Christoph Werner u. Arnold Langenmayr: Das Unbewusste und die Abwehrmechanismen. Psychoanalyse und Empirie Band 1. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, EUR 29,90. Christoph Werner u. Arnold Langenmayr: Der Traum und die Fehlleistungen. Psychoanalyse und Empirie Band 1. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, EUR 32,90. Die Schriftenreihe „Psychoanalyse und Empirie“, zu der noch weitere Bände geplant sind, versteht sich als Fortsetzung bisher unternommener Versuche, Psychoanalyse und Testpsychologie miteinander zu verbinden und voneinander profitieren zu lassen. In der Einleitung verweisen die beiden Autoren auf bisherige Versuche zu dieser Thematik: Kline (1972) behandelt etwa 700 Untersuchungen, bei Fisher und Greenberg (1977) sind es bereits an die 1800. Beide Überblickswerke haben sich das Thema gestellt, auf einem relativ hohen Abstraktionsniveau die Psychoanalyse als Ansammlung bestimmter Theorien einer empirischen Testung zu unterziehen. Kritisch wird am Beginn gleich angemerkt, dass ein solcher Versuch wissenschaftstheoretisch nicht unumstritten ist, v. a. dann, wenn man Psychoanalyse als hermeneutische Wissenschaft versteht, der es um das Verständnis subjektiver Erlebnisweisen geht. Trotz dieses Einwandes denke ich, dass ein solches Bemühen zumindest sehr interessant erscheint, und auch wichtig, da sich bestimmte neue Sichtweisen oftmals aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Perspektiven ergeben. Daher ist das Bemühen von Werner und Langenmayr, schon vorhandene und auch neuere Untersuchungen im Hinblick auf ausgewähltere Bereiche aufzugreifen und fortzuführen, ausdrücklich zu würdigen. Besonderes Gewicht wird in ihrer Arbeit der Frage nach einer adäquaten Operationalisierung freudscher Konzepte beigemessen. Es werden empirische Arbeiten bis zum Jahre 2000 berücksichtig. Ein Beispiel aus dem Buch: Um die freudsche sexuelle Traumsymbolik zu untersuchen, wurden 18 Gefangene, die sterilisiert wurden, getestet. Ausgangspunkt war die Hypothese, dass die Sterilisierung Kastrationsängste mobilisiert. Das Auftauchen sexueller Symbole wurde anhand von Zeichnungen untersucht, die von unabhängigen Beobachtern beurteilt wurden. Auch wenn eine Stichprobe von 18 natürlich sehr klein ist, zeigten sich doch signifikante Ergebnisse im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, nämlich signifikant mehr abgeschnittene oder fehlende Schornsteine bei Häusern, durchgeschnittene Bäume, penisähnlich verlängerte Füße und dergleichen. Untersuchungen in Zusammenhang mit den REM-Phasen scheinen darauf hinzuweisen, dass der Traum zunächst nicht psychologisch, sondern physiologisch motiviert ist (nach Hobson und McCarley 1974). In der Brückenregion des Stammhirns werden zunächst sinnlose Trauminhalte erzeugt, die begleitenden schnellen Augenbewegungen weisen auf einen nicht zielgerichteten Charakter hin, und Erektionen während REM-Phasen sind anscheinend zunächst physiologische Reaktionen (Ware 1977). Andere Untersuchungen legen aber nahe, dass Träume nicht ausschließlich an REMPhasen gebunden sind. Die Autoren zitieren Kline, der klarstellt: „Eine Erfahrung ist kein elektrochemischer Vorgang.“ REM-Phasen beschreiben physiologische Phänomene, Träume psychologische, und diese Unterscheidung ist stets im Hintergrund zu behalten. Aus Tierexperimenten geht hervor, dass auch Tiere Träume zu haben scheinen, wenn man die physiologischen Aktivitäten in diese Richtung deuten will: mit dem „Theta-Rhythmus“ geht lebenswichtiges Verhalten bei Tieren einher (Beuteverhalten, Explorationsverhalten usw.), und während REM-Phasen sind Theta-Wellen im Hippocampus zu beobachten, was heißt, dass im Schlaf offenbar gedächtnisbildende Prozesse stattfinden. Dafür wird eine evolutionstheoretische Erklärung angeboten: die Weiterverarbeitung von Daten im Schlaf erspart deren Bearbeitung im Wachzustand, was evolutionsbiologisch von Vorteil ist. Die Tatsache, dass Träume vorwiegend visuellen Charakter haben und eher nichtsprachlich gestaltet sind, weist aber grundsätzlich darauf hin, dass Träume sich schon vor der Menschwerdung in der Evolution ausgebildet haben. Träume haben bei Mensch und Tier wahrscheinlich die gleiche Funktion: das Verarbeiten von Gedächtnisinformationen. Dies lässt ein Unbewusstes annehmen, das man sich weniger als einen Kessel ungezähmter Leidenschaften und destruktiver Wünsche vorstellen sollte, sondern mehr als eine zusammenhängende, kontinuierlich arbeitende geistige Einheit, die Lebenserfahrungen aufnimmt und darauf mit Hilfe eigener Muster reagiert. Da Gedächtnisprozesse an sich eher unbewusst ablaufen, schlussfolgern manche Autoren sogar, dass die Annahme einer Verdrängung nicht primär notwendig erscheint. In der Tat zeigen empirische Untersuchungen zu Abwehrmechanismen, dass Verdrängung (und auch Projektion) gar nicht leicht nachweisbar ist. Zwar kann empirisch eine „Wahrnehmungsabwehr“ nachgewiesen werden, jedoch ist die Interpretation der Ergebnisse solcher Untersuchungen nach wie vor strittig. Die Frage, ob Reize deswegen abgewehrt werden, weil sie auf eine bestimmte Weise aversiv sind, oder deswegen, weil sie im Freudschen Sinne verdrängungswürdig sind, ist bis heute nicht befriedigend zu beantworten, ebenso wie damit verbundene andere Fragen. Bezogen auf den von Freud angenommenen Urverdrängungsvorgang liegen einige nachgewiesene Einzelkomponenten vor, ihr Zusammenwirken konnte bisher aber experimentell nicht bestätigt werden. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich beim Versuch des Nachweises der Verdrängung an sich über Gedächtnisexperimente: stören unangenehme Reize den Vorgang des Memorierens, oder wurden sie aufgrund bestimmter psychodynamisch relevanter Inhalte gezielt abgewehrt? Auch die Methode der unterschwelligen psychodynamischen Aktivierung liefert zwar Indizien, aber keine Beweise. In ähnlicher Weise halten zahlreiche Untersuchungen zur Projektion einer methodischen Kritik nicht wirklich stand, d. h. sie berücksichtigen nicht alle Aspekte des Freudschen Projektionskonzeptes; demnach muss ein für das Ich unakzeptabler unbewusster Impuls bei einer Versuchsperson induziert werden, dieser muss die Möglichkeit gegeben werden diesen Impuls auf eine andere Person zu projizieren, und zwar möglichst so, dass diese Projektion beobachtet werden kann, nicht erschlossen oder abgeleitet werden muss, und das Angstniveau der Versuchsperson sollte vor und nach der Projektion gemessen werden, um deren Bewältigungscharakter zu belegen. Keine der bisher durchgeführten Untersuchungen konnte z. B. den Bewältigungscharakter, d. h. die Verringerung von Angst nachweisen. Die Autoren meinen aufgrund dieser insgesamt unbefriedigenden Situation, dass die Tatsache, dass der Nachweis von Abwehrmechanismen experimentell nicht gelungen sei, nicht zugleich bedeute, dass sie nicht existieren. Zumindest war (nach Untersuchungen von Erdelyi 1985) es möglich nachzuweisen, dass eine selektive Zurückweisung von Informationen aus dem Bewusstsein existiert. Zumindest war es auch so, dass die freudsche Theorie eine Vielfalt an Untersuchungen auf verschiedensten Teilgebieten der experimentellen Psychologie angeregt hat und dass sich daraus testbare Hypothesen entwickeln ließen, deren Wert für die empirisch-psychologische Forschung nach wie vor gegeben ist. Zusammenfassend bietet die vorgestellte Buchreihe vor allem tiefenpsychologisch orientierten Kollegen und Psychoanalytikern, die nicht für eine hermetische, sondern eine offene Psychoanalyse eintreten und den Diskurs mit Nachbarwissenschaften schätzen, eine Fülle von Anregungen und Impulsen. Peter Geißler