Gender als Dreh-und Angelpunkt

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Gender 1
Text: [email protected]
als Dreh- und Angelpunkt auf dem Weg zu einer gewaltfreien Gesellschaft
Dieser Text soll unsere „Geschlechterrollen“ infrage stellen – nicht nur deren
allgegenwärtige Inhalte, auch die Art und Weise, wie der „Geschlechtsunterschied“
aufgefasst wird. Dabei soll gezeigt werden, wie unser kulturelles Geschlechtersystem
Unbewusstheit herstellt. Die Spaltungsprozesse mit ihren polaren, auf Zwischentöne
verzichtenden Zuschreibungen, auf denen unser neuzeitliches System von
Zweigeschlechtlichkeit gründet, können aus psychoanalytischem Blickwinkel als frühe
und somit sehr pathogene psychische „Abwehrmechanismen“ betrachtet werden.
Diese „Abwehr“ unerträglicher psychischer Inhalte nährt sich einerseits durch die
spezifisch neuzeitliche Art des Umgangs mit unserer „conditio humana“, unseren
menschlichen Lebensbedingungen inklusive unserer Sterblichkeit, andererseits dient
sie der Aufrechterhaltung eines psychotischen Kosmos, in dem konkrete und
strukturelle Gewalt weitgehend ausgeblendet ist – speziell Gewaltverhältnisse, die
unserem Geschlechtersystem inhärent sind (Gendergewalt).
Eine bewusste Wahrhabung 2 unserer Ausgeliefertheit und Unvollkommenheit
als menschliche Lebewesen ermöglicht kulturelle konstruktive
Bewältigungsmöglichkeiten. Und eine Aufhebung gesellschaftlicher Unbewusstheit der
vielfältigen mit Genderbedeutung aufgeladenen Gewaltverhältnisse in unserem Selbstund Weltbezug führt zu tief greifenden Veränderungen unseres Selbst, unserer
Gemeinschaften und Gesellschaft in Richtung politischer, ökonomischer und
ökologischer Überlebensfähigkeit.
Feministische Genderforschung :
Von der ethnologischen und kulturwissenschaftlichen Frauen- und
Genderforschung her ist die große Mannigfaltigkeit des in verschiedenen Kulturen
als männlich oder weiblich Aufgefasstem bekannt. Aber nicht nur inhaltlich, sondern
auch in der Art und Weise, wie mit der Binarität der Geschlechterdifferenz selbst /
der Zweigeschlechtlichkeit / symbolisch umgegangen wird, gibt es Unterschiede.
1
GENDER als grundlegende wissenschaftliche Analysekategorie, mit der die fragwürdig gewordene
Opposition zwischen Männern und Frauen dekonstruiert und gleichzeitig in ihrer sozialen, kulturellen
und politischen Realität als Mechanismus der Hierarchisierung ernst genommen werden kann.
2
Mit dem Begriff >Wahrhabung< will ich das Wahr- und Aufnehmen von Gewalthandlungen
ausdrücken, zutiefst kognitiv und emotional zugleich.
1
Unser modernes Geschlechtersystem ist von einer strikten dichotomen Zweiteilung
gekennzeichnet, die keine Übergänge, Uneindeutigkeiten und kein Drittes kennt.
Bei indigenen Ethnien Nordamerikas - aber auch in Indonesien z.B. gibt es eine dritte
und auch z.T. vierte Gender-Kategorie , also eine kulturelle Konstruktion von mehr
als nur zwei sozialen Geschlechtern ( >gender variance<).3
Mit dem >verkehrtem Blick< auf die eigene Kultur fällt auf, dass nicht einmal die
Setzung von zwei sozialen Geschlechter universal ist und dass die Tatsache der
Geschlechterdifferenz selbst symbolisch unterschiedlich gefasst und demnach
gestaltet wird.
"Aus der Optik unseres BIO-Zweigeschlechter-Bias war es uns bis jetzt kaum möglich,
andere kulturelle Formen von Geschlecht wahrzunehmen.“4
Durch die Einbeziehung ganz anderer fremder Geschlechterarrangements lässt sich
unser kulturelles System von Geschlechtlichkeit deutlicher erkennen und in ihrer
"Natürlichkeit" und Universalität relativieren.
"Dieser Gedanke, dass die Geschlechterdifferenz kulturell erzeugt ist, wurde durch
eine Verbindung mit dem ethnomethodologischen Ansatz fruchtbar, mit dessen Hilfe
Alltagsvorgänge in der eigenen Gesellschaft verfremdet und wie aus der Sicht einer
anderen Kultur wahrgenommen werden sollen. Das Geschlecht, in dieser Sicht, ist
nicht etwas, was wir "haben" oder "sind", sondern etwas, was wir tun /"doing
gender".5
Der Kulturvergleich ermöglicht unser abendländisches modernes symbolisches
System von Zweigeschlechtlichkeit als in besonderem Maße von Dichotomien
bestimmt zu erkennen und zeigt andere Geschlechterarrangements auf.
3
4
KEA, Zeitschrift für Kulturwissenschaften. Geschlechterkonstruktionen, Heft 7, 1994
Kaufmann, Margit (1994) : Geschlechterkonstruktionen, S.46, in KEA, Zeitschrift für
Kulturwissenschaften, Ausgabe 7, Winter/1994
5
Hagemann - White, Carol (1993): in: Feministische Studien, Nov./93, S. 68
2
Der unterschiedliche Umgang mit intersexuellen Menschen, die nicht eindeutig
einem der 2 Geschlechter zuordenbar sind
6,
relativiert unsere dichotomen
Geschlechterkonstruktionen ebenfalls und zeigt ihre lokalen und historischen
Begrenztheiten auf.
Clifford Geertz bezeichnet das Problem der Intersexualität / Hermaphroditismus ( 2%
bis 3% Zwitter ) als eine kulturelle Herausforderung der sehr unterschiedlich begegnet
wurde und wird :
Die alten Römer brachten Intersexuelle als verflucht um, die alten Griechen sahen sie
zwar
als
merkwürdig,
aber
eher
halbgöttlich
an;
heutige
Nordamerikaner
(abendländischer Kulturkreis) reagieren eher mit Abscheu, verlangen auf jeden Fall
eine eindeutige Entscheidung für ein Geschlecht - notfalls mit Hilfe der Chirurgie "gleichmachen und beseitigen" 7.
Navahos verehren Zwitter, weil sie mit Segen ausgestattet seien und segensreich
wirken. Die ostafrikanischen Pokot betrachten Zwitter als misslungene Kreaturen, als
nutzlos, und behandeln sie entsprechend, d.h. töten sie oder lassen sie gleichgültig
und vernachlässigt leben.
"Wenn Gott die Zwitter erschaffen hat, so hat doch der Mensch sie vollendet".8
Die Polarisierung der Geschlechter findet eigentlich keine biologische Untermauerung.
Das ganze Gebiet ist viel weniger eindeutig und erforscht als uns suggeriert wird / wir
für wahr halten.
Zur Geschlechtsbestimmung nach dem Psychyrembel: a) chromosomales G. nach xx bzw.xy, b)
gonadales G. nach den Keimdrüsen ( Eierstöcke bzw. Hoden, c) hormonales G. nach
Geschlechtshormone, d) genitales G. nach den jeweiligen primären ( äußere und innere
Geschlechtsorgane ) und sekundären ( Körperbau, Haarwuchs, Stimme etc.) Geschlechtsmerkmalen
und e) psychologisches G. , dessen kulturelle Konstruiertheit unreflektiert bleibt und somit die sog.
Geschlechterrollen biologisiert werden.
6
7
Geertz , Clifford (1987): Dichte Beschreibung, S.274
8
Geertz , Clifford (1987): Dichte Beschreibung, S.275
3
Eine kurze Darstellung der Geschichte des deutschen Wortes >Geschlecht< zeigt die
historische Dimension in unserer Kultur auf.
In einem hunderte Jahre langen Prozess vollzog sich der Wandel der Wortbedeutung
von >Geschlecht< im Zusammenhang mit vielfältigen soziokulturellen
Veränderungen.
Geschlecht kommt von >schlagen< und zwar in dem Sinne, wie wir es heute noch
verwenden: z.B. >nach dem Vater schlagen<.
Im Weiteren möchte ich drei unterschiedliche, historisch aufeinander folgende
Bedeutungen des deutschen Wortes >Geschlecht< darstellen.

9
Mein >Geschlecht< bedeutete bis ungefähr zum Jahre 1000 meine
ZeitgenossInnen. In diesem Sinne wurde unter dem Wort „Geschlecht“ die
Gesamtheit der gleichzeitig lebenden Menschen verstanden, also eine
horizontale Gruppe von ZeitgenossInnen.

Mein >Geschlecht< waren ab dem Jahre 1000 bis etwa zum 18. bis 19. Jhdt.
die Vor- und Nachfahren in männlicher Linie, also mein Vater, mein väterlicher
Großvater usw. und mein Sohn, dessen Sohn usw.. Ivan ILLICH beschreibt
den Zusammenbruch der alten patriarchalen "Genus"-Kulturen und die
Herausbildung der modernen sexistischen Gesellschaft.
10
Geschlecht bedeutete also damals eine vertikale Dimension der
patrilinearen Abstammung. In diesem langen Prozess veränderte sich
auch das Erbrecht und Frauen verloren immer mehr ihre eigenständige
Existenzbasis.

>Geschlecht< wurde ungefähr ab 1800 als bloßer Sexus verstanden, als
biologisches Geschlecht und in weiterer lokaler Einschränkung auch nur als
eigener Geschlechtsteil.
>Geschlecht< wurde eine rein biologische Kategorie.
aus dem DUDEN und von WALDECK Ruth (1993) : Zur Produktion des schwachen Geschlechts, In
Ethnopsychoanalyse Band III, Körper, Krankheit und Kultur, Frankfurt, S. 205 bis 208
9
10
ILLICH Ivan, (1983) : Genus. Zu einer historischen Kritik der Gleichheit, München
4
Die Unterschiedlichkeit der Geschlechter wurde strikt binär gesetzt und v.a. an der
weiblichen biologischen Funktion festgemacht. Vordergründig wird >Geschlecht< auf
einer horizontalen Dimension situiert - >Mann< und >Frau< seien zwar radikal
gegensätzlich, aber sie ergänzten einander.
Wissenschaftsgeschichtlich ist ebenfalls um 1800 ein Umbruch im Denken des
Geschlechtsunterschiedes fest zu stellen - vom >Ein - Geschlecht - Modell< zum
>Zwei - Geschlechter - Modell<
11
. Während im >Ein - Geschlecht - Modell<
12
Frauen prinzipiell als dem Mann ähnlich, wenn auch explizit weniger „ausgereift“ und
vollkommen verstanden wurden, geht das >Zwei - Geschlechter - Modell< von zwei
grundsätzlich gegensätzlichen Geschlechtern aus.
Das alte Modell hatte Mann und Frau in einer vertikalen hierarchischen Linie mit
expliziter Unterordnung der Frau angeordnet. Das neue >Zwei - Geschlechter Modell< siedelt beide auf einer horizontalen Ebene an, suggeriert also Gleichheit.
In der praktischen Konsequenz fixiert es aber die Ungleichheit umso tief greifender,
indem es dem Mann den (höher bewerteten bzw. als einzig wesentlich erachteten)
öffentlichen und der Frau den (niedriger bewerteten bzw. unsichtbar gemachten)
häuslichen Bereich zuschreibt.
13
Mit der Zuweisung der Frau auf die niedriger bewertete private Sphäre verschwindet
ihr Beitrag zur gesellschaftlichen Sinn- und Wertschaffung aus dem öffentlichen Blick.
( Die Begriffe >Schattenarbeit, Liebesarbeit, Hausfrauisierung< nehmen sich dieser
Bereiche an.)
LAQUEUR Thomas (1992) : Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der
Antike bis Freud. Frankfurt am Main
11
12
Zum Beispiel : weil die Frauen weniger Hitze besitzen, hätten sich ihre Geschlechtsorgane nicht wie
beim Mann nach außen gestülpt, sondern nach innen gestülpt - als Vagina, Gebärmutter und
Eierstöcke - äquivalent zu Penis und Hoden (zurückgehend auf GALEN). Was für uns heute als
zentrales Zeichen für den Geschlechtsunterschied gilt, erschien unter der >Brille< des >Ein Geschlecht - Systems< als ähnlich.
HAUSEN Karin (1980) : Die Polarisierung der >Geschlechtscharaktere< - Eine Spiegelung der
Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben,. In : ROSENBAUM Heidi (Hrsg.). : Seminar : Familie und
Gesellschaftsstruktur , Frankfurt, S. 161-191
13
5
Feministische (Natur)wissenschaftskritik zeigt die Aufgeladenheit der zentralen
neuen Begriffe der Biologie als moderner Naturwissenschaft mit >genderisierter< oder
>vergeschlechtlichter< Bedeutung auf.
„Die im 18. Jahrhundert entstehende akademische Biologie widmete sich der
Aufgabe, "Natur" neu zu ordnen, zu klassifizieren, zu abstrahieren und neu zu
rekonstruieren.“
14
Dabei stand ein starkes Interesse am exakten Unterschied der Geschlechter von
Pflanzen, Tieren, Menschen (Leben überhaupt) so sehr im Mittelpunkt, dass Carl von
Linne´ (1707 bis 1778) sein neues bis heute gültiges Klassifikationssystem der
Pflanzen um den Kern ihrer Sexualität aufbaute: Seine Systema Naturae (1735)
basiert auf dem Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Teilen der Pflanze.
Linne's "Klassen" wurden durch die männlichen Staubgefäße bestimmt, seine
"Ordnung" durch die weiblichen Stempel. Indem er in seiner taxonomischen15
Gliederung die "Klasse" über die "Ordnung" stellte, führte Linne´ unbesehen
traditionelle Vorstellungen in die Wissenschaft ein.
Londa Schiebinger betont das ganz Neue an diesem Prozess, nämlich dass durch die
Abstraktion in Klasse und Ordnung die Geschlechterhierarchie nicht nur explizit (siehe
"Ein-Geschlechts-Modell"), sondern implizit geworden ist ( siehe "Zwei-GeschlechtsModell").
Damit legitimierte die moderne Biologie die Ausgrenzung der Frauen aus der
Öffentlichkeit durch ihre Konstruktion und Festschreibung der komplementären
Geschlechterdifferenz als quasi natürlich.
"Der Schein der Naturhaftigkeit verdeckt die Konstruiertheit, die Gesellschaftlichkeit
von "Natur"."
16
14
Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur , S. 243
15
das Taxon = künstlich abgegrenzte Gruppe von Lebewesen
16
Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur , S. 243
6
Charles Darwin's Evolutionstheorie verortet den Menschen in einem Kontinuum mit
den Tieren und verlangt nach einer neuen Klassifikation und Grenzziehung Mensch –
Tier. Also auch ungefähr um 1800 entstehen die prägenden Begriffe für unsere
Einordnung als Menschen in die Natur :
als
>homo sapiens< unter die
>Säugetiere< oder >Mammalia< .
"Ein weibliches Merkmal fungiert damit als Bindeglied der Menschen zur Natur, ein
männliches17 aber trennt sie von den Tieren".18
Paradoxerweise ist gerade die Brust der Menschenfrau spezifisch menschlich - selbst
Primatinnen haben keinen Busen.
Mit Charles Darwin's
Theorie einer natürlichen Selektion im "Kampf ums Dasein"
schloss er Frauen aus der Höherentwicklung der menschlichen Art aus. Ihr Ort ist
zeitlos, vorzüglich daheim und von der Arterhaltung erfüllt.
So "wird bald deutlich, dass die Stellung der Frau in der viktorianischen Gesellschaft,
ihre Funktion in der Familie und ihre Rolle als Hausfrau und Mutter in die Biologie
übertragen wurde".
19
Die somit biologische Bestimmung der Geschlechterdifferenz spaltete Öffentlichkeit
und Privatsphäre und grenzte das jeweils unpassende Geschlecht aus.
Aber indem menschliche Geschichte und Gesellschaftlichkeit mit dem
Fortschritt der produktiven Arbeit verbunden wurde, wurden Frauen doppelt
ausgegrenzt.
"Im neuen Verständnis der Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft ist die
Naturhaftigkeit des Menschen selbst durch das weibliche Geschlecht repräsentiert".20
17
Im Sinne von >männlich konnotiert< hier von „sapiens“ – Geist, ratio – s. DICHOs
Schiebinger, Londa (1995) : Am Busen der Natur in : Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995)
: Das Geschlecht der Natur
18
19
20
Elvira Scheich, in : Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur,S.273
Elvira Scheich, in : Orland, Barbara & Scheich, Elvira ( Hg.) (1995) : Das Geschlecht der Natur,S.279
7
Entsprechend steht Weiblichkeit für Geschichtslosigkeit, für das Unwandelbare, das
Private, Sinnliche, Emotionale. Die Stelle der Geschichte der Frau wird vom
Phantasma der Weiblichkeit ausgefüllt.
"Wissenschaft führte die Produktion jener gesellschaftlichen Unbewusstheit weiter, die
sich in den Bestimmungen über die "Natur der Frau" Ausdruck verschaffte. Im
Übergang von Ideologie zu Abstraktion wird Geschichte zum Verschwinden gebracht,
nicht nur die der Frauen, auch der biologischen Kategorien, des wissenschaftlichen
Denkens selber. Ihre Stelle wird ausgefüllt vom Fantasma der Weiblichkeit, das alles
zum Inhalt hat, was diese Gesellschaft an sich verleugnet, v.a. aber die
Naturabhängigkeit der Gesellschaft und ihrer Individuen. Diese gesellschaftliche
Wirklichkeit war im Geschlechterverhältnis den Frauen zugeordnet".
21
Auch wenn dieses auf Charles Darwin gegründete biologistische System der
Geschlechterdichotomien Gleichwertigkeit suggeriert, so spricht Darwin noch eine
recht deutliche Sprache :
Er bezeichnet z.B. die Selbstsucht als das natürliche und angeborene Recht des
Mannes.
Und über das Weib: "Es wird meist zugegeben, dass beim Weibe die Vermögen der
Anschauung, der schnellen Auffassung und vielleicht der Nachahmung stärker
angesprochen sind als beim Mann. Aber mindestens einige dieser Fähigkeiten sind für
die niederen Rassen charakteristisch und daher auch für einen vergangenen und
niederen Zustand der Civilisation. "
22
21
Barbara Orland und Elvira Scheich, Hg., Das Geschlecht der Natur,1995, S.284
22
Charles Darwin zitiert nach Barbara Orland,cit.op., S.274 ) (Charles Darwin 1809-1882, sein
Hauptwerk: Die Abstammung des Menschen - Dieser zitierte 5atz steht auf S.637 der Wiesbadner
Ausgabe 1986)
8
Symbolische Genderbedeutungen
Menschliche Welten sind über Sinn gestaltet. Wir stehen der Wirklichkeit nicht
unmittelbar gegenüber, sondern leben in einem >symbolischen Universum< (Ernst
CASSIRER), das einerseits menschliche Schöpfung , andrerseits konkrete Bedingung
der Welt ist, in die wir hineingeboren werden und unser Leben leben. Durch unsere
Interaktionen stellen wir es her und durchaus wirkmächtig beeinflusst es wiederum
unser Erleben und Handeln.
Jede menschliche Kultur bindet in irgendeiner Weise die (meist) eindeutige Tatsache
der Zweigeschlechtlichkeit in ihre soziale und symbolische Welt ein. Und in jeder
Variante sind unterschiedliche Bedeutungen von Sexualität, Fruchtbarkeit, Genealogie
23
und somit der Vergänglichkeit und Sterblichkeit in irgendeiner spezifischen Art und
Weise miteinander verwoben.
"Dass dem Geschlecht nicht nur eine biologische Rolle zukommt, sondern auch die
Funktion zugewiesen wird, bestimmte kollektive oder kulturelle Aussagen zu
symbolisieren, gilt für alle Kulturen" .24
Unser Erleben und unser Selbst wird nicht einfach vom Netz kultureller Bedeutungen
geformt oder bestimmt. Kulturelle Bedeutungen werden auf ganz persönliche Art
erfahren und gestaltet.
Der menschlichen Existenz als solcher ist die Tatsache der Geschlechtlichkeit und
des Geborenseins inhärent. Diese >Geburtigkeit< selbst verweist auch auf die
Sterblichkeit des Menschen, auf den Tod.25
23
d.i. die Tatsache und Bedeutung der Generationen(ab)folge mit ihren Geburten und Toden
24
in : Christina von BRAUN & Inge STEPHAN , GENDERSTUDIEN. Eine Einführung, 2000, S.16
"Denn was einen Anfang hat, hat auch ein Ende - das Gegenteil des Todes ist nicht das Leben,
sondern die Unsterblichkeit" (Barbara RENDTORFF, Braucht die weibliche Identität einen Körper - oder
>Anatomie ist Schicksal<. In: Frankfurter Frauenschule (Hrsg.) : Die Frage der Sexuierung, 2000
,
S.52
25
9
Sexualität, Endlichkeit und Geschlechtlichkeit sind am eigenen Körper und in der
symbolischen Ordnung immer miteinander verknüpft.
Der >Tatsache des Geschlechts< wohnt durch die Verknüpfung von Sexualität mit
Sterblichkeit so eine immense Spannung inne, dass jede menschliche Kultur um sie
herum ein Regel- und Ordnungssystem aufbauen muss.
Die Lösung dieser Dramatik hat im Abendland - in der Antike angelegt und im
Umbruch zur Neuzeit adaptiert - zur Ausformung besonders gegensätzlicher
Verortungen von als männlich oder weiblich Aufgefasstem geführt.
Die Geschlechtlichkeit selbst und ihr >Skandal< unserer Körperlichkeit,
Unvollständigkeit und Endlichkeit (>Natur>) wird vom Mensch // Mann abgespalten
und der weiblichen Seite zugewiesen.
Diese Herstellung unserer modernen Geschlechterdichotomien ist ein komplexer
Prozess - sowohl auf kulturell-symbolischer Ebene als auch auf der Ebene der
individuellen psychosexuellen Entwicklung. Und dies geschieht immer im
Zusammenhang mit sozioökonomischen Gegebenheiten und Veränderungen.
Homo Oeconomicus - Femina Privata
Die für die industrielle Produktion notwendige Aufteilung des gesellschaftlichen
Raumes in öffentlich und privat auf die zwei Geschlechter war nur über die
Etablierung von als natürlich erachteten komplementären Geschlechtsrollen möglich.
Auf die Vorstellungen der neuen (mechanistischen) Wissenschaften ( v.a. Medizin
und Biologie ) abgestützt entwickelten sich die polaren Geschlechtscharaktere mit
den bekannten Inhalten : die Frau als emotional, fürsorglich und passiv, der Mann als
rational, durchsetzungsfähig und aktiv.26
„Während vorher die Verschiedenheiten auf einer Achse gradueller Unterschiede situiert war, wobei
der Mann den Maßstab größerer oder geringerer Vollkommenheit darstellte, werden sie jetzt dagegen in
binär – hierarchische Oppositionen einander entgegengesetzt, wobei der Mann zum Maßstab absoluter
Verschiedenheit wurde und die Frau zum „Anderen“ schlechthin.“ (Andrea MAIHOFER, Geschlecht als
Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S 99).
26
10
Die Durchsetzung unseres modernen Geschlechtersystems erfolgte nicht nur durch
den neuen wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch konkret gewaltsam - und diese
zwei Bereiche sind durchaus nicht getrennt zu betrachten.
"Die Entstehung des modernen Staates ist nicht von der Gewalttätigkeit im
zivilisatorischen Prozess, diese nicht von der Militarisierung des männlichen
Sozialcharakters und dieser seinerseits nicht von der Gewalt gegen Frauen zu
trennen".27
Historisch wird übereinstimmend die Jahrhundertwende um 1800 genannt, wo sich
unser modernes abendländisches dichotomes Geschlechtersystem etabliert hat
(, das heute wieder in Auflösung begriffen ist.28). Dies war ein Jahrhunderte lang
dauernder vielschichtiger Prozess.
Ich will nur das Phänomen der sog. Hexenverfolgungen dieser Zeit ( v.a. 14. bis 18.
Jhdt. ) hier im Zusammenhang mit der gewaltsamen Etablierung des modernen
Geschlechtersystems etwas ausführlicher beleuchten.
Hexerei und Wissenschaft
Frau und Natur
Der abendländische > Hexenwahn <
ermöglichte eine historisch in ihrem
Ausmaß neue massive kollektive Gewaltausübung explizit gegen Frauen und dem
ihnen Zugeschriebenen bzw. auf sie Projizierten. Als Anleitung dazu erschien im
Jahre 1487 in Köln der "Hexenhammer"
29
- von zwei päbstlichen Inquisitoren
geschrieben und durch den neuen Buchdruck verbreitet wie die Bibel.
27
Veronika BENNHOLDT - THOMSEN zit. n. Gabriele KLEIN & Katharina LIEBSCH (Hg.) Zivilisierung
des weiblichen Ich. 1997 , S. 65
v.a. aufgrund der Globalisierung der Wirtschaft, der medialen Revolution und der neuen
Biotechnologien.
28
29
Jakob SPRENGER/ Heinrich INSTITORIS, Malleus Maleficarum
1487
11
Das Phänomen dieser >Hexenvernichtung< ist sehr komplex und demnach im
Zusammenhang mit den vielfältigen und massiven sozioökonomischen
Umwälzungen dieser Zeit zu behandeln.
Die historische Frauenforschung
31
30
betont die Koalition von Kirche, dem sich eben
konstituierenden Nationalstaat und der sich durchsetzenden mechanistischen
Wissenschaft - davon speziell die Ärzteschaft im Zusammenhang mit dem
traditionellen Bereich der Hebammen, den in diesem Zeitraum die Neue Medizin den
Hebammen abkämpfte.
Der weibliche Körper und die weibliche Sexualität werden über den Bereich der
Fruchtbarkeit hinaus in diesen gewaltsamen Diskurs und dessen gewalttätiges Wirken
einbezogen.
"Aller Hexenzauber kommt von der fleischlichen Lust, die bei den Frauen unersättlich
ist ".
32
Zentral sind die projektiven Vorstellungen einer unersättlichen Gebärmutter und der
Frau als "Verkörperung" des Fleisches, des Sexualwesens überhaupt. Der Verzicht auf
Geschlechtlichkeit verspricht einen möglichen Sieg über unsere Erdgebundenheit /
Sterblichkeit / Unvollständigkeit (eben auch besonders als Geschlechtswesen).
"Natur" wurde gewaltsam an Frau delegiert, was nachher nüchtern wissenschaftlich
oder lyrisch sentimental konstatiert wurde.
Wo ist diese Gewalt geblieben? - Als strukturelle Gewalt in verschiedenen
neuzeitlichen Institutionen eingefroren / zum Teil unbewusst gemacht worden: in
gesellschaftlichen Institutionen, die die Geschlechterdichotomien auf symbolischer
Ebene und als sog. Geschlechtsrollen aufrecht erhalten wie Wissenschaft (v.a.
Medizin, insbesondere Gynäkologie und Gentechnologie), ökonomischer Bereich ( wo
30
Gabriele BECKER, Silvia BOVENSCHEN, Helmut BRACKERT u.a. : Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur
Genese und Aktualität des Hexenbildes, Suhrkamp Vlg. 1978
("Die Hexenverfolgung zu Beginn der Neuzeit war nicht lediglich eine `Kinderkrankheit` der
menschlichen Gattung, vielmehr muss sie im Zusammenhang mit der Institutionalisierung des
Christentums, der Auflösung der feudalen und der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft gesehen
werden." aus dem Klappentext)
verschiedene frauenhistorische Forschungsansätze werden mittlerweile differenziert behandelt und
diskutiert, z.B. in Claudia OPITZ (Hg.), Der Hexenstreit. Frauen in der frühneuzeitlichen
Hexenverfolgung. 1995
31
32
nur eines von unzähligen ähnlichen Zitaten aus dem "Hexenhammer"
12
unbezahlte Arbeit – v.a. von Frauen – zwar die Wirtschaft erst aufrechterhält, aber
nicht zur Wirtschaft zählt ) , Familie ...
Eine Spitze des Eisberges dieser strukturellen Gewalt gegen Frauen kommt bei
Vergewaltigungen im Krieg zum Vorschein.33
Die Hexenverfolgungen haben in den 300 bis 400 Jahren vor der Etablierung unseres
modernen Geschlechtersystems (um 1800) in Europa insgesamt zigtausenden bis
Millionen Menschen, vorwiegend Frauen, das Leben gekostet.
Danach war dem herrschenden Frauenbild diese >unersättliche Lust< radikal
abhanden gekommen. So kann dem Phänomen des >Hexenwahns< durchaus auch
die Funktion der Errichtung des bürgerlichen Frauenbildes und der Beförderung des
modernen dichotomen Geschlechtersystems zugeschrieben werden.
Dieses kollektive abendländische Trauma ist in seiner Aufarbeitung - außer in der
Frauenbewegung - kaum erst angegangen worden.
Dieses >Vergessen< wird uns erleichtert, weil wir diese >dunkle Zeit< nicht mit
der Neuzeit in Verbindung bringen. Frauenforscherinnen zeigen den Zusammenhang
zwischen dem >Hexenwahn< und der Durchsetzung der mechanistischen
>aufgeklärten< Wissenschaft mit ihrem Naturbeherrschungsparadigma auf. Damit
rütteln sie an dem Mythos, der >Hexenwahn< gehöre zum >dunklen< Mittelalter
und das Licht der modernen Wissenschaft habe diesem Wahn ein Ende gemacht.
Evelyn FOX KELLER, eine mathematische Biophysikerin, die sich der feministischen
Wissenschaftskritik zugewandt hat, zeigt auf, dass die Durchsetzung der
mechanistischen Wissenschaft ab dem 17.Jhdt. in enger Verbindung mit dem
Hexenwahn steht.
33
Ruth Seifert, Militärsoziologin, schreibt gegen die biologistische und naturalisierende
Betrachtungsweise von Vergewaltigung (z.B. als unzivilisiertes Überbleibsel, rohen Naturtrieb), die
jegliches Weiterfragen verunmöglicht. Sie stellt kulturelle Zusammenhänge her, z.B. gibt es
vergewaltigungsarme versus vergewaltigungslastige Gesellschaften, ( Ruth Seifert, in: Alexandra
Stiglmayer, Hg., 1993, S. 88/89) und zeigt die gesellschaftliche Funktion von Vergewaltigungen und
vom Terror, der von der Gefahr der Vergewaltigungen ausgeht, auf: nämlich die Regulierung ungleicher
Machtbeziehungen zwischen den Geschlechtern.
13
"Die Realität der Hexerei war in der Tat ein Beweis für die Schwere der Gefahren, die
von den Frauen ausgingen, Gefahren, gegen die Vernunft und Neue Wissenschaft
einen Schutz versprachen. Sie bestärkte aufs neue die Argumente für die Verbannung
der Frauen, der Sexualität und der damit verbundenen >unsauberen< Forschung der
Alchimisten aus der Wissenschaft. Die neue mechanistische Sichtweise sorgte für
einen abgesicherten intellektuellen Bereich der Männlichkeit, indem sie auch das
allegorische Zusammenwirken von männlich und weiblich ausschloss - und zwar in
ihrem Bild vom Wissenschaftler wie in ihrem Bild von der Natur" ( Evelyn FOX KELLER
1986, S68).34
Ein in diesem Zusammenhang oft zitierter paradigmatischer Leitsatz eines
prominenten Vertreters der Neuen Wissenschaft, Francis BACON (18. Jhdt.),
stellt deren Herangehensweise drastisch vor :
"..der Natur auf der Folterbank ihre Geheimnisse entreißen ..."
35
Diese Haltung beförderte, beiden, >Frau und Natur< kaum ein Quentchen Respekt
mehr entgegenzubringen und sie schonungslos für eigene Vorhaben zu gebrauchen.
Und diese waren von der neuen Wissenschaft explizit als heroisch-männliche Projekte
konzipiert. Was da nicht Platz hatte, fand in dieser neuen modern mythologisierten
>Frau und Natur< - Matrix
eine unendliche Projektionsfläche.
"Die Natur, ehemals ein lebendiger und nährender Organismus, wurde im 16. und 17.
Jahrhundert zu einer Produktions- und Reproduktionsmaschine im Dienste des
Menschen degradiert - in erster Linie allerdings des Mannes. Carolyn MERCHANT zeigt,
wie sich ein Weltbild durchsetzte, das die Natur als nützliches aber totes Objekt
begriff, sie spürt aber auch der zeitgenössischen Kritik und den gesellschaftlichen
Bewegungen nach, die diesem Wandel Widerstand entgegensetzten und an die wir
heute behutsam anknüpfen können."
34
35
36
Evelyn FOX KELLER, Liebe, Macht und Erkenntnis. Männliche oder weibliche Wissenschaft ?,1986
zitiert nach Christina von BRAUN 1990 . NICHTICH. Logik, Lüge, Libido, S.42
( So können nur eigene >geheime< Wünsche und Projektionen Bestätigung erfahren. )
36
Carolyn MERCHANT : Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft,
C.H.Beck Vlg 1994 Aus dem Klappentext
14
Hergestellt wurde somit :
- >Frau und Natur< als das Andere des >Mannes<;
- seelenlose Materie - um sie entsprechend zu behandeln;
- die (möglichst unberührte) Fremde als zu kolonialisierende Natur 37 // Körper ; 38
- die Weiblichkeit und v.a. die weibliche Sexualität als >Rätsel< , >dunklen
Kontinent<... ;
- alles, was dem >entfremdeten< Mensch (//Mann) verwehrt ist, was er
(ambivalent) ersehnt ( >Versöhnung mit der Natur< , > Grenzauflösung< ,
>ozeanische Gefühle< ) und was ihm ein Horror ist ( >Naturabhängigkeit< ,
>Ausgeliefertheit< ).
Also indem die Wirkmächtigkeit und das >Begehren< von Frauen verteufelt und
möglichst vernichtet wurde, blieben sie übrig als die ganz >Anderen< des Mannes
(und der Kultur) und auch nur mehr von ihm definiert - und zwar kraft seines
Intellekts.
Ratio – Emotio
und die anderen Geschlechterdichotomien (>DICHO<s)
39
"Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere in der Moderne baute auf der
Behauptung von den unterschiedlichen intellektuellen Fähigkeiten von Männern und
Frauen auf "
40.
37
Dazu : Sabine SCHÜLTING, Wilde Frauen, Fremde Welten. Kolonisierungsgeschichten aus
Amerika,1997 oder : Hans Peter DÜRR ( über Pocahontas)
38
"Die >Hexen< wurden als Projektionsfläche benutzt, um das Utopische - die Unterwerfung und
Veränderung der Naturgesetze, die Neuschöpfung der Welt - in den Bereich des Denkbaren zu rücken"
(Barbara ORLAND & Elvira SCHEICH,Hg., Das Geschlecht der Natur. Gender Studies. 1995, S. 42)
Feministische Wissenschaftskritk stellt den weiten Bogen zur heutigen Gentechnologie dar.
39
Dichotom (altgriech.) = zweigeteilt (vgl. Atom als Ungeteiltes, Unteilbares)
40
Christina von BRAUN. In : Inge Stephan & Christina von BRAUN (Hg.) Genderstudien. Eine
Einführung, 2000, S.77
15
Das hatte einmal ganz praktische Konsequenzen wie den Ausschluss
41
von Frauen am
Herstellen und Weitergeben von Wissen - eben durch und aus der sich etablierenden
Neuen Wissenschaft.
42
Darüber hinaus wurde auf der symbolischen Ebene die Dichotomie >Mann - ratio<
versus >Frau - emotio< und die mitverstrickten anderen Dichotomien >Subjekt<
versus >Objekt< , >Kultur< versus >Natur< etc. befördert.
Dem Geschlecht als zweipoligen Ordnungskategorie
43
unseres modernen
dichotomen Geschlechtersystems entsprechen „genderisierte“ oder
„geschlechtszugewiesene“, „ vergeschlechtlichte“ , „gendered“ Begriffspaare, die
zentral für den symbolischen Kosmos unserer Kultur sind :
Subjekt - Objekt
Objektivität - Subjektivität
Autonomie - Abhängigkeit
Aktivität - Passivität
Tun - Sein
Dynamik - Statik
Form - Stoff/ Materie
Ratio - Emotio
Logos - Intuitio
Rational - Irrational
Auf der medizinischen Hochschule in Salerno waren im 10. Jhdt. auch Frauen zugelassen, die
Gynäkologie war ganz den Frauen vorbehalten. Aus : Gabriele BECKER, Silvia BOVENSCHEN, Helmut
BRACKERT u.a. : Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes, suhrkamp
Vlg 1978
41
42
In Österreich wurden Frauen erst um 1900 an die Universitäten gelassen - auf die
Religionswissenschaftliche Fakultät erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts !
43
"Das Geschlecht als zweipolige Ordnungskategorie hat einen Doppelcharakter: Auf der Ebene sozialer
Ungleichheit begründet es unterschiedliche soziale Positionen und Hierachien zwischen Personen, die
als weiblich oder männlich zugeordnet werden. Auf der Ebene der symbolischen Repräsentation bildet
es einen Angelpunkt der symbolischen Ordnung der meisten Kulturen. Der Dualismus der Geschlechter
verbindet sich mit anderen Dualismen, wie denen von oben und unten, rein und unrein, drinnen und
draußen und besitzt große symbolische Kraft“ (Ilse Lenz in :Regina Becker – Schmidt und Gudrun Axeli
Knapp, Hg., 1995, S22).
16
Bewusst - Unbewusst
Licht - Dunkel/ Nichts
Struktur - Chaos
Kultur - Natur
Geist/ Seele - Körper
Abstrakt - Konkret
Unsterblich - Sterblich
Konkurrenz - Harmonie
Gerechtigkeit - Fürsorge
Transzendenz - Immanenz
Universal - Partikular
Norm - Abweichung
Vollkommen - Unvollkommen
Rein - Unrein
Außen - Innen
Öffentlich - Privat
Produktion - Reproduktion
Geld - Leben
Macht - Liebe
Jedes Begriffspaar beschreibt eigentlich jeweils ein ganzes System und diese sind
vielfältig vernetzt und wechselseitig wirksam. Ein komplexer Raum mit vielseitigen
Wechselbeziehungen wird jeweils auf 2 Gegenpole reduziert - >linear - dichotom<.
Diese 2 Pole weisen auf einen diametralen Gegensatz hin, als wäre durch das
Phantasma der >männlich-weiblichen Ergänzung< jegliche Machtebene
ausgeschlossen. Näher betrachtet wird deutlich, dass die linke >männlich<
konnotierte Seite die gesellschaftlich höher bewertet ist.
Die den symbolischen Geschlechterdichotomien immanenten Hierarchie- und
Gewaltverhältnisse werden im modernen Geschlechterarrangement systemkonform
weiter interagiert und unbewusst gemacht.
17
Unser (abendländisches modernes) Geschlechtersystem basiert44 auf Gewalt - quer
durch alle von eben diesem System auf symbolischer Ebene möglichst fein separierten
Bereiche.
Die zentrale Funktion unseres Geschlechtersystems ist die Ausgrenzung der
Wahrhabung eben dieser Gewalt. Diese Ausgrenzung verläuft auf vielerlei Art –
durch den öffentlichen und theoretischen Diskurs, medienpolitisch, strafrechtlich
45,
medizinisch - v.a. psychiatrisch ( Borderline-Diagnosen zu ca. 80 % bei Frauen ) und nicht zuletzt durch das Wirken unbewusster Abwehrmechanismen, die eben
unsere Kultur mit den symbolischen Geschlechterdichotomien für uns bereit hat,
wenn uns etwas an die Grenzen des Erträglichen führt.
Auf symbolischer Ebene steht uns somit ein System von Spaltungen zur Verfügung um
Gendergewalt (GG) nicht wahrhaben zu müssen.
Subjekt - Objekt
Aktiv - Passiv
Objektivität - Subjektivität
Autonomie - Bindung
Das >autonome Subjekt< - oft, nicht nur von feministischer Seite - als
>modernes abendländisches männliches Subjekt<
bezeichnet - ist im Sinne der
modernen symbolischen Genderordnung männlich - >männlich konnotiert<.
" Die Tendenz , Getrenntheit - weit mehr als Bindung und Interdependenz - als
normales menschliches Streben darzustellen, ist eine eingeengte Sichtweise, die sich
aus dem linearen Denken herleitet.“
46
Es entstand auch gewaltsam über regionale, nationale und internationale, kirchliche und weltliche
Machtinstututionen des (das Feudalsystem ablösenden) technisch-industriellen-militärischen
Komplexes, nicht zuletzt der sogenannten Hexenvernichtung.
44
z.B. dass in Österreich vom Partner geschlagenen und körperlich verletzten,
behandlungsbedürftigen Frauen, wenn sie gewagt haben sich zu wehren, zunächst gleich das
Krankengeld gestrichen wird, weil sie nicht als Opfer anerkannt werden, sondern das Ganze als
Raufhandel gilt- s. Information von >Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie< Wien
45
18
Diese kritische Sicht korrespondiert mit der zeitgenössischen Debatte um die Frage
des >Subjekts<
47,
das Ende der 1990er von der sog. Postmoderne sogar totgesagt
wurde. Feministische Theorie kritisiert die Neutralität und vorgebliche
Geschlechtsungebundenheit des >Subjekts< und dekonstruiert es als hegemoniales
männliches Autonomiekonzept.
48
" Die patriarchale Hierarchie drückt sich nicht allein in der unterschiedlichen
Wertigkeit aus, wonach z.B. Autonomie besser als Verbundenheit ist... . ...das
herrschende Verständnis von Autonomie stellt sich bei näherer Betrachtung als
>männliche< Vorstellung von Autonomie heraus, als eine normative
Verallgemeinerung >männlicher< Denk-, Gefühl- und Handlungsweisen.
Unverkennbar wird das spätestens dann, wenn Frauen ...darauf hinweisen, sie würden
Autonomie möglicherweise anders definieren, eine solche Entgegensetzung sei
vielleicht überhaupt wenig sinnvoll." 49
Frauen- und Genderforschung machen die Dimension der Männlichkeit in der
Geschichte des Denkens und eben der männlichen Definitionsmacht deutlich.
"Durch die Tatsache, dass Frauen in der philosophischen Tradition am Rande stehen,
hat die Philosophie auch ihre Vernunftideale unter Ausschluss des Weiblichen
definiert".
50
Susan SPIELER, Das Selbst, das nicht geschlechtslos ist : Ein verlorenes mütterliches Erbe. In :
Judith üALPERT (Hg.) Psychoanalyse der Frau jenseits von Freud. Berlin, Heidelberg 1992, S. 42
46
47
" ... die traditionellen Attribute des philosophischen Subjekts, Selbstreflexivität, die Fähigkeit, nach
Prinzipien zu handeln, rationale Verantwortlichkeit für die eigenen Handlungen sowie die Fähigkeit,
einen Lebensplan in der Zukunft zu entwerfen, kurz gesagt : eine Art von Autonomie und Rationalität
... ( Seyla BENHABIB 1993, S.13, zit. nach Christina von BRAUN. In : Inge Stephan & Christina von
BRAUN (Hg.) Genderstudien. Eine Einführung,2000, S. 71)
Als weißes mittelständiges Männlichkeitskonzept, also dass weder z.B. farbige arme Menschen
unser Autonomieideal verkörpern, noch Frauen, auch wenn sie in der Hierarchie weiter oben sind
48
49
Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S. 102
50
Genieve LLOYD. Das Patriarchat der Vernunft. >Männlich< und >weiblich< in der westlichen
Philosophie 1985 aus dem Klappentext
Aus einem weiterem Buch der philosophischen Genderforschung :
"Dabei wird besonders den Veränderungen nachgegangen, die das Verhältnis von Rationalität und
Gefühl im Laufe des Modernisierungsprozesses erfahren hat" ( Ursula M. ERNST/ Charlotte ANNERL/
Werner W. ERNST : Rationalität, Gefühl und Liebe im Geschlechterverhältnis 1995
zit. aus
Klappentext)
19
Das Denken wird für die männliche Subjektvorstellung zentral.
Rene` DESCARTESs >cogito ergo sum<
>res cogitans< und >res extensa<
52
51
und seine Unterscheidung von
gilt als Ausgangspunkt der modernen
Dichotomisierung von Subjekt - Objekt und Geist - Körper.
Der Genderforschung geht es bei der >Subjektkritik< vorwiegend um die kritische
Herausarbeitung der >Subjekt - Objekt < - Geschlechterdichotomie und des
>Subjekt - Objekt< - Verhältnisses als Machtverhältnis.53
Eine binäre Beziehung ist schon in der Wortbedeutung >Subjekt< angelegt, da das
lateinische Wort >subicio< gleichermaßen transitiv als auch intransitiv verwendet
wird, also sowohl >ich unterwerfe - wen oder was (Objekt)< als auch >ich
unterwerfe mich< bezeichnet. So ist das moderne (>männliche<) Subjekt sowohl
Subjekt wie Objekt der Herrschaft und der Unterwerfung. Dies kennzeichnet nicht nur
die Beziehung >Selbst - Andere< , sondern überhaupt das Verhältnis zur Welt - zur
inneren (>Triebe<) und äußeren >Natur<. Das autonome
54
Subjekt setzt sich seine
Gesetze selbst und unterwirft sich freiwillig diesem (selbst)gegebenen Gesetz. Dafür
ist die >Herrschaft seiner selbst durch sich selbst< nötig.
Diese entspricht nach Norbert ELIAS dem >Prozess der Zivilisation<55 , welcher nach
unseren tagtäglichen Erfahrungen ja nicht allzuweit gediehen ist.
Und das hängt aus feministischer Sicht mit der systemimmanenten strukturellen
Gewalt zusammen - und auch eben mit dieser (pathologischen) >Subjektwerdung<
, die auf einer Spaltung in >Subjekt< und >Objekt< beruht, wobei diese
zueinander in einem >Herrschaftsverhältnis< stehen.
51
52
(lat.) = ich denke, also bin ich
>res cogitans< = denkende Sache, >res extensa< = ausgebreitete Sache
Dabei greift die Frauenforschung auf Max HORKHEIMER & Theodor W. ADORNO, Dialektik der
Aufklärung zurück,1973
53
54
Autonomie (altgriech. ) heißt wörtlich Selbstgesetzgebung
Die Frauenforschung relativiert auch Norbert ELIAS´ bekannte These, dass die unmittelbare
Gewaltausübung durch die Ausbildung des staatlichen Gewaltmonopols abgenommen habe. Dies gilt
nur für den weißen Mann, nicht für Frauen und Kolonisierte.
55
20
„Das zum Subjekt werdende Individuum spaltet also einen Teil seiner Selbst (Triebe,
Gefühle) von sich ab und macht diesen zum Objekt seiner Beherrschung."
56
Dieses in ein beherrschendes Subjekt und ein zu beherrschendes Objekt gespaltene
Selbstverhältnis situiert alles, was nicht zur >männlichen< Selbststilisierung gehört,
auf der anderen Seite der (geschlechtlich konnotierten) Dichotomie.
"Dabei wird das jeweils andere zum >Anderen< schlechthin und erstens mit
>Weiblichkeit<, zweitens mit >Natur< assoziiert sowie drittens zum Objekt der
Beherrschung degradiert."57
Dieses heroische hegemoniale Männlichkeitsbild des autonomen Subjekts befindet
sich in einem absolutem Gegensatzverhältnis zum anderen Pol, dem >Objekt< - im
Sinne einer Spaltung - inkl. Idealisierung und Abwertung in binärer Manier. Es
handelt sich um die Herstellung einer absoluten rein dichotomen Trennung. Ein
>Schnitt< in 2, im Sinne der Reduzierung vom gesamten komplexen
Beziehungsnetz von >Subjekt< und >Objekt< auf die hierarchische
Wertedimension, die ihrerseits linear ist und eben radikal dichotom - von der
Denkfigur sehr >schlicht<, weil im schwarz-weiß - , hoch-niedrig - , innen-außen Schema verhaftet. Umso wirkungsvoller ist diese Spaltung in der Projektion von
Feindbildern und Geschlechterbildern und somit in Gestaltung von Welt im Sinne einer
destruktiven Entwicklung, die auch auf einer Verkennung der Realität beruht. Wie das
eben so ist, dass Abwehrmechanismen zwar Selbstschutz und dafür zu würdigen sind,
aber auch Realitätsverlust nach sich ziehen...
Dieser Realitätsverlust dient jedenfalls der Aufrechterhaltung herrschender MachtSysteme, weil sich Unliebsames - so wie bei der Feindbildherstellung überhaupt - der
Wahrnehmung entzieht. Und wenn es >draußen< wieder auftaucht, als >realer<
Feind, - hurra für die, die was zu gewinnen haben, dann gibt es Krieg.
Und das >autonome Subjekt< geht hin.
56
Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S.113
57
Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S. 115
21
Und kleinere und größere >war-lords< traumatisieren dann sich, Täter und Opfer,
Eigene und Andere, das heißt potentiell alle - mehr oder weniger.
Konkurrenz, Hierarchie mit dem Leitbild des Helden - und das ist der Sieger.
Wer beherrscht wen, führt an, dominiert, kontrolliert ?
Wie im Konkreten (Krieg,Politik,Wirtschaft) - so auch im >symbolischen< Kosmos
der Moderne:
Kultur oder Natur, Kopf oder Bauch....
Der Höhere "natürlich", der Steuerer im mechanistischen System der (alten)
Hirnsteuerungsvision, also wer
-- das >Subjekt<;
- bzw. machen sich jetzt die
Subjekte aus, wer oben steht - nach dem Leitbild der >hegemonialen
Männlichkeit(en)<.
Das >Subjekt<, das Individuum, der Mensch - geschlechtsneutral gesetzt, aber
immanent und symbolisch wirkt sich die männliche Konnotierung machtvoll aus;
und die weibliche ebenso, wenn auch in anderer Weise.
Das "Andere" dieses männlich konnotierten Subjekts ist die projektiv >produzierte<
entsprechende >weibliche< Seite -
das >Objekt<.
Dinge sind wir nur im Denken. Diese Abstraktionsmöglichkeit vom konkreten
lebendigen männlichen oder weiblichen Menschen birgt Gefahren,
erkenntnistheoretische und konkrete - sichtbar an der Wortbildung >Missbrauch<,
von vielen als unglücklich empfunden, da dieser Begriff einen legitimen Gebrauch
von (v.a. kleinen) Menschen suggeriert.
Die ebenfalls dichotom zugerichtete Dimension > aktiv - passiv < ist deutlich mit
der >Subjekt< - >Objekt< - DICHO verschränkt.
Aktivität, Machen, Macht, Machbarkeit, Gebrauch und Missbrauch, Kontrolle wie wird umgegangen mit Dingen, die außerhalb des abstrakten Umgangs im Denken
ja z.T. eben keine Dinge sind ?
Was wir >Objekte< nennen, sind ja nicht nur wirklich sog. tote Dinge, sondern auch
- und in manch unglücklicher Terminologie wie der psychoanalytischen gerade Menschen in Fleisch und Blut;
22
nicht zufällig sind die psychoanalytischen >Objekte< eigentlich konkret meist Mütter,
jedenfalls Liebesobjekte. Was meinen wir uns alles durch solche Denkschemata
ersparen zu können..?
Die Wahrhabung der Realität in ihrer Komplexität muss immer uns selbst ganzheitlich und persönlich - einbeziehen; sonst besteht die Gefahr uns durch
Abstraktifizierung/ Abstrakt-Machung so gründlich hinaus zu denken aus dieser
Realität, dass es mal ein böses Erwachen gibt.
Weil es gibt sie, die Welt, auf ganz konkreter Ebene, sinnlich-sinnhaft;
und weder ein Sich-Autonom-Machen, noch eine Kontrolle, keine Projektionen und
auch keine noch so wirkmächtigen symbolischen Systeme können uns unserer im
Grunde unkontrollierbaren lebendigen Kontexthaftigkeit entheben.
Erkenntnistheoretisch sind alle Dinge eigentlich nur im Kontext wahrnehmbar - da
sie unter- und miteinander und v.a. mit uns selbst verbunden sind, die wir da in der
Welt sind - d.h. ohne in alter (>männlicher<) Manier aus dieser Welt gleich
abstraktifizierend zu verschwinden oder sich jedenfalls zu distanzieren.
Also konkret gibt es ein Beziehungsgeflecht zwischen den Dingen in dieser Welt und
uns, den >Objekten< und den Subjekten<.
Konkret sind Differenzierungen da - wesenhafte - zwischen lebendigen Dingen
unterschiedlichster Arten; - unser moderner Stolz ist durch unsere Top-Stellung
gegeben - als >homo sapiens< , der sich auch von seinen nächsten Verwandten,
den weiblich konnotierten >Mammalia<58, eben aufgrund seiner bezeichnenden
Weisheit abheben will.
Dann gibt es noch die sog. toten Dinge. Die kann man missbrauchen ohne dass sie
schreien.
" Materie : wie der Mann die Frau und die Natur betrachtet und sich zunutze macht.
Trennung : Trennung in seiner Sicht und unter seiner Herrschaft (worin sich unsere
Stimme erhebt).
58
Gleichzeitig wurde von der modernen Biologie im 19.Jhdt. der Begriff >Mammalia< geprägt. s.
SCHIEBINGER, Londa
23
Übergang : ihre Reise durch das Labyrinth zu der Höhle, wo sie ihre Vision hat.
Ihre Vision : nun sieht sie mit ihren eigenen Augen (worin die Welt nicht länger ihm
gehört)."
59
Zentral geht’s bei dieser >Subjekt< - >Objekt< - DICHO im Sinne des modernen
Naturbeherrschungsparadigmas um Kontrolle/ Beherrschung/ Unterwerfung/
Einverleibung bis Zerstörung des als innere und äußere >Natur< Gesetzten.
Hier wird die innige Verschränkung dieser >Subjekt-Objekt - , aktiv-passiv -, abstraktkonkret - DICHOs< mit der ebenfalls radikal nicht geschlechtsneutralen >Kultur Natur - DICHO< deutlich.
Das begriffliche Gegensatzpaar >Objektivität - Subjektivität<
kann sich
ebenfalls weder dem Bedeutungskontext der anderen dichotom gesetzten
Dimensionen, noch deren Geschlechtskonnotierung entziehen.
Maßgeblich kommt jetzt die > DICHO Ratio - Emotio < ins Spiel der modernpatriarchalen Spaltungen mit seiner systemimmanenten Höherbewertung des
>männlichen< Pols.
Das drückt sich in der Geschlechtsmetaphorik von >harten< versus >weichen< für
entweder quantitativ oder qualitativ gewonnene Daten aus; aber eben auch in der
gewissen wissenschaftlichen Verachtung eines >subjekiven< Forschungszuganges
und dessen Disqualifizierung als emotional und deshalb irrelevant bis fahrlässig.
Im Gegenzug zur ideologischen Erhöhung der Komplementarität der Geschlechter,
dem Idol der gegenseitigen Ergänzung, verschwindet die hierarchische Beziehung
zwischen dem >männlichen< und >weiblichen< Bereich aus dem Blick.
Die feministische Theorie hat kein Zaubermittel zur Auflösung dieser Dichotomien
parat. Auch auf die viel beschworene >Dialektik<
60
setzt sie nicht, auch nicht auf die
Susan GRIFFIN : Frau und Natur, Suhrkamp Vlg 1987, aus dem Klappentext
- der psychoanalytischen Interpretation dieses Buches nimmt sich Christa ROHDE - DACHSER,
Expedition in den dunklen Kontinent. Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse. 1991, S. 273 ff.
an.
59
24
Androgynie. Sie setzt auf einen reflektierenden Umgang mit diesen dichotomen
symbolischen Strukturen um zu vermeiden auf eine Seite der >Spaltung< zu kippen
oder dann auf die andere
und betont
„.....wie schwierig, wenn nicht unmöglich es ist, ein Verständnis von „Geschlecht“
jenseits der das moderne westliche Denken kennzeichnenden Dichotomien zwischen
Natur – Kultur, Körper – Geist, Materie – Bewusstsein zu entwickeln. So existiert die
Neigung, den Schwerpunkt in der Vorstellung vom >Geschlecht< jeweils auf die eine
oder die andere Seite dieser binären Oppositionen zu legen, wobei die andere Seite
dann fast unwillkürlich aus dem Blick gerät und sich der Begriff von >Geschlecht<
auf diesen einen Aspekt verkürzt. Dies ist keineswegs lediglich eine Folge individueller
Inkonsequenz oder Inkonsistenz, sondern vielmehr ein strukturelles, mit der binären
Logik des modernen Denkens verbundenes Dilemma, dem sich gegenwärtig und
wahrscheinlich auch noch auf einige Zeit hin unser Denken kaum wird entziehen
können. Die einzige Chance, die ich sehe, besteht in dem Versuch eine begriffliche
Balance zu finden, in der sowohl das Dilemma selbst reflektiert als auch jedes
vermeintliche Auflösen der Oppositionen oder umkippen nach einer Seite hin
vermieden wird.“
61.
Die Geschlechterdichotomien ethnopsychoanalytisch reflektiert
Eine feministische Kritik an HEGELs >Dialektik< bezieht sich z.B. auf den Begriff der ideellen
>Aufhebung< in einem Dritten , des >Aufgehobenwerdens< . Zu HEGEL : " Denn was sich
vereinigen soll, muß ein vorher Getrenntes sein; die Kraft der Zeugung wie des Geistes ist desto größer,
je größer auch die Gegensätze sind, aus denen sie sich wieder herstellt" ( zit. n. Marielouise
JANSSEN - JURREIT , SEXISMUS. Über die Abtreibung der Frauenfrage (1976) 1979, S.654 ) führt
Marielouise JANSSEN - JURREIT die Zeugungsmetapher aus , indem sie den Begriff der >Dialektik<
als "gigantischen Fruchtbarkeitskult, bei dem die Gegensätze endlos koitieren" und diese ideelle
>Aufhebung < in einem Dritten als "Scheinmanöver zu Aufhebung der Geschlechterdifferenz" sichtbar
macht (S. 658) ; dazu noch einmal HEGEL : " Im Kind schauen die Eltern ihre Einheit als Realität an,
sie sind es selbst, und es ist ihre herausgeborene, sichtbare Identität und Mitte; die reale
Vernünftigkeit der Natur, worin die Differenz der Geschlechter vollkommen vertilgt, und beide in
absoluter Einheit sind" <sic> ( zit. n. Marielouise JANSSEN - JURREIT , SEXISMUS. Über die
Abtreibung der Frauenfrage (1976) 1979, S.657 ).
60
61
Andrea MAIHOFER, Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt am Main 1997, S 17/18
25
Durch die Einbeziehung des individuellen und kulturellen Unbewussten kann noch eine
weiterführende Verständnisebene der modernen Geschlechterdichotomien dazu
gewonnen werden - gerade durch ein Aufnehmen und Einarbeiten dieser von kulturund genderwissenschaftlicher Seite aufgezeigten >Spaltungsphänomene< in einen
feministischen psychoanalytischen Diskurs. Die Idealisierung versus Abwertung von
>Mann</ >Frau< ist in der mainstream- psychoanalytischen Theorie weitgehend
unreflektiert verankert.62
Unsere vorherrschenden sozialen Geschlechtsrollen und die symbolischen
Dichotomien, die den Geschlechtern zu- und nachgeordnet sind, können als das
Ergebnis des Abwehrmechanismus "Spaltung", der die Voraussetzung für den Abwehrmechanismus "Projektion" bildet, gesehen werden.
Diese Spaltung hat - wie alle Abwehrleistungen - eine Schutzfunktion :
" nämlich die Aufrechterhaltung des Selbst und der Selbstachtung, während man
versucht, mit einer schwierigen Tatsache des Lebens fertig zu werden - der Tatsache,
dass der Mensch beschränkt, fehlerhaft und fehlbar ist "
63
-
und einen Preis : den wertschätzenden Zugang zu >weiblichen< Dimensionen, dem
>mütterlichen Erbe< und somit ein Stück Realitätsverlust.
Die durch die Geschlechterdichotomien abgewehrten psychische Inhalte sind unsere
kulturellen menschlichen Erfahrungen und Vorstellungen von Ausgeliefertheit,
Verletzlichkeit, Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Endlichkeit, Vergänglichkeit, Sterblichkeit,
62
„ Es bedarf keiner überschießenden Phantasie, die in der traditionellen Psychoanalyse der Frau
attestierten Persönlichkeitsmerkmale wie Penisneid, Masochismus, mangelndes Selbstwertgefühl und
Idealisierung des Mannes in eben diesem Sinne als Niederschlag eines Jahrtausende alten
Unterdrückungsverhältnisses zu begreifen und auch so zu interpretieren" ( Christa ROHDE - DACHSER,
Weiblichkeitsparadigmen in der Psychoanalyse. Psyche Zeitschr., Jan 1990, S. 44 )
Susan SPIELER, Das Selbst, das nicht geschlechtslos ist : Ein verlorenes mütterliches Erbe. In :
Judith ALPERT (Hg.) Psychoanalyse der Frau jenseits von Freud. Berlin, Heidelberg 1992, S.50
63
"Obwohl Bindung mit einem weiblichen Bezugssystem assoziiert wird und Trennung mit einem
männlichen, spiegeln die Situationen der Mütter, die die Trennung nicht fördern können, und die der
Väter, die die Bindung nicht fördern können, Mängel in der Organisation des Selbst wider" Susan
SPIELER, Das Selbst, das nicht geschlechtslos ist : Ein verlorenes mütterliches Erbe. In : Judith
ALPERT (Hg.) Psychoanalyse der Frau jenseits von Freud. Berlin, Heidelberg 1992, S.59
26
dem
Bewusstsein
unserer
Unvollständigkeit64
als
Mann
und
Frau,
als
Geschlechtswesen, und unsere gegenseitige Abhängigkeit und unseren gegenseitigen
Neid als Mann und Frau. (Vergleiche: das kleine "ich" von Christina von BRAUN : "mit
dem "ich" ist das Ich gemeint, das dem Bewusstsein der eigenen "Unvollständigkeit",
also meiner Definition von Bewusstsein entspricht: ein Ich, das um seine Sterblichkeit
und Geschlechtszugehörigkeit weiß".65)
Das Geschlecht / die Geschlechter / die Geschlechtlichkeit mit ihrer impliziten
Fortpflanzungsmöglichkeit, also Generativität und Geburtlichkeit, ist assoziativ mit dem
Ende, der Sterblichkeit verbunden.
Nach dem Wegfall einer spirituellen, religiösen Sicherung dieses ewigen "Stirb und
Werde" blieben wir übrig als ein Teil der nunmehr unbeseelten Natur (Materie).
Unser kulturelles Abwehrsystem des neuzeitlichen symbolischen Kosmos verspricht
uns durch unsere ratio gleichzeitig absolute Nutzung dieser Materie und
Unabhängigkeit von dieser; „uns“ – soweit wir mit dem Männlichkeitsideal identifiziert
und eins sind.
Aber Erfahrungen von Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Unvollkommenheit, Sterblichkeit
sind uns allen, Frauen und Männern universal vorgegeben - besonders verstärkt durch
die spezifisch lange Kindheit des Menschen.
Deutlich lässt sich noch bei DESCARTES das irrationale Allmachtsphantasma dieser
>ratio< bemerken - nach dem Motto : >ich denke, also bin ich unsterblich< wenn er schreibt, was er daraus erkannte, dass er sich vorstellen kann, keinen Körper
zu haben :
Nämlich
"...dass ich eine Substanz sei, deren ganze Wesenheit oder Natur bloß im Denken
bestehe, sodass dieses Ich ,d.h. die Seele, wodurch ich bin, was ich bin, vom Körper
64
„Die Anerkennung der Andersheit bedeutet auch, die eigene Unvollständigkeit
anzunehmen.....“(Hildegard Lahme - Gronostaj, Identität und Differenz , 2000, S 250)
65
Braun, Christina von (1985) : Nicht Ich. Logik, Lüge, Libido, Frankfurt/M., S. 14
27
völlig verschieden und selbst leichter zu erkennen ist als dieser und auch ohne Körper
nicht aufhören wird, alles zu sein, was sie ist . "66
Das Unsterblichkeitsphantasma wird von DESCARTES in keiner Weise >aufgeklärt< ,
die unsterbliche Seele wird nur vom Himmel auf die Erde geholt und in den
menschlichen >männlichen< Geist gefüllt.
Die Spaltung in die Geschlechterdichotomien ermöglicht uns das Phantasma der
Beherrschbarkeit unserer conditio - humana, v.a. unseres Geborenwerdens und
unseres Sterbenmüssens.
Wissenschaft und Technik haben zwar sehr effektiv an einer Bewältigung unserer
Naturabhängigkeit gearbeitet, aber von einer Realisierung des Wunschbildes
Unsterblichkeit sind wir mehr denn je entfernt.
"Etwas ist ganz und gar falsch gelaufen. Gerade das Können der modernen
Wissenschaft konfrontiert uns mit dem Faktum, dass wir aus irgendeinem Grund
vergessen haben, unser eigenes Überleben in die Zielsetzungen wissenschaftlicher
Erkenntnis einzubringen."
67
Die moderne abendländische Konzeption der Natur- und Selbstbeherrschung vereint
die Abspaltung unerträglich scheinender Bedingungen unseres Lebens – unserer
conditio humana – und die Unbewusstmachung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse.
Vermengt und undifferenziert werden Härten der menschlichen Existenz als solcher
und Unerträglichkeiten aufgrund menschlicher Gewalteinwirkungen aus dem
vorherrschenden Diskurs und der individuellen Wahrhabung abgespalten und
ausgeblendet - durch Spaltungsprozesse, die die ideologisierten
Geschlechterdichotomien und somit Unbewusstheit von kollektiver struktureller
Gewalt produzieren. Durch kritische Reflexion und Bewusstmachung kommt unser
kulturelles Geschlechtersystem mit seiner durch die Geschlechterdichotomien tief
eingelassenen Gendergewalt wieder in den Blick. Deren Abwehr und
Unbewusstmachung wird individuell über transgenerationale Traumatisierungen mit
ihren Dissoziierungen weitergegeben. Umso stärker ist der Abwehrcharakter, je mehr
wir uns vor der Unerträglichkeit einer konkreten Erfahrung schützen müssen.
66
zit. nach Christoph HELFERICH, Geschichte der Philosophie, 1992, S. 168
67
Evelyn Fox Keller, in: Barbara Orland und Elvira Scheich (Hg., 1995) : Das Geschlecht der Natur, S.91
28
Besonders nachhaltig ist die destruktive Wirkung eines traumatischen Erlebnisses, das
auf menschliche Gewalteinwirkung beruht. Hier wird basal ein mitmenschliches
Vertrauen zerstört - erst recht, wenn Leid und Gewalt nicht gesellschaftsfähig sind,
totgeschwiegen werden, keine allgemein-gesellschaftliche Wahrhabung erfahren und
es somit weder Empathie für das Gewaltopfer, noch Wiedergutmachung gibt.
Dem kollektiven >Vergessen< der Jahrhunderte lang auf das Grausamste speziell
gegen Frauen ausgeübten Gewalt in den Hexenverfolgungen entspricht auch die
Ausblendung der heutigen konkreten und strukturellen Gewalt gegen Frauen
68
.
Eine noch spezielle Qualität des Grauens vermittelt darüber hinaus sexistische Gewalt,
die dem ( mit Projektionen vollgestopften ) weiblichen Geschlecht als solchem gilt
und über den >Frauenkörper als Schlachtfeld<69 ausgetragen wird.
Die weiblichen Konnotierungen von nationalen Territorien – als zu eroberndes Land –
dienen dazu Vergewaltigungen im Krieg zu einer sinnvollen Strategie zur Demütigung
des Feindes und Zerstörung des Kollektivkörpers des Feindes aufzuladen.
Die - historische und aktuelle - Gewalt und die gewaltsame Delegierung von Natur
und unserer Naturabhängigkeit an die >Frau< ist im modernen
Geschlechtersystem eingeschrieben. Dieses dient der Unbewusstmachung und somit
der Aufrechterhaltung einer sexistischen Gesellschaft - trotz bzw. gerade unter der
Fahne der >Gleichheit<. Die bürgerlichen Gleichheitsforderungen >Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit< machten das Patriarchat legitimationspflichtig. Diese
Funktion übernahm das moderne Geschlechtersystem.
Die Wut und der Widerstand gegen die Gewaltverhältnisse wird durch kultur- und
geschlechtsspezifische Abwehrmechanismen ebenfalls unbewusst gemacht. Diese
Funktion der >gesellschaftlichen Produktion von Unbewusstheit< betont Mario
ERDHEIM als zentral zur Aufrechterhaltung ungerechter gesellschaftlicher
- auch von Frauen selbst, was leider wiederum befördert Opfer zu werden , s.Judith Lewis HERMAN
: Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, 1993 , S. 100 f.
68
69
Elisabeth REHN , UNIFEM Studie Women, War and Peace, 2002 (Präsentation in Wien April 2003)
29
Verhältnisse. Das gesellschaftliche Machtgefälle hat Auswirkungen auf die individuelle
Selbstentwicklung. Charakteristische Abwehrmechanismen auf Seiten der
untergeordneten Gruppen sind : die (Über)Idealisierung des Mächtigen, die
Identifikation mit ihm und Selbstentwertung bis Selbsthass.70
Diese sind konkret klinisch feststellbar - wie das niedrigere Selbstwertgefühl und die
weit größere Depressionsneigung bei Frauen.
Die >gesellschaftliche Unbewusstheit< der in unserem Geschlechtersystem tief
eingelassenen Gewalt wird vielfältig befördert.
Einem Zurückholen ins Bewusstsein steht - außer (geschlechter-) politischen
Interessen - auch unsere psychische Abwehr von uns Unerträglichem im Wege. Die
historische und heutige offene und strukturelle Gewalt gegen Frauen befördert unsere
unbewussten Assoziationen von totaler Ausgeliefertheit mit >Frau< passend zu den
durch den Abwehrmechanismus der Spaltung zustande gekommenen Dichotomien.
Zur Überwindung dieser fatalen Geschlechterordnung
Das Bewusstmachen von struktureller sexistischer Gewalt und unseren vielfältigen
Gefühlen dazu erschüttert den status quo, bringt die „Verhältnisse“ zum Tanzen.
Besorgniserregende globale Entwicklungen, die maßgeblich dem Eroberungszug
unserer modernen „westlichen“ Werte zu verdanken sind, verlangen nach radikal
neuen Wegen. Ein kollektiver Bewusstseinssprung geht mit einer Aufhebung von
kultureller Unbewusstheit Hand in Hand. Eine Wahrhabung unserer conditio humana
mit ihrer Unvollkommenheit, Verletzlichkeit und Endlichkeit erlaubt die Spaltungen
unserer Geschlechterdichotomien aufzulösen. Damit können wir die verderbliche
Kopplung unserer Ausgeliefertheit an Natur und an menschliche Gewalt hinter uns
lassen, beides differenziert wahrnehmen und entsprechend handeln. Für einen Schutz
vor Gewalt – ob persönlich interaktioneller oder struktureller – ist die Wahrnehmung
von Gewalt unabdingbar.
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Mario ERDHEIM, Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den
psychoanalytischen Prozeß, Frankfurt 1992
30
Für die Wahrnehmung von struktureller Gewalt ist eine kulturkritische Reflexion
unseres gesamten Systems von Zwei-Geschlechtlichkeit notwendig :
Jedes Geschlechtersystem ist konkret wirksam in vielfältigen Vernetzungen
verschiedener Dimensionen menschlicher Kultur --symbolischen
- >Genderisierung des symbolischen Kosmos<
sozialen
* normative Geschlechterrollen
-
* >doing gender< - konkrete (Alltags-)Interaktion
* Einbeziehung der Macht- und Gewaltdimension
persönlichen - im jeweils von Frau/ Mann gelebten Selbst- und Weltbezug.
Diese Wirksamkeit ist auf allen Ebenen auch eine unbewusste.
Ganzheitlich – denken fühlen handeln + gemeinsamer Austausch
Dekonstruieren dieser Geschlechterdifferenz und dies eben nicht nur „kopfig“ Gendersensibilität, Gewaltsensibilität, Selbstreflexion.
Achtsamkeit auf Spaltungen in unserem „psychotischen Kosmos“ (makro bis mikro)
durch besondere Achtsamkeit und Sensibilisierung für Widersprüche, Idealisierungen,
Projektionen, Verkehrungen ins Gegenteil (>Umdreh<71), also für Spaltungsprodukte
und -prozesse - auch eigene.
Besondere Achtsamkeit und Sensibilisierung für den Spaltungsprozess, der durch
Abstrakt-Machung / Abstraktifizierung
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befördert wird. Durch das Auslassen oder
Verlassen des konkreten Blickwinkels fällt der Schatten der Abstraktion auf die reale
Vielfalt und Widersprüchlichkeit
Pauschalierungen
- vgl. die Abstraktifizierung
>die Frau< / >der Mann<,
>Mensch<
>das Weibliche<
und
und die
>das
Männliche<.
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besonders die Verkehrung von Opfer und Täter, was die Spirale der Reviktimisierung ( dass Opfer
immer wieder zu Opfern gemacht werden ) der Opfer befördert
72
s. auch Substantivierungen : z.B. : das Substantivum >das Leben< - >Leben als substantive
Vorstellung< wurde gleichzeitig mit seinem Forschungsfeld, der Biologie, geschaffen und definiert (
im 19. Jhdt. von Jean-Baptiste LAMARCK ). Vorher galt das wissenschaftliche Interesse der Vielfalt der
Lebewesen. Seit LAMARCK sucht die Biologie nach dem Grund für die spezifische Organisation belebter
Wesen. Barbara DUDEN begreift das Auftauchen des Substantivums >das Leben< im historischen
Kontext des "Verwelkens der Natur als lebendige matrix... ( DUDEN Barbara (1994) : Der Frauenleib
als öffentlicher Ort. Vom Missbrauch des Begriffes Leben, dtv München, S. 138). Es gebe kaum ein
Wort, das mit so vielen Bedeutungen belegt wurde, dass es keine Bezeichnungskraft mehr ausübe. „
"Das Leben" und "ein Leben" sind Konzepte, die sich nur zum Missbrauch eignen.“ ( DUDEN Barbara
(1994) : S. 10).
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Konkretes Anders Tun >doing gender< :
In diesem Sinne ist der Satz „Das Patriarchat ist zu Ende“73 weder nur Wunsch, noch
Verkennung der Realität, sondern Ausdruck des eigenen Sich-In-Beziehung-Setzens :
in meiner Interaktion stelle ich keine patriarchalen Bezüge her und soweit ich kann,
dulde ich keine.
Zur praktischen Philosophie des Von-sich-selbst-Ausgehens
74
:
„Das bedeutet, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf unser konkretes Leben richten
und dabei vor allem auf die Gefühle achten, mit denen wir etwas erleben.“
„Andererseits machen wir daraus aber keine persönliche Angelegenheit, sondern
nehmen es als Zeichen der Welt, in der wir leben.“
„Die Welt ist uns also mit ihren Gesetzen und Notwendigkeiten auferlegt. Wenn wir
davon ausgehen, dass wir in einer grundlegenden und nicht in einer oberflächlichen
Beziehung zur Welt leben, dann folgt daraus, dass sich auch die Welt selbst verändert,
wenn ich meine Beziehung zu ihr verändere. Es bedeutet auch, dass die Beschreibung
meiner Beziehung zur Welt ein Wissen über die Welt darstellt, das ich anderen zur
Verfügung stelle, und nicht ein Wissen, das nur mich selbst betrifft.“
„Man könnte sagen, dass sich zwischen dem Du und dem Ich das Sein befindet. Durch
das Lächeln des Seins kehrt die Gegenwart der Welt zurück“.
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Libreria della donne di Milano (1996) : Das Patriarchat ist zu Ende. Es ist passiert – nicht aus Zufall,
Rüsselheim
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DIOTIMA und andere (herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Andrea Günter, Dorothee
Markert und Antje Schrupp)(1999) : Die Welt zur Welt bringen. Politik, Geschlechterdifferenz und die
Arbeit am Symbolischen. Königstein/Taunus : Ulrike Helmer Verlag
74
75
Zamboni, Chiara (1999) :. In : DIOTIMA u.a. (s. Fußnote 74) Zitate aus S. 155,156,157 u. 188
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