Die traumatische Reaktion

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Trauma und Persönlichkeit aus der Sicht analytischer
Körperpsychotherapie
Vortrag im Rahmen der 5. Dresdner Körperbild-Werkstatt 1.11.03
Peter Geißler
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als mich Herr Röhricht Ende März per E-mail fragte, ob ich als Vertreter der
analytischen Körperpsychotherapie zur diesjährigen Körperbildtagung
hinzustoßen möchte, war ich einerseits erfreut und ich fühlte mich geehrt, ich
war aber auch verunsichert, denn: In systematischer Form hatte ich mir zum
Thema „Trauma und Persönlichkeit“ bis vor einem halben Jahr noch gar keine
Gedanken gemacht, auch wenn in meinem Arbeitskreis darüber schon diskutiert
wurde, und wir im Frühjahr eine gemeinsame traumatherapeutische Fortbildung
bei einer Mitarbeiterin von Hrn. Sachsse absolviert hatten. Ich möchte Ihnen
außerdem gestehen, dass ich in den letzten Jahren eine gewisse Aversion
verspürte, die ich Ihnen gleich erklären möchte, wenn ich mit der
Traumathematik und der damit zusammenhängenden Diskussion konfrontiert
war. Ich musste diesen Widerstand erst überwinden, um mich voll in diese
Thematik hineinzulassen. Denn ich fand und finde auch heute noch, dass die
meisten von uns implizit immer schon traumatherapeutisch gearbeitet haben.
Implizit waren traumatherapeutische Zugangsweisen existent schon in meiner
Zeit als bioenergetischer Therapeut von 15 bis 20 Jahren, wenn auch unter
anderen Namen. Bei Sander Kirsch und Bob Lewis lernte ich damals viel
Interessantes zum Thema „cephaler Schock“ – so wurde das damals genannt.
Auch wenn manche der damals verwendeten theoretischen Konzepte heute so
nicht mehr gebraucht werden würden, so waren die uns damals gezeigten
körpertherapeutischen nichts anderes als bestimmte Formen der Konfrontation
mit dem Trauma und auch der Stabilisierung. Das war so Mitte bis Ende der
80er Jahre.
Und mit Verweis auf eine gewisse Fr. Dr. Barbara Goldenberg ist in einem 1980
in deutsch erschienenen Buch von E. Baker (engl. Originalausgabe 1967), einem
Reichschüler, folgendes geschrieben: „Ich stellte fest, dass häufig, wenn man
einen Patienten... mit den Augen ein Ziel... verfolgen lässt, das man in einer
Entfernung von ca. 20 cm willkürlich vor seinen Augen bewegt, nach etwa 15
Minuten eine starke Gefühlsreaktion einritt. Der Zeitfaktor scheint
ausschlaggebend zu sein; eine kürzere Zeitspanne ruft unter Umständen keine
Reaktion hervor. Das erscheint nicht durch bloße Ermüdung erklärlich. Nach
dieser Maßnahme kann man bei Patienten häufig starke affektive Reaktionen
auslösen – Reaktionen, für deren Aufdeckung man üblicherweise monatelang
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mühevolle Arbeit aufwenden musste...“ Sie werden unschwer erkennen, dass
hier die EMDR-Technik gemeint ist, die später von anderen Autoren als „neu“
benannt und berühmt gemacht wurde
Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Frage des sog. Realtraumas bereits
ausführlich diskutiert – es ging damals um Eisenbahn- und Arbeitsunfälle und
daraus resultierender Störungen und auch Schadensersatzansprüche. (Das ist
nachlesbar in Sachsse, Venzlaff und Dulz 1997.) Und es wurde – um die Person
von Charcot an der Salpetriere – das Problem sexualisierter Gewalt gegen
Kinder und junge Frauen beforscht und diskutiert. Zwei seiner Schüler haben
sich ja einen besonderen Namen gemacht: Pierre Janet, auf den die Begriffe
Dissoziation und Bewusstseinsspaltung zurückgehen, und Sigmund Freud.
Die Geschichte der Psychoanalyse ist in ihrer Theoriebildung und Praxis ohne
die Auseinandersetzung mit der Traumätiologie gar nicht denkbar. Vor allem die
Anfänge der Psychoanalyse unter Breuer und Freud haben Gemeinsamkeiten
mit heutigen traumatherapeutischen Vorgangsweisen. Es stimmt aber, dass
spätestens seit Anna Freud und der Londoner Arbeitsgruppe das Trauma
überwiegend als Beziehungstrauma aufgefasst wurde und dadurch eine
bestimmte Schwerpunktbildung stattfand. Außerdem hat sich durch die klare
Tendenz der Psychoanalyse zum Determinismus die Meinung eingeschlichen, es
gäbe gar keinen Zufall, es gäbe auch keine Opfer, jeder Mensch inszeniere sich
sein Schicksal – und zwar sein gesamtes – selbst; man könne also nicht einfach
Pech haben. Auch heute kann es in schlechten Analysen noch vorkommen, dass
nach einem Auffahrunfall an einer Ampel reflektiert wird, ob man nicht im
Grunde genommen gewollt hat, dass einem hinten jemand reinfährt – nicht, dass
es solche Psychodynamiken überhaupt nicht gäbe, aber traumatherapeutische
Sichtweisen sind so gesehen ein gesundes Gegengewicht gegen einen
übertriebenen psychoanalytischen Determinismus.
Was ich aber heute bei Reddemann u. a. an sog. neuen Stabilisierungs- und
Traumexpositionstechniken lese, ist so neu nun wahrlich nicht. Hier liegt ein
wichtiger Grund meines Unbehagens - neue Namen werden erfunden, die
eigentlich schon Bekanntes angeblich benennen, und damit wird
Aufmerksamkeit erregt. Neue Namen schaffen ja noch nicht unbedingt neue
Fakten.
Wirklich neu sind Forschungsergebnisse außerhalb der Psychotherapie – vor
allem aus der Gehirnforschung. Da ist echt Bahnbrechendes ans Tageslicht
gekommen und wird noch weiter kommen. Und: Die Zentrierung auf
traumatherapeutische Zugangsweisen hatte auch den positiven Begleiteffekt,
dass ein Aufeinander-Zugehen verschiedener Psychotherapiemethoden
feststellbar war und ist. Es ist ein spannender Dialog in Gang gekommen, u. a.
auch ein kritischer Diskurs um manche Aspekte der Psychoanalyse, der
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durchaus wichtig ist. Einen solchen Dialog habe ich auch bei der Vorbereitung
zum heutigen Vortrag gesucht, ich habe vor allem per E-mail mit einigen
Kolleginnen und Kollegen mehr oder weniger intensiv diskutiert, und das war
sehr bereichernd. Bedanken möchte ich mich ausdrücklich bei meinem Freund
und AKP-Kollegen Otto Hofer-Moser, bei Jörg Scharff, Gisela Worm, Günter
Heisterkamp, Niko Roth, bei Thomas Reinert, Gabriele Poettgen-Havekost, bei
Heinz Golkenrath, Ulrich Sachsse und – last but not least - bei meiner Frau,
Christine Geißler. Sie alle haben mir wichtige Impulse gegeben.
So war die Einladung zu Ihrer Tagung gewissermaßen der Anstoß, mir die
Beschäftigung mit dem Thema als Programm zu verordnen. Und – ich kann
feststellen, dass mir die Sache nach Überwindung meines Widerstandes im
Laufe der Zeit mehr und mehr Spaß gemacht hat.
Mein heutiges Referat möchte ich so verstanden wissen, dass ich Ihnen ein paar
Gedanken zum Thema „Trauma aus der Sicht psychoanalytisch orientierter
Körperpsychotherapie“ vermittle – als Zwischenergebnis meiner Recherchen
und eigener Erfahrungen. Ob ich dabei einen Beitragung zu Ihrem
längerfristigen Ziel, der Evaluation spezieller körperpsychotherapeutischer
Interventionsstrategien leisten kann, lasse ich zunächst offen, vielleicht könnte
dies ein nächster Schritt sein.
Ein kurzer Überblick über mein Referat: Ich werde Ihnen berichten über
 Gedanken zur Neurobiologie und zur Säuglingsforschung
 Extremtrauma und Alltagstrauma
 Traumaprozess
 Traumatische Reaktion
 Traumaverarbeitung
 Behandlungstechnische Perspektiven aus der Sicht analytischer
Körperpsychotherapie
 Übersicht über das Spektrum psychoanalytisch orientierter
traumatherapeutischer Vorgehensweisen
 R. Plassmann
 U. Volz-Boers
 T. Reinert
 Eigene traumatherapeutische Erfahrungen
 Traumatherapie und existenzielle Perspektive
Sollte ich aus Zeitgründen die eine oder andere Passage streichen müssen, haben
Sie die Möglichkeit, das Referat in der kompletten Fassung unter www.a-k-p.at
unter „Vorträge“ nachzulesen.
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Einige Gedanken zur Neurobiologie und zur Säuglingsforschung
Das Realtrauma ist dadurch definiert, dass das Individuum in der Situation selbst
nicht mehr deutendes Subjekt sein kann, dass seine Fähigkeit, traumatisches
Geschehen zu verstehen und ihm eine Bedeutung zu verleihen, aufgehoben ist.
Konstituierend für das Realtrauma ist also die Erfahrung, reines Objekt
geworden zu sein.Traumatische Erfahrungen beeinträchtigen somit Prozess der
Symbolisierung, und sie beeinträchtigen ebenso ein integriertes Körpererleben.
Unter extremer Belastung scheinen auch wir Menschen in gewisser Weise
säugetierhaft zu reagieren – zumindest erscheinen gewisse Parallelen zu
Angstreaktionen bei Säugetieren recht evident, und das macht die Tierforschung
für unser Thema auch so interessant. Allerdings entsteht dadurch auch ein
Spannungsfeld: zwischen einem biologischen Menschenbild und einem
psychotherapeutischen. Ulrich Sachsse drück dies pointiert so aus: Ihn
interessiert mehr das Säugetier Mensch und die Biologie menschlicher
Reaktionen sowie damit verbundenes Lernen, und nicht so sehr der Mensch in
seinen sozialen Bezügen. Dies schafft natürlich schon eine gewisse
Schwerpunktverschiebung, schafft ein Spannungsfeld.
Es ist wichtig, dieses Spannungsfeld zu sehen, um Befunde aus der Biologie
nicht 1:1 in das psychotherapeutische Feld zu übertragen. Überdies steht eine
biologistische Sichtweise von Traumatisierung der ursprünglichen
psychoanalytischen Triebtheorie näher als den Entwicklungen der letzten
Jahrzehnte, wie der psychoanalytischen Selbstpsychologie und der
Objektbeziehungstheorie, wodurch sich vielleicht auch die eine oder andere
Schwierigkeit bei der Übernahme traumatheoretischer Befunde in ein
psychoanalytisches Vorgehen erklären lassen.
Trauma heißt auch Konfrontation mit dem Unfassbaren und damit
einhergehende affektive Reaktionen. „Ich kann es nicht fassen“ – das wäre ein
typisches Traumaerleben. Die im Zuge von traumatischen Belastungen
stattfindenden Affektüberflutungen führen dazu, dass besonders der sensorische,
der sprachlose Anteil der Erfahrung im impliziten Gedächtnis gespeichert wird.
Anstelle eines differenzierten Speicherungsvorganges im Sinne geordneter
Wahrnehmungsbilder werden bloß Sinnfragmente abgespeichert und überdauern
in dieser desintegrierten Form. Daran sind verschiedene Gehirnareale beteiligt,
wie Hippocampus, Hypothalamus, Gyrus cinguli und andere. Zudem scheint die
Zusammenarbeit der beiden Hemisphären beeinträchtigt und damit verbundene
kognitive Prozesse – also die Verbindung zwischen analytisch-symbolischproblemorientierten und ganzheitlich-nonverbal-handelnden kognitiven
Funktionen. In traumatischen Zuständen scheint eine erhöhte rechtsseitige
Aktivität vorzuliegen, die linke Hälfte, die auch das Sprachzentrum enthält (die
Broca-Region), ist gehemmt, damit auch die Fähigkeit zur sprachlichen
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Symbolisierung. Hier liegt vielleicht der Wirkbereich der EMDR-Technik – in
einer Vermittlung zwischen rechter und linker Gehirnhälfte.
Die Gedächtnisforschung hat ergeben, dass wir von unterschiedlichen, vielleicht
sogar vielen Gedächtnissystemen auszugehen haben; sehr bekannte Formen sind
das episodische und das prozedurale Gedächtnis; aber da gibt es wahrscheinlich
noch etliche andere. Bezogen auf den Speicherungsvorgang ist wichtig zu sagen,
dass normalerweise eine Serie von Gedächtnisstufen durchlaufen werden muss,
damit wir uns langfristig etwas merken. Die Information geht durch das sog.
Sekundengedächtnis in den Arbeitsspeicher (mit maximal zwei Minuten
Speicherkapazität). Wenn die Information emotional wichtig ist, gelangt sie in
den „Mittelspeicher“ (im Hippocampus), und erst dort erfolgt durch eine
Abgleichung mit vergangenen Erfahrungen der Übergang in den Dauerspeicher
(Cortex).
Die in Bezug auf das Affektgedächtnis wichtige Hippocampusregion ist das sog.
„kühle“ alltägliche Gedächtnis; es stellt ebenso die Verbindung zu den
Kategorien Raum, Zeit und Kausalität her.
Wichtig finde ich hier zwei Punkte:
1. Was vom episodischen ins prozedurale Gedächtnis übergegangen ist, ist
nur mehr schwer verlernbar. Im prozeduralen Gedächtnis haben wir es vor
allem mit Handlungsautomatismen zu tun, mit „Gefühlsgewohnheiten“,
mit Ritualen und Symptomhandlungen. Als Psychotherapeuten wissen wir
genau, wie schwer solche automatisierten Handlungen und Gewohnheiten
veränderbar sind. Ihre Veränderung innerhalb einer gewissen
Spannbereite erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und
Achtsamkeit für körperliche und Handlungsprozesse, und oft damit
verbunden viel an neuer Einübung – das ist aufwendig, das ist
energiezehrend. Aber: körperliche Achtsamkeit und deren therapeutische
Förderung ist gerade hier eine Hilfe! Und: Nach neueren
Wirksamkeitsuntersuchungen vollziehen sich offenbar therapeutische
Veränderungsprozesse mehr als bisher angenommen auf einer impliziten
Ebene – d. h. weder dem Patienten noch dem Therapeuten bewusst!
2. Trauma heißt andere Abspeicherung! Nicht die komplexen Speicherwege
werden durchlaufen, sondern die Information wird sofort in den
Mandelkernen abgespeichert, und diese Kerne haben zu tun mit der
Reaktion auf biologisch verankerte Gefahrensignale – z. B. Schlangen,
oder böser Gesichter. D. h. der Speicherprozess geht vorbei an allen
Verarbeitungsmechanismen und direkt in die basalsten Reaktionszentren
des Gehirns, was biologisch bzw. aus Überlebensgründen durchaus
sinnvoll ist, damit eben nicht zweimal das gleiche passiert. Aus
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Tierexperimenten weiß man nämlich, dass bestimmte Tiere sterben, wenn
sie einem Extremtrauma zum zweiten Mal ausgesetzt werden (z. B.
Mäuse). Aber das ist nicht bei allen höheren Tieren so: Wenn z. B.
Schimpansen einem Extremtrauma wiederholt ausgesetzt werden (z. B.
wenn man sie in einem Stall aussetzt, der an einen Leopardenstall
angrenzt und sie keine Rückzugsmöglichkeit haben), dann sterben sie
nicht, aber sie erstarren in einer gewissen Weise, und es dauert etwa ein
halbes bis ein Jahr, um sie aus der Traumatisierung wieder
herauszubringen.
Traumaauslöser sind dabei bestimmte Fragmente, Trigger, wie ein Geruch, ein
Geräusch, ein Bild oder anderes – also nicht der Leopard als ganzes ist als
Trigger notwendig - und sofort wird der Schreckreflex aktiviert. Das Problem
dabei ist, das uns in der Therapie ja auch beschäftigt, dass die nun einsetzende
Erfahrung nicht als Erinnerung, sondern ganz real und gegenwärtig erlebt wird.
Dem „kühlen“ Gedächtnis der Hippocampusregion wird mittlerweile ein „heißes
Gedächtnis gegenübergestellt, das mit den Mandelkernen in Verbindung
gebracht wird. Diese üben eine Art affekgeleiteter Verstärkerfunktion aus. In
extremen Erregungszuständen werden die hypothalamischen Steuerungszentren
des autonomen Nervensystems aktiviert, die Hippocampusregion wird gehemmt,
sodass sie ihre Integrationsfunktion nicht erfüllen kann. An die Stelle
integrierter Wahrnehmungsbilder treten die schon genannten fragmentierten
Sinneseindrücke – auch fragmentierte körperliche Sinneseindrücke, und diese
bilden gleichsam „Löcher im Ich“ und im „Körper-Ich“ (ein Ausdruck von
Plassmann), in denen Spontanregressionen und Intrusionen drohen, im
therapeutischen Kontext eine maligne Regression – Regression hier verstanden
als ein Zusammenbruch integrativer Ich-Funktionen. Die Integration solcher
Erfahrungen – dies ist eine der traumatherapeutischen Thesen - bedarf daher
besonderer therapeutischer Zugänge, denn im Moment der Intrusion, der
Überflutung ist es einziges Anliegen der Patienten, aus diesem Zustand wieder
herauszukommen – sonst nichts.
Interessant sind auch die Forschungen von Jaak Panksepp. Er hat ja nicht nur
herausgefunden, dass Ratten lachen können, wenn man sie kitzelt – nur dass wir
ihr Lachen nicht hören, weil diese Töne in für uns unhörbaren
Frequenzbereichen gelegen sind. Relevanter für unser Thema sind seine
Arbeiten zu den Stress-Systemen – er unterscheidet ein Panik- von einem
Furchtsystem. Ein Außenfeind aktiviert zunächst das Kampf-Furcht-System, bei
dem kognitive Problemlösung ablaufen kann. Das ist die – wenn man so will –
reifste Stressreaktion. Versagt das Furcht-Kampf-System und ist auf dieser
Ebene keine Problembewältigung möglich, tritt das Panik-System in Kraft,
wobei hier keine kognitive Problemlösung möglich ist!
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Panik bedeutet: ich bin allein, und ich brauche die Herde. Es ist also das
Bindungssystem, das in Kraft tritt. Und das heißt auch, dass alles, was mit
Bindung assoziierbar ist, also auch körperliche Berührung, eine beruhigende
Wirkung hat.
Das eher parasympathikotone Paniksystem tritt also in Kraft, wenn das eher
sympathikotone Furchtsystem versagt hat. Die Panikreaktion ist somit eine
Reaktion auf einer einfacheren Stufe, die Bindungsverhalten aktiviert. Versagt
auch das Paniksystem, dann kommt es zu einer noch primitiveren Reaktion, der
sog. Freeze-Reaktion, einer Art von Totstellen, von Verschwinden, weil sich
Totstellen anscheinend in der Evolution bewährt hat, um in Extremfällen die
Überlebenschancen zu erhöhen. Bei höher entwickelten Säugetieren wird im
Zuge der Freeze-Reaktion der übersteigerte Stoffwechsel heruntergefahren, um
irreversible Gehirnschäden zu vermeiden.
Die Art der Stressreaktionen hat somit eine Auswirkung darauf, ob das
Bindungssystem aktiviert wird oder nicht. Die Bindung ist wiederum ein
System, das ganz früh im menschlichen Leben in Kraft tritt, aber lebenslang
wichtig bleibt – jedenfalls bei vielen Tieren und auch beim Menschen. Nun sind
wir im Zuge der Säuglingsforschung so weit, dass wir sogar annehmen, dass
„Intersubjektvitität den Stellenwer eines primären Motivationssystem“ zu haben
scheint, und das passt ganz gut zur Auffassung der Humanethologen, die davon
ausgehen, dass der Mensch ein Herdentier ist und aus biologischen Gründen auf
ein Zusammenleben in Kleingruppen programmiert ist. Ich finde es interessant,
dass auch die Traumaforschung unser Menschenbild in die Richtung prägt, dass
wir andere Menschen lebenslang brauchen, dass wir immer auf die „Herde“
angewiesen sind, und dass wir eben im Grunde unserer Existenz keine Singles
sind, auch wenn gegenwärtig eine gewisse Tendenz zur Versingelung in Mode
zu sein scheint. Wir sind also nicht so konstruiert wie Raubtiere, bei denen das
Bindungssystem ab einem gewissen Zeitpunkt ihrer Entwicklung außer Kraft
tritt. Das Bindungssystem – oder Selbst-Objektbedürfnisse, wie die
Selbstpsychologen sagen würde – ist ein lebenslang bedeutsames
Motivationssystem und – das ist wichtig die Therapie - auch ein lebenslanges
nicht-regressives Bedürfnis.
Von Seiten der Säuglingsforschung her scheint mir ein weiterer wichtiger
Aspekt darin zu bestehen, dass gesunde seelische Entwicklung und
Strukturbildung auf der Basis einer amodalen, wahrnehmungsintegrativen
Erfahrungsqualität erfolgt. Der Säugling nimmt allem Anschein nach
Erfahrungsepisoden als Gesamteindrücke wahr und speichert sie auch als solche
– denken Sie an die Rigs im Sinne Daniel Sterns -, auch wenn er sich daran
nicht aktiv erinnern kann. Jedoch wird – das ist entscheidend – Interaktion als
solche gespeichert und wirkt strukturbildend. Dissoziation ist zu verstehen als
ein Zusammenbruch dieser amodalen Wahrnehmungs- und Erlebensganzheit als
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Reaktion auf Extremeinwirkungen, die dissoziative Reaktion kann man als
zentrale Abwehr früher traumatischer Erfahrungen verstehen. Desweiteren muss
man mittlerweile davon ausgehen, dass frühe Traumatisierungen schon
intrauterin vorstellbar sind, und dass spätere Traumatisierungen die
traumatischen Ersterfahrungen antriggern können und in ihren
Abbildungsnuancen stark von diesen geprägt werden. Somit ist von einer
zeitfusionierten Verdichtung und Verflechtung früher Traumata mit
nachfolgenden Extremerfahrungen auszugehen.
Extremtrauma und Alltagstrauma
Wenn man von Trauma spricht, muss man wissen, dass Trauma nicht gleich
Trauma ist. Es gibt hier zumindest starke quantitative, wenn nicht qualitative
Unterschiede. Unterschiedliche Intensitätsgrade von traumatischen
Einwirkungen sollten daher mitbedacht werden: Nehmen wir das Beispiel einer
extremen physischen Gewalteinwirkung. Ab einem gewissen „Abschaltpunkt“
setzt eine Schockreaktion ein und damit verbunden eine Entkoppelung des
Erlebens von der Situation. Es fallen folgende mentale Funktionen aus:
Zeitlichkeit, Perspektivität, Symbolisierung durch Sprache und Sinngebung. Es
bildet sich für diesen Teil des traumatischen Geschehens ein dauerhaftes
Erlebensdefizit, als Kern eines potenziellen Strukturdefizits. Die traumatische
Erfahrung verbleibt ein hoch geladenes, von der übrigen Erfahrungswelt
isoliertes Erlebnisbruchstück im Selbst. Die affektive Verknüpfung mit anderen
Erfahrungen, wie z. B. einer integrierten Körpererfahrung, und die
Symbolisierung sind unmöglich.
Davon zu unterscheiden sind mit Sicherheit mehr oder weniger alltägliche
Beziehungstraumata. Im Falle von kumulativer Interaktionspathologie erzeugen
die traumatischen Episoden im Einzelfall nicht unbedingt Schockqualität,
sondern erst ihre Häufung bewirkt eine dauerhafte Veränderung.
Der Traumaprozess
Wenn wir von Trauma sprechen, meinen wir im Grunde genommen ein
prozesshaftes Geschehen. Drei Phasen des Traumaprozesses können nach einer
Einteilung von Fischer und Riedesser unterschieden werden, die auch jeweils
unterschiedliche therapeutische Zugänge erfordern: die Traumasituation selbst,
die Traumareaktion und die Traumaverarbeitung (der Versuch, das Trauma
kognitiv einzuordnen). In der Traumasituation erlebt der Mensch eine vitale
Diskrepanz zwischen subjektiven und objektiven Situationskomponenten, ein
Missverhältnis zwischen objektiven Situationsfaktoren und subjektiven
Erwartungen der Realität, die ein zentrales traumatisches Situationsthema
konstellieren, da eine subjektiv angemessene Reaktion nicht möglich ist. Im
Falle von Naturkatastrophen beispielsweise wird das „pragmatische
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Realitätsprinzip“ erschüttert, d. h. die Grundannahme bzw. Illusion (je nach
Blickwinkel), die Kräfte der Natur wären prinzipiell beherrschbar. Im Falle von
Beziehungstraumata kommt es zu einer Erschütterung des „kommunikativen
Realitätsprinzips“ (einer Verletzung der Erwartung, die Handlungen der Mens
chen wären vorhersehbar).
Trotz markanter Parallelen zwischen Traumamechamismen zwischen Mensch
und Tier wird beim Menschen im Innersten eine „kognitive Szene“, eine
Grunderwartung, in wesentlich differenzierterer Form eingeschrieben als bei
Tieren, bei denen natürlich auch kognitive Prozesse ablaufen – wenn auch
einfachere. Die Grunderwartung verleiht dem Handeln - dem eigenen und dem
fremden – erst seine eigene Bedeutung. Die Bedeutungsgebung, die
Sinnhaftigkeit von Handlungen, das ist ein wichtiger, typisch menschlicher
Aspekt im Handlungsgeschehen. Im Falle traumatischer Einwirkungen zerfällt
diese Sinnhaftigkeit, Traumata sind nicht einordenbar, widersprechen der
gewohnten Realtitätserfahrung. Unser unstillbares Bedürfnis nach Sinngebung
führt aber dazu, dass bestimmte sekundäre Reaktionen in Gang kommen, mit
dem Ziel, ein solches an sich unbegreifliches Geschehen irgendwie zu erfassen.
Und hier sind neurotischen Mechanismen Tür und Tor geöffnet.
Therapeutische Grundprinzipien bezogen auf die Traumasituation entsprechen
im wesentlichen denen einer Krisenintervention. Es geht darum, dem
Betroffenen rasch und weitgehend Sicherheit zu vermitteln, ihm als
empathischer, einfühlsamer Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen sowie
Verständnis zu haben für die Traumawirkungen und den Prozess der
Traumaverarbeitung; ebenso – wenn nötig – unmittelbare Hilfen zu geben, wie
Informationen betreffend Verlauf, natürlich angepasst an die Bedürfnisse des
Betroffenen.
Die traumatische Reaktion
Die traumatische Reaktion kann man analog zur Immunreaktion als einen
komplexen Abwehrvorgang verstehen, in dem der Mensch versucht, sozusagen
einen eingedrungenen Fremdkörper entweder zu vernichten oder auszuscheiden
– oder mit dem Fremdkörper weiterzuleben und ihn gleichsam abzukapseln.
Hier zeigt sich, dass Abwehr offenbar nicht nur einen psychodynamischen,
sondern auch einen biologischen Sinn hat: nämlich einer
Informationsüberflutung des Systems und einem übersteigerten
Anpassungsdruck entgegenzuhalten. Es werden hier – im Falle gelingender
Traumaverarbeitung - fünf unterschiedliche Phasen unterschieden, und zwar:
1. peritraumatische Phase: Aufschrei, Angst, Wut
2. Verleugnungsphase im Sinne eines Sich-Wehrens gegen die Erinnerung
an die traumatische Situation
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3. Phase des Eindringens von Gedanken und Erinnerungsbildern
(Intrusionen, Flashbacks)
4. Phase des Durcharbeitens, der Auseinandersetzung mit den traumatischen
Ereignissen und den persönlichen Reaktionen
5. Abschluss des Traumas
Die Traumareaktion zeichnet sich durch einen biphasischen Charakter aus,
durch eine regelhafte Wiederkehr von Intrusion und Verleugnung. Frühe
therapeutische Hilfe ist in der Regel wichtig, denn eine Fixierung in der Phase
der Verleugnung führt zur Abstumpfung und Erstarrung der Persönlichkeit, die
Intrusionen zu seelischer Qual. Grundsätzlich gilt, dass frühe Intervention
Vorteile mit sich bringt und einer Chronifizierung entgegenwirkt.
Das Durcharbeiten traumatischer Agenda wird möglich, wenn die Fähigkeit zur
Selbstberuhigung so weit gestärkt ist, dass ein kontrolliertes Wiedererleben der
traumatischen Situation möglich ist. Nun ist eine schrittweise Umarbeitung der
kognitiv-emotionalen Schemata möglich, sodass die traumatische Erfahrung
integriert werden kann. Hingegen entwickelt sich ein chronisches
posttraumatisches Belastungssyndrom dann, wenn die Kontrollmechanismen der
Persönlichkeitsorganisation zu schwach sind, um die Überflutungen durch
traumatische Erinnerungen einzudämmen.
Grundprinzipien der Therapie der Traumareaktion – der postexpositorischen
Traumatherapie – sind die Vermeidung jeder weiteren Stressbelastung und die
Förderung der Erholungsphase. Dynamisch orientierte Psychotherapeuten
verfügen in aller Regel ohnehin über ich-stützende Zugangsweisen zum
Patienten, die hier zur Anwendung kommen sollten. Zusätzlich erweisen oft
Entspannungsverfahren und auch imaginative Techniken als hilfreich; aber auch
körperbezogene Zugänge, wie ein dosiertes Anbieten körperlichen Halts, kann
sich als günstig erweisen und entlastend wirken.
Wenn diese Phase nicht gut durchlaufen wird, dann besteht eine Tendenz, das
Trauma gleichsam einzukapseln. Dann besteht zwar keine floride Angst mehr,
allerdings sind dazu umfangreiche Umbaumaßnahmen in der seelischen Struktur
notwendig, die einen hohen Preis haben, d. h. mit einer weit reichenden
Reorganisation von Beziehungsschemata und kognitiv-affektiven
Wissensbeständen einher gehen – all dies mit dem Ziel der
Schadensbegrenzung. Der zunehmende Zerfall von Gesamtwahrnehmung und
Handlung soll die Kontextualisierung der gefürchteten Erinnerungsbilder
verhindern. Ein spezifischer Konflikt zwischen der traumatischen Erfahrung und
den kompensatorischen Strukturen führt zu voneinander dissoziierten
Erlebniszuständen mit wechselnden Stimmungslagen. Diese Wechsel vollziehen
sich nach für den Traumatisierten unsichtbaren Mechanismen, er ist sich dieser
Autorenschaft nicht bewusst – das ist entscheidend. Es spielt sich ein innerer,
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unbewusster Kampf an zwischen zwei Gegenspielern: auf der einen Seite das
Traumaschema – das sind alle mit dem Trauma assoziierten inneren Tendenzen,
die sich ausdrücken wollen, die nach Lösung suchen, die aber auch die
gefürchtete Erinnerung an das Trauma im Kern enthalten; daher soll das
Traumaschema unbewusst bleiben. Auf der anderen Seite stehen die
traumakompensatorischen Tendenzen.
Würden die traumakompensatorischen Mechanismen bewusst werden, dann
würde der Traumatisierte auf den „Gegenspieler“, das sog. Traumaschema,
aufmerksam werden, womit das Ziel der kompensatorischen Abwehr verfehlt
wäre. Die schrittweise Bewusstwerdung des Traumaschemas und der
traumakompensatorischen Bewältigungsmaßnahmen ist Gegenstand einer auf
lange Zeit ausgelegten psychodynamischen Psychotherapie.
Die Traumaverarbeitung
Fischer und Riedesser beschreiben in ihrem Lehrbuch sehr differenziert und
umfassend die komplexen Verarbeitungsprozesse in der dritten Phase des
Traumaprozesses, auf die ich hier aus Zeitgründen nicht eingehen kann. Diese
dritte Phase ist für mich das Feld der Psychoanalyse – die dabei ablaufenden
Verarbeitungsmechanismen sind psychoanalytisch gut verstehbar. Ich möchte an
dieser Stelle nicht ausführlich auf diesen Punkt eingehen und auf den
Folgevortrag von Hrn. Scharff hinweisen. Nur als kurze Andeutung:
Wenn ich z. B. als Folge des Trauma sage: „Ich war schuld an dieser
Katastrophe!“, dann kann man den Sinn dieser Überzeugung so verstehen, dass
man hier zumindest in der Fantasie gehandelt hat und daher das Gefühl gerettet
hat irgendwie handlungsfähig zu sein, anstatt komplett ausgeliefert zu sein, was
schwieriger zu ertragen ist. Es ist dies ja auch ein typischer infantiler
Mechanismen – Größenfantasien zu entwickeln, um die eigene Hilflosigkeit
bewältigen zu können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bedeutungsgebung ein an sich
sinnvoller Versuch einer Reorganisation des Organismus darstellt, der gelingen
oder aber misslingen kann.
Behandlungstechnische Perspektiven: Grundlegendes zur analytischen
Körperpsychotherapie
Theoretischer Hintergrund der analytischen Körperpsychotherapie ist die
Psychoanalyse, wobei diesbezüglich bestimmte Theorien von besonderer
Wichtigkeit sind – ich nenne exemplarisch die Modifikation des Verstehens von
Übertragung als „interaktionelle Übertragung“ wie vor allem bei Bettighofer, die
Theorie der „Körperinszenierungen“, wie sich Küchenhoff beschreibt, sowie
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Ansätze zu einem basalen Verstehen von Enactments, wie sie von Heisterkamp
in seinem letzten Buch beschrieben wurden. Im wesentlichen ist analytische
Körperpsychotherapie, so wie ich sie verstehe, eine Erweiterung der
Psychoanalyse in Richtung der Konkretisierung der Handlungsdimension im
Beziehungsgeschehen zwischen Patient und Therapeut. Agieren wird dabei nicht
mehr als Widerstand angesehen, sondern als förderliche und teilweise sogar
notwendige therapeutische Dimension, um an traumatisches Material überhaupt
herankommen zu können.
Aus einer psychoanalytisch fundierten körpertherapeutischen Sicht ist die
Leitperspektive, um das therapeutischen Geschehen immer wieder zu verstehen,
die Beziehungsperspektive. Diese Perspektive ermöglicht es daher,
Beziehungsprozesse nunaciert zu erfassen und gemeinsam zu verstehen. Das ist
der Vorteil, aber natürlich hat diese Zentrierung auch seinen Preis. D. h. im
Vergleich zu neoreichianischen Körpertherapien spielt die Fokussierung
körperlicher Selbstprozesse (Spüren, Einlassen in körperliche Erfahrungen,
Erproben körperlicher Impulse, körperliche Abreaktion von Affekten,
Anwendung körperlicher Stresstechniken mit dem Ziel autonomer
Körperreaktionen) eine geringere Rolle zugunsten konkret-körperlicher
Interaktionserfahrungen zwischen Patient und Therapeut, z. B. im Sinne
umgrenzter Handlungsszenen, im Sinne von Modellszenen.
Dazu ist ein „offenes Setting“ von vornherein notwendig und wird als solches
sofort eingeführt. Speziell die Arbeit in einem solchen „offenen Setting“ anstatt
im festgelegten Couch-Setting der Psychoanalyse bringt eine Menge an
behandlungstechnischen Implikationen mit sich. Dadurch, dass im konkreten
Gegenüber und in der Handlung die nonverbalen Signalgebungen nicht nur des
Patienten für den Therapeuten – sondern umgekehrt: des Therapeuten für den
Patienten – viel sichtbarer und auch Material der Bearbeitung werden, bekommt
die reale Beziehung im Vergleich zur Übertragungsbeziehung eine große
Bedeutung.
Analytische Körperpsychotherapie ist durch ihr von vornherein offenes Setting
etwas anderes als die bisher übliche psychoanalytische Therapie; aber sie ist
auch keine Körperpsychotherapie wie z. B. die Bioenergetische Analyse. Im
Unterschied zu klassisch-körperpsychotherapeutischen Handhabungen von
Körperinterventionen, wo diese von vornherein Teil des Settings sind und ohne
spezifische Beachtung des Standes der Beziehung angeboten werden können,
erfolgt körperliche „Arbeit“ in der analytischen Körperpsychotherapie in engster
Anlehnung an den aktuellen Stand von Übertragung und Gegenübertragung, was
einige wesentlich andere Akzentsetzungen bringt. Z. B. entscheiden wir uns als
analytische Körperpsychotherapeuten sehr oft, die unbewussten Bedeutungen
von möglichen Beziehungsangeboten zuerst zu analysieren (z. B. auch
körperlichen Beziehungsangeboten), anstatt eine „Übung“ vorzuschlagen.
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Dieses Analysieren unbewusster Beziehungsbedeutungen kann Gegenstand der
verbalen Arbeit sein, oder auch ein Prozess im Therapeuten selbst, den er für
sich behält, im Sinne eines Containings, um ihn erst an späterer Stelle in
modifizierter Form im Sinne einer Deutung oder Querverbindung an den
Patienten zurückzugeben. Oftmals bringt die Analyse dieser
Beziehungsfantasien genügend Material, dass eine tatsächliche durchgeführte
konkrete Handlung gar nicht immer angezeigt. Gemeinsame Enactments sind
manchmal wichtig, d. h. es werden im Rahmen einer solchen Therapie eher
wenige, aber meist hochbedeutsame Schlüsselszenen in konkretes Handeln
umgesetzt bzw. sie ereignen sich von selbst, der Prozess steuert quasi in diese
Richtung gemeinsamer Enactments – und sie dürfen sich ausdrücken, wenn der
Therapeut dafür offen ist und sie nicht aus methodischen Gründen blockiert.
Durch die Zentrierung auf unbewusste, sich auch handelnd inszenierende
Beziehungsprozesse steht analytische Körperpsychotherapie m. E. der
Psychoanalyse näher als den mir bekannten klassischen Körperpsychotherapien,
wie der Bioenergetischen Analyse. Und nochmals: Dieses Vorgehen hat – wie
jedes Verfahren - Vorteile und auch einen Preis. Der Vorteil besteht in einem
differenzierten Erfassen-Können unbewusster Beziehungsaspekte. Der Preis hat
damit zu tun, dass körperliche Prozesse nicht in einer Art und Weise erfasst und
durchgearbeitet werden können, wie das z. B. in der Bioenergetischen Analyse
möglich ist.
In jedem Fall bin ich davon überzeugt, dass ein längerfristiges
entwicklungsbezogenes Arbeiten sinnvoll und gewinnbringend ist – auch wenn
ich verstehen kann, dass nicht alle meine Patienten entwicklungsbezogen an sich
arbeiten möchten. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen als Patient bin ich der
Überzeugung, dass in einer langfristigen Perspektive ein differenziertes
Verstehen der unbewussten Repräsentationen sehr hilfreich ist, also z. B. das
stabilisierende Anknüpfen-Können an tröstliche Primärerfahrungen bzw.
positive prätraumatische Erfahrungen, die sich durch Distanzierbarkeit,
integrierte Wahrnehmung und ganzheitliches Erleben auszeichnen. Sie sind
deshalb innerlich evozierbar und jederzeit geeignet, ängstigende Erfahrungen im
Hier und Jetzt zu relativieren.
Hingegen ist der sofortige Stabilisierungsgewinn durch ein übungsorientiertes
Verfahren, wie in der klassischen Körperpsychotherapie, aber auch in der
imaginationszentrierten Traumatherapie (z. B. im Sinne Reddemanns) oft
beeindruckend und aus der Sicht des Patienten sicher zunächst gewinnbringend,
da sich sein Leiden rasch vermindert. Allerdings können solche thematische
Anregungen – wie das Anknüpfen an sichere Orte, Hilfsintrojekte und
konfliktfreie Situationen – nicht nur Ressourcenzustände des Patienten anregen,
sondern auch kompensatorische Rettungsfantasien verstärken, die letztlich aber
13
an traumakompensatorische Rettungsillusionen anschließen und somit im
Dienste der Abwehr stehen.
Im Einzelfall muss natürlich jeder Therapeut im Gespräch mit dem jeweiligen
Patienten abwägen, was an Angebot hilfreicher erscheint – ein Setzen auf
Langzeitprozesse oder auf kurzfristige Stabilisierungen. Diese Entscheidung ist
sicher nicht immer eine leichte.
Inwieweit aus dieser psychoanalytischen Sicht von Körpertherapie der Körper in
seinem Handlungsaspekt in das Verfahren einbezogen wird - hier gibt es
erhebliche Unterschiede, die zu einem nicht geringen Teil Stilunterschiede sind
– abhängig von der Person des Therapeuten und seinen Möglichkeiten und
Grenzen.
Ich selbst bin z. B. mit Berührung sehr langsam und auch vorsichtig, es
entspricht meinem Stil mehr, mich in kleinen Schritten an den Patienten
heranzutasten, ich selbst brauche Zeit um auf der körperlichen Ebene Sicherheit
und Vertrauen zu gewinnen. Da ich körperliche Interventionen eben nicht
technisch einsetze, ist mir dieses langsame Vorgehen wichtig – es ist mein
persönlicher Stil.
Übersicht über das Spektrum psychoanalytisch orientierter
traumatherapeutischer Vorgehensweisen
Analytische Körperpsychotherapie ist wegen ihrer Fokussierung auf unbewusste
Abwehrprozesse und unbewusste Beziehungsbedeutungen meiner Meinung nach
ein Verfahren, das sich für die Phase 3 des Traumaprozesses als Mittel der Wahl
anbietet – für die Traumaverarbeitung.
Auf der einen Seite des Spektrums siedle ich Kollegen an, wie z. B. Reinhard
Plassmann, die im klassischen Setting ohne konkrete körperliche Interaktion
und Berührung verbleiben, sich aber Überlegungen machen, wie man
Deutungen so modifizieren kann, dass sie dem Gegenstand, der Behandlung
traumatisierter Patienten, gerechter werden. Plassmann hebt den Unterschied
von Inhalts- und Prozessdeutungen hervor. Er sagt ganz klar, dass dann, wenn
eine semiotische Regression vorliegt (ein Verlust an Zeitlichkeit, Perspektivität,
Symbolisierungsfähigkeit durch Sprache und Sinngebung), die inhaltliche
Deutungsarbeit zurückgestellt werden muss zugunsten Prozessdeutungen – die
im wesentlichen das erfassen, WIE Dinge geschehen (und nicht, welche
unbewusst dynamischen Bedeutungen mit ihnen verbunden sein könnten). Dabei
werden die Ressourcenanteile der Patienten in die Prozessdeutung einbezogen,
z. B.: „Mir ist aufgefallen, dass in unserer letzten Stunde eine Spannung
herrschte. Dann haben Sie etwas sehr Gutes gemacht, was uns beiden geholfen
hat, mit dieser Spannung besser fertigzuwerden – Sie sind aufgestanden und
14
haben sich ein wenig bewegt – das hat nach meiner Wahrnehmung die
Spannung etwas gelöst.“ Diese Deutung als Beispiel – man wird hier als
Körperpsychotherapeut unwillkürlich an die Beachtung und das Aufgreifen
nonverbaler und nur atmosphärisch wirksamer Prozesse erinnert.
Ein anderes Beispiel: Ursula Volz-Boers verbleibt ebenso im klassischen
hochfrequenten Couch-Setting und berührt weder ihre Patienten noch ermutigt
sie sie zu konkreter Interaktion. Ihr Zugang zum traumatischen Erleben ist die
Körpererfahrung des Analytikers in der Gegenübertragung. Körperliche
Empfindungen werden über Imaginationen und deren wortsprachliche
Benennung in das Analysierbare einbezogen. Die Körperlichkeit wird sozusagen
über die Bilderwelt und deren sprachliche Mitteilung in die Psyche des Patienten
implantiert, durch Anregung des Psychoanalytikers wird aus subsymbolischer
Kommunikation schrittweise symbolische Kommunikation, und mit einer
derartigen Bildung neuartiger Körperrepräsentanzen entsteht neue psychische
Struktur.
Einen entscheidenden Schritt geht Jörg Scharff, der dann, wenn das klassische
Couch-Setting an seine Grenzen gerät, zu einer anderen Methode überwechselt,
die er „inszenierende Interaktion“ nennt. Was er darunter versteht, können Sie
im nächsten Referat hören.
Auch Hans Müller-Braunschweig ist als einer jener Psychoanalytiker
anzusehen, die auf der Grundlage eigener körperpsychotherapeutischer
Erfahrung gelegentlich Abweichungen des klassischen Couch-Settings zulässt
oder sogar aktiv einführt. Zwei wichtige Dinge stellt er fest: 1. ein sehr häufiger
Setting-Wechsel kommt bei ihm nicht so oft vor, weil ihm der Abwehrcharakter
desselben als Möglichkeit im Hinterkopf ist. 2. Die grundsätzlich Offenheit für
gelegentlich eingeführte szenische Arbeit sensibilisiert nicht nur für neue
Möglichkeiten des Handlungs- und Aushandlungsraumes zwischen Patient und
Therapeut, sondern fördert auch Erfahrungen der Lebendigkeit beider.
Noch weiter gehen Psychoanalytiker wie Tilmann Moser, Günter
Heisterkamp und Gisela Worm, die ein offenes Setting von Anbeginn an
einführen. Das geht z. B. bei Gisela Worm teilweise so weit, dass sie das
festgelegte Sitzen auf den Stühlen ganz aufgibt, sodass beide Seiten – Patient
und Therapeut – jede Stunde neu gefordert sind, die therapeutische Distanz neu
zu bestimmen, einschließlich der körperlichen Basishaltung, in der sie sich
begegnen. Den Variationen sind hier kaum Grenzen gesetzt – man kann im
Sitzen, aber auch in anderen Positionen arbeiten – die kontinuierliche
Aushandlung von Nähe und Distanz zwischen Patient und Therapeut ist dabei
ein entscheidender handlungsleitender Gesichtspunkt.
15
Gisela Worm achtet ausdrücklich darauf, ob sie es mit einem Patienten mit einer
relativ intakten Ich-Struktur zu tun hat oder nicht. Man kann ihrer Meinung nach
„klassisch“ analytisch-körpertherapeutisch nur bei einigermaßen intakter IchStruktur arbeiten, d. h. Körperarbeit „in der Übertragung“ machen, was wegen
der manchmal enormen Affektverdichtung zwar sehr wirksam, aber auch sehr
ich-belastend ist. Neurotisch strukturierte Patienten ziehen daraus in der Regel
großen Gewinn. Haben wir es hingegen mit ich-strukturellen Störungen, dann ist
diese Form beziehungszentrierter Körperinterventionen kontraindiziert, und man
wendet selbstzentrierte körpertherapeutische Interventionen an, oder
Imaginationstechniken, die das Ich des Patienten schonen.
Es ist daher in der analytischen Körperpsychotherapie wichtig, zwischen
selbstzentrierten und beziehungszentrierten Interventionen zu unterscheiden und
deren Verwendung an die Struktur des Patienten anzupassen. Dies schließt gut
an, was ich von Ulrich Sachsse gehört habe, nämlich dass das Klientel, mit dem
er auf seiner Klinik traumatherapeutisch anstatt psychoanalytisch arbeitet,
offensichtlich ein solches ist, das durch erhebliche strukturelle Ich-Störungen
gekennzeichnet ist – also Patienten, die oft sogar an der Grenze zwischen
Psychotherapie und psychiatrischer Intervention dahinwandern.
Es ist schön zu sehen, wie sich unter psychoanalytischen Autoren eine
Weiterentwicklung in Zusammenhang mit dem Verstehen von Enanctments im
therapeutischen Geschehen abzeichnet. So wird in einem in der Psyche 2003
abgedruckten Beitrag von Manfred Schmidt aus Köln berichtet, wie er im
Rahmen einer niederfrequenten psychoanalytischen Therapie eine gemeinsame
Inszenierung auf der Handlungsebene nutzt, um die während der gemeinsamen
Szene hochgekommenen Affekte zu klären. Daraus entstand in dem von
Schmidt referierten Fallbeispiel ein erinnernder Zugang zu schweren
Traumatisierungen, die nach und nach in ihrer affektiven Bedeutung realisiert
werden konnten. Nach Meinung des Autors ist die Beachtung der emotionalen
Klärung gemeinsam erlebter Handlungsszenen die zentrale
veränderungswirksame Dimension, und erst dann schließen sich Erinnerung und
in weiterer Folge die Erzählung als weitere symbolisierende
Veränderungsschritte an. Schmidt, der sich u. a. auf Heisterkamp bezieht, weist
dabei auf die Wichtigkeit der Beachtung impliziten Beziehungswissens hin, als
einer Form eines „emotionalen Unbewussten“, das zunächst über die Handlung
zugänglich wird und nicht über das gesprochene Wort.
Thomas Reinert, Leiter die Langenberger Klinik für Psychotherapie, arbeitet
seit vielen Jahren mit Patienten mit schweren Borderline-Störungen1. Er, aus
1
Reinert verdanke ich folgende Klarstellung. Das Borderline-Syndrom ist nicht identisch mit der
posttraumatischen Störung. Selbstverständlich haben Borderline-Patienten eine Vielzahl schwerer Traumata
erlitten, insbesondere auf sexuellem Gebiet, und häufig handelt es sich um Lebensgeschichten mit einem sog.
„kumulativen Trauma“. Trotzdem sollte dies nicht mit der Genese der Borderline-Struktur gleichgesetzt werden.
16
einer Adlerianischen Tradition stammend, hat in seiner Arbeit eigene
körperliche Zugangsweisen entwickelt und ermöglicht diesen schwerstgestörten
Patienten z. B. einen Rückzug auf eine „embryonalhafte Regressionsebene“, auf
der die Patienten ihren Rückzugsimpulsen folgen und z. B. Höhlen bauen, in die
sie sich hineinlegen und dort verharren. Die Patienten dürfen also
entwicklungsanalogen Erfahrungsmodi nachgeben bzw. werden dazu
ausdrücklich ermutigt, und vom Setting her bedeutet dies, dass ein
entsprechendes Angebot an Materialien zur Verfügung steht, wie Decken,
Kissen, Matratzen, Schaumstoffwürfel, Säcke und anderes.2
Nach Reinert, der viel Erfahrung mit dieser Patientengruppe gesammelt hat3,
liegt der Schlüssel der Behandlung hier tatsächlich in der Zur-Fügung-Stellung
der körperlichen Handlungsebene. Konventionelle Therapien können seiner
Meinung nach sehr wohl eine gute Integration des Patienten ins Lebensgefüge
erreichen, jedoch bleiben diese Patienten oft „seelische Krüppel“, d. h. mit
einem auf immer währenden pathologischen Fühlen und einer erheblichen
Distanz zur menschlichen Umgebung. Die Möglichkeit der Regression auf die
körperliche Ebene und ein systematisches Fördern der Wahrnehmung von sich
selbst auch im körperlichen Bereich sowie der Nähe des Anderen führt zu neuen
Erfahrungsdimensionen für den Patienten, die dadurch in der Tat eine
nachholende Ich- und Selbstentwicklung durchlaufen, einen Neu-Beginn im
Balint´schen Sinn erleben können. Das beschreibt Reinert auch in einigen seiner
Artikel der letzten Jahre4.
In Phasen solcher Tiefenregression5 steht der Therapeut dem Patienten nicht so
sehr als konturiertes Objekt gegenüber, der Übertragungstyp ist also nicht der
einer objektalen Übertragung, sondern eher der einer Selbstobjektübertragung
bzw. ist der Therapeut, wie Reinert selbst meint, ein Verwandlungsobjekt im
Sinne von Bollas – d. h. geschlechtlich undifferenziert, universell verwendbar
und mit Funktionen ständig wechselnden Charakters befrachtbar. Auch ist der
verbale Kontakt in dieser Therapiephase relativ unwichtig. Vor diesen tiefen
Regressionen schrecken nach Meinung Reinerts viele Kollegen zurück, und es
kommt bei solchen schwerstgestörten Patienten tatsächlich auch zu
Dabei geht es vielmehr um eine spezifische Familiendynamik, bei der die wichtigsten Autonomie-Bewegungen
des Kindes nicht toleriert wurden, sondern eine Botschaft vermittelt wurde, die auf ein „Nicht-mehr-Existierensollen“ im Falle autonomer Impulse hinausläuft. Diese implizit vermittelte Botschaft erklärt die starken Ängste
dieser Patienten, die faktisch Todesängsten gleichkommen. Das Trauma ist also die Beziehung selbst.
2
Es gibt mittlerweile eine große Sammlung solcher Materialien, die gleichsam als Übergangsobjekte dienen.
Eine ausführliche Übersicht dazu ist nachlesbar bei Vogt, R. (2003): Beseelbare Objekte zur analytischen
prozessnahen Diagnostik und –therapie im körperpsychotherapeutischen Setting. Psychoanalyse und Körper
2/2/1, S. 41-57.
3
Ein Buch dazu ist in Vorbereitung (persönliche Mitteilung)
4
Z. B.: Reinert, T.: Und sie bewegen sich doch! Modofiziert-analytische Langzeittherapie bei Patienten/innen
mit schweren Borderline-Störungen. In: Gerlach, A., Schlösser, A. M., Springer, A. (2003): Psychoanalyse mit
und ohne Couch – Haltung und Methode. Psychosozial, Gießen, S. 208-220
5
Regression benutze ich hier im Sinne eines deskriptiven Begriffs und als Metapher, nicht aber theoretisches
Konstrukt. Genaueres dazu bei Geißler, P. (2001): Mythos Regression. Psychosozial, Gießen.
17
psychotischen Phänomenen, die Angst machen können. Andererseits bewirkt
das Durchleben dieser Phasen einschließlich psychotischer Dekompensationen
enorme Wandlungsmöglichkeiten, die Reinert anhand von Fallbeispielen belegt.
Reinert stellt u. a. auch kritisch fest, dass es bei den meisten
Behandlungskonzepten der Borderline-Störung um Versuche geht, eine
möglichst objektive Erfassung des Krankheitsgeschehens und darauf bezogene
therapeutische Strategien zu gewährleisten. Er stellt dem gegenüber aus seiner
Adlerianischen Perspektive eine „personale Haltung“6, was bedeutet, dass es
darum geht, nicht nur die Krankheit, sondern auch und v. a. den Patienten zu
verstehen. Daraus leitet sich seine Überzeugung ab, dass es möglich ist – ich
zitiere – „auch schwerste Borderline-Syndrome, trotz aller zunächst einmal
bizarr wirkenden Phänomene und scheinbar willkürlichen Verhaltensweisen zu
verstehen und zu einer insgesamt völligen Aufklärung der jeweiligen
individuellen Psycho-Dynamik hinzuführen“, denn „alles, was der Patient
hervorbringt, folgt einer privaten inneren Logik und ist nicht etwa nur
eigengesetzlich ablaufender Ausfluss einer primär gegebenen hirnorganischen
Pathologie“. Im Rahmen langjähriger Erfahrung in der ambulanten Therapie mit
solchen Patienten hat Reinert folgende Behandlungsbedingungen aufgestellt
(hier verkürzt wiedergegeben):
1. Die Behandlung erfolgt in einem regressions-förderlichen Milieu,
möglichst in einem Therapieraum, der nur mit Matratzen, Kissen, Decken
und evtl. Stofftieren ausgestattet ist und vom Patienten verändert werden
kann.
2. Sitzungen finden zwei- bis dreimal wöchentlich statt, wobei jedes Mal
eine neue Gestaltung des Raums möglich ist.
3. Die Körperebene als primäre Erfahrungsebene menschlicher Existenz
wird in den Behandlungsprozess einbezogen.
4. Kreative Produkte des Patienten, wie Bilder, sind willkommene
Hilfsmittel.
Kurz zum Therapieverlauf, so wie Reinert ihn beschreibt: Zunächst wird der
Therapeut aufgrund seiner spezifischen Pathologie als „Feind“ angesehen. Wenn
der Therapeut dieser Betrachtungsweise des Patienten (die einzige, die ihm
möglich ist) standhält, durchläuft der Therapieprozess folgenden Phasen und
zugleich Testungsebenen7 (ebenfalls verkürzt):
6
Nimmt man eine solche personale bzw. intersubjektive Perspektive ernst, wäre es eigentlich gerechtfertigter,
anstelle von „Techniken“ und „Interventionssatrategien“ von therapeutischen „Antworten“ zu sprechen, wie dies
z. B. in der Gestalttherapie üblich ist.
7
Diese Testungsebenen erinnern an das Konzept der „Control-mastery-theory“ von Weiss, J. und Sampson,
H.(1986): The psychoanalytic process. Theory, clinical observations and research. New York (Guilford Press);
Weiss, J. (1990): Strategien des Unbewußten. Spektrum der Wissenschaft, S. 122-129.
18
1. Die Ehrlichkeit des Therapeuten wird getestet – er versucht, den
Therapeuten zu persönlichen Stellungnahmen zu bewegen und ihn bei
Widersprüchen zu ertappen.
2. Die Stärke des Therapeuten wird getestet – vor allem hinsichtlich der
enormen Aggressivität dieser Patienten.
3. Die Zuneigung des Therapeuten wird getestet – der Patient versucht, den
Therapeuten mittels projektiver Mechanismen zu negativen
Affektäußerungen zu bringen. Dabei wünscht er sich eigentlich, wie auch
bei den anderen Testungsebenen, der Therapeut möge die Tests bestehen.
Schafft es der Therapeut, diese Tests zu bestehen, wird er zunehmend zu einem
„Verwandlungsobjekt“ im Sinne von Bollas, und der Patient lässt sich in die
beschriebene Tiefenregression auf ein intrauterines Niveau ein, indem er sich
aus Kissen und Decken Höhlen baut und sich in eine Embryonalhaltung
zurückzieht. Oder er malt Bilder mit ebensolchen Bezügen. Wichtig sei es, dem
Patienten diese Regression voll zu gestatten, wobei der Therapeut in dieser
entscheidenden Therapiephase für den Patienten auch telefonisch erreichbar sein
sollte. Da Trennungen sehr schwierig sind, ist diese Phase für den Therapeuten
äußerst belastend. Wird sie aber überstanden, ist eine sehr positive Entwicklung
möglich – dies bei einem Gesamtstundenausmaß von etwa 700 bis 800. Der
entscheidende therapeutische Erfolg besteht gegenüber anderen Therapien nach
Reinert eben darin, dass durch das veränderte Körpererleben und Distanz-NäheErleben die Nähe-Gestaltung zu anderen Menschen im Alltag auf eine gänzlich
neue Weise möglich ist und diese Patienten zu echter Lebensfreude finden
können.
Diese hohe Stundenzahl hat sicher mit dem Umstand zu tun, dass das, was
normalerweise das Paniksystem am besten beruhigt, nämlich das
Bindungssystem, bei diesen Patienten als ständige latente Gefahrenquelle erlebt
wird und die therapeutische Arbeit eben hier ansetzen muss. Patienten dieser Art
sind eben alles andere als sicher gebunden, und die therapeutische Aufgabe
besteht implizit im wesentlichen darin, neue und stabilere
Bindungsrepräsentanzen aufzubauen.
In Kürze einige Eigenerfahrungen
Bei Patienten, mit denen ich von der Methode her analytischkörperpsychotherapeutisch in einem langfristigen Prozess arbeite (vielleicht die
Hälfte meiner Patienten), erlebe ich, wie gut sich wenige gemeinsam konkretkörperlich durchlebte Szenen eignen, um wertvolles Analysematerial für die
verbale Bearbeitung und auch Durcharbeitung zu gewinnen. Erst der konkrete
Handlungsdialog bewirkt, dass der Patient bestimmte traumatische Erinnerungen
in einer affektive Dichte reaktiviert, die in rein verbal geführten Prozessen oft so
nicht erreichbar ist. Beispielsweise erinnerte ein etwas blässlich wirkender
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Patient, als ich ihm in einer interaktiven Szene das Gesicht hielt, einen Satz
seiner Mutter, die ihm gesagt hatte, er hätte ein Gesicht zum Erbrechen. Für
diesen Patienten, bei mir in Zweittherapie nach einer langjährigen CouchAnalyse, eröffnete das Wiederhochkommen dieses Satzes (den er in der CouchAnalyse nicht erinnert hatte) ein altes Beziehungstrauma und damit verbunden
eine für ihn neue Dimension früher präödipaler Wut, was einen Wendepunkt in
der Therapie einleitete. Hier arbeite ich also traumatherapeutisch in einer Weise,
dass alte, prozedural gespeicherte Beziehungstraumata durch den
Handlungszugang reaktiviert werden. Die zeitlich gesehen viel umfangreichere
verbale Arbeit dient dazu, die jeweils spezifische unbewusste
Traumaverarbeitung aufzuklären und bewusst zu machen.
Hin und wieder sehe ich Patienten, die Zeugen eines Banküberfalls waren oder
vom Täter direkt bedroht wurden. Ich sehe diese Patienten in der Regel zum
ersten Mal ein bis zwei Tage nach dem Banküberfall, d. h. oft noch in der Phase
der Traumareaktion. ein Hier ist mein Zugang ein mehr stützend-beratender –
ich wähle hier absichtlich ein anderes Vorgehen als analytische
Körperpsychotherapie, weil es mir – bezogen auf die spezifischen Bedürfnisse
dieser Traumaphase – angemessener vorkommt.
Ich gebe diesen Patienten einerseits viel Raum zum Erzählen, frage einzelne
Details nach, vermittle Empathie und auch die Überzeugung, dass der
traumatische Prozess langfristig gut überstehbar sein wird. Und ich berate die
Patienten ganz konkret, was sie in den nächsten Tagen und Wochen tun können
– angefangen von wiederholten Erzählen des Vorfalls im Beisein von
Angehörigen, über Aufklärung, wie ein Traumaprozess normalerweise verläuft
(also Zeit braucht), bis hin zur Empfehlung, wenn nötig kurzfristig
schlaffördernde Medikamente einzunehmen. Im Schnitt sind zwei bis zehn
Sitzungen, aufgeteilt auf zwei Wochen bis zwei Monate, ausreichend, um eine
psychische Stabilisierung und eine Rückkehr auf den Arbeitsplatz zu
ermöglichen – außer bei einigen wenigen Patienten, die erhebliche ichstrukturelle Störungen oder polytraumatische Vorerfahrungen haben. Das
Extrembeispiel war ein etwa 50-jähriger Bankangestellter, der, als er zu mir in
Therapie kam, zum 7. Mal Opfer eines Banküberfalls geworden war und der,
parallel zur Therapie, eine Frühpensionierung anstrebte und meines Wissens
auch erreichte.
Zum Abschluss: Traumatherapie und existenzielle Perspektive
Das paradoxe Dilemma als Folge der traumatischen Erfahrung ist: Einerseits ist
alles so wie immer, und andererseits ist nichts wie vorher! Und diese Paradoxie
hat einen erschütternden Effekt, die Weltsicht des Menschen nach einer
traumatischen Erfahrung verändert sich nachhaltig. Menschen, die dem Tode
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nahe waren, sind nachher manchmal nicht die gleichen, sie gewinnen nicht
selten eine neue Tiefe ihrer Lebenserfahrung.
Traumatisches Erleben bietet so gesehen einen Einstieg in eine
Erfahrungsdimension, die in einer „normalen“ Psychotherapie gar nicht so
selbstverständlich hochkommt: nämlich die existenzielle Dimension, also
Fragen der eigenen Sterblichkeit, des Verlusts geliebter Menschen und der
Sinngebung im Leben. Hier handelt es sich um eine spezielle Tiefungsebene, die
nichts mit regressiven Prozessen zu tun hat,8 und die in einer psychodynamisch
geführten Psychotherapie durchaus ihren Platz haben kann.
Gerade das veränderte Erleben – „alles ist so wie es immer war, und nichts ist
mehr, so wie es ist“ – definiert ja gerade eine existentielle Wahrnehmungsebene,
nur mit dem Unterschied, dass sich der traumatisierte Patient dieser Paradoxie
längere Zeit hilflos ausgeliefert fühlt. Während man in „normal“ geführten
Therapien diesen Erlebensbereich – vor allem in der Therapie älterer Menschen
– oft bewusst einführen muss, weil die Patienten ihn von sich aus nicht begehen,
liegt er bei traumatisierten Patienten sozusagen offen zutage und kann zum
geeigneten Zeitpunkt aufgegriffen werden. Somit ergibt sich aus der
Traumatisierung der deren Verarbeitung auch eine besondere Chance, die Krise
als Entwicklungsimpuls zu nutzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
8
Eine ausführliche Darstellung dazu ist nachlesbar bei Yalom, I. D. (1989): Existentielle Psychotherapie. Ed.
Humanistische Psychologie, Köln. Er spricht von einer „Bewusstheit der letzten Angelegenheiten“, d. h. einem
Bewusstsein von Endlichkeit, Tod, Freiheit, Verantwortung, existenzieller Isolation und der vorgegebenen
Sinnlosigkeit des Lebens.
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