Entwurzelung, Flucht, Trauma

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Entwurzelung, Flucht, Trauma
Mag. Michael Schreckeis
Salzburg, 25.8.2015
Migration als universales Phänomen
Stadt – Stadt
Dorf – Stadt
Berg – Tal
Land – Land
freiwillig vs. unfreiwillig
zeitweilig vs. für immer
weg vs. wieder zurück
Migration in Mythen
• Odysee von Homer als innere Seelenfahrt des Menschen
• AT: Der Auszug aus Ägypten: Mein Vater, ein umherirrender Aramäer
• AT: Der Turmbau zu Babel
• NT: Die Vertreibung aus dem Paradies
• Koran: Die Flucht von Mekka nach Medina
Greenberg und Greenberg
• Migration als potentielles Trauma (nicht nur Krise, nicht nur Chance)
• Tatsächlich sind ein hoher Prozentsatz aller Flüchtlinge traumatisiert
• Eine Diagnose, die zur Zeit einerseits in Mode ist (inflationärer Gebrauch)
• Andererseits selten diagnostiziert wird
• Deshalb müssen wir uns mit dem „Trauma“ auseinandersetzen
Grunddimensionen von Beheimatung (Mitscherlich)
• Sense of community: Eingebundensein
• Sense of control: Wirkmächtigkeit
• Sense of coherence: verstehbare Zusammenhänge ergeben einen Sinn
Sprachlos
• „Heimat ist der Ort, wo ich mich nicht erklären muss.“ (Johann Gottfried Herder)
• „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ (Ludwig Wittgenstein)
• Sprache ist wie ein „Uterus“, wir sind eingehüllt in eine Lauthülle.
• Psychische Sprachblockaden
• Regression auf präverbale Ebene (Verhalten oder Krankheit)
Trauma: gr. „Wunde“
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„Kriegszitterer“ im Ersten Weltkrieg
Vietnamsyndrom
Akute Belastungsreaktion
PTBS
Definition von Trauma
Ein Trauma wird durch ein Ereignis ausgelöst, das außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrung liegt. Das traumatische Ereignis beinhaltet das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat, oder die Beobachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, der Verletzung oder der Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person zu tun hat, oder das Miterleben eines unerwarteten gewaltsamen Todes, schweren Leids, oder Androhung des Todes oder Verletzung eines Familienmitgliedes oder einer nahestehenden Person. Die Reaktionen der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen. Bei Kindern kann die Reaktion auch verwirrtes oder zurückgezogenes Verhalten umfassen. (DSM IV 1994)
Psychische Folgen
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Erleben völliger Ohnmacht und Hilflosigkeit
die eigenen Bewältigungsstrategien versagen
Kontrollverlust
Erschütterung des „Urvertrauens“
Es gibt „anonyme“ Traumen
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Naturkatastrophen
Technische Katastrophen
Arbeitsbedingte Traumen
Arbeitsunfälle
Verkehrsunfälle
Aber auch „Man‐made‐desaster“
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Sexuelle Gewalt
Gewalterlebnisse
Kriegserlebnisse
Folter
Massenvernichtung
3 P´s des Traumas
• Prädisposition
Anlage
• Präzipitation
Niederschlag
• Perpetuation
Dauer
Variable Latenzperiode
Akkumulative, sequentielle Traumatisierungen
Reaktion auf ein Trauma
Fight or Flight oder Todstellreflex
erhöhte Muskelkraft, Atmung, Herzaktivität
erhöhte Aufmerksamkeit
verminderte Emotionalität und Schmerzempfinden
• Dissoziation
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Akute Stressreaktion
nach dem Trauma
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Körperliche Übererregung
Intrusive wiederkehrende Erinnerungen
Dissoziative Phänomene, Emotionslosigkeit
Vermeidungsverhalten gegenüber Auslösern, die an das Ereignis erinnern
Symptome PTBS (nach einem halben Jahr)
• Intrusion (unwillkürliche und belastende Erinnerungen an das Trauma)
• Hyperarousal ‐ Übererregung
• Vermeidungsverhalten
• Dissoziation Chronische PTBS
(nach einem Jahr)
Zusätzlich zu den genannten Symptomen kommen:
• psychosomatischen Probleme: im gastroindestinal Bereich, Bluthochdruck, neurologische und rheumatische Beschwerden, erhöhter und erniedrigter Muskeltonus, Schmerzsymptomen herabgesetzte Immunologie, dermatologische Probleme,
• Chronische Schlafstörungen
• Missbrauch legaler und illegaler Substanzen
• selbstverletzendes Verhalten
• psychosozialer Abstieg, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsveränderung, Kontaktprobleme, Depression,
• Suizidalität
Sequentielle Traumatisierung David Becker nach Hans Keilson
Retraumatisierung durch Schwierigkeiten im Ankunftsland
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Sprachliche Probleme
Anpassungsschwierigkeiten
Verschlechterung des sozialen Status
Innerfamiliäre Konflikte, Rollenkonfusionen
Verlust an Autorität, Würde und Stolz
Verunsicherung
Störung des Ich‐Gefühls
Andere Erklärungsmuster
• Magie
• Bedeutung von Eifersucht und Ehre
• Religion
• Körpersymptome
• Familienstrukturen
• Politische Überzeugungen
Respekt vor anderen Traditionen
Symbolisches Verständnis entwickeln
Vorsicht vor kränkenden Angriffen auf persönliche und kulturelle Aspekte der KlientInnen
Verschiedene Familienkonzepte
• Symbiotische Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind häufig
• Individuation im Sinne eines ständigen Prozesses der Separation von den Eltern hat geringen Stellenwert
• Nicht die Selbstverwirklichung des Einzelnen, sondern das Funktionieren der Familie als Kollektiv steht im Mittelpunkt
• Hoher Stellenwert der Konzepte, Ideale und Erwartungen der Elterngeneration
• Gefahr von Parentifizierung
• Phänomen generationenübergreifender Delegation („Treuhänder der Trauer“, Delegationen in Familiensystemen)
Viele Migranten fühlen sich zweifach kastriert
• Einerseits wie alle Männer durch die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse
• Andererseits durch die spezifische Situation der Migration
Wenn positive Männerbilder fehlen
Es gibt:
Veränderer
Verdränger
Traditionalisten:
Zurück zu antiquierten Männeridealen
Fassade aus männlichen Versatzstücken
Kontraphobisches Machogehabe
Aussteigen aus einem Wertesystem, das einen marginalisiert
Entstehung von Fundamentalismus
Folter ist kein Virus!
• Die Gefahr besteht, dass wir bei der Analyse der Symptome und der Behandlung der Folge aus den Augen verlieren, dass es sich nicht um eine Krankheit handelt.
• Es besteht die Gefahr, dass wir das Phänomen pathologisieren und dabei mitwirken, das Problem zu individualiseren und zu isolieren, was politisch gewünscht ist.
• Es darf nie der Kontext vergessen werden, dass es sich um die Folgen politischer Repression handelt.
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