Dr. med. Michael Kögler Die Wiederkehr von analytischen Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten in die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft ? Vortrag bei der Jahrestagung der DPG 2008 Ich werde meinen Vortrag in 3 Teile aufgliedern: Der erste Teil wird sich mit der Psychoanalyse vor 1933 beschäftigen . In dieser Zeit war die Kinderanalyse ganz selbstverständlich integriert. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Zeit des Nationalsozialismus: Nach dem Ausschluss der jüdischen Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen wurde sie auf eine tiefenpsychologische Psychotherapie reduziert; die Kontinuität in der professionellen Entwicklung wurde jedoch fortgesetzt. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Psychoanalyse von Kindern und Jugendlichen nach 1945, dem Schwerpunkt meines Vortrages. Ich stütze mich bei diesem Überblick auf die Arbeiten von Klaus Oberborbeck: „Zur Geschichte der Psychagogik und „Erziehungshilfe“, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie am Deutschen Institut Berlin 1933 – 1945 . Die Kinderanalyse vor 1933 Fast alle Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen der ersten Generation nach Freud experimentierten mit der Kinderanalyse und veröffentlichten Arbeiten dazu, z.B. Karl Abraham (1909): „Zur Psychogenese der Straßenangst im Kindesalter.“ Jung bildete ab 1909 Kinderanalytikerinnen aus und griff dabei auf Pädagogen und Kindergärtnerinnen zurück: „Solche Analysen können am besten von Frauen besorgt werden... ich lasse meine Kinderanalysen durch eine Assistentin besorgen und bin durch vielfache Erfahrung zur Ansicht gekommen, dass Frauen vermöge ihrer natürlichen psychologischen Einfühlung gerade für diese Arbeit weit geeigneter sind als Männer“ ( Seite 162). Damals als Lob gemeint, klingt es heute eher abwertend. Nach der Institutsgründung in Berlin 1920 bemühte sich Karl Abraham um den Aufbau einer kinderanalytischen Abteilung. Anna Freud wurde zu Kursen nach Berlin eingeladen. Melanie Klein übersiedelte nach Berlin, konnte aber aufgrund von Kontroversen keine Lehrtätigkeit übernehmen. Sie brachte aber mit ihren kontrovers diskutierten Ansichten zur Kinderanalyse viel Bewegung in die Berliner Fachwelt. 1 Carl Müller-Braunschweig führte selbst Kinderanalysen durch und hielt am Berliner Institut Seminare zur Technik der Kinderanalyse. Kinderanalyse zwischen 1933 bis 1945 Mit dem beginnenden Nationalsozialismus wurde die Kinderanalyse auf Kinderpsychotherapie reduziert. Die konzeptionelle Grundlage war die Vorstellung, dass die Neurosen der Kinder durch das Fehlverhalten der Eltern erklärt werden. So wurde die Psychotherapie, in die ideologischen Ziele des Nationalsozialistischen Staates einbezogen: „Es galt, den zermürbenden Einfluss des Neurotikers in der Familie und Arbeitsgemeinschaft zu verhindern, wegen der Verringerung der Arbeitsfreude und Leistung und wegen der damit verbundenen unfruchtbaren Belastung des Volksvermögens“ (S. 351) Dieses Zitat stammt von König-Fachsenfeld, der Leiterin der Abteilung Erziehungshilfe des Reichsinstitutes von 1933-1945. Die theoretischen Grundlagen der Psychotherapie des Reichsinstitutes mussten sich von der Psychoanalyse als jüdischer Wissenschaft prinzipiell unterscheiden: Das Unbewusste ist reduziert auf die verharmloste Rolle als große schöpferische Kraft, die synoptischen Bestrebungen durch ihre Anhänger Jung, Adler und SchultzHencke hatten die Oberhand. Für den Bereich der Kinderpsychotherapie waren die Schwerpunkte: Die Umerziehung der Eltern, deren Fehlverhalten für die seelischen Störungen ihrer Kinder verantwortlich gemacht wurden und die Spieltherapie für die Kinder, die sich gesund spielen sollten: es geht um die Pflege ihrer Seelen mit suggestiven und erzieherischen Interventionen. Erstaunlich und alles andere als selbstverständlich ist die „professionelle Kontinuität" wie Cocks es in seiner Arbeit: Psychoanalyse und Psychotherapie im Dritten Reich ausdrückt. Die ideelle und personelle Kontinuität des Berliner Psychoanalytischen Institutes mit dem Reichsinstitut der Nationalsozialisten ist vielleicht am deutlichsten durch die Person von Müller-Braunschweig verkörpert, einem der Gründungsväter der DPV bei der Abspaltung von der DPG 1951. Er führte die Verhandlungen mit Heinrich Matthias Göring, dem Vetter des Reichsmarschall Göring. Sie führten zu dem Ergebnis, dass alle psychotherapeutischen und tiefenpsychologischen Einrichtungen in Deutschland dem Reichsinstitut als der Nachfolgeeinrichtung des Berliner psychoanalytischen Institutes unterstellt waren. Ab 1939 gab es eine Abteilung Erziehungshilfe im sogenannten Reichsinstitut: Neben der Ausbildung zur Psychotherapie für Ärzte, Psychologen oder andere Akademiker und poliklinischen Versorgung von Erwachsenen wurden im Reichsinstitut als Zusatzstudium die Ausbildung zum Kinderanalytiker angeboten;weiterhin die poliklinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit ihren Eltern, sowie die tiefenpsychologische Fortbildung von Pädagogen, Lehrern, Fürsorgern und interessierten Eltern. Psychoanalytiker der Schulen Freuds, Jung und Adler arbeiteten zusammen. Die Frau von Matthias Göring machte zum Beispiel bei der Freudianerin Ada Müller-Braunschweig eine Analyse und ließ sich auch zur 2 Kindertherapeutin fortbilden. Als weiteres Detail sei genannt, dass jeden Mittwochabend Vorlesungen und Übungen über Kinderpsychotherapie stattfanden, deren Besuch auch für Ausbildungskandidaten obligatorisch war. Der heute weit verbreitete und beliebte Sceno-Test wurde 1938 von Gertrud von Staabs, einer Mitarbeiterin des Berliner Institutes, entwickelt. Die professionelle Kontinuität während der nationalsozialistischen Herrschaft kommt auch darin zum Ausdruck, dass etwa ab 1937/38 im ganzen Reich ein flächendeckendes Netz von Erziehungsberatungsstellen aufgebaut wurde. Im sogenannten Deutschen Institut wurde die Erziehungsberatungsarbeit von Seif mit der Ausbildung von Erziehungsberatern sowie Fortbildungsangeboten für Eltern und Lehrer fortgeführt(Kadauke-List) Zu erinnern ist auch an den Entwurf über die Tätigkeit von Psychagogen von Adolf Weizsäcker aus dem Jahre 1935 Die Entwicklung nach 1945 Wir können also feststellen, dass das Deutsche Institut, das GöringInstitut, 1933 nach der Vertreibung der jüdischen Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen das Erbe des Berliner psychoanalytischen Institutes angetreten und die Facharbeit fortgesetzt hat. Dabei grenzte sich die deutsche Seelenheilkunde von der als jüdische Wissenschaft gekennzeichneten Psychoanalyse wesentlich ab. Die nächste Frage ist nun: Was geschah nach 1945? Dabei betrachten wir wieder besonders die Kinderpsychotherapie, weil von Kinderanalyse keine Rede mehr sein konnte. Hier spielt Felix Boehm eine besondere Rolle: In ihrem Buch „Erinnern und Durcharbeiten“ charakterisiert Regina Lockot Felix Boehm als einen Mann, der während der Zeit der NS-Herrschaft äußerte ,er sei von Edith Jacobson persönlich enttäuscht und habe unter dem Übergewicht der vielen Juden im alten Institut immer gelitten. Derselbe Felix Boehm schreibt 1952 in seiner Arbeit: „Zur Ausbildung und Arbeitsweise der Psychagogen“: „Die von Freud in vielen Einzelheiten entwickelte und in zahlreichen Schriften niedergelegte Auffassung wird heut von der gebildeten Welt kaum mehr bestritten“. Weiter schreibt Boehm in dieser Arbeit „angeregt durch viele aus dem Auslande zu uns gedrungene Mitteilungen und veranlaßt durch die katastrophale Situation der Jugend, welche unter den besonders erschwerenden Bedingungen während des Hitler-Regimes, des Krieges und der Nachkriegszeit gelitten hatten, wurden von verschiedenen Mitgliedern des Berliner Institutes für Psychotherapie im Herbst 1947 eingehende Beratungen gepflogen, wie in Berlin Institutionen geschaffen werden könnten, welche die Aufgabe der in England und den USA entstandenen Child-Guidance-Clinics übernehmen konnten… Bereits im Sommer 1948 konnte mit der ersten systematischen Ausbildung der sogenannten Psychagogen begonnen werden. Diese Bezeichnung 3 Psychagoge, die sich bereits in ganz Deutschland eingebürgert hat, ist von Schultz-Hencke vorgeschlagen worden.“ Die Psychagogen sind also ein Kind der damaligen DPG, hervorgegangen aus der kontinuierlichen Facharbeit des deutschen Institutes. Sie in den Zusammenhang mit der Child-Guidance-Bewegung in England und den USA zu stellen, suggeriert einen Neuanfang im Sinne einer Stunde Null, den es nicht gegeben hat. Das 1951 gegründete psychotherapeutische Institut in Hannover trug bis 1966 den Untertitel: Child-Guidance-Clinic. Diese nahm sich aber nicht nur der psychotherapeutischen Versorgung der Nachkriegsbevölkerung im Sinne eines multiprofessionellen Teams nach dem Muster einer ChildGuidance-Clinic an, sondern fokussierte sehr bald auf die Ausbildung von Psychotherapie und Psychoanalyse, ein Umstand, der von einer Besucherkommission der Child-Guidance-Clinic aus Bristol erstaunt zur Kenntnis genommen und auch kritisiert wurde. Im weiteren Verlauf entwickelten sich die Psychagogen zu analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die schließlich durch das Psychotherapeutengesetzes auch rechtlich zu einer eigenständigen Profession geworden sind Im Folgenden lasse ich die aKJP-Institute, die nach der Spaltung von 1952 an DPV-Institute angeschlossen waren außer Acht und fokussiere auf die Mehrzahl der aKJP, die an DPG-Instituten ausgebildet wurden. Inhaltlich erfolgte eine Auseinandersetzung mit der Neopsychoanalyse Schultz-Henckes und die allmähliche Distanzierung durch die Orientierung am Mainstream der internationalen Psychoanalyse in der Kontinuität der Psychoanalyse Sigmund Freuds. Für die DPG war es die Rückgewinnung der psychoanalytischen Identität nach dem Bruch von 1933, für die aKJP war es ein weiteres Vorankommen zu einer psychoanalytischen Identität vom Psychagogen zur Psychoanalytikerin und zum Psychoanalytiker für Kinder und Jugendliche. Obwohl also beide, sowohl die DPG wie auch die VaKJP in ihrer psychoanalytischen Identität vorankamen, entfernten sie sich weiter voneinander. Als Zwischenergebnis möchte ich folgendes Festhalten: Der Beruf des Psychagogen ist keine Nachkriegserfindung, sondern hat seine Wurzeln in der Zeit von 1933 bis 1945, in der das deutsche Institut in Berlin die Federführung in der Weiterentwicklung der Profession hatte. Die DPG hat die Kinderanalyse 1945 nicht als gleichberechtigten Teil der Psychoanalyse wiederaufgenommen, sondern sie auf den Psychagogen, den Heilhilfserzieher reduziert, sie damit zu einem zunächst abhängigen Kind gemacht. Dass damit ein wesentlicher Beitrag zur psychotherapeutischen Versorgung der Kinder und Jugendlichen im Nachkriegsdeutschland geleistet wurde, muss anerkannt werden. Bis heute ist der Aspekt der Versorgung eine Stärke der analytischen Kinder und Jugendlichenpsychotherapie. 4 In der Reduktion von Kinderanalyse auf Psychagogik drückt sich m.E. die grundlegende Ambivalenz der Psychoanalyse gegenüber der Kinderanalyse aus: Einerseits hat die Kindheit für die psychoanalytische Theorie, insbesondere die Krankheitslehre, einen zentralen Stellenwert, andererseits existieren wesentliche Widerstände gegen die Kinderanalyse insbesondere gegen ihre Ausübung. Hier möchte ich nennen: - Die Scheu, sich der ausagierten Triebhaftigkeit von Kindern und Jugendlichen direkt auszusetzen, zugunsten der Reflexion ihrer Abwehr und kompromisshafter Verarbeitung in den Phantasien Erwachsener oder einfacher ausgedrückt: die Analyse im Couchsetting wird der unberechenbaren Spielsituation in der Kinderanalyse vorgezogen. - Die Unlust, sich in die konkrete unübersichtliche anstrengende und unberechenbare Therapiesituation mit Kindern hineinzubegeben, die häufig spontanes Eingreifen und Unsicherheit von seiten des Behandlers oder der Behandlerin notwendig macht. - Die Angst, sich der Macht der Mütter, bzw. der Eltern direkt auszusetzen, wie in der aKJP, während die Wiederholung im Nachhinein im Sinne der Übertragung und/oder der Rekonstruktion weniger angstbesetzt sind. - Die Konfrontation mit der Zukunft der Kinder und Jugendlichen, die an den eigenen Tod erinnert. - Die unbewusste Entwertung von Müttern und Kindern, wie sie sich allenthalben in der Gesellschaft ausdrückt, z.B. im Stellenwert der Erziehung. Die DPG – das ist meine Hypothese – scheint sich nach der Zeit der Verstrickung mit den nationalsozialistichen Machthabern unbewusst der Kinderanalyse entledigt zu haben, indem sie sie auf ein quasi pädagogisches Anhängsel reduzierte. Im Unterschied dazu hat die DPV, wie die anderen IPV-Institute, die Kinderanalyse bewahrt als integrierten Bestandteil der Ausbildung und als Zusatzqualifikation. Diese Situation veranlasste schließlich 1991 den Vorstand der DPG auf Initiative von Michael Ermann eine Kommission für Psychoanalyse und psychoanalytische Therapie von Kindern und Jugendlichen unter Leitung von Annette Streeck-Fischer ins Leben zu rufen. Dieser Kommission, die bis 1997 arbeitete, gehörte ich auch an. Folgende Fragen sollten beantwortet werden: - Welche Stellung soll die Kinderanalyse an den DPG-Instituten haben? Wie kann die Berufsgruppe der aKJP an die DPG herangeführt werden? Welchen Stellenwert soll die Säuglings- und Kinderbeobachtung an DPG-Instituten haben? 5 Eine Fragebogenuntersuchung an den 12 DPG-Instituten ergab u.a. folgende Ergebnisse: - Einhellig wird befürwortet, dass der Stellenwert der Kinderpsychoanalyse/Psychotherapie innerhalb der DPG steigen soll. Eine außerordentliche Mitgliedschaft der aKJP in der DPG wurde befürwortet. Die Integration von Säuglingsbeobachtung in die Ausbildung zum Psychoanalytiker wurde einhellig positiv bewertet. An den 6 von 12 DPG-Instituten, an denen keine aKJP ausgebildet wurden, waren Anamnesen von Kindern und Jugendlichen selbstverständlicher in die Ausbildung integriert als an den Instituten mit aKJP-Weiterbildung. Dieses auffallende Ergebnis scheint auf die Konkurrenzsituation hinzuweisen. Die KJP- Kommission setzte sich mit den Verantwortlichen für Kinderanalyse in der DPV zusammen und stieß auf eine große Bereitschaft zur Kooperation. Der damalige Vorstand der VaKJP hingegen zeigte kein Interesse an gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen. Auch gegenüber einer vollwertigen Mitgliedschaft von aKJP in der DPG war ihr Berufsverband eher ablehnend eingestellt. Die Befürchtung einer Selbstauflösung weist wiederum auf das Konkurrenzverhältnis hin. Die KJP-Kommission erarbeitete ein Curriculum für eine Zusatzausbildung der Erwachsenen-Analytiker zum Analytiker für Kinder und Jugendliche und ein Curriculum für eine grundständige Ausbildung zum Psychoanalytiker für Erwachsene sowie für Kinder und Jugendliche, also eine Integration beider Bereiche. Die Vorschläge wurden aber vom damaligen Weiterbildungsausschuss der DPG nicht umgesetzt. Damit ging auch nach 6 Jahren intensiver Arbeit die Tätigkeit der KJPKommission zu Ende. Einzig greifbares Ergebnis bleibt die zeitliche Verschiebung der wissenschaftlichen Jahrestagungen der DPG vom 01. Mai auf den Fronleichnamstag, um eine Überschneidung mit der Jahrestagung der VAKJP zu vermeiden. Aussichten Aber es besteht kein Grund zur Resignation. Im Gegenteil: Die Entwicklung der psychoanalytischen Theorie und die Anstöße aus den Nachbarwissenschaften in den letzten 20 Jahren geben Anlass zu großer Hoffnung auf eine weitere Annäherung. Ich möchte das gerne konkretisieren mit unseren Erfahrungen im aKJP-Instititut in Hannover und unserem libidinösen Verhältnis zu Winnicott. Winnicott betont die konkrete ausreichend gute Bemutterung, die fördernde Umwelt oder die Holdingfunction als äußere Faktoren ebenso wie die unbewussten Prozesse 6 z.B. bei der Illusionierung, bei der Bildung eines Übergangsobjektes, der Objektverwendung, der Fähigkeit zur Besorgnis oder der unbewussten Kommunikation in der Behandlung. AKJP haben schon immer die Bedeutung äußerer, belastender, überfordernder oder traumatisierender Faktoren in der frühen Beziehung des Kindes für die Entstehung seelischer oder psychosomatischer Erkrankungen anerkannt. Die Reflexion auf ihre unbewusste Bedeutung eröffnet aber erst die psychoanalytische Dimension für ein ursächliches Verständnis und die Heilungsmöglichkeiten durch die therapeutische Beziehung. Melanie Klein, die die Pathogenese primär in intrapsychischen Prozessen sieht, hat sich mit Winnicott heftig auseinandergesetzt. Er schien verzweifelt, wenn er an seine Lehranalytikerin Joan Rivieŕe schrieb: „Mit Melanie über die wirkliche Mutter zu reden ist wie, wenn man mit einem Farbenblinden über Farben redet“ (S. 136). Zumal ihm auch angedeutet wurde, dass seine Ansichten die Folgen unzureichender Tiefe in seiner Lehranalyse wären. Winnicott hat seine konkreten Erfahrungen und Beobachtungen bei der Untersuchung von Kindern mit ihren Müttern bzw. ihren Eltern integriert in das bisherige psychoanalytische Therapiegebäude und hat es ergänzt und bereichert. Er verkörpert damitwie ich meine – für die analytische Kinderund Jugendlichenpsychotherapie exemplarisch die Verbindung von konkreter interaktioneller Erfahrung mit dem psychoanalytischen Theorieverständnis. Das lässt sich zum Beispiel zeigen für das Spiel mit seiner konkreten und unbewussten Dimension, übrigens nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen. AKJP haben nach meiner Wahrnehmung die Ergebnisse der Säuglingsforschung, der Selbstpsychologie, des Intersubjektivismus oder der Hirnforschung mit großer Bereitschaft aufgenommen und umgesetzt. Psychoanalytiker für Erwachsene haben sich mit diesen Entwicklungen ebenfalls auseinandergesetzt: Mentalisierung, intersubjektive Genese des Selbst, Konzepte der Affektabstimmung, der Wirkmächtigkeit und des Spiegelns sind selbstverständliche Bestandteile in der Ausbildung von Erwachsenenpsychoanalytikern geworden. Konzepte der autistischen Phase, des primären Narzissmus oder der symbiotischen Phase mussten überarbeitet werden. Damit sind allein durch die Fortschritte der wissenschaftlichen Kenntnisse kinderanalytische Inhalte in die Erwachsenenanalyse zurückgekehrt und haben zu einer Annäherung der beiden Professionen geführt. Wenn ich meine eigene Ausbildung zum Psychoanalytiker für Erwachsene vergleiche mit dem, was wir heute unseren aKJP-KollegInnen in Ausbildung in Hannover anbieten können – das sage ich stellvertretend für die StäKo-Institute – so steht letztere der ersteren um nichts nach, eher im Gegenteil. Ich komme zum Schluss mit dieser Folgerung: 7 Die DPG ist gut beraten, anzuerkennen, dass ihr ursprüngliches schlecht ausgestattetes und vernachlässigtes Kind des Psychagogen inzwischen zu einem gleichwertigen psychoanalytischen Kollegen bzw.einer Kollegin herangewachsen ist. Das Angebot einer ordentlichen Mitgliedschaft in der DPG halte ich auf diesem Hintergrund für selbstverständlich. Die Möglichkeit für aKJP in der DPG eine Zusatzausbildung im Sinne der Laienanalyse zu machen, ist zwingend, einschließlich des Status eines Lehranalytikers oder einer Lehranalytikerin sowie es umgekehrt für Analytiker und Analytikerinnen für Erwachsene die Zusatzqualifikation in Kinderanalyse bzw. Kinderpsychotherapie gibt. Man muss kein Hellseher sein, um sich darauf einzustellen, dass es in nicht all zu ferner Zukunft, wahrscheinlich im Rahmen der Novellierung des Psychotherapeutengesetzes, zu weitreichenden Änderungen kommen wird. Zum Beispiel ist es nicht ausgeschlossen, dass ein grundständiges Studium der Psychotherapie eingerichtet wird, welches mit der Approbation endet, um dann Spezialisierungen zu ermöglichen wie z.B. Psychotherapie von Erwachsenen, Kinder und Jugendlichen oder Gruppen. Die Voraussetzungen zur Bündelung der psychoanalytischen Kräfte können aber schon jetzt geschaffen werden, wie z.B. durch eine wesentlich engere Kooperation zwischen DPG und VaKJP oder durch eine Wiederkehr in die DPG. Die Rückkehr der DPG ihrerseits in die IPV könnte dabei ein besonderer Anreiz sein. Neben diesem berufspolitischen möchte ich aber mit einem inhaltlichen Aspekt schließen: Für die Psychoanalyse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bestehen die gleichen Gesetzesmäßigkeiten. Antonio Ferro führt aus, dass es um die Entwicklung der seelischen Funktionen geht. Damit ist gemeint, die zunehmende Fähigkeit primitive sensorische Reize im Sinne von Bion denken zu können, sie also auszuhalten, zu bewahren und auf ein Niveau von Symbolisierbarkeit heben zu können. Es geht also um die zentrale Funktion im Seelenleben Emotionen steuern zu können und sie zu einem sinnerfüllten Leben nutzen zu lernen. „Daraus ergibt sich, dass es keine Unterschiede zwischen Kinder- und Erwachsenenanalyse geben kann“. (S. 177) Literatur: Abraham, K. (1909) Zur Psychogenese der Straßenangst im Kindesalter. In: Cremerius, I (Hg): Psychoanalyse und Erziehungspraxis, Frankfurt/Main (1971) S. 164-165 Böhm, F.: Zur Ausbildung und Arbeitsweise der Psychagogen, Bd. 1, 1952 S. 65 - 71. Cocks,, G.: „Psychoanalyse und Psychotherapie Dritten Reich". In: Rudolf, G. (Hg) Psychoanalyse der Gegenwart, Göttingen, 1987 Ferro, A .: Folgt die Analyse von Kindern eigenen Gesetzmäßigkeiten? 8 A K J P, Heft 1 3 8, XXXIX. Jahrgang 2/20008 Jung,CG: Kongressbericht, Brüssel, 1912 König-Fachsenfeld, O ".: „Erziehungshilfe." In: Psychotherapie und ihre Grenzgebiete, Leipzig, 1942. Zentralblatt für Lockot, R.: Er Inneren und Durcharbeiten, Frankfurt/Main, 1985 Dr. Michael Kögler, Geibelstraße 104 30 1 7 3 Hannover 9