz – zu
polarisieren und zu spalten, auch in mir selbst. Meine psychoanalytische
Selbsterfahrung hat mich gelehrt, dies zu sehen und auch annehmen zu können.
Heiße Diskussionen kommen vor allem dort in Gang, wo methodisches Wissen
an die eigenen Kinder weitergegeben werden soll, also im Bereich der
Fortbildungen und Ausbildungen. Sie können sich unschwer dazudenken, dass
hier natürlich auch andere Interessen auf dem Spiel stehen, die nicht nur mit der
Vermittlung von Wissen und Wissenschaft zu tun haben, sondern mit Geld und
Macht – es steht die Verteilung des Kuchens auf dem Spiel. Und dies nicht von
ungefähr. Denn von Seiten derer, die sich für Therapie und Therapieausbildung
interessieren, sind oftmals eklektische Verfahren mit klingenden Namen und
diversen Heilsversprechungen interessanter; oder es sind solche Verfahren
interessanter, die kürzere Ausbildungszeiten aufweisen und weniger kosten – ich
denke hier an den gegenwärtigen Trauma-Boom mit allen seinen Verheißungen.
Aus der Sicht von Patienten und von Psychotherapie-Ausbildungs-Kandidaten
ist all das natürlich auch verstehbar! Psychotherapie kostet Geld, viel Geld,
Ausbildungen sind teuer, und man hat immer weniger Zeit. Das ist die eine
Seite. Der Anspruch, eine Methode fundiert zu erlernen, auch wenn es viele
Jahre dauert, das ist die andere Seite. Die Abschottung von methodischen
Richtungen gegenüber postmodernen Entwicklungen ist so gesehen auch eine
verstehbare Reaktion – wenn vielleicht nicht die beste, wie ich meine.
Nun zu den eklektischen Verfahren. Es gibt hier Abstufungen zwischen einem
technischen Eklektizismus und einem systematisch-kritischen Eklektizismus, d.
h. je nach Grad der Reflexion beim Einsatz verschiedener Methoden und
Techniken. Eklektisch arbeiten wird oft aus der „Not der aktuellen
therapeutischen Situation“ geboren: man macht in der Therapie das, was im
Moment nützlich und zweckmäßig erscheint – um dem Patienten zu helfen, oft
aber ohne zu bedenken, dass man sich dabei vielleicht in eine Verwicklung
begibt, die man später nur mehr schwer lösen kann. Man tut das, was Patienten
im Moment zu brauchen scheinen – das kann je nach Therapiephase sehr
unterschiedlich sein. Eine bekannte Körperpsychotherapeutin hatte einmal
gesagt: Eine gute Therapiestunde ist eine solche, an deren Ende der Patient
glücklich ist.
Einerseits ist das Motiv sich elastisch an die Notwendigkeit der therapeutischen
Situation anzupassen verstehbar – Ferenczi sprach z. B. davon, die
psychoanalytische Arbeit müsse elastisch genug seien, das starre Couch-Setting
sei für manche Patienten eine Retraumatisierung. Andererseits ist bei einem
eklektischen Vorgehen dem Agieren im Sinne eines abwehrhaften Handelns
natürlich Tür und Tor geöffnet.
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Ich denke in diesem Zusammenhang an Patienten mit einer starken Neigung zur
Spaltung oder zur projektiven Identifizierung, Patienten also, die uns aufgrund
unsicherer Ich-Grenzen in ihre Erlebniswelt stark hineinziehen und dabei auch
in uns Therapeuten Spaltungsvorgänge auslösen – mit der möglichen Folge, dass
wir selbst einen roten Faden im therapeutischen Prozess verlieren. Wir sind
dann, von Spaltung angesteckt, versucht, einmal das und das nächste Mal etwas
anderes zu tun, damit der Patient zufrieden ist. Und – das ist wichtig: damit auch
ich, als Therapeut, genügend beruhigt bin, genügend sicher bin, denn Patienten
mit einer Neigung zur projektiven Identifizierung können im Therapeuten starke
Gefühle auslösen – z. B. Verwirrung, Hilflosigkeit oder auch Zorn. Es kann sich
im ungünstigen Fall ein Zustand entwickeln, den Balint „maligne Regression“
genannt hat, und aus der man nur mehr schwer herauskommt. Maligne
Regression bezeichnet ein Aufschaukeln einer Bedürftigkeit seitens des
Patienten, die immer verzweifelter wird, und ein paralleles Bemühen des
Therapeuten, auf die Forderungen des Patienten einzugehen – z. B. nach
körperlichem Kontakt, das immer aussichtsloser wird. Ferenczis technische
Experimente sind hier anzusiedeln, und aus psychoanalytischer Perspektive sind
solche Entwicklungen eine Horrorvision und erklären die starke Reserviertheit
vieler Psychoanalytiker gegenüber eklektischen Vorgehensweisen bzw.
überhaupt gegenüber einem interaktiven Umgang in der Analyse.
Körpertherapeutische Verfahren sind prädisponiert für solche Beziehungsfallen,
da sie stark mit bedürfnisbefriedigenden Elementen arbeiten. Wird dieser Punkt,
d. h. das Risiko einer malignen Regression, nicht ausreichend reflektiert, kann
ein Scheitern der therapeutischen Arbeit vorprogrammiert sein. Besonders auch
dann, wenn nicht zwischen basalen Bedürfnissen und Ersatzbedürfnissen
unterschieden wird – hier verweise ich neuerlich auf Gisela Worm.
Die Frage also: Haben wir es bei analytischer Körperpsychotherapie – die also
den Körper und körperliches Handeln in die Analyse integriert - mit einem
solchen Eklektizismus zu tun? Ist es hier so, dass wir beides machen wollen: auf
der Beziehungsebene arbeiten und auf der Körperebene ebenso – je nachdem
was der Patient gerade braucht? Und dass wir dabei vielleicht zu viel wollen und
maligne Regressionen begünstigen? Kommt dabei nicht eigentlich die
Widerstandsanalyse zu kurz?
Nun – solche Fragen sind natürlich schwer generell zu beantworten. Aber ich
meine, man muss diese Fragen dennoch stellen. Ein Beispiel: Wenn wir dem
Patienten dort, wo er verbal in einer Sackgasse zu sein scheint, eine körperliche
Übung vorschlagen und der Patient freudig mitmacht, weil er das Reden auch
schon satt hat – könnte es dann nicht sein, dass sich der Patient dem Vorschlag
des Therapeuten vielleicht unterwirft, wo es im Untergrund, auf unbewusster
Ebene, eher darum geht, einer konflikthaften Konstellation in der Übertragung
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in die Augen zu sehen, auch wenn der Patient im Moment dafür noch keine
Worten finden kann?
Sie sehen vielleicht, die Sache ist komplex und erfordert viel
Fingerspitzengefühl beim Therapeuten, wenn er mit beiden Ebenen arbeitet –
mit der verbalen und der konkret-interaktionellen Ebene. Manipulationen sind
möglich, der Wechsel zwischen verbaler und körperlicher Ebene kann sicher
auch im Dienste der Abwehr beider Interaktionspartner stehen, denn
konflikthafte Spannungen sind auch für den Therapeuten belastend. Nicht
umsonst hört man von analytischer Seite oft harsche Kritik an analytischer
Körperpsychotherapie – ich erinnere an die Kritik Thea Bauriedls an den
Lehrvideos von Tilmann Moser. Eine Antwort darauf, ob die spezifische
technische Mischung beim Patienten angemessen war, erhalten wir nur, wenn
wir dem Prozess langfristig folgen und beobachten, was sich bei ihm und
zwischen uns beiden entwickeln kann und was nicht.
Gedankenkomplex 2: Wer braucht methodische Überlegungen?
Diese Frage erscheint Ihnen auf den ersten Blick vielleicht seltsam. Ich stelle sie
dennoch. Zunächst: Aus der Sicht unserer Patienten sind methodische
Überlegungen in der Regel uninteressant. Der Patient will, dass ihm geholfen
wird – wie das passiert, ist ihm meist egal; mit Recht auch. Manches Mal stellen
Patienten schon Fragen nach der Methode – meiner Erfahrung sind solche
Fragen nicht selten Ausdruck einer aufkeimenden negativen Übertragung, wo
zwischen den Zeilen ausgedrückt wird, dass der Patient keinen Fortschritt spürt,
aber seine Kritik nicht offen äußern möchte. Manches Mal fragen uns natürlich
Patienten, die zugleich Kandidaten sind, nach der Methode, aber das ist etwas
anderes. In meiner Wiener Stadtpaxis fragen mich auch viele Patienten, was ich
genau tue, am Beginn der Therapie; das finde ich legitim, auch wenn eine
befriedigende Erklärung selten gelingt.
Methodische Überlegungen sind vorwiegend für uns Therapeuten interessant.
Neben dem Punkt der Wissenschaftlichkeit spielt ein zweiter, schon erwähnter
Grund m. E. eine Rolle: Welcher psychotherapeutischen Methode man sich
zugehörig fühlt, ist so etwas wie die Frage, zu welcher Familie innerhalb der
Großfamilie aller Methoden man sich bekennt; also eine Frage der Identität, der
Ideologie, des Menschenbildes, der Notwendigkeit sozialer Bindung, um in
Diskussionen mit „Gleichgesinnten“ ein basales Gefühl zu haben, mit der
eigenen Meinung nicht allein dazustehen.
Wir praktizierende Psychotherapeuten befinden uns in der Arbeit immer wieder
mal vor einem ähnlichen Problem: einerseits sind wir von methodischen
Überlegungen geleitet, die uns Sicherheit geben und sagen, was wir in welcher
Therapiesituation wie tun sollen; so haben methodische Überlegungen auch eine
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normative Dimension. Andererseits ist es uns im therapeutischen Prozess immer
wieder einmal so, dass die verwendete Methode an Grenzen zu stoßen scheint.
Wo der Patient auf das, was wir ihm aus dem Set unserer methodischen Zugänge
anbieten, nicht positiv zu reagieren scheint. Das verunsichert uns in der Regel,
und wir fragen uns dann, ob es richtig ist, dass wir tun, was wir gerade tun. Und
man fragt sich dann vielleicht auch, ob dieser spezielle Fall eine methodische
Abweichung rechtfertigt.
Zu bedenken ist, dass psychotherapeutische Prozesse oft sehr komplex sind und
wir in der Situation ja oft nicht wissen, was jetzt richtig ist. Erst in der
Nachreflexion wird uns deutlich, welches Gegenübertragungsmotiv uns geleitet
hat – und ob wir dem Patienten sozusagen auf den Leim gegangen sind, ob er
uns verwickelt hat, oder ob die Abweichung „sachlich“ vertretbar war. Dieses
Dilemma kennt wohl jeder von uns – es ist ein gegenstandsbedingtes Dilemma
wie ich meine. Wir stehen also im Spannungsfeld zwischen einem normativen
Druck, der der Preis der Zugehörigkeit zu einer Methodenfamilie ist, und dem
berechtigten Motiv, von Fall zu Fall davon abzuweichen.
Eigenes Beispiel: Ich habe in den letzten Jahren einiges aus der Traumatherapie
dazugelernt – z. B. Imaginationsübungen. Und ich spüre, als psychoanalytischer
Psychotherapeut, regelmäßig diesen inneren Widerstand, wenn ich in einer
Situation stehe, in der sich die Idee aufdrängt: wäre da eine solche Technik nicht
hilfreich? Wenn ich sie anwende, weiche ich dann nicht von meinen inneren
Regeln ab, agiere ich vielleicht etwas aus meiner Gegenübertragung aus? Wenn
ich eine solche Übung anbiete, verbünde ich mich dann vielleicht mit den
ausgesprochenen Illusionen des Patienten – das Trauma in kurzer Zeit heilen zu
wollen?
Mittlerweile meine ich: dieser innere Konflikt in mir ist wichtig, er ist genau
das, was ich auszuhalten habe. Er schützt mich zwar nicht davor, mich im
Einzelfall zu irren und Fehler zu begehen, aber er gibt mir das Gefühl, dass ich
das Problem sozusagen zunächst in mir durcharbeite – wobei dabei manches
Mal spontanes Reagieren verloren geht, was auch wichtig sein kann. Auch hier
sei ein Widerspruch angedeutet, der generell nicht so leicht so leicht lösbar ist:
während körperpsychotherapeutische Verfahren auf Intuition, Spontaneität und
auch Affektabfuhr einen gewissen Wert legen, ist im psychoanalytischen
Bereich gerade das Aushalten ambivalenter Spannungen ein Reifekriterium.
Gedankenkomplex 3: Unsere Schwierigkeiten sind gegenstandsangemessen
Ich wechsle nun auf das Feld der Systemtheorie. Da gibt es den Begriff
Autopoiesis, der von Maturana und Valera aus dem Bereich der Neurobiologie
in die Psychotherapie eingeführt wurde: Es geht dabei um das Prinzip der
Selbsterzeugung und auch Selbststeuerung von Identitäten, von Organismen.
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Ein Kennzeichen von Autopoiesis ist, dass nicht nur aus vorhandenen
Handlungsalternativen bestimmte ausgewählt und andere unterdrückt werden,
sondern dass in diesem Prozess auch ständig neue Alternativen erzeugt werden.
D. h. Autopoiesis ist emergent, d. h. es geht um neue Kreationen, um neu
Hervorgebrachtes. Und diese Emergenzen sind prinzipiell nicht antizipierbar!
Mit einfacheren Worten: der Prozess der Entwicklung ist offen, wir haben es auf
der organismischen Ebene mit einem Individuum zu tun, das aktiv und
gestaltend ist, das seinen eigenen Prozess ständig beeinflusst und ihn durch
Erkenntnis, durch Lernen verändert. Autopoiesis heißt somit Lernen durch
Erfahrung, heißt Autonomie, heißt historischer Wandel und offene Zukunft.
Was bedeutet das Autopoiesis-Prinzip in Bezug auf unseren Gegenstand, die
psychotherapeutischen Methodik? In unserem Feld haben wir es mit subjektiven
Erlebnisweisen zu tun, die einen hohen Emergenzgrad aufweisen. Im
subjektiven Bereich und im intersubjektiven Bereich, als zwischen zwei
Menschen, wird ja immer wieder Neues hervorgebracht. Davon bleiben
natürlich auch methodische Überlegungen nicht verschont.
Wendet man das Konzept der Autopoiesis also auf unseren Bereich an, dann
heißt dies, dass die theoretische Reflexion autopoietischer Realität einen
besonderen Theorietypus verlangt, der sich von dem der Naturwissenschaften
unterscheidet: ein Symbolsystem, das nicht mit eindeutig festlegbaren Zeichen
operiert (wie Zahlen in der Mathematik), sondern mit kognitiven Konzepten, in
denen die Erfassung des jeweils Besonderen im Mittelpunkt steht. Ein solches
Symbolsystem zielt also auf die spezielle Logik, auf das Individuelle, auf
Subjektivität und Reflexivität des Prozesses. An die Stelle allgemein gültiger
Gesetzmäßigkeiten treten sinnvolle Begriffe – als teils widersprüchliche,
multipel determinierte und autonome Einheiten, die sich letztlich erst in der
Beziehung zu dem erfassen, was thematisiert wird.
In der Welt der Psychotherapiemethoden gibt es dieser Auffassung nach – es ist
dies die Position des „konstruktiven Realismus - keine definitiven
Wirklichkeiten, sondern einen permanenten Prozess der Entwicklung,
Veränderung und Auffächerung. Die Folge davon ist eine permanent wachsende
Zahl an Möglichkeiten, menschliches Erleben zu verstehen und zu erklären,
wobei immer die Stellung des erkennenden Subjekts zentral ist. Und dies öffnet
den Boden für eine Vielfalt von Verstehensmöglichkeiten und damit auch
Methoden.
Widersprüchlicheiten sind daher unserem Gegenstand Widersprüchlichkeiten
immanent. Wir können diese Widersprüche nicht nivellieren; wir können sie uns
immer wieder nur reflexiv bewusst machen und sie vorübergehend entschärfen –
im Wissen, dass wir darin níe ganz erfolgreich sein können.
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Das heißt natürlich im Bereich des Methodenfeldes, dass Abspaltungen in
gewisser Weise vorprogrammiert sind. Denn die Heterogenität gehört ja zentral
zu unserem Gegenstand. Als Folge davon werden in den verschiedenen
Methoden verschiedene Mikrowelten beschrieben und thematisiert; keiner von
ihnen kommt eine Priorität zu. Jede ist in ihrem eigenen Bezugsrahmen
gefangen, der von den Fragen aufgespannt wird, die diese Theorie stellt und die
sie ausspart. Eine Einheit der Erkenntnis ist eine Illusion. Jedes gegenwärtige
Paradigma ist ein Paradigma auf Zeit – auch wenn sein exaktes Ende nicht
vorhersehbar ist. In der psychoanalytischen Therapie ist derzeit das
Handlungsparadigma wichtig geworden, und ich glaube, es wird auch noch eine
Weile wichtig bleiben. Irgendwann wird es wieder an Bedeutung verlieren.
Gedankenkomplex 4: Psychotherapie als erlernbare Methode
Als erfahrener Therapeut hat man im Laufe der Zeit ein gewisses Raster
verinnerlicht, mit dessen Hilfe man das therapeutische Geschehen verstehen
kann. Es ist nicht anders als beim Autofahren: Im Laufe der Zeit sind die
Handlungslogiken so weit verinnerlicht, dass man davon bewusst nicht mehr
Gebrauch machen muss – man kann sich im Laufe der Zeit zunehmend freier
auf das Geschehen einlassen. Diese Freiheit auf Seiten des Therapeuten macht
es möglich, dass spontane Verdichtungen im intersubjektiven Feld von Zeit zu
Zeit wie von selbst entstehen – sog. „Now-moments“, Momente unmittelbarer
Begegnung, die für das Fortschreiten des Prozesses wichtig sind.
Dem erfahrenen Therapeuten gelingt es dann wie von selbst, das zu tun, was
Yalom, ein gegenwärtig bekannter Vertreter der Existenzanalyse, so beschreibt:
„Meine Technik besteht darin, alle Technik fahren zu lassen!“
Für den Lernenden stellt sich die Situation anders dar. Er muss sich in der
klinischen Praxis erst bewähren, muss – wie in den ersten Fahrstunden – die
nötigen Handgriffe ganz bewusst tun, damit das Auto Richtung und
Geschwindigkeit beibehält und die Fahrt nicht ins Stocken oder ins Schleudern
gerät.
Daher gilt aus der Perspektive der Erlernbarkeit einer Methode: bestimmte
grundlegende Lernschritte sollten vermittelbar und erlernbar sein, und zwar
innerhalb einer umgrenzten Zeitspanne. Psychotherapeutische
Ausbildungsvereine sind daher auf Methoden angewiesen, die von ihrer Struktur
her nicht zu komplex sind, sondern dem Lernenden die Möglichkeit geben, sich
anhand klar umrissener Kategorien zu orientieren; und dass das erlernte Raster
diese im großen und ganzen widerspruchsfrei ist.
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D. h. eine gewisse Logik und Widerspruchsfreiheit im Vorgehen ist im Dienste
der Erlernbarkeit einer Methode wichtig. Allerdings wäre in einer Ausbildung
auch zu vermitteln, dass das vorgezeigte Denkmodell nur ein Raster von vielen
ist, und dass seine Reichweite, psychische Prozesse zu erklären, naturgemäß
begrenzt ist.
Gedankenkomplex 5: Handelndes Agieren vs. Reflektierendes Verstehen
Vergegenwärtigt man sich die methodischen Ausgangspunkte von
Psychoanalyse und Körperpsychotherapie, dann wird deutlich, dass eine
Integration von psychoanalytischen und körpertherapeutischen
Vorgehensweisen in einem gemeinsamen Ansatz gar nicht so selbstverständlich
ist. Im Gegenteil! Dann wird nämlich klar, wie unterschiedlich die beiden
Vorgehen eigentlich sind: auf der einen Seite steht ein geduldiges Abwarten des
Psychoanalytikers, auf der anderen Seite ein aktives Intervenieren. Auch wenn
in Körperpsychotherapien mehr oder weniger viel gesprochen und verbal
reflektiert wird, so erfordert die Besonderheit des methodischen Zugangs immer
wieder aktive Interventionen seitens des Therapeuten, die über reines
Verbalisieren hinausgehen.
Dies hat mit den unterschiedlichen Logiken in beiden Ansätzen zu tun. Während
sich der Psychoanalytiker auf die innere Welt des Patienten in Form dessen
vorbewusster Fantasietätigkeit konzentriert und ihm dabei Raum und Zeit geben
muss, damit er seinem Fantasieduktus folgen kann, ist der
Körperpsychotherapeut an körperlicher Exploration, körperlichem Spüren und
körperlichem Ausdrucksverhalten interessiert. Solange dabei nur die
Wahrnehmungsebene angesprochen ist – das Empfinden von körperlichen
Haltungen und Bewegungen, Haltungs- und Bewegungsveränderungen,
Eigenheiten des Atmens usw. – tritt dieser Unterschied noch nicht so deutlich
zutage. Geht es aber um körperliche Impulse oder um Handlungsbereitschaften
des Patienten, dann ist in aller Regel die Aktionsbereitschaft des Therapeuten
gefordert. Seine Aufgabe ist es dann, die motorischen Bereitschaften durch
begleitende Interventionen zu stützen und zu ermutigen, verbal oder direkt
körperlich, damit sich die Körperassoziationen entfalten können. Tut man dies
als Therapeut nicht, dann brechen die körperlichen Handlungsversuche des
Patienten oft nach wenigen Momenten wieder ab, außer bei
körpertherapieerfahrenen Patienten, die bereits gelernt haben, diesen Formen der
Assoziation zu vertrauen.
Also – hier stehen sich zwei unterschiedliche Zugangsweisen gegenüber! In
diesem Gedankenkompex verbergen sich viele weitere Fragen: nach der Rolle
des Therapeuten (ob Begleiter oder Übertragungsfigur), nach dem Modus der
Interventionen (selbst- oder beziehungszentriert), und andere – ich verweise auf
das Referat von Gisela Worm.
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Gedankenkomplex 6: Klinisches Vorgehen und diagnostische Überlegungen
Im Tagungsprogramm einer Fachtagung der DGAPT im Juni dieses Jahres ist
nachzulesen:
„Die Integration des Körpers in die therapeutische Praxis ist vor allem bei der
Behandlung der sogenannten "Frühstörungen" von großer Bedeutung.
Interventionen am und mit dem Körper eröffnen über die Grenzen rein verbaler
und symbol-bezogener analytischer Techniken einen therapeutischen Zugang zu
präverbalen Defiziten und Konflikten. Der Körper ist eine zweite via regia zum
Unbewussten.“
“Regression, Widerstand, Übertragung und Gegenübertragung haben eine
körperliche Dimension und werden vor allem auch über den Körper reguliert.“
Auf einen Punkt weise ich hier hin – auf die Diagnostik und die Indikation: der
körperbezogene Zugang vor allem bei der Behandlung von Frühstörungen
Mit Frühstörungen ist, so meine Annahme, das gemeint, was wir in einer
anderen Terminologie als strukturelle Ich-Störungen bezeichnen, zu denen
z. B. Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsorganisation zu rechnen sind,
frühtraumasierte Patienten und Patienten mit frühen und schweren
Defiziten.
Zur Verdeutlichung: Bei Patienten mit Frühstörungen, oder besser: strukturellen
Ich-Störungen, ist es notwendig, wegen der Fragilität ihres Ich nicht zu intensive
Affektverdichtungen herbeizuführen, die das Ich überschwemmen würden. Ichschonend ist es, an der Selbstwahrnehmung im körperlichen Bereich zu arbeiten,
wobei der Therapeuten die Rolle eines Begleiters innehat.
Ein weiterer Punkt zur Verdeutlichung: Arbeit in der Übertragung, Arbeit an der
Übertragung. In der Übertragung zu arbeiten heißt, dass die Äußerungen des
Patienten relativ systematisch in die Hier-und-Jetzt-Situation übersetzt werden
und sich alles darum dreht, was jetzt zwischen den beiden Interaktionspartner
geschieht – verbal und körperlich. Das ist relativ belastend. Schonender ist die
Arbeit an der Übertragung, wo man nur fallweise, v. a. bei
Übertragungsstörungen, auf das beziehungsmäßige Hier und Jetzt ganz gezielt
eingeht.
Nun in der Gegenüberstellung zur obigen Passage – eine Passage aus einem
Beitrag von Gisela Worm, die sich auf analytische Körperpsychotherapie bei
solchen Patienten bezieht:
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Im Falle einer starken Strukturlabilität ist körperbezogene Arbeit in der
Übertragung wegen der immensen Affektverdichtung nicht indiziert! Das Mittel
der Wahl sind hier körperbezogene Zugänge, welche die therapeutische Rolle
als begleitende Funktion definieren.
Bitte beachten Sie: körperbezogene Arbeit IN DER ÜBERTRAGUNG. Das
ist für diese Patienten zu viel. Andererseits ist es so, dass im
psychoanalytischen Arbeiten die Arbeit IN DER ÜBERTRAGUNG
zentrales Vehikel ist, aber das Hinzunehmen der Körperebene und die
damit verbundene Verdichtung wäre zu viel.
Wenn also die einen Kollegen gerade für die Frühstörungen Interventionen an
und mit dem Körper für wichtig erachten und zum zentralen Vehikel ihres
therapeutischen Vorgehens machen, und wenn auf der anderen Seite
herausgestrichen wird, dass direkte körperliche Arbeit in der Übertragung nicht
indiziert ist, liegt ein Schluss nahe (sofern wir übereinstimmen, dass wir
einigermaßen gleich diagnostizieren): es handelt sich um zwei Wege des
Vorgehens, und nicht um einen.
Der eine Weg besteht darin, mehr auf der körperlichen Selbstebene zu arbeiten
und nur partiell in der Übertragung; oder gar nicht in der Übertragung, sondern
nur an der Übertragung.
ist damit vielleicht doch etwas anderes gemeint als ein Vorgehen, bei dem die
Arbeit in der Übertragung nach Möglichkeit Kern des therapeutischen
Vorgehens sein soll!
Besonders ich-belastend wird die Arbeit, wenn es um konflikthafte Anteile geht
– Stichwort „negative Übertragung“. Die Belastung steigt nochmals ins
Extreme, wenn man die negative Übertragung auf der körperlichen Ebene
zusätzlich verdichtet. Patienten mit ich-strukturellen Störungen und einer
Neigung zu Spaltung erleben das manches Mal so: Bricht der Hass ungefiltert
durch, entstehen Fantasien den Therapeuten umzubringen. Auf der
Fantasieebene, im Couch-Setting, ist das noch zu handeln, auf der Körperebene
nur mit Ersatz-Objekten (Schaumstoffwürfel und dgl.), aber nicht im direkten
Kontakt. Dieser wird durch Arbeiten in der Übertragung aber stark
herausgefordert. Die Angst vor diesem intensiven Hass führt oft zu
lähmungsartigen Zuständen. Körperbezogene Arbeit in der Übertragung ist
daher bei strukturellen Ich-Störungen in der Regel nicht indiziert. Auch dazu
wird Gisela Worm noch einiges sagen.
Resümee: Ich glaube, dass hier wirklich zwei verschiedene
Schwerpunktsetzungen vorliegen. Wir sollten uns überlegen, ob es sich dabei
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nicht um zwei Vorgehensweisen handelt, die auch unterschiedliche Namen
verdienen würden.
In der einen Vorgangsweise geht es mehr um gute und heilsame Erfahrungen –
um therapeutische Regression, die in der Tat auch auf der körperlichen Ebene
reguliert werden kann. In der anderen Vorgangsweise geht es eher um das
Herausarbeiten des Konflikthaften in der Übertragung, also um den Widerstand,
die Abwehr. Ich denke, da gibt es Unterschiede auch im Bereich der Technik,
der Praxeologie.
Abschließende Betrachtungen: Die Grenzen des Integrierens und die
Verdrängung des Schmerzes der eigenen Begrenztheit
In meiner nun 25-jährigen Geschichte als Psychotherapeut habe ich viele
interessante methodische Zugänge kennen gelernt. Gleichzeitig habe ich
schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass ich einerseits all diese
Methoden, so interessant sie auch sind, nicht erlernen kann, und dass ich
andererseits sogar diejenigen methodischen Elemente, die ich ganz gut erlernt
habe, nicht gleichzeitig in einem einzelnen Vorgehen einbauen kann, weil dies
den Prozess eher stören als fördern würde.
Es geht – mit anderen Worten – um das Akzeptieren eines Schmerzes, der im
weiteren Sinn mit den notwendigen Begrenztheiten des Lebens zu tun hat. Den
Schmerz und die Trauer zu erfahren ist wichtig, um die Begrenztheiten des
Lebens akzeptieren zu lernen.
Vorsichtig bin ich gegenüber Ansätzen, die diesem aus meiner Sicht
unvermeidlichen Schmerz nicht genügend Raum geben. Gerade die neuere
Traumadiskussion hält uns meiner Meinung nach – mit ihrer Technikzentrierung
- die Illusion vor Augen, dass alles, was man nur will und wenn man nur
genügend viele Techniken hat, machbar wäre. Diese Einstellung fügt sich gut in
die moderne Lebenserfahrung unserer globalisierten Welt ein, wo in der Tat
alles machbar erscheint. Sie kann uns aber genau dadurch von wesentlichen
existenziellen Erfahrungen weg führen – z. B. von der schmerzlichen
Anerkennung der Begrenztheit des Lebens durch den Tod.
Daher bergen eklektische Verfahren das Risiko, sich über vorhandene
Begrenztheiten illusionär hinwegzusetzen, um eine „Supermethode“ oder eine
„Supertheorie“ zu entwickeln, die alles kann, die für alles und jedes einen Weg
hat. Mir gefällt eine Haltung besser, die davon ausgeht, dass gegenwärtige
Trends innerhalb bestimmter Traditionen, wie z. B. in der Psychoanalyse das
Paradigma der Handlung, gegenwärtig wichtig geworden sind und breit
diskutiert werden – ohne den Anspruch einer Supertheorie, die alles will!
Ausgehend von der Erfahrungstatsache, dass sich das Verdrängte eben wieder
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meldet, haben wir es jetzt, in der modernen Psychoanalyse, mit einer
Wiederkehr von Themen zu tun, die schon vor Jahrzehnten Ferenczi und Reich
aufgebracht haben und die jetzt die psychoanalytische Welt wieder zu
beschäftigen beginnen; dass auf diese Weise Wege gesucht werden, den
therapeutischen Spielraum zu erweitern, aber auch neuerlich Grenzen abgesteckt
werden. Auf diese Weise bleiben Methoden in Bewegung, in Entwicklung.
Dass wir als Psychotherapeuten natürlich auch Grenzen haben und zu diesen
klar stehen können, ist im übrigen nicht nur für uns selbst, sondern auch als
explizite oder implizite Mitteilung an unsere Patienten wichtig. Ich erinnere
diesbezüglich an Ferenczis berühmt gewordene Falldarstellung von E. Severn.
Im Versuch, ihren Wünschen gerecht zu werden, hat Ferenczi sich damals sogar
in das Wagnis der „mutuellen Analyse“ eingelassen, und er hat zugelassen, dass
sie ihm in den Urlaub nachreist. Das war zu viel für ihn, zu viel auch für seine
Ehe, wie Sie sich vorstellen können - und Ferenczi ist an diesem Anspruch
gescheitert. Man kann über dieses Experiment so oder so denken – deutlich
sollte sein, dass das Stehen zu eigenen Grenzen ein wichtiger Aspekt in der
Therapie sein sollte. Diese Grenzen können das Setting betreffen, wichtiger aber
erscheint mir noch eine bestimmte therapeutische Haltung, indem wir dem
Patienten zeigen, dass wir auch nur Menschen sind, mit eigenen Wünschen und
ebenso eigenen Grenzen. Eklektische Verfahren bergen das Risiko, dass genau
dieser Aspekt der Grenzen zu wenig bearbeitet wird. Für den methodischen
Zugang, der sich derzeit analytische Körperpsychotherapie nennt, bedeutet dies,
in einem Diskussions- und Differenzierungsprozess mögliche Handlungsräume
ebenso wie Begrenzungen derselben abzustecken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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