Traumaverarbeitung und Chronische posttraumatische Störungen Definitionen: Trauma: „Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhaltete.“ (DSM-IV) traumatische Reaktion: Entdifferenzierung der Wahrnehumgsschemata kann Panikreaktion auslösen. Situationskreismodell: permanente Überreaktion der effektorischen Sphäre, z.B. „FightFlight“, „Freeze“-Reaktion Totstellreflex traumatischer Prozess: Versuch, ein subjektiv optimales Gleichgewicht zwischen präund posttraumatischen Persönlichkeitszuständen zu erreichen Folge ist in der Regel eine Deformierung der Persönlichkeitsstruktur oder Zusammenbruch kumulative Traumatisierung: mehrere subtraumatische Ereignisse überschreiten Schwellenwert zum Trauma (Khan `63) sequenzielle Traumatisierung: Überlagerung von mehreren Traumen zu einer traumatischen Gesamtsituation (Keilson `79) psychisches Trauma: physiologisch verankerte psychische Verletzung, die durch ein schwer belastendes Ereignis ausgelöst wird Epidemiologie: etwa Dreiviertel der Allgemeinbevölkerung der USA hat ein Ereignis erlebt, das dem Stressorkriterium zur Entstehung einer PTBS genügt etwa ein Viertel der Betroffenen entwickeln das Störungsbild einer PTBS (größte Häufigkeit wird für Vergewaltigungen angegeben) bei einem Drittel dieser betroffenen Personen kommt es zu einer langjährigen chronifizierten Störung wichtig ist auch die Berücksichtigung der partiellen PTBS (bei Frauen liegt der Prozentsatz bei ca. 3,4% der Allgemeinbevölkerung; Vollbild bei ca. 2,7%) in Deutschland liegt die Lebenszeitprävalenz schwerer psychischer Traumafolgen mit PTBS-Symptomatik bei ca. 1%; es sind deutlich mehr Frauen als Männer betroffen Verarbeitungsprozess von Traumen in 3 Phasen: 1. Schockphase: Dauer ca. 1h – 1w; „Gefühl der Unbeweglichkeit“, dann Verleugnung, Zeiterleben in Zeitraffer oder Zeitlupe 2. Einwirkphase: Dauer bis zu 2 w, schwanken zwischen Ärger- und Wutanfällen einerseits und Selbstzweifeln andererseits, Ohnmacht, Selbstanklage, Depression, Hoffnungslosigkeit; erste vegetative Störungen! 3. Erholungsphase: Kann sich auf Monate bis Jahre ausdehnen, Integration des Traumas als Tatbestand des Lebens (versuchsweise); wichtigster Faktor: soziale Unterstützung 1 Symptome/Pathogenese: Zuordnung zu drei Gruppen möglich: 1. intrusive, nicht intendierte, belastende Erinnerungen an das Trauma, häufig in Form von Bildern, aber auch andere Sinneswahrnehmungen (Alpträume, Flashbacks) 2. Vermeidungsverhalten 3. Gruppe von Symptomen als Ausdruck einer anhaltenden physiologischen Übererregung (Ein- und Durchschlafstörungen, Konzentrationsstörungen, erhöhte Reizbarkeit, erhöhte Schreckhaftigkeit) bei chronisch psychisch Traumatisierten typisch: Die Mehrzahl der CPT wird nicht zuerst durch ihre posttraumatische Symptomatik klinisch auffällig Auffällig sind die Komorbitäten: 1. Störungen der Affektivität (Depression) und der Affektregulation 2. Dysphorie und Freudlosigkeit 3. Angststörungen 4. Somatisierungsstörungen (somatoforme Schmerzstörung) 5. Persönlichkeitsstörungen (Borderline-Persönlichkeitsstörung) 6. Suchtproblematik 7. bei Kindern v. a. schwere dissoziative Störungsbilder Der Zusammenhang zwischen lange zurückliegendem Trauma und den Symptomen ist oft weder für den Patienten noch für den Arzt auf Anhieb erkennbar der Patient sucht meist fachärztliche Hilfe aufgrund der körperlichen Beschwerden, der Suchtproblematik oder der depressiven Symptome CAVE: psychische Symptome verstärken sich häufig oder treten gar erst auf, wenn die körperliche Symptomatik nicht mehr im Vordergrund steht psychophysiologische Pathogenese: Unterdrückung des Broca-Areals beim Erleben von traumatischen Erinnerungen “Spachlosigkeit“ Traumatisierter Überaktivität von Bereichen des limbischen Systems der rechten Hemisphäre, die für die Verarbeitung von Wahrnehmungen, Erinnerungen und Emotionen relevant ist dieser Teil der rechten Hemisphäre ist besonders dicht mit den die Erregung steuernden Zentren des Hirnstamms verbunden Anteile von vor allem frontalen Hirnarealen scheinen bei traumatischer Erinnerung ebenfalls in ihrer Funktion eingeschränkt zu sein Es werden außerdem Veränderungen des Erregungsniveaus und der HypothalamusHypophysen-Nebennierenachse beschrieben Traumaadaptierte psychotherapeutische Behandlung Gliederung meist in 3 Phasen: 1. Stabilisierung: v. a. der psychosozialen Situation; körperliche und psychische Stabilisierung der traumatischen Vergangenheit soll eine sichere Gegenwart entgegengestellt werden. Unterstützende Therapie mit SSRI’s möglich (Pharmakotherapie alleine unwirksam) 2 Ziel: körperliche, soziale und psychische Stabilisierung sowie die Entwicklung von Affekttoleranz, insbesondere aber die Aneignung spezieller, meist psychoimaginativer Techniken, mit denen sich der Patient gegen das Eindringen intrusiver Erinnerungsfragmente schützen kann. 2. Verarbeitung der traumatischen Erinnerungen, Expositionsphase: Laut Studien ist es von zentraler Bedeutung für den psychisch traumatisierten Patienten seinem Trauma und seinen fragmentierten Erinnerungsspuren unter geschützten Bedingungen in der Therapie zu begegnen. Empirisch gut belegt sind die folgenden Methoden: kognitiv-behaviorale Techniken (Entspannungsverfahren, Schmerzreduktion, Depressionstherapie, Selbstbehauptung) hypno-imaginative Therapie (Aufspüren und Ankern prätraumatischer Ressourcen) modifizierte psychodynamische Techniken (auch Psychodramatherapie) EMDR-Methode (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) Unterstützend: künstlerische oder traumaadaptierte körperorientierte Therapien Ziel: Integration der sensomotorischen Fragmente der Erinnerung, affektive Entladung und angemessene kognitive Bewertung der damaligen Situation in der aktuellen Gegenwart 3. Abschließende Neuorientierungsphase: häufig innerer, sozialer und beruflicher Neuanfang Quellen: Uexküll, Psychosomatische Medizin; Priv.-Doz. Dr. med. G.H. Seidler Uni Heidelberg, Deutsches Ärzteblatt 2001, „Der psychisch traumatisierte Patient in der ärztlichen Praxis “ 3