Einführung in Wissenschaftstheorie und Geschichte der Psychologie -Teil 8Übersicht "Die Heilung durch den Geist": Mesmer und der Magnetismus Sigmund Freuds psychoanalytische Theorie Gefolgsleute und "Abweichler": Alfred Adler, Carl Gustav Jung Bewertung der Theorie Lernziele Am Ende dieser Vorlesung sollten Sie wissen, ... ...was die Vorläufer der Psychoanalyse waren ...anhand welcher Krankheit die ersten psychoanalytischen Konzepte entwickelt wurden ...welche Merkmale Ich, Es, Über-Ich haben...welche Entwicklungsstadien Freud beschreibt ...was man unter "Angstabwehrmechanismen" versteht (+Beispiele geben!) ...was die Verdienste und was die Hauptkritikpunkte an der Psychoanalyse sind Die Heilung durch den Geist Leib-Seele-Problem in der Medizin • "Medizin" der Naturvölker • "Säftelehre" der alten Griechen • Mittelalter • somatische Medizin • Psychoanalyse Franz Anton Mesmer (1734-1815) Dissertation: "De planetarum influxu" ab 1766 Arzt in Wien 1773-74 Heilung einer "hysteri-schen" Patientin mit Magnetismus Englisch: "to mesmerise" ab 1778 Paris: "Gesundheitszuber" 1784 Kommission bestreitet Wirksamkeit: Imagination! 1812: Professuren für Magnetismus Psychoanalyse 1 laienhafte Vorstellung: Psychologie = Psychotherapie = Psychiatrie = Psychoanalyse aber: keine Psychoanalyse als Fach im Psychologiestudium trotzdem: Impulse aus Psychoanalyse in klinischer, Entwicklungs-, Persönlichkeitspsychologie Sigmund Freud geb. 1856 in Freiberg (heute Tschechien) 1860 Umzug nach Wien 1873-81 Medizinstudium 1885 Habilitation Neuropathologie 1885/86 Gastsemester bei Charcot (Neurologe, Paris) Hysterie von griech. "hysterà" = Gebärmutter klassische Merkmale •psychische Funktionsstörungen (Halluzinationen, Amnesien etc.) •körperliche Funktionsstörungen (Lähmungen, Anästhesien, Erbrechen, Zittern) •hysterische Verhaltensmuster (unbew. Inszenierung, Dramatisierung, Übererregbarkeit, Egozentrismus) Anpassung an Kultur und ärztl. Erklärungsansätze (Mittelalter: Besessenheit, Freud: Neurose, heute: Kreislauf, Kopfschmerzen, Allergie, Bulimie?) 19. Jahrhundert: "Zeitalter der Hysterie" Charcot: psychologische Ursachen Joseph Breuer (1842-1925) •"Großvater" der Psychoanalyse •unterstützt Freud fachlich + materiell •Entdeckt, dass hysterische Symptome verschwinden, wenn sog. traumatische Erlebnisse unter Hypnose erinnert werden (Katharsis = Reinigung) •Behandlung Bertha von Pappenheim (Freud: "Der Fall der Anna O.") Sigmund Freud (Fortsetzung) Krise nach Tode des Vaters 2 Selbstanalyse durch Traumdeutung 1886-1936 Arbeit in privater Praxis 1899 "Traumdeutung" erscheint — Traum: modifizierte Wunscherfüllung von Triebregungen Durchbruch der Psychoanalyse 1901 "Psychopathologie des Alltagslebens" 1902 Wiener Psychoanalytische Vereinigung 1909 USA-Reise: Anerkennung Institutionalisierung der Bewegung (Macht!) • Internat. Psychoanalytischer Verlag • reglementierte Ausbildung • Überweisen von Patienten 1923 "Das Ich und das Es" Strukturelle Theorie der Persönlichkeit (Ich, Es, Über-Ich) 1938 Flucht nach England 1939 gest. in London (Gaumenkrebs) Phasen der Theorie ca. 1895-99 Traumatheorie (Vergewaltigung oder kindliche Phantasien?) ca. 1900-1920 Topographische Theorie bewusst/vor-/unbewusst Phasenlehre der Entwicklung ab 1923 Strukturelle Theorie Es, Ich, Über-Ich Eros, Thanatos Psychosexuelle Entwicklung 1. orale Phase (ca. 0;0-1;0) Lustgewinn: Lippen-Mundraum Objekt: Mutterbrust Entwöhnung: Ich-Umwelt-Differenzierung Anpassungsreaktionen / Aggression Wurzel für optimistische / pessimistische Grundhaltung 2. anale Phase (ca. 1-3 J.) Lustgewinn: Ausscheidung willkürl. Einsatz der Organe, um Gehorsam oder Protest zu zeigen Strenge: Geiz, Eigensinn ("anal-retentiv") oder: grausam, unordentlich, chaotisch ("anal-expulsiv") 3 Lob: kreativ, produkti 3. phallische Phase (ca. 3-6 J.) Lustgewinn: Geschlechtsorgane Objekt: gegengeschlechtlicher Elternteil (Ödipus-, Elektrakomplex) Lösung: Identifikation mit dem Aggressor (Über-Ich) 4. Latenzphase (ca. 6-11 J.) Sachliche Interessen im Vordergrund, intellektuelle Fähigkeiten, soziale Gefühle, Sexualhemmung 5. genitale Phase (11-20 J.) Objektfindung (Störung: Homosexualität) Fixierung: Festhalten von Libido auf früher Entwicklungsstufe Topographische Theorie bewusst: wessen wir uns unmittelbar bewusst sind vorbewusst: was mit etwas Aufwand bewusst gemacht werden kann (Bsp. Hypnose) unbewusst: Triebe, versteckte Wünsche etc. Strukturelle Theorie Es: primäres, ursprüngliches System; umfasst Triebe, Ererbtes; folgt Prinzip der Spannungsreduktion; Reflexe, primäre Prozesse (Wunschbilder) Lustprinzip biologische Komponente "Dynamo": liefert psychische Energie Ich: Ausgleich Trieb – Rea-lität, Impulskontrolle. Kontrolle des Zugangs von Ideen zum Bewusstsein; Verhaltens-planung, logisches Denken Sekundärvorgang, realistisches Denken Realitätsprinzip psychol. Komponente (Kraft vom Es!) Über-Ich: Internalisation der über Eltern vermittelten gesellschaftl. Werte; Triebkontrolle, -hemmung Gewissen (Schuldgefühl) Ich-Ideal (Stolz) moralische Instanz soziologische Komponente Abwehrmechanismen 4 Angst: bei übermächtigen inneren Konflikten Angstabwehrmechanismen (AAM) reduzieren Angst durch Verzerrung der Realität Beispiele 1.Verdrängung (Vergessen) 2.Projektion ("er hasst mich" anstatt "ich hasse ihn") 3.Reaktionsbildung (Verkehren ins Gegenteil, oft übertrieben) 4. Konversion (Umwandlung in körperliche Symptome; Hysterie = "Konversionsneurose"!) 5. Rationalisierung (intellektuelle Scheinbegründung) 6. Sublimierung (Umwandlung in sozial wertvolle Motive) 7. Regression (Rückfall auf frühere Entwicklungsstufe) Alfred Adler geb. 1870 in Wien - 1937 Herkunft: armes jüdisches Elternhaus, kränkliches Kind Allgemeinarzt, soziales Engagement ab 1902 im Psychoanalyse-Club (1910 Vorsitzender Wiener psychoanal. Vereinigung) 1911 Trennung von Freud nach Kritik an Sexualtheorie "Individualpsychologie" 1912: Habilitation abgelehnt Vorträge vor Lehrern, Erziehungsberatung Minderwertigkeitsgefühl = Quelle menschlichen Strebens (von "Minus-" in "Pluslagen" wechseln) Flucht in Phantasie => Neurose Carl Gustav Jung geb. 1875 Kesswil (Schweiz) - 1961 1900 Psychiater in Zürich 1907 Kontakt mit Freud ("Kronprinz") 1913 Austritt aus Int. Psychoanalyt. Vereinigung (Differenz über Libido: Sexual- oder allg. Lebensenergie?) in 30er Jahren: Psychoanalyse als "jüdische Irrlehre" Lehre vom kollektiven Unbewussten, Traumsymbole: Archetypen Psychoanalytische Therapie Ziel: Aufheben der frühen Verdrängung Techniken: freie Assoziation, Traumanalyse lange Dauer, erfordert Introspektionsfähigkeit Verdienste der Psychoanalyse 5 •kindl. Sexualität (Tabubruch) •Emotionen, Motivationen •das Unbewusste •Bedeutung der Kindheit •Ansätze für Behandlung psychiatr. Krankheiten •Anregung der Forschung •neues Menschenbild Kritik der Psychoanalyse •Basis: Fallstudien (Aufzeichnungen aus Gedächtnis) •wenige Patienten, sehr selektive Stichprobe •fließende Grenzen zwischen Beobachtung und Interpretation •Aussagen wenig eindeutig, daher nicht überprüfbar •alles ist erklärbar •Konzepte nicht messbar •Es, ich, Über-Ich: Metaphern oder reell "handelnde" Instanzen? •Frauenbild (Schuldzuweisung an Mutter) •zu enger Fokus auf Kindheit, Sex •Therapie elitär •Freud gegen - experimentelle Überprüfung - standardisierte Tests (Diagnostik) - Überprüfung des Therapieerfolgs •Hauptmethode: subjektive Einsicht (gewonnen durch psychoanalyt. Behandlung) 6