Das Mauerblümchen

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MAUERBLÜMCHEN?
DIE FDP SOLLTE GRÜN UND ROT AUFLEGEN
Früher auf der Tenne saßen die Mädchen aufgereiht nebeneinander und warteten, dass sie von
Jünglingen zum Tanze aufgefordert werden. Wer sitzen blieb, war ein „Mauerblümchen“:
unscheinbar, unbeachtet, kontaktlos.
Heute verbietet es das „Gender“-Denken, von „Mauerblümchen“ zu sprechen. Das wäre
ebenso unkorrekt wie der Gebrauch des Wortes „Fräulein“. Denn wer weiß: Vielleicht steckt
in der augenblicklich Vereinsamten eine große Veränderin der Zukunft? Womöglich nutzt sie
die durch die mangelnde Nachfrage geschenkte Zeit, um Konzepte zu erdenken, wie derartige
Situationen zukünftig vermieden werden? Vielleicht ist das vermeintliche „Mauerblümchen“
sogar die Kanzlerin von morgen?
Was man Menschen – besonders Frauen – nicht mehr nachsagen darf, ist bei politischen
Parteien erlaubt. Hier kann man zuspitzen, kritisieren, spotten. „Mauerblümchen“ ist noch
eine eher harmlose Charakterisierung: Man darf Parteien sogar ungestraft „Hure“ oder „alte
Tante“ nennen.
Aber um bei der einen zu bleiben: Über 90 Prozent der Deutschen freuen sich gewiss, wenn
man der FDP nachsagt, sie sei jetzt ein Mauerblümchen. Die offensichtlich Sitzengebliebene
so zu schmähen, macht Freude und trifft die Situation wohl ganz gut.
Die Konkurrenten aus der unteren Hälfte der Parteienliga – die anderen kleinen Parteien –
sind begehrt und werden zum Tanze aufgefordert. In Hamburg verbeugt sich Ole von Beust
artig vor den Grünen und hält einen großen Strauß politischer Zugeständnisse bereit. In
Wiesbaden zeigte Brautvater Kurt Beck seiner Andrea Ypsilanti schon ´mal den Traualtar für
eine Ehe mit dem „Linken“ Oskar Lafontaine. Doch sittenstrenge Familienmitglieder machen
da noch nicht mit: Die Braut wird vorerst nicht zum Altar schreiten. Jedoch gesagt ist gesagt,
und das Leben geht ja weiter...
Derweil regiert – man glaubt es kaum – in Berlin Angela Merkel von der CDU wacker
zusammen mit der SPD, auch wenn deren Fraktionsvorsitzender holzt: „Die kann mich `mal“.
In der oben Hälfte der Parteienliga arrangiert man sich ganz pragmatisch.
Jede Partei kommt unter die Haube: die SPD unter die der CDU/CSU, die Grünen unter die
der CDU, die Linke früher oder später doch noch unter die der SPD. In der Stadt Berlin ist sie
da schon angelangt.
Nur bei der FDP scheint sich nichts zu tun. Wie eine verschmähte Geliebte hält sie treu zum
Traumpartner Union, der sich gar nicht um sie kümmert. Der ist in der Hauptstadt seit 2005
mit der SPD vermählt und quält sich recht und schlecht durch den Ehealltag. Die Avancen der
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FDP im Bundestag registriert dieser ersehnte Partner nicht mehr. In Hessen dient sich die FDP
der Koch-CDU an, der die Wähler ihre Macht entzogen haben. In Niedersachsen hat die FDP
es gerade noch geschafft, sich erneut an die CDU zu binden. Doch wer glaubt schon, dass die
Bundes-CDU deswegen in neuer Liebe zu den Liberalen erglüht? Dort findet man eher sexy,
was sich in Hamburg anbahnt: schwarz-grün.
Im Innern der Mauerblümchen-Partei regt sich allerdings schon manche lustvolle Sehnsucht
nach Partnerschaften. Gelb-grün-schwarz – Jamaika - wäre für viele Liberale eine Sünde wert.
Doch noch sind die Grünen sperrig. Auch hat es die FDP schon zweimal – in Bremen und in
Brandenburg - mit gelb-grün-rot (oder richtiger: „rosa“?) – der Ampel - versucht. Aber noch
einmal mit der alten Tante SPD zusammengehen möchten die Liberalen eigentlich lieber
nicht.
Alles andere verdrängend hat sich im Innern der FDP das Bild des ZweieinhalbParteiensystems festgesetzt. Da war man noch das „Zünglein an der Waage“ und konnte `mal
mit den „Sozen“ und `mal mit den „Christkindern“ gehen. Seit die Grünen 1983 in den
Bundestag einzogen, ist es damit vorbei. Die FDP und der ganze Tanzboden konnten erleben,
wie die grüne „Neue“ zunächst beäugt und geschnitten wurde. Dann entflammte in
Wiesbaden nach dem Wort Willy Brandts, dass es eine „Mehrheit links der Mitte“ gäbe, bei
der SPD die Liebe zum einstigen Schmuddelkind, und aus einem Turnschuhminister wurde
am Ende ein leibhaftiger Vizekanzler.
Derweil träumte die FDP `mal von 18 %, dann wieder von ihrer Rolle als Zünglein an der
Waage.
Ein neues Schmuddelkind betrat die Szene. Erst nannte es sich „PDS“, dann „Die Linke“. Die
immer noch von den alten Zeiten träumende FDP wollte es wie die Mehrheit des Publikums
wieder nicht wahrhaben, dass sich auch hier bald Liebhaber einstellen würden. Man ließ es
zu, dass „rot-rot“ sich der Stadt Berlin bemächtigte. Und man trieb Frau Ypsilanti in Hessen
fast bis in die Arme des Herrn Lafontaine, wäre da nicht eine couragierte Dame aus der
hessischen SPD dazwischen gegangen.
Der Wettbewerb auf der Tenne wird weiter gehen. Jetzt ist eine für manchen verführerische
Partei mehr dabei. Die grüne Konkurrenz macht den vermeintlich der FDP versprochenen
Schwarzen schöne Augen.
Will die FDP das Mauerblümchen bleiben? Erinnert sie sich nicht an Zeiten, als man gerade
ihr vorwarf, dass sie allzu leichtfertig die Partner wechsele? Dazusitzen und Opposition zu
spielen kann nicht das Lebensziel einer politischen Partei sein, ebenso wie es nicht der Traum
einer jungen Frau sein dürfte, das ewige Mauerblümchen zu bleiben.
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Also, liebe FDP: Tu, wonach Dir der Sinn im Innern ohnehin steht: Schmücke Dich, leg` grün
und rot auf, sei offen für Jamaika und die Ampel und warte nicht länger auf den schwarzen
Riesen. Du willst doch nicht eines Tages selber schwarz werden!
Es ist gerade so lebendig und lustig auf der Tenne, neue Kontakte werden geknüpft. Da
sollten ausgerechnet die Liberalen nicht länger abseits stehen.
JÜRGEN DITTBERNER
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