HEERSCHAU DER FÜHRER STATT DER BASIS PERSPEKTIVEN DER FDP WÄHREND IHRES STUTTGARTER PARTEITAGES „Die Liberalen treffen sich vom 15. bis zum 17. Juni zum 58. Ordentlichen Bundesparteitag in der Stuttgarter Porsche-Arena. Bei dem dreitägigen Parteitag stehen turnusgemäß die Wahlen zum Präsidium und Bundesvorstand an. Die 662 Delegierten erwartet vor allem eine programmatische Marathondebatte von 17 Stunden Dauer. Im Mittelpunkt stehen dabei die Leitanträge `Kultur braucht Freiheit` und `Freiheit, Fairness, Chancen`.“ So steht es auf der Internetseite der FDP. Die Tagesordnung des Stuttgarter Treffens jedoch ist so gestrickt, dass den vielen Delegierten das große programmatische Palaver erschwert wird oder erspart bleibt – je nach Geschmack. Den ersten Tag hat vor allem Guido Westerwelle für sich reserviert: „Rede des Bundesvorsitzenden der FDP“. Er bringt den Leitantrag „Freiheit, Fairness, Chancen“ ein. Rhetorisch brillant erlebt der Parteitag vor allem wieder einen politischen Rundumschlag. Alle bekommen ihr Fett ab: die Linkspartei und die ungeliebten Grünen, auch die ins Umfragetief gefallene SPD und – bemüht differenziert – die Union: denn mit denen will der Parteivorsitzende ja nach der nächsten Bundestagswahl koalieren. Und die Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt keinen Zweifel daran, dass sie die schwarz-roten Mühen überwinden und schwarz-gelb durchregieren will. Nach der Westerwelle-Rede kommen die mittlerweile üblichen und so gar nicht zu einer liberalen Partei passenden „Standing Ovations“ der Delegierten. Journalisten werden das Anhalten der Huldigungen mit der Stoppuhr messen. Welcher Delegierte will danach programmatisches Schwarzbrot anfassen? Stattdessen gibt der Bundesschatzmeister Hermann Otto Solms seinen Rechenschaftsbericht über die traurige Finanzlage der Partei. Dann treffen sich die Delegierten der Landesverbände und werden vor den Vorstandwahlen von ihren jeweiligen Vorleuten „auf Linie“ gebracht. Ende des ersten Tages. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Hans-Joachim Otto, bringt zu Beginn des zweiten Tages den Leitantrag „Kultur braucht Freiheit“ ein. Danach dürfen die Delegierten diskutieren: 104 Anträge aus allen Himmelsrichtungen der Partei. Dazwischen kommt – zur Abkühlung? – das Grußwort des liberalen Fraktionsvorsitzenden im Europäischen Parlament, Graham Watson. Dann jedoch ist es schon wieder Zeit zum Wählen: Die Delegierten der FDP zur liberalen Internationale müssen bestimmt werden. Und um Ordnung in die Antragsvielfalt zu bringen wird eine Antragskommission eingesetzt, die dem Plenum den Pfad zu verabschiedender Positionen weist. Es folgt der so beliebte „BadenWürttemberg-Abend“. Bei Wein und Laugengebäck endet der zweite Tag. 1 Danach ist Sonntag, Abreisetag. Offiziell währt der Parteitag jetzt von 9 bis 13 Uhr. Aber ob das mit dem Beginn nach dem Wein vom Abend zuvor klappt, ist fraglich. Auf der anderen Seite ist der Fahrplan der Bundesbahn an diesem Tage nicht bis 13 Uhr ausgesetzt. Bei dünner Besetzung also legt der Generalsekretär seinen „Leitantrag Sozialpolitik vor“, während viele liberale Delegierte mental ihre Flucht zurück in die Heimat organisieren. Ein armer stellvertretender Bundesvorsitzender muss gegen Mittag das Schlusswort sprechen. Und schon ist der Parteitag vorbei. Früher galten Parteitage aller Parteien als „Heerschau der Parteien“. Die Basis hatte das Wort, und die Parteiführung tat gut daran, genau hinzuhören. Heute, im Fernsehzeitalter, zählen Personalisierung und Visualisierung. So sind die Parteitage zu „Heerschauen der Parteiführungen geworden“. Bilder der Spitzenpolitiker und des jubelnden Parteivolkes müssen auf die Bildschirme. Innerparteiliche Demokratie verläuft nicht von unten nach oben, sondern umgekehrt. Immerhin erfahren es die Delegierten authentisch, der Rest des Volkes aber über die Medien, was in der Parteispitze programmatisch so gedacht wird und wo die Reise bündnispolitisch hingehen soll. Die FDP – das zeigt Stuttgart – will nicht mehr nur neoliberal sein. Sie will das Image von der sozialen Kälte loswerden. Sie hat das Problem, dass die Wirtschaft sich erholt, ohne dass sie an der Regierung ist. So versuchen ihre Strategen seit einiger Zeit, die Themen soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz wieder auf die Parteiagenda zu setzen. Dazu dienten frühere Parteitage. Nun ist die Kultur dran. Und das alte liberale Ziel: Freiheit – wird wieder in den Mittelpunkt gerückt. Wie aber können Freiheit und Gerechtigkeit miteinander verknüpft werden? Die akademisch geschulten Berater der Parteistrategen haben den aktuellen Theoretiker John Rawls gelesen, und der plädiert für eine Konzeption der „Gerechtigkeit als Fairness. Rawls meint, die Spannung zwischen Ungleichheit und Gerechtigkeit lösen und damit auch Freiheit absichern zu können, indem er hierfür eine allgemeine Akzeptanz durch die Bürger für möglich hält. Diese Akzeptanz bezeichnet er als „Fairness“. Und flugs steht im Parteiprogramm der FDP „Fairness“ zwischen „Freiheit“ und „Chancen“. Die mit der politischen Einführung dieses Begriffes notwendig verbundene Akzeptanz soll unter anderem mit den Ovationen der vielen hundert auf dem Fernsehschirm zu betrachtenden Delegierten erreicht werden. Doch Parteien leben seit einiger Zeit nicht mehr von Theorien, sondern von Wählerstimmen und zwischendurch von Umfrageergebnissen. Da lässt das traditionelle und bestimmt nicht FDP-feindliche Umfrageinstitut Allensbach kurz vor dem Parteitag verlauten, es reiche nicht 2 für schwarz-gelb. Weil die Kanzlerin es so gut mache, falle die FDP zurück. „Das ist eine Momentaufnahme.“, werden sich die Fans von schwarz-gelb in der FDP trösten. Nach der nächsten Wahl muss die FDP jedoch wieder an die Regierung. Seit 1998 ist die alte Ministerpartei im Bund nicht mehr dabei. Eine so lange Zeit der unfreiwilligen Enthaltsamkeit von der Macht hat es noch nie gegeben. Wenn es bei der nächsten Wahl wieder schief geht, das weiß auch Guido Westerwelle, wird es eine Revolte in der FDP geben. Also wäre es zu früh, sich jetzt schon völlig auf schwarz-gelb festzulegen. Führt Kurt Beck in Mainz nicht eine sozial-liberale Koalition an? In der FDP ist es nicht mehr verpönt, daran Erwartungen zu knüpfen. Selbst „Jamaika“ oder auch die „Ampel“ – eine Dreierkoalition mit den Grünen und einer Großpartei – sind aus FDP-Sicht nicht mehr – wie noch 2005 nach der Bundestagswahl – Teufelszeug, sondern ernsthafte Optionen. In Stuttgart ist für die FDP die Zeit noch nicht reif für bündnispolitische Festlegungen. Schwarz-gelb ist für die Mehrheit und den Parteivorsitzenden zwar Favorit, aber ein abermaliger Gang in die Opposition wäre für diese Partei schlimmer als eine Ampel oder Jamaika. Die Suche der Liberalen nach ihrer Perspektive geht weiter. JÜRGEN DITTBERNER (Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam. – Juni 2007) 3