Gender 1 Text: [email protected] als Dreh- und Angelpunkt auf dem Weg zu einer gewaltfreien Gesellschaft Dieser Text soll unsere „Geschlechterrollen“ infrage stellen – nicht nur deren allgegenwärtige Inhalte, auch die Art und Weise, wie der „Geschlechtsunterschied“ aufgefasst wird. Dabei soll gezeigt werden, wie unser kulturelles Geschlechtersystem Unbewusstheit herstellt. Die Spaltungsprozesse mit ihren polaren, auf Zwischentöne verzichtenden Zuschreibungen, auf denen unser neuzeitliches System von Zweigeschlechtlichkeit gründet, können aus psychoanalytischem Blickwinkel als frühe und somit sehr pathogene psychische „Abwehrmechanismen“ betrachtet werden. Diese „Abwehr“ unerträglicher psychischer Inhalte nährt sich einerseits durch die spezifisch neuzeitliche Art des Umgangs mit unserer „conditio humana“, unseren menschlichen Lebensbedingungen inklusive unserer Sterblichkeit, andererseits dient sie der Aufrechterhaltung eines psychotischen Kosmos, in dem konkrete und strukturelle Gewalt weitgehend ausgeblendet ist – speziell Gewaltverhältnisse, die unserem Geschlechtersystem inhärent sind (Gendergewalt). Eine bewusste Wahrhabung 2 unserer Ausgeliefertheit und Unvollkommenheit als menschliche Lebewesen ermöglicht kulturelle konstruktive Bewältigungsmöglichkeiten. Und eine Aufhebung gesellschaftlicher Unbewusstheit der vielfältigen mit Genderbedeutung aufgeladenen Gewaltverhältnisse in unserem Selbstund Weltbezug führt zu tief greifenden Veränderungen unseres Selbst, unserer Gemeinschaften und Gesellschaft in Richtung politischer, ökonomischer und ökologischer Überlebensfähigkeit. Feministische Genderforschung : Von der ethnologischen und kulturwissenschaftlichen Frauen- und Genderforschung her ist die große Mannigfaltigkeit des in verschiedenen Kulturen als männlich oder weiblich Aufgefasstem bekannt. Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Art und Weise, wie mit der Binarität der Geschlechterdifferenz selbst / der Zweigeschlechtlichkeit / symbolisch umgegangen wird, gibt es Unterschiede. 1 GENDER als grundlegende wissenschaftliche Analysekategorie, mit der die fragwürdig gewordene Opposition zwischen Männern und Frauen dekonstruiert und gleichzeitig in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Realität als Mechanismus der Hierarchisierung ernst genommen werden kann. 2 Mit dem Begriff >Wahrhabung< will ich das Wahr- und Aufnehmen von Gewalthandlungen ausdrücken, zutiefst kognitiv und emotional zugleich. 1 Unser modernes Geschlechtersystem ist von einer strikten dichotomen Zweiteilung gekennzeichnet, die keine Übergänge, Uneindeutigkeiten und kein Drittes kennt. Bei indigenen Ethnien Nordamerikas - aber auch in Indonesien z.B. gibt es eine dritte und auch z.T. vierte Gender-Kategorie , also eine kulturelle Konstruktion von mehr als nur zwei sozialen Geschlechtern ( >gender variance<).3 Mit dem >verkehrtem Blick< auf die eigene Kultur fällt auf, dass nicht einmal die Setzung von zwei sozialen Geschlechter universal ist und dass die Tatsache der Geschlechterdifferenz selbst symbolisch unterschiedlich gefasst und demnach gestaltet wird. "Aus der Optik unseres BIO-Zweigeschlechter-Bias war es uns bis jetzt kaum möglich, andere kulturelle Formen von Geschlecht wahrzunehmen.“4 Durch die Einbeziehung ganz anderer fremder Geschlechterarrangements lässt sich unser kulturelles System von Geschlechtlichkeit deutlicher erkennen und in ihrer "Natürlichkeit" und Universalität relativieren. "Dieser Gedanke, dass die Geschlechterdifferenz kulturell erzeugt ist, wurde durch eine Verbindung mit dem ethnomethodologischen Ansatz fruchtbar, mit dessen Hilfe Alltagsvorgänge in der eigenen Gesellschaft verfremdet und wie aus der Sicht einer anderen Kultur wahrgenommen werden sollen. Das Geschlecht, in dieser Sicht, ist nicht etwas, was wir "haben" oder "sind", sondern etwas, was wir tun /"doing gender".5 Der Kulturvergleich ermöglicht unser abendländisches modernes symbolisches System von Zweigeschlechtlichkeit als in besonderem Maße von Dichotomien bestimmt zu erkennen und zeigt andere Geschlechterarrangements auf. 3 4 KEA, Zeitschrift für Kulturwissenschaften. Geschlechterkonstruktionen, Heft 7, 1994 Kaufmann, Margit (1994) : Geschlechterkonstruktionen, S.46, in KEA, Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Ausgabe 7, Winter/1994 5 Hagemann - White, Carol (1993): in: Feministische Studien, Nov./93, S. 68 2 Der unterschiedliche Umgang mit intersexuellen Menschen, die nicht eindeutig einem der 2 Geschlechter zuordenbar sind 6, relativiert unsere dichotomen Geschlechterkonstruktionen ebenfalls und zeigt ihre lokalen und historischen Begrenztheiten auf. Clifford Geertz bezeichnet das Problem der Intersexualität / Hermaphroditismus ( 2% bis 3% Zwitter ) als eine kulturelle Herausforderung der sehr unterschiedlich begegnet wurde und wird : Die alten Römer brachten Intersexuelle als verflucht um, die alten Griechen sahen sie zwar als merkwürdig, aber eher halbgöttlich an; heutige Nordamerikaner (abendländischer Kulturkreis) reagieren eher mit Abscheu, verlangen auf jeden Fall eine eindeutige Entscheidung für ein Geschlecht - notfalls mit Hilfe der Chirurgie "gleichmachen und beseitigen" 7. Navahos verehren Zwitter, weil sie mit Segen ausgestattet seien und segensreich wirken. Die ostafrikanischen Pokot betrachten Zwitter als misslungene Kreaturen, als nutzlos, und behandeln sie entsprechend, d.h. töten sie oder lassen sie gleichgültig und vernachlässigt leben. "Wenn Gott die Zwitter erschaffen hat, so hat doch der Mensch sie vollendet".8 Die Polarisierung der Geschlechter findet eigentlich keine biologische Untermauerung. Das ganze Gebiet ist viel weniger eindeutig und erforscht als uns suggeriert wird / wir für wahr halten. Zur Geschlechtsbestimmung nach dem Psychyrembel: a) chromosomales G. nach xx bzw.xy, b) gonadales G. nach den Keimdrüsen ( Eierstöcke bzw. Hoden, c) hormonales G. nach Geschlechtshormone, d) genitales G. nach den jeweiligen primären ( äußere und innere Geschlechtsorgane ) und sekundären ( Körperbau, Haarwuchs, Stimme etc.) Geschlechtsmerkmalen und e) psychologisches G. , dessen kulturelle Konstruiertheit unreflektiert bleibt und somit die sog. Geschlechterrollen biologisiert werden. 6 7 Geertz , Clifford (1987): Dichte Beschreibung, S.274 8 Geertz , Clifford (1987): Dichte Beschreibung, S.275 3 Eine kurze Darstellung der Geschichte des deutschen Wortes >Geschlecht< zeigt die historische Dimension in unserer Kultur auf. In einem hunderte Jahre langen Prozess vollzog sich der Wandel der Wortbedeutung von >Geschlecht< im Zusammenhang mit vielfältigen soziokulturellen Veränderungen. Geschlecht kommt von >schlagen< und zwar in dem Sinne, wie wir es heute noch verwenden: z.B. >nach dem Vater schlagen<. Im Weiteren möchte ich drei unterschiedliche, historisch aufeinander folgende Bedeutungen des deutschen Wortes >Geschlecht< darstellen. 9 Mein >Geschlecht< bedeutete bis ungefähr zum Jahre 1000 meine ZeitgenossInnen. In diesem Sinne wurde unter dem Wort „Geschlecht“ die Gesamtheit der gleichzeitig lebenden Menschen verstanden, also eine horizontale Gruppe von ZeitgenossInnen. Mein >Geschlecht< waren ab dem Jahre 1000 bis etwa zum 18. bis 19. Jhdt. die Vor- und Nachfahren in männlicher Linie, also mein Vater, mein väterlicher Großvater usw. und mein Sohn, dessen Sohn usw.. Ivan ILLICH beschreibt den Zusammenbruch der alten patriarchalen "Genus"-Kulturen und die Herausbildung der modernen sexistischen Gesellschaft. 10 Geschlecht bedeutete also damals eine vertikale Dimension der patrilinearen Abstammung. In diesem langen Prozess veränderte sich auch das Erbrecht und Frauen verloren immer mehr ihre eigenständige Existenzbasis. >Geschlecht< wurde ungefähr ab 1800 als bloßer Sexus verstanden, als biologisches Geschlecht und in weiterer lokaler Einschränkung auch nur als eigener Geschlechtsteil. >Geschlecht< wurde eine rein biologische Kategorie. aus dem DUDEN und von WALDECK Ruth (1993) : Zur Produktion des schwachen Geschlechts, In Ethnopsychoanalyse Band III, Körper, Krankheit und Kultur, Frankfurt, S. 205 bis 208 9 10 ILLICH Ivan, (1983) : Genus. Zu einer historischen Kritik der Gleichheit, München 4 Die Unterschiedlichkeit der Geschlechter wurde strikt binär gesetzt und v.a. an der weiblichen biologischen Funktion festgemacht. Vordergründig wird >Geschlecht< auf einer horizontalen Dimension situiert - >Mann< und >Frau< seien zwar radikal gegensätzlich, aber sie ergänzten einander. Wissenschaftsgeschichtlich ist ebenfalls um 1800 ein Umbruch im Denken des Geschlechtsunterschiedes fest zu stellen - vom >Ein - Geschlecht - Modell< zum >Zwei - Geschlechter - Modell< 11 . Während im >Ein - Geschlecht - Modell< 12 Frauen prinzipiell als dem Mann ähnlich, wenn auch explizit weniger „ausgereift“ und vollkommen verstanden wurden, geht das >Zwei - Geschlechter - Modell< von zwei grundsätzlich gegensätzlichen Geschlechtern aus. Das alte Modell hatte Mann und Frau in einer vertikalen hierarchischen Linie mit expliziter Unterordnung der Frau angeordnet. Das neue >Zwei - Geschlechter Modell< siedelt beide auf einer horizontalen Ebene an, suggeriert also Gleichheit. In der praktischen Konsequenz fixiert es aber die Ungleichheit umso tief greifender, indem es dem Mann den (höher bewerteten bzw. als einzig wesentlich erachteten) öffentlichen und der Frau den (niedriger bewerteten bzw. unsichtbar gemachten) häuslichen Bereich zuschreibt. 13 Mit der Zuweisung der Frau auf die niedriger bewertete private Sphäre verschwindet ihr Beitrag zur gesellschaftlichen Sinn- und Wertschaffung aus dem öffentlichen Blick. ( Die Begriffe >Schattenarbeit, Liebesarbeit, Hausfrauisierung< nehmen sich dieser Bereiche an.) LAQUEUR Thomas (1992) : Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt am Main 11 12 Zum Beispiel : weil die Frauen weniger Hitze besitzen, hätten sich ihre Geschlechtsorgane nicht wie beim Mann nach außen gestülpt, sondern nach innen gestülpt - als Vagina, Gebärmutter und Eierstöcke - äquivalent zu Penis und Hoden (zurückgehend auf GALEN). Was für uns heute als zentrales Zeichen für den Geschlechtsunterschied gilt, erschien unter der >Brille< des >Ein Geschlecht - Systems< als ähnlich. HAUSEN Karin (1980) : Die Polarisierung der >Geschlechtscharaktere< - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben,. In : ROSENBAUM Heidi (Hrsg.). : Seminar : Familie und Gesellschaftsstruktur , Frankfurt, S. 161-191 13 5 Feministische (Natur)wissenschaftskritik zeigt die Aufgeladenheit der zentralen neuen Begriffe der Biologie als moderner Naturwissenschaft mit >genderisierter< oder >vergeschlechtlichter< Bedeutung auf. „Die im 18. Jahrhundert entstehende akademische Biologie widmete sich der Aufgabe, "Natur" neu zu ordnen, zu klassifizieren, zu abstrahieren und neu zu rekonstruieren.“ 14 Dabei stand ein starkes Interesse am exakten Unterschied der Geschlechter von Pflanzen, Tieren, Menschen (Leben überhaupt) so sehr im Mittelpunkt, dass Carl von Linne´ (1707 bis 1778) sein neues bis heute gültiges Klassifikationssystem der Pflanzen um den Kern ihrer Sexualität aufbaute: Seine Systema Naturae (1735) basiert auf dem Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Teilen der Pflanze. Linne's "Klassen" wurden durch die männlichen Staubgefäße bestimmt, seine "Ordnung" durch die weiblichen Stempel. Indem er in seiner taxonomischen15 Gliederung die "Klasse" über die "Ordnung" stellte, führte Linne´ unbesehen traditionelle Vorstellungen in die Wissenschaft ein. Londa Schiebinger betont das ganz Neue an diesem Prozess, nämlich dass durch die Abstraktion in Klasse und Ordnung die Geschlechterhierarchie nicht nur explizit (siehe "Ein-Geschlechts-Modell"), sondern implizit geworden ist ( siehe "Zwei-GeschlechtsModell"). Damit legitimierte die moderne Biologie die Ausgrenzung der Frauen aus der Öffentlichkeit durch ihre Konstruktion und Festschreibung der komplementären Geschlechterdifferenz als quasi natürlich. "Der Schein der Naturhaftigkeit verdeckt die Konstruiertheit, die Gesellschaftlichkeit von "Natur"." 16 14 Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur , S. 243 15 das Taxon = künstlich abgegrenzte Gruppe von Lebewesen 16 Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur , S. 243 6 Charles Darwin's Evolutionstheorie verortet den Menschen in einem Kontinuum mit den Tieren und verlangt nach einer neuen Klassifikation und Grenzziehung Mensch – Tier. Also auch ungefähr um 1800 entstehen die prägenden Begriffe für unsere Einordnung als Menschen in die Natur : als >homo sapiens< unter die >Säugetiere< oder >Mammalia< . "Ein weibliches Merkmal fungiert damit als Bindeglied der Menschen zur Natur, ein männliches17 aber trennt sie von den Tieren".18 Paradoxerweise ist gerade die Brust der Menschenfrau spezifisch menschlich - selbst Primatinnen haben keinen Busen. Mit Charles Darwin's Theorie einer natürlichen Selektion im "Kampf ums Dasein" schloss er Frauen aus der Höherentwicklung der menschlichen Art aus. Ihr Ort ist zeitlos, vorzüglich daheim und von der Arterhaltung erfüllt. So "wird bald deutlich, dass die Stellung der Frau in der viktorianischen Gesellschaft, ihre Funktion in der Familie und ihre Rolle als Hausfrau und Mutter in die Biologie übertragen wurde". 19 Die somit biologische Bestimmung der Geschlechterdifferenz spaltete Öffentlichkeit und Privatsphäre und grenzte das jeweils unpassende Geschlecht aus. Aber indem menschliche Geschichte und Gesellschaftlichkeit mit dem Fortschritt der produktiven Arbeit verbunden wurde, wurden Frauen doppelt ausgegrenzt. "Im neuen Verständnis der Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft ist die Naturhaftigkeit des Menschen selbst durch das weibliche Geschlecht repräsentiert".20 17 Im Sinne von >männlich konnotiert< hier von „sapiens“ – Geist, ratio – s. DICHOs Schiebinger, Londa (1995) : Am Busen der Natur in : Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur 18 19 20 Elvira Scheich, in : Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur,S.273 Elvira Scheich, in : Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur,S.279 7 Entsprechend steht Weiblichkeit für Geschichtslosigkeit, für das Unwandelbare, das Private, Sinnliche, Emotionale. Die Stelle der Geschichte der Frau wird vom Phantasma der Weiblichkeit ausgefüllt. "Wissenschaft führte die Produktion jener gesellschaftlichen Unbewusstheit weiter, die sich in den Bestimmungen über die "Natur der Frau" Ausdruck verschaffte. Im Übergang von Ideologie zu Abstraktion wird Geschichte zum Verschwinden gebracht, nicht nur die der Frauen, auch der biologischen Kategorien, des wissenschaftlichen Denkens selber. Ihre Stelle wird ausgefüllt vom Fantasma der Weiblichkeit, das alles zum Inhalt hat, was diese Gesellschaft an sich verleugnet, v.a. aber die Naturabhängigkeit der Gesellschaft und ihrer Individuen. Diese gesellschaftliche Wirklichkeit war im Geschlechterverhältnis den Frauen zugeordnet". 21 Auch wenn dieses auf Charles Darwin gegründete biologistische System der Geschlechterdichotomien Gleichwertigkeit suggeriert, so spricht Darwin noch eine recht deutliche Sprache : Er bezeichnet z.B. die Selbstsucht als das natürliche und angeborene Recht des Mannes. Und über das Weib: "Es wird meist zugegeben, dass beim Weibe die Vermögen der Anschauung, der schnellen Auffassung und vielleicht der Nachahmung stärker angesprochen sind als beim Mann. Aber mindestens einige dieser Fähigkeiten sind für die niederen Rassen charakteristisch und daher auch für einen vergangenen und niederen Zustand der Civilisation. " 22 21 Barbara Orland und Elvira Scheich, Hg., Das Geschlecht der Natur,1995, S.284 22 Charles Darwin zitiert nach Barbara Orland,cit.op., S.274 ) (Charles Darwin 1809-1882, sein Hauptwerk: Die Abstammung des Menschen - Dieser zitierte 5atz steht auf S.637 der Wiesbadner Ausgabe 1986) 8 Symbolische Genderbedeutungen Menschliche Welten sind über Sinn gestaltet. Wir stehen der Wirklichkeit nicht unmittelbar gegenüber, sondern leben in einem >symbolischen Universum< (Ernst CASSIRER), das einerseits menschliche Schöpfung , andrerseits konkrete Bedingung der Welt ist, in die wir hineingeboren werden und unser Leben leben. Durch unsere Interaktionen stellen wir es her und durchaus wirkmächtig beeinflusst es wiederum unser Erleben und Handeln. Jede menschliche Kultur bindet in irgendeiner Weise die (meist) eindeutige Tatsache der Zweigeschlechtlichkeit in ihre soziale und symbolische Welt ein. Und in jeder Variante sind unterschiedliche Bedeutungen von Sexualität, Fruchtbarkeit, Genealogie 23 und somit der Vergänglichkeit und Sterblichkeit in irgendeiner spezifischen Art und Weise miteinander verwoben. "Dass dem Geschlecht nicht nur eine biologische Rolle zukommt, sondern auch die Funktion zugewiesen wird, bestimmte kollektive oder kulturelle Aussagen zu symbolisieren, gilt für alle Kulturen" .24 Unser Erleben und unser Selbst wird nicht einfach vom Netz kultureller Bedeutungen geformt oder bestimmt. Kulturelle Bedeutungen werden auf ganz persönliche Art erfahren und gestaltet. Der menschlichen Existenz als solcher ist die Tatsache der Geschlechtlichkeit und des Geborenseins inhärent. Diese >Geburtigkeit< selbst verweist auch auf die Sterblichkeit des Menschen, auf den Tod.25 23 d.i. die Tatsache und Bedeutung der Generationen(ab)folge mit ihren Geburten und Toden 24 in : Christina von BRAUN & Inge STEPHAN , GENDERSTUDIEN. Eine Einführung, 2000, S.16 "Denn was einen Anfang hat, hat auch ein Ende - das Gegenteil des Todes ist nicht das Leben, sondern die Unsterblichkeit" (Barbara RENDTORFF, Braucht die weibliche Identität einen Körper - oder >Anatomie ist Schicksal<. In: Frankfurter Frauenschule (Hrsg.) : Die Frage der Sexuierung, 2000 , S.52 25 9 Sexualität, Endlichkeit und Geschlechtlichkeit sind am eigenen Körper und in der symbolischen Ordnung immer miteinander verknüpft. Der >Tatsache des Geschlechts< wohnt durch die Verknüpfung von Sexualität mit Sterblichkeit so eine immense Spannung inne, dass jede menschliche Kultur um sie herum ein Regel- und Ordnungssystem aufbauen muss. Die Lösung dieser Dramatik hat im Abendland - in der Antike angelegt und im Umbruch zur Neuzeit adaptiert - zur Ausformung besonders gegensätzlicher Verortungen von als männlich oder weiblich Aufgefasstem geführt. Die Geschlechtlichkeit selbst und ihr >Skandal< unserer Körperlichkeit, Unvollständigkeit und Endlichkeit (>Natur>) wird vom Mensch // Mann abgespalten und der weiblichen Seite zugewiesen. Diese Herstellung unserer modernen Geschlechterdichotomien ist ein komplexer Prozess - sowohl auf kulturell-symbolischer Ebene als auch auf der Ebene der individuellen psychosexuellen Entwicklung. Und dies geschieht immer im Zusammenhang mit sozioökonomischen Gegebenheiten und Veränderungen. Homo Oeconomicus - Femina Privata Die für die industrielle Produktion notwendige Aufteilung des gesellschaftlichen Raumes in öffentlich und privat auf die zwei Geschlechter war nur über die Etablierung von als natürlich erachteten komplementären Geschlechtsrollen möglich. Auf die Vorstellungen der neuen (mechanistischen) Wissenschaften ( v.a. Medizin und Biologie ) abgestützt entwickelten sich die polaren Geschlechtscharaktere mit den bekannten Inhalten : die Frau als emotional, fürsorglich und passiv, der Mann als rational, durchsetzungsfähig und aktiv.26 „Während vorher die Verschiedenheiten auf einer Achse gradueller Unterschiede situiert war, wobei der Mann den Maßstab größerer oder geringerer Vollkommenheit darstellte, werden sie jetzt dagegen in binär – hierarchische Oppositionen einander entgegengesetzt, wobei der Mann zum Maßstab absoluter Verschiedenheit wurde und die Frau zum „Anderen“ schlechthin.“ (Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S 99). 26 10 Die Durchsetzung unseres modernen Geschlechtersystems erfolgte nicht nur durch den neuen wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch konkret gewaltsam - und diese zwei Bereiche sind durchaus nicht getrennt zu betrachten. "Die Entstehung des modernen Staates ist nicht von der Gewalttätigkeit im zivilisatorischen Prozess, diese nicht von der Militarisierung des männlichen Sozialcharakters und dieser seinerseits nicht von der Gewalt gegen Frauen zu trennen".27 Historisch wird übereinstimmend die Jahrhundertwende um 1800 genannt, wo sich unser modernes abendländisches dichotomes Geschlechtersystem etabliert hat (, das heute wieder in Auflösung begriffen ist.28). Dies war ein Jahrhunderte lang dauernder vielschichtiger Prozess. Ich will nur das Phänomen der sog. Hexenverfolgungen dieser Zeit ( v.a. 14. bis 18. Jhdt. ) hier im Zusammenhang mit der gewaltsamen Etablierung des modernen Geschlechtersystems etwas ausführlicher beleuchten. Hexerei und Wissenschaft Frau und Natur Der abendländische > Hexenwahn < ermöglichte eine historisch in ihrem Ausmaß neue massive kollektive Gewaltausübung explizit gegen Frauen und dem ihnen Zugeschriebenen bzw. auf sie Projizierten. Als Anleitung dazu erschien im Jahre 1487 in Köln der "Hexenhammer" 29 - von zwei päbstlichen Inquisitoren geschrieben und durch den neuen Buchdruck verbreitet wie die Bibel. 27 Veronika BENNHOLDT - THOMSEN zit. n. Gabriele KLEIN & Katharina LIEBSCH (Hg.) Zivilisierung des weiblichen Ich. 1997 , S. 65 v.a. aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft, der medialen Revolution und der neuen Biotechnologien. 28 29 Jakob SPRENGER/ Heinrich INSTITORIS, Malleus Maleficarum 1487 11 Das Phänomen dieser >Hexenvernichtung< ist sehr komplex und demnach im Zusammenhang mit den vielfältigen und massiven sozioökonomischen Umwälzungen dieser Zeit zu behandeln. Die historische Frauenforschung 31 30 betont die Koalition von Kirche, dem sich eben konstituierenden Nationalstaat und der sich durchsetzenden mechanistischen Wissenschaft - davon speziell die Ärzteschaft im Zusammenhang mit dem traditionellen Bereich der Hebammen, den in diesem Zeitraum die Neue Medizin den Hebammen abkämpfte. Der weibliche Körper und die weibliche Sexualität werden über den Bereich der Fruchtbarkeit hinaus in diesen gewaltsamen Diskurs und dessen gewalttätiges Wirken einbezogen. "Aller Hexenzauber kommt von der fleischlichen Lust, die bei den Frauen unersättlich ist ". 32 Zentral sind die projektiven Vorstellungen einer unersättlichen Gebärmutter und der Frau als "Verkörperung" des Fleisches, des Sexualwesens überhaupt. Der Verzicht auf Geschlechtlichkeit verspricht einen möglichen Sieg über unsere Erdgebundenheit / Sterblichkeit / Unvollständigkeit (eben auch besonders als Geschlechtswesen). "Natur" wurde gewaltsam an Frau delegiert, was nachher nüchtern wissenschaftlich oder lyrisch sentimental konstatiert wurde. Wo ist diese Gewalt geblieben? - Als strukturelle Gewalt in verschiedenen neuzeitlichen Institutionen eingefroren / zum Teil unbewusst gemacht worden: in gesellschaftlichen Institutionen, die die Geschlechterdichotomien auf symbolischer Ebene und als sog. Geschlechtsrollen aufrecht erhalten wie Wissenschaft (v.a. Medizin, insbesondere Gynäkologie und Gentechnologie), ökonomischer Bereich ( wo 30 Gabriele BECKER, Silvia BOVENSCHEN, Helmut BRACKERT u.a. : Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes, Suhrkamp Vlg. 1978 ("Die Hexenverfolgung zu Beginn der Neuzeit war nicht lediglich eine `Kinderkrankheit` der menschlichen Gattung, vielmehr muss sie im Zusammenhang mit der Institutionalisierung des Christentums, der Auflösung der feudalen und der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft gesehen werden." aus dem Klappentext) verschiedene frauenhistorische Forschungsansätze werden mittlerweile differenziert behandelt und diskutiert, z.B. in Claudia OPITZ (Hg.), Der Hexenstreit. Frauen in der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung. 1995 31 32 nur eines von unzähligen ähnlichen Zitaten aus dem "Hexenhammer" 12 unbezahlte Arbeit – v.a. von Frauen – zwar die Wirtschaft erst aufrechterhält, aber nicht zur Wirtschaft zählt ) , Familie ... Eine Spitze des Eisberges dieser strukturellen Gewalt gegen Frauen kommt bei Vergewaltigungen im Krieg zum Vorschein.33 Die Hexenverfolgungen haben in den 300 bis 400 Jahren vor der Etablierung unseres modernen Geschlechtersystems (um 1800) in Europa insgesamt zigtausenden bis Millionen Menschen, vorwiegend Frauen, das Leben gekostet. Danach war dem herrschenden Frauenbild diese >unersättliche Lust< radikal abhanden gekommen. So kann dem Phänomen des >Hexenwahns< durchaus auch die Funktion der Errichtung des bürgerlichen Frauenbildes und der Beförderung des modernen dichotomen Geschlechtersystems zugeschrieben werden. Dieses kollektive abendländische Trauma ist in seiner Aufarbeitung - außer in der Frauenbewegung - kaum erst angegangen worden. Dieses >Vergessen< wird uns erleichtert, weil wir diese >dunkle Zeit< nicht mit der Neuzeit in Verbindung bringen. Frauenforscherinnen zeigen den Zusammenhang zwischen dem >Hexenwahn< und der Durchsetzung der mechanistischen >aufgeklärten< Wissenschaft mit ihrem Naturbeherrschungsparadigma auf. Damit rütteln sie an dem Mythos, der >Hexenwahn< gehöre zum >dunklen< Mittelalter und das Licht der modernen Wissenschaft habe diesem Wahn ein Ende gemacht. Evelyn FOX KELLER, eine mathematische Biophysikerin, die sich der feministischen Wissenschaftskritik zugewandt hat, zeigt auf, dass die Durchsetzung der mechanistischen Wissenschaft ab dem 17.Jhdt. in enger Verbindung mit dem Hexenwahn steht. 33 Ruth Seifert, Militärsoziologin, schreibt gegen die biologistische und naturalisierende Betrachtungsweise von Vergewaltigung (z.B. als unzivilisiertes Überbleibsel, rohen Naturtrieb), die jegliches Weiterfragen verunmöglicht. Sie stellt kulturelle Zusammenhänge her, z.B. gibt es vergewaltigungsarme versus vergewaltigungslastige Gesellschaften, ( Ruth Seifert, in: Alexandra Stiglmayer, Hg., 1993, S. 88/89) und zeigt die gesellschaftliche Funktion von Vergewaltigungen und vom Terror, der von der Gefahr der Vergewaltigungen ausgeht, auf: nämlich die Regulierung ungleicher Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern. 13 "Die Realität der Hexerei war in der Tat ein Beweis für die Schwere der Gefahren, die von den Frauen ausgingen, Gefahren, gegen die Vernunft und Neue Wissenschaft einen Schutz versprachen. Sie bestärkte aufs neue die Argumente für die Verbannung der Frauen, der Sexualität und der damit verbundenen >unsauberen< Forschung der Alchimisten aus der Wissenschaft. Die neue mechanistische Sichtweise sorgte für einen abgesicherten intellektuellen Bereich der Männlichkeit, indem sie auch das allegorische Zusammenwirken von männlich und weiblich ausschloss - und zwar in ihrem Bild vom Wissenschaftler wie in ihrem Bild von der Natur" ( Evelyn FOX KELLER 1986, S68).34 Ein in diesem Zusammenhang oft zitierter paradigmatischer Leitsatz eines prominenten Vertreters der Neuen Wissenschaft, Francis BACON (18. Jhdt.), stellt deren Herangehensweise drastisch vor : "..der Natur auf der Folterbank ihre Geheimnisse entreißen ..." 35 Diese Haltung beförderte, beiden, >Frau und Natur< kaum ein Quentchen Respekt mehr entgegenzubringen und sie schonungslos für eigene Vorhaben zu gebrauchen. Und diese waren von der neuen Wissenschaft explizit als heroisch-männliche Projekte konzipiert. Was da nicht Platz hatte, fand in dieser neuen modern mythologisierten >Frau und Natur< - Matrix eine unendliche Projektionsfläche. "Die Natur, ehemals ein lebendiger und nährender Organismus, wurde im 16. und 17. Jahrhundert zu einer Produktions- und Reproduktionsmaschine im Dienste des Menschen degradiert - in erster Linie allerdings des Mannes. Carolyn MERCHANT zeigt, wie sich ein Weltbild durchsetzte, das die Natur als nützliches aber totes Objekt begriff, sie spürt aber auch der zeitgenössischen Kritik und den gesellschaftlichen Bewegungen nach, die diesem Wandel Widerstand entgegensetzten und an die wir heute behutsam anknüpfen können." 34 35 36 Evelyn FOX KELLER, Liebe, Macht und Erkenntnis. Männliche oder weibliche Wissenschaft ?,1986 zitiert nach Christina von BRAUN 1990 . NICHTICH. Logik, Lüge, Libido, S.42 ( So können nur eigene >geheime< Wünsche und Projektionen Bestätigung erfahren. ) 36 Carolyn MERCHANT : Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft, C.H.Beck Vlg 1994 Aus dem Klappentext 14 Hergestellt wurde somit : - >Frau und Natur< als das Andere des >Mannes<; - seelenlose Materie - um sie entsprechend zu behandeln; - die (möglichst unberührte) Fremde als zu kolonialisierende Natur 37 // Körper ; 38 - die Weiblichkeit und v.a. die weibliche Sexualität als >Rätsel< , >dunklen Kontinent<... ; - alles, was dem >entfremdeten< Mensch (//Mann) verwehrt ist, was er (ambivalent) ersehnt ( >Versöhnung mit der Natur< , > Grenzauflösung< , >ozeanische Gefühle< ) und was ihm ein Horror ist ( >Naturabhängigkeit< , >Ausgeliefertheit< ). Also indem die Wirkmächtigkeit und das >Begehren< von Frauen verteufelt und möglichst vernichtet wurde, blieben sie übrig als die ganz >Anderen< des Mannes (und der Kultur) und auch nur mehr von ihm definiert - und zwar kraft seines Intellekts. Ratio – Emotio und die anderen Geschlechterdichotomien (>DICHO<s) 39 "Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere in der Moderne baute auf der Behauptung von den unterschiedlichen intellektuellen Fähigkeiten von Männern und Frauen auf " 40. 37 Dazu : Sabine SCHÜLTING, Wilde Frauen, Fremde Welten. Kolonisierungsgeschichten aus Amerika,1997 oder : Hans Peter DÜRR ( über Pocahontas) 38 "Die >Hexen< wurden als Projektionsfläche benutzt, um das Utopische - die Unterwerfung und Veränderung der Naturgesetze, die Neuschöpfung der Welt - in den Bereich des Denkbaren zu rücken" (Barbara ORLAND & Elvira SCHEICH,Hg., Das Geschlecht der Natur. Gender Studies. 1995, S. 42) Feministische Wissenschaftskritk stellt den weiten Bogen zur heutigen Gentechnologie dar. 39 Dichotom (altgriech.) = zweigeteilt (vgl. Atom als Ungeteiltes, Unteilbares) 40 Christina von BRAUN. In : Inge Stephan & Christina von BRAUN (Hg.) Genderstudien. Eine Einführung, 2000, S.77 15 Das hatte einmal ganz praktische Konsequenzen wie den Ausschluss 41 von Frauen am Herstellen und Weitergeben von Wissen - eben durch und aus der sich etablierenden Neuen Wissenschaft. 42 Darüber hinaus wurde auf der symbolischen Ebene die Dichotomie >Mann - ratio< versus >Frau - emotio< und die mitverstrickten anderen Dichotomien >Subjekt< versus >Objekt< , >Kultur< versus >Natur< etc. befördert. Dem Geschlecht als zweipoligen Ordnungskategorie 43 unseres modernen dichotomen Geschlechtersystems entsprechen „genderisierte“ oder „geschlechtszugewiesene“, „ vergeschlechtlichte“ , „gendered“ Begriffspaare, die zentral für den symbolischen Kosmos unserer Kultur sind : Subjekt - Objekt Objektivität - Subjektivität Autonomie - Abhängigkeit Aktivität - Passivität Tun - Sein Dynamik - Statik Form - Stoff/ Materie Ratio - Emotio Logos - Intuitio Rational - Irrational Auf der medizinischen Hochschule in Salerno waren im 10. Jhdt. auch Frauen zugelassen, die Gynäkologie war ganz den Frauen vorbehalten. Aus : Gabriele BECKER, Silvia BOVENSCHEN, Helmut BRACKERT u.a. : Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes, suhrkamp Vlg 1978 41 42 In Österreich wurden Frauen erst um 1900 an die Universitäten gelassen - auf die Religionswissenschaftliche Fakultät erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts ! 43 "Das Geschlecht als zweipolige Ordnungskategorie hat einen Doppelcharakter: Auf der Ebene sozialer Ungleichheit begründet es unterschiedliche soziale Positionen und Hierachien zwischen Personen, die als weiblich oder männlich zugeordnet werden. Auf der Ebene der symbolischen Repräsentation bildet es einen Angelpunkt der symbolischen Ordnung der meisten Kulturen. Der Dualismus der Geschlechter verbindet sich mit anderen Dualismen, wie denen von oben und unten, rein und unrein, drinnen und draußen und besitzt große symbolische Kraft“ (Ilse Lenz in :Regina Becker – Schmidt und Gudrun Axeli Knapp, Hg., 1995, S22). 16 Bewusst - Unbewusst Licht - Dunkel/ Nichts Struktur - Chaos Kultur - Natur Geist/ Seele - Körper Abstrakt - Konkret Unsterblich - Sterblich Konkurrenz - Harmonie Gerechtigkeit - Fürsorge Transzendenz - Immanenz Universal - Partikular Norm - Abweichung Vollkommen - Unvollkommen Rein - Unrein Außen - Innen Öffentlich - Privat Produktion - Reproduktion Geld - Leben Macht - Liebe Jedes Begriffspaar beschreibt eigentlich jeweils ein ganzes System und diese sind vielfältig vernetzt und wechselseitig wirksam. Ein komplexer Raum mit vielseitigen Wechselbeziehungen wird jeweils auf 2 Gegenpole reduziert - >linear - dichotom<. Diese 2 Pole weisen auf einen diametralen Gegensatz hin, als wäre durch das Phantasma der >männlich-weiblichen Ergänzung< jegliche Machtebene ausgeschlossen. Näher betrachtet wird deutlich, dass die linke >männlich< konnotierte Seite die gesellschaftlich höher bewertet ist. Die den symbolischen Geschlechterdichotomien immanenten Hierarchie- und Gewaltverhältnisse werden im modernen Geschlechterarrangement systemkonform weiter interagiert und unbewusst gemacht. 17 Unser (abendländisches modernes) Geschlechtersystem basiert44 auf Gewalt - quer durch alle von eben diesem System auf symbolischer Ebene möglichst fein separierten Bereiche. Die zentrale Funktion unseres Geschlechtersystems ist die Ausgrenzung der Wahrhabung eben dieser Gewalt. Diese Ausgrenzung verläuft auf vielerlei Art – durch den öffentlichen und theoretischen Diskurs, medienpolitisch, strafrechtlich 45, medizinisch - v.a. psychiatrisch ( Borderline-Diagnosen zu ca. 80 % bei Frauen ) und nicht zuletzt durch das Wirken unbewusster Abwehrmechanismen, die eben unsere Kultur mit den symbolischen Geschlechterdichotomien für uns bereit hat, wenn uns etwas an die Grenzen des Erträglichen führt. Auf symbolischer Ebene steht uns somit ein System von Spaltungen zur Verfügung um Gendergewalt (GG) nicht wahrhaben zu müssen. Subjekt - Objekt Aktiv - Passiv Objektivität - Subjektivität Autonomie - Bindung Das >autonome Subjekt< - oft, nicht nur von feministischer Seite - als >modernes abendländisches männliches Subjekt< bezeichnet - ist im Sinne der modernen symbolischen Genderordnung männlich - >männlich konnotiert<. " Die Tendenz , Getrenntheit - weit mehr als Bindung und Interdependenz - als normales menschliches Streben darzustellen, ist eine eingeengte Sichtweise, die sich aus dem linearen Denken herleitet.“ 46 Es entstand auch gewaltsam über regionale, nationale und internationale, kirchliche und weltliche Machtinstututionen des (das Feudalsystem ablösenden) technisch-industriellen-militärischen Komplexes, nicht zuletzt der sogenannten Hexenvernichtung. 44 z.B. dass in Österreich vom Partner geschlagenen und körperlich verletzten, behandlungsbedürftigen Frauen, wenn sie gewagt haben sich zu wehren, zunächst gleich das Krankengeld gestrichen wird, weil sie nicht als Opfer anerkannt werden, sondern das Ganze als Raufhandel gilt- s. Information von >Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie< Wien 45 18 Diese kritische Sicht korrespondiert mit der zeitgenössischen Debatte um die Frage des >Subjekts< 47, das Ende der 1990er von der sog. Postmoderne sogar totgesagt wurde. Feministische Theorie kritisiert die Neutralität und vorgebliche Geschlechtsungebundenheit des >Subjekts< und dekonstruiert es als hegemoniales männliches Autonomiekonzept. 48 " Die patriarchale Hierarchie drückt sich nicht allein in der unterschiedlichen Wertigkeit aus, wonach z.B. Autonomie besser als Verbundenheit ist... . ...das herrschende Verständnis von Autonomie stellt sich bei näherer Betrachtung als >männliche< Vorstellung von Autonomie heraus, als eine normative Verallgemeinerung >männlicher< Denk-, Gefühl- und Handlungsweisen. Unverkennbar wird das spätestens dann, wenn Frauen ...darauf hinweisen, sie würden Autonomie möglicherweise anders definieren, eine solche Entgegensetzung sei vielleicht überhaupt wenig sinnvoll." 49 Frauen- und Genderforschung machen die Dimension der Männlichkeit in der Geschichte des Denkens und eben der männlichen Definitionsmacht deutlich. "Durch die Tatsache, dass Frauen in der philosophischen Tradition am Rande stehen, hat die Philosophie auch ihre Vernunftideale unter Ausschluss des Weiblichen definiert". 50 Susan SPIELER, Das Selbst, das nicht geschlechtslos ist : Ein verlorenes mütterliches Erbe. In : Judith üALPERT (Hg.) Psychoanalyse der Frau jenseits von Freud. Berlin, Heidelberg 1992, S. 42 46 47 " ... die traditionellen Attribute des philosophischen Subjekts, Selbstreflexivität, die Fähigkeit, nach Prinzipien zu handeln, rationale Verantwortlichkeit für die eigenen Handlungen sowie die Fähigkeit, einen Lebensplan in der Zukunft zu entwerfen, kurz gesagt : eine Art von Autonomie und Rationalität ... ( Seyla BENHABIB 1993, S.13, zit. nach Christina von BRAUN. In : Inge Stephan & Christina von BRAUN (Hg.) Genderstudien. Eine Einführung,2000, S. 71) Als weißes mittelständiges Männlichkeitskonzept, also dass weder z.B. farbige arme Menschen unser Autonomieideal verkörpern, noch Frauen, auch wenn sie in der Hierarchie weiter oben sind 48 49 Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S. 102 50 Genieve LLOYD. Das Patriarchat der Vernunft. >Männlich< und >weiblich< in der westlichen Philosophie 1985 aus dem Klappentext Aus einem weiterem Buch der philosophischen Genderforschung : "Dabei wird besonders den Veränderungen nachgegangen, die das Verhältnis von Rationalität und Gefühl im Laufe des Modernisierungsprozesses erfahren hat" ( Ursula M. ERNST/ Charlotte ANNERL/ Werner W. ERNST : Rationalität, Gefühl und Liebe im Geschlechterverhältnis 1995 zit. aus Klappentext) 19 Das Denken wird für die männliche Subjektvorstellung zentral. Rene` DESCARTESs >cogito ergo sum< >res cogitans< und >res extensa< 52 51 und seine Unterscheidung von gilt als Ausgangspunkt der modernen Dichotomisierung von Subjekt - Objekt und Geist - Körper. Der Genderforschung geht es bei der >Subjektkritik< vorwiegend um die kritische Herausarbeitung der >Subjekt - Objekt < - Geschlechterdichotomie und des >Subjekt - Objekt< - Verhältnisses als Machtverhältnis.53 Eine binäre Beziehung ist schon in der Wortbedeutung >Subjekt< angelegt, da das lateinische Wort >subicio< gleichermaßen transitiv als auch intransitiv verwendet wird, also sowohl >ich unterwerfe - wen oder was (Objekt)< als auch >ich unterwerfe mich< bezeichnet. So ist das moderne (>männliche<) Subjekt sowohl Subjekt wie Objekt der Herrschaft und der Unterwerfung. Dies kennzeichnet nicht nur die Beziehung >Selbst - Andere< , sondern überhaupt das Verhältnis zur Welt - zur inneren (>Triebe<) und äußeren >Natur<. Das autonome 54 Subjekt setzt sich seine Gesetze selbst und unterwirft sich freiwillig diesem (selbst)gegebenen Gesetz. Dafür ist die >Herrschaft seiner selbst durch sich selbst< nötig. Diese entspricht nach Norbert ELIAS dem >Prozess der Zivilisation<55 , welcher nach unseren tagtäglichen Erfahrungen ja nicht allzuweit gediehen ist. Und das hängt aus feministischer Sicht mit der systemimmanenten strukturellen Gewalt zusammen - und auch eben mit dieser (pathologischen) >Subjektwerdung< , die auf einer Spaltung in >Subjekt< und >Objekt< beruht, wobei diese zueinander in einem >Herrschaftsverhältnis< stehen. 51 52 (lat.) = ich denke, also bin ich >res cogitans< = denkende Sache, >res extensa< = ausgebreitete Sache Dabei greift die Frauenforschung auf Max HORKHEIMER & Theodor W. ADORNO, Dialektik der Aufklärung zurück,1973 53 54 Autonomie (altgriech. ) heißt wörtlich Selbstgesetzgebung Die Frauenforschung relativiert auch Norbert ELIAS´ bekannte These, dass die unmittelbare Gewaltausübung durch die Ausbildung des staatlichen Gewaltmonopols abgenommen habe. Dies gilt nur für den weißen Mann, nicht für Frauen und Kolonisierte. 55 20 „Das zum Subjekt werdende Individuum spaltet also einen Teil seiner Selbst (Triebe, Gefühle) von sich ab und macht diesen zum Objekt seiner Beherrschung." 56 Dieses in ein beherrschendes Subjekt und ein zu beherrschendes Objekt gespaltene Selbstverhältnis situiert alles, was nicht zur >männlichen< Selbststilisierung gehört, auf der anderen Seite der (geschlechtlich konnotierten) Dichotomie. "Dabei wird das jeweils andere zum >Anderen< schlechthin und erstens mit >Weiblichkeit<, zweitens mit >Natur< assoziiert sowie drittens zum Objekt der Beherrschung degradiert."57 Dieses heroische hegemoniale Männlichkeitsbild des autonomen Subjekts befindet sich in einem absolutem Gegensatzverhältnis zum anderen Pol, dem >Objekt< - im Sinne einer Spaltung - inkl. Idealisierung und Abwertung in binärer Manier. Es handelt sich um die Herstellung einer absoluten rein dichotomen Trennung. Ein >Schnitt< in 2, im Sinne der Reduzierung vom gesamten komplexen Beziehungsnetz von >Subjekt< und >Objekt< auf die hierarchische Wertedimension, die ihrerseits linear ist und eben radikal dichotom - von der Denkfigur sehr >schlicht<, weil im schwarz-weiß - , hoch-niedrig - , innen-außen Schema verhaftet. Umso wirkungsvoller ist diese Spaltung in der Projektion von Feindbildern und Geschlechterbildern und somit in Gestaltung von Welt im Sinne einer destruktiven Entwicklung, die auch auf einer Verkennung der Realität beruht. Wie das eben so ist, dass Abwehrmechanismen zwar Selbstschutz und dafür zu würdigen sind, aber auch Realitätsverlust nach sich ziehen... Dieser Realitätsverlust dient jedenfalls der Aufrechterhaltung herrschender MachtSysteme, weil sich Unliebsames - so wie bei der Feindbildherstellung überhaupt - der Wahrnehmung entzieht. Und wenn es >draußen< wieder auftaucht, als >realer< Feind, - hurra für die, die was zu gewinnen haben, dann gibt es Krieg. Und das >autonome Subjekt< geht hin. 56 Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S.113 57 Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S. 115 21 Und kleinere und größere >war-lords< traumatisieren dann sich, Täter und Opfer, Eigene und Andere, das heißt potentiell alle - mehr oder weniger. Konkurrenz, Hierarchie mit dem Leitbild des Helden - und das ist der Sieger. Wer beherrscht wen, führt an, dominiert, kontrolliert ? Wie im Konkreten (Krieg,Politik,Wirtschaft) - so auch im >symbolischen< Kosmos der Moderne: Kultur oder Natur, Kopf oder Bauch.... Der Höhere "natürlich", der Steuerer im mechanistischen System der (alten) Hirnsteuerungsvision, also wer -- das >Subjekt<; - bzw. machen sich jetzt die Subjekte aus, wer oben steht - nach dem Leitbild der >hegemonialen Männlichkeit(en)<. Das >Subjekt<, das Individuum, der Mensch - geschlechtsneutral gesetzt, aber immanent und symbolisch wirkt sich die männliche Konnotierung machtvoll aus; und die weibliche ebenso, wenn auch in anderer Weise. Das "Andere" dieses männlich konnotierten Subjekts ist die projektiv >produzierte< entsprechende >weibliche< Seite - das >Objekt<. Dinge sind wir nur im Denken. Diese Abstraktionsmöglichkeit vom konkreten lebendigen männlichen oder weiblichen Menschen birgt Gefahren, erkenntnistheoretische und konkrete - sichtbar an der Wortbildung >Missbrauch<, von vielen als unglücklich empfunden, da dieser Begriff einen legitimen Gebrauch von (v.a. kleinen) Menschen suggeriert. Die ebenfalls dichotom zugerichtete Dimension > aktiv - passiv < ist deutlich mit der >Subjekt< - >Objekt< - DICHO verschränkt. Aktivität, Machen, Macht, Machbarkeit, Gebrauch und Missbrauch, Kontrolle wie wird umgegangen mit Dingen, die außerhalb des abstrakten Umgangs im Denken ja z.T. eben keine Dinge sind ? Was wir >Objekte< nennen, sind ja nicht nur wirklich sog. tote Dinge, sondern auch - und in manch unglücklicher Terminologie wie der psychoanalytischen gerade Menschen in Fleisch und Blut; 22 nicht zufällig sind die psychoanalytischen >Objekte< eigentlich konkret meist Mütter, jedenfalls Liebesobjekte. Was meinen wir uns alles durch solche Denkschemata ersparen zu können..? Die Wahrhabung der Realität in ihrer Komplexität muss immer uns selbst ganzheitlich und persönlich - einbeziehen; sonst besteht die Gefahr uns durch Abstraktifizierung/ Abstrakt-Machung so gründlich hinaus zu denken aus dieser Realität, dass es mal ein böses Erwachen gibt. Weil es gibt sie, die Welt, auf ganz konkreter Ebene, sinnlich-sinnhaft; und weder ein Sich-Autonom-Machen, noch eine Kontrolle, keine Projektionen und auch keine noch so wirkmächtigen symbolischen Systeme können uns unserer im Grunde unkontrollierbaren lebendigen Kontexthaftigkeit entheben. Erkenntnistheoretisch sind alle Dinge eigentlich nur im Kontext wahrnehmbar - da sie unter- und miteinander und v.a. mit uns selbst verbunden sind, die wir da in der Welt sind - d.h. ohne in alter (>männlicher<) Manier aus dieser Welt gleich abstraktifizierend zu verschwinden oder sich jedenfalls zu distanzieren. Also konkret gibt es ein Beziehungsgeflecht zwischen den Dingen in dieser Welt und uns, den >Objekten< und den Subjekten<. Konkret sind Differenzierungen da - wesenhafte - zwischen lebendigen Dingen unterschiedlichster Arten; - unser moderner Stolz ist durch unsere Top-Stellung gegeben - als >homo sapiens< , der sich auch von seinen nächsten Verwandten, den weiblich konnotierten >Mammalia<58, eben aufgrund seiner bezeichnenden Weisheit abheben will. Dann gibt es noch die sog. toten Dinge. Die kann man missbrauchen ohne dass sie schreien. " Materie : wie der Mann die Frau und die Natur betrachtet und sich zunutze macht. Trennung : Trennung in seiner Sicht und unter seiner Herrschaft (worin sich unsere Stimme erhebt). 58 Gleichzeitig wurde von der modernen Biologie im 19.Jhdt. der Begriff >Mammalia< geprägt. s. SCHIEBINGER, Londa 23 Übergang : ihre Reise durch das Labyrinth zu der Höhle, wo sie ihre Vision hat. Ihre Vision : nun sieht sie mit ihren eigenen Augen (worin die Welt nicht länger ihm gehört)." 59 Zentral geht’s bei dieser >Subjekt< - >Objekt< - DICHO im Sinne des modernen Naturbeherrschungsparadigmas um Kontrolle/ Beherrschung/ Unterwerfung/ Einverleibung bis Zerstörung des als innere und äußere >Natur< Gesetzten. Hier wird die innige Verschränkung dieser >Subjekt-Objekt - , aktiv-passiv -, abstraktkonkret - DICHOs< mit der ebenfalls radikal nicht geschlechtsneutralen >Kultur Natur - DICHO< deutlich. Das begriffliche Gegensatzpaar >Objektivität - Subjektivität< kann sich ebenfalls weder dem Bedeutungskontext der anderen dichotom gesetzten Dimensionen, noch deren Geschlechtskonnotierung entziehen. Maßgeblich kommt jetzt die > DICHO Ratio - Emotio < ins Spiel der modernpatriarchalen Spaltungen mit seiner systemimmanenten Höherbewertung des >männlichen< Pols. Das drückt sich in der Geschlechtsmetaphorik von >harten< versus >weichen< für entweder quantitativ oder qualitativ gewonnene Daten aus; aber eben auch in der gewissen wissenschaftlichen Verachtung eines >subjekiven< Forschungszuganges und dessen Disqualifizierung als emotional und deshalb irrelevant bis fahrlässig. Im Gegenzug zur ideologischen Erhöhung der Komplementarität der Geschlechter, dem Idol der gegenseitigen Ergänzung, verschwindet die hierarchische Beziehung zwischen dem >männlichen< und >weiblichen< Bereich aus dem Blick. Die feministische Theorie hat kein Zaubermittel zur Auflösung dieser Dichotomien parat. Auch auf die viel beschworene >Dialektik< 60 setzt sie nicht, auch nicht auf die Susan GRIFFIN : Frau und Natur, Suhrkamp Vlg 1987, aus dem Klappentext - der psychoanalytischen Interpretation dieses Buches nimmt sich Christa ROHDE - DACHSER, Expedition in den dunklen Kontinent. Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse. 1991, S. 273 ff. an. 59 24 Androgynie. Sie setzt auf einen reflektierenden Umgang mit diesen dichotomen symbolischen Strukturen um zu vermeiden auf eine Seite der >Spaltung< zu kippen oder dann auf die andere und betont „.....wie schwierig, wenn nicht unmöglich es ist, ein Verständnis von „Geschlecht“ jenseits der das moderne westliche Denken kennzeichnenden Dichotomien zwischen Natur – Kultur, Körper – Geist, Materie – Bewusstsein zu entwickeln. So existiert die Neigung, den Schwerpunkt in der Vorstellung vom >Geschlecht< jeweils auf die eine oder die andere Seite dieser binären Oppositionen zu legen, wobei die andere Seite dann fast unwillkürlich aus dem Blick gerät und sich der Begriff von >Geschlecht< auf diesen einen Aspekt verkürzt. Dies ist keineswegs lediglich eine Folge individueller Inkonsequenz oder Inkonsistenz, sondern vielmehr ein strukturelles, mit der binären Logik des modernen Denkens verbundenes Dilemma, dem sich gegenwärtig und wahrscheinlich auch noch auf einige Zeit hin unser Denken kaum wird entziehen können. Die einzige Chance, die ich sehe, besteht in dem Versuch eine begriffliche Balance zu finden, in der sowohl das Dilemma selbst reflektiert als auch jedes vermeintliche Auflösen der Oppositionen oder umkippen nach einer Seite hin vermieden wird.“ 61. Die Geschlechterdichotomien ethnopsychoanalytisch reflektiert Eine feministische Kritik an HEGELs >Dialektik< bezieht sich z.B. auf den Begriff der ideellen >Aufhebung< in einem Dritten , des >Aufgehobenwerdens< . Zu HEGEL : " Denn was sich vereinigen soll, muß ein vorher Getrenntes sein; die Kraft der Zeugung wie des Geistes ist desto größer, je größer auch die Gegensätze sind, aus denen sie sich wieder herstellt" ( zit. n. Marielouise JANSSEN - JURREIT , SEXISMUS. Über die Abtreibung der Frauenfrage (1976) 1979, S.654 ) führt Marielouise JANSSEN - JURREIT die Zeugungsmetapher aus , indem sie den Begriff der >Dialektik< als "gigantischen Fruchtbarkeitskult, bei dem die Gegensätze endlos koitieren" und diese ideelle >Aufhebung < in einem Dritten als "Scheinmanöver zu Aufhebung der Geschlechterdifferenz" sichtbar macht (S. 658) ; dazu noch einmal HEGEL : " Im Kind schauen die Eltern ihre Einheit als Realität an, sie sind es selbst, und es ist ihre herausgeborene, sichtbare Identität und Mitte; die reale Vernünftigkeit der Natur, worin die Differenz der Geschlechter vollkommen vertilgt, und beide in absoluter Einheit sind" <sic> ( zit. n. Marielouise JANSSEN - JURREIT , SEXISMUS. Über die Abtreibung der Frauenfrage (1976) 1979, S.657 ). 60 61 Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S 17/18 25 Durch die Einbeziehung des individuellen und kulturellen Unbewussten kann noch eine weiterführende Verständnisebene der modernen Geschlechterdichotomien dazu gewonnen werden - gerade durch ein Aufnehmen und Einarbeiten dieser von kulturund genderwissenschaftlicher Seite aufgezeigten >Spaltungsphänomene< in einen feministischen psychoanalytischen Diskurs. Die Idealisierung versus Abwertung von >Mann</ >Frau< ist in der mainstream- psychoanalytischen Theorie weitgehend unreflektiert verankert.62 Unsere vorherrschenden sozialen Geschlechtsrollen und die symbolischen Dichotomien, die den Geschlechtern zu- und nachgeordnet sind, können als das Ergebnis des Abwehrmechanismus "Spaltung", der die Voraussetzung für den Abwehrmechanismus "Projektion" bildet, gesehen werden. Diese Spaltung hat - wie alle Abwehrleistungen - eine Schutzfunktion : " nämlich die Aufrechterhaltung des Selbst und der Selbstachtung, während man versucht, mit einer schwierigen Tatsache des Lebens fertig zu werden - der Tatsache, dass der Mensch beschränkt, fehlerhaft und fehlbar ist " 63 - und einen Preis : den wertschätzenden Zugang zu >weiblichen< Dimensionen, dem >mütterlichen Erbe< und somit ein Stück Realitätsverlust. Die durch die Geschlechterdichotomien abgewehrten psychische Inhalte sind unsere kulturellen menschlichen Erfahrungen und Vorstellungen von Ausgeliefertheit, Verletzlichkeit, Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Endlichkeit, Vergänglichkeit, Sterblichkeit, 62 „ Es bedarf keiner überschießenden Phantasie, die in der traditionellen Psychoanalyse der Frau attestierten Persönlichkeitsmerkmale wie Penisneid, Masochismus, mangelndes Selbstwertgefühl und Idealisierung des Mannes in eben diesem Sinne als Niederschlag eines Jahrtausende alten Unterdrückungsverhältnisses zu begreifen und auch so zu interpretieren" ( Christa ROHDE - DACHSER, Weiblichkeitsparadigmen in der Psychoanalyse. Psyche Zeitschr., Jan 1990, S. 44 ) Susan SPIELER, Das Selbst, das nicht geschlechtslos ist : Ein verlorenes mütterliches Erbe. In : Judith ALPERT (Hg.) Psychoanalyse der Frau jenseits von Freud. Berlin, Heidelberg 1992, S.50 63 "Obwohl Bindung mit einem weiblichen Bezugssystem assoziiert wird und Trennung mit einem männlichen, spiegeln die Situationen der Mütter, die die Trennung nicht fördern können, und die der Väter, die die Bindung nicht fördern können, Mängel in der Organisation des Selbst wider" Susan SPIELER, Das Selbst, das nicht geschlechtslos ist : Ein verlorenes mütterliches Erbe. In : Judith ALPERT (Hg.) Psychoanalyse der Frau jenseits von Freud. Berlin, Heidelberg 1992, S.59 26 dem Bewusstsein unserer Unvollständigkeit64 als Mann und Frau, als Geschlechtswesen, und unsere gegenseitige Abhängigkeit und unseren gegenseitigen Neid als Mann und Frau. (Vergleiche: das kleine "ich" von Christina von BRAUN : "mit dem "ich" ist das Ich gemeint, das dem Bewusstsein der eigenen "Unvollständigkeit", also meiner Definition von Bewusstsein entspricht: ein Ich, das um seine Sterblichkeit und Geschlechtszugehörigkeit weiß".65) Das Geschlecht / die Geschlechter / die Geschlechtlichkeit mit ihrer impliziten Fortpflanzungsmöglichkeit, also Generativität und Geburtlichkeit, ist assoziativ mit dem Ende, der Sterblichkeit verbunden. Nach dem Wegfall einer spirituellen, religiösen Sicherung dieses ewigen "Stirb und Werde" blieben wir übrig als ein Teil der nunmehr unbeseelten Natur (Materie). Unser kulturelles Abwehrsystem des neuzeitlichen symbolischen Kosmos verspricht uns durch unsere ratio gleichzeitig absolute Nutzung dieser Materie und Unabhängigkeit von dieser; „uns“ – soweit wir mit dem Männlichkeitsideal identifiziert und eins sind. Aber Erfahrungen von Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Unvollkommenheit, Sterblichkeit sind uns allen, Frauen und Männern universal vorgegeben - besonders verstärkt durch die spezifisch lange Kindheit des Menschen. Deutlich lässt sich noch bei DESCARTES das irrationale Allmachtsphantasma dieser >ratio< bemerken - nach dem Motto : >ich denke, also bin ich unsterblich< wenn er schreibt, was er daraus erkannte, dass er sich vorstellen kann, keinen Körper zu haben : Nämlich "...dass ich eine Substanz sei, deren ganze Wesenheit oder Natur bloß im Denken bestehe, sodass dieses Ich ,d.h. die Seele, wodurch ich bin, was ich bin, vom Körper 64 „Die Anerkennung der Andersheit bedeutet auch, die eigene Unvollständigkeit anzunehmen.....“(Hildegard Lahme - Gronostaj, Identität und Differenz , 2000, S 250) 65 Braun, Christina von (1985) : Nicht Ich. Logik, Lüge, Libido, Frankfurt/M., S. 14 27 völlig verschieden und selbst leichter zu erkennen ist als dieser und auch ohne Körper nicht aufhören wird, alles zu sein, was sie ist . "66 Das Unsterblichkeitsphantasma wird von DESCARTES in keiner Weise >aufgeklärt< , die unsterbliche Seele wird nur vom Himmel auf die Erde geholt und in den menschlichen >männlichen< Geist gefüllt. Die Spaltung in die Geschlechterdichotomien ermöglicht uns das Phantasma der Beherrschbarkeit unserer conditio - humana, v.a. unseres Geborenwerdens und unseres Sterbenmüssens. Wissenschaft und Technik haben zwar sehr effektiv an einer Bewältigung unserer Naturabhängigkeit gearbeitet, aber von einer Realisierung des Wunschbildes Unsterblichkeit sind wir mehr denn je entfernt. "Etwas ist ganz und gar falsch gelaufen. Gerade das Können der modernen Wissenschaft konfrontiert uns mit dem Faktum, dass wir aus irgendeinem Grund vergessen haben, unser eigenes Überleben in die Zielsetzungen wissenschaftlicher Erkenntnis einzubringen." 67 Die moderne abendländische Konzeption der Natur- und Selbstbeherrschung vereint die Abspaltung unerträglich scheinender Bedingungen unseres Lebens – unserer conditio humana – und die Unbewusstmachung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse. Vermengt und undifferenziert werden Härten der menschlichen Existenz als solcher und Unerträglichkeiten aufgrund menschlicher Gewalteinwirkungen aus dem vorherrschenden Diskurs und der individuellen Wahrhabung abgespalten und ausgeblendet - durch Spaltungsprozesse, die die ideologisierten Geschlechterdichotomien und somit Unbewusstheit von kollektiver struktureller Gewalt produzieren. Durch kritische Reflexion und Bewusstmachung kommt unser kulturelles Geschlechtersystem mit seiner durch die Geschlechterdichotomien tief eingelassenen Gendergewalt wieder in den Blick. Deren Abwehr und Unbewusstmachung wird individuell über transgenerationale Traumatisierungen mit ihren Dissoziierungen weitergegeben. Umso stärker ist der Abwehrcharakter, je mehr wir uns vor der Unerträglichkeit einer konkreten Erfahrung schützen müssen. 66 zit. nach Christoph HELFERICH, Geschichte der Philosophie, 1992, S. 168 67 Evelyn Fox Keller, in: Barbara Orland und Elvira Scheich (Hg., 1995) : Das Geschlecht der Natur, S.91 28 Besonders nachhaltig ist die destruktive Wirkung eines traumatischen Erlebnisses, das auf menschliche Gewalteinwirkung beruht. Hier wird basal ein mitmenschliches Vertrauen zerstört - erst recht, wenn Leid und Gewalt nicht gesellschaftsfähig sind, totgeschwiegen werden, keine allgemein-gesellschaftliche Wahrhabung erfahren und es somit weder Empathie für das Gewaltopfer, noch Wiedergutmachung gibt. Dem kollektiven >Vergessen< der Jahrhunderte lang auf das Grausamste speziell gegen Frauen ausgeübten Gewalt in den Hexenverfolgungen entspricht auch die Ausblendung der heutigen konkreten und strukturellen Gewalt gegen Frauen 68 . Eine noch spezielle Qualität des Grauens vermittelt darüber hinaus sexistische Gewalt, die dem ( mit Projektionen vollgestopften ) weiblichen Geschlecht als solchem gilt und über den >Frauenkörper als Schlachtfeld<69 ausgetragen wird. Die weiblichen Konnotierungen von nationalen Territorien – als zu eroberndes Land – dienen dazu Vergewaltigungen im Krieg zu einer sinnvollen Strategie zur Demütigung des Feindes und Zerstörung des Kollektivkörpers des Feindes aufzuladen. Die - historische und aktuelle - Gewalt und die gewaltsame Delegierung von Natur und unserer Naturabhängigkeit an die >Frau< ist im modernen Geschlechtersystem eingeschrieben. Dieses dient der Unbewusstmachung und somit der Aufrechterhaltung einer sexistischen Gesellschaft - trotz bzw. gerade unter der Fahne der >Gleichheit<. Die bürgerlichen Gleichheitsforderungen >Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit< machten das Patriarchat legitimationspflichtig. Diese Funktion übernahm das moderne Geschlechtersystem. Die Wut und der Widerstand gegen die Gewaltverhältnisse wird durch kultur- und geschlechtsspezifische Abwehrmechanismen ebenfalls unbewusst gemacht. Diese Funktion der >gesellschaftlichen Produktion von Unbewusstheit< betont Mario ERDHEIM als zentral zur Aufrechterhaltung ungerechter gesellschaftlicher - auch von Frauen selbst, was leider wiederum befördert Opfer zu werden , s.Judith Lewis HERMAN : Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, 1993 , S. 100 f. 68 69 Elisabeth REHN , UNIFEM Studie Women, War and Peace, 2002 (Präsentation in Wien April 2003) 29 Verhältnisse. Das gesellschaftliche Machtgefälle hat Auswirkungen auf die individuelle Selbstentwicklung. Charakteristische Abwehrmechanismen auf Seiten der untergeordneten Gruppen sind : die (Über)Idealisierung des Mächtigen, die Identifikation mit ihm und Selbstentwertung bis Selbsthass.70 Diese sind konkret klinisch feststellbar - wie das niedrigere Selbstwertgefühl und die weit größere Depressionsneigung bei Frauen. Die >gesellschaftliche Unbewusstheit< der in unserem Geschlechtersystem tief eingelassenen Gewalt wird vielfältig befördert. Einem Zurückholen ins Bewusstsein steht - außer (geschlechter-) politischen Interessen - auch unsere psychische Abwehr von uns Unerträglichem im Wege. Die historische und heutige offene und strukturelle Gewalt gegen Frauen befördert unsere unbewussten Assoziationen von totaler Ausgeliefertheit mit >Frau< passend zu den durch den Abwehrmechanismus der Spaltung zustande gekommenen Dichotomien. Zur Überwindung dieser fatalen Geschlechterordnung Das Bewusstmachen von struktureller sexistischer Gewalt und unseren vielfältigen Gefühlen dazu erschüttert den status quo, bringt die „Verhältnisse“ zum Tanzen. Besorgniserregende globale Entwicklungen, die maßgeblich dem Eroberungszug unserer modernen „westlichen“ Werte zu verdanken sind, verlangen nach radikal neuen Wegen. Ein kollektiver Bewusstseinssprung geht mit einer Aufhebung von kultureller Unbewusstheit Hand in Hand. Eine Wahrhabung unserer conditio humana mit ihrer Unvollkommenheit, Verletzlichkeit und Endlichkeit erlaubt die Spaltungen unserer Geschlechterdichotomien aufzulösen. Damit können wir die verderbliche Kopplung unserer Ausgeliefertheit an Natur und an menschliche Gewalt hinter uns lassen, beides differenziert wahrnehmen und entsprechend handeln. Für einen Schutz vor Gewalt – ob persönlich interaktioneller oder struktureller – ist die Wahrnehmung von Gewalt unabdingbar. 70 Mario ERDHEIM, Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den psychoanalytischen Prozeß, Frankfurt 1992 30 Für die Wahrnehmung von struktureller Gewalt ist eine kulturkritische Reflexion unseres gesamten Systems von Zwei-Geschlechtlichkeit notwendig : Jedes Geschlechtersystem ist konkret wirksam in vielfältigen Vernetzungen verschiedener Dimensionen menschlicher Kultur --symbolischen - >Genderisierung des symbolischen Kosmos< sozialen * normative Geschlechterrollen - * >doing gender< - konkrete (Alltags-)Interaktion * Einbeziehung der Macht- und Gewaltdimension persönlichen - im jeweils von Frau/ Mann gelebten Selbst- und Weltbezug. Diese Wirksamkeit ist auf allen Ebenen auch eine unbewusste. Ganzheitlich – denken fühlen handeln + gemeinsamer Austausch Dekonstruieren dieser Geschlechterdifferenz und dies eben nicht nur „kopfig“ Gendersensibilität, Gewaltsensibilität, Selbstreflexion. Achtsamkeit auf Spaltungen in unserem „psychotischen Kosmos“ (makro bis mikro) durch besondere Achtsamkeit und Sensibilisierung für Widersprüche, Idealisierungen, Projektionen, Verkehrungen ins Gegenteil (>Umdreh<71), also für Spaltungsprodukte und -prozesse - auch eigene. Besondere Achtsamkeit und Sensibilisierung für den Spaltungsprozess, der durch Abstrakt-Machung / Abstraktifizierung 72 befördert wird. Durch das Auslassen oder Verlassen des konkreten Blickwinkels fällt der Schatten der Abstraktion auf die reale Vielfalt und Widersprüchlichkeit Pauschalierungen - vgl. die Abstraktifizierung >die Frau< / >der Mann<, >Mensch< >das Weibliche< und und die >das Männliche<. 71 besonders die Verkehrung von Opfer und Täter, was die Spirale der Reviktimisierung ( dass Opfer immer wieder zu Opfern gemacht werden ) der Opfer befördert 72 s. auch Substantivierungen : z.B. : das Substantivum >das Leben< - >Leben als substantive Vorstellung< wurde gleichzeitig mit seinem Forschungsfeld, der Biologie, geschaffen und definiert ( im 19. Jhdt. von Jean-Baptiste LAMARCK ). Vorher galt das wissenschaftliche Interesse der Vielfalt der Lebewesen. Seit LAMARCK sucht die Biologie nach dem Grund für die spezifische Organisation belebter Wesen. Barbara DUDEN begreift das Auftauchen des Substantivums >das Leben< im historischen Kontext des "Verwelkens der Natur als lebendige matrix... ( DUDEN Barbara (1994) : Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Missbrauch des Begriffes Leben, dtv München, S. 138). Es gebe kaum ein Wort, das mit so vielen Bedeutungen belegt wurde, dass es keine Bezeichnungskraft mehr ausübe. „ "Das Leben" und "ein Leben" sind Konzepte, die sich nur zum Missbrauch eignen.“ ( DUDEN Barbara (1994) : S. 10). 31 Konkretes Anders Tun >doing gender< : In diesem Sinne ist der Satz „Das Patriarchat ist zu Ende“73 weder nur Wunsch, noch Verkennung der Realität, sondern Ausdruck des eigenen Sich-In-Beziehung-Setzens : in meiner Interaktion stelle ich keine patriarchalen Bezüge her und soweit ich kann, dulde ich keine. Zur praktischen Philosophie des Von-sich-selbst-Ausgehens 74 : „Das bedeutet, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf unser konkretes Leben richten und dabei vor allem auf die Gefühle achten, mit denen wir etwas erleben.“ „Andererseits machen wir daraus aber keine persönliche Angelegenheit, sondern nehmen es als Zeichen der Welt, in der wir leben.“ „Die Welt ist uns also mit ihren Gesetzen und Notwendigkeiten auferlegt. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in einer grundlegenden und nicht in einer oberflächlichen Beziehung zur Welt leben, dann folgt daraus, dass sich auch die Welt selbst verändert, wenn ich meine Beziehung zu ihr verändere. Es bedeutet auch, dass die Beschreibung meiner Beziehung zur Welt ein Wissen über die Welt darstellt, das ich anderen zur Verfügung stelle, und nicht ein Wissen, das nur mich selbst betrifft.“ „Man könnte sagen, dass sich zwischen dem Du und dem Ich das Sein befindet. Durch das Lächeln des Seins kehrt die Gegenwart der Welt zurück“. 75 Libreria della donne di Milano (1996) : Das Patriarchat ist zu Ende. Es ist passiert – nicht aus Zufall, Rüsselheim 73 DIOTIMA und andere (herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Andrea Günter, Dorothee Markert und Antje Schrupp)(1999) : Die Welt zur Welt bringen. Politik, Geschlechterdifferenz und die Arbeit am Symbolischen. Königstein/Taunus : Ulrike Helmer Verlag 74 75 Zamboni, Chiara (1999) :. In : DIOTIMA u.a. (s. Fußnote 74) Zitate aus S. 155,156,157 u. 188 32