Kathrine Sørensen Ravn Jørgensen Ludvig Holberg: ein grosser Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung* VI Wenn sich Kultur durch gegenseitigen Austausch zwischen den Nationen definieren läßt, ist Ludvig Holberg (1684–1754) ein bemerkenswerter Repräsentant der europäischen Kultur des 18. Jahrhunderts. Er war der größte Erbe des vier Jahrhunderte bestehenden Partnerkönigreichs, das Dänemark und Norwegen von 1387 bis 1814 bildeten. In Bergen geboren, der weltoffensten Stadt Norwegens, machte Holberg in Kopenhagen, Hauptstadt des Doppelkönigreichs, Karriere. Der junge Holberg erwarb sich im Laufe seiner Reisen seine Kenntnisse über die großen und kleinen Nationen Europas; als Schriftsteller führte er künstlerische und wissenschaftliche Gattungen in die Literatur des Königreichs Dänemark-Norwegen ein und wurde somit zum Begründer der modernen Literatur in beiden Ländern. Aber diese Entwicklung beruht auf Wechselseitigkeit. Wie wir sehen werden, wurden alle Schriften Holbergs ins Deutsche, ein Teil ins Französische sowie ins Englische übersetzt; Holberg war während seines Jahrhunderts ein europäischer Autor. Seine amüsante Autobiographie, der utopische Roman Niels Klims unterirdische Reise (Niels Klims underjordiske Rejse) sowie zahlreiche seiner Komödien werden noch heute in die wichtigsten Sprachen neu übersetzt und gedruckt. 1. Kindheit und Jugend Ludvig Holberg kam am 3. Dezember 1684 zur Welt. Sein Vater war ein dynamischer Mensch. Es wird angenommen, daß er bäuerlicher Herkunft war. Aus dem einfachen Soldaten aber wurde ein Kommandant, was ihn in den Rang eines Adligen hob. Als junger Offizier hatte er der Republik Venedig gedient, Italien zu Fuß durchwandert und sich an der Universität zu Siena eingeschrieben. Holbergs Mutter stammte aus einer Familie wohlhabender Kleriker: sein Großvater mütterlicherseits war Bischof von Bergen. Der Kommandant starb jung: 1686, seine Frau 1695. Der junge Ludvig Holberg wurde in die höhere Schule in Bergen eingeschrieben, deren Rektor ein gelehrter und energischer Humanist war. Die Grundlagen im Lateinischen, die Holberg dort erwarb, waren so solide, daß er die Aeneis von Vergil und die Metamorphosen von Ovid bis zu seinem Lebensende praktisch auswendig konnte. Im Mai 1702, als Bergen durch einen Brand fast gänzlich zerstört wurde, schickte der Rektor die Schüler der höheren Klasse unverzüglich nach Kopenhagen, wo Holberg das Abitur erwarb und sich dann im Juli 1702 an der Universität einschrieb. Knapp zwei Jahre später, im März-April 1704, legte Holberg sein Vorexamen in Philosophie sowie sein Staatsexamen in Theologie ab. Er war erst 19 Jahre alt. Was sollte er machen? Das Gesetz untersagte es ihm, sich vor Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Pfarramt zu bewerben – und er fühlte sich nicht besonders vom Priestertum angezogen. Er wurde Hauslehrer beim Domherr von Bergen, Niels Smith. Dieser gestattete es Holberg, sein Tagebuch, das er während seiner Reisen durch Deutschland, Italien, Frankreich und Holland geschrieben hatte zu lesen, und Holberg fühlte sich von dem unwiderstehlichen Verlangen gepackt zu reisen. Er verkaufte ein kleines Grundstück, das er geerbt hatte, und brach nach Holland auf. Fasziniert von Geschichte, Geographie und Recht, bereiste er von 1704 bis 1705 Holland und verbrachte die beiden darauffolgenden Jahre, von 1706 bis 1708 in Oxford. * Ich danke meiner Kollegin Dorte Westrup für ihre anregenden und treffenden Hinweise sowie für ihre stilistische Sensibilität, mit der sie diesen Text bereichert hat. 2 2. Holberg, Historiker und Befürworter des Naturrechts In Oxford schrieb sich Holberg, wie das Register jener Zeit bezeugt, in die Bodleian Library ein und dort entschied er, Bücher allgemeinen Interesses zu schreiben. Er verfaßte ein Handbuch zur Geschichte Europas, wobei er die jüngste Geschichte besonders hervorhob. Nach seiner Rückkehr wurde das Buch unter dem Titel Einführung in die Geschichte der wichtigsten europäischen Königreiche bis zu unserer Epoche (Introduktion til de fornemste europæiske Rigers Historie fortsat indtil disse Tider) 1711 veröffentlicht. Holberg hatte sich in England von dem Geschichtsbuch des Deutschen Samuel Pufendorf1 Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten von 1682 inspirieren lassen, was deutlich die Internationalität der Kultur zeigt. Nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen ermutigte man ihn, ein neues Handbuch zu schreiben, wobei wiederum Pufendorf als Vorlage diente. Der Holländer Grotius2 hatte eine neue Wissenschaft begründet: das Natur- und Völkerrecht, das Pufendorf 1672 in seinem Werk De jure naturae et gentium formuliert hatte. Die Heranführung seiner Landsleute an diese auf dem Recht basierenden Philosophie sollte für Holberg zu einer Mission von entscheidender Bedeutung werden. Die beste Einführung, die man in Holbergs Jahrhundert erwerben kann, ist seine Einführung in die Kenntnisse des Natur- und Völkerrechts (Introduktion til Natur- og FolkeRettens Kundskab) von 1716. Holbergs Theologie beruhte auf einem abgeschwächten Luthertum. Das Naturrecht lieferte ihm eine Philosophie die besagte, daß Gott uns mit der Gabe der Vernunft ausgestattet hat, einem wunderbaren Wissen, das das Gute und das Schlechte einzuschätzen vermag, unter der Voraussetzung, daß es nicht durch schlechte Gewohnheiten und eine schlechte Erziehung verdorben oder durch Leidenschaften gestört wurde. Die Menschen werden gleich geboren und wenden ihren gesunden Menschenverstand an; ebenso besitzen sie ihren freien Willen. Diese Auffassung vom Menschen findet sich in den geschichtlichen, poetischen und philosophischen Schriften Holbergs wieder. 3. Holberg, der satirische Dichter Ein Gelehrtenstreit führt Holberg in ein polemisches Wortgefecht mit dem dänischen Historiker Andreas Hojer (1690–1739): obwohl in Latein geführt und in allen Punkten konform mit der Tradition der scholastischen Streitgespräche, entbehrte dieses Duell noch jeglicher literarischer Bedeutung, weckte jedoch seine Fähigkeiten zu komischer Gestaltung. Der Fluß seines satirischen Schaffens befindet sich in so freier Entfaltung, daß im Zeitraum der folgenden fünf Jahre ein wahrer literarischer ›raptus‹ eine Fülle an Stücken, Charakteren und komödiantischen Situationen entstehen läßt. Der erste Essai Der Dichter bringt seinen alten Freund Jens Larson davon ab zu heiraten hält sich noch sehr eng an die Satiren der Anciens, wie sie die Epoche schätzte: es handelt sich hier um die sechste Satire von Juvenal, die als Vorlage diente. Dieser bereits 1719 verfaßte Text wurde 1721 zusammen mit Heraklit und Demokrit, der Verherrlichung des Sängers Tigellius und der Kritik des Peder Paars unter dem Titel Vier Komische Gedichte veröffentlicht, in den Augen der Nachwelt unbedeutende Schriften, die aber bereits einige Elemente der künftigen Meisterwerke enthalten. Mit dem heroisch-komischen Gedicht Peder Paars aus dem Jahr 1719–1720 unternimmt unser Autor den entscheidenden Schritt, der ihn noch von der freien Schöpfung trennte. In der burlesk erneuerten Fabulierkunst der Aeneis, die einen ursprünglich universitären Streit umkreist, treten antike oder moderne Reminiszenzen hervor, wie die absichtlichen Anleihen aus der Odyssee oder 1 Samuel Pufendorf (1632–1694), deutscher Rechtsgelehrter und Historiker. Er schrieb Vom Recht der Natur und seiner Menschen (1672), in dem er das Recht auf einen Sozialvertrag begründet. 2 Hugo Grotius (1583–1645), holländischer Rechtsberater und Diplomat. Der Autor von De jure belli ac pacis (1625) gilt als der ›Vater des Menschenrechts‹. 3 die eindringliche Erinnerung an Boileaus Lutrin3. Holberg gesteht offen ein, daß er Juvenal4 und Martial5 gegenüber zu Dank verpflichtet sei, gleichzeitig überzeugt, daß er künftig seinen Rivalen, den Satiriker Christian Falster6 in den Schatten stellen könne. Das erste Buch des dreibändig geplanten Werkes, das, vor Stoff berstend, durch einen vierten Band im darauffolgenden Jahr beendet werden sollte, präsentierte sich in Form eines populären Buches, das zum Straßenverkauf bestimmt war und somit die Zensur umgehen konnte. Sein Autor widmete es amüsanterweise den »Bewohnern von Nyboder7 und jenen, die unter den Stadtmauern wohnen sowie all jenen, die der autoritären Zuständigkeit des Herrn Niels Nagel 8 unterliegen«, um so noch stärker den burlesken Charakter dieser unerwarteten Version der Aeneis hervorzuheben. Diese Fülle an Vorsichtsmaßnahmen ersparte ihm jedoch nicht die Rachsucht von Frederik Rostgaard, Besitzer der Insel Anholt9 und überdies der Schwager des Königs; die Affäre kam am 12. Februar 1720 vor das Oberste Gericht, wo Frederik IV. die Güte besaß, die gerichtlichen Verfolgungen zu unterbinden und abschließend erklärte, daß er es vorgezogen hätte, wenn dieses Werk niemals geschrieben worden wäre! Aus einer Meinungsverschiedenheit des Autors mit Hans Gram (1685–1748), einem der Quellenkritik strikt anhängenden Historiker und Archivar, wird eine angeblich abenteuerliche Beziehung auf einer Meeresreise von Kalundborg10 nach Aarhus11 gemacht, entnommen einer fiktiven Chronik von Kalundborg. Die Hauptfigur Peder Paars, flankiert – wie Don Quichotte von Sancho Pansa – von seinem treuen und pikaresken Peder Ruus, unternimmt die Rückkehr zu Dorothea, die auf ihn jenseits der Meere in der großen jütländischen Stadt Aarhus wartet, so wie Penelope in Ithaka auf Odysseus wartete. Ein Schiffbruch wirft unsere beiden Protagonisten an die Küste von Anholt, wo die köstlichsten Mißgeschicke auf sie warten. Holberg beschreibt schelmisch die auf der kleinen Kattegatinsel herrschende soziale und politische Situation, die tatsächlich eine ziemlich bissige Satire auf die absolute Monarchie Dänemark-Norwegen darstellt. Rund um die Ideendebatte stellt der künftige Autor der Komödien eine vor Witz und Phantasie glänzende Reihe episodischer und bekannter Charaktere auf, lebendig gezeichnet mit manchmal in Erstaunen setzender Schreibsicherheit: der Wollezieher und das Küchenmädchen Martha geben dafür überzeugende Beispiele ab. Obwohl die Situationen wenig originell sind, werden sie mit großem Können entwickelt, wie beispielsweise die überaus komische Alexanderschlacht, die den Barbier in Opposition zu seinem Weib und seiner Katze bringt, oder das bravouröse Stück, das uns die ehrwürdigen Universitäten zeigt, die sich bei Gelegenheit eines theologischen Streits wie die Stallknechte am Kragen packen. Aber Holberg zögert noch zu oft bei der Wahl zwischen dem manchmal praktischen, aber störenden mythologischen Apparat und dem Überschwang seiner hervorsprudelnden komödiantischen Inspiration: so bleibt Peder Paars, der bereits den Schlüssel zu den kommenden Komödien bildet, ein gemischtes Werk, das auf eigenartige Weise nacheinander langweilt oder entzückt. 3 Nicolas Boileau (1636–1711). Imitator von Horaz in seinen satirischen (Satires, 1666–1668) oder moralischen Gedichten (Epitres, 1669–1695) und Führer des die ›Anciens‹ favorisierenden Flügels in den ›Querelle des Anciens et des Modernes‹. Er trug zur Festigung des literarischen Ideals des ›classicisme‹ bei (Art poétique, 1674; Le Lutrin, 1674–1683). 4 Juvenal, lateinisch Decimus Junius Juvenalis (60–130), römischer Dichter. Autor der Satiren, in denen er die korrumpierten Sitten Roms attackiert. 5 Martial, lateinisch Marcus Valerius Martialis (40–104), römischer Dichter. Die geistreiche Schärfe seiner Epigramme gaben diesem Typus des kurzen Gedichts die Bedeutung satirischen Spotts. 6 Christian Falster (1690–1752), dänischer Satiriker. In seinen Attacken gegen die dänische Gesellschaft ließ er sich durch die Satiren Juvenals inspirieren. 7 Arbeiterviertel von Kopenhagen. 8 Niels Nagel, in Wirklichkeit Karl Kasper Nagel, schien für die öffentliche Ordnung auf dem Markt zuständig gewesen zu sein, wo er sich gern knallhart zeigte. 9 Die Insel befindet sich im Kattegat. 10 Die Stadt liegt an der Küste von Seeland. 11 Zweitgrößte Stadt von Dänemark. Sie liegt an der Küste von Jütland. 4 Die Zeitgenossen täuschten sich nicht in der satirischen Bedeutung von Peder Paars, in dem Hans Gram nur eine Summe »schlechter Absichten gegenüber der Literatur« sah, aber Holberg hatte die Lacher zweifellos auf seine Seite gebracht. Blieb also noch übrig, das unverkennbare literarische Werk zu schaffen: ausgelöst durch den Skandalerfolg von Peder Paars, erfaßte Kopenhagen von 1722 bis 1728 ein wahre Lawine von 27 Komödien. 4. Holberg, der Dramatiker Holberg wendet sich nun also dem Theater zu und erneuert es komplett. Bisher kannten die Länder des Nordens nur Aufführungen im Freien, die von den Lateinschulen kamen und starken lokalen Charakter besaßen, jedoch keinen Einfluß auf ausländische Theatergruppen ausübten. Die ökonomischen und sozialen Umstände des Königreichs dienten der Absicht Holbergs, nun junger Physik- und Mathematikprofessor der Universität. Nach Ende des Krieges zwischen Dänemark-Norwegen und Schweden12 sehnte sich das Bürgertum von Kopenhagen nach den Zerstreuungen des Theaters, was ihre deutlich besseren Mittel nun erlaubten. Es traf sich, daß der Chef der französischen Theatergruppe, Magnon de Montaigu, dessen Sympathien für Deutschland immer ausschließlicher wurden, 1721 den Hof verlassen mußte. Dieser Montaigu zog sich mit seinen Schauspielern in ein Theater zurück, das ein gewisser Capion gerade erst in der Lille Grønnegade (heute: Ny Adelgade)13 zu eigennützigen Zwecken errichtet hatte. Montaigu führte dort französische Stücke auf, aber nachdem er am 1. Juli 1722 das Privileg zum Spielen dänischer Komödien erhielt, wandte er sich an Holberg, nun berühmter ›Herausgeber‹ der Chronik von Kalundborg, um bei ihm Stücke zu bestellen. Somit ermöglichte der Aufschwung des sich endgültig vom kapriziösen Stil des Hofes befreienden Bürgertums faktisch finanziell jenen des dramatischen Genies Holberg. Und diese perfekte Übereinstimmung von Bedürfnissen einer Zeit mit dem schöpferischen Elan eines Menschen erklärt, warum es Holberg traf, Begründer der modernen Literatur in Dänemark zu werden. Trotz des hohen Schutzes durch den Kanzler Holstein14 und der Zusammenarbeit mit Frederik Rostgaard (bereits versöhnlicher gestimmt – man verlas dessen Prolog bei der ersten Aufführung am 23. September 1722) liefen die Anfänge nicht ohne Probleme. Hans Gram und die Universität empörten sich, da sie einen ihrer Professoren sich herablassen sahen, Stücke zur Unterhaltung des Bürgers zu schreiben, und drei Studenten, die eine Rolle auf der neuen Bühne akzeptiert hatten, wurden aus den Colleges Regensen15 und Valkendorf16 ausgeschlossen. Holberg ließ sich jedoch nicht entmutigen und schrieb in fünfzehn Monaten fünfzehn Komödien, indem er »das Beste daraus machte was er vorfand«. Holbergs Quellen sind ganz klassisch: Plutus, genau wie Jacob von Thyboe oder Abracadabra orientieren sich an Aristophanes17 in der Absicht, den zeitgenössischen Adel zu kritisieren; der bürgerliche Typus des listigen Dieners, dem es gelingt, die Liebenden trotz gieriger oder eifersüchtiger Eltern zu vereinen, ist selbstverständlich an Plautus18 oder Terenz19 orientiert. Dafür finden sich Bezüge zu den comédies masquées der italienischen Renaissance und den konventionellen Figuren der commedia dell’arte, wie Pantalone, der lächerliche Alte, Arlecchino und Pulcinella, die listigen Diener, Colombina, die 12 Am 3. Juli 1720 wurde der Friedensvertrag mit Schweden unterzeichnet und beendete somit den Großen Nordischen Krieg. Es war das letzte Mal, daß die skandinavischen Nationen gegeneinander gekämpft hatten. 13 Die Straße befindet sich heute im Zentrum von Kopenhagen. 14 Ulrik Adolf Holstein (1664–1737), hoher Beamter unter der Herrschaft Frederik IV. 15 Das College wurde 1623 von Christian IV. für 100 Studenten errichtet. 16 Das älteste College des Königreichs wurde 1595 für 16 Studenten errichtet. 17 Aristophanes (445–386 v.Ch.), griechischer Komödiendichter. Seine Stücke beinhalten satirische Variationen zu aktuellen Themen und verteidigen die Traditionen gegen die neuen Ideen. 18 Marcus Plautus (254–184 v. Ch.), römischer Komödiendichter. Seine komischen Figuren kündigen bereits die Typen der ›Commedia dell’arte‹ an. 19 Terenz, lateinisch Publius Terentius (190–159 v. Ch.), römischer Komödiendichter. Er wird das Vorbild der französischen Klassiker, besonders für Molière. 5 serva padrona (sie heißt bei Holberg Pernille), Leander und Leonora, die Liebenden, etc. in der Mehrzahl der Stücke wieder – eine Tradition, die zum Beispiel bis heute in den Theatern des Tivoli von Kopenhagen lebendig geblieben ist. Aber die unmittelbare und hauptsächliche Inspiration erhält Holberg von Molière, dem gegenüber er öffentlich seinen Dank zum Ausdruck brachte. Es ist jedoch zu bemerken, daß der Autor des Tartuffe für die Oberschicht seiner Zeit schrieb, währenddessen Holberg auf ein eher ›niederes‹ Publikum zielte: Händler, Handwerker und Bauern. Zudem muß man sagen, daß Holberg in Prosa schreibt und ihm die Verfahren der Farce und der Karikatur wichtig waren. Das führt oftmals dazu, daß er die Handlung und die Zeichnung der Charaktere mehr oder weniger vernachlässigt für die im Gegenzug humoristische Präsentation der Milieus, die literarische Parodie und vielleicht das Befürworten einer These, die dieser an den Umgang mit der Sprache gewöhnte Universitätsprofessor besonders schätze. Daher stammt die Klassifikation seiner Stücke, wie man sie im allgemeinen vornimmt. Eine erste Kategorie versammelt jene Stücke, deren Charaktere dem sozialen Milieu entsprechen: dazu gehören der prahlerische Offizier (Jacob von Thyboe), ein junger studentischer Nörgler (Erasmus Montanus, eines der Hauptwerke der Gattung), der hin und her eilende Geschäftsmann (Der Unermüdliche), ein junger frankophiler Snob (Jean de France), der geschwätzige Barbier (Gert Westfaler), ein eingebildeter Adliger (Don Ranudo de Colibrados, die Satire verstärkt sich hier zu einer bitteren Meditation über die menschliche Situation), Der politische Kannegießer, das heißt, ein Mann, der sich derartig viel einbildet, oder, Höhepunkt des Schaffens, Jeppe aus den Bergen (Jeppe paa Bjerget), der betrunkene Bauer, den der Autor in die Dimensionen eines universellen Typus erhebt. Im Kontext ihrer Zeit gesehen, interessieren uns diese Stücke besonders aufgrund ihrer Präsentation großer Archetypen; der moralisierende Ausgang verstärkt die Regeln der Gattung, wir schätzen aber auch das weite soziale Abbild, das sie uns bieten. Zu dieser Kategorie werden noch zwei Komödien ohne besondere Handlung (Intrige) gezählt, wie Die Unschlüssige über die Abhängigkeit von der Mode und Weder Hand noch Fuß, die den Aberglauben anprangert. In der zweiten Gruppe nimmt die Handlung einen wichtigen Platz ein. Diederich Menschenskrœk, Der verpfändete Bauer und vor allem Henrik und Pernille (Diener und Dienerin verkleiden sich ohne Wissen des jeweils anderen in Herr und Herrin, so wie in Gil Blas, Le Sages großem pikaresken Roman) oder Das arabische Pulver, in dem ein Trödler sich als Goldschmied auszugeben versucht, beinhalten gleichermaßen eine gelungene Mischung aus stark karikaturistischer Satire und heiterem Vergnügen. Ähnlich werden jene Stücke bewertet, in denen einige bestimmte Milieus der Lächerlichkeit ausgesetzt werden, wie Das Zimmer der Wöchnerin, das sich der Dummheit der Frauen im Arbeitermilieu widmet. Die Stücke dieser Kategorie erscheinen uns vielleicht ein bißchen weniger gelungen, da wir vergessen, sie in den Kontext ihrer Zeit einzuordnen. Eine dritte Gruppe versammelt die literarischen Parodien, von Natur aus weniger einem großen Publikum zugänglich und stärker an eine bestimmte Zeit gebunden. Man muß natürlich seinen Homer und seinen Virgil beherrschen, um den Ulysses von Ithaka nach seinem wahren Wert beurteilen zu können, dessen Hauptfigur, Chilian, zynischerweise die gesamte Palette heroischer Taten erschöpft. Das Stück führt jedoch eine interessante technische Innovation in Holbergs Theaterwerk ein. Sie stützt sich auf das Prinzip der deutschen Haupt- und Staatsaktionen: Das Stück spielt gleichzeitig auf einer doppelten Ebene, der einen, ›offiziellen‹, auf der sich die bekannten Autoritäten und Helden bewegen, und der anderen, die als Spiegel der ersten dient, indem sich dort die Haupthandlung durch Personen aus dem Volk reflektiert und karikiert wiederfindet – ein doppeltes Spiel, das interessante Effekte erlaubt. Ähnlich funktioniert die Tragikomödie Melampe, die den Krieg und das mörderische Heldentum anprangert (ein sich wiederholendes Motiv in Holbergs gesamtem Werk), eine ziemlich schwerfällige Parodie vor folgendem Hintergrund: Gegenstand des Konflikts ist ein Salonhund, der nach salomonischer Art entzwei geteilt wird; die gesamten feierlichen Passagen, in Alexandrinern, bilden eine Satire auf die Schäferdichtung und selbst auf die großen französischen Tragödiendichter. 6 Nehmen wir drei Theaterstücke beiseite, die sich von den anderen unterscheiden: Plutus, ein Alterswerk des Autors, das die Gefährlichkeit des Reichtums eines Staates beweist, Die Republik, in der die Pläneschmiede an den Pranger gestellt werden, und Sganarelles Reise in das Land der Philosophie, das sich gegen die falsche Anwendung der Philosophie wendet. Im Folgenden sollen die wichtigsten Komödien Holbergs ausführlicher behandelt werden. Die erste Komödie Der politische Kannegießer (Den politiske Kandestøber), am 26. September 1922 aufgeführt, stellt den Meister Herman ins Zentrum, einen respektierten Handwerker, dessen philisterhafte Leidenschaft für politische Dinge ihn der Lächerlichkeit preisgibt. Die Handlung ist mit einer Intrige nach bester italienischer Tradition versehen. Die Verschwörung, dessen treibende Kraft der Knecht Henrich ist, gewährleistet den Triumph des gesunden Menschenverstandes und ermöglicht die Heirat von Engelke, des Töpfers Tochter, und Antonius, ehrlich und schüchtern, trotz des Ticks von Herman. Wenn man bedenkt, daß das Thema eigentlich einer Komödie des Hamburger Dramatikers Barthols Fein entnommen ist, muß man erkennen, daß Holbergs Originalität dürftig ist. Halten wir ebenso fest, daß die Hauptidee des Werkes – die Unfähigkeit gewöhnlicher Menschen, öffentliche Geschäfte zu führen – vom Autor für die populäre Komödie Der Bauer als König (Bonden som Konge) übernommen wurde, die sich sehr konform gegenüber der politischen Philosophie jener Zeit, der des aufgeklärten Absolutismus, verhält; und sie sollte abermals in Jeppe aus den Bergen auftauchen. Dies beweist ganz offensichtlich, daß Holbergs Verdienste anderswo liegen. Diese zeigen sich in der Tat, betrachtet man die meisterhafte Zeichnung der verschiedenen Figuren, das lebendig wiedergegebene Milieu sowie die große Genauigkeit der entwickelten Situationen. Der zweite Akt Des politischen Kannegießers läßt uns an einer Sitzung des »collegium politicum« in einer Kneipe teilnehmen, zu der unter Leitung des Töpfers eine Handvoll braver aber einfältiger Bauern gekommen sind, um die großen politischen Themen der Zeit neu zu durchdenken. Ihre Unwissenheit steht ihrer Einbildung in nichts nach und die perfekte Genauigkeit der Diskussionen unterstreicht wunderbar die unwiderstehliche Komik dieser Szene, der persönliche Reminiszenzen Holbergs aus der Bergener Zeit zugrunde liegen. Ein weiterer Höhepunkt wird im vierten Akt erreicht, als eine vom Stallknecht geführte angebliche Abordnung junger Aristokraten Herman glauben läßt, daß er aufgrund seiner Fähigkeiten wie geschaffen sei für das Amt des Bürgermeisters von Hamburg und unter seinem Dach illustre Gäste beherberge; er und seine Ehefrau Geske führen sich als perfekte Emporkömmlinge auf und manchmal erscheint hinter dieser grotesken Situation eine widerliche Pointe, die bereits Jeppe aus den Bergen ankündigt. In der zweiten Komödie Die Unschlüssige (Den Vægelsindede) will sich Holberg einzig einem psychologischen Fall widmen: es handelt sich um die schöne aber labile Trödelhändlerin Lucretia, die ständig zwischen zwei Temperamenten hin und her wechselt, eines ernst und still, das andere unbekümmert und gesprächig. Zwei jungen Mädchen, Helene und Leonore, wird von ihren Verehrern Apicius und Eraste vorgeworfen, diese unterschiedlichen Eigenschaften nicht in ausreichendem Maße zu besitzen. Da die beiden Mädchen jeweils nur eine Seite Lucretias kennen und glauben, daß es sich um zwei verschiedene Personen handele, zögern sie nicht, die beiden jungen Männer zu Lucretia zu schicken, in der Hoffnung, sie vom Übermaß an Tugenden, das sie verlangen, abzubringen. Wie es der Zufall jedoch will, trifft jener, der die schelmische Leichtigkeit schätzt, Lucretia in verschlossener Stimmung an, und der andere, vernarrt in die ernste Ruhe, findet sie wunderbar zerstreut vor. Das Geheimnis wird aufgeklärt, nachdem sich herausgestellt hat, daß es sich um ein und dieselbe Person handelt. In seiner dritten Komödie Jean de France kehrt Holberg zur Darstellung der Sitten zurück und bringt eine der Obsessionen seiner Zeit, die Frankomanie, zur Sprache. Inspiriert von der Satire seines Zeitgenossen Falster Die bedauerliche Auslandsreise (Den daarlige Udenlandsrejse), will er die Sterilität eines unterwürfig angeeigneten ausländischen Einflusses zeigen. Der nach zweijährigem Frankreichaufenthalt zurückgekehrte Sohn des Kopenhagener Bürgers Frands strebt danach, nur noch in einem mit Gallizismen durchsetzten Dänisch zu sprechen, sich nur 7 1 noch nach der letzten Mode aus Paris zu kleiden und er gedenkt selbst seine Angehörigen zu zwingen, ihn nachzuahmen. Unvergeßlich ist die Szene des vierten Aktes, in der Jean seinen Nachbarn und künftigen Schwiegervater Jeronimus zwingt, seine Kleider auf dem Rücken geknöpft zu tragen, da ihn ein spaßiger Knecht hatte glauben lassen, daß dies mittlerweile am französischen Hof Brauch sei. In einer vorherigen Szene geht er sogar so weit, daß er von seiner alten Mutter Magdelone verlangt, ein Menuett à la française zu tanzen. Eine Intrige der beiden Diener Marthe und Espen beendet die ganzen Extravaganzen, und Jean de France, beschämt aber nicht geheilt von seiner Torheit, muß fliehen, nachdem er seine Verlobte Elsebeth und seine Ersparnisse, von einem professionellem Spieler gestohlen, verloren hatte. Im Nachhinein erscheinen die Geschichten dieser ersten Stücke ein wenig wie Essais, Experimente, die dem jungen Dramatiker dazu dienen, seine Technik zu vervollkommnen. Das Meisterwerk ließ sich unterdessen bereits im Austausch einiger Repliken, in der Verwertung einiger ausgesprochen bedeutsamer Situationen mit gegensätzlichen Charakteren erahnen. Tatsächlich erschien das Meisterwerk im gleichen Sommer 1722: Jeppe aus den Bergen. In seinem Vorwort machte Holberg kein Geheimnis daraus, daß er sein Thema zum Teil der 1640 erschienenen Novellensammlung Utopia des niederdeutschen Autors Bidermann entnommen hatte. Das Thema des »verwandelten Bauern« – Untertitel unserer Komödie – dient dem Stück als Leitfaden der Handlung: der Baron Nilus nutzt die Trunkenheit eines armen Schluckers aus, um ihm der Illusion der Macht zu überlassen, und um ihn anschließend wieder brutal zu seinen Schweinen und seinem Weib zurückzuversetzen. Aber das Genie Holberg wußte, daß diese wenig wohltätige Erfahrung in den Dienst eines Hauptcharakters gestellt werden mußte, und so entstand Jeppe, ein erbärmlicher Bauer, von seiner Frau Nille terrorisiert, die ihn mit der Peitsche schlägt, wenn sie ihn nicht gerade mit dem Kirchdiener betrügt, prahlerisch und feige, ein unverbesserlicher Säufer, in seiner elementaren Wahrheit tief menschlich. Hier wußte der dänische Dramatiker aus einer langen populären Tradition noch Profit zu ziehen: im 16. Jahrhundert hatte die Komödie Doktor Hjælpeløs (Doktor Schade) einen Vorläufer des Jeppe in Szene gesetzt, und Gelehrte konnten die Linie dieses lächerlichen, aber tief fesselnden Bauern durch Polen bis nach Asien nachziehen; ohne Zweifel ist diese älter und berühmter als jene des Baron Nilus. Aber Holberg füllt diesen geliehenen Rahmen mit einer Menschlichkeit und einem Gefühl für soziale Probleme aus, die die Konventionen des Genre aufbrechen. Der arme Bauer aus Seeland, von allem Übel geschlagen und seiner Freiheit beraubt, ist die allgegenwärtige Hauptperson des Stückes; diese Beachtung und Individualisierung eines am unteren Ende der sozialen Leiter stehenden Wesens ist völlig neu in der europäischen Literatur. Heiter, trunksüchtig, ungeschliffen und dennoch kein schlechter Kerl, von schwachem Charakter aber wachem Verstand, voll von grundlegender Weisheit, wird Jeppe differenziert vorgestellt, sowohl eine Figur aus Fleisch und Blut, als auch das Symbol für die bäuerliche Lage, reduziert auf die Unterjochung. Die Nebenpersonen, weniger detailliert ausgeführt, geben uns Aufschluß über die Geisteshaltung und die Lebensbedingungen jener Zeit, sei es die Frau des Bauern, zänkisch mit Ausreden, der sich französisch gebende Baron, die Advokaten, die unverständliches Latein reden, der Verwalter, der die Interessen des Gutsbesitzers vertritt, bis zu den deutschen Ausbildern der Bauernmiliz, zwar auf der Bühne unsichtbar, aber von Jeppe in Erinnerung gerufen. Das rauhe Relief des Stückes verleiht ihm eine nordische Kraft, die durch die Lebendigkeit und Natürlichkeit der Dialoge gemildert wird. Holberg wurde in seinem sprachlichen Ausdruck durch die Vertrautheit mit der Sprache, den Sitten und der Mentalität der Bauern unterstützt; selbst ländlicher Herkunft, wurde er von einem sowohl psychologischen als auch wirtschaftlichen Interesse am Landleben getrieben und hatte im Laufe unzähliger Spaziergänge durch Seeland das Verhalten der mit der Erde in Verbundenheit lebenden Menschen mit bemerkenswerter Schärfe beobachtet. Der moralische Wert des Werkes kann heutzutage fortschrittsfeindlich erscheinen; überträgt man die Idee Des politischen Kannegießers, so zielt sie letztlich darauf ab zu beweisen, daß die Erlangung der Macht durch einen Mann aus dem Volk sich auf das Regime nachteiliger 8 auswirken würde als die Regierung des Geburtsadels. Nachdem Jeppe erst einmal seine Überraschung überwunden hat, überwindet er ohne weiteres seine Bedenken und führt sich wie ein Emporkömmling auf: er macht der Frau des Offiziers mit der schlimmsten Flegelhaftigkeit den Hof, schlägt sich ohne Maß den Bauch voll und unterwirft seine Umgebung durch demütigendste Launen. Für eine Zeitlang Herr seines Schicksals geworden, bleibt er jedoch nicht weniger sein Sklave, Sklave seines unmöglichen Appetits und auch ein Anflug von Sadismus ist ihm nicht fremd. Holberg wußte jedoch – und darin besteht die geheime, aber unvergängliche Überzeugungskraft des Stückes – seine Figur mit einem zurückhaltend belustigenden Amoralismus zu beschreiben, einem frühen authentischen Naturalismus von anhaltender Wirkung. In dieser Hinsicht ist die dritte Szene des ersten Aktes unvergeßlich: Jeppe, der auf dem Weg zum Markt von Durst gequält wird, führt einen ergreifenden Monolog, in dem er seinen Hang zur Trinkerei rechtfertigt: »Die Leute im Kanton sagen, daß der Jeppe trinkt, aber sie sagen nicht, warum der Jeppe trinkt«. Jeppe trinkt, weil es in der Sache der Natur liegt zu trinken und vor allem, weil er unglücklich und ohne Mut ist. Wenn im Verlauf des vierten Aktes ihn ein fiktives Urteil dazu verdammt, verloren zu sein, findet er rührende Worte, um dieses Leben zu verlassen: Adieu, mein Apfelschimmel, danke für all die Male, die du mich auf deinem Rücken getragen hast; neben meinen eigenen Kindern habe ich kein Tier so wie dich geliebt. Adieu, Feierfax, mein treuer Hund, Hüter meiner Tür! Adieu, Mons, meine schwarze Katze! Adieu, meine Kühe, meine Schafe, meine Schweine! Unter Holbergs Feder entsteht eine schamhaft flüchtige Zärtlichkeit und genau damit hat er seinem Jeppe die ganze Tiefe der Menschlichkeit eingezeichnet, um damit eine der Spitzen der Weltliteratur zu erreichen. Die letzte Komödie dieses überaus produktiven Jahres, Meister Gert Westphaler, wurde ohne Zweifel am 28. Oktober 1722 das erste Mal aufgeführt. Ein geschwätziger Barbier steht im Zentrum des Werkes, das seine ganze relative Dynamik der konventionellsten aller Handlungen verdankt: Leonora bittet ihre Dienerin Pernille um Hilfe, um ihrem schwatzhaften Verlobten zu entkommen und sich mit Leonard, ihrem Geliebten, vereinen zu können; jene schmiedet einen Plan, dessen Ergebnis erfolgreich sein wird: Gert, der Lächerlichkeit preisgegeben, entscheidet sich »irgendwo an andere Orte hinzugehen, wo die Gelehrsamkeit mehr geschätzt wird«. Man muß als Gelehrsamkeit den unermüdlich wiederholten Bericht der Reise verstehen, die unser Barbier einstmals von Haderslev nach Kiel unternahm. Holberg war sich der Schwäche der Handlung bewußt und reduzierte im darauffolgenden Jahr die fünf Akte des ursprünglichen Stückes zu einem Einakter. Die psychologische Studie des Hauptcharakters bewahrt darin nicht weniger ihre überzeugenden Qualitäten. In den späteren Produktionen Holbergs zeigt sich die doppelte Natur seines dramatischen Werkes deutlich: die psychologischen Stücke, die um eine einzige, von widerlichen und lächerlichen Schwächen geplagten Person konstruiert sind, wechseln einander mit Darstellungen der Gesellschaft ab. Der 11. Juni, eine im Frühjahr 1723 geschriebene Komödie, zählt zur zweiten Kategorie; der Autor liefert uns darin die Geheimnisse der Betrüger, die die Hauptstadt plünderten. Wir befinden uns am Vorabend des fälligen Datums und ein gewisser Skyldenborg, ein kleiner Meister und Allesmacher, ist unfähig, die fällige Zahlung zu leisten, die von all jenen gefürchtet wird, die durch ihre extravagante Eitelkeit auf zu großem Fuß leben. Unterstützt durch seinen Knecht Henrik und dessen hilfsbereite Freundin Lucretia, beginnt er Studenstrup, Sohn eines reichen Grundbesitzers in Jütland und gerade in Kopenhagen angekommen, zu betrügen. Die Betrügerei der Städter ist erfolgreich und dem verdutzten Provinzler wird erst im fünften Akt durch die Intervention seines Cousins Niels Christensen Gerechtigkeit widerfahren, nicht ohne vorher seiner Habe beraubt worden zu sein. Holberg umreißt mit unerbittlichem Stift, zurückhaltend amüsant, ausgezeichnet die Konturen seiner kaum karikaturistischen Figuren; aber vor allem verlieh er durch einen schnellen, scharfen ›Schnitt‹ seiner Komödie einen lebendigen Rhythmus, der an denjenigen eines Balletts denken läßt. 9 Diese Qualität des Rhythmus setzt sich noch deutlicher in Das Zimmer der Wöchnerin (Barselstuen), dem vielleicht szenischsten Stück unseres Autors, durch. An dem siebzigjährigen Corfitz, soeben Vater geworden, nagen Zweifel an seiner Vaterschaft; am Ende des Stückes findet Corfitz sein ganzes Vertrauen in seine junge Ehefrau wieder. Rund um das Bett der Wöchnerin tummeln sich die Nachbarinnen, schwatzende und hemmungslos lästernde Klatschbasen. Hier bildet noch der Knecht Troels das dramatische Element, und Holberg beweist seine Fähigkeit, Situationen immer wieder neu geschickt zusammenfügen zu können. Die Stücke nehmen zu; oftmals konstruiert der Dramatiker sein Werk nach bewährter Art, indem er seine Themen und Methoden dem ›Vorrat‹ der weiten klassischen Kultur entnimmt. Aber meistens, nachdem die Torheit der Menschen oder die Makel der Gesellschaft aufgedeckt sind, lassen sie das ein wenig mechanische Funktionieren der Handlung vergessen. In dem Dreiakter Maskarade wird der schädliche Einfluß des Spiels, begünstigt durch eine Liebesgeschichte, angeprangert, in dem die Erinnerung an Regnard20 nicht fehlt. In Melampe widmet sich der Autor der Eitelkeit der Frauen, die den Launen der Mode unterworfen sind, ganz besonders der neu verbreiteten Mode eines speziell genähten Ärmels. Außerdem nimmt es dieser Sittenkritiker in Angriff, einen der größten volkstümlichen Makel des Jahrhunderts, den Aberglauben, zu entwurzeln. In Weder Hand noch Fuß (Uden Hoved og Hale) werden uns drei Brüder präsentiert: der erste leidet unter einer fast krankhaften Gläubigkeit, die ihn dazu führt, die dümmsten Lügengeschichten zu glauben; der zweite ist dagegen von entschiedener Skepsis, und nur der dritte besitzt das richtige Maß. Dieses ziemlich düstere Stück beinhaltet zweifellos eine gegen den Pietismus gerichtete Pointe, der unter der Herrschaft Christian VI. (1730–1746) das öffentliche Leben Dänemarks zu verdüstern begann. Das gleiche Thema wird in Die Hexerei oder der falsche Alarm (Hekseri eller blind Alarm) fortgeführt, nur daß der Zuschauer hier in einem Sog episodischer, meisterhaft ausgeführter Figuren mitgerissen wird. Wir erleben dort die Ausbreitung einer wahren Panik, erzeugt durch den dümmsten Aberglauben, der von dem Haus des Leander, Direktor einer Theatergruppe, ausgeht und sich quer durch die gesamte Stadt ausbreitet, um schließlich in das Heim der Schauspieler zurückzukehren. Damit schafft Holberg ein Pionierwerk, da er hier frühzeitig eine soziologische Studie vorlegt. Er verfolgt jedoch auch weiterhin die Form der psychologischen Komödie. Jacob von Tyboe ist auf dem streng ausgewogenen Gegensatz zwischen dem Offizier und Säbelträger – skandinavisches Erbe der alten miles gloriosus Tradition – und dem unverbesserlichen Besserwisser Meister Stygotius aufgebaut, die sich um die Gunst der schönen Lucretia streiten. Holbergs Talent für linguistische Nachahmungen erhöht das Interesse an einem Stück, das durch seine ziemlich komplizierte Handlung oft schwerfällig wirkt, und überdeckt den vielleicht übertriebenen Gebrauch von der romanischen Literatur entnommenen Elementen. Der Unermüdliche (Den Stundesløse) bildet eine Art Gegenstück zu Die Unschlüssige; Holberg zieht dieses Mal die Schwäche eines gewissen Vielgeschrey ins Lächerliche, der mit gleichbleibender Nutzlosigkeit ununterbrochen hin- und hereilt, davon überzeugt, daß es von großer Wichtigkeit sei. Obwohl absolut untätig, ist die hektische Figur nicht mehr Herr ihrer selbst und wird von unzähligen imaginären Aufgaben auf Trab gehalten. Wie Molières Argan will er nur demjenigen seine Tochter geben, der seinem lästigen Wahn schmeichelt, und wird dabei durch Pernille, der dänischen Toinette, hinters Licht geführt. Unter diesen Stücken zählt Erasmus Montanus sicherlich zu den besten, in dem der Autor in der Figur des Rasmus Berg, eines jungen, in sein Heimatdorf zurückgekehrten Latinisten den Lernprozeß der Universität veranschaulicht. Die Komödie scheint bereits 1722 verfaßt worden zu sein, wurde aber erst 1731 veröffentlicht und 1747 zum ersten Mal aufgeführt. Sie wurde danach im nationalen Programm gespielt und seitdem ließ die Gunst des Publikums nicht nach. Holberg 2 20 Jean-François Regnard (1655–1709). Nach einem abenteuerlichen Leben (er war Sklave in Algier und reiste durch Lappland) schrieb er für das Italienische und das Französische Theater berühmt gebliebene Komödien (Le Joueur, 1696; Le Légataire universel, 1708). 10 hatte seinen Besserwisser wirklich meisterhaft vor dem Hintergrund eines dörflichen Milieus beschrieben: der Kirchendiener Per, ein Meisterstück an haarsträubender Ignoranz und Selbstgefälligkeit, die Eltern Jeppe und Nille Berg, ein wenig beschränkte, doch brave Bauern, der Bruder Jacob, ein solider Geist, ausgeglichen und von ländlicher Gesundheit, der Richter Jesper und die geduldige wie nachsichtige Verlobte Lisbeth; diese Leute sind alle lebensnah gezeichnet und besitzen einen echten ›Lebenszug‹ wie ihn der anspruchsvollste Naturalismus vertrat. Die Ankunft des Studenten verbreitet in dieser kleinen bäuerlichen, von der Außenwelt abgeschotteten Welt Unruhe; Erasmus gibt keine Ruhe, bis er nicht alle Dorfbewohner, die seines Wissens würdig sind, versammelt hat, um sich mit ihnen nach bester scholastischer Tradition zu streiten: mit gewaltigen Spitzfindigkeiten beweist er, daß seine Mutter ein Stein ist, daß er das Recht hat, seine Eltern zu schlagen und bringt es schließlich fertig, alle gegen sich aufzubringen. Besonders köstlich und aufschlußreich an schwarzem Humor, dessen Holberg fähig ist, ist die Szene, in der es unserem jugendlichen Besserwisser nicht gelingt, von seinen Gesprächspartnern anerkennen zu lassen, daß die Erde rund ist, wie es wahr ist, daß die beste Sache in den Händen bestimmter Leute aussichtslos ist. Erasmus wird seine Taten bereuen und mit seiner Heirat kehrt alles in die gewohnte Ordnung zurück, die Holberg viel bedeutete. Schauen wir uns einige Szenenstellen näher an, in denen wir schwarzen Humor und das komische Porträt des falschen Gelehrten finden, der in der Gelehrsamkeit eine rein formalistische Sache sieht. Ein Gelehrter ist jener, der durch Magie der Denkweise alles beweisen kann, was er ausspricht: Ich kann in gutem Latein über jegliches Thema streiten. Wird einer sagen, daß dieser Tisch ein Leuchter ist, werde ich es unterstützen; wird er sagen, daß das Fleisch oder Brot aus Stroh ist, so werde ich es auch unterstützen. Ich habe es schon mehr als einmal gemacht. Hier! Vater! Glaubt Ihr, daß derjenige, der viel trinkt, ein glücklicher Mensch ist? – Jeppe: Ich glaube eher, daß es ein unglücklicher ist, denn beim Trinken kann man seine Vernunft und sein Geld verlieren. – Montanus: Ich werde beweisen, daß er ein glücklicher Mensch ist. Quicumque bene bibit, bene dormit […] Nein, es stimmt, ihr versteht kein Latein; ich werde es auf dänisch sagen. Derjenige, der viel trinkt, schläft viel, stimmt es so? – Jeppe: Das stimmt; Wenn ich halb betrunken bin, schlafe ich wie ein Tier. – Montanus: Derjenige, der viel schläft, fischt nicht. Ist es nicht wahr? – Jeppe: Das stimmt, solange man schläft, fischt man nicht. – Montanus: Derjenige, der nicht fischt, ist glücklich! Mutter, ich werde Euch in Stein verwandeln. – Nille: Ah! bah! Das würde ich gern sehen! – Montanus: So hört also! Ein Stein kann nicht fliegen. – Nille: Nein, das ist sicher, es sei denn, man wirft ihn. – Montanus: Ergo, Mutter ist ein Stein (Nille weint). Warum weint Ihr, Mutter? – Nille: Oh! Ich habe solche Angst ein Stein zu werden! Meine Beine beginnen bereits, ganz kalt zu werden. – Montanus: Beruhigt Euch, Mutter! Ich werde Euch unverzüglich Eure menschliche Gestalt wiedergeben. Ein Stein kann weder denken noch sprechen. – Nille: Das ist wahr. Ich weiß nicht, ob er denken kann, aber sprechen, das kann er nicht. – Montanus: Mutter kann sprechen. – Nille: Ja, Gott sei gepriesen! Ich kann sprechen wie eine einfache Bäuerin. – Montanus: Gut. Ergo, Mutter ist kein Stein. – Nille: Ah! Das ist schon besser; ich finde mich langsam wieder. Wirklich, man benötigt solide Köpfe zum Studieren; ich verstehe nicht, wie eure Hirne das aushalten können. Jacob, von nun an wirst du im Dienste deines Bruders stehen; du wirst nichts anderes zu machen haben.21 Später erklärt Erasmus seinem Bruder, daß er sich nicht in einen Disput »mit einem miserablen Bauern wie dich« hineinziehen lassen will. Wenn du Latein könntest, würde ich dich zufrieden stellen. Ich bin es nicht gewohnt, in dänisch zu diskutieren. – Jacob: Heißt das, daß der Herr so gelehrt geworden ist, daß er seine Gedanken nicht mehr in seiner Muttersprache erklären kann […] Das wenige, was ich weiß ist so, daß die anderen Männer es verstehen können, wenn ich darüber spreche. – Montanus: Ja, du bist ein weiser Junge, Jacob! Was weißt du also? – Jacob: Und wenn ich beweisen könnte, daß ich gelehrter bin als der Herr? – Montanus: Das würde ich gern hören. – Jacob: Derjenige, der die wichtigsten Dinge studiert, hat, meiner Meinung nach, das tiefgründigste Wissen. – Montanus: Ja, das ist richtig. – Jacob: Ich studiere die Viehzucht und die Feldwirtschaft und darum bin ich gelehrter als der Herr. – Montanus: Du hältst also die grobe Arbeit eines Bauern für das Wichtigste? – Jacob: Ich weiß nicht, aber was ich weiß ist, wenn die Bauern die Feder oder die Kreide in die Hand nähmen, um die Entfernung von hier bis zum Mond zu messen, ja dann würde es euren Gelehrtenmägen bald schlecht ergehen. Ihr, die Gelehrten, 21 Erasmus Montanus, Akt II, Szene III. 11 ihr verliert eure Zeit damit, zu diskutieren ob die Erde rund, eckig oder achtseitig ist, währenddessen wir, wir studieren die Art und Weise das Land zu bestellen. Der Herr sieht also, daß unser Wissen nützlicher und wichtiger ist als das Eure und darum ist Niels Christensen der Gelehrteste des Dorfes, denn er hat seine Ernte dermaßen gesteigert, daß ein Quadratmeter 30 Taler mehr an Korn einbringt als zur Zeit seines Vorgängers, der den ganzen Tag mit der Pfeife im Schnabel damit verbrachte, die Seiten einer alten Chronik zu bekritzeln und zu knicken. – Montanus: Ah! Ich platze! Das ist der Teufel in Person, der spricht. Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, daß derartige Worte aus dem Mund eines kleinen Bauern kommen könnten, denn obwohl alles, was du sagst, falsch oder ungeheuerlich ist, bildet es nichtsdestotrotz eine wenig gewöhnliche Rede für jemanden aus deinem Stand. Sag mir schnell, wer erzählt dir diesen Unsinn? – Jacob: Ich habe nicht studiert, mein Herr, aber man sagt, daß ich ein schlauer Kopf sei. Der Richter kommt niemals ins Dorf ohne mich zu verlangen. Er hat meinen Eltern hundertmal wiederholt, daß sie mich studieren lassen müßten und daß man etwas Großes mit mir machen könnte. Wenn ich nichts zu tun habe, denke ich nach. Neulich habe ich ein Gedicht über Morten Nielsen geschrieben, der sich tot getrunken hat. – Montanus: Sag mir dieses Gedicht auf. – Jacob: Aber zuerst müßt Ihr wissen, daß der Vater und der Großvater dieses Niels Morten Fischer waren und beide ertrunken sind. Nun also das Gedicht: Morten Nielsen ruht hier Der es seinen Eltern gleich tat Die ihr Leben im Wasser verloren haben, Er ertrank im Schnaps.22 Es ist interessant festzustellen, daß Holberg der inhaltslosen Gelehrsamkeit die Landarbeit gegenüberstellt. Diese Idee werden wir später auch bei Voltaire finden, der ebenfalls davon überzeugt war, daß der Mensch geboren wird, um zu arbeiten und daß die Kultivierung der Erde mehr wert sei als die unnützen Spekulationen der Metaphysik. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man, daß Erasmus Montanus mehr als eine Charakterkomödie ist; der Dramatiker nimmt hier wieder Verbindung mit dem satirischen Dichter des Peder Paars auf: wir erleben eine neue Abrechnung zwischen Holberg und seinem alten Gegner, der noch vom mittelalterlichen Aristotelismus überzeugten Universität. Die gleiche satirische Ader bereichert noch eines seiner letzten großen Bühnenwerke, Ulysses von Ithaka. Die Erinnerung an Peder Paars und seinem Knecht Peder Ruus findet sich in dem traditionell erneuerten Paar von Don Quichotte und Sancho Pansa wieder: Ulysses und Chilian. Man kann sagen, daß unser Autor im burlesken Heraufbeschwören dieser beiden Wanderfiguren den Gipfel seiner dramatischen Kunst erreicht. Aber wenn er sich eben sosehr durch die Lebendigkeit seiner Ausdruckskraft wie durch die Treffsicherheit seiner Repliken auszeichnet, dann, weil er sich seiner Lieblingsübung aussetzt: der Parodie; einer genialen Parodie, die mit Polemik durchsetzt war: tatsächlich ging es Holberg darum, seinen großen Rivalen jener Zeit beim Publikum zu verspotten: das deutsche Theater, schwülstig, unwahrscheinlich romantisch, reich an pathetischen Situationen, die unermüdlich vervielfacht werden. Die Kasse des jungen Theaters war leer; die Aufführungen liefen unter schwierigen Bedingungen bis 1728 weiter; am 20. Oktober legte ein schreckliches Großfeuer einen großen Teil Kopenhagens in Schutt und Asche. Alle Vergnügungen wurden vorübergehend eingestellt und als König Frederik IV. 1730 starb, betrachtete sein Nachfolger Christian VI., ein strenger Pietist, das Theater als Teufelswerk. Holberg ließ seine Komödien drucken: Das dänische Theater (Den danske Skueplads) in fünf Bänden, 1723–1731. Als das Theater 1748 unter der Herrschaft Frederik V., einem Theaterliebhaber, wiedereröffnet wurde, schrieb Holberg noch sechs Stücke, die in den Bänden 6 und 7 versammelt wurden, 1753–1754. Unter diesen muß man Plutus oder der Prozeß zwischen Armut und Reichtum (Plutus eller Proces mellem Fattigdom og Rigdom) notieren, in dem Holberg Aristophanes’ Komödie gleichen Titels umwandelt. Die beiden Dramatiker geben dem vor Reichtum blinden Gott das Augenlicht wieder, damit dieser ihn nur an die Gerechten verteilt. Das führt bei Aristophanes zum Glück der Menschheit; die Götter dagegen leiden unter dem Fehlen von Opfern. Holberg verkündet, daß der Reichtum den Menschen verdirbt und daß das Volk sich mit dem zufrieden geben soll, was die Götter ihm gewähren. 22 Ebd., Akt IV, Szene IV. 12 Man kann die Bedeutung der Komödien Holbergs für das kulturelle Leben in Dänemark und Norwegen nicht hoch genug schätzen. Sie haben, vor allem für das königliche Theater in Kopenhagen, eine Komödien-Tradition begründet, die zur Entstehung von Komödienautoren in allen nachfolgenden Generationen beigetragen hat, so wie Heilberg (1791–1860), Hertz (1798– 1870), Wied (1858–1914) und Soya (1896–1962). Holberg hat die dänische Sprache mit einer Fülle unvergänglicher Wörter und Ausdrücke bereichert, unübersetzbar, da man sie mit der Erinnerung an eine Komödie verbinden können muß. Tatsache ist auch, daß die Lektüre dieser Komödien die gute Laune in Norwegen und Dänemark verstärkt hat. Da sie alle eine gute Geschichte erzählen, ist ihre Lektüre immer unterhaltsam und amüsant. Holberg, der sich der Qualität seines Werkes bewußt ist, entscheidet, es außerhalb des Königreichs zu präsentieren. Er reist 1725/26 in der Hoffnung nach Paris, dort seine Stücke aufführen zu lassen. Dies gelingt ihm nicht, aber Der politische Kannegießer (Den politiske kandestøber), den Holberg selbst ins Französische übersetzt, wurde zur gleichen Zeit wie vier andere Stücke, 1746 gedruckt, und für die Bedürfnisse der Opposition in den revolutionären Bewegungen zwei Mal überarbeitet; 1789 gedruckt und1800 in Paris aufgeführt. In Deutschland hatte Holberg jedoch einen schnelleren und umfassenderen Erfolg. J. C. Gottsched begann schon 1742 seine Werke zu übersetzen und seine Übersetzungen wurden immer wieder neu gedruckt. Die etablierten Theater und die Wanderschauspieler rissen die Komödien an sich, und bereits vor 1800 sind diese praktisch alle überall in Deutschland, von den Dörfern bis zu den Fürstenschlössern, von den Schulen bis zu den Universitäten, aufgeführt worden. Holberg wurde der wichtigste Komödienautor des deutschen Theaters im 18. Jahrhundert. Später entstanden immer wieder neue Übersetzungen. 5. Holberg, der Historiker Zwischen den zwei Phasen seines Lebens, in denen er für das Theater schrieb, hatte es nicht an Ereignissen gefehlt. 1728 veröffentlichte er den ersten Teil seiner Memoiren in Form eines an einen fiktiven adligen Korrespondenten gerichteten Briefes. Er schrieb in Latein, damit alle wissen sollten, daß Dänemark nun eine moderne und erzählende Literatur besaß, und, ohne falsche Bescheidenheit, daß er deren Autor sei. Aber er schildert auch in lebendigem und aufrichtigem Ton seine Auslandsreisen, unter anderem seine Reise nach Paris 1725/26. Seine poetische Begeisterung hatte sich in geschichtliche Begeisterung gewandelt. Von 1720 bis 1730 war er Professor für lateinische Literatur an der Universität Kopenhagen; ab 1730 hatte er den Lehrstuhl für Geschichte inne. Ausgestattet mit einem unglaublichen schöpferischen Talent, verfaßte er in seiner Sprache, nach verschiedenen Vorlagen, eine Reihe großer Werke, von denen zwei im Folgenden erwähnt werden sollen. Edward Chamberlayne hatte mit The Present State of Great Britain, 1669–1671, ein sowohl ernsthaftes als auch unterhaltsames Werk geschrieben, das oftmals nachgedruckt wurde. Holberg hatte dieses Buch bereits schon in Oxford benutzt. 1729 veröffentlichte er in dänisch ein gewaltiges Pendant zu diesem Werk: Die Beschreibung Dänemarks und Norwegens (Danmarks og Norges Beskrivelse), von dem 1749 eine neue Ausgabe erschien. Die deutschen Übersetzungen dieses Werkes erschienen 1730 und 1750. Holberg gibt sich in diesem großen Geschichtswerk nicht mit der Beschreibung des gegenwärtigen Staates der beiden Königreiche zufrieden; in fast allen Kapiteln geht er bis zu den Ursprüngen zurück; er stellt unter anderem die Geschichte des nationalen Charakters, der Regierung, der religiösen und universitären Einrichtungen, der sozialen Klassen, des Handels und des Finanz- und Justizsystems vor. Zu den meisten Themen existierte schon vor Holberg eine sachkundige Literatur, aber langweilig und formlos. Holberg entnimmt dieser, was er zur Zusammenstellung eines dokumentierten, ausgewogenen und gut geschriebenen Buches benötigt. Die Beschreibung Dänemarks und Norwegens läßt einen natürlich an das Siècle de Louis XIV. denken, das Voltaire gegen 1732 begonnen haben mußte und von dem er 1739 zwei Kapitel veröffentlichte, zehn Jahre nach Holbergs Werk; erst 1751 erscheint die erste komplette Ausgabe 13 des Siècle de Louis XIV. Genau wie Voltaire bleibt auch Holberg im Verarbeiten historischer Themen Schriftsteller; und ebenso wie sein französischer Kollege ersetzt er die Kriegshandlungen durch die Sittengeschichte. Von 1733 bis 1735 veröffentlicht Holberg in drei Bänden eine imposante Geschichte des Reiches Dänemark (Danmarks Riges Historie), dessen deutsche Übersetzung 1743–1744 erschien. In diesen drei dicken Bänden, die Epoche machen, realisiert Holberg, was kein anderer dänischer Historiker vor ihm getan hatte. Er erfüllt das Ideal der Renaissance, indem er kritische Denkweise und Kunst der Darstellung miteinander verbindet, um sich doch gleichzeitig voll und ganz als Mann seiner Zeit zu bestätigen. Dem alten Geist weniger untergeordnet als seine Vorgänger, nahm er einen freien Sitz in den Regierungen Christian IV. und Frederik III. an. Bis zur Epoche Frederik II. stützt er sich auf Huitfeldt 23, ohne den Vorurteilen, politischen Urteilen, etc. zu verfallen. Um die nachfolgende Periode schildern zu können, muß er zahlreiche nicht veröffentlichte Archivdokumente durchsehen. Er zeigt sich deutlich mehr an der Entwicklung der Zivilisation als an militärischen und diplomatischen Ereignissen interessiert; so finden die kriegerischen Taten, die die Wikinger im Krieg vollbracht haben, weniger seine Aufmerksamkeit, als vielmehr die Vermischung der Sprachen, die man in England nach ihren Feldzügen beobachtet, und er versteckt auch nicht seine Vorliebe für ›nützliche‹ Könige. Auf ähnliche Weise vermeidet er sorgfältig die Klippen des übersteigerten Patriotismus, vor allem in den Passagen zu den dänisch-schwedischen Kriegen, die zurückhaltender als die übrigen gehalten sind. Ebenso modern ist die perfekte Harmonie von Technik und Präsentation mit dem pädagogischen Ideal der Aufklärung. Das Werk ist gut dokumentiert ohne zu detailliert zu sein und glänzt durch seine klare Sprache, der Zugänglichkeit des Wortschatzes und durch den lebendigen Stil; der Autor, erklärter Gegner der Besserwisserei, erweist sich als hervorragender Populärwissenschaftler – überzeugende Porträts, angemessene Zeiteinteilungen, zweckmäßige Gliederungen, die Kunst, die großen Linien herauszuarbeiten, großzügige Zusammenfassungen, tragen zu einer angenehmen und lehrreichen Lektüre des ersten wissenschaftlichen Werkes bei, das in Dänemark ein populärer Klassiker wurde. Im letzten der drei Bände legt er seine Geschichtsphilosophie dar, die gleichzeitig seiner Art, eine moderne Geschichte zu schreiben, entspricht. Wir können daraus das Bild des schlechten Historikers entnehmen, der sich über die Zeremonien der Krönungen ausläßt und die Kriegsschlachten beschreibt: zu Friedenszeiten aber kratzt er sich am Kopf und beschwert sich darüber, daß sich nichts Bemerkenswertes ereigne. Holberg hatte dieses Vorhaben also hervorragend gemeistert, das er selbst als »hoffnungslos« bezeichnete – nicht ohne hinzuzufügen, daß er Schwierigkeiten gewohnt sei und die Tatsache, seine Kräfte zu messen, ihn angespornt hatte. Doch weder die umfangreichen Lektüren des Autors, noch sein bemerkenswerter Sinn für Synthesen können die Grenzen des Werkes, die an die Epoche gebunden sind, verbergen. Der Quellenkritik, die nur auf logischem Verstand und Menschenkenntnis basierte, fehlte es noch an erforderlicher Methodologie, und der Historiker erweckt weniger die Vergangenheit zu neuem Leben, als daß er sie mit seinem Maß beurteilt, der Vernunft seiner Zeit entsprechend. Holberg, der darüber ähnlich wie Voltaire denkt, erscheint eher als bemerkenswerter Essayist mit selbstbewußtem Stil denn als Wissenschaftler im modernen Sinn. Dennoch erneuert er die Geschichtsschreibung, indem er mehr Intelligenz und Lebendigkeit einbringt. Diese Qualitäten finden sich in seinen lateinischen, zum pädagogischen Gebrauch bestimmten, Büchern wieder, wie das Handbuch in Form von Fragen und Antworten, das er 1733 für den Gebrauch seiner Studenten veröffentlicht (Synopsis historiae universalis). Später veröffentlicht er noch mehrere markante Werke, die alle über seine humanistische Philosophie Aufschluß geben. In der Beschreibung der berühmten norwegischen Handelsstadt Bergen (Den berømmelige norske Handels-Stad Bergen Beskrivelse) von 1737 zeichnet er das Bild seiner Kindheitsstätte, die es ihm erlaubt, seinen norwegischen Patriotismus und seine Achtung der bürgerlichen Moral, die Arbeit und Geld schätzte, zum Ausdruck zu bringen. Er 23 Arild Huitfeldt (1546–1609), dänischer Historiker. Er veröffentlichte zwischen 1595 und 1604 eine Geschichte des Königreiches in zehn Bänden. 14 erinnert gern daran, daß er aus einem alten Kulturland stammt, und wenn er sein Mißfallen über die Bestimmungen von 1536 zum Ausdruck bringt, die aus ihm ein »Mitglied Dänemarks« werden ließen, so begrüßt er im Gegensatz die Konstitution von 1660, die gesetzliche Billigung der Gleichheit zwischen den beiden Völkern; und er versteckt nicht weniger seine Schwäche für Christian IV., den heiteren König, dessen Fürsorglichkeit gegenüber Norwegen bekannt ist. Holberg und Voltaire gehören der gleichen Historikergeneration an und sie besaßen die gleichen französischen Lehrmeister: de Thou mit der Geschichte meiner Zeit, Père Daniel mit der Geschichte Frankreichs und Rapin de Thoryas, ein nach England emigrierter Hugenotte. Die zahlreichen Bände seiner Geschichte Englands erschienen 1724 in Den Haag und wurden 1725 ins Englische übersetzt. Dieses Buch bringt Holberg dazu, sich mit dem psychologischen Rätsel von Cromwell zu befassen. Später versucht er, ein anderes historisches Rätsel, jenes von Mahomet zu ergründen. Je nach seiner Lektüre, versucht er Alexander den Großen mit Charles XII. zu vergleichen, Christian IV. mit Peter dem Großen, Corfitz Ulfeld mit Griffenfeld etc. Holberg nahm die französische Version zum Vorbild, als er mit unglaublicher Schnelligkeit die Geschichte Dänemarks schrieb. Der wesentliche Teil ist dem Studium der Sitten gewidmet, sowohl des Einzelnen wie auch der Völker, dieses Prinzip ist sehr deutlich in den nachfolgenden geschichtlichen Werken von Holberg zu erkennen: Allgemeine Geschichte der Kirche von den Anfängen des Christentums bis zur lutherischen Reform (1738) und die Geschichte der Juden (1742). In diesen zwei Werken entfalten sich Holbergs milde Weisheit, seine Toleranz und sein freiheitlicher Geist voll und ganz. Unter seiner Feder werden in seinem sehr persönlichen Panorama der Entwicklung des Christentums Tugenden und Schwächen gerecht verteilt: weder sind alle Ketzer Handlanger des Teufels, noch sind alle Kirchenväter Heilige. Holberg, der nebenbei seine Verachtung für die besonders autoritäre Vorgehensweise des mittelalterlichen Klerus äußert, zeigt deutlich die Zusammenhänge, die die Kirchengeschichte und die politische Geschichte verbinden. Dieses Werk von sehr freiem Ton wurde günstig aufgenommen und bildete somit ein sicheres Zeichen der Entwicklung der Mentalitäten. Ein anderes schönes Beispiel für den toleranten Humanismus ist sein Werk über die jüdische Geschichte, dessen persönliche Aussage – Verdammung des Fanatismus und Ablehnung jeglicher Diskriminierung – eines aufgeklärten Philosophen wie Holberg würdig ist. In seinem geschichtlichen Werk hat Holberg sicher nicht die moralisierenden Sorgen eines Voltaire, er zielt auch nicht direkt auf die Meinungen seines Jahrhunderts. Und doch ist das moralische Urteil in ihnen niemals abwesend: er übt sich immer in der Kritik der Charaktere. Als Historiker ist er auch Philosoph und Moralist. 6. Holberg, der Philosoph Gegen 1740 erwacht Holbergs Vorstellung von einem neuen Leben: der Ausgangspunkt ist nun philosophischer Art. Er will Montesquieu und Voltaire im Kampf gegen den religiösen Fanatismus, die Verfolgung und die Folter im Namen der Religion, unterstützen. 1741 läßt er in Leipzig einen sogenannten Reisebericht in Latein, Nicolai Klimii Iter subterraneum anonym veröffentlichen; dieser Roman wurde schnell in mehrere Sprachen übersetzt. Niels Klims unterirdische Reise erlaubt seinem Autor unter dem Deckmantel der barocken Phantasie eine Anzahl sich im Inneren der Erde befindlicher Planeten zu beschreiben, auf denen verschiedene Gesellschaftsformen herrschen. Die Hauptfigur, ein norwegischer Theologiestudent, entdeckt zuerst Potu, Anagramm von Utopie. Er lehnt jedoch voller Vorurteile und vorgefaßter Ideen, die ›Merkwürdigkeiten‹, von denen er Zeuge wird, ab, selbst jene, die Holberg als konform gegenüber Vernunft und Menschlichkeit beurteilt. In Potu angekommen, zeigt er nur Unverständnis gegenüber den Bürgern, die die Langsamkeit und den Ernst preisen, die höchsten Ämter den Frauen anvertrauen, wenn sie ihrer würdig sind (denn sie beurteilen nur den Verdienst), und die sich den disputationes aus Vergnügen hingeben, einer amüsanten Form des Volksvergnügens – auf die man in der barbarischen Zeit großen Wert gelegt hatte, wie man dem 15 empörten Klim erklärt, aber die Erfahrung hatte gezeigt, daß diese Wortgefechte nur die Wahrheit verdunkelten, und so hatte man sie unter die Zirkusspiele verbannt. Eine andere Merkwürdigkeit in den Augen des Reisenden ist der große Respekt, den die Potuaner gegenüber den Bauern, Pflegeväter aller Bürger, zeigen; im Gegenzug internieren diese bis zu völliger Heilung die Verrückten, die über das Wesen und die Eigenschaften Gottes diskutieren. Eine Art minimaler Glauben vereint dieses Volk: man einigt sich darauf, an einen einzigen Gott, Souverän, Schöpfer aller Dinge – und unbegreiflich, zu glauben. Von dieser gemeinsamen Plattform aus können sich verschiedene religiöse Empfindungen frei entwickeln, ohne daß jemand für seinen Glauben verfolgt wird. Diese tolerante Theologie ist dennoch kein reiner Deismus: die Naturreligion muß durch die Offenbarung vervollständigt sein; jene ist in einem Buch niedergeschrieben und bildet einen unentbehrlichen Halt in Anbetracht der Nachlässigkeit der Menschen und der Irrtümer, der sie sich schuldig machen. In der Politik sind Meinungs- und Glaubensfreiheit ebenfalls garantiert – in Potu. Es gibt keine Adligen und Bürgerlichen mehr, ein Unterschied, der einstmals Ursprung des Unfriedens war; der Fürst hat alle an die Geburt gebundenen Vorrechte abgeschafft, nur Rücksicht auf Tugend und Nützlichkeit nehmend, und zwischen den Menschen regiert eine gerechte Gleichheit, soweit es die Sicherheit des Staates erlauben kann. Der Fürst ist die einzige Person, gegen die zu Lebzeiten kein Prozeß geführt werden darf, aber dafür ist die auf seinem Grab angebrachte Inschrift der Nachwelt überlassen und besitzt somit den Wert einer posthumen Sanktion – und den Stachel für seine Nachfolger. Unter den schlechten potuanischen Fürsten gab es einstmals einen Eroberer; nach seinem Tod gaben die Bürger das unrechtmäßig erworbene Territorium zurück. Die potuanische Universität verdient es, kurz betrachtet zu werden. Die nützlichen Wissenschaften, wie Geschichte, Mathematik, Ökonomie und Rechtswesen stehen dort hoch in der Gunst, aber es gibt keine theologische Fakultät, denn alles Dogmatische kann in knapper und prägnanter Form auf ein oder zwei Seiten dargelegt werden, und es ist verboten, über die Religion zu diskutieren. Es gibt auch keine medizinische Fakultät, denn die Genügsamkeit der Bewohner bewahrt sie vor Krankheiten. Die Metaphysik und andere transzendentale Wissenschaften sind selbstverständlich verbannt. Jeder muß es bei einer präzisen Wissenschaft bewenden lassen, und die Doktoren sind verpflichtet, jedes Jahr ihr Wissen unter Beweis zu stellen. Kein Gelehrter kann vor Vollendung des 30. Lebensjahres publizieren, denn es erscheint wünschenswert, nur wenige Werke, jedoch von ausgesprochen hoher Qualität, zu besitzen. Die Redekunst ist mit Ausnahme der Juristen, verbannt; die Wahrheitssuche soll in heiterem und angenehmen Ton erfolgen. Das Duell ist untersagt. Es existiert jedoch eine gewisse Form der Zensur an der Universität, da man unter den Doktoren »Professoren des guten Geschmacks« ernennt, die dafür sorgen, daß man den Geist der jungen Leute nicht für Belanglosigkeiten beansprucht, keine banalen Werke veröffentlicht werden und die Idioten von der akademischen Welt ferngehalten werden. Die Hauptfigur landet anschließend auf dem Planeten Nazar, wo sie ein Volk entdeckt, das nach den Gesetzen der Vernunft und der Natur lebt. Die Bauern werden als die nützlichsten Bürger geschätzt und folglich auch als die bedeutendsten des Staates; eine große Anzahl höchster Ämter sind Frauen anvertraut, die den Männern in allem und überall ebenbürtig sind. Aber während seiner Reise auf dem Planet besucht Niel Klim Gegenden, in denen die Autoritäten jene unterdrücken, die sich im Bereich der Religion von der Orthodoxie entfernen. Im Land Mardak haben die Bewohner, obwohl von gleichem Körper, Augen von verschiedenen Formen. Die zahlreichste und mächtigste Klasse ist jene der Nagiri, das heißt jener, die längliche Augen besitzen und dementsprechend alle Dinge so sehen. Sie allein stellen die Gouverneure, Abgeordneten und Priester des Staates. Sie allein haben die Macht in ihren Händen und erlauben keinem Angehörigen eines anderen Stammes den Zutritt zu den öffentlichen Ämtern, es sei denn, jener erkenne an, daß ein bestimmtes, der Sonne geweihtes Bild, das im Allerheiligsten des Tempels aufgestellt ist, ihm länglich erscheine. Diese Aussage muß durch einen Schwur bekräftigt werden. Dieses Bild ist der wichtigste Gegenstand des mardakischen Kultes. Die ehrbaren Bürger, die es ablehnen, die Straftat des falschen Schwurs zu begehen, werden ihrer 16 Würde beraubt und sind ständigen Beleidigungen und Verfolgungen ausgesetzt. Obwohl sie beteuern, daß sie nicht auf die ehrliche Aussage ihrer Augen verzichten können, beklagt man sich über sie und macht für diesen Fehler der Natur ihre Boshaftigkeit und ihren aufsässigen Geist verantwortlich. Hier ungefähr die Formulierung des Schwures, den jene, die zu Ämtern und Ehren gelangen wollen, sprechen müssen: Ich schwöre, daß mir das heilige Bild der Sonne länglich erscheint und ich verspreche, bis zu meinem letzten Atemzug auf dieser Aussage zu beharren. Dieser Schwur öffnet den Weg der Ehre und das Tor zum Stamm der Nagiri. Ich betrat diesen Sonnentempel, um herauszufinden, ob ich orthodoxe Augen hatte. Da auch mir dieses Bild quadratisch erschien, gestand ich dies arglos meinem Begleiter, der mir mit einem tiefen Seufzer erklärte, daß er derselben Ansicht sei aber nicht wage, es jemandem anzuvertrauen, aus Angst, der regierende Stamm könnte ihm Scherereien bereiten und ihm seine Stelle entziehen. Zitternd und stumm verließ ich diese Stadt, in der Befürchtung, daß mein Rücken für das Verbrechen meiner Augen bezahlen müsse, oder, daß ich, versehen mit dem abscheulichen Namen Ketzer, auf schändliche Weise ausgewiesen würde. Gibt es eine schrecklichere, barbarischere, ungerechtere Institution? Nur die Heuchelei, der falsche Schwur, führt zu Ehren? Zurückgekehrt in das Fürstentum der Potuaner (das heißt, der idealen Nation), brachte ich jedes Mal, wenn ich dazu Gelegenheit hatte, meine Verbitterung gegen einen so barbarischen Staat zum Ausdruck. Als ich einem meiner Freunde, erfüllt von meiner üblichen Wut, meine Empörung darlegte, begann er mir folgendes zu sagen: »Wir anderen Potuaner beurteilen diese Institution der Nagiri ebenfalls als dumm und ungerecht, aber du, du mußt dich nicht wundern, daß diese Unterschiedlichkeit der Ansicht eine so große Strenge hervorruft. Wenn ich mich richtig erinnere, hast du uns berichtet, daß in den meisten Staaten Europas Parteien an der Macht sind, die für einen angeborenen Fehler der Sicht oder der Vernunft, die anderen blindwütig mit Eisen und Feuer zerstören. Du hast die Zwänge dieser Art als fromm bezeichnet und, in gewissem Maße, den Staaten nützlich«. Als ich verstanden hatte, in welche Richtung seine schelmischen Worte zielten, entfernte ich mich, rot im Gesicht, und von diesem Moment an urteile ich, ständiger Herold der Toleranz, besonnen über jene, die sich irren. Seine fantastische Rundreise weiterführend, erreicht Nils Martinia, eine kaum verschleierte Karikatur Frankreichs. Dort tummelt sich ein Volk lebendiger und wankelmütiger Affen, die eine Idee genau so schnell aufgeben wie sie sie sich ausgedacht hatten. Prahlerei, Unterhaltungssucht und Oberflächlichkeit sind die wesentlichen Merkmale dieser Nation, die nicht zögert, Niels für seine Kenntnisse in der Kunst des Perückenmachens zu adeln. Zum Schluß erreicht unser Reisender das Land Quama, in dem unschuldige Wilde im Naturzustand leben. Dort wird der junge Reisende zum Kaiser bestimmt, aber wieder abgesetzt, da er eine Gesetzgebung europäischen Geistes einzuführen gedachte und Kunst und Kultur fördern wollte; seine überstürzte Flucht führt ihn in eine Höhle, von der er wieder auf die Erdoberfläche, nicht weit von Bergen, gelangt. Den Rest seines Lebens verbringt er als Glöckner in seiner Stadt als Ende seiner Abenteuer, das in der besten Tradition von Thomas More, Montesquieu oder Swift steht. Dieses faszinierende Science-Fiction Werk wurde innerhalb kürzester Zeit ins Deutsche, Niederländische, Französische und Englische übersetzt und 1742 in eine fünfte Sprache: ins Dänische und später dann in viele andere Sprachen. 1787 veröffentlichte Casanova einen Roman in französisch: Icosaméron, in dem ein Bruder und eine Schwester sich zwanzig Tage lang – siehe das Dekameron – ihre Abenteuer auf einem Planeten inmitten der Erde erzählen; dieses Buch orientierte sich ohne Zweifel an Niels Klim. In The Fall of the House of Usher von Edgar Allan Poe (Tales, 1840), befindet sich Niels Klim unter den Büchern, die Roderick Usher liest. Dieses Werk hat bis in unsere heutige Zeit, in der die Utopie blüht, nichts an seinem Reiz verloren. Es trägt den Namen Holberg am weitesten in die Welt. In Dänemark lieferte Niels Klim das Thema für einen großen Fernsehfilm, der 1984 gedreht wurde. In Kopenhagen hatte Niels Klim eine gewisse Unruhe entstehen lassen, denn man dachte, daß das Werk gegen die dänische Kirche gerichtet sei, die durch das strenge Christentum Christian VI. beherrscht wurde. Im dritten Teil seiner Memoiren, die 1743 erschienen, beklagte sich Holberg über die gehässigen Kommentare, die Niels Klim in Kopenhagen erhalten hatte. 17 Schon mit seinen 1737 erschienenen lateinischen Epigrammen hatte Holberg (bereits 53 Jahre) seinen Willen bekundet, wieder an die satirische und moralisierende Ader seiner Jugend anzuknüpfen. Sein unstillbarer intellektueller Wissensdrang führt ihn zur Philosophie zurück, die er zugunsten der Geschichte einen Augenblick lang vernachlässigt hatte. Im Laufe der letzten zehn Jahre seines Lebens wird er zwei Serien kurzer, aber sehr zahlreicher Essays in Buchform veröffentlichen, in denen er seine persönlichen Ansichten, zumeist Themen seiner Lektüren betreffend, darlegt und damit die Grundlagen einer neuen literarischen Form in Skandinavien schafft. 1744 erscheinen die Moralischen Gedanken (Moralske Tanker). Ihr Stil ist besonders gewählt, so wie die Epigramme, die Holberg ihnen des öfteren voranstellte. Der Schriftsteller, zu jenem Zeitpunkt 60 Jahre alt, besaß eine wahre philosophische Begeisterung. Seine bevorzugten Autoren waren Seneca und Montaigne, und mit unglaublichem Elan, in einer Art Wettstreit mit seinen Meistern, schrieb Holberg seine Moralischen Gedanken, sein schönstes Prosawerk. Seiner Ansicht nach hat jeder Mensch das Recht und die Pflicht, sich der Vernunft zu bedienen, die ihm Gott gegeben hat, Ideen kritisch zu prüfen und sich eine eigene Meinung zu verschaffen, vor allem wenn es sich um religiöse Fragen handelt. Holberg äußert sich, indem er das Paradox pflegt. Er denkt, daß man die Kinder und Ketzer zuerst das lehren muß, was in der christlichen Religion dem Naturgesetz entspricht und für später die Geheimnisse der Offenbarungsreligion aufhebt, denn jener der die Theologie lernt, bevor er gelernt hat ein Mensch zu sein, wird niemals ein Mensch werden. Ob von religiöser oder philosophischer Inspiration, die Gedanken präsentieren sich dem Leser meistens als strenge Argumentationen, die sich jedoch widersprechen. Wir sehen Holberg dort mit Geschick, Unbeschwertheit und manchmal mit Schärfe spielend leicht umzugehen, mit dem Paradox, auf das Niveau einer Arbeitsmethode gehoben. Indem er sich ganz offensichtlich an ein begrenztes Publikum wendet, bereitet es ihm Vergnügen, sich über Vorurteile hinwegzusetzen, die Heuchelei seiner Zeitgenossen ohne Rücksicht, die einst die Komödien verlangten, aufzudecken. Die angesprochenen Themen scheinen auf den ersten Blick genauso uneinheitlich zu sein wie ihre Anordnung; aber nach dem ersten Lesen bemerkt man, daß die Gedanken damit enden, in scheinbar nachlässiger Vorgehensweise ein ganzes philosophisches System zu umreißen, das in einer Kreuzung fröhlicher und pragmatischer Weisheit mündet. Die Ausführungen über das falsche und das wahre Mitleid, die Beziehungen von Geist und Körper, die Natur des Glaubens, die aufgezwungene Religion, innerhalb derer sich die Theologie und die Philosophie des Naturrechts gegenüberstehen, wechseln ab mit Betrachtungen über die Reformen, die Gerichtsbarkeit oder die Tugenden und die Laster, den Ehrgeiz, die Eitelkeit, sich in Gesellschaft zu zeigen, die Eheinstitutionen, die Lage der Bauern, etc. So tauchen bereits schon in den Satiren oder Komödien seiner Jugend vorhandene Thesen wieder auf, jedoch nun verstärkt in didaktischer Absicht, vertieft durch Menschenkenntnis und Lektüren des gelehrten Wissens. Um die Jahrhundertmitte war Holbergs Name in den südlich von Dänemark liegenden Ländern bekannt. Zwei deutsche Übersetzungen der Moralischen Gedanken erschienen schon 1744, eine niederländische 1747 und eine französische 1748. Die Autobiographie Holbergs wurde 1748 ins Deutsche, 1765 ins Niederländische und 1827 ins Englische übersetzt. Seine Einführung in das Natur- und Menschenrecht (Introduktion til Natur- og Folke-Rettens Kundskab) von 1716 wurde 1748 auf deutsch veröffentlicht. Holberg, dessen Laufbahn als Schriftsteller mit den Deutschen als Vorbild begonnen hatte, ist nun also ihr Meister geworden. Ihr großer Dramatiker Lessing begann als Schüler Holbergs. Lessings Stück Der junge Gelehrte, das 1748 aufgeführt wurde, wurde in der Tat von Erasmus Montanus angeregt. Über seine Episteln, 539 an der Zahl, sagte Holberg: »Der Stil ist gar nicht so kunstvoll wie in meinen Moralischen Gedanken, aber das muß so sein«. Die beiden ersten Bände des vom Autor bewußt populär angelegten Werks, erschienen 1748, die beiden folgenden 1750 und ein fünfter Band erschien nach seinem Tod 1754. Dieses Tagebuch von gewaltigen Ausmaßen wurde von 18 seinem Autor oftmals über Tage hinweg geführt, so daß sich eine treue Chronologie seiner verschiedenen intellektuellen Beschäftigungen ergibt. Der Ton ist deutlich anders als jener der Gedanken; Holberg vermeidet es, die Meinung seines Lesers zu erschüttern und bemüht sich, Extreme zu vermeiden; er bevorzugt das richtige Maß. Es werden darin seine Lektüren reflektiert; nicht nur Zitate sind reichlich vorhanden, sondern auch einige Episteln, die als Widerlegungen konzipiert sind. Holbergs großer Protagonist ist zweifelsohne Bayle24, dessen Dictionnaire historique et critique kein Geheimnis für ihn barg. Holberg hat tatsächlich den Glauben verloren, den er noch in den Gedanken besaß, an die von Leibniz25 festgesetzte Harmonie unter dem Aspekt der Theodizee. In seinen Gedanken glaubte Holberg noch, daß Gott eine gerechte Welt geschaffen habe, trotz der Unglücksfälle, die seine Geschöpfe betrafen. Aber in seinen Episteln beginnt er daran zu zweifeln. Der Philosoph Pierre Bayle hatte die Frage in verschiedener Form in seinem Dictionnaire gestellt, dessen erste Ausgabe 1696 erscheint. Er fragte, wie es dazu kommen könne, daß ein allwissender, allmächtiger und unendlich guter Gott erlaube, daß so viel Unheil in der Welt angerichtet wird. Bayles Vorwürfe verunsichern Holberg, aber letzterer verteidigt sich dennoch gegen Bayles Verlockung, für seinen Geschmack zu gottlos, und sucht sein Heil in neuen Lektüren und ganz besonders im englischen Deismus. Die Bibel fehlt ebensowenig in dieser leidenschaftlichen Debatte. Der Autor wird mehrfach seine Argumente der Offenbarung entnehmen, um seine Treue zum Christentum bewahren zu können. Folgen wir der Entwicklung seiner Denkweise. In den beiden ersten Bänden der Episteln von 1748 erkennt Holberg an, daß es ziemlich schwierig ist, das Schicksal der Menschheit mit der Idee der göttlichen Gerechtigkeit in Einklang zu bringen, aber in den beiden folgenden Bänden von 1750 kapituliert er und wendet sich der Offenbarungsreligion zu, nach der Gott ein vollkommen gutes Universum geschaffen hat und das ganze Übel der Welt von den Straftaten unserer Stammeltern herrührt. In einer kuriosen Fabel, die zu seinen Moralischen Fabeln (Moralske Fabler), 1750, zählt, scheint Holberg von dem Gedanken angetan zu sein, daß die Welt aus zwei Gottheiten gleicher Stärke entstanden sei: dem Gott des Lichts und dem Gott der Finsternis. In Bayles Dictionnaire gab es einen großen Artikel über die Manichäer, eine alte persische Sekte, die diesen Glauben vertritt. In Holbergs Fabel leben Würmer in einem Käse und sind auf zwei Mächte angewiesen: Margarete, die Milchfrau, und die Ratte Glirus. Die Epistel von Holberg beweisen seinen universellen Wissensdrang. Er spricht in ihnen von der Vereinigung der »Francs-Maçons«, von der er vermutet und befürchtet, daß sie eines Tages ein Staat im Staate sein werden: er interessiert sich für die Beschreibung Chinas von Duhalde, einem großen Werk, das 1735 erschien, und das ihn zu einer Reihe von Artikeln über China, besonders über die Bedeutung, die die Chinesen der Landwirtschaft zuwiesen, inspirierte. Die Literatur besaß ebenfalls ihren Platz in den Episteln. Die – offen gesagt nur teilweise – Lektüre des Télémaque von Fenelon (1699) motiviert ihn zu einer hervorragenden Studie zur romanesken Ästhetik. Jene der Ilias erweckt auf indirekte Weise den Geist der Geschichte, aber nach der Wiedereröffnung des Theaters in Kopenhagen 1748, werden sich die Beweise mehren, die sein wieder erwachtes Interesse für die dramatische Kunst widerspiegeln: er liest Theatererzählungen wie die Komödien von Aristophanes. Andere Male sind es Sammelwerke, die ihm als Ausgangspunkt zu Entwicklungen dienen, die aber oftmals zu subjektiv und überladen sind. So bringt ihn der Traité de l’opinion von Le Gendre dazu, über das geistige Leben bei den Menschen und den Tieren, gesehen durch die Anciens und die Modernes, zu improvisieren. Oder die Encyclopedie von Chambers veranlaßte 24 Pierre Bayle (1647–1706), französischer Autor. Seine Analyse des volkstümlichen Aberglaubens (Pensées sur la comète) und sein Dictionnaire kündigen den philosophischen Geist des 18. Jahrhunderts an. 25 Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), deutscher Philosoph und Mathematiker. Für ihn geht alles von Gott aus, dessen Existenz beweisbar ist: Es ist Gott, der die möglichen Wesen und ihre Verbindungen schafft; letztere bilden die Harmonie der Welt, welche festgelegt ist, und unterliegen einer dem Menschen zugänglichen Metamathematik (Theodizee, 1710). 19 seine Artikel über Tanz und Tabak. In anderen prangerte er den Aberglauben und die Hexerei an, nachdem er einige Beschreibungen über Lappland und das Werk von Hans Egede, Apostel aus Grönland, gelesen hatte. Der fesselndste Aspekt der Episteln ist jener, wo Holberg, nicht ohne einen Hauch gewollter Naivität, sich dem Leser in Bezug auf seine Lebensweise, die Wechselfälle des hohen Alters, seine Komödien, seine geschichtlichen Werke oder seine Übersetzungen anvertraute. Und wir erahnen den Menschen, der dieser unverbesserliche Kritiker der anderen war, dieser satirische Verrückte, dessen geistige Strenge nicht ohne eine gewisse Trockenheit war, und der Mensch zeichnet sich hinter dem Werk ab, das zweifellos eines der beachtlichsten seines Jahrhunderts wie seines Landes war. Das wichtigste Werk des Jahrhunderts in den Augen Holbergs ist das Werk von Montesquieu, das er besonders in der Epistel 520 besprochen hat. Hatte er sich bei der Lektüre der Lettres persanes vergnügt, so nimmt er die Considérations sur la cause de la grandeur des Romains et de leur décadence viel ernster und liest den Esprit des Lois (1748) mit der größten Aufmerksamkeit. Den Considérations von Montesquieu stellt Holberg ein auf französisch geschriebenes Heft gegenüber, 1752 in Leipzig veröffentlicht: Conjectures sur les causes de la grandeur des Romains. Nouvelle hypothèse opposée à quelques autres ci-devant publiées sur le même sujet. Holberg denkt, daß Montesquieu und die anderen nur nebensächliche Ursachen entdeckt haben. Er selbst glaubt, den entscheidenden und allgemeinen Grund des römischen Wunders in diesem Enthusiasmus gefunden zu haben, der die römische Rasse belebte: diese »Begeisterung, die den Geist erfüllt, und die Vorstellungskraft steigert, und jeden, der von ihr gefangen ist, überraschende und außergewöhnliche Dinge sagen und tun läßt«. Er findet dieses gleiche starke Gefühl als Ursprung des peruanischen Reiches und der islamischen Expansion wieder. Nur wenige Bücher haben einen so aufsehenerregenden Erfolg gehabt wie der L’Esprit des Lois von Montesquieu. Einen Skandalerfolg, teilweise. Die Kritiken stiegen sofort in den Journalen oder in Form von Heften an. Das Interesse war so groß, daß die Buchhändler verschiedene Artikel in kleinen Mengen zusammenstellen konnten. Holberg entschied, seine Stimme mit jenen der anderen zu vereinen. Holberg hielt sich gegen Ende seiner literarischen Laufbahn für einen europäischen Autor, der sich mit den größten Geistern unter seinen Zeitgenossen befaßte. In seiner Epistel 520 kommentiert er die Ideen von Montesquieu. Er schreibt, in einem ein wenig komischen französisch, ein kleines Buch: Remarques sur quelques positions qui se trouvent dans L’Esprit des Lois, 1753 in Kopenhagen veröffentlicht. Holberg erkennt das große Werk von Montesquieu als Meisterwerk an, und, da er die zwei Bücher über die Religion vorbehaltlos bewundert, hat er die Absicht eine dänische Übersetzung anzufertigen. Bei der Ausführung dieses Projektes läßt er es jedoch dabei bewenden, das Kapitel 13 des XXV. Buches zu übersetzen. Holberg hatte eine Revolution erlebt, die tiefen Eindruck auf ihn machte. Der Wandel Rußlands durch Peter den Großen, 1725 verstorben, hatte ihm den offenkundigen Beweis erbracht, daß das Glück eines Staates im Wesentlichen das Werk seines Herrschers ist. Deshalb protestiert Holberg gegen die Theorie von Montesquieu, nach der das Klima den Charakter eines Volkes beeinflussen kann. Er hat bereits schon öfter in der Geschichte wie auch in seiner eigenen Zeit festgestellt, daß, obwohl das Klima eines Landes gleich blieb, sich trotzdem der Geist seiner Bewohner verändert hatte. Daraus schlußfolgerte er, daß es die Gesetze, also die Regierung, der Souverän sind, die die Seele eines Volkes formen. Die Kritiker Montesquieus empörten sich hauptsächlich über das Prinzip der der Demokratie vorbehaltenen »Tugend«. Die meisten hatten den Sinn des Wortes mißverstanden, der bei Montesquieu politische Tugend, »Vaterlandsliebe«, genauer »Liebe zu den Gesetzen« bedeutete. Holberg rückt den Begriff vielleicht zu nah an jenen des heroischen Patriotismus heran, wenn er Montesquieus These das historische Beispiel der Römer gegenüberstellt: Am Anfang wurden jene von Königen beherrscht, deren Macht durch Gesetzte eingeschränkt war. Das bezeichnet Montesquieu als Monarchie, deren Prinzip nicht die Tugend, sondern der Ehrgeiz ist. Aber die Geschichte macht deutlich, daß die Römer niemals so viel Tugend, so viele heldenhafte Eigenschaften gezeigt haben, noch so viele Beweise ihrer Vaterlandsliebe gegeben haben, als unter 20 dieser Monarchie, in der die Fürsten, durch ihre Rechtschaffenheit, ihre Gerechtigkeit, ihre Klugheit mit der sie die Staatsgeschäfte führten, ihr Geschick in der Kunst, zu regieren, und durch die Ausübung aller Tugenden, von den Bürgern geliebt wurden, die sie durch ihr Beispiel ermutigt haben, das Wohl des Staates ihrem eigenen Wohl vorzuziehen. Die Abschaffung des Königtums ließ die alte Tugend anfangs nicht verloren gehen, denn die Regierung blieb in Wirklichkeit die gleiche, da die Macht des Königs zwei Konsuln übertragen wurde. Aber je mehr sich die Regierung der Demokratie näherte, desto mehr verschwanden die alten Eigenschaften, die Zunahme der Freiheit ging einher mit dem Rückgang der Tugend: die Vaterlandsliebe wurde durch Eigenliebe ersetzt, der Gehorsam gegenüber Oberen durch Stolz. Der niedrigste Bürger betrachtete sich als Mann von Wichtigkeit, und da jeder von ihnen an der Regierung beteiligt war, behandelte der Pöbel die Armeemitglieder ohne jeglichen Respekt. Aber man wird mich fragen, ob ich die Idee des Autors verstanden habe, nach der die Korruption widrige Folgen für eine Demokratie nach sich zieht; er will nur von einer gesunden Demokratie sprechen, in der die Tugend, indem sie die Zügel fest in der Hand hat, in einem bedeutenden Grad in Erscheinung tritt und ihre platonische Republik verbreitet, die niemals existiert hat und nicht existieren können wird; denn ein Staat besteht nicht aus Engeln, sondern aus Menschen, von Natur aus schwach und gemein; sie erkannten selbst, daß es ein klares Trugbild ist, darauf zu hoffen, in Frieden und in Sicherheit unter einer Regierung in völliger Freiheit zu leben. Ich gebe zu, fügte er ferner hinzu, daß die Freiheit von unschätzbarem Wert ist, aber da diese Freiheit nicht mit einer perfekten Sicherheit übereinstimmen kann, ist es nur ein imaginäres Glück. In seinem Schluß kommt Holberg auf die Bedeutung des Regierenden für die Regierten zurück: Man kann sagen, daß jede Regierung gut ist, wenn jener, der regiert, gute Eigenschaften besitzt, und die Geschichte macht deutlich, daß ein Volk unter einer auf Willkür beruhenden Regierung auch glücklich sein kann und hin und wieder weniger geschröpft wird [er meint: weniger durch Steuern, etc. erdrückt] als in einem freien Staat. Unsere Könige hier, obwohl sie mit grenzenloser Macht ausgestattet sind, stellen diese Tatsache klar heraus. In allen absolutistischen Ländern war Montesquieu aufgrund seines stillschweigenden Gleichsetzens des Despotismus mit der absoluten Monarchie verdächtig: Ich weiß nicht – sagt Holberg – was unser berühmter Autor mit despotischer Regierung meint, in welcher weder Tugend noch Ehre von irgendeinem Nutzen sein können. Wenn er mit Despotismus alle auf Willkür beruhenden Regierungen meint, was seine Meinung zu sein scheint, so spricht er gegen die Erfahrung. Man findet in der Geschichte zahlreiche von jenen vor, die er Despoten nennt, die voller Weisheit und Rechtschaffenheit waren. Sicher spielt Holberg die Rolle des Anwalts. Indem er den L’Esprit des Lois angreift, verteidigt er den jungen dänischen Absolutismus. Aber es ist auch sicher, daß Holberg die Diskussion auf historische Beispiele gelenkt hat, um Montesquieu von seiner schwächsten Seite anzugreifen. Es ist seine Erfahrung als Historiker, die Holberg den Verallgemeinerungen des Philosophen entgegensetzt. Man muß anerkennen, daß er immer mit Respekt von seinem Gegner spricht. Im L’Esprit des Lois hat Holberg sofort ein Meisterwerk erkannt, und er verheimlicht nicht seine Bewunderung für diese eloquente Anklage der Intoleranz. Das menschliche Gefühl bei Holberg, Montesquieu und Voltaire, um sie in der Reihenfolge ihrer Geburtsdaten zu nennen, ist der Haß, der sie gegen die Unmenschlichkeit erfüllt. Die Remarques sur l’Esprit des Lois waren sicher der letzte von Holberg verfaßte Text. Sie erschienen Anfang Oktober 1753; vier Monate später, am 28. Januar 1754, starb der Autor. Holberg hatte selbst als alter Mann bis zum Schluß seinen lebendigen Geist bewahren können, der ihn ermunterte, in einem letzten kulturellen Austausch mit Europa, sich auf einen Disput mit einem der scharfsinnigsten Geister seiner Zeit zu stürzen. 7. Holberg, der Grundbesitzer 3 Seit 1737 verwaltete Holberg das Vermögen der Universität, das aus Landgütern bestand. 1740 erwarb er für sich den Gutshof Brorup, dann 1745 den Hof Tersløsegaard. Grundbesitzer geworden, beschäftigte er sich stark mit seinen Ländereien. Brorup war sehr vernachlässigt; der neue Besitzer erneuerte den Viehbestand, führte seine Geschäftsführer ein und die erreichten 21 Ergebnisse waren in wenigen Jahren derartig, daß er im dritten Teil seiner Memoiren schreiben konnte, daß er von Freude erfüllt sei, wenn er die jetzige Situation mit jener der Vergangenheit vergleiche: »Ich bin glücklich, die Pflichten eines guten Bürgers erfüllt zu haben – bonus civis – eine formlose Masse in Ordnung gebracht und die Lage der Bauern verbessert zu haben«. Der Philosoph Holberg ist Gutsherr geworden, wie Voltaire es 1758 werden sollte, als er Ferney kaufte. Voltaire war sehr stolz darauf, Sümpfe trockengelegt, ödes Heideland kultiviert und Industrie geschaffen zu haben, die einem fast verkümmerten Dorf Arbeit gab. Holberg verbrachte jeden Sommer in Tersløsegaard. »Ich habe Freude daran, die Früchte der Erde wachsen zu sehen, sie ernten zu sehen, den Kühen und Schafen in ihrer langen Prozession zu den Weideplätzen morgens und abends zuzuschauen«, schrieb er in Epistel 29. Holberg war der Patriarch von Tersløsegaard bevor Voltaire jener von Ferney wurde. So trat die Praxis also zu der Theorie, um aus Holberg eine Art frühen Physiokraten werden zu lassen. Die Bewegung der physiokratischen Ökonomen nahm ihren Anfang 1756 mit L’ami des hommes des Marquis de Mirabeau, dem Tableau économique von Quesnay, 1758, und die l’Ecole d’Agriculture von Duhamel de Monceau, 1759. In Dänemark, einem ausgesprochenen Agrarland, ist Holberg ein entschiedener Wegbereiter, und es erscheint uns schwierig, in anderen europäischen Ländern schon 1722 ein so völliges Verständnis für die landwirtschaftlichen Werte zu finden, so wie wir es aus dem Mund des Bauern Jacob in Erasmus Montanus erfahren. In dem phantastischen Roman von 1741, Niels Klims unterirdische Reise, widmet Holberg ein großes Kapitel einer Beschreibung des idealen Staates nach seinem Geschmack. In diesem zählen die Bauern zu den wichtigsten Bürgern des Staates. 1741 stellt er in den Moralischen Gedanken das Paradox auf, daß man die landwirtschaftliche Wissenschaft in den Rang eines Universitätsfaches erheben müßte. Auch in seinen letzten Lebensjahren verfaßte er Abhandlungen über die Bedeutung der Landwirtschaft. Holberg heiratete niemals. Seine Tätigkeiten als Professor, Schriftsteller und Grundbesitzer brachten ihm viel Geld ein, und er entschied frühzeitig, daß die Gesellschaft von diesem Vermögen profitieren sollte. Auf Anregungen hin entschied er 1747 per Testament, daß die Einnahmen seiner Ländereien die Gründung der Akademie von Sorø finanzieren sollten, einer Studieneinrichtung, in der man moderne Disziplinen wie Menschenrecht, Ökonomie und lebende Sprachen unterrichtete. 22 Bibliographie Andersen, J. 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