Selbstbestimmung ohne Bewusstsein?! Praktische und rechtliche Probleme von Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen Montag, 18.06.2007, 19.00 Uhr Casino des Klinikums Saarbrücken Rechtsanwälte Heimes & Müller Faktoreistrasse 4 66111 Saarbrücken www.heimes-mueller.de /.. -2- Daniela Lordt Fachanwältin für Familienrecht Rechtsanwälte Heimes & Müller Faktoreistrasse 4 66111 Saarbrücken [email protected] Tel: 0681 – 4101-242 Fax: 0681 – 4101-279 Patientenverfügung / Vorsorgevollmacht/ Betreuungsverfügung A. Ursache der Unsicherheit Aktuell existiert keine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung in Deutschland, doch haben Schätzungen zufolge bereits rund acht Millionen Bürger eine Patientenverfügung errichtet. Die Politik debattiert über eine gesetzliche Neuregelung, wobei zwei Gesichtspunkte einander gegenüberstehen. Der Bürger / Patient hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Dieses wird aber nicht uneingeschränkt gewährleistet, sondern es findet seine Grenze dort, wo das Recht auf Leben beeinträchtigt wird. Es stellt sich die Frage, wie verbindlich die Patientenverfügung ist und wer in einem medizinischen Notfall Entscheidungen für den Betroffenen trifft. Im Folgenden wird die derzeit bestehende Rechtslage dargestellt, wobei neben der Patientenverfügung auch auf die Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung eingegangen wird, weil nur so ein umfassendes Bild der gesetzlichen Lage über Vorsorgemöglichkeiten entsteht. B. Definition und Abgrenzung zwischen Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung 1. Patientenverfügung Eine Patientenverfügung regelt bestimmte medizinische Maßnahmen für den Fall, dass der Betroffene in Situationen gelangt, in denen er nicht mehr selbst für sich entscheiden kann. /.. -3Juristisch handelt es sich um die Willensbekundung eines entscheidungsfähigen Menschen zur zukünftigen medizinischen und / oder begleitmedizinischen Behandlung für den Fall der Äußerungs- und Einwilligungsunfähigkeit. Die Patientenverfügung entfaltet erst dann Wirkung, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen überhaupt oder in rechtlich verbindlicher Weise zu äußern. Der Bundesgerichtshof sieht die Patientenverfügung nur dann als verbindlich an, wenn die Erkrankung einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat. Hinzu kommt, dass die Patientenverfügung nur dann verbindliche Wirkung entfaltet, wenn die aktuell vorliegende Situation ausdrücklich benannt ist. Ansonsten ist die Patientenverfügung nur Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten. Beispiel: Eine an Multiple Sklerose erkrankte Frau bestimmt, dass sie für den Fall, dass der Herzmuskel versagt, keine Wiederbelebungsmaßnahmen ergriffen haben möchte. Wenn der Arzt die Frage, ob die Erkrankung einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat bejaht, haben keine Wiederbelebungsmaßnahmen zu erfolgen. 2. Vorsorgevollmacht Mit der Vorsorgevollmacht ermächtigt der Betroffene selbst eine Person, Entscheidungen für ihn zu treffen. Die bevollmächtigte Person vertritt den Betroffenen und hat den Rahmen der Vollmacht und den zuvor geäußerten Willen des Patienten grundsätzlich zu respektieren. Gegenüber der Patientenverfügung hat die Vorsorgevollmacht den Vorteil, dass auch dann Handlungsfähigkeit besteht, wenn eine Situation eintritt, die nicht exakt in der Patientenverfügung benannt wurde. Der Bevollmächtigte hat dann die Aufgabe, aber auch die Möglichkeit, die Wünsche des Betroffenen auf die konkrete Situation zu übertragen. Der Bevollmächtigte steht als Ansprechpartner für den Arzt zur Verfügung. Da die Vorsorgevollmacht eine rechtsgeschäftliche Ermächtigung darstellt, ist für die Wirksamkeit Geschäftsfähigkeit erforderlich. Zweifel an der Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht können sich insbesondere bei AlzheimerErkrankten oder dementen Patienten stellen. /.. -4- 3. Betreuungsverfügung Mit der Betreuungsverfügung schlägt der Betroffene eine natürliche Person vor, die im Fall des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen vom Vormundschaftsgericht zu seinem Betreuer bestellt werden soll. Das Vormundschaftsgericht ist an den Vorschlag des Betroffenen grundsätzlich gebunden, außer die Bestellung der vorgeschlagenen Person zum Betreuer des Betroffenen widerspricht seinem Wohl. Ohne Vorschlag des Betroffenen ist auf die verwandtschaftlichen oder sonstigen persönlichen Bindungen des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Der Betreuer hat dem Wohl des Betroffenen entsprechend zu handeln und grundsätzlich dessen Wünsche, soweit zumutbar, zu respektieren. Der Betreuer, dem vom Vormundschaftsgericht eine sog. Bestallungsurkunde ausgestellt wird, ist gesetzlicher Vertreter des Betroffenen und steht dem Arzt als Ansprechpartner zur Verfügung. Durch die „öffentliche Bestellung“ entfällt für den Mediziner der Unsicherheitsfaktor der Wirksamkeit der Bestellung. Des weiteren wird der Betreuer durch die gerichtliche Bestellung von den Angehörigen akzeptiert. C. Grundzüge des Betreuungsverfahrens Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen einen Betreuer, soweit dies erforderlich ist. Die Einrichtung einer Betreuung ist dann nachrangig und nicht erforderlich, wenn die Angelegenheiten des Volljährigen ebenso gut auch durch einen Bevollmächtigten besorgt werden können. Das bedeutet, dass bei Vorliegen einer umfassenden Vorsorgevollmacht kein Betreuer bestellt wird. Der jeweils zuständige Vormundschaftsrichter fragt zunächst bei dem Zentralen Vorsorgeregister an, ob Vorsorgevollmachten errichtet wurden und dort hinterlegt wurden. Sollte eine Vorsorgevollmacht bestehen, prüft der Vormundschaftsrichter, ob diese Vollmacht /.. -5wirksam ist und wie umfassend die Vollmacht ausgestaltet ist, d.h. welche Aufgabenkreise geregelt wurden. Mit der Vorsorgevollmacht kann der Betroffene die Aufgabenkreise Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, einschließlich der Befugnis zum Abschluss von Verträgen, die Bestimmung über seinen Aufenthaltsort einschließlich Kündigung und Auflösung der bisherigen Wohnung und Bestimmung einer neuen Wohnung, die Befugnis über die Unterbringung mit Behandlungen und Freiheitsentziehung, Eingriffe auch bei Bestimmung über Lebensgefahr und ärztliche die Untersuchungen, Entscheidung über lebensverlängernde Maßnahmen bzw. den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, regeln. Hat der Betroffene umfassend Vorsorge betrieben, führt dies dazu, dass die Einrichtung einer Betreuung nicht erforderlich ist. Das Vormundschaftsgericht ist verpflichtet, jeder Anregung auf Einrichtung einer Betreuung nachzugehen und zu prüfen, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind. Eine spezielle Antragsbefugnis ist nicht erforderlich. Auch Ärzte können daher ein Betreuungsverfahren beim Vormundschaftsgericht in Gang bringen. Im Falle der Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers ist ein Betreuer auszuwählen. Eine für den Aufgabenkreis und die persönliche Betreuung geeignete Person soll zum Betreuer bestellt werden. Für den einwilligungsunfähigen Betreuten willigt der Betreuer in die Untersuchung, Heilbehandlung oder in den ärztlichen Eingriff ein. Unabhängig von der Geschäftsfähigkeit kommt es auf die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betreuten an. Bei begründeter Gefahr für Leben (Bsp.: Risikooperationen) und Gesundheit bedarf die Einwilligung des Betreuers der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung, es sei denn, dass mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Diese Grundsätze sollen auch dann gelten, wenn der Betreuer in den Abbruch der künstlichen Ernährung mit der baldigen Folge des Todes des Betroffenen einwilligen will. /.. -6D. Problematik der Patientenverfügung Bisher gibt es wie bereits erwähnt keine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung. Ob in absehbarer Zeit noch eine gesetzliche Regelung zustande kommt, ist angesichts der jüngsten Entwicklungen eher unsicher. Der Bundesgerichtshof hat sich in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 2003 mit der Patientenverfügung beschäftigt. Sachverhalt des grundlegenden Urteils: Der Patient litt infolge eines Myocardinfarktes an einem Gehirnschaden. Er wurde über eine PEG-Sonde ernährt und konnte sich nicht mehr selbst äußern. Auf Anregung der behandelnden Ärzte wurde der Sohn vom Vormundschaftsgericht zum Betreuer bestellt, der die Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes zur Einstellung der künstlichen Ernährung beantragte. Der Sohn verwies auf eine maschinengeschriebene und von seinem Vater unterzeichnete Patientenverfügung, in der dieser für den Fall einer schweren Dauerschädigung seines Gehirns die Einstellung der Ernährung gewünscht hatte. Die Ehefrau und die Tochter des Betroffenen unterstützen den Sohn in vollem Umfang. Eine Patientenverfügung ist nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes erst dann verbindlich, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen überhaupt oder in rechtlicher Weise zu äußern und die Krankheit einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat. Außerdem muss die Patientenverfügung Regelungen für die aktuelle Situation enthalten. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wirkt die in der Patientenverfügung enthaltene frühere Willensbekundung des Patienten fort, falls der Patient sie nicht widerrufen hat. Die Patientenverfügung ist daher nicht nur Indiz, sondern als unmittelbare, rechtsverbindliche Willensäußerung des Patienten zu verstehen. Der Betreuer ist an diesen geäußerten Willen gebunden. Ob die Krankheit einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat oder ob eine Weiterbehandlung nicht indiziert, sinnvoll oder nicht möglich ist, ist Tatfrage. Der Bundesgerichtshof führte in seinem Beschluss auch aus, dass die notwendige Einwilligung eines Betreuers in eine ärztlich angebotene lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahme grundsätzlich nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes wirksam /.. -7verweigert werden kann, auch wenn der Patient eine entsprechende Patientenverfügung erstellt hatte. Das Vormundschaftsgericht muss dem durch den Betreuer gewünschten Behandlungsabbruch jedoch zustimmen, wenn feststeht, dass die Krankheit des nicht einwilligungsfähigen Patienten einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen hat und die ärztlich angebotene Behandlung dem in der Patientenverfügung erklärten Willen des Patienten widerspricht. Das bedeutet, dass eine lebensverlängernde oder lebenserhaltende Behandlung des einwilligungsunfähigen Patienten bei medizinischer Indikation auch ohne die Einwilligung des Betreuers bis zu einer Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes fortzusetzen ist. Das Vormundschaftsgericht muss der Entscheidung des Betreuers gegen eine solche Behandlung jedoch zustimmen, wenn feststeht, dass die Krankheit des Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen hat und die ärztlicherseits angebotene Behandlung dem früher erklärten und fortgeltenden Willen des Betroffenen, hilfsweise dessen mutmaßlichen Willen entspricht. Der Bundesgerichtshof nimmt in seiner Entscheidung an, dass für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes dann kein Raum ist, wenn ärztlicherseits eine Behandlung oder Weiterbehandlung nicht indiziert ist, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist. Sollte die Krankheit noch keinen irreversibel tödlichen Verlauf genommen haben, ist die Patientenverfügung nach Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht maßgebend mit der Folge, dass beim Vormundschaftsgericht ein Betreuungsverfahren einzuleiten ist, wenn keine umfassende Vorsorgevollmacht vorliegt. Vom Betreuer ist zusätzlich die Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes zu der Verweigerung einer lebenserhaltenden oder lebensverlängernden Maßnahme einzuholen. In dem Beschluss des Bundesgerichtshofes wurden einige Fragen offen gelassen. Die Richter haben keine Stellung dazu bezogen, wie nah der Zeitpunkt des Todes tatsächlich gekommen sein muss. Außerdem fehlt eine Definition, wie weit der Begriff der lebensverlängernden oder lebenserhaltenden Maßnahme zu verstehen ist. Die Richter haben keine Stellungnahme abgegeben, ob eine Patientenverfügung der Schriftform oder der notariellen Beurkundung bedarf, ob sie zeitnah aktualisiert werden muss oder welche wesentlichen Inhalte sie aufweisen muss. /.. -8Aus diesen Gründen besteht dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Den Patienten ist eine umfassende Vorsorge zu empfehlen, die durch die Kombination von Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung gewährleistet wird. Dazu ist ärztliche Beratung unerlässlich, damit keine Zweifel an der Reichweite der Patientenverfügung entstehen ebenso wie anwaltlicher Rat um eine umfassende Absicherung zu erreichen. /.. -9Dr. Joachim Giring Rechtsanwälte Heimes & Müller Faktoreistrasse 4 66111 Saarbrücken [email protected] Tel: 0681 – 4101-212 Fax: 0681 – 4101-279 Strafrechtliche Aspekte der ärztlichen Sterbebegleitung Die Errungenschaften der Medizin, verloren geglaubtes Leben zu retten und zu verlängern, sind ohne Zweifel zu begrüßen. In Zeiten eines enormen Fortschritts der Intensivmedizin stellt sich jedoch - auch im Strafrecht - die Frage, ob der Arzt alles tun muss, wozu er im Stande ist, um den Tod eines Patienten aufzuhalten. Es stellen sich auch immer differenzierter Fragen nach der Bedeutung des Willens des unmittelbar Betroffenen, des Willens der Angehörigen und der behandelnden Ärzte. Ist es erforderlich, trotz noch so vieler Anstrengungen des Gewissens, den Arzt oder den Angehörigen zu bestrafen, wenn er den sterbenden Patienten sterben lässt, obwohl er damit dessen angenommenen Willen zu respektieren glaubt? Wie ist der Wille des Patienten überhaupt zu ermitteln? Auf was müssen die Beteiligten achten, wenn die Entscheidung ansteht, Leben - trotz medizinischer Möglichkeiten - nicht zu verlängern? Wer der Frage nach Strafbarkeit in diesem Bereich nachgeht, gelangt in einer Rückschau auf die Rechtssprechung unweigerlich zu einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1894 - auch wenn es in dem einem entscheidenden Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt gar nicht um das Sterben ging. Das Reichsgericht entschied einen Fall, in dem ein Chirurg das Bein eines Kindes entgegen dem Willen der Eltern - in der Sache erfolgreich und medizinisch notwendig - amputierte. Die Eltern des Kindes wollten - aus welchen Gründen auch immer - die Heilung nicht. Das Reichsgericht wertete in seiner Entscheidung den operativen Eingriff als Körperverletzung und der Chirurg wurde verurteilt und bestraft, da er gegen den Willen der Erziehungsberechtigten handelte. Das Urteil ist in vielerlei Hinsicht maßgebend. Aus der Entscheidung wird deutlich, dass das Wohl des Patienten nicht alles entscheidend ist; Patientenwohl ist vielmehr gekoppelt mit dem Patientenwillen. An die Stelle von Bevormundung durch den Arzt tritt der mündige Patient. Seither hat der Bundesgerichtshof für die strafrechtliche Beurteilung der „Sterbehilfe“weitere Grundsätze herausgestellt: /.. -10- - Das menschliche Leben ist ein Wert höchsten Ranges innerhalb der Rechtsordnung; seine Erhaltung bleibt vorrangige ärztliche Aufgabe. - Eine Abstufung des Lebensschutzes vor dem Hintergrund der Wertigkeit nach Nützlichkeit etc. verstößt gegen die Menschenwürde und ist daher unzulässig. - Eine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis gibt es aber nicht. - Selbsttötung ist straflos. Daher sind auch Beihilfe und Anstiftung zum straflosen Suizid ebenfalls straflos. Entscheidend für die Annahme strafloser Teilnahme am Suizid ist, dass der Patient selbst eigenverantwortlich handelt. - Die aktive Sterbehilfe - das heißt jede aktive Tötung im Sinne einer Lebensverkürzung - ist grundsätzlich strafbar. Dies gilt unabhängig davon, ob der Patient sie wünscht oder nicht, da das Rechtsgut leben nicht zur Disposition stehen darf und daher die Einwilligung des Patienten keine rechtfertigende Wirkung hat. Handelt der Arzt aufgrund eines ernstlichen Verlangens des Patienten und tötet er diesen, macht er sich grundsätzlich strafbar wegen Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB. Schwierig ist die Situation jedoch nach wie vor, wenn der Patient seinen Willen nicht mehr äußern kann, z. B. im Falle der Bewusstlosigkeit. Um den mutmaßlichen Willen von Patient im Tatzeitpunkt herauszufinden, sind die Umstände des Einzelfalles entscheidend. Zu berücksichtigen sind insbesondere: - frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Kranken - religiöse Überzeugungen, - sonstige persönliche Wertvorstellungen, - die altersbedingte Lebenserwartung, - das Erleiden von Schmerzen Der mutmaßliche Wille wird aus der Sicht eines verständigen Patienten unter Berücksichtigung der individuellen Wertvorstellungen des Betroffenen ermittelt. Wenn keine schriftlichen Äußerungen vorliegen, bleibt des Arzt oft nur das Gespräch mit Angehörigen und Freunden. Es /.. -11bleibt aber immer eine schwierig zu beantwortende Frage, deren Beantwortung immer abhängig von der konkreten Situation ist. Hat der Patient seinen Wunsch „nicht an Schläuchen sterben zu wollen“geäußert, kommt es beispielsweise darauf an, ob er dies in depressivem Zustand oder aus einer momentanen Stimmung heraus äußerte. Gegen oder ohne den Willen des Patienten zu dem Zeitpunkt des Behandlungsabbruchs darf niemand - auch kein Arzt und kein Angehöriger - eine Beatmungsmaschine ausschalten. Für den Arzt ist es daher besonders wichtig, seine Entscheidungsgrundlage gut zu dokumentieren, damit die Entscheidungsfindung in einem eventuell nachfolgenden Strafverfahren nachvollziehbar ist. In dem Fall, in dem der mutmaßliche Wille des Patienten nicht gefunden werden kann, ist auf allgemeine Wertvorstellungen zurückzugreifen. Dazu mahnt der Bundesgerichtshof, dass bei diesem Rückgriff „Zurückhaltung geboten“ist und im Zweifel der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, Angehöriger und anderer beteiligter Personen ist. Kann der Patient in kritischen Behandlungssituationen seinen Willen nicht mehr äußern, kommt einer Patientenverfügung grundsätzlich besondere Bedeutung zu. In dieser Verfügung kann der Patient klarstellen, dass er eine Lebensverlängerung mit allen Mitteln der Medizin wünscht – oder eben nicht. Liegen aber Anhaltspunkte vor, die dem früher vom Patienten geäußerten Willen zuwider laufen, entfällt die Bindungswirkung der vorherigen schriftlichen Fixierung. Daher ist gegenüber unklar formulierten Patientenverfügungen Vorsicht angezeigt - auch, da die psychische Situation eines jeden Kranken im Vergleich zu seinem Normalzustand eine andere ist. Es ist daher mit klaren Formulierungen in der Patientenverfügung von vornherein der Gefahr vorzubeugen, dass der Arzt, das Angehörige und der Betreuer unabhängig vom Willen des entscheidungsunfähigen Kranken nach eigenen Maßstäben und Vorstellungen das Dasein des Patienten beenden. Bestehen trotz Patientenverfügung Zweifel an dem Willen des Patienten, ist ein Betreuer einzuschalten und die gerichtliche Entscheidung des Vormundschaftsgerichts abzuwarten. Bei Leben verkürzendem Handeln, dass nicht klar von dem Willen des Patienten gedeckt ist, droht die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Da die Entscheidung des Betreuers nach § 1902 BGB diejenige des Betreuten ersetzt, hat sie für die behandelnden Ärzte die gleiche Verbindlichkeit, wie eine Erklärung des Patienten selbst. Bei einer Zustimmung des Vormundschaftsgerichts berechtigt sie nicht nur zum Behandlungsabbruch sondern verpflichtet dazu. Hat der Patient seinen Willen unmissverständlich in einer Patientenverfügung dargetan und bestehen auch sonst keine Zweifel am Willen des Patienten, bedarf es keiner Entscheidung des Betreuers oder des Vormundschaftsgerichts. /.. -12Dr. Florian Wölk Rechtsanwälte Heimes & Müller Faktoreistrasse 4 66111 Saarbrücken [email protected] Tel: 0681 – 4101-229 Fax: 0681 – 4101-249 Die Entwürfe zum Patientenverfügungsgesetz – Wege aus der Unsicherheit? Bereits seit der grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2003 wird über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung diskutiert. Die Gerichte hatten gesetzgeberische Aktivität bereits angemahnt und auf fehlende Regelungen hingewiesen. Kernpunkt der Diskussion war dabei die unklare Rechtslage der Beteiligung der Vormundschaftsgerichte bei Patientenverfügungen. Übereinstimmend sollen daher auch die gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung in das Betreuungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuch integriert werden (Neufassung der §§ 1904 ff. BGB). Die Diskussion über notwendige gesetzliche Regelungen zur Patientenverfügung wurde zunächst unter Juristen und Medizinern geführt, dann aber auch unter reger Teilnahme einer interessierten Öffentlichkeit. Letzteres war zum einen bedingt durch Entwicklungen in europäischen Nachbarländern (Regelungen der Sterbehilfe in Niederlanden und Belgien), ist aber zum anderen kennzeichnend für viele medizinethische Debatten der letzten Jahre. Gerade in ethisch schwierig zu beurteilenden Grenzfällen in der Medizin zeigt sich, dass die Diskussionen nicht mehr isolierte wissenschaftliche Fachdiskussionen sind, sondern breite öffentliche Diskussionen mit erheblicher Medienbeteiligung. Dabei ist die öffentliche Diskussion sicherlich auch von dieser Berichterstattung in den Medien beeinflusst, die teilweise über besonders spektakuläre Fälle in reißerischer Manier berichtet hat (etwa im Fall der USAmerikanerin Terri Schiavo). Das weit verbreitete Misstrauen gegen die moderne Hochleistungsmedizin ist auch auf diese Berichterstattung zurückzuführen. Gleichzeitig sind aber auch die gesellschaftlich sehr kontrovers diskutierten Tabuthemen „menschenwürdiges Sterben“und „selbstbestimmter Tod“in Zeiten knapper Ressourcen im Gesundheitssytem ein besonderes Reizthema (Stichwort „sozialverträgliches Ableben“). /.. -132004 legte die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Ethik und Recht in der modernen Medizin“einen Bericht zum Thema Sterbehilfe und Patientenverfügungen vor. Noch im gleichen Jahr führte dies zu einem Gesetzesentwurf der damaligen Bundesregierung, über den aber nach der Auflösung des 15. Deutschen Bundestages nicht mehr entschieden werden konnte. Die Große Koalition legte aber im Koalitionsvertrag fest, eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung zu treffen. Nach einer ersten „Orientierungsdebatte“im März 2007 liegen dem Bundestag mittlerweile drei Gesetzesentwürfe unterschiedlicher Gruppen vor. Das Parlament hatte sich darauf verständigt, die Frage „außerhalb der Fraktionsdisziplin“zu entscheiden. Der dritte Entwurf stammt nach der Angaben der Wochenzeitschrift „Die Zeit“erst aus der zweiten Juni-Woche. Nach Auskunft des SPD-MdB Joachim Stünker wird bald noch ein vierter Entwurf vorgelegt werden, der den ursprünglichen sog. „Stünker“-Entwurf aus dem Jahre 2005 ersetzen soll. In wichtigen Positionen stimmen die Entwürfe aber weitgehend überein: · Absolutes Tötungsverbot bleibt bestehen – keine aktive Sterbehilfe! · Schriftliche Patientenverfügung muss sich auf konkrete Situationen beziehen. · Patientenverfügungen sollen grundsätzlich verbindlich sein. · Erforderlichkeit einer Entscheidung durch das Vormundschaftsgericht nur, wenn über Bewertung der Patientenverfügung Dissens zwischen Betreuer und behandelnden Arzt / im ethischen Konsil. Wesentlicher Streitpunkt ist die sog. Reichweitenbegrenzung. Der sog. „Bosbach“-Entwurf will Patientenverfügung nur bei Krankheit mit unumkehrbar tödlichen Verlauf oder endgültigem Bewußtseinsverlust zulassen. Der Vorschlag bewegt sich damit auf Linie der aktuellen Linie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Der Gegenvorschlag im sog. Stünker“-Entwurf sieht vor, dass die Patientenverfügung allgemein und unabhängig vom Verlauf der Krankheit gilt. Als Begründung für die Reichweitenbegrenzung wird insbesondere zum einen angeführt, dass eine Vorab-Erklärung nicht die gleiche Verbindlichkeit haben könnte, wie eine Erklärung einer einwilligungsfähigen Person. Zum anderen wird behauptet, durch die Reichweitenbegrenzung die Missbrauchsgefahr von Patientenverfügungen zu begrenzen bzw. zu verhindern, dass lebenserhaltende Behandlungen aus anderen Gründen (etwa wirtschaftlichen) abgebrochen werden. Die Reichweitenbegrenzung soll nach deren Vertretern den „Schutz des Lebens“als hohen verfassungsrechtlichen Wert verwirklichen. /.. -14- Problematisch daran ist, dass damit das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen mit dem Argument beschränkt wird, das Leben als objektiven Verfassungswert zu schützen. Kann aber aus dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Lebens für den Betroffenen eine Pflicht zum Leben gegen seinen Willen resultieren? Diese Frage wird wohl zu verneinen sein, so dass verfassungsrechtlich die Reichweitenbegrenzung nicht zu rechtfertigen sein dürfte. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Gesetzgeber entscheiden wird und welche konkreten Regelungen getroffen werden. Dabei kann als sicher gelten, dass die neue Gesetzgebung zur Patientenverfügung durch das Bundesverfassungsgericht überprüft wird. Im Ergebnis werden die allgemeinen Anforderungen des neuen Gesetzes durch die Gerichte konkretisiert werden müssen. Die nun vorgesehenen Entwürfe lassen einige wichtige Fragen unbeantwortet, wie z.B. Frage ob und inwieweit eine Patientenverfügung aktualisiert werden muss oder ihre Wirksamkeit von einer ärztlichen Aufklärung abhängig ist. Diese wichtigen Fragen der Praxis werden auf Basis der zu erwartenden gesetzlichen Regelungen wohl erst durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in einigen Jahren beantwortet werden können. Die gesetzlichen Regelungen werden die grundlegenden Bewertungskonflikte nicht lösen können, sondern können bestenfalls einen Rahmen gewährleisten, in denen diese Konflikte ausgetragen werden können, wodurch für die Betroffenen das höchste Maß an möglicher Rechtssicherheit gewährleistet werden kann.