Entstehung und Entwicklung von Konflikten Weniger Kriminalität In den Medien wird oft von der hohen Kriminalitätsrate in Deutschland berichtet, doch Fakt ist: Die Kriminalitätsrate sinkt aktuell. Das zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik, die einmal jährlich erscheint. Insbesondere die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen ist 2008 gegenüber dem Vorjahr um 4,2 Prozent gesunken. Jugendliche verüben mit fast 40 Prozent ihrer Straftaten vor allem Diebstahldelikte, an zweiter Stelle stehen Gewaltdelikte. Im Langzeitvergleich sieht die Entwicklung düster aus: Gegenüber den achtziger Jahren ist die Gewalttätigkeit unter Jugendlichen dramatisch angestiegen. Konflikte müssen nicht in Gewalt enden Dabei hat sich in mehreren Studien gezeigt, dass die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen stark vom sozialen Umfeld abhängt. Jugendliche, die zur Gewaltanwendung neigen, haben vermehrt Eltern, die gleichfalls Gewalt anwenden oder mit der Kindererziehung überfordert sind. Auch Freunde und die Schule haben einen großen Einfluss auf die sozialen Fähigkeiten von Jugendlichen. Jeder junge Mensch muss mit Konflikten fertig werden. Doch einigen fällt es leichter, andere werden gewalttätig. Der Pädagogikund Psychologieprofessor Dr. Kurt Singer behauptet, dass Gewalt bei Kindern und Jugendlichen eine Folge von sich auflösenden Beziehungen zu anderen Menschen ist. Wenn Zugehörigkeit und Anteilnahme verloren gehen, nimmt auch die Fähigkeit ab, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Diese Fähigkeit ist wichtig, damit Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. Der Konflikt Wenn ein Konflikt entsteht, bedeutet das, dass zwei Elemente gleichzeitig gegensätzlich sind. Die Elemente können einzelne Menschen sein oder auch Menschengruppen. Schon anhand dieser Begriffsbestimmung leuchtet ein, dass Konflikte ständig entstehen müssen, da jeder Mensch anders ist. Man muss lernen, mit Konflikten zu leben. Durch den Gegensatz der Elemente entsteht eine Spannung. Einen Konflikt kann man auch an einer Reihe äußerer Signale erkennen. Einige Beispiele: - gereizte Reaktionen - Ignorieren des anderen Elements - Sturheit - Ausweichverhalten und Flucht - Aggressionen und Gewalt Ursache und Anlass Ein Konflikt hat dabei meist eine Eskalationsleiter, d. h. er beginnt mit einer oder mehreren Kleinigkeiten, die das andere Element durch ihren Gegensatz stören, und schaukelt sich dann immer mehr hoch. Am Ende kann der kleinste Anlass, der vielleicht gar keine Verbindung mehr zum Konfliktbeginn aufweist, ausreichen, um das „Fass zum Überlaufen zu bringen“. Es verlangt Menschenkenntnis, die Konfliktentwicklung rechtzeitig zu erkennen und den Konflikt zu beseitigen. Hierfür muss man Anlass und Ursachen des Konflikts unterscheiden. Ein Beispiel: Seit einigen Wochen streiten Anja und ihre Mutter täglich. Anja stört, dass ihre Mutter ihr wenig zutraut, und sie fühlt sich kontrolliert. Die Mutter fragt täglich nach den Hausaufgaben und besteht stur auf den begrenzten Ausgehzeiten. Die Mütter von Anjas Freundinnen sind hier viel lockerer. Anja hat das Gefühl, dass ihre Mutter sie einengt und ihr jede Freiheit nehmen will. Anjas Mutter fühlt sich überfordert. Anja benimmt sich plötzlich wie eine Erwachsene, hat aber doch noch die Lebenserfahrung eines Kindes. Die Mutter will Anja durch Kontrolle schützen. Dennoch kommt es ihr vor, als würde sie Anja verlieren und ihr alles aus der Hand gleiten. Deshalb wird sie strenger, um Kontrolle zurückzugewinnen. Als Anja von der Geburtstagsparty ihrer Freundin verspätet heimkommt, kommt es zu einem großen Streit, der Eskalation. Die Mutter sieht sich darin bestätigt, dass sie Anja nicht vertrauen kann, Anja sieht sich darin bestätigt, dass die Mutter sie einengt. Der Anlass des Konflikts ist Anjas Verspätung, die Ursachen liegen allerdings bereits viele Wochen zurück und gehen wesentlich tiefer: Sie bestehen in den gegensätzlichen Rollenvorstellungen von Mutter und Tochter und äußern sich im Wunsch nach Anerkennung und Selbstständigkeit bzw. Verlust- und Versagensängsten. Sonderfall Mobbing Mobbing ist ein Konflikt, bei dem der Gegensatz zunächst auch nur innerhalb eines Elements vorhanden sein kann. Das Mobbingopfer ist teilweise willkürlich nach bestimmten Vorgaben ausgewählt und tritt erst in der Eskalationsphase des inneren Konflikts des Mobbenden hinzu. Ein Beispiel: Franz hat keinem in seiner Klasse etwas Böses getan. Dennoch wird er von einer Gruppe von Mitschülern seit mehr als einem Jahr schwer gemobbt. Wenn er nach den Gründen fragt, heißt es, dass er billige Kleidung trägt und sich uncool verhält. Franz versteht nicht, was er tun soll. In der Klasse hilft ihm niemand, denn alle Schüler haben Angst vor der mobbenden Gruppe. Der Anlass des aggressiven Verhaltens der Gruppe scheint in diesem Beispiel geradezu lächerlich, denn Franz’ Kleidung hat keinerlei negative Auswirkungen auf die Gruppe. Tatsächlich liegt die Ursache für das Mobbing auch an einer ganz anderen Stelle, die in keiner direkten Verbindung zum Anlass steht: Mobbingforscher nehmen an, dass insbesondere Jugendliche mobben, die mit ihrer persönlichen Situation überfordert sind. Gründe können ein instabiles Elternhaus, eine Überforderung durch Leistungsdruck oder überhöhte Erwartungen der Eltern oder Freunde sein. Der Mobbende steht unter Spannung und muss sich abreagieren. Da er unter Druck letztlich Angst vor dem eigenen Versagen hat, versucht er jemand anderen zum Versager zu machen, um sich selbst davon abzuheben. Mobbingopfer werden überdurchschnittlich oft Jugendliche, die besonders ängstlich, stiller oder unterwürfiger als ihr soziales Umfeld sind. Der Mobber versucht also, bewusst ein Opfer zu wählen, das passiv ist, sich also nicht gut wehren kann, oder aneckt und damit provozierend wirkt, um sich selbst überlegen zu fühlen und damit die eigenen Ängste zu überspielen. Auf den Konflikt zwischen Franz und der Mobbinggruppe übertragen, bedeutet das, dass der Konflikt an einer Stelle entstand, an der Franz noch gar nicht involviert war. Der Mobber trug den Konflikt in sich selbst herum. Franz wurde vielleicht sogar zum Opfer, ohne den Mobber jemals gekränkt zu haben.