Was nun - Universität Potsdam

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Was nun?
Am Wahlabend fragte ein amerikanischer Journalist: „Was wird sich aus der Sicht der
Amerikaner ändern, wenn Schwarz-Gelb in Berlin regiert?“ Die Antwort lautete: „Eigentlich
nicht viel.“
In Deutschland aber haben doch 48,5 Prozent schwarz oder gelb gewählt, damit einiges
anders wird in der deutschen Politik. Was nun?
Die FDP und die CSU wollen Steuern senken. Die CDU will das nicht. Also wird es eine
Operation geben, die als Steuersenkung jetzt oder später inszeniert werden kann, ohne dass es
dem Staat wirklich weh tut.
Die Union und die FDP wollen Atomkraftwerke. Rot-Grün hatte die zu Auslaufmodellen
ernannt. Dass Schwarz-Gelb hier den ersten Stein wirft, darauf warten Frau Künast und Herr
Gabriel schon. Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind hierbei nicht relevant, denn RotGrün-Rot kann die Öffentlichkeit der Straße mobilisieren.
Das Thema „Afghanistan“ wird von der Linken der neuen Regierung vor die Türe gelegt
werden: „Wann endlich holt Ihr die deutschen Soldaten heim? – Wo ist der Zeitplan? –
Sollten wir nicht lieber heute als morgen abziehen?“ Auch das wird eine Debatte, die nicht
auf den Bundestag beschränkt bleibt.
Konjunktur- oder Rettungs-„Pakete“ wird es ohnehin nicht mehr geben. Einerseits
widerspricht das dem ordnungspolitischen Denken der Liberalen, andererseits würde es die
vereinigte Opposition auf die Barrikaden treiben: „Seht her: Sie schustern den Managern,
ihren Freunden, die Milliarden zu, und bezahlen muss es der Steuerzahler!“
Nach „rechts“ wird Schwarz-Gelb nicht viel bewegen können. Mindestens eine der drei
Oppositionsparteien werden immer eine Öffentlichkeit dagegen mobilisieren können. So
paradox es klingen mag: Die besten Aussichten hat Schwarz-Gelb, wenn es sich nach „links“
bewegt. So wie es das „linke“ Bündnis zwischen SPD und Grünen einst geschafft hatte,
„rechte“ Politik unter der Überschrift „Hartz-Gesetze“ durchzusetzten, so könnten die
„rechten“ Bürgerlichen es jetzt schaffen, „linke“ Aspekte zu setzen.
Freilich können Frau Merkel und Herr Westerwelle aus dem Schicksal der Regierung
Schröder/Fischer lernen, dass man die eigene Basis verlieren kann, wenn man es zu ernst
damit meint, Notwendiges umzusetzen. Also wird es darauf ankommen, ob es gelingen kann,
eine „linke“ Wohltat zu vollbringen, die auch schwarz-gelbe Wähler nicht verprellt.
Da bietet sich eine Chance an, denn es ist zu erwarten, dass die Unternehmerschaft
Deutschlands gerne bereit ist, dem schwarz-gelben Projekt unter die Arme zu greifen. Ihre
Bereitschaft zu investieren, wird steigen. Das müssen und werden Merkel und Westerwelle
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fördern, denn dadurch könnten mehr Menschen in Beschäftigung kommen, und die
Arbeitslosenzahlen wären ruckläufig.
Tritt dieser Effekt ein, dass mit der Regierung aus Union und FDP die Arbeitslosigkeit sinkt,
wird Schwarz-Gelb die erste Schlacht gewinnen. Dann können sie weitere Felder beackern.
In der Bildungspolitik können sie einiges tun, ohne dass die Opposition sie groß behindern
könnte. Der Zustand der Bildungseinrichtungen in diesem Land ist äußerlich und innerlich
einer reichen Industrienation unwürdig. Trotz der Konjunkturprogramme sind die Gebäude
der Schulen und der Universitäten vielfach heruntergekommen. Sollte Schwarz-Gelb damit
ein Ende machen und es der Jugend ermöglichen, in ebenso angenehmer Atmosphäre zu
arbeiten wie die Erwachsenen, wäre viel gewonnen. Noch mehr wäre es, wenn das
Bildungssystem dieses Landes so reformiert würde, dass es mit denjenigen anderer Staaten
gleichwertig wird. Das fände Zustimmung überall im Volke, auch wenn das Leistungsprinzip
– unabhängig von der Herkunft – allgemeingültig würde.
Gerade von einer „bürgerlichen“ Regierung wird über das eigene Lager hinaus erwartet
werden, dass sie Konzepte entwickelt, wie diese Gesellschaft damit umgeht, dass die
Menschen immer älter werden. Ähnlich wie die Schulen müssen auch die Einrichtungen für
die Alten moderner werden; die Alten müssen aber darüber hinaus vor allem erkennen
können, dass sie eine Rolle spielen in der Gesellschaft. Ehrenamt und Subsidiarität sind
Prinzipien, die Schwarz-Gelb gut entwickeln kann, ohne dass dem von „links“ viel entgegen
gesetzt werde könnte.
Möglichkeiten, einiges zu bewirken in diesem Lande, wird das neue Bündnis also haben.
Aber in der Demokratie gehört der Wechsel dazu. Nach der großen Koalition haben die
kleineren Parteien Wähler gewonnen, die größeren Regierungsparteien verloren. Künftig wird
die Regierung ebenso wie die Opposition von den größeren Parteien angeführt, und in ihrem
Kíelwasser bewegen sich jeweils zwei kleinere Parteien. Wenn es so läuft wie bisher stets in
der Bundesrepublik, wird die Verantwortung an den Regierungsparteien zehren, während die
Opposition sich als Alternative zu den Regierenden inszeniert. Dazu müssen vor allem die
SPD und die Linkspartei ein politisch normales Verhältnis zueinander entwickeln. Daran
werden sie arbeiten.
Bewegung kann es geben durch die Grünen. Sie sind doch eigentlich eine bürgerliche Partei
und auch im anderen „Lager“ vorstellbar. Das aber würde unmittelbare Konkurrenz für die
FDP bringen. Da könnte sich einiges bewegen.
Aus der Innensicht ist die Installation von Schwarz-Gelb mithin ein Einschnitt. Von der
Außensicht her weniger. Deutschland wird in der NATO und der EU bleiben, G-20-Gipfel
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beschicken, in den USA und Frankreich die engsten Verbündeten sehen, eine beachtliche
Volkswirtschaft haben, nicht in Nationalismus abgleiten und im großen und ganzen bleiben,
was es ist. Wenn es gut geht, wird es sich in einigem graduell verbessern.
Auf jeden Fall wird es irgendwann wieder einen parteipolitischen Wechsel geben in diesem
Lande, dann nämlich, wenn eine neu formierte Opposition die Grundausrichtungen
Deutschlands ebenso vertritt wie die Regierung, aber darüber hinaus glaubwürdig versprechen
kann, dass sie einige Reformschübe umsetzt.
Jürgen Dittberner
September 2009
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