77 Mathematik für Biologen, Biotechnologen und Biochemiker 6.5. Uneigentliche Integrale. Wir haben uns bisher vor allem für Flächen der Form {(x, y) | a ≤ x ≤ b, 0 ≤ y ≤ f (x)} interessiert, wobei a < b reelle Zahlen sind und f : [a, b] → R≥0 eine Funktion ist. Dabei haben wir stillschweigend vorausgesetzt, dass die Werte f (x) “beschränkt” sind, dass es also eine reelle Zahl c mit f (x) ≤ c für alle a ≤ x ≤ b gibt (nur dann kann man Obersummen bilden!). Von “uneigentlichen” Integralen spricht man, wenn man auf derartige Beschränktheits-Voraussetzungen verzichtet — wenn man also eine unbeschränkte Funktion über einem Intervall integrieren möchte (manchmal geht das), oder aber wenn man statt des Intervalls [a, b] zum Beispiel über die Menge {x | a ≤ x} integrieren möchte. Wir beschäftigen uns hier nur mit dem letztgenannten Fall und betrachten drei derartige Beispiele: nämlich die Funktionen exp(−x), x1 , x12 . Frage: Wie groß ist jeweils die punktierte Fläche? y . ......... ... ... ... .. ... .. ... ... ... ... ... .... .. ..... .. ....... ....... .............. .................. ........................... ................................. . ............................................................................................................................. .. y. f (x) = exp(−x) x . ........ .... ... ... .. ... ... .. .. ... .. ... ... ... ... .. ... ... .... . 1 ..... ...... ... ................. ...... ........... ... ............ ............ ... ............. ........................................................................................................... .. 1 y. . ........ .... ... .. .. ... ... ... .. ... .. ... ... ... .. ... ... ... .... . 1 ..... .... ... ............... .............. ... ...................... ... . . . . . . . .... ......................................................................................... .. 1 f (x) = x−1 −1 f (x) = x−2 x R∞ x Dabei geht man folgendermaßen vor: Um a f (x) d x zu bestimmen, berechnet Rb man die Integrale a f (x) d x für alle b mit a < b und überlegt sich, was passiert, wenn b immer größer wird (also “gegen ∞ geht”). Sollte sich der Wert stabilisieren, also gegen eine feste Zahl konvergieren, so ist dies die gesuchte Zahl. −1 −2 R ∞ Wir berechnen für die drei Beispiels-Funktionen exp(−x), x , x die Integrale f (x) d x und zwar mit a = 0 im ersten Beispiel und a = 1 in den beiden anderen a Beispielen: Z b 0 b exp(−x) d x = − exp(−x) = − exp(−b) + exp(0) = − exp(−b) + 1 0 Z b Z b b −2 −1 x d x = −x = −b−1 + 1 1 1 1 b x−1 d x = ln(x) = ln(b) − ln(1) = ln(b) 1 dabei haben wir verwendet, dass − exp(−x) eine Stammfunktion von exp(−x) ist, dass ln(x) für x > 0 eine Stammfunktion von x−1 ist, und dass schließlich −x−1 eine Stammfunktion von x−2 ist. Es ist nun lim exp(−b) = 0, b→∞ lim b−1 = 0, und auch b→∞ aber lim ln(b) = ∞, b→∞ daher gilt: Z ∞ exp(−x) d x = 1, 0 Z 1 R∞ ∞ x −1 d x = ∞, Z ∞ x−2 d x = 1. 1 Wir haben hier 1 x−1 d x = ∞ geschrieben, aber da man eigentlich nur an Zahlenwerten interessiert ist (und ∞ ist zwar ein Symbol, das man manchmal R ∞ −1 hinschreibt, aber eben keine Zahl), sagt man auch: das uneigentliche Integral 1 x d x existiert nicht.